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Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802

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Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802

Insel Verlag,

15 min read
12 take-aways
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What's inside?

Der wohl berühmteste Spaziergang der deutschen Literatur.

Literatur­klassiker

  • Reiseliteratur
  • Aufklärung

Worum es geht

Ein abenteuerlicher Spaziergang

Am 6. Dezember 1801 bricht Johann Gottfried Seume zu einem Spaziergang auf, der in die Literaturgeschichte eingehen wird. Viele glauben nicht, dass der nur 1,55 m große Mann lebendig zurückkehren wird. Schließlich führen die 6000 Kilometer, die er von Leipzig bis ins sizilianische Syrakus und zurück zu bewältigen hat, durch Gegenden, die von Straßenräubern unsicher gemacht werden – und für die zählt ein Menschenleben wenig. Aber Seume ist nicht nur Gelehrter, sondern auch ein erfahrener Soldat, und lässt sich nicht abschrecken. Bis zur berühmt gewordenen Reise war sein Leben von unglücklichen Umständen geprägt; jetzt will er es noch einmal wissen. Nach eigenem Gutdünken besichtigt er Städte und Sehenswürdigkeiten und beweist dabei durchaus Mut zur Lücke. Meist zu Fuß unterwegs und in eher armseligen Wirtshäusern logierend, begegnet er Menschen, die die Kutschenfahrer seiner Zeit nie zu Gesicht bekommen. Was er sieht, analysiert er mit wachem, kritischem Verstand. Deshalb kann er am Ende seiner Reise einen Bericht aus ungewöhnlicher Perspektive abliefern, der nicht nur seine Zeitgenossen fasziniert, sondern auch heute noch Menschen dazu inspiriert, ihren Reisezielen mit offenen Augen und mit aufgeklärtem Verstand zu begegnen.

Take-aways

  • Mit dem Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802 wurde Johann Gottfried Seume auf einen Schlag berühmt.
  • Das Werk zeichnet seine Reise von Sachsen nach Sizilien und zurück nach. Er war neun Monate lang großenteils zu Fuß unterwegs.
  • Wegen seiner schmalen Reisekasse übernachtet Seume meist in einfachen Gasthäusern.
  • Bei seiner Wanderung besichtigt er wichtige Städte und Kunstschätze; mehr noch aber geht es ihm darum, Land und Leute kennen zu lernen.
  • Die Reise erweist sich als gefährlich, in Österreich drohen marodierende Soldaten, in Italien Räuberbanden.
  • In Wien ist die Stimmung gedrückt; die Leute fürchten sich vor staatlicher Bespitzelung.
  • Aufgrund persönlicher Kontakte und Empfehlungsschreiben erhält Seume Zutritt zu wichtigen Personen.
  • In Syrakus kann er endlich seinen geliebten Theokrit in dessen Heimatstadt lesen.
  • Roms Sehenswürdigkeiten beeindrucken Seume ebenso, wie ihn die allgegenwärtige Gewalt und Armut entsetzt.
  • Insgesamt empfindet er Italien als ein verelendetes Land, das von Kirche und Adel ausgebeutet wird.
  • In Paris sieht er Napoleon bei einer Truppenparade und ahnt, dass der Feldherr in seinem Machthunger die Fortschritte der Französischen Revolution zunichtemachen wird.
  • Seumes Reisebericht war zu seiner Zeit bahnbrechend und findet bis heute Nachahmer, darunter den Briten Patrick Leigh Fermor und Friedrich Christian Delius.

Zusammenfassung

Aufbruch von Sachsen

Am 6. Dezember 1801 schnallt sich Johann Gottfried Seume im sächsischen Grimma nahe Leipzig den Tornister aus Seehundfell um und begibt sich, zuerst noch von seinem Freund Veit Schnorr begleitet, auf seinen „Spaziergang“ nach Syrakus an der Südspitze Siziliens. Tatsächlich ist er fest entschlossen, die Strecke so weit wie möglich zu Fuß zurückzulegen. Als er in Dresden ankommt, empfindet er die Atmosphäre dort, wie in vielen Residenzstädten, als bedrückend und unfreundlich und schreibt das dem Einfluss der Höflinge zu. Während seines Aufenthalts erwacht er durch Kanonendonner und erfährt, dass dem Fürstenhaus ein Prinz geboren wurde. In Prag werden er und Schnorr sehr zuvorkommend behandelt; die beiden erhalten gültige Papiere bis nach Wien mit auf den Weg. Allerdings warnt man sie auch vor Räubern und Mördern.

