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Guermantes

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Guermantes

Auf der Suche nach der verlorenen Zeit, Band 3

Suhrkamp,

15 min read
11 take-aways
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What's inside?

Der dritte Band von Prousts Jahrhundertwerk: eine Einführung in die ebenso vornehme wie verlogene Gesellschaft der Belle Époque.

Literatur­klassiker

  • Roman
  • Moderne

Worum es geht

Aus dem Leben eines Emporkömmlings

Guermantes ist der dritte Teil von Prousts monumentalem Romanwerk Auf der Suche nach der verlorenen Zeit, einem Leselabyrinth von gigantischen Ausmaßen. In diesem Band verliebt sich der Ich-Erzähler in die deutlich ältere Herzogin von Guermantes. Als seine geliebte Großmutter stirbt, ist Marcel endgültig in der Welt der Erwachsenen angekommen. Scheinbar mühelos erklimmt er eine Stufe nach der anderen auf dem Weg in die vornehmsten Salons von Paris. Was er dort findet, ist mal sterbenslangweilig, mal grotesk-komisch, immer aber ein Spiegelbild seiner Epoche. Proust nahm in diesem Buch die Dummheit, den Antisemitismus und die Verlogenheit seiner Zeitgenossen mit einer derart mikroskopischen Schärfe aufs Korn, dass sich einige Freunde entrüstet von ihm abwandten. Die Lektüre seines Mammutwerks ist nicht einfach: Am Anfang vieler Schachtelsätze ist kein Ende in Sicht, soweit das lesende Auge reicht, und bei der Vielzahl der Figuren kann man schon mal den Überblick verlieren. Allerdings gilt auch für dieses Romanepos, was die meisten großen Mehrteiler der Weltliteratur auszeichnet: Wer einmal in das Universum des Erzählers eingetaucht ist, schwimmt mit Vergnügen bis zum Ende weiter.

Take-aways

  • Auf der Suche nach der verlorenen Zeit zählt zu den bedeutendsten Romanen des 20. Jahrhunderts.
  • Guermantes, der dritte von sieben Bänden, handelt vom Eintritt des Ich-Erzählers Marcel in die gehobene Gesellschaft.
  • Er verliebt sich in die Herzogin von Guermantes und stellt ihr erfolglos auf ihren Morgenspaziergängen nach.
  • Im drittklassigen Salon von Madame de Villeparisis trifft er sie und ist enttäuscht von ihrem bissigen Hochmut.
  • Nach qualvoller Krankheit stirbt Marcels geliebte Großmutter.
  • Damit endet seine behütete Kinder- und Jugendzeit, während sein gesellschaftlicher Aufstieg beginnt.
  • In der Trauerzeit besucht ihn seine Jugendfreundin Albertine. Anders als früher lässt sie sich nun von ihm küssen.
  • Just als Marcels Leidenschaft für die Herzogin erloschen ist, lädt diese ihn zum Diner ein.
  • Ihre meist adligen Gäste entpuppen sich als hohle oder boshafte Snobs ohne Kunstverstand.
  • Der Baron von Charlus verspricht, Marcel die Tür zum Haus der Fürstin von Guermantes zu öffnen.
  • Die Salonszenen sind Bravourstücke subtiler Gesellschaftssatire. Proust verarbeitete darin u. a. seine Desillusionierung während der Dreyfus-Affäre.

Zusammenfassung

Im Dunstkreis der Guermantes

Marcel ist umgezogen. Die neue Wohnung seiner Familie befindet sich neben dem Pariser Stadtpalais des Herzogs und der Herzogin von Guermantes. Marcel und Françoise, die alte Dienerin der Familie, leiden unter der Umstellung. Doch schon bald weckt die Nähe der Adelsfamilie das Interesse des Jünglings: Das legendäre Geschlecht der Guermantes war schon in der Kindheit Gegenstand seiner Träume. Während eines Galaabends in der Oper verklärt sich für ihn diese Faszination ins Mystische: Die Logen erscheinen ihm wie Meeresgrotten und ihre vornehmen Besucher wie Wassernymphen. Die Toilette der Herzogin allerdings besticht durch schlichte Eleganz. Als sie Marcel im Zuschauerraum erblickt, grüßt sie ihn lächelnd.

