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Die Räuber vom Liang Schan Moor

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Die Räuber vom Liang Schan Moor

Insel Verlag,

15 min read
10 take-aways
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What's inside?

Der älteste der großen chinesischen Klassiker: Wie aus braven Menschen Räuber werden.

Literatur­klassiker

  • Schelmenroman
  • Ming-Dynastie

Worum es geht

Der chinesische Robin Hood

Die Räuber vom Liang Schan Moor gehört zu den bedeutendsten chinesischen Klassikern. Sehr anschaulich schildert der Roman, wie Menschen aufgrund ungerechter Behandlung, Denunziation und Korruption mehr oder weniger unfreiwillig zu Gesetzlosen werden. Die Schuld an diesen Zuständen wird der Obrigkeit gegeben. Aufstände gegen jede Art von Willkürherrschaft werden so legitimiert, was dem Roman revolutionäres Potenzial verleiht. Dem Haupthelden der Geschichte, Sung Kiang, liegt eine historische Gestalt zugrunde, die im zwölften Jahrhundert tatsächlich am Rand eines Sumpfgebiets mit einer Räuberbande lebte. In gewisser Weise kann man in ihm einen chinesischen Robin Hood sehen: Wie dieser genießt er den Ruf eines Gönners und Rächers der Armen. Das Volksbuch, vom mutmaßlichen Autor Schi Nai An im 14. Jahrhundert niedergeschrieben, ist nicht nur ein vergnüglicher Schelmenroman, sondern auch ein historisches Dokument von großem Wert. Es zeugt von Beamtenwillkür, Unterdrückung und einer spontanen Rebellion einzelner Männer, die sich zu einer mächtigen Organisation zusammenschließen.

Take-aways

  • Die Räuber vom Liang Schan Moor gehört zu den vier großen Klassikern der chinesischen Literatur.
  • Inhalt: Die Räuber vom Liang-Schan-Moor gehen gegen die korrupten Herrscher Chinas im zwölften Jahrhundert vor. Von der Gesellschaft geächtet und von den kaiserlichen Truppen verfolgt, bestehlen sie die Reichen und beschenken die Armen. Der zu Unrecht in die Verbannung geschickte Amtsschreiber Sung schließt sich bei seiner Rückkehr der Gruppe an. Aus dem ehemaligen loyalen Beamten wird ein gefürchteter Räuberhauptmann.
  • Ein echter Spannungsbogen fehlt. Das Buch besteht in erster Linie aus einer Aneinanderreihung von Ereignissen.
  • Das Fazit des Romans lautet: Wenn Menschen der Beamtenwillkür ungeschützt ausgeliefert sind, greifen sie eines Tages zu den Waffen.
  • Neben einer Abenteuergeschichte ist der Roman auch ein Dokument der Sitten- und Kriminalgeschichte des mittelalterlichen China.
  • Der mutmaßliche Autor Schi Nai An führt die chinesische Kriegskunst mit all ihren Finten und Taktiken vor; Banditentum und Zügellosigkeit werden verherrlicht.
  • Der historische Sung Kiang, auf dem die Hauptfigur beruht, ist eine Art chinesischer Robin Hood, der im zwölften Jahrhundert weite Gebiete Chinas kontrollierte.
  • Die harsche Obrigkeitskritik verlieh dem Roman revolutionäres Potenzial; er wurde immer wieder verboten.
  • Neben Schi Nai An haben über die Jahrhunderte mehrere andere Autoren an dem Werk gearbeitet.
  • Zitat: „Es handelt sich um unredlich erworbenes Gut. Warum soll man sich da bedenken? Da ist Raub gestattet und dem Himmel wohlgefällig.“

