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Das Durchdrehen der Schraube

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Das Durchdrehen der Schraube

Eine Geistergeschichte

dtv,

15 Minuten Lesezeit
12 Take-aways
Text verfügbar

Was ist drin?

Rätselhaft und vieldeutig: In Henry James’ berühmter Meisternovelle werden zwei Kinder und ihre Erzieherin von Geistererscheinungen heimgesucht – oder ist alles nur Einbildung?


Literatur­klassiker

  • Novelle
  • Moderne

Worum es geht

Geistergeschichte und Psychodrama

Henry James’ berühmteste Erzählung ist eines der am häufigsten interpretierten Werke der modernen Literatur. Die Gespenstergeschichte ist so faszinierend wie rätselhaft: Im geselligen Kreis einer Kaminrunde in einem englischen Landsitz werden die Aufzeichnungen einer verstorbenen Gouvernante vorgelesen, die als junge Frau die Erzieherin zweier elternloser Kinder war. Diese beiden, ein Junge und seine kleine Schwester, erweisen sich als äußerst reizend und wohlerzogen, aber nach wenigen Wochen ihres Aufenthalts hat die junge Erzieherin auf dem weitläufigen Landsitz Erscheinungen – Geister, wie sie meint –, die sie als äußerst bedrohlich für die Kinder erachtet. Zu ihrer höchsten Verwirrung scheinen die Kleinen selbst auf mysteriöse Weise in Kontakt mit den Erscheinungen zu stehen. Die Versuche der Gouvernante, den Einfluss der Geister zu brechen, enden in einem Desaster ... James’ Meisterwerk ist alles andere als eine läppische Spukgeschichte mit knarrenden Balken und Dielen, sondern ein abgründiges Verwirrspiel voll psychologischer Raffinesse, konzentriert auf einen einzigen Handlungsort und ganz wenige Personen. Ein Muss für Freunde des Rätselhaften und Fantastischen!

Take-aways

  • Henry James’ Meistererzählung Das Durchdrehen der Schraube (The Turn of the Screw) ist eine faszinierende und verstörende Geistergeschichte.
  • Eine junge Landpfarrerstochter wird vom Vormund zweier Waisenkinder als deren Erzieherin angestellt.
  • Geblendet vom Charme und der glanzvollen Erscheinung des reichen Gentleman nimmt sie die Stelle trotz ihrer Unerfahrenheit an.
  • Die Kinder, ein Junge und ein Mädchen, erweisen sich als ausgesprochen hübsch, wohlerzogen und liebenswürdig.
  • Der Junge wurde allerdings aus ungenannten Gründen des Internats verwiesen.
  • Mehrmals glaubt die Gouvernante zwei unbekannte Gestalten auf dem Anwesen zu sehen.
  • Sie meint, dass es sich dabei um den ehemaligen Diener und die ehemalige Erzieherin handelt – beide verstorben – und dass diese einen schlechten Einfluss auf die Kinder haben.
  • In ihrer Angst um ihre Zöglinge führt die Gouvernante deren totale Überwachung ein.
  • Das Mädchen wird daraufhin nervenkrank und muss zur Behandlung nach London.
  • Als die Gouvernante den Jungen mit den Geistererscheinungen konfrontiert, stirbt er vor Schreck.
  • Henry James ruft die Realität des Fantastischen und Irrationalen auf meisterhaft subtile Weise hervor.
  • Der Autor ist eine Schlüsselfigur auf dem Weg des angloamerikanischen Romans in die Moderne.

