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Innovationen Machen Sie Ihre Ideen groß

Innovationen haben es schwer. Nach euphorischem Start scheitern viele Neuerungen an Denkfehlern und Widerständen. Mit einem einfachen Modell lässt sich das ändern.
aus Harvard Business manager 2/2019
Foto: JAN VON HOLLEBEN

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Es war das Jahr 2003, als dem indischen Umweltforscher Narayana Peesapaty ein alarmierender Trend auffiel: Der Grundwasserspiegel in der Region um die Millionenstadt Hyderabad sank stark. Peesapaty prüfte die Niederschlagsdaten, fand aber nichts, was den Rückgang erklären konnte. Als er genauer hinsah, entdeckte er, dass eine Veränderung in der Landwirtschaft schuld war. Viele Bauern in der Gegend bauten keine Hirse mehr an – eine traditionelle Getreidesorte, die zunehmend als "Armenessen" galt –, sondern Reis. Diese durstige Pflanze braucht 60-mal so viel Wasser wie Hirse, um zu gedeihen. Weil die Bauern stark subventionierten Strom bezogen, pumpten sie ständig Wasser auf ihre Felder.

Peesapaty versuchte, auf die Agrarpolitik einzuwirken, indem er das Problem in Regierungsberichten dokumentierte – ohne Erfolg. Also suchte er nach Wegen, wie sich die Nachfrage nach Hirse steigern ließ. Dabei kam er auf die Idee, aus dem Getreide "essbares Besteck" zu machen – eine Lösung, mit der sich nicht nur der zu niedrige Grundwasserpegel bekämpfen ließe, sondern auch die Plage des Plastikmülls. Peesapaty gab seinen Job auf, um das Projekt zu verfolgen. Ein Jahrzehnt später ging ein Video viral, das er über sein Besteck gepostet hatte, und plötzlich kamen die Aufträge herein. Zwei Crowdfunding-Kampagnen übertrafen ihre Ziele um mehr als das Zwölffache. Im Jahr 2016 wurden die ersten Bestellungen an Unternehmen ausgeliefert. Noch ist es zu früh, zu sagen, ob der Grundwasserspiegel sich stabilisiert hat. Aber viele Bauern haben wieder mit dem Anbau der nachhaltigeren Hirse begonnen. Um die Produktion weiter zu fördern, erklärte die Regierung das Jahr 2018 sogar zum nationalen Jahr der Hirse.

Wie Peesapatys Geschichte zeigt, gibt es immer zwei Wege, um zu einer Lösung zu kommen: 1. Konformität – in diesem Fall der Versuch, die Politik über herkömmliche Kanäle zu beeinflussen – und 2. Originalität. Erstere eignet sich für viele alltägliche Herausforderungen. Für größere Probleme braucht es aber vielleicht einen Ansatz, der stärker vom gängigen Denken abweicht.

Als Wissenschaftler mit langjährigem Interesse an Themen wie Aufmerksamkeit, Sinnfindung, Innovation und digitaler Transformation haben wir uns in den vergangenen zehn Jahren mit Pionieren und Vorreitern des Wandels auf zahlreichen Feldern befasst, von Gründern über Ärzte bis hin zu Köchen. Zu unserer Arbeit mit Unternehmen gehörten Innovationsworkshops, die wir mit Spitzenteams abgehalten haben, Wachstumsprogramme sowie Veränderungsprozesse unter unserer Leitung. Wir haben Hunderte Führungskräfte gesprochen und befragt, die an Innovationsprojekten beteiligt sind. Im Zuge dieser Arbeiten haben wir typische Muster identifiziert, nach denen bahnbrechende Ideen entstehen. Aus diesen Erkenntnissen haben wir ein fünfteiliges Modell entwickelt, mit dem sich Ideen generieren und auf Dauer am Leben erhalten lassen.

