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Der Hauptmann von Köpenick

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Der Hauptmann von Köpenick

Ein deutsches Märchen in drei Akten

Fischer Tb,

15 min read
12 take-aways
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What's inside?

Die Karikatur der preußischen Militärbürokratie: Ein Vagabund in Uniform veräppelt das System.

Literatur­klassiker

  • Komödie
  • Moderne

Worum es geht

Die Köpenickiade schlechthin

Am 16. Oktober 1906 zog sich der arbeitslose Schuster Wilhelm Voigt eine alte Hauptmannsuniform an, schnappte sich auf der Straße eine Gruppe Soldaten und dirigierte sie zum Rathaus von Berlin Köpenick. Dort ließ er den Bürgermeister in Gewahrsam nehmen und machte sich schließlich mit der Stadtkasse unterm Arm aus dem Staub. Ganz Deutschland lachte über diesen Streich, doch erst Carl Zuckmayers szenisches Märchen machte den "Hauptmann von Köpenick" unsterblich. Zuckmayer verwandelte das historische Schelmenstück in eine entlarvende Satire über den preußischen Militarismus, einen spöttischen Bilderbogen über Uniformenkult, Heimatlosigkeit und unmenschliche Bürokratie. Kaiser Wilhelm II. hatte sich noch über den echten falschen Hauptmann amüsiert und ihn begnadigt. Die Nazis aber fanden Zuckmayers Stück gar nicht lustig, denn die satirische Darstellung von Obrigkeitsschikanen und blindem Gehorsam betraf 1931 auch die wieder aufkeimende Kriegslust im Lande. Mehr als 100 Jahre nach dem Coup von Köpenick ist "das deutsche Märchen" immer noch hinreißend komisch.

Take-aways

  • Der Hauptmann von Köpenick ist Carl Zuckmayers erfolgreichstes Bühnenstück. Es wurde mehrfach verfilmt.
  • Das Stück spielt in Berlin zur Zeit des preußischen Kaisers Wilhelm II. und wurde 1931 uraufgeführt.
  • Das "deutsche Märchen in drei Akten" beruht auf einer wahren Begebenheit aus dem Jahr 1906.
  • Der Schuster Wilhelm Voigt kommt aus dem Gefängnis heraus und hinein in einen Teufelskreis: ohne Aufenthaltsbewilligung keine Arbeit, ohne Arbeit keine Aufenthaltsbewilligung.
  • Um von vorn anfangen zu können, will er seine Akte aus dem Polizeibüro stehlen, wird erwischt und landet erneut im Knast.
  • Mit 56 Jahren hat Voigt mehr als die Hälfte seines Lebens im Zuchthaus verbracht, er wird entlassen und findet bei seiner Schwester eine Bleibe.
  • Als er ohne Verschulden erneut ausgewiesen wird, schwört er dem ungerechten Staat Rache.
  • Er kauft sich eine alte Hauptmannsuniform, geht damit auf die Straße und kommandiert eine Gruppe vorbeikommender Soldaten ins Rathaus von Köpenick.
  • Dort lässt der falsche Hauptmann den Bürgermeister verhaften, beschlagnahmt die Stadtkasse und kommt ungeschoren davon.
  • In der Hoffnung, durch ein Geständnis zu Papieren zu kommen, stellt Voigt sich nach einigen Tagen der Polizei.
  • Das Stück ist eine treffende Satire über die Gesellschaft zur Zeit des Wilhelminismus.
  • Im Gewand der Komik kritisiert es Uniformdünkel und Kadavergehorsam, weshalb es 1933 von den Nazis verboten wurde.

Zusammenfassung

Ein Papierloser im Teufelskreis

Berlin zu Beginn des 20. Jahrhunderts: Adolf Wormser, preußischer Hoflieferant, führt in Potsdam einen exklusiven Uniformladen. Hauptmann von Schlettow lässt sich dort vom buckligen Zuschneider Wabschke gerade seine neue Uniform nachbessern. Die Gesäßknöpfe sitzen nicht vorschriftsmäßig: Sie sind um einen halben Zentimeter zu weit voneinander entfernt. Wegen diesen paar Millimetern lässt der Hauptmann den Stoff der Uniform noch einmal aufschneiden. Währenddessen schleicht Wilhelm Voigt, ein schmächtiger, zerlumpter Landstreicher, vor dem Schaufenster vorbei und betritt kurz den Laden. Wormser schnauzt ihn jedoch so forsch an, dass er gleich wieder verschwindet, ohne etwas gesagt zu haben.

