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Das kunstseidene Mädchen

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Das kunstseidene Mädchen

Ullstein,

15 Minuten Lesezeit
10 Take-aways
Text verfügbar

Was ist drin?

Das kunstseidene Mädchen will Glanz, muss aber ums Überleben kämpfen.


Literatur­klassiker

  • Roman
  • Neue Sachlichkeit

Worum es geht

Die Suche nach dem Glück in schwierigen Zeiten

Hübsch und schlau ist Doris, das „kunstseidene Mädchen“, wenn auch ungebildet. Sie ahnt, was Männer wollen, und liegt damit meistens richtig. Sie weiß auch, was sie selbst will, nämlich Glanz, Luxus, etwas Besonderes sein. Leider sind die Zeiten so, dass allein das Überleben immer schwieriger wird; die nächste Mahlzeit ist keine Selbstverständlichkeit. So taumelt Doris von Mann zu Mann, freizügig und frei, Entlarverin männlicher Doppelmoral und sonstiger Verlogenheiten. Zugleich scheint ihr keine Perspektive ohne Mann auf, ohne Bildung ist das in ihrer Welt und ihrer Zeit nicht zu haben. Irmgard Keun schreibt frisch, frei, schnoddrig, emotional und glaubhaft aus der Perspektive dieser 18-Jährigen und bringt das Kunststück fertig, dabei noch poetisch zu sein und ein bedrückend lebensechtes Bild vom Ende der Weimarer Republik zu malen.

Take-aways

  • Das kunstseidene Mädchen 
    ist ein Erfolgsroman der Schriftstellerin Irmgard Keun.
  • Inhalt: Die 18-jährige Doris will ein glanzvolles Leben. Sie trifft viele Männer, aber Glück und Geld, die mit ihnen kommen, sind nie von Dauer. Weil sie als Diebin eines Pelzmantels gesucht wird, flieht sie nach Berlin. Dort geht ihre Suche weiter. Als sie sich ernsthaft verliebt, liebt der Mann sie nicht wieder und sie steht am Ende allein da.
  • Das Werk ist zugleich ein Frauenroman, ein Großstadtroman und ein Zeitroman.
  • Irmgard Keuns Schaffen wird der Neuen Sachlichkeit zugerechnet.
  • 1933 wurden Keuns Bücher von den Nationalsozialisten verboten.
  • Keun lebte zwei Jahre lang mit Joseph Roth im Exil zusammen.
  • Ab 1940 lebte sie wieder in Deutschland, versteckt und unter falschem Namen.
  • Nach dem Krieg konnte sie nicht an ihren Erfolg anknüpfen und stürzte in Armut und Alkoholismus ab.
  • Ende der 1970er-Jahre, noch zu Lebzeiten, wurde sie wiederentdeckt.
  • Zitat: „Ich will so ein Glanz werden, der oben ist. Mit weißem Auto und Badewasser, das nach Parfüm riecht, und alles wie Paris.“

Zusammenfassung

Arbeit als Angestellte

Die 18-jährige Doris, Schreibkraft bei einem Rechtsanwalt, fühlt sich manchmal großartig, besonders, wie „ein Glanz“. Ihr Leben soll wie ein Film sein, und filmisch schreibt sie auch in ihrem Tagebuch. Das Tagebuchschreiben macht ihr Spaß, im Gegensatz zu den Briefen, die ihr in der Kanzlei diktiert werden. Da fallen ihr Rechtschreibung und Kommasetzung manchmal schwer. Diese Schwäche kompensiert sie mit sinnlichen Blicken in Richtung ihres Chefs.

