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Die Maschine Mensch

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Die Maschine Mensch

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What's inside?

Körper und Seele sind ein und dasselbe: La Mettries aufklärerische Kampfschrift provoziert noch heute.


Literatur­klassiker

  • Philosophie
  • Aufklärung

Worum es geht

Ein Manifest des Materialismus

La Mettries Kampfschrift Die Maschine Mensch löste bei ihrem Erscheinen 1748 einen veritablen Skandal aus. Der Autor, ein französischer Arzt und Philosoph, war bereits im Exil in Holland und musste nun nach Preußen an den Hof Friedrichs des Großen flüchten. Selbst aufgeklärten Denkern wie Diderot oder Voltaire gingen die Ideen des Materialisten und Enfant terrible der Philosophie zu weit. Seine Definition des Menschen als eine bloße Maschine, die weder Seele noch Geist im üblichen Sinn hat und auf Gott gut und gerne verzichten kann, empfanden sie als zynisch. Dabei lag dem Autor nichts ferner als die Verachtung der menschlichen Existenz. Im Gegenteil: Aus jedem seiner Sätze spricht Bewunderung für die perfekte Maschine, für das komplizierte Zusammenspiel von Nerven, Muskeln und Körpersäften. Hört auf, über den Ursprung des Menschen, seine Seele und das Jenseits zu spekulieren, so lautet La Mettries Botschaft, erfreut euch lieber an der Schönheit der Natur. Allein das diesseitige Glück zählt, also Lebensfreude und Sinneslust. Eine Botschaft, die heute in der Hirn- und Glücksforschung auf fruchtbaren Boden fällt.

Take-aways

  • Die Maschine Mensch aus dem Jahr 1748 ist eine radikale Kampfschrift der französischen Aufklärung.
  • Für La Mettrie ist alles am Menschen Materie. Eine immaterielle, unsterbliche Seele existiert nicht.
  • Die Materie trägt das Prinzip der Bewegung in sich selbst. Es bedarf keines Gottes, um die Bewegung der Welt zu erklären.
  • Mensch und Tier sind ähnlich gebaute Maschinen, die sich nur durch ein paar „Zahnräder“ unterscheiden.
  • Nicht Spekulationen, sondern allein naturwissenschaftliche Beobachtungen berechtigen zu Aussagen über den Menschen.
  • Statt über Gott, unseren Ursprung und unser Schicksal nach dem Tod zu philosophieren, sollten wir das Leben genießen und uns an der Schönheit der Natur erfreuen.
  • La Mettrie, nicht nur Philosoph, sondern auch Arzt, begründet seine Theorie mit Beispielen aus der Medizin.
  • Sein Stil ist teils polemisch, teils aber auch sehr poetisch.
  • Die Maschine Mensch löste einen Skandal aus und zwang den Autor ins preußische Exil.
  • Selbst aufgeklärten Geistern wie Diderot und Voltaire gingen La Mettries Angriffe gegen Glaube und Religion zu weit.
  • In der Hirnforschung findet La Mettries Theorie von Seelen- und Geisteszuständen als Ergebnis der Nervenaktivitäten heute großen Zuspruch.
  • Martin Walser setzte La Mettrie in seinem Roman Der Augenblick der Liebe (2004) ein Denkmal.

Zusammenfassung

Körper und Seele sind eins

Philosophen, die den Menschen in Körper und Geist, in Leib und Seele aufteilen, irren gewaltig. Naturwissenschaftliche Beobachtungen und medizinische Untersuchungen zeigen: Der Mensch ist eine Maschine, die Seele hat ihren Sitz in den Organen. Die bis in die Antike zurückreichende Lehre von den Körpersäften stimmt auch heute noch. Je nach Zusammensetzung der vier Säfte besitzt ein Mensch ein sanguinisches, cholerisches, melancholisches oder phlegmatisches Temperament. Aufgrund der individuellen Mischung der Säfte ist jeder Mensch einzigartig. Körperliche Vorgänge haben direkte Auswirkungen auf seelische Empfindungen. Phänomene wie etwa die Hysterie oder die Hypochondrie lassen sich stets auf organische Ursachen zurückführen. Leidenschaften wie Liebe, Neid, Hass oder Ehrgeiz, die uns den Schlaf rauben, gehen mit einer gesteigerten Blutzirkulation einher. Schlaflosigkeit beruht auf einer Wechselwirkung zwischen Körper und Seele: Bewegt sich das Blut zu schnell, kann die Seele nicht schlafen, ist die Seele zu erregt, kann sich das Blut nicht beruhigen. Erst wenn sich die Bewegung des Blutes verlangsamt, kann auch die Seele wieder Ruhe finden.

