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Ästhetik des Häßlichen

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Ästhetik des Häßlichen

Reclam,

15 Minuten Lesezeit
10 Take-aways
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Was ist drin?

Rosenkranz’ Kuriositätenkabinett zeigt, wie das Hässliche das Schöne bereichert.


Literatur­klassiker

  • Philosophie
  • Moderne

Worum es geht

Das Hässliche erkennen und überwinden

Was ist hässlich? Diese Frage wurde vor Karl Rosenkranz nie so umfassend und systematisch gestellt, geschweige denn beantwortet. Einige Voraussetzungen des Textes, der mit beiden Beinen fest auf dem Boden eines klassizistisch, christlich und eurozentrisch geprägten Weltbilds steht, sind vom Standpunkt der Moderne aus betrachtet zwar fraglich. Doch die Ästhetik des Häßlichen war zum Zeitpunkt ihres Erscheinen durchaus up to date. Auch die Urteile darüber, was hässlich ist, sind auf der Basis des Kunstverständnisses des frühen 19. Jahrhunderts gut nachvollziehbar und verständlich geschrieben. Dass der Text von 1853 stammt, also aus einer Zeit, in der die Moderne bereits am Horizont sichtbar wurde, macht es schwer, ihn abschließend einzuordnen. Er wirkt wie eine Vergewisserung und Verteidigung alter Werte in unsicheren, revolutionären Zeiten. Das Hässliche erscheint als existenzielle Bedrohung, die es durch die Aufhebung im klassisch schönen Kontext oder durch die Wendung in die Karikatur zu überwinden gilt. Das Hässliche als solches ernst zu nehmen, damit zu arbeiten oder es auch nur unaufgelöst stehen zu lassen, ist für Rosenkranz noch undenkbar.

Take-aways

  • Die Ästhetik des Häßlichen gilt als erste systematische Beschäftigung mit dem Phänomen des Hässlichen.
  • Inhalt: Das Hässliche ist eine von der Schönheit abhängige Größe. Während das Schöne indes der Freiheit entspringt, ist das Hässliche immer ein Ergebnis von Unfreiheit. Es zeigt sich als Formlosigkeit, Inkorrektheit oder Verbildung. Für sich genommen ist das Hässliche kein Gegenstand der Kunst. Es muss als Kontrast zum Schönen oder durch Auflösung in Humor überwunden werden.
  • Der deutsche Philosoph Karl Rosenkranz arbeitete rund 15 Jahre an seiner Ästhetik des Häßlichen.
  • Er knüpfte mit seinen Überlegungen an Hegels Ästhetik an.
  • Die Schrift besteht aus einem kürzeren, theoretischen Eingangsteil sowie einem langen, thematisch gegliederten Teil mit vielen Beispielen aus der Kunstgeschichte.
  • Seit Rosenkranz werden die Begriffe „schön“ und „ästhetisch“ nicht mehr synonym verwendet. Auch das Hässliche kann ästhetisch sein.
  • Die Ästhetik das Hässlichen ist auch eine Wissenschaftskritik, insofern sie unangenehme Themen aufgreift, die die Wissenschaft bis dahin nicht angefasst hatte.
  • Die Beschäftigung mit dem Hässlichen ist auch als Reaktion auf Industrialisierung und Verelendung großer Bevölkerungsteile zu verstehen.
  • Die Zeitgenossen des Autors reagierten auf das Projekt mit Unverständnis.
  • Zitat: „Nur in der Kombination mit dem Schönen erlaubt die Kunst dem Häßlichen das Dasein; in dieser Verbindung aber kann es große Wirkungen hervorbringen.“