Fieberhafte Annäherung

Marcel hat sich in die Herzogin verliebt. Jeden Tag richtet er so ein, dass er ihr während des Morgenspaziergangs begegnet. Madame erwidert seinen Gruß mit mürrischer Miene. Das ganze Haus lästert über seine Besessenheit, auch Françoise macht aus ihrer Missbilligung keinen Hehl. Marcel besucht daraufhin seinen Freund Saint-Loup in der Garnisonsstadt Doncières. Er möchte ihn dazu bewegen, bei der Herzogin, die seine Tante ist, ein gutes Wort für ihn einzulegen. Interessiert beobachtet er das Soldatenleben, debattiert mit Saint-Loups Kameraden über die Kriegskunst, die Dreyfus-Affäre und soziologische Fragen. Er bemerkt, wie beliebt sein Freund ist, wie unverkrampft und selbstverständlich seine Eleganz und wie aristokratisch seine Bescheidenheit. Saint-Loup wiederum führt Marcel vor wie einen seltenen Papagei und brüstet sich mit dessen intellektuellem Feinsinn. Zugleich wird er eifersüchtig, als Marcel sich länger allein mit einem seiner Kameraden unterhält. Schließlich nimmt der Besucher seinen Mut zusammen und erwähnt sein Anliegen. Saint-Loup verspricht, ihm zu helfen. Wenige Tage später telefoniert Marcel im örtlichen Postamt mit seiner Großmutter. Ihre zärtliche, aber traurige Stimme beunruhigt ihn. Als dann auch noch die Leitung zwischen ihnen zusammenbricht, entschließt er sich zur Heimkehr. Am Morgen verpasst er Saint-Loup im Hotel und fährt zur Kaserne, um sich dort von ihm zu verabschieden. Unterwegs begegnet er ihm in einem Wagen. Doch Saint-Loup grüßt ihn kalt, wie einen Fremden. Verwirrt reist Marcel ab.

Verzehrt von Leidenschaft

Seine Großmutter findet er verändert vor. Sie wirkt plötzlich gealtert und schwach auf ihn. Marcels Vater, dem die Untätigkeit seines Sohnes unangenehm ist, schlägt ihm vor, im Salon von Madame de Villeparisis Kontakte für seine Schriftstellerkarriere zu knüpfen. Der Hinweis brennt wie Salz in einer offenen Wunde: Marcel leidet unter einer Schreibblockade. Er weiß, dass er mit jedem verflossenen Tag wertvolle Zeit verliert.

„Trotz allem ist die Welt, in der man während des Schlafes lebt, eine so andere, dass Menschen, die den Schlaf nur mit Mühe finden, vor allem aus der unsrigen herauskommen wollen.“ (S. 116)

Saint-Loup ist zu Besuch in Paris und lädt ihn zu einem Essen mit seiner Geliebten, einer Schauspielerin, ein. Marcel erkennt in ihr die ehemalige Prostituierte Rachel, deren Dienste ihm vor Jahren einmal angeboten wurden. Doch er schweigt, denn Saint-Loup weiß nichts von Rachels Vergangenheit in den Gossen von Paris. Solange sie ihn gut behandelt, verehrt er sie wie eine Göttin und überhäuft sie mit Geschenken. Sobald sie jedoch offen mit anderen Männern flirtet, wird er rasend eifersüchtig. Während des Essens streiten sie sich erst heftig, vertragen sich dann im Seitenzimmer des Restaurants und feiern ihre Aussöhnung mit Champagner. Am späteren Nachmittag sieht Marcel Rachel in einer Statistenrolle im Theater. Er versteht nun, weshalb sein Freund sich in sie verliebt hat: Stark geschminkt und gestikulierend ist das blasse, sommersprossige Mädchen wie ausgewechselt. Der Theaterbesuch freilich endet mit einem neuen Zerwürfnis des Paars. Außerdem ohrfeigt Saint-Loup einen Journalisten und verprügelt einen Homosexuellen, der ihm Avancen gemacht hat.

