Voltaire und Friedrich der Große
Briefwechsel
Hanser, 2011
Was ist drin?
Der berühmte Gedankenaustausch zwischen Preußens König und dem französischen Universalgenie.
- Geschichte
- Aufklärung
Worum es geht
Austausch zweier großer Männer
Wie viel wurde nicht schon geschrieben über die Freundschaft zwischen dem Denker Voltaire und dem Staatsmann Friedrich II.? Vor allem Friedrichs widersprüchliche Persönlichkeit gab immer wieder Anlass zur Spekulation darüber, was ihn zum regen Austausch mit Voltaire motiviert hatte. Das Buch Briefwechsel lässt die beiden Betroffenen selbst zu Wort kommen, wobei der Herausgeber die Lücken in der Korrespondenz schließt, Fakten nachreicht und mitunter auch offensichtliche Falschaussagen richtigstellt. Die Freundschaft der beiden, aber auch ihre Querelen sind inzwischen weltberühmt; die Höhen und Tiefen ihrer Beziehung gäben einen ausgezeichneten Stoff für eine Seifenoper: Die Gefährten versichern sich der unverbrüchlichen gegenseitigen Liebe, sie streiten, loben und tadeln sich, sie planen Intrigen, sie versöhnen sich mit überschwänglichen Floskeln – und all das tun sie mit so ausgefeilter stilistischer Eloquenz, dass der Briefwechsel wohl zu den wenigen historischen Dokumenten zählt, deren Lektüre auch aus literarischer Sicht wahre Freude bereitet.
Take-aways
- Der Austausch zwischen Voltaire und Friedrich dem Großen ist einer der berühmtesten Briefwechsel aller Zeiten.
- Inhalt: Friedrich und Voltaire schreiben sich über vier Jahrzehnte zahlreiche Briefe, in denen sie sich über Philosophie und Politik, Ethik, Geschichte und Literatur, die eigenen poetischen Werke sowie Persönliches austauschen.
- In ihrem Umfang und ihrer thematischen Vielfalt sind die Briefe ein einzigartiges Zeitdokument.
- Beide Schreiber sahen sich als Vertreter der Aufklärung, als Streiter gegen Aberglauben und Fanatismus.
- Viele Briefe sind verloren gegangen.
- Der Briefwechsel endete erst mit Voltaires Tod im Jahr 1778.
- Politisches Kalkül und eigennützige Interessen spielen in den Briefen immer wieder eine Rolle. Daher müssen viele Äußerungen sehr vorsichtig interpretiert werden.
- Zwischenzeitlich entfremdeten sich die beiden und Voltaire brach seinen Aufenthalt in Berlin ab; später näherten sie sich brieflich wieder an.
- Besonders reizvoll ist bis heute die literarische Qualität, mit der die Briefpartner, vor allem Voltaire, ihre Briefe verfassten.
- Zitat: „Ich konnte nicht ohne Sie leben, aber auch nicht mit Ihnen. Ich spreche nicht zum König, zum Helden, das sollen die Herrscher tun; ich spreche zu dem, der mich verhext hat, den ich geliebt habe und über den ich mich unablässig ärgere.“ (Voltaire)
Zusammenfassung
1736/37: Schüler und Lehrer
Der junge preußische Thronerbe Friedrich hat Voltaires Werke für sich entdeckt und schreibt dem französischen Dichter, Denker und Freigeist. Friedrich verehrt an Voltaire vor allem, dass es ihm als Einzigem gelingt, Poesie und Philosophie zu verbinden. Er äußert den Wunsch, dass Voltaire ihm unveröffentlichte Werke zukommen lässt und ihn als Schüler betrachtet. Voltaire ist über die Kontaktaufnahme erfreut und hofft, dass Europa mit Friedrich einen Philosophenkönig bekommen wird, der Theologen gegenüber misstrauisch bleibt und sich gegen Aberglauben und Fanatismus starkmacht. Friedrich versucht sich auch an poetischen Werken und lässt Voltaire seine Gedichte zukommen. Dieser kommt Voltaires Bitte, sie zu verbessern und zu kritisieren, nach. Er schickt Friedrich Manuskripte seiner Werke, bevor diese veröffentlicht werden, damit Friedrich sich vorab dazu äußern kann.