Zusammenfassung

Der Überfall am Gelbschlammgrat

Der arme, aber wackere Yang Tschi wird vom Präfekten Liang beauftragt, eine Ladung mit Geburtstagsgeschenken für dessen Schwiegervater zu begleiten. Im Vorjahr wurde der Transport überfallen, deshalb die Vorsicht. Tatsächlich ist auch diesmal ein Angriff geplant: von Tschao Kai, dem Dorfschulzen von Ostbachhausen. Er bespricht den Raubüberfall mit dem klugen Magister Listenstern. Skrupel haben sie keine: Die Güter seien ohnehin unrechtmäßig erworben, ein Raub sei also legitim. Yang Tschi treibt seine Träger unerbittlich in sengender Hitze vorwärts. Am Gelbschlammgrat machen sie Rast. Da tauchen die Räuber auf – als Händler getarnt – und bieten ihnen Wein an. Bald liegt die ganze Truppe betrunken am Boden. Als Yang Tschi wieder zu sich kommt, sind die Wegelagerer mit der Ladung bereits über alle Berge. Was jetzt? Ohne Bestätigung, dass die Ware sicher angekommen ist, kann er sich beim Präfekten nicht mehr blicken lassen. Er erwägt Selbstmord, beschließt aber dann in seiner Verzweiflung, sich den Räubern vom Liang-Schan-Moor anzuschließen. Heimlich macht er sich aus dem Staub und lässt seine Truppe zurück.

Die Nöte des Amtsschreibers

Die Polizei hat Wind davon bekommen, dass Tschao Kai den Überfall organisiert hat. Gerade noch rechtzeitig wird er von seinem Amtsschreiber Sung gewarnt. Tschao Kai und seine Leute flüchten in die Berge. Auch sie wollen sich zu den Räubern vom Liang-Schan-Moor gesellen. Als sie dort eintreffen, will Wang Lun, ein missgünstiger, verkrachter Akademiker, die Bande nicht aufnehmen. Auf ein Zeichen von Listenstern greifen die Wegelagerer zu den Waffen. Wang Lun wird zur Erleichterung aller getötet, die Rangordnung innerhalb der Räuberbande wird neu festgelegt: Tschao Kai ist der neue erste Hauptmann, Listenstern übernimmt die Leitung aller kriegerischer Unternehmen. Die Bande macht reiche Beute, und Tschao Kai greift zur Feder, um sich bei seinem alten Freund und Helfer Sung für dessen Unterstützung zu bedanken. Da kommt es zu einem dummen Zufall: Sungs Frau entdeckt das verräterische Dankesschreiben der Räuber in Sungs Brieftasche und erpresst ihren Mann damit. Es kommt zu einem Handgemenge, und Sung ersticht sie mit einem Dolch. Das Beweismaterial spricht gegen ihn, und er muss flüchten.

„Es handelt sich um unredlich erworbenes Gut. Warum soll man sich da bedenken? Da ist Raub gestattet und dem Himmel wohlgefällig.“ (ein Räuber, S. 158)

Nachdem Sung ein Jahr lang unterwegs gewesen ist, wird er eines Nachts von einer Räuberbande überfallen. Anderntags führt man ihn dem Hauptmann Yen Schun vor, der Sung bei lebendigem Leib schlachten und sein Herz und seine Leber als Delikatesse auftischen will. Die Unholde setzen Sung gerade das Messer an die Brust, als er seinen Namen nennt. Da wird ihnen klar, wen sie vor sich haben: Sung eilt der Ruf eines großherzigen Volksfreundes voraus. Er wird freigelassen, beschließt aber, vorerst bei den Räubern zu bleiben. Als diesen die Kunde zugetragen wird, dass eine Frauensänfte unterwegs sei, beschließt der Hauptmann, sich des Weibes zu bemächtigen. Sung aber legt ein gutes Wort für die Dame ein. Sie wird verschont.