Zusammenfassung

Das absolute Schöne und das relative Hässliche

Eine Ästhetik des Hässlichen ist überfällig. Unsere Zeit ist voller Bosheit und Hässlichkeit. Diesen Umstand gilt es nicht nur ethisch und religiös, sondern auch ästhetisch zu bewerten, denn das Böse und das Hässliche waren und sind ein Thema der Künste. Diese lassen sich in eine aufstrebende Reihenfolge bringen: Von der Architektur über die Bildhauerei, Malerei und Musik bis zur Poesie erhöhen sich die Möglichkeiten für eine adäquate Darstellung des Wesens des Geistes und der Freiheit. Generell gilt: Das Hässliche ist keine absolute Größe, sondern nur in Abhängigkeit vom Schönen, als dessen Verneinung, zu denken. Ohne die Folie des Schönen gäbe es das Hässliche nicht. Das Schöne ist die sinnlich erfassbare Seite des ideellen Wahren und Guten. Auch das Hässliche ist auf sinnliche Wahrnehmung angewiesen, es kann darum nicht Bestandteil der Ideenwelt sein. Das Hässliche tritt auf in Form des Naturhässlichen, des Geisthässlichen und des Kunsthässlichen.

Das Hässliche in Natur, Geist und Kunst

Das Naturhässliche ist nicht in simplen Formen, Massen oder Bewegungen zu erkennen; erst das organische Gebilde, also die Pflanze und mehr noch das Tier, können schön oder hässlich sein. Denn erst hier ist ein Individuum erkennbar. Krankheit und Verletzung können ebenso Ursache für Hässlichkeit sein wie der Übergang von einer Form zur anderen. So sind zum Beispiel Amphibien hässlich aufgrund ihrer Zwitterexistenz zwischen Fisch und Landtier. Die These, die Hässlichkeit der Tiere entspringe ihrem bösen Wesen, wird durch die Schönheit der Giftschlangen widerlegt.

„Die Hölle ist nicht bloß eine religiös-ethische, sie ist auch eine ästhetische. Wir stehen inmitten des Bösen und des Übels, aber auch inmitten des Häßlichen. (…) In diese Hölle des Schönen wollen wir hier niedersteigen.“ (S. 11)

Die Geisthässlichkeit des Menschen entspringt seiner Unfreiheit. Laster, Süchte und Verbrechen sowie körperliche und geistige Krankheiten verändern von innen heraus auch die Physiognomie des Menschen und machen ihn hässlich. Das Kunsthässliche ist überall dort gerechtfertigt, wo es dem Schönen als Kontrast dient und durch das harmonische Ganze eines Kunstwerks in seiner Wirkung geschwächt und überwunden wird. Die herausgelöste Darstellung des Hässlichen kann nicht dem Anspruch eines Kunstwerks genügen, denn da das Hässliche vom Schönen abhängig ist, darf es in der Kunst (die immer ein Ganzes ist) nicht separat auftreten. Nur ein verdorbenes Zeitalter feiert das Hässliche an sich. Architektur und Bildhauerei sind durch die Kostbarkeit ihrer Materialien weitgehend vor der Produktion hässlicher Werke geschützt. Die Malerei ist aufgrund billiger Materialien schon eher der Gefahr von Pfuscherei ausgesetzt. Ein Werk der Malerei kann aus viel mehr Gründen – etwa Fehler in der Umrisszeichnung, in der Farbgebung oder in der Perspektive – misslingen als eines der Bildhauerei. Die Musik beruht zwar in weiten Teilen auf streng regelhafter Arithmetik, eröffnet aber in ihren von Unbestimmtheit und Zufälligkeit geprägten Melodien dem Hässlichen viele Einfallstore. Die Poesie ist am stärksten von der Hässlichkeit betroffen, denn hier kann die Welt am wenigsten direkt abgebildet werden.