Querdenker sind in der Lage, ihre Aufmerksamkeit zu fokussieren und das Bestehende mit frischem Blick zu betrachten. Sie treten einen Schritt zurück, um das Gesamtbild zu erfassen, erdenken ungewöhnliche Kombinationen, experimentieren schnell und klug, und sie steuern geschickt durch ein potenziell feindliches Umfeld, in ihrem eigenen Unternehmen wie auch außerhalb. Die Herausforderung besteht für sie darin, Vorurteile und Denkmodelle zu überwinden, die die Kreativität einschränken oder eine große Idee scheitern lassen.

In diesem Beitrag beschreiben wir die fünf Elemente unseres Modells und untersuchen, wie sie sich durch digitale Hilfsmittel ergänzen lassen. Zunächst wollen wir aber untersuchen, warum wegweisende Innovationen es so schwer haben – trotz des betriebswirtschaftlichen und gesellschaftlichen Drucks, etwas zu verändern.

Überraschender Mangel an Fortschritt

Der digitale Fortschritt der vergangenen 20 Jahre erlaubt es mehr Menschen als je zuvor, ihre kreative Intelligenz auszuleben. Querdenker auf der ganzen Welt genießen einen beispiellosen Zugang zum weit verteilten Wissen, zu Talenten, Kapital und Konsumenten – zu all dem, was sie brauchen, um ein Unternehmen oder eine Bewegung rund um eine großartige Idee zu gründen. Innovation ist mittlerweile komplett demokratisiert.

Trotzdem sind bahnbrechende Angebote immer noch selten. Abgesehen von neuen Dienstleistungen – begünstigt durch das Internet und mobile Apps –, haben wir in jüngster Zeit keine spektakulären, branchenübergreifenden Innovationsschübe erlebt. Die Ökonomen Tyler Cowen und Robert Gordon sprechen von einer Stagnation der Innovation. Managementvordenker Gary Hamel merkt an, dass Unternehmen von Ideen überflutet werden, die in eine von zwei Kategorien fallen: entweder klein und banal oder ausgefallen und hoffnungslos. In unserer Arbeit als Berater von Innovationsteams erleben wir, dass zahlreiche vielversprechende Ideen irgendwann oberflächlich, schmalspurig oder schräg werden – oder gleich ganz untergehen.

Der Mangel an Fortschritt überrascht, bedenkt man, dass Unternehmen heute über ein besseres Verständnis des Innovationsprozesses verfügen, vor allem durch Design Thinking und die Lean-Start-up-Methode. Begriffe wie "nutzerzentriert" ("user centered"), "Ideenfindung" ("ideation") und "strategische Neuausrichtung" ("pivot") sind heute weithin geläufig und haben verändert, wie Führungskräfte über die Entwicklung neuer Angebote denken. Doch trotz all dieser Orientierungshilfen haben nur 43 Prozent aller Unternehmen das, was Experten einen klar definierten Innovationsprozess nennen. Das hat CB Insights herausgefunden, ein Anbieter von Datenanalysen.

Wenn wir mit Unternehmern und Führungskräften über vorhandene Modelle für Innovation sprechen, geraten insbesondere drei sich überschneidende Punkte in die Kritik.

1. Die Modelle sind unrealistisch. Das bis heute einflussreiche Wasserfallmodell zum Beispiel, das auch Stage-Gate-Modell genannt wird (und den Innovationsprozess in Phasen und Meilensteine unterteilt – Anm. d. Red.), ist zu linear und nimmt wenig Rücksicht darauf, dass die Innovatoren womöglich ständig zwischen verschiedenen Aktivitäten hin- und herspringen müssen. Der Mehrfachgründer Elmar Mock, der die Swatch-Uhr miterfand, formulierte es 2016 in einem Podcast folgendermaßen: "Der natürliche Instinkt eines Innovators ist es, sich nicht linear zu bewegen – vom Konzept zum Know-how und wieder zurück, um dann wieder nach neuem Know-how zu suchen, nur um das Konzept erneut zu ändern."