Weiter nach Österreich

Am zweiten Weihnachtsfeiertag erreichen Seume und Schnorr Wien. Aufgrund von Empfehlungsschreiben erhält Seume dort Zugang zu einigen wichtigen Leuten und Kunstsammlungen. Die Wiener Theater beeindrucken ihn nicht allzu sehr. Ihm fällt auf, dass es in Wien nur Papiergeld und schlechte Münzen zu geben scheint. Die Leute wirken eingeschüchtert, trauen sich kaum, in der Öffentlichkeit laut zu reden, und reagieren aus Angst vor Spitzeln geradezu entsetzt, als Seume unbedarft und lautstark seine Meinung über die Verhältnisse kundtut. Vor den Toren der Stadt trennen sich Seume und Schnorr: Banden versprengter ehemaliger Soldaten sollen die Straßen auf der geplanten Route unsicher machen, und Schnorr als Familienvater will ein solches Risiko nicht eingehen.

„Lieber Leser, Voriges Jahr machte ich den Gang, den ich hier erzähle; und ich tue das, weil einige Männer von Beurteilung glaubten, es werde vielleicht Vielen nicht unangenehm, und Manchen sogar nützlich sein.“ (S. 11)

So wandert Seume allein in die österreichischen Berge. Meist übernachtet er in kleinen, einfachen Gasthöfen am Wegrand. Die Postkutsche nimmt er nur selten in Anspruch, weil er seine bescheidene Reisekasse schonen will – und weil es sich ja vor allem um einen Spaziergang handeln soll.

In Graz bleibt er einige Tage, da ihm die Atmosphäre und die Leute gefallen. In diesem Umfeld beginnt er über die Bedeutung der Gerechtigkeit als Voraussetzung für Frieden und Glück nachzudenken und verfasst bei seiner Einkehr in ein Wirtshaus ein Gedicht zu dem Thema. Er ist enttäuscht, dass die Hoffnungen, die vom revolutionären Frankreich ausgingen, sich offensichtlich nicht bestätigt haben. Fröhlich stimmt ihn dagegen die sorgfältig gepflegte Kulturlandschaft um Graz.

Quer durch Italien

In Triest findet Seume alles sehr kaufmännisch ausgerichtet. Gleichzeitig scheint das Schauspielhaus das beste zu sein, das er bisher angetroffen hat. Auf dem Fußweg nach Venedig kommt ihm die ganze Gegend ziemlich gefährlich vor und er macht keinen Halt für Sehenswürdigkeiten. Dafür richtet er sein Augenmerk auf Militärisches: Eine Grenzfestung beispielsweise, an der er vorbeikommt, lässt sich nach seiner Einschätzung besonders gut verteidigen.

„Meine meisten Schicksale lagen in den Verhältnissen meines Lebens; und der letzte Gang nach Sicilien war vielleicht der erste ganz freie Entschluß von einiger Bedeutung.“ (S. 14)

In Venedig, das von den Österreichern besetzt ist, kommt er am 3. Februar 1802 an. Die zahlreichen Kirchen verblüffen ihn, aber auch die große Armut und die vielen Bettler. Bei seinen Besichtigungen sieht er u. a. die von dem Bildhauer Canova angefertigte Marmorstatue der Göttin Hebe. Er ist von der Schönheit des Kunstwerks so begeistert, dass er ein Gedicht darüber verfasst. Auf dem Weg nach Rom lässt sich Seume wegen der schlechten Straße einige Stunden den Po hinaufrudern. Obwohl die Gegend sehr fruchtbar ist, herrscht Armut, was er auch auf die Schäden, die der Fluss oft anrichtet, zurückführt.

„Ich lege dieses zwar nicht als ein vollständiges Gemälde, aber doch als einen ehrlichen Beitrag zur Charakteristik unserer Periode bei den Zeitgenossen nieder, und bin zufrieden, wenn ich damit nur den Stempel eines wahrheitsliebenden, offenen, unbefange“

Kurz vor Rom wird Seume von einem Wagenführer derart bedrängt, dass er nachgibt und sich in die Kutsche setzt. Drinnen trifft er auf einen Mann, der als eine Art Haushofmeister den Palazzo Strozzi in Rom betreut. Durch diese Bekanntschaft lebt Seume in Rom weit gediegener als üblich. Er besucht einige deutsche Künstler, und Kardinal Borgia empfängt ihn aufgrund eines Empfehlungsschreibens.