Hässlichkeit durch Formlosigkeit

Voraussetzung für das Schöne ist Einheit der Form. Ein Merkmal des Hässlichen als des Negativschönen ist Formlosigkeit. Diese tritt in drei Spielarten auf: Amorphie, Asymmetrie und Disharmonie. Amorphie zeichnet sich durch Gleichförmigkeit aus. Das Gleichförmige ohne Begrenzung nach außen ist langweilig und hässlich. Auch das in sich Abgeschlossene, aber nach innen Gleichförmige ist hässlich. In der Epik äußert sich dies zum Beispiel durch planlose Reihung von Handlung, in der Lyrik durch Anhäufung von Prädikaten ohne Hierarchie. Das Amorphe schlägt um ins Komische, wenn es nicht erwartet wird. Symmetrie ist ein Gleichmaß von Gegensätzen, das sich beim Menschen zum Beispiel bei der Gleichheit von linkem und rechtem Auge findet oder in der Poesie als Metrik. Ist die Symmetrie verschoben, entsteht Hässlichkeit. Ebenso, wenn der erwartete Kontrast einer Symmetrie ausbleibt und stattdessen etwas bloß Verschiedenes gesetzt wird. Disharmonie zeigt sich im unorganischen Zusammenhang des Ganzen mit seinen Einzelteilen. Widersprüche, die nicht im Ganzen aufgelöst werden, erzeugen hässliche Disharmonie. Disharmonie kann auch komisch sein – wie in Aristophanes’ Komödie Die Wolken, wo der Protagonist die Philosophie erlernen will, um sich seine Gläubiger vom Hals zu schaffen.

Hässlichkeit durch Inkorrektheit

Ein weiteres Merkmal des Hässlichen ist die Inkorrektheit. Sie äußert sich auf drei Arten: physisch, psychologisch oder historisch-konventionell. Unter physischer Korrektheit ist die Orientierung einer Gestalt an den naturgegebenen Notwendigkeiten zu verstehen. Will ein Kunstwerk schön sein, darf es die Voraussetzungen seines Objekts nicht verletzen. Nicht die Kopie eines Gegenstands, sondern die Darstellung eines Ideals unter Berücksichtigung natürlicher Bedingungen ist schön. Die Entwicklung eines Ideals ist ein selbstbestimmter künstlerischer Akt. Eine Daguerreotypie ist darum keine Kunst. Psychologische Korrektheit erfordert bei der Darstellung menschlicher Affekte, dass der Zusammenhang von Motivation, Mimik und Gestik richtig getroffen wird. Ist die Verkettung von Ursache und Wirkung psychologisch nicht nachvollziehbar, wird die Darstellung hässlich. Historisch-konventionelle Korrektheit fordert von der Kunst weniger die nachprüfbare, überlieferte Realität, sondern eine ideelle Wahrscheinlichkeit. Das Märchen wird durch die Darstellung unmöglicher Fabelwesen nicht hässlich, weil deren tieferer Sinn auf symbolischer Ebene durchaus der Natur entspricht.

„Nur in der Kombination mit dem Schönen erlaubt die Kunst dem Häßlichen das Dasein; in dieser Verbindung aber kann es große Wirkungen hervorbringen.“ (S. 46)

Was in der Wissenschaft die Methode, ist in der Kunst der Stil. Ein Künstler muss sich für den hohen, den mittleren oder den niedrigen Stil entscheiden. Verschiedene Stile sind Ergebnis von Nationalgeschmack und künstlerischer Tradition. Ihre unbeabsichtigte Vermischung ist hässlich. Eine bewusste, parodistische Vermischung kann durch Humor die Hässlichkeit aufheben. Jede Kunst hat ihre eigenen Arten der Inkorrektheit: Die Architektur muss sicher und beständig wirken, um korrekt zu erscheinen. Der schiefe Turm von Pisa ist darum nicht schön. Die Plastik muss sich an den Proportionen der Natur und des Menschen orientieren, um schön sein zu können. Die Musik folgt mathematischen Prinzipien, deren Korrektheit überprüfbar ist. In der Poesie werden seit Aristoteles Sprachreinheit, Metrik, Rhetorik und Gattungstreue als Merkmale der Korrektheit gefordert. In der dramatischen Poesie ist die sprachliche Inkorrektheit in Form von bewusst platzierten Versprechern oder von Jargon ein beliebtes Mittel der Komik. Nicht nur die Vermischung der Stile, auch die der Kunstformen kann inkorrekt sein. Werden zwei Künste zulasten von einer der beiden vermischt, ist das Gesamtwerk hässlich. Nur ein Werk, das verschiedene Künste bestehen lässt, wie etwa eine Oper, kann trotz Vermischung schön sein. Die Skulptur in der Architektur, die Malerei auf der Skulptur ist inkorrekt.