Gefangen und befreit

Ein paar Tage später bricht Sung zur Festung Tsing fong tschen auf, wo die gerettete Dame – sie ist die Gattin des zivilen Kommandanten Liu Kao – zu Hause ist. Sung besucht dort einen Freund, den Militärkommandanten Hua Jung. Der ist gar nicht gut auf die Frau und ihren Gemahl zu sprechen, er nennt die beiden dünkelhaft und durchtrieben. Liu Kao unterdrücke das Volk und presse Abgaben aus ihm heraus, angestachelt von seinem tugendlosen Weib. Als man in Tsing fong tschen das Laternenfest feiert, wird Sung von der Frau des Zivilkommandanten als einer der Räuber identifiziert. Mit einem verleumderischen Schreiben erwirkt Liu Kao einen Haftbefehl gegen Sung, während Hua Jung in einen Hinterhalt gelockt und überwältigt wird. Getrennt und in verschlossenen Käfigkarren sollen die beiden in die nächste größere Stadt gebracht werden. Doch sie haben Glück: Unterwegs werden sie von den Räubern befreit, die durch Zufall von den Vorgängen in der Festung erfahren haben.

In der Verbannung

Unter Führung von Sung und Hua Jung erobern und plündern die Räuber die Festung. Sie ver-schonen das Volk, töten aber den hinterlistigen Liu Kao und dessen niederträchtige Gattin. Die Räuberbande muss nun mit einer großen kaiserlichen Strafaktion rechnen. Sung schlägt deshalb vor, nach Süden zu ziehen und sich den berühmten Räubern vom Liang-Schan-Moor anzuschließen. Unterwegs erreicht Sung die traurige Nachricht vom Tod seines Vaters. Sofort bricht er zu dessen Gutshof auf, während er seine Gefährten weiterschickt. In der Dorfschenke erfährt er zu seiner Überraschung, dass sein Vater wohlauf sei. Er habe nur seinen Sohn sehen wollen. Das Schreiben sei eine Finte gewesen, denn inzwischen sei eine Amnestie erlassen worden für alle, die mit der Todesstrafe zu rechnen hätten. Wenn sie sich freiwillig stellten, müssten sie nur noch in die Verbannung gehen. In der Nacht wird der Gutshof umzingelt. Sung ergibt sich und wird abgeführt. Die Strafe fällt milde aus: 20 Hiebe und Verschickung nach Kiang tschou, einer vergleichsweise angenehmen Strafkolonie am Jangtse. Der Weg in die Verbannung führt am Liang-Schan-Moor vorbei. Sungs einstige Kumpane sind mittlerweile zu den dortigen Räubern übergetreten und sind abermals zur Stelle, als die Eskorte vorbeikommt. Sie wollen Sung befreien, der aber beruft sich auf das Versprechen, das er seinem Vater gegeben hat, und will seine Verbannung akzeptieren.

Ein verhängnisvolles Gedicht

Endlich trifft Sung in Kiang tschou ein. Um sich eines angenehmen Lebens zu versichern, übergibt er dem Kerkermeister Tai Tsung ein Empfehlungsschreiben von dessen Bruder Listenstern. Bei einem Spaziergang entdeckt Sung an einem Turm eine Inschrift des berühmten Dichters Su Tung Po. Berauscht von den lyrischen Worten und der prächtigen Landschaft wird Sung melancholisch, und schließlich packt ihn der Zorn über sein Schicksal. Spontan verfasst er eine Ode, die zum Umsturz aufruft, und schreibt sie an die Wand. Ausgerechnet der Unterpräfekt Gelber Wespenstachel, der schon lange auf Mittel sinnt, eine bessere Stelle zu ergattern, entdeckt das Gedicht. Sung wird zum Verhör geschleppt und muss gestehen. Der Unterpräfekt empfiehlt, den Kanzler über den Fall zu unterrichten, und erhofft sich dadurch einen guten Posten. Der Kerkermeister Tai Tsung, der wegen seiner Schnelligkeit auch Geisterläufer genannt und als Eilkurier eingesetzt wird, soll die Botschaft in die Hauptstadt bringen. Unterwegs fällt er in die Hände der Liang-Schan-Moor-Bande und berichtet den Hauptmännern von dem Vorfall.