„Aber ich erkannte, daß etwas Besonderes in mir ist, was auch Hubert fand und Fräulein Vogelsang von der Mittelschule, der ich einen Erlkönig hinlegte, daß alles starr war.“ (S. 8)

Ihr Vater, eigentlich nur der Mann ihrer Mutter, ist arbeitslos, ihre Mutter ist Garderobenfrau im Theater. Von den 120 Mark, die Doris verdient, muss sie 70 zu Hause abgeben. Wenn sie etwas Neues haben will, lässt sie es sich meistens von Männern schenken. Dabei geht sie taktisch vor: Wenn sie zum Beispiel meint, ein Mann sei sittenstreng, dann schläft sie drei Verabredungen lang nicht mit ihm, weil er ihr dann die Uhr eher schenkt, die sie beiläufig erwähnt. Hubert ist der einzige Mann, den sie je geliebt hat, und eigentlich liebt sie ihn immer noch, obwohl er sie schlecht behandelt hat. Er war ihr erster Mann, da war sie 16 Jahre alt und er schon Ende 20. Sie war es schließlich, die ihn verführt hat. Er glaubt aber, es sei umgekehrt gewesen. Dann wollte er eine Professorentochter heiraten, also jemanden aus seinen Kreisen. Als er Doris beim Schlussmachen zur Begründung sagte, sie sei nicht anständig genug für ihn, weil sie ja schließlich mit ihm geschlafen habe, wurde sie wütend und gab ihm eine Ohrfeige.

„Mein gutes Kind, ich hoffe, daß ein anständiges Mädchen aus dir wird, und als Mann rate ich dir, dich keinem Mann hinzugeben, bevor du verheiratet bist mit ihm …“ (Hubert zu Doris, S. 21)

Doris verliert ihre Anstellung: Ihre sinnlichen Blicke bei orthografischen Ausrutschern haben ihren Chef wild gemacht. Doch seine Pickel und seine gelbe Haut stoßen sie ab. Als er sich ihr in eindeutiger Absicht nähert, tritt sie ihn vors Schienbein und fragt, was er eigentlich glaube, worin seine Reize lägen. Natürlich ist sie daraufhin ihre Arbeit los.

Beim Theater

Doris vertraut sich ihrer Mutter an, die ihr eine Statistenrolle am Theater verschafft. Doris sieht ihre große Chance gekommen, „ein Glanz“ zu werden. Allerdings stellt sie fest, dass die Hierarchie im Theater gnadenlos ist. Keiner redet mit ihr. Sie ist auch eingeschüchtert, weil sämtliche Schauspielschülerinnen viel gebildeter sind als sie. Um sich Respekt bei ihnen zu verschaffen, erfindet Doris eine Affäre mit dem Theaterdirektor. Alle, die davon erfahren, werden prompt überaus freundlich zu ihr. Doris schließt eine Schauspielschülerin, Mila von Trapper, die sich abschätzig über Dorisʼ Mangel an Bildung äußert, in der Toilette ein und übernimmt während einer Probe den einen Satz, den diese hätte sprechen sollen. Alle anderen Mädchen erblassen vor Ehrfurcht und Neid. Anschließend muss Doris dem Regisseur und dem Direktor etwas vortragen, und diese attestieren ihr eine „ausgesprochen komische Begabung“. Sie nehmen sie kostenlos in die Schauspielschule auf.

„Nun sagen Sie mal, Sie blödsinniger Rechtsanwalt, was denken Sie sich eigentlich? Wie kann ein Studierter wie Sie so schafsdämlich sein und glauben, ein junges hübsches Mädchen wäre wild auf ihn.“ (Doris zu ihrem Chef, S. 25)

Doris ist sich jetzt sicher, dass sie es nach oben schafft. Dann kann sie sich endlich akzeptiert fühlen, ohne Angst, etwas falsch zu machen. Doch weil sie nun nichts mehr verdient, geht sie mit einem Großindustriellen ins Varieté. Als der sie fragt, ob sie Jüdin sei, bejaht sie das, obwohl es nicht stimmt. Sie meint, er wolle das hören. Doch sie hat sich verschätzt, und ihr Verehrer wird feindlich. Doris versteht nicht, was ihre „Rasse“ für einen Unterschied machen soll. Im Theater spitzt sich derweil die Situation für Doris zu, weil die Trapper das Gerücht von ihrer Affäre mit dem Direktor im ganzen Theater verbreitet hat. Dann ist die Premiere von Wallenstein, und Doris soll ihren Satz sprechen. Alle ihre ehemaligen Männerbekanntschaften sind gekommen – erstaunlich viele. Sonst übrigens kaum jemand. Doris wird von ihnen gefeiert und fühlt sich berühmt und glamourös.