Nahrung, Klima und Erziehung prägen uns

Gifte und Genussmittel verändern körperliches und seelisches Befinden gleichermaßen: Opium bereitet Ruhe und Vergnügen, Kaffee vertreibt Kopfschmerzen und Sorgen, im Gegensatz zum Wein, der diese auf den nächsten Tag verschiebt. Nahrungsmittel stärken den Körper und zugleich die Seele. Eine gute, bekömmliche Mahlzeit verschafft Freude und lässt den Kummer verschwinden. Rohes Fleisch hat beim Menschen eine ähnliche Wirkung wie bei Tieren, die es wild macht: Es erzeugt Hochmut, Hass und Überlegenheitsgefühle. Schwere Kost macht den Geist träge, faul und gleichgültig. Selbst dem unbestechlichsten, nüchternsten Richter unterlaufen nach einer schweren Mahlzeit Fehlurteile. Umgekehrt verleitet der Hunger zu Raserei und grausamsten Taten selbst gegen die eigenen Kinder. Man könnte fast meinen, die Seele wohne im Magen! Ebenso wie die Ernährung hat das Klima großen Einfluss auf den Geist und die Gewohnheiten der Menschen. Und auch die Gesellschaft, in der man aufwächst, spielt eine entscheidende Rolle. Der Geist braucht tägliche Übung und gute Erziehung, wenn er nicht einrosten soll.

„Man wird vielleicht erstaunt sein, dass ich es gewagt habe, meinen Namen auf ein so kühnes Buch wie dieses zu setzen. Ich hätte es gewiss nicht getan, wenn ich nicht der Meinung gewesen wäre, dass die Religion vor allen Versuchen, die man unternimmt, sie“

Zwischen der Anatomie des menschlichen und derjenigen des tierischen Gehirns bestehen große Ähnlichkeiten. Der Mensch ist das Lebewesen mit den meisten Gehirnwindungen, gefolgt vom Affen, dem Biber, dem Fuchs und der Katze. Es gilt also: Je wilder die Tiere, desto weniger Gehirn. Und umgekehrt: Je mehr ihr Geist wächst, desto geringer wird ihr Instinkt. Entscheidend ist allerdings nicht die Größe des Gehirns, sondern seine Zusammensetzung aus festen und flüssigen Bestandteilen, Gefäßen und Nervenfasern. Anatomische Beobachtungen beweisen, dass ein kräftiger Körper die Voraussetzung für eine gesunde Seele und einen scharfsinnigen Geist ist.

Sprache unterscheidet den Menschen vom Tier

Die auffällige anatomische Ähnlichkeit zwischen Mensch und Affe legt die Vermutung nahe, dass ein Affe bei richtiger Unterweisung das Sprechen lernen könnte. Würde man ihm die Sprache beibringen, wäre er ein vollkommener Mensch, fähig zu denken und aus seiner Erziehung Nutzen zu ziehen. Vor der Erfindung der Sprache war der Mensch nur eine Art unter vielen, die sich kaum von Affen oder anderen Tieren unterschied. Erst durch die Wörter, die Sprache, die Gesetze und Wissenschaften wurde sein Geist geschliffen.

„Es genügt nicht, dass ein Weiser die Natur und die Wahrheit erforscht; er muss auch wagen, sie auszusprechen zugunsten der kleinen Zahl derer, die denken wollen und können.“ (S. 21)

Wer aber hat als Erster gesprochen? Es waren die am besten gebauten Menschen, die von der Natur mir besonderer Wahrnehmungs- und Ausdrucksfähigkeit ausgestattet worden waren. Sie begannen, ihre Eindrücke und Empfindungen auszudrücken, erst durch Bewegungen, dann durch spontane Laute. Sie gebrauchten ihr Gefühl oder ihren Instinkt, um Geist und später spezielle Kenntnisse zu erwerben. Nach und nach füllten sie ihr Gehirn mit Zeichen, Wörtern und Ideen. Wie kleine Kinder lernten sie, die Dinge, Figuren und Zahlen zu unterscheiden. Heute sind Gegenstände und deren Zeichen in unserem Gehirn unlösbar miteinander verknüpft; es kommt kaum vor, dass wir uns eine Sache ohne ihren Namen vorstellen.

