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Soll und Haben

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Soll und Haben

Roman in sechs Büchern

Manuscriptum,

15 min read
10 take-aways
Text available

What's inside?

Gustav Freytags Loblied auf Mittelstand und Mittelmaß – zu Recht vergessen oder zu Unrecht verworfen?

Literatur­klassiker

  • Entwicklungsroman
  • Biedermeier

Worum es geht

Wie viel Programm verträgt Literatur?

Soll und Haben ist ein klassischer Entwicklungsroman. Der junge Anton Wohlfart stammt aus einfachen Verhältnissen, ist strebsam, ehrlich und hat das Herz auf dem rechten Fleck. Genretypisch wird die Tugend des Helden gründlich auf die Probe gestellt: Anton muss sich in Gefahr begeben, schwierige Entscheidungen treffen, Versuchungen widerstehen und selbstlos handeln, ohne sich dabei aufzuopfern. Das Ideal ist ein Leben als redlicher und fleißiger Kaufmann, das sich durch Mittelmaß und Bescheidenheit auszeichnet. Es ist der Wertekanon des Biedermeier, nach dem Freytag seinen Helden und mit ihm den Leser erziehen will – zum Nutzen Deutschlands. An dieser erzieherischen Absicht stößt man sich bei der Lektüre immer wieder: Das Buch zeigt nicht auf, wie der Mensch ist, sondern wie er sein sollte. So entstehen eher Stereotype als facettenreiche Figuren, eher hölzerne Dialoge als klingende Sprache, kurz: mehr Soll als Haben. Der Roman ist denn auch in erster Linie in seinem geschichtlichen Kontext interessant: Weil er dem Bürgertum des 19. Jahrhunderts aus der Seele sprach, war er damals ein beispielloser Verkaufserfolg.

Take-aways

  • Dank Soll und Haben wurde Gustav Freytag in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zum meistgelesenen deutschen Autor.
  • Inhalt: Der bürgerliche Anton Wohlfahrt beginnt in Breslau eine kaufmännische Ausbildung und verliebt sich in die adlige Lenore. Deren Vater wird das Opfer einer Intrige. Anton gibt sein Kaufmannsleben auf und hilft der ruinierten Adelsfamilie, auf einem Gut in Polen wieder Fuß zu fassen. Trotz dessen selbstlosem Handeln behandelt Lenores Vater Anton als minderwertigen Menschen. Schließlich kehrt dieser in die bürgerliche Welt zurück und heiratet die Schwester seines früheren Chefs.
  • Geprägt von der gescheiterten Revolution von 1848, fordert Freytag in Soll und Haben eine Emanzipation des Bürgertums.
  • Der Roman lässt sich dem programmatischen Realismus zuordnen, der sich gegen die Bevormundung durch den Adel wendete.
  • Für das Erstarken des Bürgertums setzte sich Freytag auch mit seinem Wochenblatt Die Grenzboten ein.
  • Dem Kaufmannsstand werden im Roman Tugenden wie Fleiß, Ehrlichkeit, Bescheidenheit und Vernunft zugeschrieben.
  • Als Gegenpol dazu fungiert nicht nur die Darstellung des Adels, sondern auch die der Polen und Juden.
  • Wegen antisemitischer und antislawischer Passagen ist das Werk bis heute umstritten.
  • Freytags Schreibstil ist klar, einfach und selten überraschend.
  • Zitat: „Jede Tätigkeit, welche neue Werte schafft, ist zuletzt Tätigkeit des Fabrikanten (…)“