„Die Herren waren ganz verblüfft zu hören, dass ich von Leipzig nach Agrigent tornistern wollte, bloß um an dem südlichen Ufer Siziliens etwas herumzuschlendern und etwa junge Mandeln und ganz frische Apfelsinen dort zu essen.“ (über andere Reisende, S. 1“

Bei Neapel besucht Seume das angebliche Grab Vergils und andere Sehenswürdigkeiten, bevor er sich auf das Schiff nach Palermo begibt.

Auf Sizilien

In Palermo besucht Seume zuerst Pater Sterzinger, den dortigen königlichen Bibliothekar, für den er Briefe des königlichen Sekretärs aus Wien hat. Das führt zu weiteren Empfehlungsschreiben, die ihm den Aufenthalt in Sizilien sehr angenehm machen. Weil er sich seine abgelaufenen Stiefel besohlen lassen muss, übersetzt er zum Zeitvertreib einige Passagen aus dem mitgebrachten Werk des Theokrit, der Sizilianer war.

„Dies ist also das Ziel meines Spazierganges, und nun gehe ich mit einigen kleinen Umschweifen wieder nach Hause.“ (über Syrakus, S. 182)

Nach einem Besuch der sizilianischen Hauptstadt will Seume die südliche Küste entlang zu seinem Endziel Syrakus wandern und dabei bekannte Altertümer wie den Tempel von Segesta besichtigen. Auf Empfehlung seines Zimmergenossen, eines neapolitanischen Offiziers, heuert Seume einen Mauleseltreiber als Führer an. Dieser aber reitet mit ihm, anders als geplant, auf dem alten römischen Weg durch die Mitte der Insel. Der Großteil Siziliens ist unbebaut. Als Seume die bittere Armut der Bewohner sieht, ist er über die sizilianischen Barone und Äbte, denen er die Schuld daran gibt, erzürnt.

„In Syrakus ging ich durch alle drei Tore der Festung als Spaziergänger, ohne daß man mir eine Sylbe sagte: auch bin ich nicht weiter gefragt worden. Das war doch noch eine artige stillschweigende Anerkennung meiner Qualität. Den Spaziergänger lässt man g“

In Agrigent entlässt er seinen Mauleseltreiber, weil ihm das Ganze zu teuer wird, und geht allein weiter – dies, obwohl ihn alle vor Banditen und Räubern warnen, die auf seinem weiteren Weg besonders gefährlich sein sollen. Als er den Strand entlangläuft, wird er tatsächlich von drei bewaffneten Reitern bedrängt und ausgefragt. Sie durchsuchen seinen Rucksack (den wertvolleren Tornister hat er vorsichtshalber in Palermo gelassen) und begutachten seine eher ärmliche Kleidung. Dann geben sie ihm etwas Wein und lassen ihn laufen. Zum Glück hat er seine goldene Uhr tief unten in der Tasche deponiert und seine verbliebenen 27 Unzen Gold unter dem linken Arm versteckt.

Am Wendepunkt

Endlich kommt Seume wohlbehalten in Syrakus an. Als er in der Umgebung Altertümer besichtigen will, gerät er in ein Sumpfgebiet. Nur mit Not kann er sich aus dem Morast befreien und die Stadt noch kurz vor dem abendlichen Torschluss erreichen. In Syrakus hat Seume Gelegenheit, den kleinen Hafen zu besichtigen, wo Archimedes die Athener Flotte mit Feuer besiegte. Hier kann er seinen geliebten Theokrit endlich in dessen Heimatstadt lesen. Neben all den sehenswerten historischen Stätten dominiert auch in Syrakus die Armut. Die umliegenden Berge sind zwar fruchtbar, aber niemand bebaut sie.

„Jetzt sitze ich hier und lese den Theokrit in seiner Vaterstadt.“ (S. 202)

Seume macht sich auf den Rückweg. Zusammen mit fünf Engländern und einigen Bergführern besteigt er den Vulkan Ätna und geht dann in Richtung Palermo weiter. Auf dem Monte Pellegrino zerbricht er in einem emotionalen Anfall das kleine Bild einer Frau, die ihn betrogen hat. Er denkt noch einige Minuten wehmütig an sie, dann wirft er die Stücke den Berg hinunter.

