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Legalität und Legitimität

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Legalität und Legitimität

Duncker & Humblot,

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10 take-aways
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What's inside?

Beißende Demokratiekritik von einem der brillantesten und umstrittensten Staatsrechtler Deutschlands.


Literatur­klassiker

  • Politik
  • Moderne

Worum es geht

Hellsichtiger Antidemokrat

Carl Schmitt war ein antiliberaler, antidemokratischer Verfassungstheoretiker. In seinem Werk übt er beißende, aber juristisch fundierte Kritik an der Verfassung der Weimarer Republik und greift die parlamentarische Demokratie überhaupt an. Wenn er kein Antisemit gewesen wäre, der jüdische Kollegen aus dem Juristenstand verdrängte, und wenn er sich nicht dem Nationalsozialismus in die Arme geworfen hätte, dann wäre er wahrscheinlich als einer der brillantesten Kritiker der Demokratie in die Geistesgeschichte eingegangen. So haftet ihm aber immer der Makel an, mit seinem herausragenden Intellekt und seinem ausgefeilten Stil doch nur ein mörderisches System unterstützt zu haben. In Legalität und Legitimität analysiert er hellsichtig, warum die Weimarer Republik scheitern muss: weil ihre Verfassung widersprüchlich ist und weil sie Recht nicht mit Gerechtigkeit, Legalität nicht mit Legitimität verknüpft. Heutige Leser werden aber auch ins Nachdenken kommen, wenn sie Schmitts Analyse der Mehrheitsentscheidung lesen: Warum soll eigentlich eine Zweidrittelentscheidung legitimer sein als eine einfache Mehrheit, wenn es etwa um Verfassungsänderungen geht? Schmitt hat den Finger auf die Wunden der Demokratie gelegt. Seine Diagnose ist weiterhin lesenswert – erst recht, wenn einem an einer freiheitlichen Staatsordnung liegt.

Take-aways

  • Legalität und Legitimität ist eine staatstheoretische Abhandlung des antiliberalen Juristen Carl Schmitt.
  • Inhalt: Die Weimarer Republik ist für Schmitt zum Scheitern verurteilt, weil ihre Verfassung keinen eindeutigen Gesetzgeber installiert, sondern mehrere, die einander schwächen. Dadurch wird die staatliche Legitimität vernichtet.
  • Das Buch wurde kurz vor der Machtergreifung der Nazis geschrieben.
  • Einige verfassungskritische Anmerkungen Schmitts wurden später bei der Konzeption des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland berücksichtigt.
  • Es bleibt unklar, ob Schmitt die in seinen Augen gescheiterte Weimarer Verfassung abschaffen und durch eine basisdemokratische, evtl. auch völkische ersetzen will.
  • Schon Ende der 1920er Jahre wandte sich Schmitt von der parlamentarischen Demokratie ab. 1933 trat er in die NSDAP ein und rechtfertigte von diesem Zeitpunkt an das NS-Rechtssystem.
  • Nach dem Krieg distanzierte er sich nicht vom Dritten Reich, bestand aber darauf, kein „Nazi-Jurist“, sondern ein unabhängiger Denker gewesen zu sein.
  • Dass Schmitt nicht einfach als Nazi abzutun ist, sondern eine bedenkenswerte Kritik an der Weimarer Verfassung vorgetragen hat, macht ihn zu einem unbequemen Theoretiker.
  • Schmitt schreibt essayistisch und auch für den juristischen Laien gut verständlich.
  • Zitat: „Die Weimarer Verfassung ist zwischen der Wertneutralität ihres ersten und der Wertfülle ihres zweiten Hauptteils buchstäblich gespalten.“