Das Gemeine

Form und Korrektheit allein reichen für das Schöne nicht aus. Es fehlt noch die Beseelung. Nur wenn ein Objekt in einem freien, selbstbestimmten Akt entsteht, kann es schön sein. Komik kann aus dem Hässlichen dann entstehen, wenn das unfreie, endliche Hässliche den Schein von Unendlichkeit und Freiheit erweckt. Die Defiguration oder Verbildung äußert sich im Gemeinen und im Widrigen. Das Gemeine als Gegenteil des Erhabenen schließt das Kleinliche, Schwächliche und Niedrige in sich ein. Kleinlich ist ein Werk, das sich dort beschränkt, wo es nicht nötig wäre. Dabei geht es nicht um den gewählten Gegenstand – George Sand etwa stellt das simple Landleben erhaben dar – ; es geht eher um übermäßige Konzentration auf Details, die im Gesamtzusammenhang zu viel Raum erhalten, oder um fehlende Größe, wo Größe gefordert ist. Schwächlichkeit entsteht aus dem nicht eingelösten Anspruch auf Kraft. Sind Schwächen in edlen Motiven begründet, erscheinen sie nicht hässlich. Sind sie allerdings sich selbst genug, benötigen sie ein Korrektiv in der Darstellung. Fehlt die Konfrontation des Schwächlichen mit einem kraftvollen Kontrast, so wird ein Werk nebulös. Die dargestellten Schwächen der Figur des Herrn in Diderots Jacques der Fatalist und sein Herr erfüllen den ästhetischen Zweck, das Thema „Schicksal“ mit diesen Schwächen humorvoll zu kontrastieren.

„Wir können die verschiedenen Künste als einen Weg zur ästhetischen Selbstbefreiung des Geistes ansehen, auf welchem er zuletzt, in der Poesie, sich vollkommen selbst erreicht.“ (S. 51)

Das Niedrige tritt auf in Gestalt des Gewöhnlichen, des Zufälligen und des Rohen. Gewöhnlich ist die Mittelmäßigkeit, die sich selbst nicht erkennt, und der Gemeinplatz, der als neu vorgestellt wird. Im Gegensatz zur Majestät, die ruhig, notwendig und begründet ist, zeigt sich der Zufall als ein unruhiges, unmotiviertes Phänomen. Darum ist auch das Stilmittel des Deus ex Machina in der Regel hässlich. Der Zufall in Form des Bizarren, Grotesken oder Burlesken eignet sich jedoch für Posse, komische Oper und den komischen Roman. Das Rohe beschäftigt sich mit den niederen Bedürfnissen des Menschen. Hässlich sind die Notdurft und Blähungen, da sie den Menschen in Abhängigkeit von der Natur zeigen, ihn also unfrei machen. Wie die Darstellung von Betrunkenen kann auch die Abbildung von Phänomenen der Verdauung nur dann komisch wirken, wenn diese als vergeblicher Kampf zwischen Freiheit und Natur gezeigt werden. Das Obszöne als absichtliche Verletzung der Scham ist eine hässliche Rohheit. Nur abgemildert durch die Zweideutigkeit, kommt es in humoristischem Kontext zu ästhetischem Recht. Die Brutalität ist als Zwang ein Akt der Unfreiheit und somit hässlich. Als Kontrast kann das Brutale jedoch das Majestätische erhöhen. Das beste Beispiel hierfür sind die Darstellungen der Passion Christi. Das Frivole als Verspottung des Heiligen ohne Grund ist hässlich. Eine Wendung ins Komische gelingt hier nicht, denn wenn das Heilige dem Scherz geopfert wird, ist dies ein Akt gegen das Wahre und Gute.

