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Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny

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Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny

Suhrkamp,

15 min read
10 take-aways
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What's inside?

Brechts antikapitalistische Opern-Provokation über den Terror des Geldes und falsche Träume vom Glück.

Literatur­klassiker


Worum es geht

Dieses Paradies ist die Hölle

Aus der vermeintlichen „Paradiesstadt“ Mahagonny wird eine unmenschliche Metropole des Geld- und Konsumterrors, in der man wegen Zechprellerei sofort zum Tod verurteilt werden kann. Bertolt Brecht schildert den Untergang eines kapitalistischen Sehnsuchtsorts – allerdings nicht als dramatische Tragödie, sondern als herrlich grob montierte Oper, in der groteske Szenen ebenso Platz finden wie bittere Pointen und schmissige Reime. Brecht, frisch bekehrter Marxist, war auf der Suche nach neuen Theaterformen, als er das von Kurt Weill vertonte Stück schrieb. Die Uraufführung von Mahagonny wurde auch deshalb ein Skandal, weil Brecht es bewusst vermied, dem bürgerlichen Opernpublikum ein herkömmliches, „kulinarisches“ Verschmelzungserlebnis zu gestatten. Die spannende Offenheit dieses Stücks voller Nähte und Risse, seine satirische Härte und seine geradezu explosive Sprache machen Mahagonny zu einem aufregend frischen, fast zeitlosen Werk.

Take-aways

  • Mit Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny bürstet Brecht die Oper gegen den Strich.
  • Inhalt: Drei Ganoven gründen die Stadt Mahagonny und versprechen dort jedem ein Leben voller Genuss. Zu den Glückssuchern gehört der Holzfäller Paul Ackermann, der die radikale Selbsterfüllung für alle fordert. Zunächst wird er bejubelt, doch als er die Zeche nicht mehr zahlen kann, wird er wegen Geldmangel hingerichtet. Die Stadt versinkt im Chaos.
  • Die Handlung wirkt grob zusammengezimmert. Dies war jedoch Absicht und eine bewusste Absage an die genussbetonte Operntradition.
  • Mahagonny ist die böse Karikatur eines kapitalistischen Konsumparadieses: Glück gibt es nur gegen Geld und in Form von Waren.
  • Brecht wurde während der Entstehungszeit des Werks zum Marxisten. Der Hass auf den Kapitalismus ist dem Werk eingeprägt.
  • In einem Begleittext zur Oper erläuterte Brecht seine Idee des „epischen Theaters“, womit der Zuschauer zum Denken anstatt zum Mitfühlen angeregt werden soll.
  • Brechts pointierte Szenenfolge und seine kraftvolle Sprache beeindrucken bis heute.
  • Die Musik zu der Oper komponierte Brechts langjähriger Mitarbeiter Kurt Weill.
  • Die Uraufführung des Werks sorgte für einen gewaltigen Theaterskandal.
  • Zitat: „Denn wie man sich bettet, so liegt man / Es deckt einen keiner da zu / Und wenn einer tritt, dann bin ich es / Und wird einer getreten, dann bist’s du.“

Zusammenfassung

Stadtgründung aus Not

In einer Einöde nahe der Küste bleiben Willy der Prokurist, Dreieinigkeitsmoses und die Witwe Leokadja Begbick mit ihrem ramponierten Lastauto liegen. Eigentlich müssten sie weiter, denn die Polizei ist ihnen auf den Fersen. Sie würden gern in den Norden vorstoßen, um dort unter die Goldsucher zu gehen. Doch nun sind sie zum Bleiben gezwungen. Kurzerhand beschließt Witwe Begbick, eine Stadt zu gründen. Statt durch eine anstrengende Goldsuche Geld zu verdienen, bereichere man sich besser an den Goldsuchern. Die Stadt soll Mahagonny heißen und dazu dienen, fette Beute zu machen. Statt der Arbeit wird sie dem Spaß gewidmet sein: Sie soll Männern jene Vergnügungen bieten, für die sie gern ihr Geld hergeben – Alkohol, Mädchen, Knaben, Kämpfe. Zunächst wird ein Stück Stoff an einem Angelstock gehisst und ein Bartisch unter einen Gummibaum gestellt. Ebendort soll das Stadtzentrum sein, genannt „Das Hotel zum Reichen Mann“.