„Nee, nee, det is nu’n Karussell, det is nu ne Kaffeemihle. Wenn ick nich jemeldet bin, krieg ick keene Arbeet, und wenn ick keene Arbeet habe, da darf ick mir nich melden.“ (Voigt, S. 17)

Darauf geht Wilhelm Voigt auf das Polizeibüro in Potsdam. Als man ihn dort warten lässt, tritt er einfach ein, um sich beim Oberwachtmeister wegen seiner Aufenthaltsbewilligung zu erkundigen. Es stellt sich heraus, dass Voigt wegen eines Diebstahls von 300 Mark 15 Jahre im Zuchthaus verbracht hat. Danach arbeitete er als Schuhmacher in Böhmen und Bukarest und ist nun aus Heimweh nach Deutschland zurückgekehrt. Die guten Empfehlungen seiner Arbeitgeber nützen ihm hier nichts: Ohne Aufenthaltsbewilligung kriegt er keine Arbeit, ohne Arbeit keine Aufenthaltsbewilligung. Als er dem Oberwachtmeister diese Zwickmühle erklärt, zeigt dieser kein Verständnis. Mit Verweis auf Voigts Vorleben wird sein Gesuch um Aufenthaltserlaubnis nur halbherzig angenommen. Er wird vor die Tür komplimentiert.

Eklat im Café National

An einem Sonntagvormittag sitzt Wilhelm Voigt mit seinem jüngeren Schicksalsgenossen Kalle im Café National. Voigt ist komplett blank, Kalle bestellt für sein letztes Geld zwei Cognacs. Aus dem Billardraum kommen Hauptmann von Schlettow und sein Freund Dr. Jellinek in die Kneipe und bestellen Schnäpse. Von Schlettow ist in Zivil gekleidet, weil solche Lokale fürs Militär eigentlich verboten sind. Eine leichte Dame, die so genannte Plörösenmieze, streicht auf der Suche nach Gesellschaft um die Tische. Die Dame und Jellinek kennen sich, doch von Schlettow ist an solch vulgären Kontakten nicht interessiert. Sein Ein und Alles ist die Armee. Die Plörösenmieze geht weiter zum Tisch von Kalle und Voigt, die ihre letzten Münzen zusammengelegt haben, um sich etwas zu gönnen. Kalle spekuliert auf einen "Zwei-für-eins"-Handel, doch die Dame findet nur den schweigsamen Voigt sympathisch. Da stürzt ein grölender Grenadier in Uniform in das Lokal und schnappt sich die Plörösenmieze. Das will sich der frustrierte Kalle nicht gefallen lassen und er fordert den Grenadier heraus. Als die beiden zu raufen beginnen, wird es Hauptmann von Schlettow zu bunt. Er stellt den Soldaten zur Rede und droht ihm mit der Polizei. Doch ohne Uniform ist Schlettows Autorität so gut wie nicht vorhanden, der Grenadier schlägt ihm ins Gesicht. Erst ein herbeigerufener Schutzmann mit Pickelhaube kann den Kampf beenden. Auch er glaubt dem Hauptmann in Zivil seinen Rang nicht und führt beide Streithähne ab.

Einbruch aus Verzweiflung

Im Personalbüro einer Schuhfabrik werden Leute eingestellt. Arbeitsuchende, die Militärdienst geleistet haben, werden bevorzugt. Wilhelm Voigt hat ohne Pass und ohne polizeiliche Anmeldung keine Chance und wird erneut davongejagt.