Der Pelzdiebstahl

Dann überschlagen sich die Ereignisse: Therese, Dorisʼ ältere Freundin und Kollegin aus dem Anwaltsbüro, erzählt nach einer Wallenstein-Vorstellung, dass Hubert sich nach Doris erkundigt hat und sie treffen will. Therese hat gleich eine Verabredung für die beiden arrangiert, noch am selben Abend. Doch ausgerechnet heute hat Doris nur ihren alten Regenmantel dabei. Darin will sie Hubert auf keinen Fall gegenübertreten. Dann wird sie auch noch aufgefordert, zum Direktor zu kommen – wegen des Affärengerüchts, wie sie meint. Ihr ist sofort klar, dass sie am Theater nicht bleiben kann. An der Garderobe fällt ihr Blick auf einen wunderschönen Mantel aus Eichhörnchenpelz. Kurz entschlossen nimmt sie ihn mit, in der festen Absicht, den Pelz nach dem Treffen mit Hubert wieder zurückzubringen.

„(…) immerzu sind in meinem Leben Dinge, die ich nicht weiß, und immer muß ich tun als ob und bin manchmal richtig müde vor lauter Aufpassen, und immer soll ich mich schämen müssen (…)“ (S. 40)

Hubert ist jetzt eine jämmerliche Gestalt: Die Professorentochter hat ihn verlassen und auch seine beruflichen Pläne sind gescheitert. Doris schläft mit ihm und versucht ihre alten Gefühle für ihn wiederzuerwecken, aber die sind nicht mehr da. Hubert glaubt, dass Doris jetzt ein Star ist, und will finanzielle Hilfe von ihr. Sie findet das armselig, schlägt aber vor, dass sie ja gemeinsam „aus nichts etwas machen“ könnten. Doch als sie nun seine Enttäuschung sieht, ekelt er sie nur noch an. Den Pelz will sie nun doch behalten. Sie geht zu Therese, und beiden ist klar, dass Doris fliehen muss – Therese findet „Flucht“ ein erotisches Wort. Sie gibt Doris etwas von ihrem Ersparten und die flieht nach Berlin.

In Berlin

Berlin ist groß, überall funkelt Leuchtreklame. Gleich bei ihrer Ankunft erlebt Doris, wie Menschenmassen zwei französischen Politikern vor dem Hotel Adlon zujubeln. Sie ärgert sich, dass sie so gar nichts über Politik weiß, und fragt einen Mann im Café, woher die Begeisterung für diese Franzosen komme, ob Franzosen und Juden ein und dasselbe seien und ob es eigentlich gefährlich sei, darüber zu sprechen. Doch der Mann ignoriert ihre Fragen und versucht, mit ihr anzubandeln. Doris verlässt das Café durch einen Hinterausgang. Sie kommt bei Tilli Scherer unter, einer Freundin von einer Freundin von Therese. Tilli ist verheiratet, aber ihr Mann arbeitet in Essen. Tilli will auch berühmt werden. Doris leiht ihr manchmal ihren Pelzmantel, dafür muss sie keine Miete zahlen. Sie lebt ohne Papiere und verbietet sich, Briefe an Therese oder ihre Mutter zu schreiben – wegen des Kriminalfalls um den Pelz.

„Ich will so ein Glanz werden, der oben ist. Mit weißem Auto und Badewasser, das nach Parfüm riecht, und alles wie Paris.“ (S. 45)