Zusammenfassung

Der frischgebackene Kaufmann

Nach dem Tod seiner Eltern verlässt der junge Anton Wohlfart seine heimatliche Kleinstadt und geht nach Breslau, um dort eine Kaufmannslehre im angesehenen Handelshaus T. O. Schröter anzutreten. Als Gefährte drängt sich ein ehemaliger Schulkamerad auf, der Jude Veitel Itzig, ein wenig vertrauenerweckender Bursche. Die Geschäfte der Handlung Schröter florieren. In den Kontoren wird emsig gearbeitet. In Kellern und Lagerräumen stapeln sich Waren aus aller Herren Länder. Schnell lebt Anton sich ein; mit seinem ehrlichen, bescheidenen Wesen ist er seinen Kollegen und seinem Chef Herrn Schröter schnell sympathisch. Einzig an die unverschämte Art des jungen Fritz von Fink, eines reichen Erben, der auf Wunsch seines Vaters als Volontär in der Firma angestellt ist, mag sich Anton nicht gewöhnen. Wegen einer abschätzigen Bemerkung des Adligen kommt es um ein Haar zum Duell. Doch der weltläufige Fink beweist Größe, indem er sich öffentlich bei Anton entschuldigt. Aus dem Zwischenfall entwickelt sich eine tiefe Freundschaft.

„Anton eilte vorwärts, wie durch Sprungfedern fortgeschnellt. Vor ihm lag die Zukunft, sonnig wie die Flur, ein Leben voll strahlender Träume und grüner Hoffnungen.“ (S. 12)

Eines Tages trifft Anton die adlige Lenore von Rothsattel wieder, in die er sich verliebt hat. Zum ersten Mal ist er ihr auf seiner Wanderung nach Breslau begegnet. Es stellt sich heraus, dass ihr Vater, der Freiherr von Rothsattel, Besitzer eines Ritterguts, Wohnung in Breslau genommen hat. Zum einen will er die etwas kauzige Lenore unter Leute bringen, zum anderen will er seinem Geschlecht eine finanziell sichere Zukunft schaffen: Auf Anraten des jüdischen Agenten Hirsch Ehrenthal hat Rothsattel das Familiengut mit einer Hypothek belehnt und das Geld in den Bau einer Zuckerfabrik investiert.

Gut Rothsattel in Gefahr

Beim Agenten Ehrenthal verdingt sich inzwischen Veitel Itzig als Gehilfe. Der durchtriebene Bursche plant jedoch weit über die bescheidene Stellung hinaus: Sein Ziel sieht er im Gut des Freiherrn von Rothsattel. Mit zwielichtigen Finanzgeschäften gelingt es Itzig bald, ein kleines Vermögen anzuhäufen; in dem verderbten Hippus, einem ehemaligen Rechtsanwalt, hat er überdies einen teuflischen Komplizen gefunden. Der alte Säufer ist mit allen Wassern gewaschen. Von ihm lernt Itzig Tricks und Schliche, mit deren Hilfe er sich das Rothsattel’sche Gut unter den Nagel reißen will. Und es sieht gut für ihn aus: Der Freiherr lebt über seine Verhältnisse, seine Geldsorgen verschärfen sich. Wieder fragt er Ehrenthal um Rat. Der empfiehlt ihm den Kauf einer Hypothek auf ein polnisches Gut. Die Hypothek jedoch ist unsicher: Denn Ehrenthal will sich ebenfalls auf Kosten des Freiherrn bereichern und spinnt eine Intrige.

Unruhen im Osten

Auch über der Firma Schröter ziehen dunkle Wolken auf. Nachdem Fritz von Fink das Unternehmen verlassen hat, um in New York die Geschäfte seines verstorbenen Onkels zu übernehmen, kommen aus Polen Nachrichten von Unruhen. Da sich eine Wagenkarawane des Unternehmens auf dem Weg durch polnisches Gebiet befindet, sieht sich Herr Schröter genötigt, höchstpersönlich die Reise anzutreten, um die Kastanien aus dem Feuer zu holen. Anton begleitet ihn. Zwar können sie die Wagen aufspüren, doch die Situation gerät außer Kontrolle, als sie von Aufständischen an der Abreise gehindert und festgesetzt werden. Dabei stürzt sich ein Aufwiegler in mörderischer Absicht auf Schröter. Doch Anton überwältigt ihn und rettet so seinem Chef das Leben. Kurz darauf marschieren die preußischen Truppen ein und stellen die Ordnung wieder her.