„Nee, nee, ick reg mir jarnich uff, aber’t muss ja nu’n Platz geben, wo der Mensch hingehört! (...) Ick kann ja nu mit de Füße nich in de Luft baumeln, det kann ja nur’n Erhenkter!“ (Voigt, S. 18)

Nach dem Skandal im Café National musste Hauptmann von Schlettow den Dienst quittieren. Als Zuschneider Wabschke ihm seine neue Uniform bringt, gibt er sie gleich zurück. Wabschke tröstet den gestürzten Hauptmann und nimmt die Uniform in Kommission.

Voigt und Kalle stehen mit anderen Pennbrüdern vor dem Eingang einer Notschlafstelle. Weil Voigt keinen Groschen mehr hat, stundet ihm der Herbergsvater die Gebühr für die Suppe zum Frühstück. Voigt und Kalle schmieden den Plan, das Polizeirevier in Potsdam zu überfallen. Voigt will dort seine Polizeiakte stehlen, damit er endlich ein neues Leben anfangen kann. Er verspricht Kalle die Kasse, falls er ihm helfe. Als eine Polizeipatrouille die Papiere der Obdachlosen kontrolliert und einen jungen Deserteur verhaftet, beschließen Voigt und Kalle, gleich am nächsten Tag zur Tat zu schreiten.

„Mensch, mach det nicht! Bleib in Schale, Mensch!! Ick kann dir sagen, Schale is allens.“ (Voigt zu Kalle, S. 21)

Später liest der Uniformschneider Wormser in der Zeitung, dass Voigt und Kalle bei ihrem Coup verhaftet wurden. Ein frisch beförderter, etwas untersetzter Offizier namens Obermüller betritt den Laden und braucht eilig eine Uniform. Wormser dreht ihm diejenige von Schlettow an, die mit ein paar Änderungen am nächsten Tag fertig sein soll.

Ein neuer Anfang

Zehn Jahre später. Voigt wird aus der preußischen Strafanstalt Sonnenburg entlassen. Der Gefängnisdirektor ist ein Militärfanatiker und lässt die Gefangenen in Exerzierübungen ganze Schlachten nachspielen. An seinem Entlassungstag fällt Voigt mit seinem Sinn für Theatralik und seinen ausgezeichneten militärischen Kenntnissen auf. Nach der Entlassung sucht er seine Schwester, Frau Hoprecht, in Rixdorf auf. Sie empfängt ihren Bruder freundlich und bittet ihn zu bleiben. Ihr Mann Friedrich Hoprecht macht sich Hoffnung auf eine Beförderung zum Vizefeldwebel in der freiwilligen Landwehr. Auch er ist Voigt wohlgesinnt und glaubt, dass er bestimmt Arbeit finden werde. Hoprecht meint, Voigt kriege seinen Pass durch korrektes Vorgehen auf dem Amtsweg, er hält keine besondere Hilfe für nötig.

„Hervorragend, Voigt! Beispielgebend! Das ist diejenige denkende Selbständigkeit des Unterführers, die im Ernstfall benötigt wird. Ein Jammer, dass es zu spät ist, Voigt! Sie sind der geborene Soldat, trotz Ihrer O-Beine.“ (Direktor, S. 63 f.)

Obermüller ist unterdessen in Köpenick Bürgermeister geworden und wartet frühmorgens in seinem Haus auf eine neue Uniform, ohne die er nicht zum Kaisermanöver einrücken kann. Seine alte Uniform passt ihm nicht mehr, weil er zu dick geworden ist. Im letzten Moment bringt Zuschneider Wabschke die neue Uniform und nimmt die alte als Anzahlung mit.

Erneute Ausweisung

Voigt nimmt einen neuen Anlauf, um zu Papieren zu kommen. Im Rixdorfer Polizeirevier behandeln die machtbewussten Beamten die Wartenden jedoch wie Dreck. Voigt wird vom Hauptrevier zum Zimmer neun geschickt. Hier wird er jedoch weder angehört noch vorgelassen. Verzweifelt bleibt er vor der zugeschlagenen Tür zurück. Später wacht er am Bett eines kranken Mädchens, das bei Familie Hoprecht gepflegt wird. Draußen im Hof wird gesungen. Voigt und das Mädchen scherzen: Sie wollen gemeinsam ins Riesengebirge fahren, wenn sie wieder gesund ist. Voigt liest dem Mädchen ein Märchen vor und öffnet dann, als es eingeschlafen ist, die Post. Es ist ein Ausweisungsbefehl für ihn dabei. Voigt wird aus vier Bezirken ausgewiesen und muss innert 48 Stunden ausreisen.