Zusammenfassung

Die Runde am Kamin

An einem Weihnachtsabend unterhält sich eine Runde in einem englischen Landsitz versammelter Herrschaften mit dem Erzählen von Gespenstergeschichten und Geistererscheinungen. Soeben wurde eine beendet, in der das Opfer der grässlichen Heimsuchung ein kleiner Knabe war. Das erhöhe natürlich die schaurige Wirkung, meint Douglas, einer der Teilnehmer, und er stellt den übrigen die Frage, was sie wohl dazu meinten, wenn zwei Kinder betroffen wären. Das würde die Wirkung noch höher schrauben, lautet die einhellige Meinung. Douglas bietet an, eine solche Geschichte zum Besten zu geben, einen Bericht, der ihm als Manuskript vorliege und den er schon seit über 20 Jahren zu Hause verwahre. Es sei eine Geschichte von äußerstem Grauen. Ein Bote wird losgeschickt, um dieses Manuskript aus Douglas’ Haus in London zu holen, was drei bis vier Tage in Anspruch nimmt. In der Zwischenzeit wird die Gesellschaft kurz mit der Vorgeschichte und vor allem mit der Verfasserin des Berichts vertraut gemacht.

„Nein, das hier war ein großräumiges, unschönes, altehrwürdiges, aber annehmliches Haus (...), wo mich die Vorstellung überkam, wir seien hier fast so verloren wie eine Handvoll Passagiere auf einem großen dahintreibenden Schiff. Und ich stand, zu meinem Leidwesen, unerfahren am Steuer!“ (S. 23)

Diese hat als Gouvernante in der Familie von Douglas’ Schwester gearbeitet und dadurch Zutrauen zu Douglas selbst gewonnen. So kam das Manuskript in seine Hände. Die Verfasserin war als Tochter eines Landgeistlichen vollkommen ehrbar und wohlerzogen, aber gänzlich ohne Vermögen. Sie bewarb sich auf eine Stelle, die ein vornehmer, reicher, junger Gentleman von blendendem Aussehen und liebenswürdigsten Umgangsformen anbot. Die junge Frau sollte die Erziehung seines etwa zehnjährigen Neffen Miles und dessen achtjähriger Schwester Flora übernehmen, deren Vormund er war. Die Gouvernante sollte dazu auf seinen Familiensitz Bly in Essex, wo die Kinder sich aufhielten, reisen. Die Eltern der Kinder waren in Indien gestorben. Die Gouvernante sollte damit auch die Funktion eines Haushaltsvorstands gegenüber den übrigen Angestellten auf Bly übernehmen und völlig freie Hand sowie alle finanziellen Mittel haben, die sie benötigte. Die einzige Bedingung, die der Auftraggeber stellte, war, dass er unter gar keinen Umständen mit irgendwelchen Problemen behelligt werden wollte. Sie sollte völlig selbstständig und eigenverantwortlich handeln. Nach kurzem Zögern, ob sie dieser Aufgabe gewachsen sei, willigte sie ein, wobei das enorme Gehalt und die Ausstrahlung des jungen Gentleman den Ausschlag gaben. Bisher führte eine Haushälterin namens Mrs. Grose den Haushalt auf Bly mit einigen Angestellten. Es hatte auch bereits eine andere Erzieherin für Flora gegeben, die aber jüngst überraschend verstorben war. Der Junge war im Internat und sollte für die Ferien demnächst nach Bly zurückkehren.

„Er war unglaublich schön, und Mrs. Grose hatte es getroffen: Durch seine Gegenwart wurde alles hinweggefegt, außer einer Art leidenschaftlicher Zärtlichkeit für ihn.“ (über Miles, S. 31)

Nachdem diese Informationen gegeben sind, beginnt die Vorlesung am Kamin, die sich über mehrere Abende erstreckt.

Sommerliche Ankunft auf Bly

Die Gouvernante reist an einem schönen Junitag mit der Postkutsche nach Bly. Dieses erweist sich als imposantes, aus älteren und jüngeren Bauteilen zusammengesetztes Anwesen, umgeben von einem ausgedehnten Park mit See. Zu den älteren Gebäudeteilen, die nicht alle genutzt werden, gehören zwei Türme mit Zinnen. Die junge Frau, in London noch von einigen Zweifeln befallen angesichts der Ungewissheit der kommenden Aufgabe, ist nun wieder voller Zuversicht. Sie erhält ein weiträumiges Zimmer. Die kleine Flora erweist sich als vollkommen bezauberndes Geschöpf, und die Gouvernante hat das Gefühl, sich auch mit der beherzten, unkomplizierten und untadeligen Mrs. Grose leicht anfreunden zu können. Mrs. Grose ist allem Anschein nach sogar ausgesprochen erleichtert über die Ankunft der neuen Erzieherin. Flora selbst lässt es sich nicht nehmen, sie am Tag nach ihrer Ankunft durch Bly zu führen und ihr mit kindlicher Selbstsicherheit sämtliche Kammern, Treppen und Winkel zu zeigen.