Eine deklassierte Gesellschaft

Marcel besucht den Salon von Madame de Villeparisis. Mit Ausnahme einiger enger Verwandter meidet die vornehme Pariser Gesellschaft diesen Ort. Die meisten Besucher sind Bürgerliche, drittklassige Künstler oder gehören dem Provinzadel an. Auch Marcels alter jüdischer Freund Bloch, mittlerweile Bühnenautor geworden, ist da. An ihm entzünden sich zahllose Diskussionen über den jüdischen Offizier Dreyfus, der des Hochverrats angeklagt ist. Die meisten Salonbesucher können aus schierem Antisemitismus nichts mit Bloch anfangen, und er manövriert sich zusätzlich durch sein gleichzeitig anbiederndes und ungehobeltes Verhalten ins Abseits. Später erscheint die Herzogin von Guermantes im Salon. Sie begrüßt Marcel eisig. Er hat bereits viel von ihrem berühmten Esprit und ihren geistreichen Bonmots gehört. Doch am Ende ist er wieder einmal enttäuscht: Ihre Bemerkungen erscheinen ihm bloß boshaft und ihr Witz schadenfroh. Am Ende des Abends bietet der Baron von Charlus Marcel an, ihn in ein brisantes Geheimnis einzuweihen, das sich um vier europäische Herrscher, darunter den deutschen Kaiser, rankt. Die Bedingung hierfür: Marcel müsse ihn täglich aufsuchen und der Gesellschaft aus dem Weg gehen.

Krankheit und Tod der Großmutter

Marcels Großmutter geht es schlechter. Die Familie bittet mehrere Mediziner um Rat. Ein berühmter Arzt für Geisteskrankheiten diagnostiziert ein eingebildetes nervöses Leiden und legt der Kranken nahe, möglichst viel Zeit an der frischen Luft zu verbringen. Während eines Spaziergangs in den Champs-Elysées eilt sie unvermittelt zu einem Toilettenhäuschen, das Marcel an eine erotische Erfahrung in seiner Jugend erinnert. Einige Zeit verstreicht, dann erscheint sie mit rotem Gesicht, beschmutztem Mantel und schief sitzendem Hut. Sie bewegt sich ruckartig und spricht schleppend. Marcel begreift, dass sie einen leichten Schlaganfall erlitten hat. Ein befreundeter Professor bestätigt seine schlimmsten Befürchtungen: Der Schlaganfall war die Folge einer Harnvergiftung. Seiner Großmutter ist nicht mehr zu helfen.

„Ich war bloß das Werkzeug von Gewohnheiten, nämlich nicht zu arbeiten, nicht zu Bett zu gehen, nicht zu schlafen, die sich um jeden Preis durchsetzen mussten (...)“ (S. 206)

Die Pflege der Kranken erweist sich als schwierig. Gegen die Schmerzen erhält sie zunächst Morphium, das schließlich aus medizinischen Gründen wieder abgesetzt wird. Über Nacht nimmt sie das Aussehen einer Greisin an, und am Ende erkennt sie ihre eigenen Angehörigen nicht mehr. Einmal hindert Marcels Mutter sie im letzten Moment daran, sich aus dem Fenster zu stürzen. Die Todesnacht der Großmutter bricht an, und die Familie erhält bereits Kondolenzbesuche, darunter den des Herzogs von Guermantes. Blind für den Schmerz der Familie fordert er Marcel auf, ihm seine Mutter in aller Form vorzustellen. Er zieht beleidigt ab, weil er sich nicht gebührend empfangen fühlt. Nach einer letzten heftigen Bewegung stirbt Marcels Großmutter. Der Schmerz, die Runzeln und das Alter sind wie von Zauberhand aus ihren Zügen verschwunden.