„Ick finde dat lustig. Dir hamse nich befördert - mir befördernse. Jedem dat Seine. Nich?“ (Voigt zu Hoprecht, S. 98)

Von Schlettows Uniform wird ein weiteres Mal gebraucht: Schneider Wormsers Tochter Auguste trägt sie bei einem Auftritt als Sängerin an einem Kaisermanöverball. Dort schilt Wormser seinen Sohn Willy, weil trotz Armeedienst nichts aus ihm geworden ist. Daraufhin will Willy übereifrig einem Offizier Feuer geben und stößt tölpelhaft einen Tisch um. Augustes Uniform kriegt dabei Flecken ab und wird zum Trödler gegeben.

„Bei uns gibt’s kein Unrecht! Wenigstens nicht von oben runter! Bei uns geht Recht und Ordnung über alles, das weiß jeder Deutsche!“ (Hoprecht, S. 100)

Im Hause Hoprecht herrscht Trauerstimmung: Das kranke Mädchen ist gestorben und soeben beerdigt worden. Außerdem hat Hoprecht seine erwartete Beförderung beim Manöver nicht erhalten. Er schluckt sein Schicksal ergeben: Bestimmung sei Bestimmung. Voigt dagegen findet es ungerecht, dass sein Schwager übergangen wurde. Er kündigt an, dass er fort muss, nachdem all seine Rekurse bei den Ämtern abgewiesen wurden. Voigt ist zynisch geworden, er hat aber etwas Stolz und Galgenhumor bewahrt, was der autoritätsgläubige Hoprecht unverschämt findet. Der Schwager rät Voigt, sich weiterhin unterzuordnen, denn der deutsche Staat könne gar nicht ungerecht sein. Voigt sagt, dass er mit seinem Leben noch etwas anfangen möchte, obwohl er überall weggewiesen werde. Als er geht, hat Hoprecht Angst, dass Voigt rebellieren könnte.

Voigt verwandelt sich

In Krakauers Kleiderladen an der Grenadierstraße entdeckt Wilhelm Voigt eine alte Hauptmannsuniform mit Champagnerflecken. Er lässt sie sich wieder herrichten und kauft sie zusammen mit einem Säbel, einer Mütze und Fleckkugeln für 18 Mark. Mit der Uniform in der Pappschachtel setzt er sich in den Park von Sanssouci und beobachtet die Menschen: junge Leute, alte Herren, Kindermädchen, Offiziere. Er unterhält sich mit einem Invaliden und steht militärisch grüßend auf, um zwei alten Damen Platz zu machen. Mitten in der Nacht schleicht sich Voigt auf dem Schlesischen Bahnhof mit der Pappschachtel aufs WC. Als ein Bahnbeamter Voigt herausholen will, erscheint an dessen Stelle ein Hauptmann in Uniform. Der Bahnbeamte zuckt zusammen und bringt die Schachtel des Hauptmanns gehorsam zur Handgepäckaufbewahrung. Der erste Test hat funktioniert, die autoritäre Haut passt Voigt ausgezeichnet.

Husarenstreich in Köpenick

Im Köpenicker Rathaus sitzen zwei Stadträte bei der Frühstückspause: Sie haben sich während einer Debatte hinausgeschlichen, um im Ratskeller etwas zu trinken. Eine Wäscherin kommt zum Stadtschutzmann Kilian. Sie möchte einen Pass, doch Kilian schickt sie weg, weil es in Köpenick gar kein Passamt gebe. Bürgermeister Obermüller kommt an, und mit ihm Stadtsekretär Kutzmann, der ihn von Steuergeschenken für reiche Wäschereiunternehmer überzeugen will.