„Es schien, als wenn die ernste und emsige Tätigkeit des Geschäftes jedes ungewöhnliche Familienereignis, jede Leidenschaft, jede schnelle Veränderung fernhielte von dem Leben der Hausgenossen. Verstimmung und Hader, Genuss und Schwärmerei, alles wurde niedergehalten durch den unablässigen, gleichmäßigen Fluss der Arbeit.“ (S. 134)

Schröter kehrt nach Breslau zurück, doch er lässt Anton als Agenten vor Ort und betraut ihn mit der verantwortungsvollen Aufgabe, so viele Außenstände wie möglich einzutreiben. Anton zeigt sich dieser Aufgabe gewachsen. Nebenbei pflegt er Umgang mit einigen Offizieren der Besatzungstruppen, darunter Leutnant Eugen von Rothsattel, der Sohn des Freiherrn. Ihm bringt Anton, allein Lenores wegen, eine herzliche Sympathie entgegen. Umso bestürzter ist er, als er erfährt, dass das Vermögen der Rothsattels wegen riskanter Spekulationen des Freiherrn in Gefahr ist. Im Zusammenhang mit einer Verschwörung, die den Freiherrn ruinieren soll, fällt der Name Itzig. Aus Sorge um Lenores Familie informiert Anton den Leutnant über die Intrige, damit dieser seinen Vater von den dubiosen Geschäften abhalten kann.

„Seit Jahren verbarg er einen Wunsch im Grund seiner Seele, die Sehnsucht nach dem freien, stattlichen, schmuckvollen Leben der Vornehmen.“ (über Anton, S. 144)

Doch es ist bereits zu spät: Mit Schrecken erfährt der Freiherr vom bevorstehenden Konkurs jenes polnischen Ritterguts, auf dem er eine Hypothek besitzt. Und ausgerechnet jetzt, wo er dringend Geld benötigt, setzen ihm die Gläubiger das Messer an die Kehle: 10 000 Taler soll er binnen eines Tages beschaffen. Der Freiherr ist verzweifelt. Auch bei Ehrenthal findet er keine Hilfe mehr. Zwar steht die Zuckerfabrik gerade vor der Einweihung, doch das ganze Unternehmen ist mit Hypotheken und Schuldverschreibungen belastet. Ehrenthal wittert fette Beute und weigert sich, dem Freiherrn weiterhin Kredit zu gewähren. Nun tritt Itzig auf den Plan. Er überzeugt den Freiherrn zu einem verhängnisvollen Handel und hintergeht damit zugleich Ehrenthal: Itzig will Rothsattel finanziell unterstützen, wenn dieser eine Hypothek auf ihn überschreibt, die er bereits Ehrenthal versprochen, jedoch nicht vertraglich zugesichert hat. Damit verschuldet der Freiherr sich bei beiden.

Die Situation spitzt sich zu

In der Firma Schröter feiert man derweil Antons Rückkehr. Sein Einsatz für das Geschäft und für das Leben des Prinzipals tragen ihm die Hochachtung der Kollegen sowie die Zuneigung von Herrn Schröters tugendhafter Schwester Sabine ein. Anton begibt sich zum Freiherrn von Rothsattel, um ihm seine Hilfe anzubieten. Der weist ihn jedoch stolz ab. Durch die Vermittlung Itzigs lernt Anton Bernhard Ehrenthal kennen, den Sohn des Agenten. Sogleich schließt er mit dem schüchternen und feinsinnigen Stubengelehrten Freundschaft, sie nehmen gemeinsam Englischunterricht und tauschen sich über Literatur, Poesie und die Sitten fremder Völker aus. Durch Bernhard, den sein Vater über alles liebt, bekommt Anton Einfluss auf Ehrenthal. Er erreicht, dass dieser sich dazu bereit erklärt, den Freiherrn, vom Haken zu lassen. Doch Veitel Itzig setzt alles daran, die Versöhnung zu verhindern: Mit Komplize Hippus gelingt es ihm, belastende Papiere wie etwa Schuldscheine aus Ehrenthals Kontor zu stehlen. Rothsattel sieht seine Ehre und Existenz zerstört und setzt sich die Pistole an die Schläfe. Im letzten Augenblick verhindert seine Frau den Selbstmord. Es löst sich aber ein Schuss, und der Freiherr wird verletzt.