Sie lernt einen alternden Schriftsteller kennen, den sie unzumutbar langweilig findet. In seinem Schlafzimmer klaut sie die Unterhemden seiner Frau, während sie ihn reden lässt, und macht sich dann aus dem Staub. Sie wird Kindermädchen bei einer reichen Familie. Die Kinder sind frech, der Mann ist alt, die Frau jung. Doris fragt sich, warum eine Frau in solch einer Ehe als anständige Frau gilt, während eine Frau, die mit einem Mann schläft, weil er ihr gefällt, eine Hure sein soll. Der Mann macht Doris Avancen, er bietet ihr eine Wohnung und Geld an. Sie ekelt sich zwar vor ihm, will diesen Preis aber bezahlen. Doch dann kommt ein gut aussehender Freund von ihm zu Besuch. Doris geht mit ihm – und ist prompt ihren Job los. Wieder weiß sie nicht, wovon sie leben soll. Sie freundet sich mit Herrn Brenner an, einem blinden Nachbarn mit einer bösen, alten Ehefrau. Für ihn sammelt sie Eindrücke in den Straßen von Berlin und erzählt ihm dann, was sie gesehen hat. Sie können gemeinsam lachen, und sie mag die Art, wie er sie anfasst. Sie ist zu Tränen gerührt, weil er gut zu ihr ist und ihr kleine Geschenke macht. Herr Brenner soll ins Heim kommen. Gemeinsam trotzen Doris und Herr Brenner seiner Frau die Erlaubnis ab, vorher noch einen Abend miteinander im Berliner Nachtleben verbringen zu dürfen. Doch es wird kein froher Abend, er ist von Traurigkeit und Abschied überschattet.

Kurzer Luxus

Plötzlich hat Doris alles, was sie will: Sie ist die Geliebte eines richtig reichen Mannes. Alexander ist „eine fröhliche rosa Kugel“ und uralt, aber er rührt sie. Doris genießt das Luxusleben, schwelgt in Geld, dicken Teppichen, hat lackierte Fußnägel und einen Chauffeur, schreitet durch Zimmerfluchten am Kurfürstendamm. Sie schickt Therese das geliehene Geld und ein Grammofon samt 18 Schallplatten. Einmal fährt sie ohne Ziel im Taxi herum, nur weil sie es sich leisten kann. Immer wenn Alexanders Frau von ihren Reisen zurückkehrt, muss Doris die Wohnung verlassen, das weiß sie. Einmal kommt die Frau unerwartet früh zurück und Doris liegt noch im Bett. Als sie Alexander im Geschäft anruft, heißt es, er sei verhaftet. So hat das Luxusleben ein jähes Ende. Doris zieht wieder zu Tilli, doch deren Mann ist jetzt arbeitslos und immer zu Hause. Er macht Doris schöne Augen, was Tillis Freundschaft erkalten lässt.

„Es sah nach Trost aus und Allerheiligen und nach hoher Sicherheit wie im Himmel. Es war echt Feh.“ (über den Pelzmantel, S. 61)

Hulla, eine Prostituierte, die auch in Tillis Haus wohnt, ist tot. Sie ist aus Angst vor ihrem gewalttätigen Zuhälter aus dem Fenster gesprungen. Doris ist schockiert. Weil die Spannungen mit Tilli zu groß werden, nimmt Doris sich ein möbliertes Zimmer, auch wenn ihr Geld nur für wenige Tage reicht. Sie erinnert sich an Lippi Wiesel, einen Journalisten, und ruft ihn an. Kurz darauf wohnt sie bei ihm und möchte endlich mal irgendwo zu Hause sein. Doch die Beziehung endet an Heiligabend – den feiert er auswärts, ohne sie mitzunehmen. So verbringt Doris die Nacht im Tiergarten auf einer Bank.

„Mit einem Fremden schlafen, der einen nichts angeht, ganz umsonst, macht eine Frau schlecht. Man muß wissen wofür. Um Geld oder aus Liebe.“ (S. 63)

Doris weiß nicht wohin, und so verbringt sie viel Zeit mit ihrem Koffer im Lokal „Wartesaal Zoo“. Eines Tages lernt sie Karl kennen, der in einer Schrebergartenlaube wohnt und alles Mögliche verkauft. Er bietet ihr an, sie könne für ihn arbeiten. Doris lehnt ab, weil sie schließlich ihren Ehrgeiz hat. Sie hört, dass Tillis Mann wegen Einbruchs verhaftet wurde und Tilli selbst wegen Beihilfe. Sie hat kein Mitleid mit den beiden, schließlich haben sie mit ihrer Tat im Wirtshaus geprahlt. Ein Mann namens Schanewsky nimmt Doris mit in einen Arbeiterklub. Da stehen Bücher herum, die Leute diskutieren. Doris versteht nichts davon und kommt sich sehr dumm vor.