„Auf Allerhöchsten Befehl Seiner Majestät des Kaisers und Königs erkläre ich Sie für verhaftet. Ich habe Auftrag, Sie sofort auf die Neue Wache nach Berlin zu bringen. Machen Sie sich fertig.“ (Voigt zu Obermüller, S. 119)

Plötzlich taucht Voigt als Hauptmann auf, mit einer Gruppe Soldaten im Schlepptau. Er nimmt den verdatterten Stadtschutzmann unter seinen Befehl und lässt sich zum Amtszimmer des Bürgermeisters führen. Die Soldaten beziehen Stellung an den Eingängen des Rathauses. Im Amtszimmer diktiert der Bürgermeister gerade ein Dekret, als Voigt eintritt und einen kaiserlichen Haftbefehl für Obermüller verliest. Der Bürgermeister schwitzt und kann sich das nicht erklären, doch gegen den Hauptmann ist Widerstand zwecklos: Er führe nur Befehle aus, sagt er. Voigt lässt den Stadtkämmerer Rosencrantz kommen und befiehlt ihm, die Stadtkasse zu bringen. Dann lässt er den Polizeiinspektor holen und trägt ihm auf, auf der Straße vor dem Rathaus Ruhe und Ordnung herzustellen, da sich dort unterdessen eine Menschenmenge versammelt hat. Weil Obermüller seine Frau benachrichtigen möchte, schickt Voigt einen Soldaten, um sie zu holen. Er erkundigt sich nach der Passabteilung, wird jedoch auf das Landratsamt verwiesen. Als Voigt mit Kilian das Amtszimmer kurz verlässt, verhindert ein Soldat, dass Obermüller per Telefon Hilfe ruft. Der Hauptmann befiehlt Kilian, zwei Wagen zu organisieren, und gibt ihm den Auftrag, den gefangenen Obermüller und seine Frau auf die neue Wache nach Berlin zu begleiten. Der Bürgermeister gibt dem Hauptmann sein Ehrenwort, unterwegs nicht abzuhauen. Der Polizeiinspektor meldet die Beruhigung der Lage. Rosencrantz bringt den Inhalt der Stadtkasse, mehr als 4000 Mark, die der Hauptmann vorläufig in Verwahrung nimmt. Anschließend erklärt er die Aktion von Köpenick für beendet und spendiert eine Runde Bier und Wurst für die Soldaten.

Böses Erwachen

Am Morgen liegt Wilhelm Voigt wie ein Toter in seiner alten, schäbigen Kleidung in einer dreckigen Bierhalle. Wie betäubt kommt er langsam zu sich, als die Neuigkeit über den Hauptmann von Köpenick die Runde macht. Die Zeitungen drucken Extrablätter, das ganze Land lacht über den tollen Streich, nur Voigt selbst findet die Geschichte nicht lustig. Trotz eines nicht unpassenden Steckbriefs kommt niemand auf die Idee, dass er der Hauptmann von Köpenick sein könnte.

„Haben Sie gedient?“ (Voigt, S. 120)

Mehr als 14 Tage nach dem Überfall ist der zuständige Kommissar im Berliner Polizeipräsidium fast verzweifelt. Reihenweise verhört er Verdächtige, ohne dabei auf einen grünen Zweig zu kommen. Der Kommissar zittert um seine Karriere, als ein Oberwachtmeister hereinstürzt und verkündet, soeben sei der Hauptmann von Köpenick in der Passabteilung verhaftet worden und habe gestanden. Voigt wird hereingeführt. Er hat sich selbst gestellt, nachdem ihm für die Auslieferung des Gesuchten ein Pass versprochen worden war. Vorerst halten die Polizisten Voigts Geständnis für Aufschneiderei. Als jedoch in der Handgepäckabteilung am Schlesischen Bahnhof die Pappschachtel mit der Uniform zum Vorschein kommt, besteht kein Zweifel mehr. Im Verhör beharrt Voigt unbeirrt darauf, dass ihm nun ein Pass zustehe. Er gibt das "beschlagnahmte" Geld der Köpenicker Stadtkasse fast vollständig zurück. Der Kriminaldirektor persönlich stößt mit Voigt auf dessen Verhaftung an. Als die Hauptmannsuniform ins Polizeipräsidium gebracht wird, zieht Voigt sie zum Gaudi der Polizisten noch einmal an. Als er selbst in den Spiegel schaut, kriegt er einen Lachanfall und stößt schließlich nur hervor: "Unmöglich!"

