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Vergeltung

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Vergeltung

Suhrkamp,

15 min read
10 take-aways
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What's inside?

Eines der härtesten und besten Bücher über den Irrsinn des Krieges.

Literatur­klassiker

  • Roman
  • Nachkriegszeit

Worum es geht

Das Grauen des Luftkriegs

Was Gert Ledig mit Vergeltung 1956 an Ungeheuerlichem vorlegte, konnte ein Großteil des Publikums und der Kritik nicht verkraften. In der Tat ist dieser Kriegsroman ein überaus hartes, grausames Buch. Im Gegensatz zu vielen anderen Werken über den Zweiten Weltkrieg, die weit ausholen, um einen historischen Kontext herzustellen, und schließlich das Grauen besänftigen, konzentriert sich Ledig auf die Beschreibung einer guten Stunde brutalen Bombenhagels. Er entfesselt ein Pandämonium der Zerstörung: oben die Bomber, unten die Toten sowie die ums Überleben kämpfenden Menschen. Ledig kommentiert nicht, er schildert die Ereignisse nur, und das in einer atem- und schonungslosen Sprache, die dem Rhythmus der Fliegerstaffeln folgt. Menschen und Ereignisse wechseln im Takt der einschlagenden Brandbomben. Einzelschicksale verschmelzen, Opfer und Täter wechseln ihre Rollen, und am Ende sind die meisten Menschen tot. Kein Grund zur Hoffnung, nur unendliches Leid und grenzenlose Verwüstung.

Take-aways

  • Vergeltung gehört zu den schockierendsten Romanen über die Bombardierungen im Zweiten Weltkrieg.
  • Inhalt: Eine deutsche Stadt wird 69 Minuten lang bombardiert. Während in der Luft ein amerikanischer Soldat die Bomben abwirft, abgeschossen wird und per Fallschirm in der Stadt landet, bricht über die Menschen am Boden ein Inferno herein.
  • Ledig zeigt die Leiden der Bombenopfer in drastischen Bildern: Kein blutiges Detail wird ausgespart.
  • Die Erzählweise des Romans beeindruckt: Der Blick des Erzählers folgt nicht einem Protagonisten, sondern gleitet von Einzelschicksal zu Einzelschicksal.
  • Die Sprache ist unsentimental und lakonisch. Zahlreiche kurze Hauptsätze verleihen dem Buch eine atemlose Gehetztheit.
  • Unter den Figuren sticht der amerikanische Soldat Strenehen hervor. Er erlebt beide Seiten den Krieges: Erst ist er Angreifer und später Opfer.
  • Vorbild für das beschriebene Inferno waren die Luftangriffe auf München im Juli 1944.
  • Gert Ledig erlebte sie hautnah mit, und sie traumatisierten ihn zeitlebens.
  • Der Roman wurde bei der Erstveröffentlichung von der Presse verrissen, weil er als zu brutal empfunden wurde.
  • Zitat: „Nach der siebzigsten Minute wurde weiter gebombt. Die Vergeltung verrichtete ihre Arbeit. Sie war unaufhaltsam. Nur das Jüngste Gericht. Das war sie nicht.“

Zusammenfassung

Bombenalarm

  1. Juli 1944, es ist 13:01 Uhr. Ein Bombenhagel fällt auf eine deutsche Stadt. Die Granaten schlagen Krater in einen Friedhof. Die Stadt steht seit drei Tagen in Flammen. Der Alarm kommt nicht mehr nach. Flugzeuge sind zu hören, dann fallen Magnesiumstäbe auf die Straße und setzen alles in Brand. Zwei Frauen, die einen Handkarren ziehen, flüchten in Richtung Friedhof. Doch es nützt ihnen nichts, sie fangen Feuer und schrumpfen zusammen. Die Bomben graben die Toten wieder aus. In der Nähe des Friedhofs befehligt ein Leutnant mit einer Armprothese einige Soldaten und die Oberprima des Gymnasiums. Seine abgetrennte Hand verwest in einer Kalkgrube, Tausende von Kilometern entfernt.
„Als die erste Bombe fiel, schleuderte der Luftdruck die toten Kinder gegen die Mauer. Sie waren vorgestern in einem Keller erstickt. (...) So sah die Vergeltung aus.“ (S. 9)