Ein gefälschter Brief

Listenstern beschließt, Tai Tsung mit einem gefälschten Antwortschreiben zurückzuschicken. Dieses enthält die Aufforderung, Sung in die Hauptstadt zu bringen. Die Räuber wollen dann den Gefangenentransport abfangen und Sung befreien. Das Schreiben wird jedoch von Gelber Wespenstachel sofort als gefälscht enttarnt und der Überbringer der Lüge überführt. Man unterstellt ihm geheime Komplizenschaft mit den Räubern und will ihn und Sung gleich am nächsten Tag auf dem Marktplatz hinrichten lassen. Als der Gong zum Köpfen erklingt, blitzen auf einmal Waffen auf. Die Räuber vom Liang-Schan-Moor sind zur Stelle und befreien die Verurteilten. Auf den Dschunken der Jangtse-Piraten fliehen sie und schwören Rache. Bald überfallen sie das Anwesen von Gelber Wespenstachel, doch der weilt gerade außer Haus. Als ihn die Nachricht vom Überfall auf seinen Hof erreicht, fährt er mit einer Amtsbarke eilends dorthin: Sein Boot wird von den Piraten geentert und er selbst gefangen genommen. Der rasche Tod, um den er bittet, ist ihm nicht vergönnt. Eiserner Büffel, der Gehilfe des Kerkermeisters, schneidet mit einem scharfen Messer die besten Fleischstücke aus dem Opfer heraus, dann wird jedes einzelne Stück über einem Kohlebecken gebraten und als Imbiss zum Wein herumgereicht. Zuletzt kochen die Räuber aus dem Herz und der Leber die beliebte „bitter-herbe Ernüchterungssuppe“.

Zauber gegen Zauber

Die Räuber kehren zum Liang-Schan-Moor zurück. Von dort ziehen sie zu weiteren Raubzügen aus und erobern Burgen. Eines Tages wird Eiserner Büffel vom Edelmann Tschai gebeten, diesen zurück in seine Heimat Kao tang tschou zu begleiten. Dort liegt Tschais Onkel im Sterben, der von Yin, dem Schwager des Präfekten Kao Liän, schikaniert und darüber krank geworden ist. Als der freche Schwager auftaucht, kommt es zu einer blutigen Auseinandersetzung. Eiserner Büffel flieht zunächst und lässt Tschai allein zurück. Dann aber rücken die Räuber mit einer mächtigen Streitmacht gegen Kao tang tschou vor. Der Präfekt sieht den Zeitpunkt gekommen, den Rebellen endgültig den Garaus zu machen. Hinter der Front zieht er seine Zauberklinge hervor und murmelt eine Beschwörungsformel, bevor er sich in den Kampf stürzt. Auf einmal erhebt sich schwärzlicher Qualm, der sich auf die Räuber zubewegt und Steine und Sand auf sie herabregnen lässt. Gleichzeitig schwankt der Erdboden. Die Räuber wenden sich zum Rückzug, werden aber von den magischen Kriegern des Präfekten verfolgt. Listenstern und Sung suchen nach einem Gegenzauber, und tatsächlich findet Sung in einer Schriftrolle einen rettenden Hinweis. Am nächsten Tag treten die beiden Truppen erneut gegeneinander an. Wieder lässt der Präfekt seinen Rauch los, gleichzeitig zückt nun aber Sung sein Zauberschwert. Da wechselt der Spukwind prompt die Richtung und haucht die Regierungstruppen an. Doch der Triumph ist kurz: Der Präfekt Kao Liän schlägt einen Gong und lockt damit wilde Bestien an.

„Wenn wir die Obrigkeit anrufen, dann schickt man uns gefräßige Horden auf den Hals, die den Einheimischen zunächst einmal die Schweine und Hammel, die Hühner und Gänse wegfressen und dann, nachdem sie sich den Wanst vollgeschlagen haben, im Abzug noch Bargeld schnorren.“ (ein Räuber, S. 171)