Das Widrige

So wie das Gemeine das Gegenteil des Erhabenen ist, ist das Widrige das Gegenteil des gefällig Schönen. Das gefällig Schöne ist niedlich, spielerisch oder reizend. Diesen Qualitäten entsprechen – ins Gegenteil verkehrt – das Plumpe, das Tote und das Scheußliche. Das Plumpe ist hässlich durch sein Unmaß und seine Schwerfälligkeit. Zierliche Gestalten mit plumpen Bewegungen erzeugen besonderes Missfallen. Komödianten und Artisten wiederum spielen mit dem Plumpen und sorgen so für Komik. Das Tote oder Leere eines Kunstwerks äußert sich in der Leblosigkeit der Konzeption oder der Ausführung. Beides ist eine Folge fehlenden spielerischen Geistes und kommt häufig dann vor, wenn statt des Erfinders ein Nachahmer am Werk ist. Hässlich ist die Langeweile, die dadurch entsteht. Wird die Langeweile parodistisch dargestellt, lässt sich das Tote ins Komische wenden.

„Das Schöne kann den Unterschied bis zur Entzweiung des Widerspruchs entwickeln, sofern es den Widerspruch sich selbst wieder in die Einheit auflösen lässt, denn durch diese Auflösung der Entzweiung erzeugt sich erst die Harmonie.“ (S. 99)

Das Scheußliche lässt sich unterteilen in das Abgeschmackte, das Ekelhafte und das Böse. Das Abgeschmackte ist die Negation der Vernunft. Zwar ist die Darstellung von Wahn und Traum in der Kunst ein wichtiges Thema, sie darf aber nie Schlusspunkt sein. Die deutsche literarische Romantik gefiel sich in ihrer Endphase in der Verkehrung von Vernunft in Wahn und konnte nur Abgeschmacktes produzieren. Das Ekelhafte ist als das sinnlich Scheußliche zu verstehen. In der neueren Literatur tritt es zum Beispiel als detaillierte Beschreibung von Krankheiten auf, wie etwa von Syphilis. Die Darstellung des Kranken ist nicht an sich hässlich, sie kann als Kontrast sogar notwendig sein. Ist sie jedoch Selbstzweck, wird sie hässlich. Ähnliches gilt für das Erbrechen, das in vielen Gemälden und auch in antiken Schilderungen Thema ist. Sexuell Ekelhaftes wie Sodomie eignet sich keinesfalls als ästhetischer Gegenstand. Die Wendung ins Komische ist hier zudem unmöglich.

„Das unabsichtliche Vermischen der Stilarten, das bewußtlose Überspringen von einer in die andere wird häßlich; komisch wird es nur, wenn es mit Ironie parodistisch hervorgebracht wird.“ (S. 136)

Das Böse ist das ethisch Hässliche. Es zeigt sich im Verbrecherischen, Gespenstischen und Diabolischen. Das Verbrechen ist ein Widerspruch gegen die Freiheit, lässt aber eben diese Freiheit als Folie immer durchschimmern. Damit wird das Verbrechen als ästhetischer Gegenstand möglich. Es gewinnt erst durch seine Ansiedlung in höheren Kreisen eine gewisse Allgemeinheit. Sein Pathos eignet sich dann für die Tragödie. Abstrahiert man vom ethischen Aspekt, kann ein Verbrechen wie Ehebruch auch ins Komische gewendet werden, zum Beispiel in einem Schwank. Ein Gespenst ist ein Untoter, der noch etwas im irdischen Leben zu erledigen hat. Geister – wie etwa Hamlets Vater – verbinden das Schauderhafte mit tragischer Erhabenheit. Die Romantiker haben sich in der Folge von E. T. A. Hoffmanns Nussknacker jedoch in den Spuk verrannt. Im Gegensatz zum edlen Gespenst ist der Spuk zumeist hässlich, da er ins Absurde abdriftet. Ausnahmen wie Tieck oder viele Märchen bestätigen die Regel. Das Diabolische ist jener Aspekt des Bösen, der mit Freude und Bewusstsein das Gute negiert. Eine besonders hässliche Spielart des Diabolischen ist das Hexenwesen, speziell der Hexensabbat. Die Personifizierung des Bösen in Gestalt des Teufels gibt es erst im Christentum. In der christlichen Kunst wird Satan als hässlich dargestellt, um ihn zu verärgern und das Seelenheil des Künstlers zu befördern.