„Aber dieses ganze Mahagonny / Ist nur, weil alles so schlecht ist / Weil keine Ruhe herrscht / Und keine Eintracht / Und weil es nichts gibt / Woran man sich halten kann.“ (Willy und Moses, S. 9)

Die Stadt wächst schnell. Bald kommen die ersten Mädchen auf der Suche nach zahlenden Männern. Jenny und sechs Gefährtinnen singen, auf ihren Koffern sitzend, von der nächsten Whiskybar, dem nächsten schönen Jungen, dem nächsten Dollar. Willy und Dreieinigkeitsmoses werben unter den Werktätigen anderer Großstädte für die „Goldstadt“ Mahagonny, die Genuss, Ruhe und Harmonie verspricht. Unter den Unzufriedenen aller Kontinente verbreitet sich die Kunde. Viele machen sich auf den Weg.

Zweifelhaftes Vergnügen

Vier Freunde, die Holzfäller Paul, Jakob, Heinrich und Joseph, erreichen Mahagonny nach Jahren harter, aber einträglicher Arbeit in Alaska. Während sie noch unschlüssig am Landungsplatz stehen, kommt Witwe Begbick, begrüßt jeden persönlich und macht sich gleich daran, die aktuellen Preise, die auf einer großen Tafel angeschrieben sind, herunterzusetzen. Anschließend bietet sie Mädchen an. Sie zeigt deren Bilder herum, doch Paul will die Frauen persönlich sehen. Jenny und die sechs anderen Mädchen treten auf und es wird um den Preis gefeilscht. Jakob mag keine 30 $ für Jenny bezahlen, also nimmt Paul sie. Als alle gerade in die Stadt aufbrechen wollen, stürmen neue Leute heran, die eilig versuchen, das abgehende Schiff zu erreichen. Das gibt den vier Männern zu denken. Schnell setzt Witwe Begbick die Preise weiter herunter, worauf die Männer und die Mädchen gut gelaunt der Stadt entgegenziehen.

„Ruhe und Eintracht, das gibt es nicht / Aber Hurrikane, die gibt es / Und Taifune, wo sie nicht auslangen. / Und gerade so ist der Mensch: / Er muss zerstören, was da ist. / Wozu braucht’s da einen Hurrikan? / Was ist der Taifun an Schrecken / Gegen den Menschen, wenn er seinen Spaß will?“ (Paul, S. 36)

In der Bar des „Hotels zum Reichen Mann“ sitzen Witwe Begbick, Willy und Dreieinigkeitsmoses zusammen und sorgen sich um die Zukunft ihres Unternehmens. Mit ein paar Kneipen und viel Ruhe allein lässt sich noch kein Geschäft machen. Die Sehnsüchte der Glückssucher scheint Mahagonny nur unzureichend zu befriedigen. Witwe Begbick ist drauf und dran, die Zelte abzubrechen und zurückzukehren. Doch aus der Zeitung erfahren sie, dass die Polizei sie immer noch sucht. Vorerst gibt es also keine Alternative zu Mahagonny.

Die Naturgewalt Mensch

Paul hat die Koffer gepackt und ist entschlossen, die Stadt zu verlassen. Seine Freunde versuchen ihn zurückzuhalten und fragen, was ihn so unzufrieden mache. Paul beschwert sich über Verbotsschilder, billigen Alkohol und das langweilige Leben. Seine Freunde verteidigen all das, drohen ihm Prügel an und halten ihn schließlich von der Abreise ab. Doch Paul ärgert sich weiter. Rauchend und trinkend sitzen die Männer vor dem Hotel, das von Verbotstafeln umgeben ist. Paul schimpft: Sieben Jahre Schufterei und klirrende Kälte in Alaska, um nun in Langeweile zu vergehen? Er schießt seinen Revolver ab und zückt sein Messer, während Witwe Begbick, Willy und Moses ihn zu beruhigen versuchen. Mit diesem Mahagonny könne man nicht glücklich werden, ruft er aus, auf dem Tisch stehend.