„Sie haben einen erschlagen, klingt in Sicilien und Unteritalien nicht härter als bei uns, wenn man sagt, es ist einer berauscht in den Graben gefallen.“ (S. 260)

In den Straßen von Palermo wird er Zeuge, wie ein Mann einen anderen ersticht. Die in der Nähe stehende Polizei scheint das nicht weiter zu kümmern. Mit dem Paketboot fährt Seume nach Neapel. Er sieht die russische Leibwache des Königs, der seinen eigenen Soldaten nicht traut. Zwischendurch besichtigt er Pompeji und erklimmt den Vesuv.

Wieder in der Ewigen Stadt

Um Zeit zu sparen, fährt Seume von Neapel nach Rom mit einem militärischen Kurier. Obwohl das Gerücht die Runde macht, Räuber hätten einen Mann ausgeraubt und erschlagen, hält er an seiner alten Gewohnheit fest und läuft dem Wagen so oft wie möglich voraus. Plötzlich stürzen sich vier Männer aus einem Gebüsch auf ihn. Zwei halten ihm Dolche an Hals und Brust, die anderen zielen mit Karabinern auf ihn. Sie filzen ihn, finden aber nur wenig Geld. Daraufhin wollen ihn die Räuber in die Büsche zerren, um ihn gründlicher zu durchsuchen. Seume macht sich so schwer wie möglich. Zum Glück ist da auch schon die Kutsche zu hören. Die Räuber lassen von Seume ab und fliehen in den Wald. Da ihre Gesichter bemalt waren und sie falsche Bärte trugen, stammen sie wahrscheinlich aus der Gegend und hätten Seume als Zeugen wohl umgebracht.

„Nun bin ich wieder hier in dem Sitz der heiligen Kirche, aber nicht in ihrem Schoße. Wie schade das ist; ich habe so viel Ansatz und Neigung zur Katholizität, würde mich so gern auch an ein Oberhaupt in geistlichen Dingen halten, wenn nur die Leute etwas“

Als der Reisende in Rom ankommt, hört er, man habe zwei der Räuber gefasst und sie würden bald gehenkt. Seume erfährt, dass die alten Herrscher ihre Macht zurückgewinnen und auch die Klöster und Kirchen ihre großen Besitztümer zurückerhalten. Als Folge leben die Kirchenoberen im Luxus, während das Volk hungert. Während Seumes Aufenthalt sterben jeden Tag einige Menschen vor Hunger, manchmal direkt vor seinen Augen.

„Rom ist oft die Kloake der Menschheit gewesen, aber vielleicht nie mehr als jetzt.“ (S. 289)

Zur Zeit der französischen Besatzung war das Dolchtragen bei Todesstrafe verboten und es gab kaum Überfälle. Mittlerweile aber trägt jeder einen Dolch, und Gewalt ist an der Tagesordnung. Einige der Täter haben offenbar gute Kontakte, angeblich sollen sie sogar in den Kutschen von Kardinälen sicher aus der Stadt gebracht worden sein.

„Das Schicksal hatte ihm die Macht in die Hände gelegt, der größte Mann der Weltgeschichte zu werden: er hatte aber dazu nicht Erhabenheit genug und setzte sich herab mit den übrigen Großen auf gleichen Fuß.“ (über Napoleon, S. 357 f.)

Rom ist noch immer voller Kunstschätze, da die Franzosen Privatsammlungen nicht angetastet haben. Seume geht auf ausgedehnte Besichtigungstouren und verfasst eine Rhapsodie auf das Kapitol. Die Peterskirche begeistert ihn weniger, er meint aber, sie würde einmal eine prächtige Ruine abgeben.

Nach Frankreich

In Florenz hört Seume Gerüchte über Napoleons Privatleben und seine frühere Bekanntschaft mit dem neuen Papst Pius VII., dessen Wahl als kluger Schachzug der Kirche zur Wiedererlangung der Macht gilt. Auch in Florenz besichtigt Seume ausgiebig Kunstwerke. Die öffentliche Zurschaustellung von Nacktheit findet er allerdings moralisch und geschmacklich fragwürdig. Übrigens weicht er mehrmals während seiner Reise Versuchungen durch schöne Frauen und Prostituierte aus.