Unverhoffter Besuch

Marcels Eltern sind für einige Tage nach Combray gefahren und er verbringt den kalten, nebligen Herbsttag im Bett. Überraschend kommt Albertine zu Besuch. Sie ist größer, rundlicher und erwachsener geworden. Nichts an ihr erinnert mehr an die langbeinige Kindfrau aus Balbec. Zwar ist Marcel nicht mehr in sie verliebt, begehrt sie aber umso mehr. Während er mit ihr plaudert, denkt er nur daran, sie in die Arme zu schließen. Er bringt sie dazu, sich zu ihm ins Bett zu legen – da platzt Françoise ins Zimmer. Albertine kann noch im letzten Augenblick auf den Stuhl zurückspringen. Nachdem Françoise verschwunden ist, lässt Albertine sich bereitwillig auf die Wange küssen. Der Kuss erscheint ihm ungeschickt, Nase und Augen sind ihm im Weg und der erwartete Rosengeschmack bleibt aus. Die beiden liebkosen einander noch auf dem Bett, und Marcel erlebt einen Orgasmus. Das ist alles, was er wollte, doch Albertine verspricht sich offenbar mehr: Körperliche und seelische Liebe sind für sie untrennbar. Nach dem Besuch geht Marcel zu einem Empfang bei Madame de Villeparisis, wo er die Herzogin von Guermantes trifft. Er ist längst nicht mehr in sie verliebt, und seit der Einstellung seiner Morgenspaziergänge ist sie ihm plötzlich wohlgesinnt: Freundlich bittet sie ihn, zum Diner in ihren Salon zu kommen.

Im Kreis der Herrschaften

Zunächst hat Marcel noch ein von Saint-Loup arrangiertes Rendezvous mit einer jungen Adligen, Madame de Stermaria. Tagelang malt er sich aus, wie es sein wird, sie auf einer Insel im Bois de Boulogne zu erobern. Doch Madame sagt im letzten Moment ab. Marcel weint vor Enttäuschung. Er tröstet sich mit einem Abendessen mit Saint-Loup und dessen aristokratischen Freunden. Die meisten von ihnen sind borniert, eingebildet und rücksichtslos. Aus ihrer Schuldenmisere versuchen sie sich mithilfe einer guten Partie zu retten, etwa durch die Heirat amerikanischer Millionärstöchter. Saint-Loup erwähnt nebenbei, dass sein Onkel Charlus Marcel am folgenden Abend zu sehen wünsche.

„Freilich war das gesellschaftliche Kaleidoskop gerade in einer Drehung begriffen, und die Dreyfus-Affäre sollte die Juden auf den letzten Platz der sozialen Stufenleiter hinunterbefördern.“ (S. 263)

Am Tag darauf überschreitet Marcel endlich die Schwelle des Hauses, das für ihn die Eintrittspforte zum vornehmen Stadtteil Saint-Germain darstellt. Der Herzog von Guermantes empfängt ihn überschwänglich und führt ihn zunächst in das Zimmer, in dem die Bilder Elstirs hängen. Marcel verehrt dessen Kunst wie keine andere und vergisst bei der Betrachtung der Bilder die Zeit. Als er verspätet im Speisesaal erscheint, bemerkt er verschämt, dass alle Anwesenden mit dem Essen auf ihn gewartet haben. Dennoch begegnen sie ihm mit dem größten Charme und verhalten sich, als wäre er eine Berühmtheit, um die sich alle namhaften Salons der Stadt reißen. Besonders liebenswürdig ist die Prinzessin von Parma. Sie legt eine Demut und Bescheidenheit an den Tag, wie sie sich nur echte Hoheiten erlauben können, die niemanden mehr über sich wissen. Gleichzeitig ist sie jedoch schmerzlich naiv und fällt immer wieder auf die Scherze der Herzogin herein. Marcels Vorstellungen von der Aristokratie verkehren sich ins Groteske: Der sizilianische Fürst von Agrigent etwa, vom Herzog „Grigri“ genannt, ist kein dunkelhaariger Schönling, sondern ein lächerlicher Hampelmann. Die Gespräche drehen sich um Belangloses, offenbaren Standesdünkel und einen verknöcherten Kunstgeschmack. Selbst der viel gerühmte Esprit der Herzogin wirkt bemüht und brilliert, wenn überhaupt, nur auf Kosten anderer. Zwar betont sie, dass nicht Titel den Menschen adeln, sondern einzig sein Geist, Herz und Talent. Doch ihr Lebensstil und ihr hochmütiges Urteil über andere entlarven diese Reden als wohlfeile Tarnung. Ihre Meinung über europäische Souveräne wird nicht durch politische Überzeugung beeinflusst, sondern der Grad der verwandtschaftlichen Beziehung zu ihnen gibt den Ausschlag. Überhaupt scheint sich letztlich alles um die Genealogie zu drehen: Der „alte Adel“ trägt seine Abstammung mit sich herum wie verstaubte Trophäen.