Sung weiß keinen Rat mehr, und die Räuber stürzen Hals über Kopf davon. Nach dieser zweiten Schlappe muss die Kriegstaktik geändert werden. Nur mit einem mächtigen Zauber ist ein Schlachterfolg denkbar, und nur einer könnte einen solchen Zauber kennen: der einstige Räuberkumpan und Magier Wolkendrache. Also wird der Geisterläufer auf die Suche nach ihm geschickt, mit Eiserner Büffel als Begleitschutz. In einer Schenke erfahren die beiden per Zufall, dass Wolkendrache sich als Einsiedler zurückgezogen hat. Sie spüren ihn auf, aber er fühlt sich seinem Meister verpflichtet und erklärt, nicht mitzukommen. Dieser will seinen Schüler auch gar nicht ziehen lassen und fragt ihn, warum er denn wieder zurück in den roten Staub der Welt wolle. Schließlich gibt er aber nach und verleiht Wolken-drache den Zauber der fünf Donner. Als es erneut zur Schlacht gegen die Truppen des Präfek-ten kommt, lässt dieser wieder seinen Qualm steigen, der sich zu grässlichen Tierfratzen formt. Ihnen streckt Wolkendrache sein Zauberschwert entgegen, und ein goldener Strahl lässt die Bestien zu Boden fallen. Die Truppen des Präfekten verschanzen sich in ihrer Festung. Im Kaiserpalast erhält man derweil Kunde von der Belagerung. Marschall Kao ruft zur Vernichtung der Räuber auf. Er wählt die tapfersten Feldherren aus und zieht mit drei Legionen in den Kampf.

Treu bis in den Tod

Zwischen den mit Eisen- und Lederpanzern geschützten Reitern und den Räubern kommt es zu einem heftigen Kampf. Als Sungs Truppen merken, dass ihre Pfeile nichts ausrichten, treten sie den Rückzug an. Sung heckt einen Plan aus: Mit Widerhaken und Fangspießen bewaffnet, locken seine Leute die kaiserlichen Truppen ins Moor, und am Abend sind die stolzen Legionen schließlich vernichtet. Tschao Kai allerdings stirbt an einem vergifteten Pfeil. So wird Sung zum alleinigen Herrscher der Räuber vom Liang-Schan-Moor. Mittlerweile hat er 108 Hauptmänner und die fähigsten Militärs des ganzen Landes um sich geschart.

„Am Bug saß, vom Feuerschein grell beleuchtet, ein Mann mit den seltsamen Zügen des Asketen, er schwenkte ein funkelndes Zauberschwert, murmelte Beschwörungsformeln und erteilte Befehle.“ (über Wolkendrache, S. 236)

Eines Tages trifft ein Gnadenerlass des Kaisers ein. Die Räuber werden von diesem emp-fangen und erhalten den Auftrag, die nördliche Grenze gegen die Liao-Tataren zu verteidigen. Bei diesen Kämpfen fallen 51 Hauptmänner. Sung bekommt den Posten eines Statthalters in der Provinz Tschu tschou. Doch seine Ruhe währt nicht lange, denn Marschall Kao schmiedet in der Hauptstadt Rachepläne. Er lässt Sung vergifteten Tischwein schicken. Nach den ersten Anzeichen von Übelkeit ruft Sung seinen alten Kumpan Eiserner Büffel, dem er den Wein ebenfalls kredenzt. Sung will ihn nicht allein zurücklassen, weil er befürchtet, der Hitzkopf könnte im Unverstand eine aussichtslose Rebellion anzetteln. Wenige Wochen später findet man in der Nähe des Bestattungsorts von Sung und Eiserner Büffel zwei Erhängte: Von Unruhe getrieben, haben sich die Räuber Listenstern und Geisterschütz zu Sungs Amtssitz aufgemacht. Als sie sahen, dass sie zu spät waren, beschlossen sie, ihren Kameraden auch über den Tod hinaus die Treue zu halten. Der Kaiser ist bestürzt über Sungs Tod. Er lässt dem Volkshelden im Liang-Schan-Moor einen Tempel errichten, und noch über seinen Tod hinaus beschert Sung, der „Regenspender von Schantung“, dem umliegenden Land reiche Ernten.