„Fahren Sie fort, Monsieur, die Welt aufzuklären. Die Fackel der Wahrheit konnte keinen besseren Händen anvertraut werden.“ (Friedrich, S. 39)
Kaum wird bekannt, dass Voltaire und Friedrich sich schreiben, haben verschiedene Gruppen ein Interesse daran, die Briefe der beiden abzufangen und zu lesen. Auch aus diesem Grund ist Voltaire nicht bereit, Friedrich sein umstrittenes Werk Pucelle zukommen zu lassen, obwohl der wiederholt darum bittet.
„Sie sagen mir auf die verbindlichste Weise der Welt, dass ich ein Trottel bin. Das schwante mir bisher zwar schon, doch jetzt bin ich allmählich davon überzeugt.“ (Friedrich, S. 61)
Der deutsche Philosoph Christian Wolff hat seine Metaphysik veröffentlicht. Friedrich will sie übersetzen lassen, um sie dann Voltaire zu schicken und sich mit ihm darüber auszutauschen. Wolff droht, wie vielen anderen seiner Zunft in dieser Zeit, die Verfolgung durch die Kirche. Friedrich will seinen Einfluss geltend machen und den Philosophen unter seinen Schutz stellen. Als Voltaire das Werk in Händen hält, kritisiert er vor allem Wolffs Definition der so genannten einfachen Dinge; die Definition berührt zentrale metaphysische Fragen wie die nach der Unsterblichkeit der Seele, Gott, dem Wesen der Materie und dem Begriff der Ewigkeit, die nach Voltaires Meinung vom Menschen nicht beantwortet werden können.
1737–1740: Geschichtsschreibung und Freiheit
Ganz im Sinne Voltaires sieht Friedrich die Pflicht des Fürsten darin, das Glück seiner Untertanen zu sichern und zu fördern. Dazu gehört auch, die Kultur zu unterstützen, was Friedrichs Vater allerdings vernachlässigt. Neue Erkenntnisse über den russischen Zaren Peter den Großen haben Friedrich seine Meinung über den Herrscher revidieren lassen. Ihm wird klar, welchen enormen Einfluss die Geschichtsschreiber darauf haben, wie die bedeutenden Persönlichkeiten jeder Epoche später gesehen werden. Das überlieferte Bild muss daher immer skeptisch betrachtet werden.
„Ich wünschte, Sie wären Lehrer der Fürsten, Sie lehrten sie, Menschen zu sein, fühlende Herzen zu haben, Sie zeigten Ihnen den wahren Lorbeer der Größe und die Pflicht, die sie zwingt, zum Glück der Menschen beizutragen.“ (Friedrich, S. 72)
Voltaires Werk Sur la liberté sorgt für angeregte Diskussionen zwischen den Briefpartnern: Friedrich ist überzeugt, dass der Lauf der Welt und damit alle Handlungen der Menschen von Gott vorgegeben sind. Voltaire dagegen glaubt, dass Gott als unendlich freies Wesen dem Menschen ein Stück seiner Freiheit abgegeben hat, um sich an dem Schauspiel zu erfreuen, wie dieser sein Leben selbst gestaltet. Sein wichtigstes Argument für die Willensfreiheit ist aber, dass die Freundschaft und der Gedankenaustausch mit Friedrich ja sinnlos wären, wenn sie beide keinen freien Willen hätten.
„Alle Größe Ihres Ingeniums vermag nichts über die Silben, und Sie sind nicht der Herr darüber, dort ein g zu platzieren, wo es nicht hingehört.“ (Voltaire, S. 129)
Voltaire hat immer wieder mit schweren Krankheiten zu kämpfen und sieht sich in Frankreich Verleumdungen und Anfeindungen ausgesetzt. Er schickt Friedrich sein Werk Mahomet, das sich mit den schrecklichen Folgen des Aberglaubens auseinandersetzt. Friedrich arbeitet derweil an einem Werk, mit dem er die Thesen Machiavellis widerlegen will. Voltaire hat ein Vorwort geschrieben und bietet an, das Werk für Friedrich zu veröffentlichen.
