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System des transzendentalen Idealismus

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System des transzendentalen Idealismus

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What's inside?

Eines der Hauptwerke des Deutschen Idealismus: Wie kommen wir zu unserem Wissen und Wollen?

Literatur­klassiker

  • Philosophie
  • Deutscher Idealismus

Worum es geht

Das Ich und die Welt

Wie kommen wir zu unserem Wissen über die äußere Welt? Schelling hat eine überraschende Antwort: Wir haben überhaupt keinen direkten Zugang zur Außenwelt, sondern können sie nur über die uns innewohnenden Mechanismen der Erkenntnis erfahren. Um ein Selbstbewusstsein entwickeln zu können, muss sich unser Ich in zwei Bereiche aufspalten: einen subjektiven, bewussten Teil, den wir als unser wahres Selbst empfinden, und einen objektiven, unbewussten Teil, der uns die Objekte der äußeren Welt widerspiegelt. So entsteht ein Bild der Welt in unserem Kopf, ohne dass wir uns bewusst sind, dass es sich letztlich nur um eine Wechselwirkung der beiden Hälften unseres Ichs handelt. Das hat Konsequenzen für Ethik und Geschichte, sagt Schelling: Unser Handeln sei zwar individuell frei, werde aber durch das Zusammenspiel mit anderen Intelligenzen so ausgerichtet, dass sich daraus eine Menschheitsgeschichte entwickle, die insgesamt zum Fortschritt führe und so die göttliche Vorsehung erfülle. Gott wiederum sei das Absolute, die völlige Identität von Subjektivem und Objektivem. Auch wenn diese Überlegungen heute ziemlich esoterisch anmuten – zu ihrer Zeit waren sie die prägende philosophische Lehre.

Take-aways

  • System des transzendentalen Idealismus ist das bekannteste Werk des deutschen Philosophen Schelling.
  • Als er das Buch als 25-Jähriger veröffentlichte, schloss er damit bereits die erste Phase seiner philosophischen Entwicklung ab.
  • Inhalt: Ausgehend von der Frage, wie der Mensch die Welt im Geist produziert, berührt Schelling wesentliche Bereiche des menschlichen Wissens, von den Naturwissenschaften über Staatstheorie, Geschichtsphilosophie und Theologie bis zur Kunsttheorie. Dabei entwirft er eine einheitliche Systematik des Wissens.
  • Schelling war zusammen mit Hegel und Fichte ein Hauptvertreter des Deutschen Idealismus, der die Grenzen menschlicher Erkenntnis auslotete.
  • Sein System des transzendentalen Idealismus ist stark von Fichte beeinflusst, daneben aber auch von Spinoza.
  • Noch zu Lebzeiten sah Schelling sich zunehmender Kritik ausgesetzt; ihm wurden u. a. Amoralismus und Atheismus vorgeworfen.
  • Schelling kann als früher Vertreter des Konstruktivismus angesehen werden: Was wir für die wirkliche Welt halten, ist erst einmal nur die Welt in unserem Kopf.
  • Seine Kunsttheorie, in der er das Zusammenspiel von Bewusstem und Unbewusstem beschreibt, beeinflusste die Dichter der Romantik.
  • Der Idealismus war eine Zeit lang die vorherrschende Philosophie in Deutschland, wurde dann jedoch von Denkern wie Marx oder Nietzsche bekämpft.
  • Zitat: „Alles Wissen beruht auf der Übereinstimmung eines Objektiven mit einem Subjektiven.“

Zusammenfassung

Wie wir zu unserem Wissen kommen

Wir Menschen glauben einer Außenwelt gegenüberzustehen, über die wir durch unsere Sinne Informationen erhalten. Wir glauben, dass wir diese Außenwelt empirisch erfassen können und dass sie, so wie wir sie sehen, unabhängig von uns existiert. Bei einer philosophischen Analyse stellt sich der Vorgang des Wissenserwerbs aber völlig anders dar.