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Aufbau und Stil

Der Hauptmann von Köpenick besteht aus drei Akten mit insgesamt 21 Szenen. Der erste Akt spielt um die Wende zum 20. Jahrhundert in Berlin und führt den Teufelskreis des Schusters und Knastbruders Wilhelm Voigt vor Augen, der ohne Aufenthaltsbewilligung keine Arbeit und ohne Arbeit keine Aufenthaltsbewilligung bekommt. Der zweite Akt spielt zehn Jahre später in einem anderen Stadtteil, als Voigt aus dem Gefängnis entlassen wird und prompt wieder in die gleiche Zwickmühle gerät, worauf er seinen Coup in Köpenick durchführt. Im dritten Akt wird die Köpenickiade nacherzählt, bis zur Verhaftung des falschen Hauptmanns. Wie der Untertitel des Stücks andeutet, wird die reale Begebenheit märchenhaft ausgeschmückt, und unter der vergnüglichen Oberfläche der Handlung wird eine moralische Botschaft sichtbar. Die umfangreichen, detaillierten Szenen- und Regieanweisungen sind wie für den Film gemacht. In jeder Szene wird ein bestimmtes zeitgenössisches Milieu karikiert. Das Stück sprüht vor volkstümlicher Situationskomik und berlinerischem Sprachwitz. Die typisierten Figuren sprechen den jeweiligen Dialekt ihrer Umgebung, außerdem sorgen etliche, teils vulgäre Lieder und Sprichworte für reichlich Zeitkolorit. In seinem erfolgreichsten Bühnenstück zeigt Zuckmayer sein außerordentliches Talent für Dialoge und Figurenzeichnung, das er auch als Filmdrehbuchschreiber unter Beweis stellte.

Interpretationsansätze

  • Das Stück ist eine Satire auf die Autoritäts- und Uniformgläubigkeit im Deutschland des frühen 20. Jahrhunderts. Die preußische Militärverehrung treibt seltsame Blüten. Allgemein scheint die Maxime zu gelten: Wer keine Uniform trägt, ist nur ein halber Mensch.
  • Die historische Figur des Wilhelm Voigt wird im Stück zu einem bauernschlauen Schelm geformt, der dem traurigen Schicksal seiner Heimatlosigkeit mit Schalk begegnet. Voigt ist frei von niederen kriminellen Motiven und hat sowohl Züge des edlen Räubers wie auch eines Narren à la Till Eulenspiegel, der das Gesellschaftssystem übertölpelt.
  • Voigt ist ein Held wider Willen. Er will nichts als einen Pass, der ihm ein anständiges bürgerliches Leben ermöglichen würde. Diese Chance wird ihm durch die Bürokratie verwehrt, sodass er förmlich in die Rebellion getrieben wird. Voigt überlistet das militaristische System, indem er sich selbst in die Insignien des Militarismus hüllt.
  • Trotz komischer Überzeichnungen spiegeln die Szenenbilder des Stücks treffend verschiedene zeitgenössische Milieus der Großstadt Berlin wider, wobei gesellschaftliche Missstände wie Bürokratie oder Antisemitismus anhand stilisierter Figuren aufgezeigt werden.
  • Trotz aller zeitgebundenen Elemente ist die dargestellte menschliche Tragödie zeitlos: Im Schicksal des Wilhelm Voigt kann man selbst im 21. Jahrhundert das Los von papierlosen Immigranten in Europa erkennen, die auf ähnliche Weise Willkür und Erniedrigungen ausgesetzt sind.