Brandbomben der U. S. Air Force fliegen drei Meilen durch die Luft. Sie treffen einen Betonbunker. Der 24-jährige Sergeant Strenehen hat ihn als Ziel gewählt. Auch den Friedhof hat er ausgesucht, weil die Menschen dort bereits tot sind. Die Schächte des amerikanischen Bombers öffnen sich auf Knopfdruck. Trotzdem muss sich Sergeant Strenehen bei jedem Abwurf übergeben. Seine Staffel bildet die Vorhut und markiert die Ziele. Die Maschine fliegt durch die deutsche Flaksperre. Captain Lester verlangt Strenehen zu sprechen.

Bomben auf den Friedhof

Eine kranke Frau liegt im Bett und kann sich nicht rühren. Eine Witwe und ein Mädchen kommen herein und setzen sie auf einen Stuhl. Sie schleppen sie durchs Treppenhaus. Draußen donnern die Geschütze. Und noch 100 Stufen bis zum Keller. Schließlich schlägt die Witwe vor, die Kranke auf dem Treppenabsatz stehen zu lassen. Eine Druckwelle bricht durch ein kaputtes Fenster. Die Kranke stöhnt, dann kippt sie vom Stuhl und fällt kopfüber die Treppe hinunter.

„Als Strenehen die Feuerwoge über dem Friedhof sah, war er eine Sekunde lang zufrieden. Er hatte dieses Ziel gewählt, in der Hoffnung, dort träfe es nur Tote.“ (S. 11)

Der Leutnant sitzt mit einem Funker und dem Lehrer der Oberprima im Schutzbunker. Der Funker hört die U. S. Air Force ab. Der Verband der Flotte befindet sich 60 Kilometer westlich von ihnen. Nächste Ziele: eine Brücke und der Bahnhof. Der Lehrer wird unruhig, weil seine Frau und sein Kind am Bahnhof sind. Er will sofort los, doch der Leutnant verbietet es ihm.

„Jetzt, dachte Strenehen. Er zog am Abzug. Der Deutsche war im Fadenkreuz. Die drei Maschinengewehre arbeiteten präzis. Er hielt auf den Piloten. Kein Schuss ging daneben. Die Leuchtfäden zischten alle ins Ziel.“ (S. 29 f.)

Sergeant Strenehen schaut durch das Schwenkkreuz auf den Bahnhof und markiert ihn als Ziel. Er begibt sich in den Führerstand und setzt seine Lederhaube auf. Im Kopfhörer die Stimme des Captains: Warum hat Strenehen Bomben auf einen Friedhof geworfen?

Die Flakstellung

Die Sonne scheint auf die Plattform eines Hochbunkers, wo sich einige Kisten mit Munition befinden. Das Vierlingsgeschütz zeigt in den Himmel. Unten im Bunker verschanzen sich Menschen. Eine amerikanische Fliegerstaffel bombardiert den Bahnhof. Die Straßen brennen, Qualm steigt auf. Der Geschützführer befiehlt den drei Kanonieren und dem Ladeschützen, ihre vielleicht letzte Schokolade zu essen. Die umliegenden Dächer sind abgedeckt. Die Flugzeuge kommen ein zweites Mal. Schwarzer Ruß legt sich auf die Visiere. Rauch überall. Splitter schlagen in die umliegenden Dächer. Ein leises Summen aus der Ferne. Der Geschützführer gibt einen Befehl. Die Schüler binden sich mit Stricken an das Geschütz.