Das polnische Gut

In ihrer Verzweiflung wenden sich Lenore und ihre Mutter an Anton. Ihm allein vertrauen sie noch. Er soll die Finanzen der Familie ordnen und retten, was noch zu retten ist. Doch das ist nicht viel: Vor Gericht unterliegt der Freiherr, die Hypotheken werden gekündigt, das Gut steht vor der Liquidation. Nur der polnische Besitz, auf den Rothsattel wegen der durch den Konkurs ausgefallenen Hypothek einen Anspruch hat, bietet noch Hoffnung. Anton kündigt seine Stellung bei Schröter und tritt als Bevollmächtigter in den Dienst des Freiherrn. Er will sich das polnische Gut ansehen.

„Die kleinen Vögel auf den Bäumen der Landstraße kreischten in den Zweigen, flatterten von einem Baum auf den andern und riefen einander zu, dass etwas Furchtbares über ihre Felder hereinbreche; wir Kleinen werden es überstehen, schrien sie, aber die Großen mögen sich hüten.“ (S. 292)

Dieses gibt jedoch kaum Anlass zur Zuversicht. Der Landstrich ist öde und wüst, die Bevölkerung feindselig, die Gebäude des Guts sind verwahrlost. Einzig der Förster, der Schäfer und ein deutscher Pächter mit seiner Familie stemmen sich gegen den völligen Zerfall. Anton beginnt, Ordnung zu schaffen. Mit viel Mühe gelingt es ihm, das Herrenhaus halbwegs wohnlich zu machen. Doch als wenig später die Familie Rothsattel eintrifft, wird sein Tatendrang sogleich gebremst. Der Freiherr, durch den Pistolenschuss erblindet und wegen des Ruins verbittert, behandelt ihn stolz und ungnädig, und auch seine Frau und Lenore lassen Anton den Standesunterschied spüren. Immer öfter, und nicht zu ihrem Vorteil, vergleicht Anton das adlige Fräulein mit der tüchtigen Sabine daheim in Breslau.

Schon wieder Unruhen

In Rosmin, einem deutschen Kolonialstädtchen unweit des Guts, ist Markttag. Während Anton seinen Geschäften nachgeht, bricht plötzlich ein Aufstand der polnischen Bevölkerung los. Es kommt zu Zusammenrottungen, die Situation droht zu eskalieren. Geistesgegenwärtig setzt sich Anton an die Spitze einiger Kolonisten und führt, gemeinsam mit dem Förster und einem Zug Bürgerschützen, den Gegenangriff. Im Handstreich nehmen sie das Weinlokal ein, in dem sich die Rädelsführer des Aufstands verschanzen, und bringen diese in ihre Gewalt. Fürs Erste ist die Gefahr abgewendet, doch Gerüchte von einer landesweiten Erhebung gehen um, und die deutschen Kolonisten blicken mit Sorge in die Zukunft.

„Auf dem Gut stieg das Fabrikgebäude langsam in die Höhe, in dem Geldschrank Ehrenthals füllte sich die Kassette des Freiherrn mit seinen Schuldverschreibungen und dem neuen Hypothekeninstrument (...)“ (S. 308)

Die folgenden Wochen verbringt Anton damit, aus dem nahen Dorf einige wehrfähige Männer anzuwerben und sie auf die Verteidigung des Guts einzuschwören. Mitten in die Mobilmachung platzt Fritz von Fink, der sich seiner überseeischen Verpflichtungen entledigt hat. Fast mehr noch als Anton freut sich der Freiherr über den Besuch des reichen Standesgenossen. Fink seinerseits nimmt Anteil am Schicksal der Familie. Er schlägt dem Freiherrn vor, ein Stück Land zur Pacht zu übernehmen. Mit dem Pachtzins, den er gleich für ein Jahr im Voraus bezahlt, hilft er der Familie aus den größten Schwierigkeiten. Nicht nur Anton, sondern auch Lenore freut sich darüber, dass Fink bleibt.