Sesam, öffne dich

Auch beim Abschied muss das Protokoll eingehalten werden: Erst nach dem Abgang der Prinzessin von Parma dürfen die übrigen Gäste ihre Hüte nehmen. Marcel fährt zum Baron von Charlus, in der Hoffnung, ihm von seinen Eindrücken berichten zu können. Doch anstatt ihm zuzuhören, bellt Charlus ihm bei seinem Eintritt wüste Beleidigungen entgegen. Sie gipfeln in der Behauptung, dass sein junger Besucher es nicht einmal wert sei, ihm die Füße zu lecken. Marcel bekommt daraufhin einen Wutanfall und zertrampelt Charlus’ Zylinder, auf dessen Futter das Wappen der Guermantes abgebildet ist. Der Baron beruhigt sich ein wenig und begleitet ihn schließlich nach Hause. „Wer sein Kind lieb hat, der züchtigt es“, lautet seine Erklärung für das merkwürdige Verhalten. Er nimmt es Marcel offenbar übel, dass dieser sein geheimnisvolles Angebot ignoriert hat. Gleichzeitig hält er ihm einen neuen Köder vor die Nase, indem er verspricht, ihm Zugang zum Haus der Fürstin von Guermantes, der Kusine der Herzogin, zu verschaffen. Marcel hofft, dort endlich das zu finden, was er im Salon der Herzogin vermisst hat.

„Eine große Dame sein heißt die Rolle einer großen Dame spielen, und das heißt zu einem Teil Schlichtheit spielen. Es ist dies ein Spiel, das sehr teuer wird, umso mehr als Schlichtheit nur unter der Bedingung bewundert wird, dass die anderen wissen, man könnte auch anders als schlicht sein, man sei nämlich überaus reich.“ (S. 352)

Tatsächlich erhält er zwei Monate später eine Einladung der Fürstin. Marcel befürchtet einen schlechten Scherz, da sie und ihr Mann für ihren aristokratischen Snobismus berüchtigt sind, der kaum Bürgerliche neben sich duldet. Am Tag der Soiree sucht er deshalb seine Nachbarn auf, um auf diesem Weg herauszubekommen, ob er tatsächlich eingeladen ist. Der Herzog weist ihn ab, da ihm solche Gefälligkeiten unangenehm sind. Kurz darauf tritt der von Krankheit gezeichnete Charles Swann ein. Er überbringt der Herzogin eine wertvolle Kunstfotografie. Während Monsieur und Madame de Guermantes sich für den Abend schick machen, beklagt Swann sich bei Marcel über den irrationalen, von der Dreyfus-Affäre geschürten Antisemitismus vieler seiner ehemaligen Freunde. Zum Abschied sagt er der Herzogin, dass er bald sterben werde. Sie hält kurz inne, tut dann aber so, als rede er Unsinn. Kurz vor der Abfahrt der Kutsche schickt der Herzog seine Frau noch einmal ins Haus zurück: Sie soll zum roten Kleid statt der schwarzen ihre roten Schuhe anziehen.