Die Einbildungskraft

Das Wesen der menschlichen Seele ist die Einbildungskraft, während Urteilsvermögen, Verstand und Gedächtnis nur Teile von dieser sind. Wahrnehmen, Analogien herstellen, Schlüsse ziehen, sich die Dinge mit ihren Figuren und Wörtern vorstellen – all dies leistet die Einbildungskraft. Sie überlegt, ergründet und empfindet zugleich. Sie erweckt Wissenschaften, Künste, Landschaften und Geräusche zum Leben. Ohne sie wäre die Liebe nur Wollust und die Philosophie nur staubtrockene Pedanterie. All unser Wissen, unsere Gelehrsamkeit und Tugend verdanken wir allein der natürlichen Veranlagung der Einbildungskraft. Sie muss allerdings auch trainiert werden. Je mehr wir sie beanspruchen, desto größer, kräftiger, umfassender und denkfähiger wird sie. Ohne Übung ist das bestkonstruierte Gehirn nutzlos. Ein gut gebautes und unterrichtetes Gehirn nimmt Ideen auf, verarbeitet sie und zieht daraus neue Schlussfolgerungen. So entwickelt sich der menschliche Geist stetig weiter.

„Der menschliche Körper ist eine Maschine, die selbst ihre Triebfedern aufzieht – ein lebendes Abbild der ewigen Bewegung.“ (S. 35)

Es ist ein Irrtum vieler Philosophen, zu glauben, der Geist sei für die Wissenschaften, die Einbildungskraft dagegen für die Kunst zuständig. In Wirklichkeit sind Geist, Genie und Einbildungskraft nur verschiedene Ausdrücke für dasselbe. Die Einbildungskraft bringt ebenso Künste hervor wie Wissenschaften und Philosophie. Allerdings muss sie schon früh daran gewöhnt werden, sich im Zaum zu halten, die unablässig, chaotisch einströmenden Ideen zu bändigen und sie zu ordnen.

Mensch und Tier sind aus demselben Stoff

Was den Instinkt betrifft, ist der Mensch dem Tier unterlegen. Das ist ein Nachteil, solange seine Vernunft noch nicht ausgebildet ist: Ein verloren gegangenes Kind wird hilflos zu weinen anfangen; ein verlorener Hund dagegen findet dank seines Geruchssinns schon bald zu seinem Herrn zurück. Erst die Wunder der Erziehung erheben den Menschen über das Tier, erst der Geist macht ihn zum Menschen. Die Tauben, Blinden und Schwachsinnigen gehören nur dem Körper, nicht aber dem Geist nach zur Gattung Mensch. Sie sind Tiere in Menschengestalt. Vergleicht man das Wunder der menschlichen Entstehung von der Befruchtung der Eizelle bis zur Entwicklung des Fötus, zeigen sich auffällige Ähnlichkeiten zur Tier-, ja selbst zur Pflanzenwelt.

„Wir halten uns für rechtschaffene Menschen und sind es doch nur, solange wir heiter und beherzt sind; alles hängt davon ab, wie unsere Maschine zusammengesetzt ist.“ (S. 37)

Man mag einwenden, es gebe doch noch etwas, was den Menschen vom Tier unterscheide, nämlich seine Kenntnis von Gut und Böse. Aber wer sagt uns denn, dass Tiere dieses Empfinden nicht auch haben? Der Hund, der seinen Herrn gebissen hat, bereut es und schämt sich. Ein Löwe greift unter Umständen einen Menschen nicht an, weil er in ihm seinen Wohltäter erkennt. Tiere sind uns in ihrem Wesen ähnlich, sie führen dieselben Verrichtungen aus wie wir, sie haben dieselben Empfindungen, Schmerzen und Freuden. Warum also sollten sie nicht auch Unrecht empfinden und gute von bösen Taten unterscheiden können? Für Tiere wie für Menschen gilt: Je nach ihrem Temperament können sie mehr oder weniger grausam sein. Sie sind aus demselben Stoff; dem Tier fehlt nur ein gewisser Grad an Entwicklung, um dem Menschen gleich zu sein.