Zusammenfassung

Unterschiedliche Staats- und Gesetzgebungsformen

Die aktuelle innerstaatliche Lage ist als Zusammenbruch des parlamentarischen Gesetzgebungsstaates zu charakterisieren. Der Gesetzgebungsstaat zeichnet sich dadurch aus, dass in ihm Normierungen herrschen, die durch ein gesetzgebendes Organ sanktioniert sind. Es herrschen also nicht Menschen über Menschen, sondern Menschen folgen in allen gesellschaftlichen Bereichen Normierungen. Ein Richter wendet diese Normierungen, also Gesetze, an. Er schafft aber nicht selbst Gesetze, wie es im so genannten Jurisdiktionsstaat der Fall ist. Im Gesetzgebungsstaat sollen die Normen unabhängig von ihrer Anwendung gelten, weswegen Legislative und Exekutive streng getrennt sein müssen: Der Gesetzgeber wendet die Gesetze nicht selbst an. Im Gegensatz zum Gesetzgebungsstaat setzt in einem Regierungsstaat das Staatsoberhaupt seinen persönlichen Willen per Befehl durch. Im Verwaltungsstaat schließlich werden keine höheren Normen befolgt, sondern nur konkrete, praktische Angelegenheiten geordnet. In der Geschichte treten diese Staatsformen oft gemischt auf. Regierungs- und Verwaltungsstaat finden sich oft in Phasen der Veränderung, in denen die Staatsform neu gestaltet werden muss. Der Gesetzgebungsstaat ist typisch für Zeiten, in denen auf reformerischem Weg gesellschaftlicher Fortschritt erzielt werden soll.

„Heute kann man, ohne Widerspruch zu finden, z. B. von einer Reichstagsauflösung sagen, sie sei ,streng legal‘ und doch in der Sache ein Staatsstreich, und umgekehrt, sie entspreche in der Sache dem Geist der Verfassung und sei trotzdem nicht legal.“ (S. 14)

Die Unterscheidung dieser Staatsformen ist deshalb sinnvoll, weil damit die gegenwärtige Situation erfasst werden kann. Sie ist nützlicher als etwa die aristotelische Einteilung in Monarchie, Aristokratie und Demokratie, denn diese ist nicht in der Lage, das Auseinanderklaffen zwischen Legalität und Legitimität (also zwischen Gesetz und Rechtsempfinden), das heute diagnostiziert werden kann, richtig zu erfassen. Ebenso wenig kann damit berücksichtigt werden, dass das Weimarer Staatswesen im Umbruch begriffen ist und sich hin zu einem totalen Verwaltungsstaat wandelt. Allerdings stellt sich die Frage, ob ein moderner Staat ohne Verwaltungselement überhaupt denkbar ist. Sowohl Platon als auch Aristoteles haben in ihren Staatstheorien die Verwaltung völlig vernachlässigt. Dagegen geht Max Weber davon aus, dass Verwaltung ein Wesensmerkmal politischer Verbände überhaupt ist.

„Auf dieser Kongruenz von Recht und Gesetz beruhte letzten Endes alles, was im Lauf des 19. Jahrhunderts zu einem heute noch wirksamen System und Inventar rechtsstaatlicher Begriffe, Formeln und Postulate entwickelt wurde. Der Staat ist Gesetz, das Gesetz ist der Staat.“ (S. 20)

Merkmale des Regierungsstaats sind das Pathos und die Repräsentation durch einen Fürsten, wobei Begriffe wie „Majestät“, „Ehre“ und „Ruhm“ eine wichtige Rolle spielen. Demokratische Staaten setzen dagegen auf die republikanische Tugend und das Ethos des Volkes als Gesetzgeber und Normierungsinstanz. Dem Gesetzgebungsstaat fehlt es an Pathos und damit an einer eigenen, legitimierenden Kraft. Diese Staatsform schöpft ihre Legitimität eben aus der Legalität, also aus der Normierungskraft. Legalität und Legitimität verschmelzen. In der Folge ist Legalität zwar vorhanden, Legitimität aber wird vermisst. Das System der Normen wirkt wie ein seelenloser Formalismus. Ihm fehlt die unmittelbare Präsenz eines Herrschers oder eines Richters, der das Recht spürbar macht und dadurch legitimiert. Der moderne Gesetzgebungsstaat wirkt abstrakt, das Berufsbeamtentum wie ein seelenloser Apparat. Das passiert, wenn die höhere Idee dahinter nicht mehr deutlich ist: die Idee nämlich, dass der Ausspruch „Im Namen des Gesetzes“ ein hohes Gut darstellt, das den Einzelnen von der Willkür eines Fürsten befreit, oder die Idee, dass ein funktionierendes Beamtentum Stabilität garantiert. Heute besteht die Gefahr, dass die Gesetzgebung nur noch technischer Funktionalismus ist und letztlich die Bürokratie das Sagen hat.