„Im Interesse der Ordnung / Zum Besten des Staates / Für die Zukunft der Menschheit / Zu deinem eigenen Wohlbefinden / Darfst du!“ (Paul, S. 39)

Ein Hurrikan nähert sich der Stadt. Die Bewohner fürchten um ihr Leben. Einzig Paul bleibt gelassen und lacht sogar. Er vergleicht die drohende Naturkatastrophe mit der unzähmbaren Lust des Menschen nach Spaß und Befriedigung. Witwe Begbick pflichtet ihm bei: Der Mensch sei schlimmer als jeder Sturm. In einer energischen Ansprache plädiert Paul dafür, das eigene Leben rücksichtslos auszukosten. Ein Jenseits gebe es ohnehin nicht. Nichts sei verboten, alles erlaubt. „Du darfst“ solle die neue Losung sein. Im Angesicht der nahenden Katastrophe lässt sich Witwe Begbick überzeugen: Wenn stets der rasche Tod droht, dann nützen die ganzen Verbote nichts. Am Ende stimmt jeder mit Paul darin überein, dass sich alles dem Willen zum Selbstgenuss unterordnen soll. Nachdem der Hurrikan überraschenderweise kurz vor Mahagonny abdreht, gilt das erst recht. „Du darfst“ wird zum obersten Gebot der Stadt.

Nebenwirkungen der Unersättlichkeit

Das schrankenlose Leben in Mahagonny zieht neue Bewohner an. Ein Jahr nach dem Hurrikan herrscht Hochbetrieb. Fressen, Sex, Boxen und Saufen sind feste Programmpunkte des Alltags. Unter riesigen Tafeln mit der Aufschrift „Essen“ ordert Jakob nach dem Vertilgen zweier Kälber gleich ein drittes – und fällt tot um. Die Umstehenden bewundern seine furchtlose, konsequente Unersättlichkeit. Unter Schrifttafeln mit dem Wort „Lieben“ werden in einem einfachen Zimmer Männer und Frauen zum Verkehr zusammengeführt. Witwe Begbick organisiert den reibungslosen Ablauf, bittet routinemäßig um Sinnlichkeit und lässt doch keine Zeit dafür. Paul und Jenny sprechen über die Flüchtigkeit der Liebe. Anschließend bringen Mahagonnys Männer zum wiederholten Mal den Vierstufenplan der Vergnügungen in Erinnerung: Auf Fressen folgt Sex, dann Boxen, schließlich Saufen. Und vor allem gilt: Alles darf man dürfen!

„Denn wie man sich bettet, so liegt man / Es deckt einen keiner da zu / Und wenn einer tritt, dann bin ich es / Und wird einer getreten, dann bist’s du!“ (Paul, S. 41)

Auf weiteren Tafeln steht das Wort „Kämpfen“. Ein Boxring wird aufgebaut, Blasmusik ertönt. Joseph alias Alaskawolf-Joe tritt beim Preisboxen gegen den deutlich stärkeren Dreieinigkeitsmoses an – ein ungleicher Kampf. Joe bittet die Menge dennoch, auf ihn zu setzen: Er habe zwar keine Kraft, aber Köpfchen zu bieten. Doch selbst sein Kamerad Heinrich lässt sich auf diese Wette nicht ein. Einzig Paul setzt, im Gedenken an die alte Freundschaft, all sein Geld auf den Schwächeren. Als die beiden Kämpfer in den Ring treten, wird ihr unterschiedliches Format offensichtlich. „Das ist Mord“, ruft eine Frau. Dreieinigkeitsmoses drückt sein Bedauern aus, dann beginnt der Kampf. Er ist kurz. Schnell sinkt Joe zu Boden – als toter Mann. Die Umstehenden brechen in Gelächter aus und zerstreuen sich bald darauf.