„Morgen gehe ich nach Grimme und Hohenstädt, und da will ich ausruhen trotz Epikurs Göttern. Mir deucht, dass ich nun einige Wochen ehrlich lungern kann.“ (S. 384)

Durch die Schweiz gelangt Seume nach Frankreich. Zuvor versuchen ihn spanische Werber in Basel für den Militärdienst zu gewinnen. Seume lehnt ab, freut sich aber, dass er noch für jung genug gehalten wird, um im Militär zu dienen.

Am 6. Juli kommt Seume in Paris an. Eigentlich will er dort seinen Freund Schnorr treffen, aber der ist schon eine Woche vorher abgereist. Seumes Geld wird allmählich knapp. Trotzdem besucht er den Louvre und Versailles. Am 14. Juli sieht er Napoleon bei einer Truppenparade. Hat Seume früher große Hoffnungen in ihn gesetzt, ist er jetzt von dessen selbstsüchtigen Aktionen tief enttäuscht. Seume hält eine gut geführte Republik für die beste Staatsform, sieht die französische Republik aber als ungefestigt und von Napoleons Ehrgeiz und Machthunger bedroht. Am Ende war die Französische Revolution vielleicht doch nicht mehr als eine der typisch französischen Modeerscheinungen.

Richtung Heimat

Von Paris aus reist Seume über Frankfurt nach Sachsen zurück. Unterwegs besucht er seine alte Mutter in Poserna. Als orthodoxe Lutheranerin hat sie sich arg um ihren Sohn in päpstlichen Landen gesorgt und besteht nun darauf, dass er mit der Kutsche weiterreist. Ende August 1802 in der Heimat angekommen, will er sich erst einmal so richtig von seinem „Spaziergang“ erholen.

Zum Text

Aufbau und Stil

Der Reisebericht Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802 besteht aus zwei Teilen, die der Hin- und der Rückreise entsprechen. Beide Teile sind in weitere Abschnitte gegliedert, denen wie bei Briefen Ortsnamen und teilweise auch Datumsangaben vorangestellt sind. Das rührt daher, dass Seume neben seinen persönlichen Reisenotizen auch Briefe, die er an Freunde geschrieben hatte, für sein Buch heranzog. Oft bleibt daher unklar, ob die relativ häufige Leseransprache auf Briefe zurückgeht oder nicht. Auch sonst gibt es kleinere Unregelmäßigkeiten: Die Schreibweise von Ortsnamen etwa variiert gelegentlich.

Seume geht es offensichtlich nicht um Feinheiten und Formalitäten, auch nicht in seinem Schreibstil. Der ist mal sachlich, mal humorvoll, manchmal durchaus inspirierend, öfters aber auch etwa pathetisch. Wenn der Reisende gelegentlich vor Begeisterung ein Gedicht verfasst, dann wird auch das in den Text aufgenommen. Verblüffend sind seine Sprachkenntnisse: Der Text enthält nicht übersetzte Zitate aus einem halben Dutzend alter und neuer Sprachen; ganz so, als wären alle Leser ebenso bewandert wie der Autor.

Interpretationsansätze

  • Seumes Spaziergang nach Syrakus ist ein sehr subjektiver Reisebericht: Der Autor hat den Mut, bei seiner Reise angeblich Wichtiges auszulassen und sich intensiver mit Dingen zu beschäftigen, die objektiv weniger relevant erscheinen. Die berühmten Kunstschätze Italiens würdigt er z. B. deutlich weniger als andere Reisende seiner Zeit, stattdessen schildert er lieber die Natur und die Lebensumstände der Menschen.
  • Seumes Bericht, obwohl streng autobiografisch, hat Ähnlichkeiten mit einer literarischen Heldenreise: Wegen der durchaus realen Gefahren war die Reise sicher kein „Spaziergang“ (der Buchtitel ist insofern ironisch gemeint), sondern im Gegenteil ein Wagnis. Der Autor musste bereit sein, Strapazen und Gefahren auf sich zu nehmen, um sein Vorhaben durchzuführen.
  • Mit dem Spaziergang nach Syrakus hat Seume bewusst einen neuen Erkenntnisweg gesucht. Er war mit dem Gebot der Aufklärung, sich allein auf den eigenen Verstand zu verlassen, wohlvertraut. Entsprechend glaubte er, dass man zu Fuß und im hautnahen Kontakt mit den Menschen mehr Informationen sammeln konnte als durch ein Kutschenfenster beim Vorbeifahren.
  • Anders als etwa Goethe in seiner Italienischen Reise geht es Seume nicht um die Schilderung seiner eigenen inneren Reifung durch das Reiseerlebnis. Vielmehr zeigt er sich als scharfer Beobachter der Realität, der sozialen und politischen Verhältnisse. In Italien stößt er sich besonders an der Armut des Volkes, der Misswirtschaft der weltlichen und kirchlichen Herrschenden und dem allgemeinen Chaos nach den Napoleonischen Kriegen.