1740–1743: Krieg und Frieden
Als Friedrich nach dem Tod seines Vaters den Thron besteigt, bittet er Voltaire, ihn weiter so zu behandeln wie bisher. Er erklärt, dass er nun allein seinem Volk dienen wird und sich von der Kunst und der Poesie verabschieden muss. Die Krone ist ihm eine Last.
„In Gottes Namen, schreiben Sie mir einfach als Mensch und verpönen Sie bei mir Titel, Namen und äußerlichen Glanz.“ (Friedrich, S. 195)
Friedrich will Schlesien, das ihm seiner Meinung nach rechtmäßig zusteht, erobern und sich so Ruhm verdienen. Er müsse als Herrscher bereit sein, Menschen abschlachten zu lassen, um die gerechtfertigten Ansprüche seines Reiches durchzusetzen. Seine Siege verarbeitet er in Gedichten, die Voltaire lobt. Er erinnert Friedrich aber auch an seine eigentliche Aufgabe, das Glück der Menschen zu vergrößern, und beklagt die vielen Kriegsopfer. Er hofft, dass Friedrich sich nach dem Ende des Krieges für den Frieden einsetzen wird. Friedrich ist überzeugt, dass Voltaire, wenn er Armeen zu befehligen hätte, diese auch ohne zu zögern gegen seine Feinde in Frankreich einsetzen würde.
„Gestern trafen, mir zum Heil, / Zwo Fässer aus Germanien ein; / Eins enthält den Ungarwein, / Das andere ist der pralle Wanst / Von Ihrem Herrn Gesandten.“ (Voltaire, S. 211)
Nachdem Voltaire Friedrich vorgeworfen hat, Gerüchte über eine intime Beziehung zwischen ihm und Madame du Châtelet verbreitet zu haben, erwidert Friedrich, dass er sich keiner Schuld bewusst sei, schließlich sei das Verhältnis ein offenes Geheimnis. Friedrich gibt Voltaire zu verstehen, er wisse, dass dieser ein doppeltes Spiel treibe und Friedrich absichtlich falsche Informationen, etwa über die französische Truppenstärke, zuspiele. Es kommt zum Streit – Friedrich verlangt von Voltaire, sich in Berlin persönlich bei ihm zu entschuldigen.
1746–1754: Voltaire in Potsdam
Nach einer längeren Pause schickt Voltaire Friedrich seine Werke Histoire de Louis XIV und Sémiramis und wartet auf Zeichen seiner Gunst. Friedrich lädt Voltaire etwas später nach Sanssouci ein. Voltaire muss die Reise jedoch verschieben, nachdem bekannt wird, dass Madame du Châtelet ein Kind erwartet. Voltaire will ihr beistehen und erst nach der Geburt aufbrechen. Als Madame du Châtelet im Kindbett stirbt, ist Voltaire von dem Verlust so tief getroffen, dass er sich außerstande sieht, nach Preußen zu reisen. Er verschiebt den Aufenthalt auf den nächsten Sommer.