Die Karikatur

Die Gestaltung des Hässlichen gipfelt in der Karikatur. Diese zeichnet sich durch Gegensätze, Übertreibungen und Missverhältnisse aus. Zudem muss sie zum Vergleich mit einem Urbild reizen. Die Karikatur kann Berufsstände, Geschlechter, Stände, Völker oder Typen aufs Korn nehmen. Ist sie gut ausgeführt, steht sie der tragischen Form in nichts nach. Durch die fantastische Übertreibung aller Gestalten eines parodistischen Werkes entsteht ein neues Maßverhältnis unter ihnen. Die griechische Komödie ist ein Musterbeispiel für solch ein gelungenes Maßverhältnis. Der grenzenlose Humor, der sich in der Überwindung des Hässlichen durch die Karikatur Bahn bricht, ist göttlich.

Zum Text

Aufbau und Stil

Die Ästhetik des Häßlichen ist eine philosophische Abhandlung. Sie besteht aus einer umfangreichen theoretischen Einleitung, gefolgt von drei thematisch gegliederten Abschnitten. Der dritte Abschnitt über die Defiguration nimmt mit weit über der Hälfte des Gesamttextes den größten Teil ein. Der Text folgt einer strengen Systematik mit mehrfach untergliederten Abschnitten. Er ist voller Beispiele und teils originalsprachlicher Zitate aus der Kunst- und Literaturgeschichte von der Antike bis in Rosenkranz’ Gegenwart. Der Autor ist merklich um Allgemeinverständlichkeit bemüht, stellt durch die häufige Verwendung von Fremdwörtern und durch mitunter sehr lange, verschachtelte Sätze allerdings hohe Ansprüche an den Leser. Bei den negativ dargestellten Beispielen verfällt der Text mitunter in rhetorische Fragen und Polemik. Das häufig im Text verwendete „wir“ bezieht den Leser in den Gang der Argumentation ein. Den Anfang eines neuen Abschnitts bildet meistens eine kurze Zusammenfassung des zuvor Gesagten, bevor der neue Aspekt im Kontrast dazu eingeführt wird. Der argumentative Ablauf ist zumeist folgender: Vorstellung eines Aspekts des Schönen; Vorstellung seines Pendants im Hässlichen; Beispiele; Möglichkeiten der Auflösung des Hässlichen.

Interpretationsansätze

  • Das Hässliche wird erstmals positiv wahrgenommen. Die Ästhetik des Häßlichen ist historisch gesehen der erste Text, der das Hässliche aus seiner bis dahin üblichen Einbettung in den Gesamtzusammenhang des Schönen begrifflich herauslöst. Hässlichkeit als Phänomen wird hier erstmals im Rahmen seiner verschiedenen Funktionen beschrieben und ist daher nicht durchweg negativ dargestellt wie in früheren Abhandlungen. Seit Rosenkranz’ Schrift sind die Begriffe „schön“ und „ästhetisch“ zudem nicht mehr identisch.
  • Das Hässliche ist aber dennoch nur eine Funktion des Schönen. Mit dieser unter anderem auf Lessings Laokoon zurückgehenden, klassizistischen Sichtweise wird das Hässliche als selbstständiges Phänomen mithin noch immer nicht ernst genommen – trotz seiner systematischen Betrachtung als Hauptgegenstand der Abhandlung.
  • Das Buch ist auch eine ästhetische Antwort auf die soziale Frage: In einer Zeit zunehmender Verelendung weiter Bevölkerungsschichten durch die Industrialisierung – und der damit zunehmenden Hässlichkeit – benötigte die Gesellschaft verlässliche Werte, Halt und Trost. Rosenkranz findet all das in einer Selbstvergewisserung hinsichtlich bestehender ästhetischer Werte und in der Möglichkeit, das Hässliche ins Komische aufzulösen.
  • Das Buch kann auch als Wissenschaftskritik gelesen werden: Die Wissenschaft darf sich nicht vor den unangenehmen Dingen drücken und muss die Phänomene, so wie sie auftreten, untersuchen. In diesem Sinn ist die Ästhetik des Häßlichen ein Statement gegen die Schere im Kopf.
  • Das Kunst- und Menschenverständnis des Textes ist europäisch geprägt, aber nicht durchweg einseitig. Wenn man rassistische Tendenzen (zum Beispiel die Hässlichkeit „des Buschmanns“) oder kulturelle Überheblichkeiten (zum Beispiel gegenüber der indischen religiösen Kunst) als Zeitphänomen hinnimmt, wird durch den Hinweis auf Nationalgeschmack und künstlerische Schulen sowie die Erklärung bestimmter nationaler Besonderheiten auch der Weg zu einer globalen Ästhetik vorgezeichnet.