Luftkampf

Strenehen entschuldigt sich bei Captain Lester. Da kommt urplötzlich ein deutscher Abfangjäger angeflogen. Der Turmschütze der amerikanischen Maschine wird getroffen. Das Geschoss schlägt ihm die Zähne aus und zerfetzt ihm die Lunge. Als Strenehen sich in den Turmschacht gleiten lässt, fasst er in warmes, blutiges Fleisch. Erneut greift der Jäger an. Strenehen schießt auf ihn. Kurz darauf stürzt der Jäger ins Bodenlose.

„Er glotzte die Tür an, sah die Tropfen und bekam Durst. (...) Dann kroch Jonathan Strenehen davon. Es war sinnlos, dass er vor dieser Tür starb. Sterben konnte er überall.“ (S. 114)

Der Leutnant lässt auf die erste Welle schießen. Sie kostet ihn sechs Schüler und drei Kanoniere. Der Lehrer verlässt ohne Erlaubnis den Unterstand. Die Kanoniere auf dem Dach nehmen einen Jäger ins Visier. Häuser stürzen ein, Menschen schreien, doch der Lärm der Bomben übertönt alles. Der Geschützführer wird ohnmächtig. Als er wieder zu sich kommt, ist er wie taub. Der Funker reißt den Leutnant hoch und sagt etwas, doch der hört nichts. Weiter entfernt sieht er eine Bombe auf eine Wiese fallen. Neben ihm liegt der Klassenprimus, eine Masse aus Fleisch und Blut.

Abgeschossen

Der Maschine der U. S. Air Force wird bei einer Kollision die linke Tragfläche abgesägt. Die Besatzung verlässt den Flieger. Nur Strenehen ist in seinem Turm gefangen, da er die Verriegelung nicht öffnen kann. Er lässt sich nach vorn in den Bugraum fallen. Dabei kugelt er sich die rechte Schulter aus. Dann fällt er. Der Luftdruck presst seine Beine zusammen, sein ausgekugelter Arm wird dazwischen eingeklemmt. Die Erde kommt immer näher, doch der Fallschirm lässt sich mit dem verletzten Arm nicht öffnen. Das ist sein Glück. Der Doppelsternmotor des Bombers rast an ihm vorbei statt in seinen Schirm. Endlich, nach 900 Metern freien Falls, schafft er es doch noch, den Schirm zu öffnen, mit der linken Hand.

„Alles vermischte sich: Schmerz, Ekel, Abscheu. Sie dachte nichts mehr. Im Rhythmus mit den Leibern begann sie zu wimmern. Das Keuchen seiner Lust in den Ohren, seine Schwere auf sich. Geröll drückte sich in ihre Schultern. Die Luft roch nach Exkreten. Sie bewegte sich. Sie bewegte sich. Über ihr gurgelte er wie ein Tier.“ (über die beiden Verschütteten, S. 122)

Die Kanoniere auf der Plattform krallen sich mit den Fingernägeln in den Beton. Auf Befehl feuern sie das Geschütz ab. Der Bunker erzittert, ein Blitz zuckt in den Himmel. Ihre Stricke sind gespannt. Der Luftdruck reißt den Deckel einer Munitionskiste aus den Scharnieren. Den Geschützführer schleudert der Druck quer über die Plattform. Der raue Beton reißt ihm die Haut vom Körper. Das Seil hält ihn fest, sonst würde er vier Stockwerke in die Tiefe stürzen. Im Unterstand telefoniert der Funker mit der Zentrale. Eine Maschine der U. S. Air Force sei abgestürzt. Planquadrat vier ist in der Nähe der Einheit. Es ergeht der Befehl, die Mannschaft gefangen zu nehmen.

Auf dem Bunker

Der Wind treibt Sergeant Strenehen direkt in die Flaksperre. Feuerspritzer der Granaten fliegen ihm entgegen. Eine Luftwelle reißt am Fallschirm. Es fühlt sich an wie ein Treffer. Böen der Detonationen lassen ihn auf- und absteigen. Schließlich hat er die Flaksperre hinter sich. Nun schwebt er über der brennenden Stadt. Der Wind wird zum Orkan. Ein deutscher Abfangjäger entdeckt ihn und feuert.