„Ich werde Sie jetzt nicht mit Details behelligen, denn da ist nichts Verfeinertes an der Methode, mit der wir uns abschlachten; das geschieht stets zu meinem großen Kummer (...)“ (Friedrich, S. 255)
Nachdem sich die Reise durch Voltaires Krankheiten erneut verzögert hat, Friedrich seinem so gespannt erwarteten Gast die Reisekosten auslegen musste und Voltaire auf dem Weg durch Westfalen mit allerlei Unwägbarkeiten zu kämpfen hatte, trifft er 1750 endlich in Potsdam ein. Schon bald nach seiner Ankunft kommt es zu ersten Unstimmigkeiten zwischen den Freunden: Voltaire fühlt sich überwacht, und Friedrich wirft seinem Gast vor, sich in politische Angelegenheiten einzumischen und Intrigen zu spinnen. Als Friedrich zur Truppenschau nach Schlesien reist, nutzt Voltaire die Zeit, um mit der Arbeit am Dictionnaire philosophique zu beginnen. Bald darauf lässt sich Voltaire auf einen Kleinkrieg mit seinem Landsmann Maupertuis ein, dem Präsidenten der Preußischen Akademie. Gegen ihn verfasst er eine Hetzschrift, die er gegen Friedrichs ausdrücklichen Willen publiziert. Friedrich ist dieses Mal nicht gewillt, Voltaire zu verzeihen, und legt ihm nahe, zu gehen. In einem Brief bemerkt er aber, dass er die Ränkespiele des französischen Dichters eher amüsant als ärgerlich findet. Weil Voltaire bei seiner Abreise Gedichte Friedrichs mitgenommen hat, die dieser zurückfordert, wird der Franzose in Frankfurt verhaftet. Voltaire beschwert sich bei Friedrich über die grobe Behandlung und will Wiedergutmachung, die Friedrich jedoch verweigert.
1755–1760: Der Siebenjährige Krieg und ein großer Verlust
Voltaire übersiedelt auf einen Landsitz am Genfer See und Friedrich sieht sich wieder einmal gezwungen, in den Krieg zu ziehen: Mit England kämpft er gegen Österreich, das Schlesien zurückerobern will. Nach mehreren Niederlagen denkt Friedrich über Selbstmord nach. Voltaire versichert ihm, dass dies kein ruhmreicher Ausweg ist, sondern als feige Tat angesehen werden würde. Selbst wenn Friedrich den Königstitel verlöre, könnte er noch ein erfülltes Leben als Gelehrter führen. Wenig später wendet sich das Blatt und Friedrich siegt. Die Selbstmordpläne sind vergessen.
„Ich habe Europa mit dem epidemischen Kriegsbazillus infiziert wie eine Kokotte ihre Galane mit gewissen schmerzhaften Beweisen ihrer Gunst.“ (Friedrich, S. 296)
Dennoch muss Friedrich gleich mehrere Schicksalsschläge hinnehmen. Am schwersten trifft ihn der Tod seiner geliebten Schwester Wilhelmine. Er bittet Voltaire, ihr ein literarisches Denkmal zu setzen, woraufhin dieser einen Trauergesang verfasst. Wieder konfrontiert Friedrich ihn mit Vorwürfen: Er habe Informationen und Auszüge aus Briefen an den französischen Hof weitergeleitet. Auch deswegen schlägt Friedrich Voltaires Angebot aus, sich als Vermittler zwischen Frankreich und Preußen zu betätigen.
1765–1772: Kampf gegen den Aberglauben und Andersgläubige
Nach mehreren Jahren nehmen Voltaire und Friedrich den Briefwechsel wieder auf. Friedrich sieht voller Hoffnung in die Zukunft: Schon in 100 Jahren würden Auseinandersetzungen zwischen Katholiken und Protestanten der Vergangenheit angehören und die Aufklärung werde ihren Siegeszug – nicht zuletzt dank Voltaires Wirken – fortsetzen, während die Kirche an Macht verliere. Friedrich ist jedoch klar, dass es sehr schwer sein wird, den Aberglauben endgültig zu besiegen, weil die Menschen sich ihm aus Furcht vor dem Tod immer wieder zuwenden. Nur wenn man ihnen diese Angst nehmen könne, sei es möglich, die Macht des Aberglaubens zu brechen.