„Alles Wissen beruht auf der Übereinstimmung eines Objektiven mit einem Subjektiven. – Denn man weiß nur das Wahre; die Wahrheit aber wird allgemein in die Übereinstimmung der Vorstellungen mit ihren Gegenständen gesetzt.“ (S. 9)

Unser Eindruck der Außenwelt entsteht nach Regeln, die in unserem Ich verankert sind. Wir verspüren eine Begrenztheit, die wir auf die Außenwelt projizieren. Während unser Vorstellungsvermögen unbegrenzt ist, stoßen wir auf Grenzen, wenn wir uns die objektive Realität vorstellen wollen – denn das können wir nicht auf jede beliebige Weise. Wir erkennen z. B., dass es Gesetzmäßigkeiten gibt, denen die Realität unterworfen ist. Diese Begrenzung liegt aber nicht in der Außenwelt, sondern in unserem Innern, in den Gesetzen unseres eigenen Denkens und Erkennens.

„Die objektive Welt ist nur die ursprüngliche, noch bewusstlose Poesie des Geistes; das allgemeine Organon der Philosophie – und der Schlussstein ihres ganzen Gewölbes – die Philosophie der Kunst.“ (S. 19)

Dass unser Weltbild begrenzt ist, liegt also an uns selbst, nicht in irgendwelchen objektiven Gegebenheiten der äußeren Realität. Wir können die Welt nur in einer bestimmten Weise entwerfen, weil wir in uns nur die Veranlagung zu einem bestimmten Entwurf tragen.

Subjektiver und objektiver Teil des Ichs

Der Prozess, in dem wir uns die Welt in unserem Kopf schaffen, läuft unbewusst ab. Solange wir die Sache nicht philosophisch analysieren, erkennen wir nicht, dass es in unserem Ich einen subjektiven Bereich unbegrenzter Ideen gibt und einen objektiven Bereich, der diese Ideen in begrenzter Weise auf die von uns wahrgenommene Realität anwendet.

„Das Ich ist gar nicht vor jenem Akt, wodurch das Denken sich selbst zum Objekt wird; es ist also selbst nichts anderes als das sich Objekt werdende Denken, und sonach absolut nichts außer dem Denken.“ (S. 36)

Die Trennung der beiden Bereiche ermöglicht es uns, ein Selbstbewusstsein zu entwickeln: Wir können uns nur als Individuum erkennen, wenn wir gleichzeitig etwas empfinden, das außerhalb unserer subjektiven Selbstwahrnehmung liegt. Der Teil unseres Ichs, der erkennt: „Ich bin“, wird damit zum Subjekt. In diesem Bewusstsein der eigenen Existenz blicken wir dann nach außen. Dabei sehen wir aber in Wirklichkeit nicht die Außenwelt, sondern den objektiven Teil unseres Ichs, der nach den ihm innewohnenden Gesetzen des Denkens unserem subjektiven Ich eine Weltsicht präsentiert. Weil dieser Prozess unbewusst abläuft, glauben wir, unsere Weltsicht sei objektiv und würde sich aus einer äußeren Realität ergeben – ohne unser Zutun.

„Die Freiheit ist das einzige Prinzip, auf welches alles aufgetragen ist, und wir erblicken in der objektiven Welt nichts außer uns Vorhandenes, sondern nur die innere Beschränktheit unserer eigenen freien Tätigkeit.“ (S. 49)

Der Faktor, der den beschriebenen Prozess zu einem unbewussten macht, ist die Zeit. Wir leben im Grunde immer nur im Augenblick, im gegenwärtigen Moment. Dies deshalb, weil Denken immer ein punktueller Vorgang ist. Was wir aber denken und als Weltsicht produzieren, hängt von jenem unbewussten Prozess in der Vergangenheit ab, in dem wir unser Selbstbewusstsein entwickelt haben. Uns ist nicht bewusst, dass unsere gegenwärtige Sicht der Welt ein Produkt dieses Prozesses ist, der zeitlich vor dem gegenwärtigen Denken liegt und sich so diesem Denken als äußere, objektive Einwirkung präsentiert. Nur die philosophische Analyse kann offenlegen, dass das, was wir für unser Ich und die Außenwelt halten, in Wahrheit dem Zusammenspiel des subjektiven und des objektiven Ich-Teils entspringt.

Wissen als Kooperation von unterschiedlichen Intelligenzen

Wir haben also in Wirklichkeit gar keinen unmittelbaren, direkten Zugang zu einer außerhalb unseres Ichs liegenden Realität. Wie können wir trotzdem zu objektivem Wissen gelangen? Jeder Mensch verkörpert eine individuelle Intelligenz, die über bewusste und unbewusste Erkenntnisprozesse zu einer bestimmten Weltsicht gelangt. Objektive Wahrheiten entstehen dadurch, dass die Menschen ihre Weltsichten miteinander vergleichen. Das, was alle Menschen gleich sehen, ist die objektive Wahrheit über die uns umgebende Natur, also die Weltsicht, die alle gleichermaßen aus dem Zusammenspiel ihres subjektiven und objektiven Ichs entwickelt haben.