„Jede Tätigkeit, welche neue Werte schafft, ist zuletzt Tätigkeit des Fabrikanten (...)“ (Herr Schröter, S. 310)

Die Lage im Land spitzt sich zu. Bewaffnete Rotten rücken auf den Sitz der Rothsattels vor. Anton und Fink scharen ein Häuflein Getreuer um sich und machen das Gemäuer sturmfest. Gerade noch gelingt es ihnen, einen Boten auszusenden, da schließt sich der Belagerungsring. Ein erster Angriff kann zurückgeschlagen werden, doch bald wird das Wasser knapp, die Moral der Eingeschlossenen nimmt ab. Eine echte Chance auf Verteidigung besteht nicht und man macht sich bereit zum letzten Gefecht. Doch plötzlich tönen aus der Ferne preußische Fanfaren. Mit frischem Mut führen Anton und Fink einen Ausfall an. Binnen Kurzem sind die polnischen Horden zerstreut.

Das Zerwürfnis

Unter den Befreiern war auch Leutnant Eugen, der Sohn des Freiherrn. Ausgerechnet er lässt im Kampf sein Leben. Die ganze Familie Rothsattel zieht sich in ihrer Trauer von der Welt zurück. Für Antons Bemühungen um das Wohl des Guts bedeutet diese neuerliche Welle der Verbitterung ein schier unüberwindliches Hindernis. Als der Freiherr, dessen verletzter Stolz ihn aller Vernunft beraubt hat, Anton in einer Geschäftssache so heftig wie ungerecht anfährt, kommt es zum Bruch. Lenore und ihre Mutter stehen ganz auf Antons Seite und beschwören ihn, sich solchem Undank nicht länger auszusetzen. Antons Entschluss steht ohnehin fest: Er will zurück nach Breslau. Erleichtert wird ihm der Abschied durch Finks Entschluss, das Gut zu kaufen. So weiß Anton die Früchte seiner mühsamen Arbeit wenigstens in guten Händen. Überdies gibt diese Wendung auch der gereiften Lenore den Lebensmut zurück, sie sieht einer Zukunft an Finks Seite entgegen.

Itzigs Ende

Zurück in Breslau, sucht Anton seinen ehemaligen Chef Schröter auf. Der empfängt ihn zunächst schroff. Noch immer verübelt er Anton, dass er die Firma verlassen hat. Schließlich machen sie jedoch reinen Tisch und versöhnen sich. Antons Freude darüber steigert sich noch durch das Wiedersehen mit der von ihm still verehrten Sabine, und auch Sabine wird mit Antons Rückkehr ein Herzenswunsch erfüllt. Doch zunächst gilt es für Anton, den letzten Auftrag der Rothsattels zu erledigen: die Wiederbeschaffung der gestohlenen Dokumente, die er in Itzigs Händen vermutet. Er lässt Nachforschungen von der Polizei anstellen. Itzigs Komplize, der alte Hippus, kriegt kalte Füße und will sich absetzen. Die beiden Ganoven geraten in Streit und Itzig stößt den betrunkenen Alten in den Fluss. Bald erfährt er, dass die Polizei ihm auf den Fersen ist. Auf der Flucht erschreckt ihn am Flussufer ein Schatten, in dem er den toten Hippus zu erkennen glaubt, derartig, dass er stolpert, ins Wasser fällt und ebenfalls in den Fluten umkommt.

T. O. Schröter und Kompagnie

In Itzigs Wohnung finden sich die gestohlenen Dokumente. Mit diesen erhält der Freiherr ein Stück seiner verlorenen Ehre zurück. Durch geschickte Verhandlungen gelingt es Anton überdies, 30 000 Taler aus der Liquidation des Familienguts zu retten – eine hübsche Mitgift für Lenore, die nach einigem Zaudern dem Werben Finks nachgegeben hat. Der plant inzwischen für die Zukunft, erweitert das Gut durch Zukauf weiterer Ländereien und geht ganz in seiner Rolle als Gutsherr auf. Auch Anton wandelt auf Freiersfüßen. Er heiratet Sabine, und der Prinzipal des Handelshauses T. O. Schröter nimmt seinen ehemaligen Kontoristen als Schwager und Teilhaber auf.