„Denn ich lieb’ Dich stets, ganz undankbarer Taugenichts, / Und mein leichter Sinn begnadigt Deine Schwäche; / Mit Christenherz verzeih’ ich alles Dir.“ (Friedrich, S. 335)
Voltaires Brieffreundin, die russische Zarin Katharina II., führt Krieg gegen die Türken. Voltaire bittet Friedrich, an ihrer Seite in den Krieg einzugreifen und ihr dabei zu helfen, die Ungläubigen zu vertreiben. Bei der Gelegenheit könnte er auch gleich sein Reich vergrößern. Friedrich weist jedoch darauf hin, dass er die Zarin bereits mit Hilfsgeldern unterstützt und damit schon genug beiträgt. Außerdem möchte er mit einem neuerlichen Krieg nur ungern den Zorn der Philosophen auf sich ziehen – er erinnert Voltaire auch an dessen ehemals sehr strenge Ansicht zu diesem Thema. Er selbst sieht den Krieg als notwendiges Übel, dem man genauso wenig aus dem Weg gehen könne wie schlechtem Wetter.
1772–1775: Der Morival-Prozess
Nach der Teilung Polens erklärt Friedrich, dass er sich darauf einlassen musste, um einen Krieg zu verhindern. Nun konzentriert er sich wieder auf innere Reformen, den Wiederaufbau und den Ausbau der Infrastruktur. In Frankreich kommt wenig später ein neuer Herrscher auf den Thron. Friedrich will noch kein Urteil über Ludwig XVI. abgeben, sondern abwarten, wie er sich entwickelt. Vor allem hofft er, dass sich der junge König weniger von der Kirche beeinflussen lässt als sein Vorgänger.
„(...) ich lasse Sie wissen, dass Sie bei mir an die falsche Adresse geraten sind, so Sie eine Leidenschaft zum Intrigieren und Ränkeschmieden haben.“ (Friedrich, S. 397 f.)
Voltaire bringt den Fall des angeblichen Gotteslästerers Morival, der vor der französischen Justiz nach Preußen floh und nun in Friedrichs Armee dient, erneut vor Gericht, um eine vollständige Rehabilitierung zu erwirken. Friedrich ist zwar bereit, Morival weiter Asyl zu gewähren und sich für einen positiven Ausgang des Prozesses einzusetzen, er glaubt aber nicht, dass das frühere Urteil aufgehoben wird. Tatsächlich wird Morival lediglich Gnade angeboten, wenn er sich öffentlich für seine Taten entschuldigt. Morival schlägt das Angebot aus. Voltaire ist der Meinung, dass sich in Frankreich bald etwas ändern muss: Die Macht der Kirche muss beschnitten und die Gesetze, die teilweise noch aus der Zeit der Inquisition stammen, müssen von Grund auf reformiert werden. Friedrich denkt derweil über die Zukunft seines Landes nach und hofft, dass es schon bald neue große Denker hervorbringen wird.
1775–1778: Altersweisheit
Voltaire interessiert sich für ferne Kulturen und untersucht, welche Elemente das Christentum aus den frühen indischen Legenden übernommen hat. Friedrich beschäftigt sich lieber mit der Frage, wie man einen Staatsbankrott Frankreichs, dessen Hof seit Langem weit über seine Verhältnisse lebt, am besten abwickeln könnte. Sonst weckt nicht mehr viel sein Interesse: Geschichtswerke werden meist mit Hintergrundmotiven verfasst, die Metaphysik versucht nur Antworten auf Fragen zu finden, die der Mensch nie lösen wird, theologische Werke werden bevorzugt von Fanatikern verfasst und die Mathematik beschäftigt sich mit nutzlosen Berechnungen. Allein die Literatur spendet Trost.
„Ich konnte nicht ohne Sie leben, aber auch nicht mit Ihnen. Ich spreche nicht zum König, zum Helden, das sollen die Herrscher tun; ich spreche zu dem, der mich verhext hat, den ich geliebt habe und über den ich mich unablässig ärgere.“ (Voltaire, S. 459)
Rückblickend stellt Voltaire fest, dass Friedrich sein Leben lang sowohl dem Gott des Krieges als auch dem Gott der Dichtung diente. Die Nachwelt, da ist er sich sicher, wird sich fragen, welcher Gott ihm wichtiger war. Kurz vor seinem Tod erklärt er Friedrich in seinem letzten Brief, dass er wieder daran glaubt, dass die Menschen in der Lage sind, den Aberglauben zu überwinden.