Zum Text

Aufbau und Stil

Der erste Teil von Guermantes berichtet von den Annäherungsversuchen des Ich-Erzählers an die Herzogin von Guermantes und endet mit dem Schlaganfall seiner Großmutter. Deren Sterben wird im ersten Kapitel des zweiten Teils eindringlich beschrieben; es setzt einen symbolischen Schlusspunkt hinter Marcels behütete Jugend. Im zweiten Kapitel tritt Marcel als erwachsener Mann in die vornehme Pariser Gesellschaft ein. Proust konzentriert sich in diesem dritten Band seines Romanzyklus Auf der Suche nach der verlorenen Zeit auf satirische Gesellschaftsstücke, in denen er die Borniertheit und Dummheit vieler seiner Zeitgenossen aufs Korn nimmt. Allein die Beschreibung des Besuchs im Salon der Herzogin zieht sich über fast 200 Seiten hin. In so genannten Pastiches imitiert Proust auch den Stil berühmter Schriftstellerkollegen. Neben Gesprächen und Erinnerungen an vergangene Ereignisse nehmen die inneren Monologe des Ich-Erzählers großen Raum ein. Er reflektiert darin über Kunst und Philosophie, Krankheit und Tod, Liebe und Freundschaft. Um Schlüsselszenen hervorzuheben und Spannung zu erzeugen, zögert Proust die Handlung oft unerträglich lange hinaus: Ereignissen, die beim Lesen nur eine Minute in Anspruch nehmen, stellt er oft seitenlange Überlegungen oder Kunstbetrachtungen voraus. Gemäß Zeitzeugen schrieb der Asthmatiker Proust, wie er sprach: ausschweifend, verschachtelt und atemlos. Nicht umsonst werden ihm einige der längsten Sätze der französischen Literatur zugeschrieben.

Interpretationsansätze

  • Das Schaffen von Kunst durch die Erinnerung steht im Mittelpunkt von Auf der Suche nach der verlorenen Zeit. Proust unterscheidet zwischen dem willentlichen und dem unwillkürlichen Erinnern. Während Ersteres oft scheitert, wird Letzteres spontan durch unvermittelte Sinneseindrücke hervorgerufen.
  • Guermantes ist geprägt vom Thema Verklärung und Desillusionierung: Der Ich-Erzähler muss seinen kindlichen Traum vom Glanz und von der Ritterlichkeit des Adels begraben. Je höher er auf der gesellschaftlichen Leiter steigt, desto mehr wird er enttäuscht: Viele Aristokraten haben weder Herz noch Verstand.
  • Die Anspielungen auf Homosexualität, ein Schlüsselthema des Gesamtwerks, häufen sich: Als der Leser längst begriffen hat, dass der Baron von Charlus sich an Marcel heranmacht, ist dieser immer noch ahnungslos. Das steigert die Spannung.
  • Ein Grund für Prousts Desillusionierung über die vornehme Gesellschaft war die Dreyfus-Affäre, die Frankreich damals in Atem hielt. Die Debatten im Roman spiegeln die ambivalente Haltung des Autors wider: Er war als einer der ersten für eine Wiederaufnahme des Verfahrens und unterschrieb Emile Zolas berühmten offenen Brief J’accuse (Ich klage an). Wie viele Fürsprecher des Offiziers Dreyfus war er jedoch von dessen Persönlichkeit enttäuscht.
  • Proust spielt virtuos mit der Spannung zwischen Fiktion und Realität. Fast alle Figuren und Orte tragen die Züge realer Personen bzw. Gegenden aus seinem Leben. Allerdings sind sie niemals reine Abziehbilder. So stand etwa der große und dünne Dandy Robert von Montesquieu für den als dicklich beschriebenen Baron von Charlus Modell. Schon Prousts Zeitgenossen stritten sich lebhaft über den biografischen Kern des Werks, und so mancher Literaturwissenschaftler machte die detektivische Suche nach den realen Vorbildern der Figuren zu seiner Lebensaufgabe.