Zum Text

Aufbau und Stil

Gustav Freytag legte großen Wert auf Systematik. So ist es kaum verwunderlich, dass er bei seinem ersten Roman nichts dem Zufall überließ. Soll und Haben ist ein sorgsam durchkonstruiertes, gründlich ausbalanciertes Werk. In der formalen Anordnung folgt Freytag der Theorie des pyramidalen Aufbaus, die er 1863 in der Abhandlung Die Technik des Dramas ausführte. Hierfür gliederte er die Handlung in fünf Abschnitte: Einleitung, Steigerung, Höhepunkt, Fall und Katastrophe. Zwar besteht Soll und Haben aus sechs Bänden, was Freytag jedoch mit der „Beschaffenheit des Stoffes“ rechtfertigte, „welcher eine breite Ausführung der zweiten Hälfte nothwendig machte“. Das auffälligste Stilmittel in dem Text ist der Kontrast. Jede Figur hat ihren Gegensatz, ihr Alter Ego: der ehrliche Anton im durchtriebenen Veitel Itzig, die häuslich-bescheidene Sabine in der romantischen Lenore, der adlige, dem Untergang geweihte Freiherr von Rothsattel im tatkräftigen, zukunftsfähigen Kaufmann Schröter – oder allgemeiner: der dekadente Adel im gesunden Bürgertum, die tüchtigen Deutschen in den liederlichen Polen oder den intriganten Juden. Freytag hat viel Mühe darauf verwendet, die jeweilige Zugehörigkeit der Figuren zu einer dieser Gruppen deutlich zu machen: rosige Wangen, leuchtende Augen hier, gelbliche Gesichtsfarbe, glasiger Blick dort. Was für Freytag Programm war, wirkt heute klischeehaft und wenig fantasievoll. Freytags Schreibstil trägt zu diesem Eindruck bei. Er ist einfach, klar und sichtbar um Mittelmaß bemüht – Freytag hätte vermutlich nicht einmal an der Beschreibung „bieder“ Anstoß genommen. Entsprechend fehlt es dem Text an Lebendigkeit, an Witz und an der Fähigkeit zu überraschen.

Interpretationsansätze

  • Der Roman ist ein Paradebeispiel für den programmatischen Realismus. Nach der gescheiterten Revolution von 1848 waren einige Schriftsteller mit der Bevormundung des Bürgertums durch einen vorwiegend aristokratischen Obrigkeitsstaat unzufrieden, zugleich jedoch allem Radikalen abgeneigt. Sie steckten sich das Ziel, ein freies, unter preußischer Führung geeintes Deutschland mit dem bürgerlichen Mittelstand als herrschender Klasse gleichsam herbeizuschreiben.
  • Soll und Haben liest sich als Verherrlichung der Arbeit, als Versuch, nicht ferne Länder, fantastische Abenteuer oder ruhmvolle Waffentaten zum Gegenstand der Literatur zu wählen, sondern den Alltag des deutschen Durchschnittsbürgers, allerdings ebenso in idealisierter, romantisierter Form.
  • Die Geschichte des Beamtensohnes Anton Wohlfart steht in der Tradition des Entwicklungsromans: Ein junger, eher unbedarfter, aber redlicher Mensch findet inmitten weltlicher Wirrnisse zu sich selbst, wobei er vermeiden muss, zugleich mit seiner Naivität auch seine Moralität zu verlieren.
  • Im Kaufmannsstand sieht Freytag das Kraftzentrum einer neuen Zeit, die Vereinigung der schönsten deutschen Tugenden: Fleiß, Ehrlichkeit, Bescheidenheit, Vernunft.
  • Wenngleich sich Freytag stets gegen den Vorwurf des Antisemitismus gewehrt hat, wimmelt es in Soll und Haben von Judenklischees. Die Kritik ist darüber in zwei Lager gespalten: Die eine Seite entschuldigt Freytag mit dem Hinweis auf seine durch und durch liberale Einstellung und seine Ehe mit einer Jüdin. Die andere Seite misst ihn in erster Linie an der historischen Wirkung seiner Bücher.