Zum Text

Aufbau und Stil

Die „Wasserufergeschichte“ – so lautet die wörtliche Übersetzung des chinesischen Titels – sei für jedermann gedacht und daher einfach gehalten, sagt der Verfasser in seinem launigen Vorwort: „Bemängelt man den Stil, so schiert’s mich wenig.“ Anschließend wird der Leser ohne umständliche Einleitung direkt in das turbulente Geschehen hineingeworfen. Zwar verlangen einige detailreiche Beschreibungen – etwa von Personen – Geduld, zumeist aber geht es Schlag auf Schlag. Immer wieder blitzt der Witz des Verfassers auf, bisweilen bietet er groteske Komik. Was man im dichten Geflecht von Affären, Intrigen und Kämpfen vermisst, ist eine zentrale Handlung; die bloße Aneinanderreihung von teils wichtigen, teils nebensächlichen Ereignissen ohne jegliche Hierarchisierung und Deutung führt zu einer relativ schwachen dramaturgischen Spannung. Der Roman, in der vorliegenden Fassung in zehn Bücher und 120 Kapitel aufgeteilt, wird durch einige historische Holzschnitte illustriert. Seine episodenhafte Struktur folgt den verschiedenen mündlichen Erzähltraditionen, aus denen er hervorgegangen ist. Die Vermischung von realistischem Stoff mit Elementen des Schwanks und des Fantastischen ist darauf zurückzuführen, dass verschiedene Autoren den Text zu unterschiedlichen Zeiten überarbeitet haben.

Interpretationsansätze

  • Sung, der Hauptheld der Räuber vom Liang Schan Moor, erscheint als eine Art chinesischer Robin Hood. Wie dieser wird Sung geächtet, und wie die Räuber vom Sherwood Forest rechtfertigen die chinesischen Rebellen ihre Beutezüge damit, dass die geschädigte Obrigkeit ohnehin korrupt sei und die geraubten Güter an die Armen verteilt würden. Im Gegensatz zu Sung, der ein historisches Vorbild aus dem zwölften Jahrhundert hat, ist aber umstritten, ob im England des 13. Jahrhunderts tatsächlich ein echter Robin Hood gelebt hat.
  • Der Roman übt freimütige Gesellschaftskritik: Sowohl die Beamtenhierarchie als auch die Gelehrtenkaste werden als heuchlerisch, korrupt und unfähig entlarvt. Das Fazit lautet: Wenn Menschen der Beamtenwillkür ungeschützt ausgeliefert sind, greifen sie eines Tages zu den Waffen.
  • Aus der politischen Unfähigkeit der Herrschenden leitet der Autor eine Rechtfertigung revolutionärer Bewegungen ab: Wenn das soziale Gefüge auseinanderfällt und grassierendes Unrecht gültige Gesetze aushebelt, ist der Einzelne mit einem Auftrag des Himmels ausgestattet und nicht nur befugt, sondern geradezu verpflichtet, eine Revolution anzuzetteln. Die Räuber erscheinen so als Helden und Bewahrer der Ordnung, nicht als Verletzende derselben. Dieser subversive Kern des Romans führte dazu, dass er im Lauf der Jahrhunderte immer wieder verboten wurde.
  • Die Räuber vom Liang Schan Moor ist nicht nur ein Abenteuerroman, sondern auch ein wichtiges Dokument der Sitten- und Kriminalgeschichte des mittelalterlichen China. Die Beschreibung von Vetternwirtschaft, Amtsmissbräuchen sowie verkommenen Rechts- und Moralbegriffen ist gerade deshalb von besonderem Wert, weil die offizielle damalige Geschichtsschreibung diese Missstände weitgehend ignorierte.