Legitimität und Mehrheitsentscheidung

Im Gesetzgebungsstaat steht das Gesetz über dem Gewohnheitsrecht. Dieses war einmal eine positive Einrichtung und wurde lange gegen die Willkür absoluter Fürsten ins Feld geführt. Es war ein Recht aufseiten des Volkes. Heute kann es durch ein passendes Gesetz sofort unwirksam werden. Der Gesetzgeber hat damit die oberste Normierungsmacht, allerdings auch nicht ganz uneingeschränkt: Wenn Gesetze juristische Formfehler aufweisen, können sie unwirksam werden. Solche Grenzen für die Macht des Gesetzgebers können manchmal auch aus dem Gewohnheitsrecht abgeleitet werden, um Widersinniges zu vermeiden. Voraussetzung für die große Macht, die der Gesetzgebungsstaat dem Gesetzgeber zubilligt, ist umfassendes Vertrauen in seine Kompetenz und in den Umstand, dass Recht und Gesetz miteinander übereinstimmen, dass also jedes Gesetz rechtens ist. Das Vertrauen in diese Kompetenz kann allerdings auch gestört sein. Es besteht die Gefahr, dass Recht und Gesetz auseinanderklaffen, dass Gesetze also unvernünftig und ungerecht werden.

„Überhaupt wäre es eine sonderbare Art von ,Gerechtigkeit‘, eine Mehrheit für umso besser und gerechter zu erklären, je erdrückender sie ist, und abstrakt zu behaupten, dass 98 Menschen 2 Menschen misshandeln, sei bei Weitem nicht so ungerecht, wie dass 51 Menschen 49 misshandeln. Hier wird die reine Mathematik zur reinen Unmenschlichkeit.“ (S. 40)

Gesetze werden mithilfe von Mehrheitsbeschlüssen verabschiedet. Das funktioniert in ruhigen Zeiten gut, denn dann sind viele Menschen in vielen Dingen einer Meinung. Auch eine Mehrheit von 51 % wird als legitim empfunden, weil sich die Minderheit dennoch grundsätzlich in einem Boot mit der Mehrheit sieht. Aber die Arithmetik hat doch ihre Tücken. Oft gerät die Abstimmung zur Farce, weil die Mehrheit sich zum Diktator über die Minderheit aufschwingt, wohl wissend, dass diese es genauso täte, wenn ihre Partei in der Überzahl wäre. Minderheiten werden einfach überstimmt und damit ausgeschlossen. Zweidrittelmehrheiten für besonders gravierende Entscheidungen machen dieses Problem nicht einfacher. Warum soll eine Zweidrittelmehrheit überhaupt höheres Gewicht haben als eine einfache? Sie führt nur dazu, dass Beschlüsse langsamer gefasst werden, weil man sie sorgfältiger abwägen muss. Demokratischer – oder in einem höheren Sinn gerechter – werden diese Entscheidungen dadurch aber nicht. Die Arithmetik der zwei Drittel ergibt keine höhere Legitimation als eine einfache Mehrheit.