Das Naturgesetz von Gut und Böse

Es gibt ja auch Menschen, die barbarisch handeln und Laster nicht von Tugend unterscheiden können. Soldaten kämpfen gegeneinander, fesseln und töten sich ohne Gewissensbisse. Die Zeitungen sind voll von Geschichten über Menschen, die stehlen und morden, sogar über Mütter, die ihre Kinder töten und aufessen. Hinterher bereuen diese Frauen ihre Grausamkeit, im Augenblick der Tat aber sind sie nicht zurechnungsfähig. Die Vernunft ist Sklavin ihrer rasenden Sinne – daher sollten sie nicht schuldig gesprochen werden. Leider erkennen die Richter das nicht und lassen immer wieder Frauen für ihre unwillentlichen Verbrechen rädern, verbrennen und lebendig begraben. Dabei ist die schlimmste Strafe ohnehin das eigene Gewissen.

„Der Mensch ist aus keinem wertvolleren Lehm geknetet; die Natur hat ein und denselben Teig verwendet, bei dem sie lediglich die Hefezusätze verändert hat.“ (S. 77)

Der Tugendhafte wird durch das Glück belohnt, das er empfindet, wenn er Gutes tut und anderen Freude bereitet. Glücklich zu sein ist denn auch die Bestimmung von Mensch und Tier. Die Natur hat allen Lebewesen ein Gesetz mitgegeben, ein Gefühl dafür, was wir nicht tun dürfen, weil wir nicht wollen, dass man es uns antut. Vielleicht achten wir den Geldbeutel und das Leben der anderen nur aus Furcht um unser eigenes Hab und Gut. Dieses innere Naturgesetz existiert unabhängig von allen erzieherischen Maßnahmen, unabhängig von religiösen und staatlichen Gesetzen.

Gibt es einen Gott?

Wenn es ein höheres Wesen gibt, so ist es sicher nicht auf die strenge Frömmigkeit oder den religiösen Kult der Menschen angewiesen. Der Sinn der Existenz des Menschen ist nicht außerhalb zu suchen, sondern besteht in dieser Existenz selbst. Der Mensch ist wie ein Wurm auf die Erde geworfen, ohne dass man wissen kann, warum. Wie die Pilze und Gräser muss er leben und sterben – mehr weiß man nicht. Ob es einen Gott gibt oder nicht, kann uns letztlich egal sein, denn wir werden es nie wissen, und wenn wir es wüssten, würde es uns auch nicht glücklicher machen. Jegliches Philosophieren darüber ist nutzlos und langweiliges Geschwätz.

„Die Natur hat uns alle einzig dazu geschaffen, glücklich zu sein; ja, alle – vom kriechenden Wurm bis zum Adler, der sich in den Wolken verliert.“ (S. 83)

Alles im Universum hat physische Ursachen, aber weil wir diese oft nicht kennen, nehmen wir unsere Zuflucht zu Gott. Wir leugnen, dass alles auf Zufall beruhen könnte, und berufen uns auf ein höheres Wesen. Dabei verkennen wir, dass noch etwas Drittes im Spiel sein könnte, was weder Zufall noch Gott ist: die Naturgesetze. Die Naturforscher können uns erklären, welche Kräfte die Welt geschaffen haben, wie sich die Erde zusammensetzt, wovon sie umgeben ist. Sie können darlegen, dass die Sonne ein natürliches Erzeugnis ist, ebenso wie z. B. die Elektrizität, und dass sie nicht eigens dazu geschaffen wurde, den Menschen zu wärmen. Ebenso wenig wurde der Regen geschaffen, um unsere Felder zu begießen, und die Wasseroberfläche, damit wir uns darin spiegeln können. Nur die Naturgesetze haben Gültigkeit. Eine andere Religion als die der Natur ist Heuchelei, Aberglaube und Götzendienst.

Die Seele ist eine Körperfunktion

Die Fähigkeiten unserer Seele hängen vom organischen Bau unseres Körpers ab, ja sie sind dieser Bau selbst. Der Mensch ist eine „gut erleuchtete Maschine“. Selbst wenn man annimmt, dass er im Unterschied zum Tier ein Bewusstsein für Gut und Böse besitzt, so bleibt er doch eine Maschine – ausgestattet mit ein paar zusätzlichen Rädern und Triebfedern. Der Körper hat alles, was er braucht, um zu denken und zu fühlen.