Historischer Hintergrund

Vom Vormärz zur Revolution und zurück

Die Literatur des Vormärz und des Jungen Deutschland mit so verschiedenen Protagonisten wie Karl Gutzkow, Georg Büchner oder Heinrich Heine veränderte in den 1830er- und 1840er-Jahren den künstlerischen Diskurs massiv. Klassizistische Ideale auf der einen und romantische Verklärung auf der anderen Seite wurden abgelehnt. Kunst wurde wieder politisch. In der Philosophie stritten unterdessen die Jung- und die Althegelianer miteinander um die Deutungshoheit des Werkes von Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Die konservativen Althegelianer (zu denen auch Karl Rosenkranz gerechnet wird) standen zu Preußen, zum Christentum, zu klassischen Idealen und zur gewachsenen Ordnung; die Junghegelianer, von Ludwig Feuerbach bis Karl Marx, sahen sich den Zielen der Aufklärung verpflichtet und entwickelten religions- und gesellschaftskritische Haltungen.

Die 1850er-Jahre waren geprägt von der allgegenwärtigen „sozialen Frage“. Europaweit waren nach dem Zusammenbruch der Ständegesellschaft, der Aufhebung von Frondienst und Zunftzwang, durch Landflucht und vor allem durch die Industrialisierung in den Metropolen Armut und Verelendung breiter Bevölkerungsschichten die Zeichen der Zeit. Als Karl Marx und Friedrich Engels 1848 in London ihr Kommunistisches Manifest veröffentlichten, hatten sie als Schauplatz der Revolution England vor Augen, denn hier hatte die Industrialisierung deutlich früher begonnen als in Deutschland. In Deutschland wiederum beobachtete man die Entwicklungen in England mit großer Sorge und der Erwartung, dass all das, was auf der Insel passierte, in absehbarer Zeit auch auf dem Kontinent ankäme. Die Revolution von 1848 in Frankreich verdeutlichte noch einmal die sozialen Verwerfungen. Das deutsche Pendant und dessen militärische Niederschlagung im Juli 1849 inklusive nachfolgender Restauration führte beim liberal gesinnten Teil der Bevölkerung einerseits zu Enttäuschung, andererseits zur Radikalisierung.

Entstehung

Als Nährboden für die Entstehung der Ästhetik des Häßlichen kann Rosenkranz’ umfassende Beschäftigung mit dem Thema Ästhetik im Zuge seiner Philosophieprofessur in Königsberg in den 1830er-Jahren gesehen werden: Vorlesungen, eine Rezension zu Hegels Vorlesungen über die Ästhetik und dann ein Brockhaus-Artikel zum Thema hatten Rosenkranz auf sein zentrales Werk vorbereitet. In einem Brief an Karl August Varnhagen von Ense sprach er 1837 zum ersten Mal von Plänen zu einer systematischen Betrachtung des Hässlichen und der Karikatur. Der theoretische Teil der Ästhetik des Häßlichen ist zum großen Teil eine Weiterentwicklung der Ästhetik von Georg Friedrich Wilhelm Hegel.

Um seine Arbeit auf eine möglichst breite Quellenbasis zu stellen, erweiterte Rosenkranz seine Bibliothek massiv. 1841 bedankte er sich in einem Schreiben an das preußische Bildungsministerium für die finanzielle Unterstützung, die er zum Kauf von Literatur als Grundlage für seine Ästhetik des Häßlichen verwenden wollte – besonders für die Anschaffung von Werken mit zeitgenössischen Karikaturen. 1850 nahm Rosenkranz seine Vorlesungen über Ästhetik wieder auf und veröffentlichte sein System der Wissenschaft, in dem er die Grundzüge seiner Ästhetik bereits vorformulierte. Im Oktober 1852 begann Rosenkranz mit der Niederschrift der Ästhetik des Häßlichen, die er im Mai 1853 – in lediglich sieben Monaten – abschloss. Noch im selben Jahr erschien die Schrift im Königsberger Verlag der Gebrüder Borntraeger.