Gesetzgeber 1: die „zweite Verfassung“

In Weimar gibt es genau genommen zwei Verfassungen. Im zweiten Hauptteil der Verfassung mit dem Titel „Grundrechte und Grundpflichten der Deutschen“ sind zahllose Bestimmungen verankert, die dem materiellen Recht zuzuordnen sind, die also die grundsätzliche Beziehung zwischen dem Einzelnen und dem Staat regeln. Dabei geht es weniger um die Organisation der Gesetzgebung als vielmehr um die Werte der Gesellschaft. Unter diesen Bestimmungen findet sich etwa die Vorschrift einer Zweidrittelmehrheit für Verfassungsänderungen, weil die Verfassung höher gewertet wird als das einfache Gesetz. Dieser zweite Hauptteil kann als zweite Verfassung angesehen werden. Diese wertet Beschlussbildungen, indem sie einen Unterschied zwischen einfacher und Zweidrittelmehrheit macht. Dadurch ist diese Verfassung aber nicht mehr wertneutral, was eine zerstörerische Wirkung hat: Der normale Gesetzgebungsvorgang, also die Entscheidung mit einfacher Mehrheit, wird somit als weniger wertvoll charakterisiert. Institutionen wie die Ehe oder die Religion werden aufgewertet, indem die Verfassung festlegt, dass darüber nur mit Zweidrittelmehrheit entschieden werden kann, sie werden also unter den Schutz der Verfassung gestellt. Diese Werte werden sozusagen für heilig erklärt – doch gleichzeitig ist es möglich (wenn auch erschwert), sie abzuwählen. Das ist inkonsistent und unmoralisch.

Gesetzgeber 2: die Volksabstimmung

Die Weimarer Verfassung hat plebiszitäre Elemente, also Elemente der direkten Demokratie, die den Gesetzgebungsstaat schwächen. Volksentscheide und Volksgesetzgebungsverfahren setzen das Volk über das Parlament und hebeln dieses damit aus. Der Volkswille ist legitim, aber der Parlamentswille nur legal, womit der Volkswille über dem parlamentarischen Willensbildungsprozess steht. Das ist inkonsequent – konsequenter wäre es, alle Gesetze vom Volk verabschieden zu lassen. Im gegenwärtigen Zustand wird der parlamentarische Gesetzgebungsprozess immer schwächer, und die ganze Verfassung wirkt dadurch unklar. Es ergeben sich Gesetze verschiedener Sorte, weil sie unterschiedlich legitimiert sind. Inkonsequent ist auch, dass für verfassungsändernde Entscheidungen im Parlament eine Zweidrittelmehrheit notwendig ist, beim Volksentscheid aber eine einfache Mehrheit genügt. Durch diese unklare Konstellation kommt es zu einem „Wettrennen der Souveräne“, und die Frage ist, ob das Parlament gegen das Volk bzw. den Volksentscheid gewinnen wird oder umgekehrt. Mehr noch: Hier gehen nicht nur zwei Gesetzgebungsinstanzen einen Konkurrenzkampf ein, sondern zwei Auffassungen davon, was Recht überhaupt ist.

Gesetzgeber 3: der Reichspräsident und die Notverordnung

Es gibt in der Weimarer Verfassung noch einen dritten, diesmal außerordentlichen Gesetzgeber: den Reichspräsidenten, der durch Notverordnungen Gesetze erlassen kann. Zwar ist der entsprechende Artikel der Reichsverfassung ein Provisorium, aber de facto ist die Notverordnungsgewalt des Präsidenten von allen Instanzen anerkannt und damit positives Recht. Es ist erstaunlich, dass ein solcher Gesetzgeber, obwohl nicht wirklich in der Verfassung verankert, existieren darf – denn er kann die Gesetze des Reichstags aushebeln. Übrigens darf er auch bestimmte Grundrechte für nichtig erklären, etwa die persönliche Freiheit und das Recht auf Eigentum, also den Kern des bürgerlichen Rechtsstaats. Allein dadurch ist er dem ordentlichen Gesetzgeber überlegen. Es ist schwer nachzuvollziehen, dass viele Juristen dieses außerordentliche Gesetzgebungsrecht in der konstitutionellen Monarchie des 19. Jahrhunderts erbittert bekämpft haben, dass die gleichen Juristen aber das Recht des Reichspräsidenten akzeptieren oder verteidigen. Dabei war es doch gerade eine Errungenschaft der parlamentarischen Demokratie, dem Fürsten seine besondere Gesetzgebungsgewalt abzusprechen.