Historischer Hintergrund

Die Restauration in Deutschland

Soll und Haben spielt in den Jahren vor und nach der Märzrevolution 1848. Schauplatz der Handlung ist vor allem das preußische Großherzogtum Posen (im heutigen Polen), mit der Hauptstadt Breslau. 1815, nach dem endgültigen Sieg über Napoleon, hatten die Siegermächte Europa neu aufgeteilt. Habsburg-Österreich und Preußen wurden (zusammen mit 36 kleineren Staaten) lose im Deutschen Bund vereint. Dem geschwächten Europa wurde auf dem Wiener Kongress Ruhe, Ruhe und nochmals Ruhe verordnet. Das Zeitalter der Restauration begann; freiheitliche, nationalistische und revolutionäre Bestrebungen wurden mit eiserner Hand unterdrückt. Doch das Rad der Geschichte ließ sich nicht lange anhalten: Die fortschreitende Industrialisierung und eine rasante Beschleunigung des Handelsverkehrs durch die Eisenbahn minderten den Einfluss der Aristokratie und legten die Macht in die Hände derer, die tatsächlich Werte schufen: Bürgertum und Mittelstand. Mit dem Machtverlust der Aristokratie bröckelten auch deren politische Gebilde, allen voran der Vielvölkerstaat des Habsburgerreichs. Auch der Deutsche Bund erwies sich als schwaches, künstliches Gebilde. Das Volk wünschte sich eine einheitliche deutsche Nation mit einer demokratischen Verfassung. Es war vorerst allerdings kein starker Wille: Vom Blutvergießen der halbherzigen Märzrevolution 1848 entsetzt, ruderte man gleich wieder zurück und flüchtete sich in die harmlose Gemütlichkeit des Biedermeier. Die kollektive Scham über das Versagen lähmte die liberalen Kräfte. Die aristokratische Elite hingegen frohlockte: Sie saß nun wieder fest im Sattel.

Entstehung

Soll und Haben ist Freytags erster Roman, doch waren schon etliche Theaterstücke vorangegangen, in denen er seine Meisterschaft im Aufbau dramatischer Handlung unter Beweis gestellt hatte. Auf Anregung des Germanisten Moriz Haupt, mit dem er befreundet war, wagte Freytag sich schließlich an das fremde Genre. Nicht jedoch, ohne zuvor an seinen großen Vorbildern Walter Scott und Charles Dickens die Gesetzmäßigkeiten des Romans, wie Konstruktion und Entwicklung der Figuren, studiert zu haben. Insbesondere aus Dickens’ David Copperfield bediente sich Freytag großzügig; sein Veitel Itzig ist ein regelrechter Abklatsch des dämonischen Uriah Heep. Viel anderes stammt allerdings aus Freytags eigener Erfahrung; die Eigenheiten des Warenhandels hatte er während seiner Zeit als Dozent in Breslau im Handelshaus Molinari kennengelernt. Die Lebensumstände der deutschen Siedler in Schlesien waren ihm ebenfalls vertraut; Freytags Geburtsstadt, Kreuzburg (heute: Kluczbork), war eine Grenzfeste nach Polen, die damals etwa 2000 Einwohner hatte, überwiegend Handwerker und so genannte Ackerbürger. Selbst die geschäftlichen Winkelzüge kannte Freytag aus eigener Anschauung: Im Auftrag eines Verwandten hatte er sich vor Gericht mit jüdischen Händlern gestritten, die zu Vorbildern für Figuren wie Hirsch Ehrenthal wurden. Was markante Details und lebensnahe Schilderung anging, konnte Freytag also aus dem Vollen schöpfen. Die Handlung als solche hatte er, wie man aus seinen Memoiren weiß, schon fertig im Kopf, bevor es ans Schreiben ging. Dieses übrigens überließ er einem Sekretär, dem er den Roman in die Feder diktierte. Freytag war stark kurzsichtig und vertrug überdies die gekrümmte Sitzhaltung am Schreibtisch nicht gut.