Die Sache mit Ernst

Doris will Blumen in Lokalen verkaufen, um Geld zu verdienen – aber sie braucht zunächst Geld, um die Blumen zu kaufen. Dafür will sie sich ausnahmsweise prostituieren. In der Silvesternacht fragt ein Mann namens Ernst sie, ob sie mitkommt, und sie sagt Ja. Der Mann hat eine Stimme „wie dunkelgrünes Moos“. Seine Frau ist mit einem Gigolo durchgebrannt, und er fühlt sich einsam. Ernst ist besorgt um Doris, die sich selbst im Spiegel sieht und sich hässlich und mager findet. Seine aufmerksame, freundliche, besorgte Art, die so gar nichts Erotisches hat, stößt sie ab. Sie kann nicht glauben, dass er sie allein schlafen lässt, ohne Sex von ihr zu wollen. Doris bleibt bei ihm und schläft mehrere Tage lang. Als sie ihn fragt, warum sie bei ihm sein darf, antwortet er, dass er abends nicht in eine leere Wohnung kommen will. Irgendwann, als sie wieder zu Kräften gekommen ist, fängt sie an, ein paar Dinge im Haushalt zu machen. Nach wie vor findet sie seine Sanftheit und Freundlichkeit abstoßend. Sie hat ihm nichts von sich erzählt, und er hält sie für eine jugendliche Ausreißerin. Er wiederum erzählt ihr viel von seiner Frau: Die hat ihn verlassen, weil sie einsam war, während er arbeitete, und weil sie künstlerische Ambitionen hat.

„Männer dürfen und Frauen dürfen nicht. Nun frage ich mich nur, wie Männer ihr Dürfen ausüben können ohne Frauen?“ (S. 79)

Doris fängt an, für Ernst zu kochen. Sie erholt sich mehr und mehr und ist nicht mehr so mager. Abends gehen die beiden zusammen spazieren. Doris hat diese Spaziergänge sehr gern. Es fängt an, sie zu stören, dass er so viel von seiner Frau spricht. Sie gibt ihm ihr Tagebuch zu lesen – so erfährt er, wie viel Erfahrung sie mit Männern hat. Er rät ihr, den Pelz zurückzugeben, damit sie ihre Papiere bekommen und dann Arbeit finden kann. Aber Doris glaubt nicht, dass sie durch Arbeit weiterkommt, so ganz ohne Bildung. Und wenn man doch reiche Männer braucht, um sich mal was leisten zu können, dann kann man ja gleich auf den Strich gehen, denkt sie. Den Mantel will sie auch behalten. Sie kommt sich hässlich vor, weil Ernst so gar kein erotisches Begehren zeigt. Dabei ist ihre Wirkung auf andere Männer nach wie vor groß.

Liebe und Trennung

Es kommt ein Brief von Hanne, Ernsts Frau. Doris liest ihn: Hanne deutet Bedauern an über ihren Schritt. Doris lässt den Brief unter dem Teppich verschwinden. Das Leben fühlt sich jetzt wunderbar an – sie ist in Ernst verliebt. Ihm zuliebe schreibt sie einen Brief an die Besitzerin des Mantels, will ihn zurückgeben. Karl schreibt ihr: „Haste noch immer dein Ehrgeiz – kannste mich mal …“. Doris und Ernst lachen herzlich darüber. Sie betet darum, dass Ernst sie lieben kann. Sie zeigt ihm ihren Brief an die Pelzbesitzerin, und er fragt, ob sie ihn seinetwegen geschrieben habe. Da gesteht sie ihm ihre Liebe, fängt an zu weinen, und sie trösten einander und verbringen ihre erste Nacht miteinander. Doris ist glücklich. Doch als er sie aus Versehen „Hanne“ nennt, ist es vorbei. Doris verlässt Ernst, obwohl es ihr das Herz zerreißt. Sie holt Hannes Brief unter dem Teppich hervor und schickt ihn an Ernsts Adresse, dann sucht sie Hanne auf und sagt ihr, sie solle zu ihrem Mann zurückkehren. Hanne tut es – sie kehrt zurück, wie sie Doris sagt, zu einem Mann mit einer gesicherten Existenz, der sie liebt und den sie selbst nicht allzu sehr liebt. Doris macht sich auf den Weg zum Wartesaal Zoo, sie will Karl suchen und auf sein Angebot eingehen.