Saufen bis zum Kassensturz

Weiter geht es unter Schrifttafeln mit dem Wort „Saufen“. Zum Trinken wird Billard gespielt. Paul spendiert eine Saalrunde: Wenn mit dem Leben jederzeit Schluss sein könne, dann müsse man es beizeiten genießen. Die Männer danken und besingen den natürlichen Gang der Dinge rund um Mahagonny: Für jeden Tag Vergnügung brauche es wenigstens 5 $; irgendwo müsse man seine Haut zu Markte tragen, um das Geld zum zwanglosen Ausgeben zusammenzubekommen. Paul gibt eine zweite Runde aus. Dann stellt er fest, dass er kein Geld mehr hat. Er schlägt Jenny vor zu fliehen. Außerdem trommelt er die Männer für eine gespielte Ozeanfahrt auf einem der Billardtische zusammen. Paul, Jenny und Heinrich besteigen, umringt von den anderen, den Tisch und spielen mit einer Storestange als Mast eine stürmische Überfahrt. Ziel soll Alaska sein. Doch als Paul kurz darauf „landet“, steht Dreieinigkeitsmoses vor ihm und fordert die Bezahlung der Zeche.

„Erstens, vergesst nicht, kommt das Fressen / Zweitens kommt der Liebesakt. / Drittens das Boxen nicht vergessen / Viertens Saufen, laut Kontrakt. / Vor allem aber achtet scharf / Dass man hier alles dürfen darf.“ (Chor, S. 44)

Paul gesteht betreten seine Geldnot ein. Witwe Begbick und Dreieinigkeitsmoses bedrängen ihn, zunehmend ärgerlich. Die Umstehenden rücken von Paul ab, nur Heinrich und Jenny bleiben bei ihm. Witwe Begbick fragt die beiden, ob nicht sie einspringen könnten. Darauf verschwindet Heinrich, und auch für Jenny kommt eine solche Hilfestellung nicht infrage. Schließlich lässt Dreieinigkeitsmoses Paul verhaften. Währenddessen hebt Jenny zu einer Selbstrechtfertigung an. Sie tut Pauls früheres Liebesgesäusel ab und verteidigt stattdessen seinen Aufruf zur rücksichtslos selbstbezogenen Lebenserfüllung. Paul wird abgeführt, ihm droht das Todesurteil. Die restlichen Männer trinken weiter und schwören auf Mahagonny: Wer zu Hause sitze und höchstens in die Kirche gehe, der lebe zwar billiger, sei aber am Ende um allen Spaß gebracht.

Zwei Prozesse für 5 $

Ein Gerichtszelt ist aufgebaut. In den Rängen warten Neugierige. Witwe Begbick nimmt auf dem Richterstuhl Platz, Willy der Prokurist ist Verteidiger, Dreieinigkeitsmoses tritt als Staatsanwalt auf. Dieser preist jedoch zunächst am Eingang des Zeltes die Eintrittskarten an: Zwei Prozesse für 5 $! Im ersten Prozess geht es um die Anklage des kaltblütigen Mörders Tobby Higgins. Während Dreieinigkeitsmoses noch dessen Verworfenheit schildert, verhandelt Higgins im Stillen mit Witwe Begbick über eine mögliche Bestechung des Gerichts. Als sie den Preis hoch genug getrieben hat, ändert das Verfahren blitzartig seinen Kurs: Da sich kein Geschädigter für eine belastende Aussage finden lässt – denn Tote reden nicht –, wird Higgins freigesprochen und darf sich unter die Zuschauer mischen.

„Bitte, Heini, gib mir hundert Dollar / Dass mein Fall hier menschlich durchgeführt wird. – Paul, du stehst mir menschlich nah / Aber Geld ist eine andre Sache.“ (Paul und Heinrich, S. 66)

Der zweite Prozess gilt Paul. Heinrich bringt ihn gefesselt vor Gericht. Paul bittet den alten Freund um 100 $ für eine erfolgreiche Bestechung und appelliert an die in Alaska geschmiedete Freundschaft. Heinrich erinnert sich zwar gern an die gemeinsamen Jahre, Geld rückt er trotzdem nicht heraus. Nun malt Dreieinigkeitsmoses Pauls Vergehen wie eine wahre Gräueltat aus. Auf Witwe Begbicks Verhandlungssignale geht Paul nicht ein. Das Verhör wird eröffnet.