„Wie sollen wir jetzt das Naturgesetz definieren? Es ist ein Gefühl, das uns lehrt, was wir nicht tun dürfen, weil wir nicht wollen, dass man es uns antut.“ (S. 85)

Experimente mit Tieren, deren Muskeln nach dem Tod weiterzucken, beweisen: Jede kleinste Faser des Körpers bewegt sich durch ein ihr eigenes Prinzip, unabhängig vom zentralen Nervensystem, das willkürliche Bewegungen steuert. Das Bewegungsprinzip sitzt im Körperbau, jeder Teil der Maschine Mensch hat seine eigenen Triebfedern. Der Fluchtreflex, das Verengen der Pupillen bei Lichteinfall, das Zusammenziehen der Hautporen bei Kälte, die Kontrolle der Schließmuskeln und die Erektion – all dies sind mechanische Reaktionen auf äußere Reize. So wie die Beine Muskeln zum Laufen haben, hat das Gehirn Muskeln zum Denken. Der Sitz der Seele ist das Gehirn, hier haben die Nerven ihren Ausgangspunkt. Alle menschlichen Gefühle, Gedanken und Leidenschaften entspringen von hier aus. Daraus folgt: Der Mensch ist nur eine Zusammensetzung von Triebfedern, die sich gegenseitig aufziehen. Die Seele ist ein besonders empfindlicher Teil des Gehirns, der Haupttriebfeder der ganzen Maschine.

„Wer weiß übrigens, ob der Sinn der Existenz des Menschen nicht in seiner Existenz selbst liegt?“ (S. 85)

Wir bilden uns ein, unsere Existenz einer Ursache zu verdanken, die bedeutender ist als chemische Prozesse. Wir verachten die Materie. Wir verschließen unsere Augen vor der schöpferischen Leistung der Natur, die eine Getreideähre mit der gleichen Leichtigkeit und Freude hervorbringt, wie sie ein menschliches Genie erschafft. Statt uns Spekulationen über unseren Ursprung und unser Schicksal nach dem Tod hinzugeben, sollten wir unsere Unkenntnis akzeptieren, die Schönheit der Natur bewundern und das Leben genießen.

Zum Text

Aufbau und Stil

Julien Offray de La Mettries Die Maschine Mensch ist – abgesehen von einer kurzen Einleitung – in einem einzigen Stück ohne Unterteilungen verfasst. Der Text scheint mit heißer Feder geschrieben zu sein, und noch heute ist die Lust an der Provokation in jeder Zeile spürbar. Mit Ironie und bissigem Spott überzieht der Arzt und Philosoph seine Kollegen und die Theologen seiner Zeit, die komplizierte Systeme errichten und größte Denkanstrengungen unternehmen, um die Existenz der menschlichen Seele zu beweisen – unter Ausklammerung der körperlichen Funktionen. La Mettries materialistische Kampfschrift ist polemisch, mitunter aber auch sehr bildhaft und poetisch. Das macht ihren stilistischen Reiz aus: Auf der einen Seite schwelgt der Autor geradezu in Blut und Schleim, auf der nächsten Seite schon gerät er in Verzückung über den Flügelschlag eines Schmetterlings. Die zahlreichen Beispiele, mit denen er seine Theorie untermalt, entstammen hauptsächlich dem medizinischen, häufig auch dem sexuellen Bereich. Dabei nimmt La Mettrie – zum Entsetzen seiner Zeitgenossen – kein Blatt vor den Mund. Von der Schlaflosigkeit bis zum Völlegefühl, von Erektionen bis hin zu Potenzproblemen: Nichts Menschliches ist ihm fremd oder unwert, analysiert zu werden.