„Die Weimarer Verfassung ist zwischen der Wertneutralität ihres ersten und der Wertfülle ihres zweiten Hauptteils buchstäblich gespalten.“ (S. 49)

Die aktuelle Weimarer Regelung übersieht, dass der außerordentliche Gesetzgeber eben kein normaler Gesetzgeber ist, denn er agiert nicht in normalen Situationen, sondern in Ausnahmezuständen. Seine Rolle dient also der Wiederherstellung des Normalzustands. Es ist falsch, die normalen Gesetze mit den Gesetzen des Ausnahmezustands gleichzustellen, denn Letztere können den ganzen Gesetzgebungsstaat zerstören. Zwar sind die Notstandsgesetze formal der Gesetzgebungskraft des Reichstags untergeordnet – der Reichstag muss sie „tolerieren“ –, faktisch sind sie aber doch stark genug: Wenn der Reichspräsident etwa die sofortige Erschießung von Menschen anordnet, kann der Reichstag dies nun einmal nicht mehr rückgängig machen. Das Besondere an der außerordentlichen Gesetzgebungskraft ist, dass der Reichspräsident Legislative und Exekutive in sich vereinigt. Er kann z. B. eine Versammlung auflösen lassen, was nicht in der Macht des Reichstags steht, denn seine Gesetze sind nicht gleich Verordnungen. Der Reichspräsident kann Gesetze erlassen und sie gleichzeitig vollziehen. Außerdem hebelt der betreffende Artikel Verfassungsgrundsätze aus, z. B. den Grundsatz „Die Reichsgesetze werden vom Reichstag beschlossen“. Dadurch ist die Weimarer Reichsverfassung nicht „diktaturfest“.

Die Weimarer Republik scheitert an ihrer Verfassung

Die dargestellten Probleme der Weimarer Verfassung sind der Hektik zuzuschreiben, mit der sie im Jahr 1919 entworfen und redigiert wurde. Den Verfassungsvätern ist das nicht vorzuwerfen, allerdings sollte man jetzt, nach einem Jahrzehnt, die Augen vor diesen Widersprüchen nicht mehr verschließen. Ein großes Problem ist auch, dass in den Notverordnungen der jüngsten Zeit Gesetze und Maßnahmen ununterscheidbar geworden sind. Es ist üblich geworden, Maßnahmen für bestimmte Einzelfälle zu ergreifen und diese dann „Gesetze“ zu nennen. Dabei kommt dem Gesetzgebungsstaat der fundamentale Begriff, was ein Gesetz überhaupt ist, abhanden: nämlich eine Normierungsinstanz, die über Einzelfälle hinweg zu gelten hat. Das ist die eigentliche Krise des aktuellen Gesetzgebungsstaates.

„Die Doppeltheit der beiden Arten von Gesetzgebung und Gesetzgeber ist nämlich eine Doppeltheit von zwei verschiedenartigen Rechtfertigungssystemen, dem parlamentarisch-gesetzgebungsstaatlichen Legalitätssystem und der plebiszitär-demokratischen Legitimität; das zwischen beiden mögliche Wettrennen ist nicht nur eine Konkurrenz von Instanzen, sondern ein Kampf zwischen zwei Arten dessen, was Recht ist.“ (S. 64)

Das Grundproblem der Demokratie ist, dass Parteien, Lobbys und weltanschauliche Gruppierungen nicht in der Lage sind, einen vernünftigen Staat zu gestalten. Denn sie sind janusköpfig: einerseits am Staat beteiligt (z. B. als Parteien im Parlament), andererseits Teil des gesellschaftlichen Willensbildungsprozesses – und dieser kann sich durchaus gegen den Staat richten und tut das auch immer wieder. Es ist daher verständlich und nicht nur ein Ausdruck von Rückwärtsgewandtheit, wenn der Ruf nach einem autoritären Staat laut wird. Ein schwacher oder mittelmäßiger Staat ist wahrscheinlich bösartiger als ein starker, auch wenn dieser manchmal willkürlich handelt. Die Lösung der aktuellen verfassungsrechtlichen Probleme kann nur sein, dass der zweite Hauptteil der Weimarer Verfassung, der Werturteile fällt, zum alleinigen Teil wird – allerdings von den jetzigen Widersprüchlichkeiten bereinigt. Die Wertneutralität vermeintlich aufrechtzuerhalten und weiterhin so zu tun, als hätten alle Haltungen und Meinungen im Staat die gleiche Chance, würde der Legitimität der Verfassung nur schaden.