„Aber weil du meine drei Flaschen Whisky / Und meine Storestange nicht bezahlt hast / Darum wirst du zum Tode verurteilt, Paule Ackermann.“ (Begbick, S. 70)

Als Erstes wird Paul der Hurerei mit Jenny angeklagt. Diese tritt als Geschädigte vor. Danach wird ihm sein regelwidriges Verhalten in der Nacht des Hurrikans vorgeworfen. Heinrich und viele andere erheben Einspruch: Paul habe seinerzeit die Gesetze der Glückseligkeit entdeckt, die seither in Mahagonny gelten. Er verdiene deshalb den Freispruch. Dreieinigkeitsmoses macht Paul nun auch für den Tod von Joe verantwortlich: Sein Wetteinsatz habe Joe in den Tod getrieben. Schließlich kommt er auf den Hauptanklagepunkt zu sprechen: Paul habe drei Flaschen Whisky sowie eine Storestange nicht bezahlt. Der Angeklagte bekennt, kein Geld zu haben, und bringt das Publikum damit spontan gegen sich auf. Umgehend wird das Urteil verkündet. Wegen verschiedener Delikte wird Paul zu zwei Tagen Haft, zwei Jahren Ehrverlust und zehn Jahren Kerker verurteilt. Die Trinkschulden allerdings tragen ihm die Todesstrafe ein. Witwe Begbick, Willy der Prokurist und Dreieinigkeitsmoses erklären einstimmig den Mangel an Geld zum schlimmstmöglichen Verbrechen. Ein Beifallssturm bricht los.

Pauls Tod und Mahagonnys Ende

Paul, Jenny, Heinrich und Dreieinigkeitsmoses nähern sich dem Richtplatz. Ein elektrischer Stuhl wird aufgebaut. Dreieinigkeitsmoses bittet Paul, sich von den Seinen zu verabschieden. Mit Jenny kommt es zu einem letzten Zwiegespräch. Abschließend rät ihr Paul, künftig mit Heinrich zu gehen, dem letzten überlebenden Freund aus Alaska. Auf dem Richtplatz bittet Dreieinigkeitsmoses Paul um seine letzten Worte. Der appelliert – auf Vergebung hoffend – an die Gottgläubigkeit der Anwesenden. Witwe Begbick bittet das Volk daraufhin, kurz das „Spiel von Gott in Mahagonny“ aufzuführen. Paul wird von ihr aufgefordert, schon einmal auf dem elektrischen Stuhl Platz zu nehmen. Gott kommt, dem vorgetragenen Lied zufolge, „mitten im Whisky“ nach Mahagonny, sieht das lasterhafte Leben und fordert die Männer auf, in die Hölle zu verschwinden; die Männer weigern sich: Sie seien doch längst in der Hölle! Paul sieht plötzlich klar: Freiheit und Freude, für die man zahlen muss, sind letztlich nichts wert. Dreieinigkeitsmoses stülpt ihm den Helm über. Paul wird hingerichtet.

„Die Freude, die ich kaufte, war keine Freude, und die Freiheit für Geld war keine Freiheit.“ (Paul, S. 76)

Das Leben in Mahagonny leidet unter ständiger Teuerung und einer wachsenden Feindschaft aller gegen alle. So geht der Ort seinem Ende entgegen. In der brennenden Stadt treffen diverse Demonstrationszüge aufeinander. Im ersten verteidigen Witwe Begbick, Willy der Prokurist, Dreieinigkeitsmoses und ihre Anhänger das Chaos und die Käuflichkeit allen Gutes. Die Mitglieder zweier weiterer Züge demonstrieren, wenn auch mit anderen Worten, für das Gleiche. Ein vierter Zug trägt Pauls letzte Habseligkeiten wie Reliquien vorüber, ein anderer bringt seine Leiche, einer fordert den „Fortbestand des Goldenen Zeitalters“. Anhänger verschiedener Züge beklagen, einem toten Mann sei nicht zu helfen. Alle Demonstranten ziehen ruhelos umher, einig nur in einem: dass niemandem zu helfen sei.