Interpretationsansätze

  • La Mettrie wendet sich gegen die auf Platon zurückgehende und von Descartes aufgegriffene Zweisubstanzenlehre, die das Denken bzw. die Seele strikt vom Körperlichen, Materiellen trennt. Diesem philosophischen Dualismus setzt er seinen materialistischen Monismus entgegen und betont die Idee vom ganzen Menschen, in dem Körper und Seele eine unauflösbare Einheit bilden.
  • Erfahrung und Beobachtung sind für den Materialisten La Mettrie die einzigen Mittel, um zuverlässige Aussagen über die Natur zu machen. Damit stellt er sich in die Tradition von John Lockes Empirismus, der alle wissenschaftliche Erkenntnis aus der Sinneswahrnehmung und Naturbeobachtung ableitet.
  • In religiösen Fragen zeigt sich La Mettrie radikaler und kompromissloser als selbst der unerbittliche Kirchengegner Voltaire. Er greift nicht nur religiöse Praktiken und die Kirche an, sondern stellt die Existenz Gottes überhaupt infrage. Seinem äußerst kämpferischen Atheismus zufolge sollten an die Stelle der Theologen Ärzte treten – sie allein hätten Einblick in menschliche Verhaltensweisen.
  • Die Aufforderung, das Leben zu genießen, statt über Gott, die Seele und das Jenseits zu spekulieren, brachte La Mettrie den Vorwurf des Hedonismus ein. Tatsächlich bekannte sich der Materialist zu den Lehren des antiken Philosophen Epikur und empfahl ungehemmtes Streben nach diesseitigem Glück, d. h. nach Sinneslust.
  • Indem La Mettrie dem Leben jeden höheren Sinn abspricht und die Existenz des Menschen aus sich selbst heraus begründet, nimmt er nihilistische und existenzialistische Positionen vorweg. Sein biologistisches, antimoralistisches Weltbild macht ihn zu einem Vorläufer des Marquis de Sade.

Historischer Hintergrund

Die französische Aufklärung

Mitte des 18. Jahrhunderts erschien in Paris die von Denis Diderot und Jean d’Alembert herausgegebene Encyclopédie. Das Lexikon, das trotz staatlichen Verbots in Zehntausenden von Exemplaren gedruckt wurde und sich rasch zum Bestseller seiner Zeit entwickelte, spiegelte den Geist der Aufklärung perfekt. Unter französischen Intellektuellen herrschte ein ungebrochener Glaube an die Macht von Vernunft und Wissenschaft. Durch Erziehung hoffte man das allgemeine Wohl und die Tugend zu befördern und schließlich die ganze Menschheit in eine freiere, glücklichere Zukunft zu führen. Die Aufklärer richteten sich gegen etablierte Autoritäten in Kirche und Staat ebenso wie gegen den Aberglauben und die okkulten Gebräuche der breiten Massen.

Die Kritik der Aufklärer an der absolutistischen Gesellschaft führte in Frankreich zu einer massiven Veränderung der literarischen Produktion, die von Zensur, Verboten und Verfolgung bestimmt war. Viele Autoren sahen sich gezwungen, ihre Werke anonym oder im Ausland zu veröffentlichen. Während in Frankreich unter der absoluten Monarchie eine Opposition heranwuchs, die schließlich die Französische Revolution durchführte, öffneten sich andere Staaten wie Preußen, Österreich und Russland schrittweise den Ideen der Aufklärer. Sie ließen Reformen in der Verwaltung, im Schul- und Rechtswesen und in der Kirchenpolitik zu, ohne die ständische Ordnung und die Rolle der Monarchen anzutasten. Insbesondere Preußens König Friedrich der Große war in ganz Europa für seine Toleranz gegenüber religiösen Minderheiten und für seine freidenkerische Haltung berühmt. An seinem Hof in Potsdam empfing er aufgeklärte Denker seiner Zeit, darunter auch Voltaire, mit dem er eine intensive Korrespondenz unterhielt.

Entstehung

Als Schlüsselerlebnis, das ihm die Augen für den engen Zusammenhang zwischen Körper und Geist öffnete, nannte La Mettrie eine schwere Erkrankung. Während eines Feldzugs im Österreichischen Erbfolgekrieg, an dem er als Leibarzt des Duc de Gramont teilnahm, erfasste ihn ein heftiges, von Wahnvorstellungen begleitetes Fieber. Er konnte an sich selbst beobachten, wie der kranke Körper seinen Geistes- und Gemütszustand beeinflusste. Seine Erkenntnisse schrieb er 1745 in der Histoire naturelle de l’âme nieder. Sie wurde wegen ihres ketzerischen Inhalts in Frankreich öffentlich verbrannt.

Ab 1747 spitzten sich die Angriffe gegen La Mettrie in einer Weise zu, dass er sich gezwungen sah, Frankreich zu verlassen und nach Holland zu fliehen. Die Arbeit an seinem Hauptwerk begann er im niederländischen Exil. Dort wurden aufgrund der relativ großzügigen Zensurbestimmungen verbotene Bücher für ganz Europa gedruckt. La Mettries Schrift erschien anonym bereits im Oktober 1747, wurde aber auf 1748 vordatiert.