Historischer Hintergrund

Europa in Aufruhr

Anfang des 19. Jahrhunderts zeitigte die Aufklärung, europaweit von einflussreichen Philosophen wie Voltaire, David Hume, John Locke oder Immanuel Kant angefacht, ihre konkreten, praktischen Auswirkungen. Von den neuen Ideen ermutigt, rebellierten die amerikanischen Kolonien Englands und setzten ihre Unabhängigkeit durch. Die Revolution in Frankreich war noch radikaler und blutiger. Dazu kam, dass das erste echte Volksheer des Kontinents vom genialen Strategen Napoleon Bonaparte angeführt wurde und von Sieg zu Sieg zog. 1799 riss der Feldherr die Macht in Frankreich an sich und erklärte die Revolution für beendet. Italien wurde zum Schauplatz kriegerischer Auseinandersetzungen zwischen Frankreich auf der einen, Russland und Österreich auf der anderen Seite. Der von Napoleon zunächst eroberte und annektierte vatikanische Kirchenstaat wurde nach der französischen Niederlage in Italien wiedererrichtet und 1801 im Konkordat zwischen Napoleon und Papst Pius VII. zementiert. In Teilen des Landes war die Bevölkerung durch die Kriegsfolgen völlig verarmt, und die öffentliche Ordnung brach nach dem Abzug der Franzosen weitgehend zusammen.

Wegen des grassierenden Räuberunwesens waren Reisen nach Italien zwar gefährlich, aber nach der vorübergehenden Beendigung der Kriegshandlungen zumindest wieder möglich. Das war gerade für viele Deutsche eine gute Nachricht, denn die Bildungsreise nach Italien gehörte für Adlige und reiche Bürgerliche fast schon zum guten Ton. So hatte nicht nur Johann Wolfgang von Goethe 1786–1788 eine Italienreise unternommen, sondern vor ihm auch sein Vater und nach ihm sein Sohn – ebenso wie viele weitere Künstler.

Entstehung

Johann Gottfried Seume war zu Beginn seiner Reise 38 Jahre alt. Ein unscheinbarer Mann von kleiner Statur, der in seinem Leben – vor allem aufgrund äußerer Widrigkeiten – noch nicht viel erreicht hatte. Der Spaziergang nach Syrakus war für ihn daher auch eine persönliche Bewährungsprobe und ein Befreiungsschlag. Seumes gesamte Bildung war bis zu diesem Zeitpunkt von einem Adligen finanziert worden. Nun aber sah er sich Mann genug, auf eigenen Füßen zu stehen und zu gehen. Im Dezember 1801 ergab sich endlich die Gelegenheit, den lang gehegten Wunsch einer Italienreise zu erfüllen. Sein Freund, der Verleger Georg Joachim Göschen, konnte ihn als Setzer und Korrektor entbehren, und die Reiseroute nach Italien war nach Napoleons Rückzug frei.

Warum aber hatte er überhaupt den Wunsch nach einem gefährlichen Gewaltmarsch? Zum einen war Seume in seinem Leben immer wieder in unterschiedliche Zwangssituationen geraten und sehnte sich nach einem selbstbestimmten Leben. Er sah sich auch als tüchtigen Soldaten und wollte sich – nahe der 40 – noch einmal seiner Kräfte versichern. Gleichzeitig bedrückte ihn die unglückliche Liebe zur reichen Kaufmannstochter Wilhelmine Röder, von der er sich verraten fühlte, weil sie einen anderen geheiratet hatte. Und schließlich liebte Seume die alten Griechen, besonders Theokrit. Daher wahrscheinlich auch sein Entschluss, bis zu dessen Heimatstadt Syrakus zu wandern, statt nur nach Rom, dem üblichen Hauptziel der Italienreisenden. Das Buch zur Reise verfasste Seume wahrscheinlich auch aus Geldnot.