Zum Text

Aufbau und Stil

Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny ist eine Oper in 20 Szenen. Auf eine klare Einteilung in Akte wird verzichtet. Brecht und der Komponist Kurt Weill halten sich zwar im Großen und Ganzen an die überlieferte Form der Oper, unterwandern aber zugleich deren „kulinarisches“, auf Genuss abzielendes Wesen: Nicht die sentimentale Verschmelzung des Hörers mit dem Kunstwerk ist das Ziel, sondern die Aufforderung zum Nachdenken und Urteilen. Seiner Theorie des „epischen Theaters“ zufolge wird die aktive Auseinandersetzung des Zuschauers mit dem Stück angestrebt. Der opulenten Illusionsmaschine Oper setzt er die demonstrative Montage verschiedener Elemente entgegen, die bewusst den Eindruck hinterlassen, grob zusammengezimmert zu sein. In kurzen Einleitungen zu den Szenen wird das kommende Geschehen teils ironisch skizziert; Projektionen und Schrifttafeln ersetzen das gewohnte Bühnenbild; eine betont alltägliche, knappe Sprache mit z. T. parodistischen Reimen hintertreibt die klassische Einfühlung des Zuschauers in die handelnden Personen, die auch nicht gerade dem typischen Opernpersonal entsprechen: Halunken, Holzfäller und Huren. Hinzu kommt – im Fall der Aufführung – eine Musik, die Motive aus Jazz und Music-Hall mit Opernklischees und Originalkompositionen mischt. So ist Mahagonny nicht nur eine Oper, sondern auch eine Opernfledderei und ein Opernlabor für die neue Zeit.

Interpretationsansätze

  • Brecht schildert in Mahagonny die rohe Mechanik des Kapitalismus, nach der Geld mehr gilt als ein Menschenleben. Sogar die Liebe wird zur Ware umgeformt und hält folglich nur so lange, wie man sie sich leisten kann. Entsprechend gibt es auch keine eindeutig guten und bösen Figuren in dem Stück.
  • Mahagonny wird zunächst als beglückende Alternative zur Arbeitswelt dargestellt. Die Bewohner sollen in der Stadt auf ewig ihre Freizeit genießen können. Dieser nahezu utopische Rahmen mündet jedoch in ein Schreckensregime, weil sich faktisch eine Leistungsgesellschaft des Konsums etabliert, in deren Fließbanddynamik gerade jene Ausbeutung der Arbeitswelt wiederkehrt, die eigentlich überwunden werden sollte.
  • Paul Ackermann rebelliert gegen den anfangs noch geordneten Vergnügungs- und Entspannungsbetrieb der Stadt und tritt stattdessen für eine schranken- und rücksichtslose Selbsterfüllung ein. Dieser radikal individualistische Glücksanspruch wird vom System Mahagonny adoptiert und zugleich pervertiert. Zum obersten Gebot einer gewinnorientierten Genussindustrie erhoben, entpuppt sich der egoistische Traum vom Glück als Anleitung zur Selbstzerstörung.
  • Mahagonny handelt vom Fehlen eines moralischen Horizonts nach dem Einsturz des christlichen Himmels. In einer Welt, der nur das Diesseits bleibt, hat es nicht nur der Kapitalismus leichter, auch die Utopie des Selbstgenusses scheint ihre Berechtigung zu haben. Die von Brecht anvisierte positive Alternative, das sozialistische Gesellschaftsmodell, ist für die Figuren des Stücks noch nicht in Sicht.
  • Mahagonny funktioniert verschiedentlich als Bibelparodie: Die Gründung der Stadt nimmt Motive des Auszugs aus Ägypten auf und Paul Ackermanns Leidensgeschichte enthält Parallelen zur Passion Jesu Christi.