Schon einige Zeit vorher hatte René Descartes das Tier als eine Art Maschine bezeichnet. La Mettrie warf dem berühmten Philosophen vor, die Maschinenhaftigkeit und die animalische Natur des Menschen zwar erkannt, aus Angst vor kirchlicher und staatlicher Verfolgung jedoch darüber geschwiegen zu haben.

Wirkungsgeschichte

Unmittelbar nach Erscheinen löste L’homme machine einen Skandal aus. Selbst die für ihre Toleranz bekannten Niederländer konnten ein solch provozierendes, offen atheistisches Pamphlet nicht dulden. Mit Mühe und Not gelang es dem Autor, aus Holland über die Grenze nach Preußen zu fliehen. Am Hof des aufgeklärten preußischen Königs erhielt der verfolgte Philosoph schließlich Asyl.

L’homme machine, das in den Augen der Zeitgenossen nicht zuletzt wegen seiner freimütigen Behandlung sexueller Themen gegen Moral und Sitte verstieß, fand selbst unter aufgeklärten Denkern vorerst keinen Zuspruch. Erst der deutsche Sozialphilosoph Friedrich Albert Lange würdigte in den 1860er Jahren diesen „Prügelknaben des französischen Materialismus“ und dessen Rolle als Begründer einer neuen philosophischen Denkrichtung. La Mettries Ethik lehnte allerdings auch er ab. Es sollte noch knapp ein Jahrhundert dauern, bis L’homme machine ohne moralische Empörung philosophisch-wissenschaftlich untersucht wurde. Der Schriftsteller Martin Walser bezog sich in seinem 2004 erschienenen Roman Der Augenblick der Liebe auf La Mettrie und setzte dem Franzosen damit ein literarisches Denkmal.

In Zeiten von Hirnforschung, Computersimulationen und künstlicher Intelligenz erhält die Diskussion über das Verhältnis von Körper und Geist neue Aktualität. Besonders in der Neurobiologie, die seelisch-geistige Zustände auf elektrochemische Aktivitäten von Nervenzellen zurückführt, findet La Mettries Modell eine verblüffende Entsprechung.

Über den Autor

Julien Offray de La Mettrie wird am 19. Dezember 1709 als Sohn eines wohlhabenden Kaufmannes in Saint-Malo geboren. 1725 beginnt er mit dem Studium der Philosophie, wechselt aber schon bald zur Medizin. Nach seiner Promotion 1733 zieht er ins niederländische Leiden, wo der damals berühmte Mediziner Herman Boerhaave lehrt. La Mettrie übersetzt dessen Schriften ins Französische und beginnt eigene Abhandlungen zu verfassen. Zwei Jahre später kehrt er in seine bretonische Heimatstadt zurück, heiratet und arbeitet als Arzt. 1742 verlässt er seine Familie, um Sanitätsoffizier und Leibarzt des Duc de Gramont zu werden, den er auf Feldzügen begleitet. Durch einen heftigen Fieberanfall mit Wahnvorstellungen erlebt er, welchen Einfluss der kranke Körper auf den Geist ausübt. Das Thema beschäftigt ihn fortan in seinen Schriften, u. a. in Histoire naturelle de l’âme (Naturgeschichte der Seele) und in La volupté (Die Kunst, Wollust zu empfinden), beide 1745 erschienen. Seine scharfe Kritik an Pariser Kollegen zwingt ihn ins holländische Exil, während seine Schriften in Frankreich verbrannt werden. Mit L’homme machine (Die Maschine Mensch, 1747) treibt er es allerdings selbst in den Augen der toleranten Holländer zu weit: La Mettrie flieht an den Hof Friedrichs des Großen. In Potsdam genießt der Querdenker zunächst Narrenfreiheit. Doch seinen skandalösen Discours sur le bonheur (Über das Glück, 1748), ein Buch über Scham- und Schuldgefühle, kann sogar der aufgeklärte preußische Monarch nicht dulden und verbietet die Schrift. Am 11. November 1751 stirbt La Mettrie im Alter von 42 Jahren am Hof Friedrichs – ob infolge einer riesigen Trüffelpastete oder eines Giftanschlags, bleibt bis heute ungeklärt.

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