Zum Text
Aufbau und Stil
Der Band Briefwechsel beinhaltet 245 Briefe Voltaires und Friedrichs aus rund 40 Jahren. Hierbei handelt es sich jedoch bei Weitem nicht um die gesamte Korrespondenz: Ein großer Teil der Briefe ist verloren gegangen, und von den überlieferten wurde nur ein Drittel in die vorliegende Sammlung aufgenommen. Voltaire und Friedrich schrieben sich – natürlich auf Französisch – zu einer Zeit, als die Kunst des Briefeschreibens wohl ihre höchste Perfektion erreicht hatte: Gelegenheitsgedichte, Bonmots, Zitate aus antiken Werken, rhetorische Kniffe und spitzfindige Beobachtungen lassen die Lektüre zum Erlebnis werden. Da ihre Korrespondenz von verschiedenen Interessengruppen überwacht wurde, waren die Briefpartner gezwungen, viele Aussagen abzuschwächen oder sie hinter Metaphern bzw. zwischen den Zeilen zu verstecken. Mit der Zeit kannten sich die Briefpartner so gut, dass sie die bevorzugten Wendungen und sprachlichen Bilder des anderen perfekt auswerten und in neue Wortspiele einflechten konnten. Die meisten dieser Anspielungen kann der Leser mit einem grundlegenden Vorwissen über die beiden Hauptakteure problemlos verstehen, etwa die zahlreichen Spitznamen, die die Briefpartner einander und den Personen in ihrem engsten Umkreis geben: „Apoll“ (Voltaire), „Salomo“ (Friedrich), „Königin von Saba“ (Madame du Châtelet).
Interpretationsansätze
- Friedrich wandte sich als Kronprinz an den damals schon berühmten Aufklärer Voltaire: Er sollte ihn lehren, ein guter Herrscher zu sein, für den stets das Wohl des Volkes an erster Stelle steht. Die Aufgaben, Pflichten und Chancen, die ein Herrscher im Sinne der Aufklärung hat, bleiben während der gesamten Korrespondenz ein Kernthema.
- Dem Briefwechsel liegt ein humanistisches, aufklärerisches Weltbild zugrunde. Voltaire und Friedrich sehen es als ihre Pflicht, ein neues, tolerantes Denken zu verbreiten und sich gegen Aberglauben und Fanatismus, was in vielen Fällen gleichbedeutend ist mit der katholischen Kirche, starkzumachen.
- Der Briefwechsel ist auch ein unschätzbar wertvolles Dokument, um die Biografien dieser beiden wichtigen Persönlichkeiten zu beleuchten; zeigt er doch über einen Zeitraum von fast einem halben Jahrhundert, welche Themen die beiden bewegten und wie sie zu aktuellen Entwicklungen standen.
- Friedrich und Voltaire zeigen sich als umfassend gebildet und beschäftigen sich mit zahlreichen Fragen, die in der zeitgenössischen Philosophie und Naturwissenschaft diskutiert werden, wobei sie ihre eigenen Standpunkte fast immer mit traditionellen Positionen zu diesen Themen zu belegen wissen. Ein wichtiges Thema, das über die Jahre immer wieder in unterschiedlichen Zusammenhängen zur Sprache kommt, ist das Leib-Seele-Problem und die Frage nach der Unsterblichkeit der Seele.
- Die größte Uneinigkeit zwischen den beiden Denkern besteht immer dann, wenn es um die Frage nach dem gerechten Krieg geht. Anfangs stellt sich Voltaire als Pazifist dar, während Friedrich lapidar erklärt, dass man als Staatsmann eben manchmal nicht um den Krieg herumkomme. Später scheint Voltaire zum Verfechter eines neuen Kreuzzugs gegen die Ungläubigen zu werden, während Friedrich spöttelt, dass er in diesen Krieg lieber nicht eingreift, um nicht wieder den Zorn der Philosophen auf sich zu ziehen.