Historischer Hintergrund

Die Weimarer Republik

Nach Deutschlands Niederlage im Ersten Weltkrieg ging aus den Trümmern des Kaiserreichs die Weimarer Republik hervor – die erste liberale Demokratie des Landes. Das Volk konnte nun in freien Wahlen über die Zusammensetzung des Parlaments entscheiden und in bisher unbekanntem Maß die Politik bestimmen. Zugleich galt die Weimarer Republik als „Demokratie ohne Demokraten“, denn die Mehrzahl der politischen Akteure war an einem demokratischen Gemeinwesen entweder nicht aufrichtig interessiert oder kaum an seine Spielregeln gewöhnt. Aufgrund eines unvorteilhaften Verhältniswahlrechts tummelten sich zu viele Parteien im Parlament. Einige von ihnen waren eindeutig antidemokratisch orientiert. Koalitionen und Kabinette wechselten häufig, keine Regierung überstand eine ganze Legislaturperiode. Wichtige Bereiche des Staates waren noch nicht im demokratischen Geist erneuert worden. Militär und Justiz etwa standen der Republik eher feindlich gegenüber. Alte Eliten taten alles, um die junge Regierungsform in Misskredit zu bringen, und zerrütteten so das Vertrauen ins demokratische Prinzip. Bei allem parlamentarischen Hin und Her wurde das marktwirtschaftliche System nicht angetastet – wohl aber infrage gestellt: Spätestens seit der russischen Oktoberrevolution von 1917 schien für viele Sozialisten und Kommunisten die Überwindung der kapitalistischen Klassengesellschaft in greifbare Nähe gerückt. Unterdessen sorgte ein wirtschaftlicher Aufschwung ab 1924 für die so genannten Goldenen Zwanziger, die einen neuen, vielfach über Kredit finanzierten Wohlstands- und Konsumschub auslösten. Diese vorteilhafte Seite der kapitalistischen Dynamik kippte dramatisch in ihr Gegenteil, als eine Spirale aus Überproduktion und Spekulation im Oktober 1929 die New Yorker Börse zum Absturz brachte und damit eine tief greifende Weltwirtschaftskrise provozierte.

Entstehung

Schon zu Beginn der 20er Jahre tauchte in Brechts Schriften erstmals der Name „Mahagonny“ auf. Dieser bezeichnete zunächst einen – durchaus positiv besetzten – imaginären Ort für Vergnügungen. In der Gedichtsammlung Bertolt Brechts Hauspostille (1926) wurden mehrere „Mahagonny-Gesänge“ abgedruckt, die später auch Eingang in die Oper fanden. 1924 war Brecht von München nach Berlin gezogen. Dort begann er Karl Marx zu lesen und entwickelte sich daraufhin zu einem überzeugten Kommunisten. Parallel arbeitete er an einer Neukonzeption der Theaterpraxis. Alle Stücke der folgenden Jahre waren Versuche, der gewandelten Realität mit dem selbst entwickelten Konzept des „epischen Theaters“ beizukommen. Im Frühjahr 1927 wandte sich der Komponist Kurt Weill an Brecht, mit der Bitte um den Text für eine Komposition, die er bei den folgenden Musikfestspielen in Baden-Baden aufführen sollte. Weill vertonte schließlich die „Mahagonny-Gesänge“, denen Brecht noch einen neuen Epilog beigab. In diesem schien bereits seine frisch marxistisch geprägte Lebensanschauung durch. Das Mahagonny Songspiel hatte unter Brechts Regie im Juli 1927 in Baden-Baden Premiere. Einem Journalisten sagte der Autor wenig später, er habe neun Stücke über „die Entwicklung des Kapitals“ entworfen. Im Folgenden wurden die Mahagonny-Motive von Brecht und Weill zu einer Oper ausgearbeitet. Wie andere Werke Brechts aus derselben Zeit sind bei diesem Stoff deutlich amerikanische Züge zu erkennen: So hieß die Hauptfigur Paul Ackermann zunächst noch Jimmy Mahoney. Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny wurde 1929 fertiggestellt und am 9. März 1930 in Leipzig uraufgeführt.