Historischer Hintergrund

Der wilhelminische Militarismus

Die 30-jährige Regentschaft des letzten deutschen Kaisers Wilhelm II. (1888-1918) war eine Blütezeit des Militarismus. Im imperialistischen Streben nach Macht und Prestige wurde nicht nur die Armee aufgerüstet, der Militarismus erfasste auch große Teile von Kultur und Gesellschaft. Militärische Formen und Denkweisen beherrschten den Staat und die Politik. Der Kaiser hatte eine große Vorliebe für Prunk und Paraden. Unter seiner Herrschaft wurde der Militärdienst ein unabdingbarer Faktor für jede Art von Karriere. Das gesellschaftliche Ansehen wurde am militärischen Rang gemessen. Die oft adelige Offiziersklasse zeigte sich in der Öffentlichkeit gern in Uniform; Arroganz und Dünkel waren weitverbreitet. Ein Aspekt dieses Militarismus war auch die Verherrlichung des Krieges; die Figur des Soldaten diente als Vorbild für die ganze Gesellschaft und wurde verklärt. Die Realität am unteren Ende der Hierarchie sah oft weniger glorios aus: Wie in den Drillübungen der preußischen Armee wurde auch im Zivilleben absolute Disziplin gefordert. Die Bevölkerung wurde mit einem streng hierarchisch organisierten Beamtenapparat im Zaum gehalten. Zu den Symbolen des autoritären Regimes gehörten die so genannte "Pickelhaube" sowie der "Stechschritt" als Showelement der Armee. Die deutsche Niederlage im Ersten Weltkrieg (1914-1918) bedeutete das Ende des Wilhelminismus, der Kaiser musste abdanken und ging nach Holland ins Exil. Im Zuge des Aufstiegs des Nationalsozialismus Anfang der 1930er Jahre liebäugelte der alte Wilhelm II. mit einer Rückkehr als Monarch, was sich aber als trügerische Hoffnung herausstellte. Die Nationalsozialisten profitierten jedoch vom stark verankerten militaristischen Erbe im Land und ließen die Betonung von Militär und Hierarchie wieder aufleben.

Entstehung

Den Stoff für Carl Zuckmayers "deutsches Märchen" lieferte eine reale Begebenheit, über die im Herbst 1906 ganz Deutschland lachte. Am 17. Oktober meldeten die Berliner Zeitungen: "Ein als Hauptmann verkleideter Mensch führte gestern eine von Tegel kommende Abteilung Soldaten nach dem Köpenicker Rathaus, ließ den Bürgermeister verhaften, beraubte die Gemeindekasse und fuhr mit einer Droschke davon." Zehn Tage nach dem Husarenstreich wurde der arbeitslose und mehrfach vorbestrafte Schuster Wilhelm Voigt verhaftet und zu vier Jahren Zuchthaus verurteilt. Voigt wurde später vom Kaiser begnadigt und 1908 vorzeitig entlassen. Er ging nach Luxemburg, wo er gelegentlich im Zirkus als Hauptmann von Köpenick auftrat und Autogrammkarten verteilte.

Carl Zuckmayer war nicht der einzige Autor, der sich dieser Geschichte bediente. Schon vor Zuckmayers Stück war der Roman Der Hauptmann von Köpenick aus der Feder des national-konservativen Schriftstellers Wilhelm Schäfer erschienen. Der Stoff war bereits 1926 von Siegfried Dessauer erstmals verfilmt worden, und 1930 wandte der Schauspieler und Regisseur Fritz Kortner sich mit einem Szenario an Zuckmayer. Kortner suchte einen Autor, um die Komödie nach dessen Text selbst zu inszenieren. Noch während der Arbeit zerstritten sich die beiden aber und einigten sich auf einen Tantiemenanteil für Kortner. Zuckmayer schrieb das Stück in der Berliner Atmosphäre von 1931 und behandelte den Stoff relativ frei, indem er vor allem die Vorgeschichte Voigts und seine Zwickmühle ohne Pass und Aufenthaltsbewilligung ausleuchtete. Diese Ausweitung ergab zahlreiche Gelegenheiten zur Karikatur der zeitgenössischen Verhältnisse. Der Hauptmann von Köpenick wurde am 5. März 1931 am Deutschen Theater in Berlin uraufgeführt und noch im gleichen Jahr erneut verfilmt, wobei Zuckmayer am Drehbuch beteiligt war.