Wirkungsgeschichte

Die Wirkungsgeschichte von Soll und Haben lässt sich in drei Abschnitte einteilen. Unmittelbar nach dem Erscheinen 1855 hatte der Text beispiellosen Erfolg. Nie zuvor hatte sich in Deutschland ein Roman so gut verkauft. Übliche Erstauflagen umfassten damals selten mehr als 1000 Exemplare, und selbst bei erfolgreichen Werken ließ man es oft erst einmal dabei bewenden. Auch Soll und Haben startete mit einer Erstauflage von bloß 600 Exemplaren, diese reichten diese jedoch nur wenige Wochen. Bis zum Jahresende kamen zwei weitere Auflagen hinzu; und bis zur Jahrhundertwende hatten 100 000 Exemplare die Druckpresse verlassen. Der Publizist Franz Mehring nannte Soll und Haben mit Recht den „gelesensten aller deutschen Romane“. Das Buch traf den Nerv der Zeit; ein zunehmend selbstbewusstes Bürgertum konnte sich darin, wie in einem Zauberspiegel, von seiner schönsten Seite sehen und so für kurze Zeit die realen Demütigungen vergessen: Gängelung durch die meist adlige Obrigkeit einerseits, Gefährdung des bestehenden Systems durch radikale Elemente wie Demokraten, Sozialisten und gar Kommunisten andererseits. Den Nationalsozialisten kamen der deutschtümelnde Tenor sowie die antisemitischen und antislawischen Untertöne des Romans natürlich entgegen. Freytags Werk erlebte so nach 1933 eine Wiedergeburt als Propagandainstrument. Das führte wiederum dazu, dass es nach 1945 vielen Menschen als unlesbar galt. Eine moderne Verfilmung unter der Regie von Rainer Werner Fassbinder (es gab zuvor lediglich eine Stummfilmversion von 1924 mit Olga Tschechowa und Heinrich George) wurde 1977 zwar diskutiert, doch wegen der ideologischen Vergiftung des Stoffes nicht verwirklicht.

Über den Autor

Gustav Freytag wird am 13. Juli 1816 in der preußischen Provinz Oberschlesien als Sohn eines angesehenen Arztes geboren. In der Provinzhauptstadt Breslau und später in Berlin studiert er klassische Philologie. Mit 22 Jahren wird er promoviert, nur ein Jahr später habilitiert. Bald findet er eine Anstellung als Dozent in Breslau, er gibt seine akademische Karriere jedoch zugunsten der Schriftstellerei wenig später auf. Seine Berufung findet er in der dramatischen Kunst. 1846 wird sein Theaterstück Die Valentine erfolgreich aufgeführt. Obwohl nur mäßig politisch, stellt Freytag sein Schaffen in den Dienst der national-deutschen Idee. Die Gewaltexzesse der Märzrevolution 1848 schrecken ihn jedoch ab. Alles Radikale und Schwärmerische ist ihm zuwider. Gemeinsam mit Julian Schmidt gibt er ab 1848 die Wochenschrift Die Grenzboten heraus, mit dem Ziel, die Aufgabe des gesellschaftlichen Umbruchs dem Bürgertum anzuvertrauen. Außerdem fördert er von Leipzig aus eine Veröffentlichung, die (unter Umgehung der strengen preußischen Zensur) aus dem Landtag in Berlin berichten soll. Sein Engagement macht ihn den Behörden verdächtig. Der liberale Herzog Ernst von Sachsen-Coburg und Gotha stellt den inzwischen berühmten Dramatiker 1854 an seinem Hof als Vorleser an, um ihn vor polizeilichem Zugriff zu schützen. 1855 erscheint Soll und Haben, Freytags erster Roman, mit dem er sich endgültig etabliert. Er sieht sich als Volkserzieher, als Sprachrohr des aufgeklärten Bürgertums. Mit preußischer Pflichttreue nimmt er die selbst gewählte Aufgabe wahr. 1867 lässt er sich gar in den Reichstag wählen, hat jedoch schnell genug von praktischer Politik und widmet sich wieder dem geschriebenen Wort. Mit dem sechsbändigen Monumentalwerk Die Ahnen fiktionalisiert Freytag das zurückliegende Jahrtausend deutscher Geschichte. Etliche kulturhistorische Werke ergänzen sein umfangreiches Schaffen. In seinen letzten Lebensjahren schreibt er gegen den grassierenden Antisemitismus in Deutschland an; seine dritte Frau ist jüdischer Abstammung. Gustav Freytag stirbt 1895 in Wiesbaden.

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