Zum Text

Aufbau und Stil

Legalität und Legitimität ist in zwei Hauptteile gegliedert. Davor stellt Schmitt in einer Einleitung verschiedene Staatsformen vor und grenzt den Gesetzgebungsstaat, in dem das Gesetz höchste Instanz ist, von den anderen Formen ab. Im ersten Hauptteil diskutiert er dann den Gesetzesbegriff und kritisiert, auf welche Weise die politische Willensbildung zu seiner Zeit erfolgt. Im zweiten Teil befasst er sich konkret mit der Weimarer Verfassung und ihren drei außerordentlichen Gesetzgebern, durch die der eigentliche Gesetzgeber, das Parlament, geschwächt werde. Carl Schmitts Stil hat wenig mit trockenem Juristendeutsch zu tun: Er argumentiert zwar juristisch, dies aber in Form eines gut lesbaren Essays. Schmitt seziert die parlamentarische Demokratie schonungslos und lässt an einigen Stellen durchblicken, wie wenig er von Staatsgebilden hält, die nur auf Rationalität gründen. Autorität, Pathos und das Gefühl, Gleicher unter Gleichen auf der Seite einer „richtigen Sache“ zu sein, entlocken dem Schreiber deutlich mehr Begeisterung. Trotzdem liest sich das Buch über weite Strecken durchaus als Rettungsversuch für die eigentliche Idee der parlamentarischen Demokratie, besonders wenn es um Themen wie freie Meinungsbildung, Bürgerrechte und Minderheitenschutz geht.

Interpretationsansätze

  • Schmitt führt die Schwäche der Weimarer Republik auf Fehler in ihrer Verfassung zurück: Deren gesetzgeberische Entscheidungen würden nicht den Willen des gesamten Volkes widerspiegeln, und sie habe zudem mehrere Gesetzgeber installiert, die einander schwächten. Schmitt kritisiert die Weimarer Verfassung als zu inkonsequent und zu schwach – um dann, in einem einzigen Satz, jede rationale Verfassungsbegründung über den Haufen zu werfen.
  • Die grundsätzliche Frage der Schrift lautet: Was hat Recht mit Gerechtigkeit zu tun? Wie wird aus etwas Legalem auch etwas Legitimes (oder als legitim Empfundenes)? Der parlamentarischen Demokratie der Weimarer Republik wirft Schmitt vor, dass sie „legal“ und „legitim“ einfach gleichsetze, obwohl viele legale Manöver der Weimarer Regierung schon lange nicht mehr von allen als legitim angesehen würden.
  • Schmitt übt Kritik am Rechtspositivismus, der nur das geschriebene, gesetzte („positive“) Recht gelten lässt. Eine Alternative wird in Legalität und Legitimität nur angedeutet und in der Forschung kontrovers diskutiert. Offenbar favorisiert Schmitt Volksentscheide und einen starken Staat, der Autorität auszuüben vermag und nicht durch parlamentarische Streitereien geschwächt wird.
  • Die Fiktion der parlamentarischen Demokratie, die den Menschen vorgaukelt, alle unterschiedlichen Interessen hätten die gleiche Chance, gehört zu werden, wird vom Autor entlarvt. In Wahrheit geht es laut Schmitt nur darum, dass die Mehrheit die Minderheit unterdrückt.
  • Schmitt legt nahe, dass eine gute Verfassung auf „substanzhaften Inhalten und Kräften des deutschen Volkes“ aufbauen müsse – ist dies ein Vorgriff auf die Rassenideologie der Nazis? Kritiker werfen Schmitt vor, damit bereits 1932 opportunistisch auf die Linie der Nationalsozialisten eingeschwenkt zu sein. Offenbar entfernt sich Schmitt in diesem Werk von der Suche nach einer rationalen Begründung des Rechts und bewegt sich hin zu irrationalen Verankerungen in den „Gemeinsamkeiten“ eines Volkes.