Zum Text

Aufbau und Stil

Der Roman besteht aus drei Teilen und folgt der Chronologie der Ereignisse. Der erste Teil spielt 1931 im Spätsommer in der nicht näher bestimmten Heimatstadt von Doris, der zweite und der dritte Teil im Herbst und im Winter 1931/32 in Berlin. Der Text ist in Form eines Tagebuchs verfasst. Seine Sprache ist die der Protagonistin und Ich-Erzählerin Doris: naiv und doch ironisch, originell und doch alltagsnah. Oft meint man, einer mündlichen Erzählung zu folgen, es gibt Einsprengsel von Berliner Dialekt und – dem niedrigen Bildungsstand der Ich-Erzählerin entsprechend – sogar Ausdrucks- und Grammatikfehler („jetzt hat er sich umbesonnen“; „Elisabeth ihre schönen Beine“). Doch es finden sich auch viele poetische Sprachbilder („meine Augen fallen mit einem Schrei in meinen Kopf zurück“; „ein Gewühl von zehn blonden Windjacken“), ungewöhnliche Vergleiche und originelle Wortneuschöpfungen.

Interpretationsansätze

  • Das kunstseidene Mädchen ist ein moderner Frauenroman, in dem mit neuen weiblichen Rollenentwürfen experimentiert wird. Die Protagonistin ist unabhängig und sexuell freizügig, sie ordnet sich nicht unter und beendet eigenmächtig Arbeitsverhältnisse, Beziehungen oder Verabredungen mit Männern.
  • Andererseits sucht Doris das Glück in Abhängigkeit von Männern und setzt ihren Körper ein, um ihre Situation zu verbessern. Mit dem richtigen Mann soll entweder die Liebe oder die Existenzgrundlage kommen – am besten beides. Mit Arbeit allein, so Dorisʼ Logik, kann sie nicht genug Geld verdienen, um sich das glanzvolle Leben leisten zu können, nach dem sie sich sehnt. Das größte Glück empfindet sie in der kurzen Phase der Bürgerlichkeit mit Ernst, als sie für ihn kocht und seinen Haushalt führt.
  • Der Roman offenbart die Doppelmoral der Gesellschaft insgesamt und insbesondere der Männer, die sich zwar selbst alle sexuellen Freiheiten nehmen, diese aber den Frauen nicht zugestehen.
  • Doris hat Angst vor der Einsamkeit. So manchen ihrer Männer mag sie gar nicht so sehr, sie will nur endlich irgendwo ankommen. Das war auch das Motiv von Dorisʼ Mutter, ihren Vater zu heiraten, und Doris versteht es instinktiv. Am Ende steht Doris ohne jede Bindung da.
  • Eine metaphorische Funktion hat der gestohlene Eichhörnchenpelz. Er spendet Doris jene Wärme, die ihr in ihren zwischenmenschlichen Beziehungen vorenthalten bleibt. Durch ihn fühlt sie sich aufgehoben und wertvoll. Und doch bleibt er ein bloßes Surrogat, das sie an ihre Einsamkeit gemahnt.
  • Die Romanhandlung beschreibt eine Abwärtsbewegung: Bei ihrer Suche nach einem Mann, nach Geld, Glück und Glamour erfährt Doris eine kontinuierliche Verschlechterung ihrer Lage, es geht immer mehr ums nackte Überleben und immer weniger um Überfluss und Luxus.
  • Doris’ Schicksal ist ein Spiegel ihrer Zeit und der Roman ein Zeitroman, der die immer härter werdende Lage der Menschen im Deutschen Reich Anfang der 1930er-Jahre schildert: Arbeitslosigkeit, Konkurrenz, Kriminalität, Prostitution nehmen drastisch zu. Auch Hinweise auf aktuelle Filme, Lieder oder Modetrends erschaffen ein lebendiges Bild dieser Epoche.