Ärger mit Miles

Am folgenden Tag trifft ein Brief vom Internat ein, der die junge Erzieherin ratlos und verzweifelt macht. Mit Bedauern, aber unmissverständlich untersagt die Direktion die Rückkehr des jungen Miles nach den Ferien. Konkrete Gründe werden dafür nicht genannt. Die Erzieherin meint, Miles müsse etwas ungeheuer Schlimmes und Schädliches getan haben, wenn das Internat solch eine drastische Maßnahme verfügt. Mrs. Grose, die als Analphabetin den Brief nicht lesen konnte, kann sich so etwas in Bezug auf den „kleinen Herrn“ überhaupt nicht vorstellen. Nach hartnäckigem Befragen gibt sie allerdings zu, Miles sei bisher vielleicht nicht immer ganz brav gewesen, aber er sei ja schließlich ein Knabe. Darauf angesprochen, ob die frühere Erzieherin möglicherweise etwas an Miles bemerkt habe, bleibt Mrs. Grose vage, die Dame sei ebenfalls jung gewesen, in einigen Dingen vielleicht nicht ganz korrekt, aber sie wolle über die Verstorbene nicht reden. Deren Tod habe sich während ihres Weihnachtsurlaubs ereignet, über die näheren Umstände wisse Mrs. Grose nichts.

„Sie, diese Gestalt im hinreichend hellen Dämmerlicht, rief in mir, wie ich mich erinnere, zwei verschiedenartige krampfartige Gefühlserregungen hervor, die, kurz gesagt, der Schock meiner ersten und meiner zweiten Überraschung waren.“ (S. 36 f.)

Miles kommt am nächsten Tag mit der Postkutsche an und wird von der Erzieherin in Begleitung von Flora abgeholt. Er erweist sich als bildschön, trotz seiner Jugend als äußerst anmutig und liebenswürdig - ein richtiger Märchenprinz. Die Gouvernante schwenkt umgehend auf die Sichtweise von Mrs. Grose ein, beschließt, das Schreiben des Internats einfach zu ignorieren, und schließt mit Mrs. Grose einen mit schwesterlicher Umarmung besiegelten Pakt, gemeinsam alles für das Wohlergehen und die bestmögliche Erziehung der Kinder zu tun.

Erscheinungen

Die Sommerferien beginnen in heiterer Unbeschwertheit. Das junge Geschwisterpaar lebt in Harmonie, weiß sich bestens mit sich selbst zu beschäftigen, der Bruder liest seiner Schwester Märchen vor, man denkt sich kleine Theaterstücke aus, macht zusammen Musik, die Kinder haben die vorzüglichsten Tischmanieren, fallen nie zur Last. Die junge Gouvernante entdeckt das Vergnügen, einfach nur Freude zu bereiten. In der Dämmerung, wenn die Kinder zu Bett sind, unternimmt sie stille Spaziergänge im Park.

„Tiefes Dunkel breitete sich fortdauernd über alles, was mit dem Betragen des Knaben in der Schule zu tun hatte.“ (S. 43)

Eines Abends gewahrt sie auf einer der Turmzinnen einen unbekannten Mann. Kurz zuvor hatte sie noch eine Vorahnung, es werde ihr auf ihrem Pfad jemand begegnen. Sie kann ihn ganz deutlich sehen, er trägt keinen Hut; sie kennt ihn nicht. Die Gestalt flößt ihr Schrecken und Furcht ein. Der Mann starrt sie unverwandt an und geht von einer Ecke des Turms zur anderen, dann verschwindet er. Kurz darauf begegnet der jungen Frau in der Eingangshalle die völlig arglose und herzliche Mrs. Grose, und sie beschließt, die Erscheinung für sich zu behalten.