„Von Schmerz gepeinigt, wälzte er sich als schwarzer Klumpen in zäher Masse. Er schrie nicht, kämpfte nicht. Seine Bewegungen dirigierte die Hitze. Sie krümmte ihn zusammen, warf seinen Kopf hoch. Sie breitete seine Glieder auseinander, als umarme er die Erde. Er glich keinem Menschen mehr, er glich einem Krebs. Er starb nicht nach einer Todesart, die bereits erfunden war. Er wurde gegrillt.“ (über einen Truppführer, S. 127 f.)

In einem Hauseingang wird der Lehrer von einem Soldaten gestellt und in den Keller genötigt. Dort sitzen junge Soldaten auf Fässern und betrinken sich. Der befehlshabende Fähnrich wird vom Lehrer angefleht, ihn zum Bahnhof gehen zu lassen. Doch die Soldaten halten ihn fest und erniedrigen ihn.

„Ich bin ein Mörder, dachte der Leutnant. Gott liebt auch Mörder. Lieber Gott, liebe mich! Die Kanoniere dachten nichts. Einer hatte ein Pfund Kot zwischen seinen Beinen. Zwei andere ließen den verdauten Morgenkaffee in ihre Hosen rinnen.“ (S. 144)

Der Geschützführer verbindet dem Ladeschützen das Gesicht. Druckwellen peitschen über die Plattform und bringen Staub mit. Einer der Kanoniere hat den Strick losgebunden und arbeitet sich in Richtung Leiter vor. Der Geschützführer fixiert ihn und winkt mit dem Zeigefinger. Gehorsam gibt der Junge sein Vorhaben auf und robbt zurück zum Geschütz. Zwischen Augen und Mund des Ladeschützen befindet sich eine klaffende Wunde. Die Nase liegt neben ihm am Boden.

Selbstjustiz

Der Leutnant betritt den Unterstand, sein Gehör ist wieder in Ordnung. Der Major wünscht ihn zu sprechen. Er erinnert ihn daran, endlich einen Trupp für die Gefangennahme der Amerikaner zusammenzustellen. Der Leutnant erwidert, dass ein solches Unternehmen aufgrund der Bombenangriffe sehr gefährlich sei, doch der Major besteht darauf.

„Ein nacktes Bein lag am Rand. Über dem Knie war es abgerissen.“ (S. 153)

Sergeant Strenehen landet in einer toten Stromleitung. Unsanft gleitet er am Mast nach unten. Stacheldraht zerreißt ihm die Hose. Er sitzt mit nacktem Gesäß auf dem heißen Blech einer Umspannanlage. Um ihn herum sind überall Flammen. Endlich sieht er eine Lücke und rennt mit heruntergezogenem Hemd hindurch. Seine Pistole wirft er weg, denn er denkt, dass ihm nichts passieren wird, wenn er unbewaffnet ist. Er findet eine Tür, die zu einem unterirdischen Bunker führt. Im Keller sind ein Ingenieur und ein Monteur im Dienst. Der Monteur schlägt vor, dem Amerikaner eine Hose zu geben. Der Ingenieur lehnt ab. Er will Rache für seine Frau und befiehlt dem Monteur, Strenehen mit einer Eisenstange zu erschlagen. Dann verlässt er den Raum. Der Monteur führt Strenehen die Treppe hinauf, gibt ihm einen Stoß und verschließt die Tür hinter ihm. Strenehen ist wieder frei. Doch der nächste Bomberverband ist bereits im Anflug.

Vergewaltigung

Der Geschützführer versucht umständlich, sich zur Seite zu drehen. Er befühlt vorsichtig sein Bein. Als er die Hand zurückzieht, ist sie voller Blut. Neben ihm liegt der Ladeschütze, tot. Die drei Kanoniere streifen ihre Seile ab und bewegen sich in Richtung Leiter. Kurz vor dem Ziel reißt der Stärkste die beiden anderen zurück und klettert blitzschnell die Leiter hinunter. Mittlerweile ist auch der Geschützführer seinen Verletzungen erlegen. Weil niemand da ist, der ihnen einen Befehl erteilt, knoten sich die beiden Kanoniere wieder an das Geschütz.