Historischer Hintergrund
Europa im 18. Jahrhundert
Das so genannte Jahrhundert der Aufklärung war in beinahe allen europäischen Staaten von tief greifenden Veränderungen geprägt und brachte einige der größten Denker der Neuzeit hervor. Von England aus verbreiteten sich die neuen wissenschaftlichen und philosophischen Ideen auf dem ganzen Kontinent. Die Vertreter der Aufklärung sahen sich als Teil einer Bewegung, die die Macht der Monarchen und der Kirche beschränken wollte. Dabei waren sich die führenden Köpfe aber keineswegs einig, wie dies geschehen sollte.
Preußen stieg unter der, oft rücksichtslosen, Führung von Friedrich II. (dem Großen) im 18. Jahrhundert vom zersplitterten Kleinstaat zu einer der fünf Großmächte Europas auf. Der preußische Herrscher führte zahlreiche Reformen durch: Er schaffte die Folter ab, schränkte die Zensur ein und setzte die Politik der Religionsfreiheit fort. Außerdem vergrößerte er mit den drei Schlesischen Kriegen (1740–1763) und dem Siebenjährigen Krieg (1756–1763) sein Reich. Im absolutistischen Europa galt das Recht des Stärkeren: Das zeigte sich besonders deutlich an der ersten Teilung Polens 1772, als Friedrich II., Katharina die Große und Joseph II. von Österreich das Land kurzerhand unter sich aufteilten.
In Frankreich bauten Ludwig XIV. und seine Nachfolger das absolutistische Regime aus, das die Rechte der Stände immer weiter beschnitt. Das Königtum feierte sich selbst im überbordenden Pomp, während das Volk hungerte. Die zunehmende Unzufriedenheit entlud sich, auch infolge der starken Verurteilung der Zustände durch französische Denker wie Denis Diderot, Voltaire und Jean-Jacques Rousseau, schließlich 1789 in der Französischen Revolution.
Entstehung
Friedrich der Große war besessen von der Vision, in seinem Schloss Sanssouci Gelehrte und Dichter um sich zu scharen. Voltaire seinerseits wollte Friedrich „besitzen“ und sich mit ihm schmücken. Zudem zog er, wann immer sich die Gelegenheit bot, Nutzen aus seinen Kontakten zum preußischen Königshof. Auf beiden Seiten war die Freundschaft also von politischem Kalkül und eigennützigen Interessen belastet, die immer wieder zu Zerwürfnissen führten. Die Briefpartner trafen sich fünfmal in ihrem Leben, meist nur für einige Tage. Voltaires längster Aufenthalt in Berlin, der eigentlich für immer sein sollte, dauerte wegen eines Streits nur von 1750 bis 1753. Ihren Briefwechsel hielten sie dennoch bis zu Voltaires Tod aufrecht. Allen Unstimmigkeiten zum Trotz verband sie eine tiefe Freundschaft und wohl auch ein ähnliches Los: Sie führten jeweils das Leben, das der andere nicht haben konnte – Voltaire wäre gern Politiker gewesen, um aktiv in den Lauf der Geschichte einzugreifen, Friedrich dagegen hätte am liebsten ein zurückgezogenes Leben als Künstler und Gelehrter geführt (zumindest stellt er es selbst so dar).
Die wichtigsten Einflüsse für beide Briefpartner waren die Geistesgrößen ihres Jahrhunderts: Gottfried Wilhelm Leibniz, Pierre Bayle, Isaac Newton und John Locke, deren Thesen sie immer wieder eifrig diskutierten. Auch die Werke des deutschen Philosophen Christian Wolff, den Friedrich unter seinen persönlichen Schutz stellte, wurden oft zum Thema. In der Literatur gab es jedoch nur einen Zeitgenossen, an dem man sich orientierte: Der französische Dramatiker Jean Baptiste Racine galt beiden als Maß aller Dinge.