„Absolute Freiheit aber ist identisch mit absoluter Notwendigkeit. Könnten wir uns z. B. ein Handeln in Gott denken, so müsste es absolut frei sein, aber diese absolute Freiheit wäre zugleich absolute Notwendigkeit, weil in Gott kein Gesetz und kein Handeln denkbar ist, was nicht aus der inneren Notwendigkeit seiner Natur hervorgeht.“ (S. 64)

In den Naturwissenschaften zeigt sich das daran, wie die Menschen die Materie „konstruieren“. Die Vorgänge in unserem Ich spiegeln sich in der Art und Weise wider, wie wir als Menschen gemeinsam die materielle, objektive Welt als Konstrukt unseres Geistes produzieren. In der Natur, wie wir sie erkennen, zeigt sich die Aufspaltung unseres Ichs in Subjektives und Objektives. Phänomene wie die Elektrizität weisen auf die dynamische Natur dieser von uns konstruierten Welt hin. Die höchste Ebene unserer Natursicht ist die Erkenntnis von Wechselwirkungen, wie etwa im Magnetismus.

„Denn die Intelligenz ist in ihrem Produzieren nicht frei, sondern durch Gesetze eingeschränkt und gezwungen.“ (S. 167)

Wir müssen uns vergegenwärtigen, dass es für den Menschen im Grunde keine „geistlose Natur“ geben kann. Wir können selbst angeblich empirische Erkenntnisse, etwa aufgrund physikalischer Experimente, nur gefiltert durch unsere eigenen Mechanismen der Erkenntnis wahrnehmen.

Die Entwicklung des Geistes

Indem der Philosoph die Entstehung des Ichs analysiert, sieht er zuerst, dass es sich in einen bewussten, subjektiven Teil und einen unbewussten, objektiven Teil aufspaltet. Dann erkennt er, dass das Ich als Ganzes zu einem Bewusstsein seiner selbst und der Natur voranschreitet. Zuletzt wird ihm die Wechselwirkung dieser Teile des Ichs bewusst, die Synthese aus Ich und Welt, die im Ich selbst vollzogen wird. Die äußere Welt ist in diesem Sinne nur „geronnener Geist“, das festgeschriebene Konstrukt des geistigen Ichs.

„Insofern nämlich das Ich alles aus sich produziert, insofern ist alles, nicht etwa nur dieser oder jener Begriff, oder wohl nur die Form des Denkens, sondern das ganze eine und unteilbare Wissen a priori.“ (S. 198)

Deutlich wird das im Prinzip der Organisation: Der Mensch sieht aufgrund seiner eigenen geistigen Entwicklung eine Organisation in der Natur, er sieht, wie alles zusammenhängt. Diese Organisation ist objektiv, weil sie von allen Intelligenzen so gesehen wird und weil alles Denken den gleichen Gesetzmäßigkeiten unterliegt.

„Was nun aber die transzendentale Notwendigkeit der Geschichte betrifft, so ist sie in dem Vorhergehenden schon dadurch abgeleitet, dass den Vernunftwesen die universelle rechtliche Verfassung als ein Problem aufgegeben ist, was nur durch die ganze Gattung, d. h. eben nur durch Geschichte realisierbar ist.“ (S. 262)

Die Entwicklung menschlicher Selbsterkenntnis entspricht unserer Geistesgeschichte. Sie führt in mehreren Epochen bis zur höchsten Stufe unserer Intelligenz. In der ersten Epoche erfahren wir das Gefühl der Begrenztheit. Dieses Empfinden führt dazu, dass wir eine Natur außerhalb von uns selbst als gegeben annehmen. Unser Bestreben, diese Natur objektiv zu erfassen, führt in der zweiten Epoche zur „produktiven Anschauung“: Wir entwerfen uns selbst eine Vorstellung dieser Welt. Die dritte Stufe ist die Reflexion: Wir erkennen, dass die Welt von Organisationsprinzipien geprägt ist und alles darin Wechselwirkungen unterliegt.