Historischer Hintergrund

Die Dreyfus-Affäre

Der dritte Band von Auf der Suche nach der verlorenen Zeit steht ganz unter dem Zeichen der Dreyfus-Affäre, die Frankreich um die Jahrhundertwende in zwei verfeindete Lager spaltete: das jüdisch-liberale und sozialistische auf der einen und das katholisch-aristokratische, antisemitisch-nationalistische auf der anderen Seite. Der jüdischstämmige Offizier Alfred Dreyfus war 1894 aufgrund fadenscheiniger Beweise wegen angeblicher Spionage für Deutschland angeklagt, verurteilt, degradiert und auf die Teufelsinsel verbannt worden. Oberst Marie-Georges Picquart ermittelte in der Affäre und fand heraus, dass nicht Dreyfus, sondern der Major Ferdinand Walsin-Esterházy der Verräter war. Allerdings gelang es dem französischen Militär, Beweise zu fälschen und an dem Schuldspruch gegen Dreyfus festzuhalten. Picquart selbst landete 1898 für ein Jahr im Gefängnis. Der Schriftsteller Émile Zola, wegen seiner Pro-Dreyfus-Streitschrift J’accuse der Verleumdung angeklagt, ging für fast ein Jahr ins Exil. 1899 flog die Fälschung der Beweisstücke auf. Endgültig rehabilitiert wurden Dreyfus und Picquart allerdings erst sieben Jahre später.

Die Affäre hatte weit reichende Folgen. Der Österreicher Theodor Herzl verfasste unter dem Eindruck des Antisemitismus in Frankreich und Europa 1896 sein Buch Der Judenstaat und begründete damit den Zionismus. Linke Parteien, Intellektuelle und die Gewerkschaften gewannen in Frankreich an Einfluss. Dagegen hatte sich die katholische Kirche in den Augen der Öffentlichkeit dermaßen kompromittiert, dass 1905 mit den so genannten „Lois Combes“ die endgültige Trennung von Staat und Kirche beschlossen wurde. Das Prinzip des Laizismus prägt den französischen Staat bis heute.

Entstehung

Proust hat Auf der Suche nach der verlorenen Zeit unzählige Male neu gegliedert und erweitert. In dem ursprünglichen, auf nur zwei Bände angelegten Romankonzept sollten die Salonszenen und jene mit Saint-Loup und dem Baron von Charlus eigentlich im zweiten Band stattfinden. Als der erste Band Unterwegs zu Swann 1913 in Druck ging, stellte sich heraus, dass das Gesamtwerk nicht nur zwei, sondern wohl drei Teile umfassen würde (letztendlich wurden es dann sieben), woraufhin Proust die Gliederung veränderte und neue Figuren und Episoden hinzufügte. Der zweite Band war bereits gesetzt, als 1914 der Erste Weltkrieg ausbrach und Prousts Verleger das Projekt auf Eis legte.

Der Autor baute viele seiner frühen literarischen Studien und Entwürfe in diesen dritten Band des Romanzyklus ein. Erste Porträts des Herzogs und der Herzogin von Guermantes finden sich bereits in Freuden und Tage (1896), und die Episode in der Garnisonsstadt Doncières taucht in ähnlicher Form im Romanfragment Jean Santeuil (1895–1899) auf. Das Kapitel über Krankheit und Tod der Großmutter, das Proust ursprünglich für den letzten Band vorgesehen hatte, sticht in seiner Intensität deutlich aus der Gesamtkomposition hervor. Proust hat darin den Tod seiner Mutter im Jahr 1905 verarbeitet. Sie war ebenso wie die fiktive Großmutter an einer Harnvergiftung gestorben.

Der unter schwerem Asthma leidende Proust schlief oft tagsüber und arbeitete nachts wie ein Besessener. Am Ende seines manischen Schaffens standen die sieben Bände von Auf der Suche nach der verlorenen Zeit. Der Autor starb 1922, noch bevor die letzten drei im Druck waren. Mit Die wiedergefundene Zeit erschien 1927 der letzte Band.

Wirkungsgeschichte

Guermantes erschien zweiteilig 1920 und 1921 in Paris. Proust hatte 1919 für den Vorgängerband Im Schatten junger Mädchenblüte den renommierten Prix Goncourt erhalten und war ein gemachter Mann. Zeitschriftenverleger rissen sich um unveröffentlichte Auszüge aus der Romanfortsetzung. Der Autor Léon Daudet lobte die treffenden Charakteranalysen und die Gesellschaftssatire im dritten Band. Einigen Freunden ging Proust mit seiner Treffsicherheit jedoch zu weit: Madame de Chevigné und Louis d’Albufera etwa erkannten sich in der Herzogin von Guermantes bzw. in Saint-Loup wieder und waren entrüstet.