2. Die Modelle sind lückenhaft. Sie ignorieren den digitalen Aspekt von Innovation und zeigen auch nicht, wie dieser sich zu den anwenderorientierten Prinzipien verhält, die dem Design Thinking zugrunde liegen. Sie betonen das Handeln und das schnelle Anpassen, zwei Säulen der Lean-Start-up-Methode. Doch damit spielen sie tendenziell herunter, was Adam Grant, Professor für Management und Psychologie an der Wharton Business School, strategisches Verzögern nennt – sich selbst Zeit für echte Reflexion zu lassen.

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3. Die Modelle sind irreführend. Sie beschönigen die Fallstricke und Vorurteile, die Kreativität einschränken können. Indem sie sich so stark auf die Nutzer konzentrieren, bagatellisieren sie die Rolle anderer Interessengruppen. Und sie ignorieren, welcher Erfindungsreichtum notwendig ist, um Unterstützung zu organisieren, damit neue Angebote eingeführt und bereitgestellt werden können.

Was den letzten Punkt angeht, so haben Führungskräfte erkannt, dass sie, um geniale Erfindungen zu entwickeln, mit alten Modellen brechen und Mentalitäten ändern müssen. Doch wenn es um die Umsetzung geht, fallen sie oft wieder in althergebrachtes Denken zurück. Erinnert sei an den gescheiterten Sony Reader, ein digitales Lesegerät. Alle Kreativität, die in seine Entwicklung einfloss, wurde vom Mangel an Originalität bei der Umsetzung zunichte gemacht. Sony versäumte es, die Buchverlage als Verbündete zu gewinnen – ein Fehler, den Amazon vermied, als es 14 Monate später den technisch unterlegenen, aber äußerst erfolgreichen E-Reader Kindle auf den Markt brachte. Soll Ihre herausragende Neuerung erfolgreich sein, müssen Sie ungewöhnliche Partner ansprechen, ungenutzte Kanäle identifizieren und neue Geschäftsmodelle entwickeln. Verwenden Sie genauso viel kreative Energie darauf, Ihre Angebote einzuführen und bereitzustellen, wie für die Entwicklung. Sony konstruierte zwar ein elegantes Gerät, doch Amazon präsentierte eine originelle Lösung.

Unser Modell ergänzt Innovationsstrategien wie Design Thinking, die Lean-Start-up-Methode und die Business Model Canvas. Es ist besser auf das Durcheinander eingestellt, das zur Entwicklung wahrhaft bahnbrechender Lösungen dazugehört. Denn es erkennt an, dass die notwendigen Aktivitäten alle zusammenhängen – und zwar auf eine nicht vorhersagbare, nicht lineare Weise. Die Elemente unseres Modells sind keineswegs einzigartig, doch zusammengenommen umfassen sie den Innovationsprozess in Gänze, mit all seinen realen Gegebenheiten. Dazu gehört auch der entscheidende Punkt der Reflexion. Sie ist notwendig, um Chancen zu nutzen und zu begreifen, in welchem Maße sich ein Unternehmen neu erfinden muss, um am Ende den Schritt auf den Markt zu wagen.

Nun wollen wir uns die fünf Elemente einmal genauer anschauen.

1. Aufmerksamkeit: Machen Sie Das Übersehene sichtbar

Aufmerksamkeit bedeutet, sich auf einen bestimmten Zusammenhang zu fokussieren, um die Dynamik und die Bedürfnisse dahinter zu verstehen. Das Problem ist, dass Expertise dabei häufig stört. Sie lenkt die Aufmerksamkeit der Menschen und macht sie – ohne dass sie es merken – blind für radikale Einsichten. Die Franzosen nennen dieses Phänomen "Déformation professionelle": die Tendenz, die Wirklichkeit durch die verzerrende Linse des eigenen Jobs oder der eigenen Ausbildung wahrzunehmen. Um diese Neigung zu bekämpfen, sollten Sie sich fragen, welche Perspektive Ihre Aufmerksamkeit beeinflusst und was Sie deshalb vielleicht übersehen.

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