„Jede einzelne Intelligenz kann betrachtet werden als ein integrierender Teil Gottes, oder der moralischen Weltordnung.“ (S. 267)

Aus dieser Erkenntnis der organisierten Welt, in der die einzelnen Elemente sich gegenseitig beeinflussen, erwächst unser Wollen, also das Bedürfnis, aufgrund eigener freier Entscheidung in dieses System einzugreifen und selbst eine Wirkung zu erzeugen – im Sinne unserer eigenen Ziele. Wir entwickeln den Wunsch, unsere Umwelt unseren Idealen gemäß zu verändern. Diese Ideale sind uns aber wiederum bereits durch unsere Denkmechanismen vorgegeben.

Die Grenzen der theoretischen Philosophie

Die Natur wird von uns a priori, d. h. aufgrund unserer eigenen, uns innewohnenden Gesetzmäßigkeiten, bestimmt. Die a priori in uns angelegten Begriffe sind uns aber nicht angeboren, sie entstehen vielmehr dynamisch in unserer empirischen Beziehung zur objektiven Welt. Angeboren ist uns nur die menschliche Natur samt ihren spezifischen Mechanismen der Erkenntnisfindung.

„Das Kunstwerk nur reflektiert mir, was sonst durch nichts reflektiert wird, jenes absolut Identische, was selbst im Ich schon sich getrennt hat; was also der Philosoph schon im ersten Akt des Bewusstseins sich trennen lässt, wird, sonst für jede Anschauung unzugänglich, durch das Wunder der Kunst aus ihren Produkten zurückgestrahlt.“ (S. 296 f.)

Zu klären, wie diese Begriffe entstehen, ist die Domäne der theoretischen Philosophie. Ein Verständnis dieses Vorgangs reicht aber nicht aus, um alle Phänomene des menschlichen Lebens in ihren Ursprüngen und Auswirkungen zu erklären. Denn neben der Frage, wie wir unser Wissen erlangen, steht die Frage, wie wir dazu kommen, etwas zu wollen, die Frage also, woraus der menschliche Wille erwächst, ob er wirklich frei ist – und wie eine solche individuelle Freiheit die Entwicklung der gesamten Menschheit beeinflusst.

Vom Wollen und Sollen

Unser Wollen ist nach außen gerichtet. Wir wollen unseren Idealvorstellungen gemäß Veränderungen in der von uns empfundenen Außenwelt bewirken. Dabei fühlen wir aber gleichzeitig auch ein Sollen. Wir sind zwar im Prinzip frei, alles Beliebige zu wollen, empfinden aber gleichzeitig die Verantwortung, das Richtige zu wollen. Unserem völlig freien Wollen steht also eine Art moralischer Verantwortung gegenüber. Diese Verantwortung schränkt – in Form von Gewissensfragen – den Spielraum des Wollens ein. Wir treffen mit unserem Wollen auf sittlich-rechtliche Forderungen.

„Wie aber eine neue Mythologie (...) entstehen könne, dies ist ein Problem, dessen Auflösung allein von den künftigen Schicksalen der Welt und dem weiteren Verlauf der Geschichte zu erwarten ist.“ (S. 300)

Eine sittlich-rechtliche Forderung kann nicht aus der von uns selbst unbewusst produzierten, objektiven Welt erwachsen. Sie kann nur von einem anderen Ich, das tatsächlich außerhalb unserer selbst steht, an uns herangetragen werden. Forderungen sittlicher Natur entspringen dem freien Willen anderer Intelligenzen. Aus der Wechselwirkung der Intelligenzen ergibt sich ein sittliches Bewusstsein. Wir reagieren darauf mit einem Akt der Willkür: Wir wählen frei, wie wir jeweils in einem bestimmten Kontext unser Wollen mit dem Sollen in Einklang bringen. Alle Menschen verfügen in diesem Sinne über eine Willensfreiheit, und doch entsteht aus dem Zusammenspiel dieser frei entscheidenden Intelligenzen eine Welt, die in ihrer Gesamtentwicklung immer höheren sittlichen Gesetzmäßigkeiten folgt.

Die Menschheitsgeschichte hat einen Zweck

Dass überhaupt eine moralische Rechtsordnung entstehen kann, liegt daran, dass alle Intelligenzen nach den gleichen inneren Gesetzmäßigkeiten funktionieren. Egal, was wir individuell entscheiden: Aus der Wechselwirkung der Intelligenzen erwächst mit der Zeit ein objektives Sitten- oder Rechtsgesetz, dessen Entwicklung und Wirkung in der Geschichte nachgewiesen werden kann. Was wir Vorsehung nennen, lässt sich im Grunde auf dieses dem einzelnen Menschen übergeordnete Sittengesetz zurückzuführen.