„Ein Schritt in den Raum hatte genügt; mein Sehvermögen war unverzüglich voll da; es erfasste alles. Die Gestalt, die unentwegt hereinblickte, war dieselbe, die mir bereits seinerzeit erschienen war.“ (S. 45)

An einem regnerischen Sonntag, kurz vor dem Kirchgang, betritt die Gouvernante auf der Suche nach ihren Handschuhen eines der Zimmer im Erdgeschoss und sieht denselben Mann mit starrem Blick zum Fenster hineinschauen. Sie rennt auf die Terrasse hinaus, doch die Gestalt ist verschwunden. Atemlos und bleich steht die Gouvernante noch da, als Mrs. Grose das Zimmer betritt und gleichfalls erschrickt angesichts der jungen Frau draußen vor dem Fenster. Nun berichtet die Gouvernante von den beiden abscheulichen Erscheinungen und beschreibt auf Nachfrage von Mrs. Grose das Aussehen des Mannes. Diese erschrickt: Es kann sich um niemand anderen handeln als um Peter Quint, einen früheren Butler, der zu seiner Zeit auch „das Regiment führte“ - doch Mr. Quint ist tot.

Die dritte Erscheinung

Die beiden Frauen besprechen nun bei mehreren Gelegenheiten, was es mit Peter Quint auf sich hat. Er und die frühere Erzieherin waren ebenso wie die jetzige Gouvernante von dem Vormund der Kinder nach Bly geschickt worden und ungefähr gleichzeitig gestorben. Mr. Quint ist eines Samstagnachts vermutlich durch einen Unfall infolge von Trunkenheit auf dem Heimweg von einer Dorfkneipe tödlich verunglückt. Mrs. Grose ist davon überzeugt, dass Quints Geist „den kleinen Miles gesucht“ habe. Sowohl Quint als auch die frühere Erzieherin, eine Miss Jessel, hätten den Kindern sehr große Freiheiten eingeräumt, sie regelrecht verwöhnt, und vor allem Miles habe sehr viel mit Quint zusammengesteckt. Ohne viele Umschweife charakterisiert Mrs. Grose Quint als äußerst niederträchtig, als einen Lumpen, und auch Miss Jessel war ihr ein Gräuel. Sie deutet außerdem an, die beiden hätten eine Beziehung gehabt.

„Ich begann, sie mit unterdrückter Spannung zu überwachen, einer Angespanntheit, die ich verbarg und die leicht, hätte sie allzu lange gedauert, zu so etwas wie Wahnsinn hätte führen können.“ (über die Kinder, S. 63)

An einem schönen Nachmittag beim Spielen mit Flora am Parkteich hat die Gouvernante wieder eine Erscheinung. Sie erkennt am jenseitigen Ufer eine Gestalt, diesmal eine Frau, und weiß instinktiv, dass es Miss Jessel ist. Diese starrt nur auf Flora. Flora spielt zwar weiter, aber die Gouvernante meint zu spüren, dass das Kind die Erscheinung sehr wohl bemerkt hat, sich jedoch auf perfekte Weise nichts anmerken lässt.

Das Weiterdrehen der Schraube

Einvernehmlich beschließen die Gouvernante und Mrs. Grose, die Kinder - natürlich völlig unauffällig - keine Sekunde mehr aus den Augen zu lassen. Zu deren Schutz und um womöglich hinter das Geheimnis zu kommen. Außerdem ist da immer noch das Rätsel von Miles’ Schulverweis. Welcher verderbliche Einfluss Quints könnte sich da ausgewirkt haben?