Wirkungsgeschichte

Die Uraufführung im Opernhaus Leipzig bescherte der Weimarer Republik einen ihrer größten Theaterskandale. Das bürgerliche Publikum reagierte erbost, mit Pfiffen und Geschrei, unterstützt von Aufpeitschern aus dem nationalsozialistischen Umfeld. Alfred Polgar vermerkte in einer berühmten Kritik: „Ein würdiger Herr mit gesottenem Antlitz hatte einen Schlüsselbund gezogen und kämpfte durchdringend gegen das epische Theater. Seine Frau verließ ihn nicht in der Stunde der Entscheidung. Die Dame hatte zwei Finger in den Mund gesteckt, die Augen zugekniffen, die Backen aufgeblasen. Sie überpfiff den Kasse-Schlüssel.“ Brecht verwendete das Zitat in seinen Anmerkungen zur Oper Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny, einem 1930 geschriebenen Text, der programmatisch die Erneuerung der Gattung Oper forderte. Der Leipziger Skandal hatte allerdings unmittelbar zur Folge, dass geplante Übernahmen des Stücks in anderen Städten abgesagt wurden. Ende Dezember 1931 hatte eine leicht überarbeitete, jedoch keinesfalls geglättete Fassung in Berlin Premiere. Nun sorgte das Stück nicht mehr für Aufregung; man wusste inzwischen, was von Brecht zu erwarten war. Nachdem die Nationalsozialisten das Stück 1933 verboten hatten, dauerte es mehrere Jahrzehnte, bis Mahagonny wieder aus der Versenkung auftauchte. Aus dem Schatten der berühmten Dreigroschenoper trat es nie ganz heraus – auch wenn mit der Zeit renommierte Dirigenten wie Colin Davis, James Levine oder Kent Nagano das Werk zur Aufführung brachten. Das bei Weitem bekannteste Musikstück aus Mahagonny ist der Alabama-Song. Er wurde unter anderem von den Doors, David Bowie, Bette Midler und Marilyn Manson gecovert.

Über den Autor

Bertolt Brecht wird am 10. Februar 1898 in Augsburg geboren. Nach dem Abitur im Jahr 1917 beginnt er mit einem Medizinstudium, das er jedoch wegen des Kriegsdiensts als Sanitätssoldat abbrechen muss. 1918 verfasst er Baal, sein erstes Theaterstück. Von 1924 an arbeitet er als Dramaturg bei Max Reinhardt in Berlin. Hier setzt sich Brecht mit der Philosophie des Marxismus auseinander. 1928 gelingt ihm mit der Dreigroschenoper ein grandioser Erfolg. In diesem Stück probiert er seine Technik des epischen Theaters aus, das sich erheblich von den traditionellen Theaterformen unterscheidet. Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten werden Brechts Stücke verboten, ihm selbst wird die Staatsbürgerschaft entzogen. Er flieht ins Exil. Nach vielen Zwischenstationen, darunter Prag, Paris, Schweden, Finnland und die Sowjetunion, siedelt er sich mit seiner Frau, der Schauspielerin Helene Weigel, in Kalifornien an. Während des Exils entstehen seine berühmtesten Dramen, unter anderem Leben des Galilei (1938/39), Mutter Courage und ihre Kinder (1939) und Der kaukasische Kreidekreis (1944/45). Auch mit Gedichtzyklen tritt Brecht immer wieder hervor. Zwei Jahre nach dem Krieg, als in den USA die Jagd auf Kommunisten beginnt (McCarthy-Ära), kehrt Brecht den Vereinigten Staaten den Rücken. Die deutschen Westzonen verweigern ihm die Einreise, sodass er, nach einer Zwischenstation in der Schweiz, nach Ostberlin zieht. Gemeinsam mit seiner Frau gründet er hier 1949 das Berliner Ensemble. Im Theater am Schiffbauerdamm findet er eine geeignete Experimentierbühne für seine Stücke, die er dort höchstpersönlich zur Uraufführung bringt. Bertolt Brecht stirbt am 14. August 1956 in Berlin.

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