Historischer Hintergrund

Berlin Anfang der 1930er-Jahre

Berlin war in den 1920er-Jahren nicht nur das politische und kulturelle Zentrum des Deutschen Reichs, sondern auch eine der wichtigsten Metropolen überhaupt. In den „Goldenen Zwanzigern“ entstanden wegweisende, experimentierfreudige Strömungen in Literatur, Theater, Film und bildender Kunst, etwa der Expressionismus, der Kubismus und der Dadaismus. Die kulturelle Szene Berlins war extrem vielfältig, Glanz und Glamour zeigten sich auch in der Mode, in Restaurants und Tanzlokalen.

Doch die Weltwirtschaftskrise 1929 führte zu einem Erkalten der Hochstimmung. Die Arbeitslosigkeit stieg drastisch an, 1932 waren mehr als 6 Millionen Menschen in der Weimarer Republik ohne Job. Besonders in den Großstädten gab es viele verzweifelte Menschen, die mit Schildern um den Hals „Arbeit um jeden Preis“ oder wenigstens stundenweise Schlafplätze suchten. Heizmaterial konnten sich nur noch wenige leisten. Der Rest drängte sich oft in geheizten öffentlichen Hallen. Der Schwarzmarkt florierte, Prostitution und Alkoholismus nahmen zu, existenzielle Nöte trieben immer mehr Menschen in den Selbstmord.

Heinrich Brüning, ab März 1930 Reichskanzler, versuchte die wirtschaftliche Abwärtsspirale durch eine harte Sparpolitik und Steuererhöhungen per Notverordnung zu stoppen, war damit aber nicht erfolgreich. Seine Taktik war unter anderem, die Alliierten dazu zu bewegen, dem Deutschen Reich die schmerzhaften Reparationszahlungen zu erlassen, die es als Folge des Ersten Weltkriegs zu leisten hatte – darum ging es unter anderem beim Staatsbesuch des französischen Präsidenten Pierre Laval und seines Außenministers Aristide Briand in Berlin am 28. September 1931. Doch auch eine zeitweise Aussetzung der Reparationszahlungen brachte keine Verbesserung, die Depression verschlimmerte sich immer weiter. Brüning musste noch vor dem Ende der Weimarer Republik im März 1932 abdanken. Das Ende der ersten deutschen Demokratie kam dann mit der Machtergreifung durch Adolf Hitler 1933.

Entstehung

Auf die Frage, ob sie in ihrem Roman Das kunstseidene Mädchen eigene Erlebnisse verarbeitet habe, antwortete Irmgard Keun in einem Interview kurz vor ihrem Tod, es seien eher Beobachtungen gewesen als tatsächliche Erlebnisse. Allerdings gibt es einige offensichtliche Parallelen zwischen Keun und ihrer Protagonistin Doris: Auch die Autorin hatte als Stenotypistin gearbeitet und die Schauspielschule besucht. Literarische Vorbilder könnten zeitgenössische Angestelltenromane gewesen sein – ein Genre, dessen wohl bekanntestes Produkt wohl Hans Falladas Kleiner Mann – was nun? war und ist. Möglich ist auch, dass Keun den Roman Blondinen bevorzugt der amerikanischen Autorin Anita Loos kannte, der 1926 auf Deutsch erschienen war und später mit Marilyn Monroe verfilmt wurde – zwischen den beiden Werken gibt es inhaltliche Parallelen.

Wirkungsgeschichte

Nach dem Erfolg ihres Erstlings Gilgi, eine von uns von 1931 landete Keun mit Das kunstseidene Mädchen schon im folgenden Jahr einen noch größeren Hit, und zwar bei Kritik und Publikum gleichermaßen. Man bescheinigte der Autorin Humor und zugleich Ernsthaftigkeit – „naiv und brillant, witzig und verzweifelt, volkstümlich und feurig“ fand Hermann Kesten die Abenteuer des Mädchens Doris beschrieben. Schon der Verlag hatte den Roman als Gegenwartskritik angekündigt: „Amüsant und kurzweilig, aber er verbirgt nicht, wie traurig im Grunde dieses für unsere Zeit so charakteristische Schicksal ist“. Konservative Kritiker stuften den Text als Gefahr für die weibliche Leserschaft ein – Frauen und Mädchen könnten zu einem unsittlichen Lebenswandel animiert werden. Aus dieser Richtung kam dann auch das Verbot von Keuns Büchern durch die Nationalsozialisten – sie seien „hässliche Angriffe gegen die bürgerliche Moral und das Deutschtum“, „Asphaltliteratur“. Die Figuren Doris und Gilgi entsprachen eindeutig nicht dem Frauenbild der neuen Machthaber.