Wirkungsgeschichte

Rosenkranz’ Zeitgenossen reagierten wenig begeistert auf die Herauslösung des Gegenstands der Hässlichkeit aus einer allumfassenden Ästhetik. Gottfried Keller etwa bemerkte in einem Brief: „Schon der Titel ist widersinnig und romantisch. Schön ist schön und hässlich ist hässlich in alle Ewigkeit.“ Wie viele seiner Kollegen hielt auch Keller an der Überzeugung fest, das Hässliche sei auf einer niedrigeren Stufe angesiedelt als das Schöne. Rosenkranz stieß mit seiner Arbeit sogar bei seinem engen Freund Varnhagen von Ense auf Unverständnis. Dieser hätte das Thema Hässlichkeit ebenfalls lieber in eine allumfassende Ästhetik eingebettet gesehen.

Wie viele Hegelianer gehört auch Rosenkranz philosophiegeschichtlich nicht in die erste Reihe. Obwohl seine Ästhetik zweifellos originell ist, gab es zum Beispiel bis 2005 keine französische Übersetzung des Textes – und das trotz Rosenkranz’ intensiver Kenntnis und Darstellung der französischen Literatur besonders in dieser Arbeit. Dass der Text aber bis heute europaweit nachwirkt, zeigt sich unter anderem darin, dass Umberto Eco sich 2007 in seiner Geschichte der Hässlichkeit auf ihn bezog. Auch erschien 2015 eine englische Neuübersetzung von Rosenkranz’ Text mit umfassender Einführung.

Über den Autor

Karl Rosenkranz wird am 23. April 1805 in Magdeburg als Sohn eines Steuerbeamten und einer Französin geboren. Als junger Mann zieht er zu seinem Onkel nach Berlin und beginnt dort zunächst ein breit gefächertes Studium von alter über neuere Geschichte bis zur Naturphilosophie. Über seine Begeisterung für Friedrich Schleiermacher landet Rosenkranz bei der Theologie. 1826 wechselt er an die Universität Halle an der Saale und lernt dort das Werk Georg Wilhelm Friedrich Hegels kennen und schätzen. Seine bisherige Faszination für das Mittelalter und die Romantik weicht nun einer Begeisterung für die klassische Philosophie. In Halle promoviert er 1828 mit einer Arbeit über die Periodisierung der mittelalterlichen Literatur Deutschlands, im selben Jahr folgt die Habilitation über die Philosophie Spinozas. 1833 erhält Rosenkranz den Lehrstuhl für Philosophie an der Königsberger Universität, an der vor ihm bereits Immanuel Kant gelehrt hat. Im Revolutionsjahr 1848 ging Rosenkranz auf Einladung eines liberalen Politikers zurück nach Berlin und übernahm mehrere Staatsämter. Das rund 15-monatige Gastspiel im Staatsdienst enttäuscht Rosenkranz, und er kehrt nach Königsberg zurück. In seinen rund 40 Jahren als Autor veröffentlicht er 65 eigenständige Schriften sowie 250 Beiträge in Zeitschriften. Er verfasst Texte zu Theologie, Geschichte, Philosophie und Pädagogik, gibt eine Sammlung der Werke Immanuel Kants heraus, liefert viel beachtete Biografien von Hegel, Goethe und Diderot, schreibt Städteporträts über Paris oder Venedig, zudem eine Komödie und Gedichte. Herausragend sind seine Ästhetik des Häßlichen (1853), die als erste Gesamtbetrachtung dieses Themas gilt, und Psychologie oder Wissenschaft vom subjektiven Geist (1837). Rosenkranz stirbt am 14. Juni 1879, nach langem Augenleiden fast erblindet, in Königsberg.

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