„Mein Herz stockte einen Augenblick voll Spannung und schrecklicher Angst, die in der Frage lagen, ob sie es wohl auch sehen würde; ich hielt den Atem an, während ich darauf wartete, was mir ein Schrei von ihr, was ein jähes, ahnungsloses Zeichen des Gewahrens und Erschreckens kundtun würde.“ (über Flora, S. 66)

Im Herbst wird den Kindern tagsüber Privatunterricht durch die Erzieherin selbst erteilt, dem sie mit Aufmerksamkeit, ja Begeisterung, mit Fleiß und rascher Auffassungsgabe folgen. Die junge Gouvernante hat jedoch bisweilen den Eindruck, dass die beiden selbst in Gegenwart von Erwachsenen über eine Art Geheimsprache, über ein unsichtbares und unhörbares Verständigungssystem verfügen.

„Sie nahm meine Hand in ihre beiden Hände und hielt sie so fest, als wollte sie mich gegen den wachsenden Schrecken wappnen, den diese Enthüllung womöglich bei mir hervorrufen könnte. ‚Sie waren beide schändlich’, sagte sie schließlich.“ (über Mrs. Grose, S. 72)

Eines Nachts bemerkt sie, dass Flora nicht in ihrem Bett liegt und stürzt dorthin. Das Kind taucht auf der anderen Seite auf, weil es angeblich zum Fenster hinausgesehen hat. Ein anderes Mal, als Flora in der Dunkelheit zum Fenster hinausschaut, starrt von draußen auch eine Gestalt herauf - es ist Miles. Ansonsten verhalten sich die Kinder tadellos, geradezu engelsgleich. Mrs. Grose warnt jedoch wiederholt vor dem verderblichen Einfluss der beiden früheren Bediensteten: „Sie gehören ihm und ihr!“ Die Gouvernante erwägt nun doch, entgegen allen Abmachungen, den Vormund zu verständigen, kurz darauf sogar, Bly einfach zu verlassen. Miles äußert sich nicht über die Vorkommnisse im Internat, auch wenn er darauf angesprochen wird, sondern entzieht sich geschickt und provoziert mit der Aussage, dass er zur Abwechslung einmal für „böse“ gehalten werden möchte.

Die Schraube wird durchgedreht

An dem Tag, als die Gouvernante erwägt, aus Bly zu fliehen, und Miles den Wunsch äußert, wieder auf ein Internat gehen zu können, um als Junge nicht mehr nur von Frauen erzogen zu werden, tritt ein Umschwung im Verhältnis dieser beiden ein. Sie sind einander nunmehr deutlich entfremdet. An diesem Tag kehrt die junge Frau auch vorzeitig vom Kirchgang zurück – und findet Miss Jessel im Unterrichtszimmer am Tisch sitzend vor. Als sie sie anspricht, verschwindet die Erscheinung.

„,Du musst es mir jetzt sagen - und wahrheitsgemäß. Wozu bist du hinausgegangen? Was hast du da getrieben?’ (...) ‚Also’, sagte er schließlich, ‚eben gerade, damit Sie das jetzt tun würden.’ ‚Was tun?’ ‚Mich - zur Abwechslung einmal - für böse halten!’“ (die Gouvernante und Miles, S. 103)

Am nächsten Tag bittet Miles mit der größten Liebenswürdigkeit darum, eine halbe Stunde lang auf dem Klavier vorspielen zu dürfen. Er musiziert wirklich herrlich und bringt es fertig, die Gouvernante vergesslich werden zu lassen. Plötzlich, schlagartig wird ihr klar, dass Flora verschwunden ist. Sie und Mrs. Grose suchen zunächst hektisch im Haus, dann finden sie das Mädchen auf dem gegenüberliegenden Ufer des Parkteichs, wohin sie mit einem Boot gerudert sein muss – schwer vorstellbar für so ein zartes Kind. „Wo ist Miss Jessel?“, fragt die Gouvernante Flora und spricht damit erstmals seit Beginn der Erscheinungen den Namen in Floras Gegenwart aus. Die Gouvernante glaubt sogar, die ehemalige Erzieherin am Seeufer zu sehen, aber Mrs. Grose bemerkt nichts. Das verstörte Kind flüchtet sich in die mütterlichen Arme der Haushälterin.