Wirkungsgeschichte
Friedrich gilt heute als eine der umstrittensten historischen Persönlichkeiten der Neuzeit. Schon Voltaire stellte in seinem Werk Über den König von Preußen fest: „Aber es lag in seiner Natur, immer genau das Gegenteil dessen zu tun, was er sagte und schrieb, nicht aus Verstellung, sondern weil er in einer Stimmung schrieb und sprach und in einer ganz anderen handelte.“ Noch immer sind sich die Historiker nicht einig: War Friedrich aufgeklärter Reformer, charismatischer Schöngeist oder rücksichtsloser Kriegstreiber? Über die Jahrhunderte waren all diese Friedrich-Bilder mal in Mode und wurden von verschiedenen Gruppen vereinnahmt: Im frühen 20. Jahrhundert galt der „alte Fritz“ als Begründer des protestantischen Deutschlands, die Nazis sahen in ihm den „ersten Nationalsozialisten“ und setzten ihn öffentlichkeitswirksam für ihre Propaganda ein. Auch der Boom, der mit dem „Friedrich-Jahr“ 2012 in Zusammenhang steht, wird wohl keine endgültigen Antworten liefern können.
Ähnlich vielseitig und von Widersprüchen durchzogen ist auch das Leben Voltaires: Er war genialer Dichter, Frauenheld, Historiker und Philosoph, intriganter Höfling und von einer unglaublichen Schaffenskraft getriebenes Universalgenie (sein Nachlass umfasst rund 750 Werke). Er zählte im 18. Jahrhundert, das in Frankreich sogar als „das Jahrhundert Voltaires“ bezeichnet wird, zu den meistgelesenen Autoren. Heute gilt Voltaire, der sein Leben lang die Unterdrückung des Volkes durch die absolutistischen Herrscher und den Machtmissbrauch der katholischen Kirche anprangerte, als einer der wichtigsten Wegbereiter der Französischen Revolution.
Über die Autoren
Voltaire kommt unter dem bürgerlichen Namen François-Marie Arouet am 21. November 1694 als Sohn eines Notars in Paris zur Welt. Sein Pate führt ihn in die höfische Gesellschaft ein, wo man ihn bald für seinen intelligenten Witz, seinen bösartigen Humor und seine Frechheit liebt, womit er sich aber auch oft Feinde schafft. Die erreichen schließlich, dass Voltaire nach England fliehen muss. Später zieht er sich ins Château de Cirey seiner Intimfreundin Madame du Châtelet im Herzogtum Lothringen zurück. Auf Vermittlung der Marquise de Pompadour steigt Voltaire 1746 zum Kammerherrn Ludwigs XV. auf, nimmt 1749 aber eine Einladung Friedrichs II. von Preußen an. Doch auch hier kommt es zum Zerwürfnis. 1758 kauft sich Voltaire das Gut Ferney in der Nähe von Genf, wo er 20 Jahre lang lebt und schreibt. 1778 reist er ein letztes Mal nach Paris, wird begeistert empfangen und stirbt dort am 30. Mai 1778.Friedrich der Große kommt am 24. Januar 1712 als Sohn des preußischen Kronprinzen Friedrich Wilhelm zur Welt. Das Verhältnis zu seinem strengen Vater, dem „Soldatenkönig“, ist von Anfang an vergiftet – der künstlerisch begabte Friedrich leidet unter der soldatischen Erziehung. Schon kurz nach seiner Hochzeit mit Prinzessin Elisabeth Christine von Braunschweig-Wolfenbüttel-Bevern zieht er sich auf sein Gut Rheinsberg zurück. Im Jahr 1740 besteigt er nach dem Tod seines Vaters den Thron, beginnt sofort mit umfangreichen Reformen und marschiert noch im gleichen Jahr in Schlesien ein. In den nächsten Jahren beginnt Friedrich drei weitere Kriege (den Zweiten Schlesischen, den Siebenjährigen Krieg und den Bayerischen Erbfolgekrieg) und ist eine treibende Kraft bei der ersten Teilung Polens. Mit der Gründung des Deutschen Fürstenbundes legt er 1785 den Grundstein für ein geeintes Deutschland. Friedrich der Große stirbt am 17. August 1786 im Schloss Sanssouci.
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