Historischer Hintergrund

Das Scheitern der ersten deutschen Demokratie

Die Verfassung der Weimarer Republik krankte an der übergroßen Machtfülle, die dem Reichspräsidenten eingeräumt wurde. Er konnte über Notverordnungen in das politische Tagesgeschäft eingreifen und brachte damit ganze Regierungen zu Fall. Die Parteien waren außerdem wenig kompromissbereit, was den Parlamentarismus schwächte. Die Reichswehr griff als „Staat im Staate“ in die Politik ein. Volksabstimmungen behinderten oder verzögerten den politischen Wissensbildungsprozess. Stürze, Putsche, Rücktritte und Regierungsumbildungen prägten das politische Leben der Zeit, sodass viele konstruktive gesetzgeberische Maßnahmen von der Öffentlichkeit und vor allem von den zahlreichen Feinden der Republik nicht wahrgenommen wurden. Nach der Währungs- und Wirtschaftskrise von 1923 konsolidierte sich die Wirtschaft zwar, aber der Börsenkrach von 1929 machte auch diesen Stabilitätsfaktor zunichte. 1930 war die Republik gescheitert. Während der Regierungszeit von Heinrich Brüning radikalisierte sich die Innenpolitik. Nach seinem Sturz etablierte erst Franz von Papen, dann Kurt von Schleicher eine Präsidialregierung, die also nicht mehr dem Parlament, sondern nur dem Reichspräsidenten Paul von Hindenburg verpflichtet war. Unter von Papen wurde die Regierung des Landes Preußen per Staatsstreich abgesetzt, was dem Föderalismus einen empfindlichen Schlag versetzte und den Zentralismus förderte. Im Juli 1932 wurde die NSDAP zum ersten Mal stärkste Partei im Reichstag.

Entstehung

Schmitt versuchte in seinen Schriften Ende der 20er und Anfang der 30er Jahre auf die Krise des Parlamentarismus zu reagieren. Legalität und Legitimität fällt nicht nur in eine Zeit politischer, sondern auch rechtstheoretischer Kämpfe zwischen Kritikern und Befürwortern des Parlamentarismus und der liberalen Rechtsstaatsidee. Schmitts Gegner waren die so genannten Rechtspositivisten („Recht ist nur, was kodifiziert ist“), unter ihnen Hans Kelsen und Gerhard Anschütz. 1927 hatte Schmitt sein provokantes Werk Der Begriff des Politischen veröffentlicht, in dem er von einer grundsätzlichen Freund-Feind-Trennung als Grundlage aller politischen Tätigkeit ausging. Das rückte ihn in der Wahrnehmung vieler Rechtstheoretiker dieser Zeit in die Nähe des Irrationalismus. Sozialdemokratische Staatsrechtler wie Hans Kelsen gingen wegen Schmitts Kritik an der Weimarer Verfassung deutlich auf Distanz zu ihm. Schmitt hielt dagegen, dass die aufkommenden Massenbewegungen mit der bürgerlichen, rationalen Demokratie nichts mehr zu tun hätten und diese überrollen würden, denn sie seien „vitaler“ als die Weimarer Verfassung und fänden sich daher in ihren Institutionen nicht wieder. Schmitt stritt mit Kelsen darüber, wer der Hüter der Verfassung sei: der Reichspräsident oder der Verfassungsgerichtshof. Kelsen war für Letzteres, auch wenn dem Verfassungsgericht demokratische Legitimität fehle, da es nicht vom Volk eingesetzt sei. Schmitt kritisierte das scharf und führte den Reichspräsidenten als letzte verfassungsschützende Instanz ins Feld.

Wirkungsgeschichte

Direkt nach ihrem Erscheinen erhielt Schmitts Systemkritik Zustimmung von verschiedenen Seiten, etwa vom Juristen und Politologen Franz Leopold Neumann, der 1933 aus politischen Gründen emigrieren musste. Wer sich zu dieser Zeit mit Carl Schmitt beschäftigte, indem er ihn etwa zitierte, war allerdings schon Anfeindungen ausgesetzt, denn manchen, z. B. kommunistischen Autoren, galt er als „faschistischer Staatstheoretiker“.