„O ja, wir können wohl hier sitzen und ihnen zusehen, und sie können sich uns zur Genüge von ihrer besten Seite zeigen, aber selbst wenn sie vortäuschen, völlig versunken zu sein in ihr Märchen, so sind sie in ihrer Vorstellung doch ganz erfüllt von den Toten, die ihnen zurückgegeben sind.“ (über die Kinder, S. 106)

Als Folge dieses Ereignisses fängt Flora an, stark zu fiebern, eine vehemente Abwehrreaktion gegen die Gouvernante. Das Kind wird mit Mrs. Grose nach London geschickt. Die junge Gouvernante bleibt mit Miles allein zurück und nutzt unverzüglich die nächste Gelegenheit, um mit erzieherischer Strenge durch den Panzer seiner guten Manieren durchzudringen. Sie will nun endlich in Erfahrung zu bringen, was der Grund für seinen Rauswurf aus dem Internat war. Der Junge gibt zu, er habe „so Sachen gesagt“, die offenbar weitererzählt wurden. In diesem Moment erscheint wieder Peter Quint jenseits des Esszimmerfensters. In höchster Erregung will die Gouvernante den Jungen zwingen, die Erscheinung anzuschauen und ihre Existenz zuzugeben. Sekunden später bleibt das Herz des Jungen stehen.

Zum Text

Aufbau und Stil

Der Bericht der jungen Gouvernante ist in der Ichform geschrieben. Ihr Name wird nie genannt, auch nicht in dem Vorspann, der die in der Weihnachtszeit in einem Landhaus versammelte Gesellschaft schildert. Dieser Vorspann ist eine Art Rahmenhandlung, die allerdings am Ende nicht wieder aufgenommen wird: Die Novelle endet so dramatisch wie abrupt mit dem Herzstillstand des kleinen Jungen. Im Vorspann erklärt der Erzähler Douglas der Gesellschaft, dass er das Manuskript der Gouvernante 20 Jahre lang verwahrte und sozusagen als Nachlass erhielt; die darin geschilderten Ereignisse liegen also über 40 Jahre zurück.

Interpretationsansätze

  • Die Gouvernante ist die Einzige, die die Verstorbenen, Peter Quint und Miss Jessel, sieht – oder zu sehen glaubt. Ob auch die Kinder mit den Geistern in Kontakt stehen, wird nicht klar; entsprechende Vermutungen erfährt der Leser wiederum nur durch die Gouvernante. Diese ist jung und unerfahren und in Bly von aller sonstigen Welt- und Wirklichkeitserfahrung abgeschnitten. Möglicherweise findet der ganze Spuk nur in ihrer Einbildung statt.
  • Es gibt auch Indizien dafür, dass die Geister keine bloße Einbildung sind, sondern tatsächlich existieren, beispielsweise die genaue Beschreibung Quints durch die Gouvernante, obwohl sie ihn nie gesehen hat, ja von seiner Existenz nicht einmal wusste. Trotzdem: Was Realität, Geisterspuk oder Einbildung ist, bleibt in dieser Novelle immer in der Schwebe.
  • Die Kinder können als unschuldige Opfer oder aber als gefallene Engel, verdorbene Seelen gesehen werden, in deren Rettung sich die übersensible und emotional labile Gouvernante hineinsteigert. Ausgangspunkt für ihre Ängste ist der rätselhafte Rauswurf Miles’ aus dem Internat. Die Art seines schädlichen Verhaltens wird nie genau geklärt, sie unterliegt darum der Imagination der Gouvernante wie auch des Lesers. Das Verhältnis der Kinder zu den früheren Bediensteten kann als übermäßiges Verwöhntsein, schlechter Umgang bis hin zu sexuellem Missbrauch gedeutet werden.
  • Henry James hält bewusst alles offen und gibt keine rationale Erklärung der Geschehnisse. Dem Leser bleibt sehr viel Raum für seine eigene Fantasie, ja er ist geradezu gezwungen, sich seinen eigenen Reim auf das Berichtete zu machen.