Wirkungsgeschichte

Das Theaterstück war ein großer Bühnenerfolg. Der Kritiker Alfred Kerr schrieb: "Nun Zuckmayer. Im ersten Teil stirbt man vor Lachen. Im zweiten merkt mancher, dass er noch lebt." Obwohl Zuckmayer die Handlung nicht in der unmittelbaren Gegenwart, sondern um die Jahrhundertwende spielen ließ, setzte die Satire auf den wilhelminischen Militarismus und die Bürokratie auch den Nationalsozialisten zu. Nachdem Zuckmayer sich als Gegner des Nationalsozialismus offenbart und in verschiedenen Reden Joseph Goebbels attackiert hatte, erhielt er 1933 Aufführungsverbot und emigrierte. In den ersten Jahren nach dem Ende der Naziherrschaft wurde die Komödie wie andere Dramen Zuckmayers in Deutschland wieder oft gespielt und 1956 von Helmut Käutner mit Heinz Rühmann in der Rolle des Wilhelm Voigt verfilmt. Diese Produktion wurde in Deutschland mit Preisen überhäuft und erhielt sogar eine Oscar-Nominierung für den besten ausländischen Film. Rund 100 Jahre nach dem Originalauftritt des Hauptmanns von Köpenick folgten eine Reihe von TV-Verfilmungen des Stoffes, u. a. 1997 mit Harald Juhnke in der Rolle des Hauptmanns. Der Hauptmann von Köpenick ist bis heute das erfolgreichste Stück Carl Zuckmayers und wird von vielen Kritikern auch als Höhepunkt seines dramatischen Schaffens angesehen. Der Begriff "Köpenickiade" ist als Bezeichnung für einen tollen Streich in den Sprachgebrauch eingegangen.

Über den Autor

Carl Zuckmayer wird am 27. Dezember 1896 im hessischen Nackenheim geboren. Vier Jahre später zieht die Familie nach Mainz, wo Zuckmayer eine glückliche Kindheit verlebt, das Gymnasium besucht und unter dem Eindruck der Expressionisten erste literarische Gehübungen unternimmt. 1914 schließt er die Mittelschule mit dem Notabitur ab, um sich als Kriegsfreiwilliger zu melden. Er nimmt an mehreren blutigen Schlachten an der Westfront teil, wobei sich seine anfängliche Kriegsbegeisterung zu einem radikalen Pazifismus wandelt. Nach der Entlassung aus der Armee studiert er ab 1919 in Heidelberg Literatur, Kunstgeschichte, Soziologie und Biologie. Als Dramaturg am Münchner Schauspielhaus lernt er Bertolt Brecht kennen. 1925 gelingt ihm mit dem volkstümlichen Stück Der fröhliche Weinberg der literarische Durchbruch. Auch seine folgenden Dramen Schinderhannes (1927), Katharina Knie (1929) und vor allem Der Hauptmann von Köpenick (1931) werden zu überwältigenden Erfolgen und machen Zuckmayer zu einem der bestverdienenden Autoren der Weimarer Republik. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten wird sein Werk mit einem Aufführungsverbot belegt. Zuckmayer flieht zunächst ins österreichische Exil, wo ihn seine zweite Ehefrau, die Schauspielerin Alice Frank, nur mit Mühe davon abhalten kann, ihr gemeinsames Haus mit einem alten Revolver gegen die Beschlagnahmung zu verteidigen. Das Paar emigriert zuerst in die Schweiz, 1939 dann in die USA, wo sich Zuckmayer als Drehbuchautor in Hollywood versucht. Aus Geldnot pachtet er schließlich eine Farm in Vermont. Hier schreibt er u. a. Des Teufels General (1946), das zum Welterfolg wird. 1958 siedeln die Zuckmayers ins schweizerische Saas-Fee über, 1966 erhalten sie die Schweizer Staatsbürgerschaft. Im selben Jahr erscheint Zuckmayers erfolgreichstes Buch, die Autobiografie Als wär’s ein Stück von mir. Nach kurzer Krankheit stirbt der vielfach preisgekrönte Autor am 18. Januar 1977 in Visp in der Schweiz.

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