Der einzelne Mensch glaubt, frei entscheiden zu können, ist aber zugleich in eine höhere Realität und deren Gesetzmäßigkeiten eingebunden. Das liegt letztlich darin begründet, dass Gott – die absolute Identität von Subjektivem und Objektivem – bestimmte Mechanismen in unserem Denken, Erkennen und Wollen verankert hat, die uns dazu bringen, unabhängig von individueller Willkür und individuellem Handeln einen höheren Endzweck zu verfolgen. Dieser Endzweck bestimmt den Verlauf der Menschheitsgeschichte.

Die Bedeutung der Kunst

Die Kunst demonstriert das Zusammenspiel aus Subjektivem und Objektivem in vollendeter Weise. Hier trifft das bewusste, freie Wirken des kunstschaffenden Genies auf eine innere, unbewussten Gesetzmäßigkeiten folgende Notwendigkeit. Neben seiner freien künstlerischen Entscheidung fühlt sich der wahre Künstler gleichzeitig zu einer bestimmten Ausgestaltung des Kunstwerks genötigt – von Kräften, die außerhalb seines Bewusstseins liegen. Jedem Kunstbetrachter wird dieses vollkommene Zusammenspiel aus Subjektivem und Objektiven spontan deutlich. In der ästhetischen Anschauung gelangt er direkt zu jener Erkenntnis, die der Philosoph erst durch seine Analyse des eigenen Ichs gewonnen hat.

Mit der Kunst schließt sich der Kreis des Menschen auf der Suche nach Selbsterkenntnis. Geschichtlich betrachtet hat diese Suche mit der Poesie (in Form von Mythologie) begonnen. Über die Philosophie und die Wissenschaft hat sich der Mensch auf rein subjektivem Weg immer weitergehende Einsichten erarbeitet. Dies alles, um am Ende zu erkennen, dass er die entstandene Kluft aus Poesie und Wissenschaft wieder mittels Kunst schließen kann: in Form einer neuen Mythologie. Wie diese neue Mythologie aussehen wird, lässt sich nicht sagen. Es hängt vom weiteren Verlauf der Geschichte ab.

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Aufbau und Stil

Schellings System des transzendentalen Idealismus besteht aus einer Vorrede, einer Einleitung und sechs Hauptkapiteln. In den ersten beiden erläutert er die Prinzipien des transzendentalen Idealismus und die Schlussfolgerungen, die sich daraus ableiten lassen. Kapitel drei und vier beschäftigen sich mit der theoretischen und praktischen Philosophie. Schelling analysiert, wie wir zu unserem Wissen kommen, wo dessen Grenzen liegen, was unser Wollen auslöst und einschränkt und welche Auswirkungen das auf die geschichtliche Entwicklung der Menschheit hat. In einem sehr kurzen fünften Kapitel geht es dann um Fragen der Teleologie: Auf welchen Endzweck steuert das Zusammenspiel der „freien Intelligenzen“ zu? Im letzten Abschnitt schließlich entwickelt Schelling Ansätze einer Philosophie der Kunst als Weg zur Synthese des subjektiven und objektiven Ichs. Seine stringent und sachlich vorgebrachten Thesen werden durch Vorbemerkungen, Erläuterungen, Folgesätze und allgemeine Anmerkungen ergänzt und untermauert – aber auch verkompliziert. Wer mit der Philosophie des Deutschen Idealismus nicht vertraut ist, dürfte gewisse Schwierigkeiten haben, den Ausführungen zu folgen, nicht zuletzt wegen Schellings z. T. eigenwilliger Terminologie.