Historischer Hintergrund

Die Anfänge der Psychologie als Wissenschaft

Aus Filmen und Romanen, die im 19. Jahrhundert spielen, sind uns Szenen vertraut, in denen Frauen reihenweise in Ohnmacht fallen. Damals bürgerte sich für solche seelischen Erkrankungen ohne organischen Befund wie Ohnmachten, Krampfanfälle, Bewusstseinstrübungen etc. der pauschale Begriff „Hysterie“ ein. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts beschäftigte sich die aufkommende Schulmedizin intensiver mit dem damals weit verbreiteten Phänomen. Die führende Kapazität war der französische Nervenarzt Jean-Martin Charcot, der seit 1882 Leiter der Pariser Salpêtrière war, einer Mischung aus Nervenheilanstalt und Armenhaus, wo Hunderte von Frauen gepflegt wurden. Charcot war der Erste, der hysterische Phänomene genau beobachtete und beschrieb. Er deutete sie als physiologisches Nervenleiden. Bahnbrechend für die Deutung der Hysterie – und sogar der Ausgangspunkt für die gesamte Entwicklung der Psychologie als Wissenschaft – wurde der mehrmonatige Aufenthalt Sigmund Freuds 1885 bei Charcot in Paris. Freud erkannte im Lauf der Zeit, dass es sich bei Hysterien – einfach ausgedrückt – um seelische Störungen aufgrund von traumatischen Erfahrungen und oftmals um verdrängte sexuelle Triebwünsche handelt. Diese Erkenntnisse veröffentlichte er zusammen mit dem österreichischen Arzt Josef Breuer in den Studien über Hysterie 1895. Breuers analytischem Verfahren verdankten Freud und die von ihm begründete Psychologie sehr viel. Aber die Erkenntnis der Bedeutung sexueller Triebdynamik für das Seelenleben ist Freuds Verdienst. Man kann sagen, dass Hysterie in gewisser Weise eine Krankheit der Gesellschaft des 19. Jahrhunderts war, in der Sexualität und Triebbefriedigung außerordentlich stark tabuisiert und mit Schuldgefühlen befrachtet waren, vor allem für Frauen.

Entstehung

Henry James’ Ausgangspunkt zu Das Durchdrehen der Schraube findet sich in einem Eintrag in seinem Notizbuch vom 12. Januar 1895. Dort berichtet er von einer Geistergeschichte, die der Erzbischof von Canterbury, mit dem James befreundet war, zwei Tage zuvor erzählt hat. Die Angaben sind vage: Es ging um kleine Waisenkinder, die der Obhut von Dienstboten überlassen worden waren. Diese waren haltlose, sittlich verdorbene Menschen, und sie verdarben auch die Kinder. Dann starben die Dienstboten auf unbestimmte Weise und kehrten als Wiedergänger zurück, um die Kinder an sich zu fesseln. James griff diese Notiz erst zwei Jahre später wieder auf, als er auf Anregung eines Verlegers eine Weihnachts- und Geistergeschichte für das Magazin Collier’s Weekly verfassen sollte. Dort erschien Das Durchdrehen der Schraube erstmals in zwölf Fortsetzungen von Januar bis April 1898.

Henry James arbeitete von Anfang an als Kritiker wie als Schriftsteller, er war bestens vertraut mit den geistigen Strömungen seiner Zeit. Auch dank der Verbindung zu seinem Bruder, dem bedeutenden Psychologen und Philosophen William James, hatte er bedeutende Kenntnisse der psychologischen Forschung seiner Zeit, die sich u. a. mit Hysterikerinnen beschäftigte. Er machte sich auch Gedanken über die Theorie des Romans und setzte diese in seinen Werken um. So entwickelte er konsequent seine perspektivische Erzähltechnik: Die Geschichte wird (abgesehen von der Rahmenhandlung) ausschließlich aus einer Perspektive entwickelt, nur die Wahrnehmungen und der Bewusstseinsstrom einer Figur werden wiedergegeben.