Bald nach Erscheinen des Romans wurde ein Plagiatsvorwurf laut: Keun habe sich unerlaubterweise bei Robert Neumanns Roman Karriere (1931) bedient. Keun bestritt dies heftig, und Neumann selbst distanzierte sich von den Vorwürfen – allerdings erst Ende der 1960er-Jahre. Ab Mitte der 1970er-Jahre wurden Keuns Romane im Zuge der Frauenbewegung wiederentdeckt, neu aufgelegt und wieder gewürdigt. Das kunstseidene Mädchen ist der bekannteste unter ihnen. Heute gilt Irmgard Keun als wichtige Vertreterin des Großstadtromans der Weimarer Republik. Ihre Werke werden der Neuen Sachlichkeit zugeordnet, jener nüchternen, präzisen Betrachtung der Wirklichkeit, die ab 1925 zur Gegenbewegung von Expressionismus, Surrealismus und Dadaismus wurde.

Über die Autorin

Irmgard Keun wird am 6. Februar 1905 in Berlin als Tochter eines Importkaufmanns geboren. 1913 zieht die Familie nach Köln, Irmgard Keun besucht eine evangelische Privatschule. Nach dem Abschluss 1921 nimmt sie Unterricht in Schreibmaschine und Stenografie und arbeitet als Stenotypistin. Ab 1925 lässt Keun sich in Köln zur Schauspielerin ausbilden. Es folgen Engagements in Hamburg und Greifswald. 1929 beginnt sie zu schreiben. Gleich ihr erster Roman, Gilgi, eine von uns (1931), macht sie über Nacht berühmt. Sie gilt als literarisches Wunderkind, weil sie sich fünf Jahre jünger macht, um das gleiche Alter zu haben wie ihre Protagonistin. Alfred Döblin und Kurt Tucholsky fördern sie. Ihr zweites Buch, Das kunstseidene Mädchen (1932), wird ein großer Verkaufserfolg. 1932 heiratet sie den Autor und Theaterregisseur Johannes Tralow, die Ehe wird jedoch 1937 wieder geschieden. 1933 werden ihre Bücher durch die Nationalsozialisten verbrannt und verboten. Zwischen 1936 und 1940 lebt Keun in Belgien und in den Niederlanden im Exil. In dieser Zeit schreibt sie vier Romane, die in Exilverlagen erscheinen. Dank ihres Erfolgs zählen nun berühmte Schriftsteller wie Stefan Zweig, Ernst Weiß und Heinrich Mann zu ihrem Freundeskreis. Mit Joseph Roth hat sie zwei Jahre lang eine Liebesbeziehung. Nachdem die Deutschen 1940 in die Niederlande einmarschiert sind, geht Keun unter falschem Namen zurück nach Deutschland und lebt dort unerkannt in ihrem Elternhaus in Köln. Nach dem Krieg kann sie nicht an ihre Vorkriegserfolge anknüpfen. Sie schreibt Texte für den Rundfunk und arbeitet als Journalistin, verarmt und haust zeitweise in einem Schuppen. Ihr Roman Ferdinand, der Mann mit dem freundlichen Herzen (1950) findet kaum Beachtung. 1951 wird ihre Tochter geboren, den Namen des Vaters hält Keun geheim. Sie wird alkoholkrank und 1966 in die Psychiatrie eingewiesen, wo sie bis 1972 bleibt. Ab 1979 wird sie wiederentdeckt, ihre Bücher werden wieder verlegt, und ihre finanzielle Lage bessert sich. Am 5. Mai 1982 stirbt sie an Lungenkrebs.

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