Interpretationsansätze

  • Ausgehend von der Prämisse, dass die Spaltung in Subjekt und Objekt bereits im Ich selbst liegt, unternimmt Schelling den ehrgeizigen Versuch, ein Gedankengebäude zu entwerfen, das praktisch alle Grundfragen der Philosophie anschneidet – angefangen bei der Selbsterkenntnis des Einzelnen bis hin zur Art und Weise, wie Gott sich in der Geschichte der Menschheit offenbart.
  • Schelling kann – in der Nachfolge von Kants Transzendentalphilosophie – als ein früher Vertreter des Konstruktivismus angesehen werden: Was wir für die wirkliche Welt halten, ist zunächst nur die Welt in unserem Kopf. Erst im Vergleich unserer Weltsicht mit der Weltsicht anderer Menschen entsteht eine „objektive Welt“. Darauf gründen wir unsere Gesetze.
  • Schelling erkennt die Willensfreiheit an, sieht sie aber von Gesetzmäßigkeiten begrenzt, die sich im Zusammenspiel aller „freien Intelligenzen“ ergeben. Diese Reibung aus Freiheit und Notwendigkeit ist es, die den einzelnen Menschen und die gesamte Menschheit vorantreiben.
  • Ähnlich wie Hegel ist Schelling der Auffassung, dass aus dem Zusammenwirken frei handelnder Menschen ein übergeordnetes Sittengesetz entstehe. Dessen Befolgung führe automatisch zu kontinuierlichem Fortschritt. Die Menschheit könne demzufolge gar nicht anders, als laufend höhere sittliche Stufen zu erklimmen.
  • Die Synthese aus Subjektivem und Objektivem gelingt laut Schelling nur dem wahren künstlerischen Genie. Alle Menschen aber können daran teilhaben: dank ihrer Fähigkeit zur ästhetischen Anschauung.

Historischer Hintergrund

Der Idealismus in der Philosophie

Die Frage, was wir durch unsere Sinne über die Wirklichkeit erfahren können und wie zuverlässig diese Form der Erkenntnis ist, ist uralt. Bereits in Platons Ideenlehre findet sich die Vorstellung, dass wir keinen unmittelbaren Zugang zur Realität haben. Für ihn war die Welt der Ideen die wahre Wirklichkeit und die Welt, die wir empirisch unmittelbar wahrzunehmen glauben, nur eine Scheinwelt. Obwohl Platons Schüler Aristoteles dessen strikte Trennung der beiden Welten abmilderte, blieb der Gedanke erhalten, dass sinnliche Erfahrung zur Erkenntnis der Realität nicht ausreicht. Aristoteles wurde bis zum Ende des Mittelalters zur absoluten philosophischen Autorität im christlichen Abendland. Auch im jüdischen und muslimischen Kulturkreis hatten seine Ideen weit reichenden Einfluss.

Jahrhunderte später warf das epochale Werk Immanuel Kants, insbesondere seine Kritik der reinen Vernunft (1781), ein neues Licht auf diese Fragen. Kant stellte die These auf, dass wir mit vorgefertigten Vorstellungen an das herangehen, was wir mit unseren Sinnen wahrnehmen. Wir können die Realität laut Kant also gar nicht unvoreingenommen erfassen: Die Art und Weise, wie wir unsere Sinneseindrücke verarbeiten, unterliegt bereits einer vorgegebenen Filterung durch Kategorien, die in uns angelegt sind. Mit dieser Philosophie legte Kant das Fundament für die Denkrichtung des Deutschen Idealismus. Dessen Hauptvertreter Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Johann Gottlieb Fichte und Friedrich Wilhelm Joseph Schelling analysierten zwischen 1780 und 1830 systematisch die Möglichkeiten und Grenzen menschlicher Erkenntnis.

Entstehung

Als Schelling im Jahr 1800 sein System des transzendentalen Idealismus veröffentlichte, war er gerade 25 Jahre alt. Trotzdem ist dieses Werk bereits der krönende Abschluss der ersten Phase einer erstaunlichen intellektuellen Entwicklung und akademischen Karriere. Schelling hatte schon mit 19 seine erste philosophische Abhandlung Über die Möglichkeit einer Form der Philosophie überhaupt geschrieben. Darin lehnte er sich eng an Fichte an, von dem er die Idee eines „absoluten Ichs“ übernahm. Es wäre aber verfehlt, Schellings System lediglich als eine Erweiterung der Ideen Fichtes zu sehen. Mindestens ebenso beeinflusste ihn zu jener Zeit auch Baruch Spinoza. Die Beschäftigung mit dem niederländischen Rationalisten verlieh Schellings Philosophie im Rahmen des Deutschen Idealismus einen eigenständigen Charakter. So findet sich etwa der Substanzbegriff Spinozas (Gott ist in allem Seienden) bei Schelling wieder. Als Hofmeister in Jena hatte er sich überdies intensiv mit naturwissenschaftlichen Themen befasst. Die gewonnenen Erkenntnisse ließ er in seine Ausführungen zum System des transzendentalen Idealismus einfließen. Schelling glaubte allerdings nicht, dass materialistische Erklärungen ausreichten, um der Komplexität menschlicher Erfahrung gerecht zu werden. Eine Gesamtsicht des menschlichen Wissens konnte für Schelling nur aus einer logisch nachvollziehbaren Verknüpfung von Naturwissenschaften, Geschichte und Philosophie hervorgehen.