„Die Vernichtung raste überall. Es wurde gebombt.“ (S. 157)

Das Mädchen und die Witwe, die die Kranke getragen haben, schaffen es noch in den Keller. Dort werden sie verschüttet. Das Mädchen findet sich unter Geröll wieder. Ein älterer Mann liegt auf ihr. Er behauptet, sich nicht rühren zu können. In tiefer Dunkelheit betastet er ihr Gesicht, steckt ihr seine Finger in den Mund. Er riecht nach Tabak und fängt plötzlich an, irre zu kichern. Panik ergreift das Mädchen. Der Mann bewegt sich auf ihr. Sie fühlt seine Begierde. Er drückt ihre Beine auseinander, ein Ruck durchfährt ihren Unterleib. Es brennt entsetzlich.

„Der Schürhaken flog auf Strenehens Beine. Es klirrte. (...) Der Junge trat vor. Er stellte sich hinter Strenehen und legte ihm die Schürze vor den Bauch. ,Höher!‘, befahl der Arzt. ,Jeder soll seinen Schwanz sehen!‘“ (S. 188)

Der Leutnant sucht nach Freiwilligen für einen Trupp. Ein Unteroffizier und ein Obergefreiter lehnen ab. Daraufhin nimmt er Eiserne Kreuze aus einer Schublade und verleiht sie an einige Jungen, um diese für seine Truppe zu rekrutieren. Vor dem Bunker sollen sie auf ihn warten. Kurz darauf gibt es dort Einschläge. Der Leutnant glaubt die Jungen schon verloren zu haben, doch sie sind unversehrt. Auf dem Friedhof suchen sie nach den abgestürzten Amerikanern.

Letzter Ausweg Suizid

Der ältere Mann wälzt sich von dem Mädchen hinunter, beschimpft sie als Hure und zieht sie an den Haaren. Das Mädchen hat das Gefühl zu verbluten. Der Mann brüllt. Später können beide nur noch apathisch daliegen. Unter den Fingern fühlt das Mädchen etwas Nasses. Der Mann hat sich die Pulsadern aufgeschnitten. Sand rieselt auf das Mädchen. Dann spürt sie nichts mehr.

„Eine Stunde genügte, und das Grauen triumphierte.“ (S. 199)

Der Fähnrich und seine betrunkenen Soldaten beschließen, den Lehrer zum Bahnhof zu begleiten. Unterwegs rettet einer der Soldaten eine Frau aus einem brennenden Haus. Der Fähnrich erschießt in einem Keller einen plündernden Russen. Der halb verhungerte Mann hat Brotteig gegessen. Währenddessen flieht der Lehrer auf die Straße, wo er von einem Bombensplitter getötet wird.

„Nach der siebzigsten Minute wurde weiter gebombt. Die Vergeltung verrichtete ihre Arbeit. Sie war unaufhaltsam. Nur das Jüngste Gericht. Das war sie nicht.“ (S. 199)

Der Leutnant und seine sechs Kanoniere zerren einen Verwundeten über den Friedhof in die Kapelle. Das Dach fehlt. Ein Bomber trifft, die Kapelle brennt, wie auch die Armprothese des Leutnants. Er reißt sie ab. Mit vier Kanonieren rennt er aus dem Flammeninferno. Die anderen beiden krümmen sich hinter ihm brennend am Boden.