Historischer Hintergrund

Der Untergang der Song-Dynastie

Die Räuber vom Liang Schan Moor spielt zur Zeit der Song-Dynastie. 960 gegründet, wurde das Kaiserreich im Lauf der Jahre zunehmend von den Völkern an seiner Nordgrenze bedrängt. Mitverantwortlich für den Untergang der südlichen Song-Dynastie war ihr achter Kaiser, Huizong. Dessen Regierungszeit (1100–1125) war von einer durch und durch korrupten Oberschicht geprägt. Während der schöngeistige Huizong als Dichter, Maler und Kalligraf dilettierte, gab er die Zügel seiner Innen- und Außenpolitik fahrlässig aus der Hand. Die Schwäche, die Bestechlichkeit und die Willkür der politischen Kaste führten landesweit zu Unruhen. Aufstände wie der von Zhejiang (1123) unterhöhlten die staatliche Autorität und banden außerdem Truppen, die dringend für die Landesverteidigung gebraucht wurden.

Als 1126 die Jurchen in der Stadt Kaifeng einfielen und Huizong gefangen nahmen, war das der Anfang vom Ende der Song-Herrschaft. Der Kaiser wurde mit seinem gesamten Hofstaat in die Mandschurei deportiert, die nördlichen Reichsgebiete gingen verloren. Prinz Gaozong (Regierungszeit: 1127–1162) rief daraufhin südlich des Jangtse die Südliche Song-Dynastie aus, die sich ihrerseits neuen Bedrohungen ausgesetzt sah. Professionell organisierte Piraten trieben ihr Unwesen, steuerkräftige Großgrundbesitzer wanderten massenhaft ab, und aus dem Norden rückten wiederum die Jurchen, später die Mongolen vor. 1279 kam es bei Yamen zu einer der größten Seeschlachten der Weltgeschichte. Nach der vernichtenden Niederlage ertränkte Kaiserberater Lu Xiufu den achtjährigen Thronerben Song Bing und sich selbst. Die Herrschaft der Sung war definitiv zu Ende. Es folgte die von Kublai Khan gegründete mongolische Yuan-Dynastie.

Entstehung

Der Versuch, eine Urfassung der Räuber vom Liang Schan Moor zu rekonstruieren, ist bis heute vergeblich geblieben. Die erste Version der Geschehnisse um den Räuberhauptmann Sung Jiang wurde vermutlich Anfang des 14. Jahrhunderts niedergeschrieben. Mutmaßlicher Autor ist Schi Nai An, ein vermögender Privatmann, der sich ganz der Dichtkunst und Geselligkeit widmen konnte. Der Romanheld Sung ist eine historische Figur: In mehreren kaiserlichen Biografien wird erwähnt, dass er mit 36 Hauptmännern ein Gebiet im nordwestlichen Shandong unter sich brachte. Weiter ist dokumentiert, dass die Regierungstruppen nichts gegen ihn ausrichten konnten und die Feldherren sogar vorschlugen, Sung zu begnadigen.

Der Literaturkritiker Hu Shi, der den Roman im 20. Jahrhundert aktualisierte, fand heraus, dass die Räuber im Jahr 1122 tatsächlich begnadigt wurden. Der Stoff ist das Produkt einer langen Erzähltradition: Zur Zeit der Song-Dynastie kursierten zahlreiche Episoden über verschiedene Volkshelden, die von Geschichtenerzählern weiter ausgeschmückt wurden. Die Zahl der Hauptmänner erhöhte sich im Lauf der Jahre von 36 auf 108. Der Roman liegt auf Chinesisch in zahlreichen Ausgaben vor; zudem erschienen die Teile zu unterschiedlichen Zeitpunkten, die ersten Texte stammen bereits aus dem zwölften Jahrhundert. Zu Beginn des 20. setzte sich diejenige Fassung durch, die heute in China kursiert. Für die vorliegende deutsche Ausgabe hat der Übersetzer Franz Kuhn nach eigener Aussage starke Eingriffe vorgenommen: Allzu epische Ausführungen des Kriegsgeschehens wurden gekürzt und eine ganze Flut von Personen gestrichen, um den heutigen Leser nicht zu überfordern.