Wirkungsgeschichte

Das System des transzendentalen Idealismus markierte einen Wendepunkt in Schellings persönlicher Entwicklung. Zuvor hatte er sich vor allem mit dem Denken Fichtes, insbesondere mit dessen Wissenschaftslehre, befasst und dabei zu ergründen versucht, wie sich das Absolute in der physischen Welt offenbart. Jetzt ging er zur Analyse des Denkens über. Schellings Freund Hegel wurde später für seine Dialektik, die Synthese von These und Antithese, berühmt. Schelling nahm aber für sich in Anspruch, diesen Zusammenhang mit der Spaltung des Subjektiven und Objektiven im Ich als Erster angesprochen zu haben.

Mit seiner Hochschätzung und Analyse der Kunst beeinflusste Schelling die Dichtung der Romantik maßgeblich – nicht nur in Deutschland. Besonders das Zusammenspiel von Bewusstem und Unbewusstem, das er in seiner Kunsttheorie beschrieb, faszinierte romantische Schriftsteller wie Samuel Taylor Coleridge, aber auch Johann Wolfgang von Goethe.

Die Ideen des Deutschen Idealismus waren eine Zeit lang sehr populär, doch das Interesse ließ im Lauf des 19. Jahrhunderts rapide nach. Obwohl sich beispielsweise die Marxisten anfänglich noch auf die Ideen Hegels beriefen, vertraten sie bereits einen radikalen Materialismus – also das Gegenteil von Idealismus. Spätestens Friedrich Nietzsche leitete mit seinen sprachgewaltig vorgebrachten Einwänden gegen den Idealismus eine neue philosophische Ära ein. An einen kontinuierlichen sittlichen Aufstieg der Menschheit als Folge ihrer gemeinsamen Intelligenz mochte der Nihilist Nietzsche nicht mehr glauben.

Über den Autor

Friedrich Wilhelm Joseph Schelling wird am 27. Januar 1775 in Leonberg geboren. Bereits als 15-Jähriger wird er in das Tübinger Stift, ein renommiertes Studienhaus, aufgenommen. Hier pflegt er eine enge Freundschaft mit dem Dichter Friedrich Hölderlin und dem Philosophen Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Schelling studiert zwei Jahre Philosophie und drei weitere Jahre Theologie. Er lernt Johann Gottlieb Fichte persönlich kennen und sendet ihm 1794 seine Schrift Über die Möglichkeit einer Form der Philosophie überhaupt zu. 1795 nimmt er eine Stelle als Hofmeister bei den Baronen von Riedesel an. 1796 trifft er Friedrich Schiller in Jena. Bis 1798 besucht er naturwissenschaftliche Vorlesungen in Leipzig. In den darauffolgenden Jahren veröffentlicht er mehrere Schriften zur Wissenschaftslehre und Naturphilosophie. Fichte ist ebenso angetan davon wie Johann Wolfgang von Goethe, der dafür sorgt, dass Schelling 1798 in Jena zum außerordentlichen Professor ernannt wird. Schelling setzt sich dort wiederum für die Berufung Hegels ein. 1800 erscheint sein System des transzendentalen Idealismus. In den Folgejahren sieht Schelling, mittlerweile Professor in Würzburg, seine Ideen zunehmender Kritik ausgesetzt. Man wirft ihm u. a. Amoralismus und Atheismus vor. In München, wo er 1806 eine Professur annimmt, ist er willkommener. Er wird er in den Adelsstand erhoben und wirkt bis 1823 als Generalsekretär der Akademie der Bildenden Künste. Zuletzt ist Schelling als Philosophieprofessor in Berlin tätig. Am 20. August 1854 stirbt er im schweizerischen Kurort Bad Ragaz, wohin er zur Behandlung eines Lungenleidens gereist ist. Dort steht auch sein Grabmal mit der Inschrift „Dem ersten Denker Deutschlands“ – gestiftet von Maximilian II. von Bayern, der bei Schelling studiert hat.

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