Ein Funke Menschlichkeit

Sergeant Strenehen findet einen Bunker und stürzt sich sofort auf einen Bottich mit Wasser. Rußbeschmiert und halb nackt wirkt er wie ein Tier. Man bringt ihn zum Militärarzt. Dieser will Vergeltung, misshandelt den Amerikaner und bindet ihm eine Schürze um, um ihn lächerlich zu machen. So wankt Strenehen in den Schutzraum. Die Leute dort haben Angst, doch das Mitleid überwiegt. Sie geben ihm eine Decke, worauf er zusammenbricht und stirbt. Auch der Fähnrich und seine Soldaten treffen im Hochbunker ein. Der Fähnrich sucht den Arzt auf, der sich als guter Bekannter entpuppt. Sie prosten einander zu.

Um 14:10 Uhr ist das Bombardement zu Ende. 300 Menschen werden vermisst. Zwölf werden später gefunden.

Zum Text

Aufbau und Stil

Vergeltung beeindruckt durch seine Erzählweise: Kaleidoskopartig springt der Blick des Erzählers zwischen verschiedenen Menschen und Menschengruppen sowie zwischen mehreren Handlungsorten hin und her. Die Bewegung ist jedoch nicht nur eine horizontale, sondern auch eine vertikale: Der Leser blickt in die Geschützkanzel des amerikanischen Bombers, begleitet einen Sergeant beim Fallschirmabsprung nach unten, ist Zeuge der Ereignisse im Bunker, auf dem Feld und schließlich in einem Schutzkeller. Im Verlauf der Erzählung schälen sich einzelne Figuren heraus, zu denen die Handlung immer wieder zurückkehrt – unterbrochen von kurzen biografischen Zwischenkapiteln, die jeweils das Leben einer bestimmten Figur knapp umreißen. Bleiben diese während des Bombardements bis auf wenige Ausnahmen namenlose Opfer, werden sie in den biografischen Passagen zu Menschen, indem sie bei ihren Namen genannt werden.

Ledigs Sprache zeichnet sich durch unsentimentale Lakonie aus, auch bei der realistischen Beschreibung aller möglichen Todesarten. Der Erzähler bewertet nicht und ordnet nicht ein, er spendet auch keinen Trost. Der Text besteht fast nur aus kurzen Hauptsätzen, die dem Roman eine atemlose Gehetztheit verleihen.

Interpretationsansätze

  • Die Verwüstungen des Bombenkriegs werden nirgends drastischer gezeigt als im Motiv des Friedhofs, das den Roman eröffnet: Die Leichen werden von Explosionen aus- und wieder eingegraben. Die Friedhofsruhe weicht einem furchtbaren Durcheinander der versprengten Leiber. Ähnlich geht es der Stadt, aus der fast jede Form der Zivilisation, Solidarität und Menschlichkeit herausgesprengt wird.
  • Anhand der Figur des amerikanischen Soldaten Strenehen veranschaulicht Ledig beide Seiten des Kriegs. Strenehen ist erst Täter und schließlich Opfer. Als einziger Handlungsträger wechselt er die Seiten: vom Besatzungsmitglied des Bombers zum misshandelten Kriegsgefangenen, der nur knapp der Lynchjustiz entgeht.
  • Der Roman ist mit Zitaten aus der Bibel durchsetzt. Jedoch vermögen sie nicht zu trösten, sondern wirken angesichts der ringsum zusammenbrechenden Welt eher grotesk. Immer wieder werden religiöse Symbole und Orte von Brand- und Sprengbomben zerstört. „Gott mit uns. Aber mit den anderen war er auch.“ Mit diesem Satz führt Ledig die Aufrechnungslogik des Krieges – Rache auf beiden Seiten für das jeweilige Leid – ad absurdum.
  • Der Roman entfachte eine Diskussion über die Tabuisierung des Bombenkrieges in Deutschland. Dürfen die Aggressoren des Krieges überhaupt über die Vergeltung klagen? Dürfen sie um ihre Toten trauern in Anbetracht der Gräuel, die die Nazis den Juden und anderen Völkern angetan haben? Die Tabu-These wird bis heute im Rahmen der Erinnerungs- und Geschichtskonstruktion in Deutschland kontrovers diskutiert.
  • Die zwischen die Kriegsepisoden eingefügten Kurzbiografien einzelner Personen lassen den Leser innehalten und führen ihm vor Augen, dass alle Menschen, die im Roman sterben, ein Leben hatten, mit individuellen Wünschen und Plänen, die wie sie selbst im Bombenhagel ausradiert werden.