Auf der Suche nach der verlorenen Zeit gilt vielen als das wichtigste literarische Werk des 20. Jahrhunderts. In Lesezirkeln weltweit zelebrieren Fans den Roman stilecht mit Lindenblütentee und Madeleines (nach zwei Motiven aus dem ersten Band). In die Popkultur fand er spätestens 1972 mit einem Sketch der britischen Komikergruppe Monty Python Eingang: Darin sollen Wettbewerber die sieben Bände in 15 Sekunden zusammenfassen – alle scheitern, und am Ende gewinnt „das Mädchen mit den größten Titten“. Volker Schlöndorff verfilmte 1984 den ersten Band unter dem Titel Eine Liebe von Swann. Zur Jahrtausendwende kam es dann zu einem echten Proust-Revival: Alain de Botton schrieb 1997 den augenzwinkernden Ratgeber Wie Proust Ihr Leben verändern kann, und 1998 erschien in Frankreich zum Entsetzen orthodoxer Proust-Fans Stéphane Heuets Comic-Adaption des Romans. Raoul Ruiz verfilmte 1999 Die wiedergefundene Zeit, und das Londoner Royal National Theater brachte im Jahr 2000 das Proust Screenplay des britischen Dramatikers Harold Pinter auf die Bühne.

Über den Autor

Marcel Proust wird am 10. Juli 1871 in Auteuil bei Paris geboren. Sein Vater ist ein berühmter Arzt, die Mutter stammt aus einer wohlhabenden jüdischen Bankiersfamilie. Ab 1878 verbringt er die Ferien in dem Dorf Illiers bei Chartre, das später als Vorbild für das fiktive Combray dienen wird. 1881 erleidet der kränkliche Proust seinen ersten Asthmaanfall. Ab dem Folgejahr besucht er das Lycée Condorcet, wo er zusammen mit Schulkameraden verschiedene literarische Zeitschriften herausbringt. Nach dem Abitur dient Proust trotz seiner schwachen Gesundheit für ein Jahr in der Armee in Orléans. Anschließend studiert er Politik und Jura, bricht ab und macht in Philosophie und Literatur einen Abschluss. Auf Druck seines Vaters nimmt er 1895 eine unbezahlte Stelle als Bibliothekar an, lässt sich aber bald darauf krankschreiben. Sein nach außen hin müßiges Leben, die exzellenten Verbindungen zum Adel sowie die Besuche in den schicksten Pariser Salons verschaffen ihm den Ruf eines Snobs und gesellschaftlichen Emporkömmlings. Der Autor kämpft zeitlebens mit seiner Homosexualität, die sein Vater ihm während seiner Jugend noch durch einen Bordellbesuch hat austreiben wollen. Proust hat zahlreiche Liebhaber, bekennt sich aber nie offen zu seiner sexuellen Orientierung. 1896 erscheint sein erstes Buch, die Kurzgeschichtensammlung Les plaisirs et les jours (Freuden und Tage). Mit einem Kritiker, der sich abschätzig darüber äußert, duelliert er sich. 1903 stirbt sein Vater und zwei Jahre darauf die über alles geliebte Mutter. Proust erbt ein Vermögen, das ihm ein arbeitsfreies Leben im Luxus ermöglicht. Doch seine Gesundheit verschlechtert sich zusehends. Er zieht sich mehr und mehr in das Schlafzimmer seiner Pariser Wohnung zurück und arbeitet an seinem Lebenswerk À la recherche du temps perdu (Auf der Suche nach der verlorenen Zeit). Den ersten der sieben Bände gibt er 1913 auf eigene Kosten heraus. Die letzten drei veröffentlicht sein Bruder posthum bis 1927. Marcel Proust stirbt am 18. November 1922 an einer Lungenentzündung.

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