Das Buch wurde in Politikwissenschaft und Staatsrechtslehre nach dem Krieg einerseits tabuisiert, wirkte sich andererseits aber auch auf das Grundgesetz der Bundesrepublik aus: In Legalität und Legitimität wird die Verfassung als nur begrenzt veränderbar dargestellt. Dies und die Erfahrung mit dem Nationalsozialismus führte zu der so genannten Ewigkeitsklausel, die in Artikel 79 des Grundgesetzes verankert ist: Demnach sind die Artikel 1–20 (u. a. Schutz der Menschenwürde, Sozialstaats- und Demokratieprinzip, Volkssouveränität, Gewaltenteilung) sowie die Gliederung des Bundes in Länder einer Verfassungsänderung grundsätzlich entzogen.

Nach der Phase der Tabuisierung begann eine Auseinandersetzung mit Schmitt, in der sich seine Freunde und Feinde erbittert stritten. Den einen erschien er als indiskutabler „Kronjurist des Dritten Reiches“, den anderen als brillanter Denker, der nur sich selbst und seinem Intellekt treu gewesen sei und immer die Distanz zum Nationalsozialismus gewahrt habe. In jüngerer Zeit wird Schmitts Werk mehr inhaltlich gewürdigt. So befassen sich Autoren mit dem von Schmitt aufgeworfenen Problem, wie man die politische Einheit in einer differenzierten Gesellschaft aufrechterhalten kann, die die vielen moralischen und politischen Ansichten sowie die unterschiedlichen Ziele und Hintergründe der Menschen vereint.

Über den Autor

Carl Schmitt wird am 11. Juli 1888 im sauerländischen Plettenberg geboren und katholisch erzogen. Er studiert Jura in Berlin, München und Straßburg und wird 1910 promoviert. 1916 heiratet er die angebliche serbische Gräfin Pawla Dorotic – eine Hochstaplerin; die Ehe wird 1924 annulliert. Seine zweite Ehe schließt er 1925. Schmitt verfasst einige literarische Texte und hat Kontakt zu mehreren Dichtern. Nach seiner Habilitation lehrt er an verschiedenen Universitäten und veröffentlicht Schriften wie Politische Romantik (1919) oder Die Diktatur (1921), die ihn aufgrund ihrer sprachlichen Brillanz berühmt machen. 1927 erscheint die staatstheoretische Abhandlung Der Begriff des Politischen. Während der Weimarer Republik sucht Schmitt nach einer Macht, die in den chaotischen Verhältnissen Ordnung schaffen könnte. Ab 1930 baut er Kontakte zu dem späteren Kanzler Kurt von Schleicher auf und schmiedet mit ihm geheime Pläne für eine veränderte Verfassung. Die Reichsregierung unter Franz von Papen vertritt er erfolgreich in einem Prozess gegen das Land Preußen. 1933 tritt er in die NSDAP ein – ob aus Opportunismus oder aus Überzeugung, ist bis heute umstritten. Jedenfalls verteidigt Schmitt das Führerprinzip und die Nürnberger Rassengesetze von 1935 und unterstützt es, dass jüdische Kollegen ihre Arbeit verlieren. Seine Professur in Berlin erhält er aus staatspolitischen Gründen. 1936 wendet sich plötzlich das Blatt: Schmitt wird von einem SS-nahen Blatt als Opportunist gebrandmarkt und fällt in Ungnade, er behält aber seine Professur. Nach der deutschen Kapitulation 1945 wird er verhaftet, in den Nürnberger Prozessen aber nicht verurteilt, weil kein Straftatbestand festgestellt werden kann. Er wird aus dem Staatsdienst entlassen, zieht sich in seine Heimatstadt zurück und veröffentlicht teilweise unter einem Pseudonym. Vom Nationalsozialismus distanziert er sich nie. Schmitt stirbt am 7. April 1985 in Plettenberg.

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