Historischer Hintergrund

Der Luftkrieg

Im Zweiten Weltkrieg spielten die Luftstreitkräfte eine zentrale Rolle. Sie waren Dreh- und Angelpunkt der Kriegsvorbereitungen und des psychologischen Krieges, indem sie Angst und Schrecken verbreiteten. Adolf Hitler setzte seine starken Luftstreitkräfte erfolgreich gegen Polen, Dänemark, Norwegen, Holland, Belgien und Frankreich ein. Die Luftüberlegenheit der Nazis scheiterte schließlich an England, das als Nächstes auf der Liste der Invasionsziele stand. In der von Premierminister Winston Churchill so titulierten „Schlacht um England“ im Jahr 1940 versagten die deutschen Bomber und Jäger. Der britische Erfolg war eng verknüpft mit der Installation von Radaranlagen an der Ostküste Englands, die von der deutschen Aufklärung nicht erkannt wurden.

Der Gegenangriff britischer Bomber auf deutsche Städte begann in der Nacht vom 12. Mai 1940 in Mönchengladbach. Die Deutschen antworteten mit Bombardements auf London und Coventry. Insbesondere der verheerende Angriff auf Coventry führte zu harten Vergeltungsmaßnahmen seitens der Royal Air Force, die von nun an Flächenbombardements einsetzte, um auch zivile Ziele zu treffen. Der erste so genannte Tausend-Bomber-Angriff erfolgte am 30. Mai 1942 auf Köln. Mehr als 1000 Flugzeuge übersäten die Stadt systematisch mit Brandbomben und zerstörten dabei rund 3500 Häuser. Noch schlimmer traf es Ende Juli 1943 Hamburg. Die „Operation Gomorrha“ und der von ihr entfesselte Feuersturm zerstörte weite Teile der Elbmetropole. Die insgesamt fünf Nachtangriffe der Briten, gekoppelt mit punktuellen Bombardements der Amerikaner am Tage, kosteten etwa 35 000 Menschen das Leben.

Entstehung

„Die Angst muss dir selbst im Genick sitzen, du musst das genau kennen. Sonst bist du bloß Berichterstatter, kein Schriftsteller.“ So formuliert Gert Ledig seine Auffassung davon, was einen guten Autor ausmacht, wenn er über den Krieg schreibt. Für seinen Roman Vergeltung musste Ledig deshalb nicht allzu lange nachdenken, zu deutlich waren ihm die Gräuel des Krieges noch im Bewusstsein. Er hatte die Hölle selbst gesehen: im Kampf um Leningrad. Aus der Schlacht kehrte er mit zertrümmertem Kiefer und mit nur drei Fingern an der rechten Hand zurück. In der Heimat arbeitete er für die Kriegsmarine und musste des Öfteren Zulieferbetriebe besuchen. Dabei erlebte er auch die Luftangriffe hautnah. Vergeltung ist Ledigs zweiter Roman von insgesamt drei, die sich mit dem Zweiten Weltkrieg befassen. Er begann erst in den 50er Jahren zu schreiben. Nach dem großen Erfolg seines Erstlings Stalinorgel wagte er sich an einen ähnlich schonungslosen Roman. Im Buch bleibt offen, welche Stadt bombardiert wird, als Vorbild dienten aber mit großer Sicherheit die verheerenden Bombenangriffe auf München im Juli 1944, bei denen die gegnerische Luftwaffe mit mehr als 1000 Bombern angriff.