Viele Werke der englischen Schauerliteratur des 19. Jahrhunderts dürften dem sehr belesenen James bekannt gewesen sein. Auf zwei Bücher weist er durch Anspielungen in Das Durchdrehen der Schraube selbst hin: Amelia von Henry Fielding (1751) und The Mysteries of Udolpho von Ann Radcliff (1794). Ferner gibt es einen spannenden Unterhaltungsroman aus dem Jahr 1855 eines gewissen Tom Taylor, in dem ein Haus in London, eine Gouvernante, eine Haushälterin, ein traumatisiertes Geschwisterpaar und Figuren mit den Namen Peter Quin und Miles vorkommen.

Wirkungsgeschichte

Henry James ist eine Schlüsselfigur auf dem Weg der angloamerikanischen Literatur in die Moderne mit ihrer „Stream of consciousness“-Technik. In vielen Werken der modernen Literatur werden dem Leser nicht mehr traditionelle Erzählzusammenhänge geboten, sondern der Leser muss sich selbst ein Bild der erzählten Wirklichkeit aus Fragmenten zusammensetzen, aus Erinnerungsfetzen, flüchtigen Eindrücken, Stimmungen, die anscheinend beliebig aneinandergereiht werden. So haben Virginia Woolf (Mrs Dalloway) oder William Faulkner (Schall und Wahn) ihre Bücher ganz bewusst so konzipiert. In Schall und Wahn etwa wird eine außerordentlich komplexe Familiengeschichte auf vier ganz bestimmte Tage fokussiert. Ähnlich wie in Das Durchdrehen der Schraube sind die ausschließliche Beschränkung auf die Sichtweise einer Person, die Beschränkung auf einen einzigen Handlungsort oder einen einzigen Tag typische Merkmale der modernen Literatur, etwa in James Joyce’ Ulysses. Das Durchdrehen der Schraube diente auch als Vorlage für eine Oper von Benjamin Britten, die 1954 uraufgeführt wurde.

Über den Autor

Henry James gilt in der angelsächsischen Welt als großer Klassiker der Literatur um 1900, als Meister des subtilen psychologischen Romans und Wegbereiter der literarischen Moderne. Am 15. April 1843 in eine großbürgerliche, wohlhabende und intellektuelle New Yorker Familie hineingeboren, erhält er eine umfassende Bildung und lernt schon früh die Klassiker der Weltliteratur kennen. Sein Vater ist einer der angesehensten amerikanischen Intellektuellen, befreundet mit Denkern wie Thoreau, Emerson und Hawthorne. Henry James’ Bruder William wird Psychologieprofessor in Harvard und Begründer des Pragmatismus in der Philosophie. Henry James selbst studiert, nachdem er in seiner Jugend Europa bereist hat, für kurze Zeit Jura in Harvard und betätigt sich bald als Journalist, zunächst als Kritiker, dann auch als Zeitungskorrespondent in Paris. 1869 siedelt er nach England über, wo er sich 1876 endgültig niederlässt. Viele seiner berühmten Romane und Erzählungen wie Daisy Miller (1878), Die Europäer (The Europeans, 1878) oder Die Gesandten (The Ambassadors, 1903) spielen vor dem Hintergrund der Begegnungen vornehmer Amerikaner mit Europäern. Der Gegensatz zwischen Alter und Neuer Welt, zwischen europäischer Kultur und amerikanischer Naivität spielt in seinem Werk eine wichtige Rolle. Da James vermögend und somit finanziell unabhängig ist, kann er sich ganz dem Schreiben und seinen intellektuellen Interessen widmen. Auch in England steht er in engem Kontakt zu den führenden Geistern seiner Epoche. 1904/05 reist James nach 25 Jahren erstmals wieder in die Vereinigten Staaten, unter anderem um die Ausgabe seiner gesammelten Werke vorzubereiten und zu begleiten, darunter sein meistgelesenes Buch, die Gespenstergeschichte Das Durchdrehen der Schraube (The Turn of the Screw, 1898). 1915 erwirbt James die englische Staatsbürgerschaft. Er stirbt am 28. Februar 1916 im Londoner Stadtteil Chelsea.

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