Wirkungsgeschichte

Die Räuber vom Liang Schan Moor ist das älteste der vier Werke, die gemeinhin als die großen chinesischen Klassiker gelten. Die anderen sind Die Geschichte der drei Reiche, Die Reise nach Westen und Der Traum der roten Kammer. Mit der freimütigen Kritik an der herrschenden Klasse lösten die Räuber erheblichen Missmut in ebendiesen Kreisen aus. Dem Erfolg des Romans tat das allerdings keinen Abbruch. Schon zum Ende der Ming-Dynastie erschienen zahlreiche Fortsetzungen. Dennoch ging die Zensur immer wieder gegen das missliebige Buch vor; noch im 18. Jahrhundert wurden Verlage danach durchsucht und die gefundenen Exemplare verbrannt. Als im 20. Jahrhundert nach Mao Zedongs „Langem Marsch“ kritische Autoren in der Versenkung verschwanden, erlebte die Heldenliteratur und damit auch Die Räuber vom Liang Schan Moor eine Blüte. Das Werk diente gar als Vorlage für moderne Romane. Dazu zählt etwa Feng Cuns Eine Stadt auf Erden, worin der Kampf einer Geheimgesellschaft und einiger Bauerntruppen gegen die Warlords zu Beginn der 1920er Jahre geschildert wird. Die Räuber vom Liang Schan Moor war Maos Lieblingsroman. 1943 wurde in der nordchinesischen Revolutionshochburg Yan’an gar eine Oper mit Elementen aus dem Roman komponiert, die den Titel trägt: Den Liangshan-Rebellen zugetrieben. Literarische Adaptionen, Verfilmungen und Videospiele mit den Räubern als Vorbild sind im asiatischen Kulturraum allgegenwärtig. Eine japanisch-chinesische TV-Serie von 1973, in der deutschen Übersetzung Die Rebellen vom Liang Shan Po, schaffte es gar in die ARD. In China bedeutet der Ausdruck „in den Liang Schan ziehen“ noch heute, dass man zum Äußersten bereit ist.

Über den Autor

Schi Nai An, der ca. von 1279 bis 1370 lebte, gilt gemeinhin als Verfasser des Romans Die Räuber vom Liang Schan Moor. Zwischen den verschiedenen Fassungen des Werks gibt es allerdings erhebliche Unterschiede, weshalb sich die Vermutung aufdrängt, dass verschiedene Autoren an der Erstellung des Textes beteiligt waren. Manchmal wird das Buch auch Luo Guanzhong (ca. 1330–1400) zugeschrieben. Möglicherweise hat Luo das Werk auf Basis der Erstfassung von Schi Nai An nach dessen Tod vollendet. Schi Nai An stammte vermutlich aus Luoyang in der Provinz Honan, und einem Bericht über diese Stadt zufolge scheint er ein vermögender Junggeselle gewesen zu sein. Diese Annahme stützt auch die Vorrede zum Roman. Danach lebte er am Ufer eines Flusses, der sich durch die alte Kaiserstadt Luoyang zog, bewohnte ein Landgut und liebte das Leben und die Dichtkunst. Luo Guanzhong lebte wahrscheinlich in Hangzhou und kämpfte angeblich während seiner Jugend gegen die Mongolen. Er gilt als Wegbereiter des chinesischen Romans und Verfasser des chinesischen Klassikers Die Geschichte der drei Reiche. Mit diesem Werk begründete er eine Tradition von Erzählungen, die historische Quellen auslegten und sie in leicht verständlicher Schriftsprache zugänglich machten. Der Lyriker Jin Shengtan (1608–1661) kürzte den Roman erheblich, änderte den Schlussteil und überarbeitete den Text zu einer Zeit, in der kein Interesse mehr an genauer historischer Darstellung bestand. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde der Roman vom Pekinger Literaturwissenschaftler Hu Shi (1891–1962) und dem bedeutenden Schriftsteller Lu Xun (1881–1936) unter Hinzuziehung der älteren Ausgaben erneut überarbeitet. Während der Text in den Frühfassungen mit einem allegorischen Traum endete, hängte Hu Shi noch 49 Kapitel an und beendete den Roman mit einem dramaturgisch überzeugenden Schluss.

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