Wirkungsgeschichte

Als der Roman im Herbst 1956 erschien, war die öffentliche Reaktion äußerst negativ, ja geradezu feindlich. Im gerade aufkeimenden Wirtschaftswunder interessierte niemanden mehr der Blick auf die Gräuel des Krieges. Das Publikum strafte Vergeltung mit Missachtung. Auch die Rezensionen in den Feuilletons waren gepfeffert. Es war von „gewollt makabrer Schreckensmalerei“ (FAZ) die Rede, der Roman habe den „Rahmen des Glaubwürdigen und Zumutbaren“ verlassen (Die Zeit), man erblickte in ihm „abscheuliche Perversität“ (Rheinischer Merkur) und gruselte sich vor einem Text, der „jeden positiv gerichteten metaphysischen Hintergrund und Ausblick“ vermissen lasse (Badische Zeitung). Gert Ledig verschwand in der Versenkung. Nach seinem dritten Roman, für den er nur mit viel Mühe einen Verlag fand, gab er die Schriftstellerei auf. In den meisten Literaturlexika taucht sein Name bis heute nicht auf; und wenn doch, dann ist höchstens von seinem Debütroman Die Stalinorgel die Rede.

Dennoch erlebte Vergeltung rund 45 Jahre nach der Erstveröffentlichung eine Renaissance. Den Anstoß gab die Publikation des Buches Luftkrieg und Literatur von W. G. Sebald im Jahr 1999. Im Zuge der anschließenden öffentlichen Diskussion wurde Vergeltung als erster der drei Ledig-Romane von Suhrkamp neu aufgelegt. Der Autor, der zurückgezogen von der (literarischen) Welt in Utting am Ammersee lebte, bekam nur noch die Fahnen zu Gesicht und verstarb kurz vor der Veröffentlichung. So erlebte er nicht mehr die diesmal deutlich bessere Aufnahme des Romans in den Medien. Vergeltung schaffte es im August 1999 sogar in die einflussreiche Literatursendung Das literarische Quartett. Im August 2005 sendete Radio Bremen eine Hörspielbearbeitung des Romans.

Über den Autor

Gert Ledig wird am 4. November 1921 in Leipzig geboren. Er wächst in bescheidenen Verhältnissen auf. Mit 15 Jahren muss er sich als Hilfsarbeiter in einer Schokoladenfabrik den Lebensunterhalt verdienen, später in einem Elektrobetrieb. Mit 18 Jahren meldet er sich freiwillig zum Dienst in der Wehrmacht und strebt die Offizierslaufbahn an. Er dient im Frankreichfeldzug und wird zum Unteroffizier befördert. Seine anfängliche Begeisterung für die Nazi-Ideologie weicht der Erschütterung: In Russland fällt er immer wieder wegen angeblicher Hetzreden auf und wird in eine Strafkompanie versetzt. Bei der Schlacht um Leningrad 1942 wird er mehrmals schwer verwundet. Zurück in der Heimat wird er zum Schiffsbauingenieur ausgebildet und arbeitet fortan für die Kriegsmarine. Nach Kriegsende schlägt er sich nach München durch und lässt sich durch die zerbombte Stadt treiben. Die Entwicklungen im Nachkriegsdeutschland ärgern ihn so, dass er kurzzeitig der Kommunistischen Partei beitritt und sogar mit dem Gedanken an eine Emigration nach Südamerika spielt. Nach mehreren Gelegenheitsjobs landet er als Dolmetscher im Hauptquartier der amerikanischen Streitkräfte in Österreich. 1953 beginnt er mit der Schriftstellerei. In rascher Folge erscheinen die Romane Die Stalinorgel (1955), Vergeltung (1956) und Faustrecht (1957). Zunächst in der literarischen Szene stark beachtet, stoßen Ledigs gnadenlos realistische Romane im Wirtschaftswunderland Deutschland zunehmend auf Kritik. Mehrere Versuche, seinen Roman Die Kanonen von Korcula zu veröffentlichen, scheitern daran, dass sich kein Verlag für das Manuskript interessiert. Ledig lässt die Literatur hinter sich. Er stirbt am 1. Juni 1999 in Landsberg am Lech und kann die Wiederentdeckung und Neuauflage seiner Romane nicht mehr erleben.

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