Mit Zeitdieben hat Jean-Remy von Matt ein Problem: Sein gesamtes Werberleben verbrachte er damit, sich diese Menschen vom Hals zu halten und selbst keiner zu werden. Deshalb sind die 77 Geschichten und Betrachtungen in seinem Buch je nach Geschmack bezaubernd, erhellend oder total Banane. Und: Sie werden laut dem Autor selbst von Anfang bis Ende immer schlechter. Deshalb bittet er darum, nur so lange weiterzulesen, bis einem etwas Sinnvolleres einfällt, was man mit seiner wertvollen Lebenszeit anstellen könnte. Das Konzept geht auf: Ein Lesevergnügen für alle, die hinter die Kulissen der Werbung schauen wollen.
Werbung lügt nicht. Sie inszeniert die Wahrheit.
Mütter sind die kreativsten Schummlerinnen der Welt. Schlägt sich der Nachwuchs das Knie auf, pusten sie den Schmerz weg und rufen: „Es ist doch nichts passiert!“ Sie erzählen Geschichten vom Christkind und vom Osterhasen, und wenn das Blaukraut nicht schmeckt, machen sie daraus kurzerhand „Starkwerder“.
Nichts anderes macht die Werbung. Im Idealfall inszeniert sie die nackte Wahrheit so entzückend oder schockierend, dass sie uns ein Lächeln ins Gesicht zaubert oder eine Zornesfalte auf die Stirn treibt.
Auch der Journalist Claas Relotius war ein kreativer Schwindler. Er führte die Faktenchecker des Spiegel jahrelang an der Nase herum. Viele seiner Geschichten waren frei erfunden. Von Matt sah darin den Beweis für Relotiusʼ fantasievolles Erzähltalent und stellte ihn als Werbetexter ein. Tatsächlich hat sich Relotius in dieser Rolle bewährt.
Kreativität braucht Kontrolle – vor allem aber Vertrauen.
Der kreative Geist ist unangepasst und hasst den Status quo. Besessen vom großen Ganzen und vom winzigen Detail ist er ständig auf der Suche nach der besseren Lösung, dem sch...
Kommentar abgeben