Wirkungsgeschichte

Die Veröffentlichung des Spaziergangs machte Seume auf einen Schlag berühmt. Zwar war es zu seiner Zeit gar nicht unüblich, dass Bürgerliche Reisen zu Fuß unternahmen und Berichte darüber veröffentlichten. Aber Seume war der Erste, der dies mit einem aufgeklärten, kritischen Blick auf Land und Leute tat und es wagte, seine Analysen unverblümt zu Papier zu bringen. Ein Vorgehen, mit dem er sich nicht nur Freunde machte: Carolina Herder, die Frau des bekannten Dichters, empörte sich darüber, dass Seume das Leben auf seiner Reise vor allem aus der Perspektive der Nichtprivilegierten zeigte und seine Einsichten auch noch so unverschämt offen zum Ausdruck zu bringen wagte. Auch Goethe hielt nicht viel von dem nun berühmten Fußgänger. Er selbst reiste lieber per Kutsche. Andere Autoren bewunderten Seume. Christoph Martin Wieland etwa verstieg sich sogar zu der Aussage: „Jahrhunderte können vergehen, bis Natur und Schicksal sich vereinigen, wieder einen Mann wie Er hervorzubringen.“

In den rund 200 Jahren nach seiner Erstveröffentlichung ist Seumes Buch in etwa 15 Ausgaben erschienen, wenn auch teilweise in gekürzter Form. Selbst in unserer Zeit hat Seume noch seine Nachahmer. Der britische Reiseschriftsteller Patrick Leigh Fermor etwa wurde mit dem Bericht seiner Reise nach Konstantinopel bekannt. Und im Sommer 1981 fasste der Rostocker Kellner Klaus Müller den Entschluss, wie Seume aus Sachsen nach Syrakus und zurück zu reisen. Kein leichtes Vorhaben, wenn man in der DDR lebte. Wie das Unterfangen trotz der fehlenden Reiseerlaubnis gelang, schildert Friedrich Christian Delius in seiner Erzählung Der Spaziergang von Rostock nach Syrakus (1995).

Über den Autor

Johann Gottfried Seume wird am 29. Januar 1763 im sächsischen Poserna als Sohn einer wohlhabenden Bauernfamilie geboren. Als der Vater 1776 stirbt, gerät die Familie in finanzielle Not. Der Graf Hohenthal ermöglicht Seume den Besuch der Lateinschule in Borna und der Nikolaischule in Leipzig. 1780 beginnt Seume auf Wunsch des Grafen ein Theologiestudium in Leipzig. Ein Jahr später wird er während einer Reise von hessischen Soldatenwerbern aufgegriffen und an die Engländer zum Einsatz gegen die amerikanischen Rebellen verkauft. Bei der Rückkehr aus Kanada nach Bremen fällt er 1783 erneut Werbern in die Hände, diesmal preußischen, die ihn in Emden vier Jahre lang als Musketier einsetzen. Zurück in seiner Heimat, studiert Seume mithilfe des Grafen Hohenthal erneut; diesmal Jura, Philosophie, Philologie und Geschichte. 1791 promoviert er, ein Jahr darauf folgt seine Habilitation. Fortan arbeitet Seume als Sekretär und Adjutant für den russischen General Igelström. Er wird zum Leutnant der russischen Armee befördert. 1796 verliebt er sich unglücklich in die Kaufmannstochter Wilhelmine Röder. Auf eigenen Wunsch wird er aus dem russischen Militärdienst entlassen. Ab 1797 arbeitet er als Korrektor und Lektor beim Verleger Göschen in Grimma. Dann – von Dezember 1801 bis August 1802 – folgt Seumes berühmt gewordene Reise nach Syrakus. Den entsprechenden Reisebereicht veröffentlicht er im Folgejahr unter dem Titel Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. 1806 erscheint Mein Sommer 1805, ein Bericht über Seumes Reise in einige nordosteuropäische Länder. 1808 erkrankt er an einem schweren Nieren- und Blasenleiden. Bei einem Kuraufenthalt im tschechischen Teplitz stirbt Johann Gottfried Seume am 13. Juni 1810.

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