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Das Recht auf Faulheit

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Das Recht auf Faulheit

Widerlegung des „Rechts auf Arbeit“ von 1848

Matthes & Seitz Berlin,

15 Minuten Lesezeit
10 Take-aways
Text verfügbar

Was ist drin?

Das „bummelistische Manifest“ aus der spitzen Feder von Karl Marx’ Schwiegersohn.


Literatur­klassiker

  • Politik
  • Moderne

Worum es geht

Lafargue, ein Prophet?

Die Missstände, die Paul Lafargue in seinem Essay anprangerte, sind heute – zumindest in den westlichen Industrienationen – überwunden. Selbst der mieseste Job, den wir machen, ist ein wahres Zuckerschlecken gegen das, was Mitte des 19. Jahrhunderts fast die gesamte Arbeiterschaft buckeln musste. Die Lösung war, wie sich gezeigt hat, nicht eine Weltrevolution und Diktatur des Proletariats, sondern Bildung, Fortschritt und Wachstum. Das konnte Lafargue 1880 nicht wissen, und wenn er ein utopisches „Zeitalter der Faulheit“ beschwor – halb hoffnungsvoll, halb satirisch –, ahnte er wohl kaum, dass dieses in vielerlei Hinsicht verwirklicht werden sollte: in einer postindustriellen Dienstleistungsgesellschaft, in der niemand mehr zum Arbeiten gezwungen ist, um sein materielles Überleben zu sichern, in der übermäßiger Arbeitsdrang suspekt geworden ist und stattdessen der Trend zur Entschleunigung, zur Gleitzeit, zum Sabbatical geht, in der gar über ein bedingungsloses Grundeinkommen diskutiert wird. Doch bei aller postmarxistischen Erleichterung: Lafargues Gedanken zur Lohnarbeit sind weiterhin bedenkenswert, und seine Parodie einer bürgerlichen Freizeitgesellschaft ist erst heute richtig aktuell.

Take-aways

  • Mit seinem Pamphlet Das Recht auf Faulheit wurde der marxistische Theoretiker Paul Lafargue weltberühmt.
  • Inhalt: Christentum und Kapitalismus haben sich verschworen und dem Proletariat die Arbeitssucht eingeimpft. Die Arbeiter schuften sich willig zugrunde und lösen dadurch Überproduktionskrisen aus, da sie sich ihre eigenen Produkte nicht leisten können und die Bourgeoisie mit dem Konsumieren nicht nachkommt.
  • Die Arbeits- und Lebensbedingungen des Industrieproletariats zu Lafargues Zeiten grenzten an Sklaverei.
  • Lafargue war Karl Marx’ Schwiegersohn und ein Apostel des Marxismus in Frankreich.
  • Das Recht auf Faulheit ist vom Marxismus beeinflusst, aber auch vom Anarchismus des französischen Philosophen Pierre-Joseph Proudhon.
  • Lafargues Stil ist überaus polemisch und sarkastisch. Damit knüpft er an die französischen Aufklärungsphilosophen des 18. Jahrhunderts an.
  • Das Recht auf Faulheit wurde innerhalb der Arbeiterbewegung als Meisterwerk gefeiert und mit dem Kommunistischen Manifest von Karl Marx und Friedrich Engels verglichen.
  • Das Vorwort zur zweiten Auflage schrieb Lafargue im Gefängnis, wo er wegen Anstiftung zum Aufruhr saß.
  • Nach einem Leben im Dienst des Marxismus nahm sich Lafargue im Alter von 69 Jahren gemeinsam mit seiner Frau Laura das Leben.
  • Zitat: „Arbeitet, arbeitet, Proletarier, vermehrt den gesellschaftlichen Reichtum und damit euer persönliches Elend. Arbeitet, arbeitet, um, immer ärmer geworden, noch mehr Ursache zu haben, zu arbeiten und elend zu sein. Dies ist das unerbittliche Gesetz der kapitalistischen Produktion.“

Zusammenfassung

Das Elend der arbeitenden Massen

Im industrialisierten Frankreich der Gegenwart arbeiten die Menschen unter schrecklichen Umständen. Nicht nur dauert ein Arbeitstag bis zu 14, teils sogar bis zu 16 Stunden, auch gelten für Frauen und Kinder gleiche Bedingungen wie für Männer. Damit sind die französischen Fabrikarbeiter schlimmer dran als Sklaven oder zu Zwangsarbeit verurteilte Gefängnisinsassen. Sie wohnen dicht gedrängt in Elendsquartieren und tragen bloße Lumpen, obwohl sie doch die luxuriösen Kleider der herrschenden Klasse produzieren. Schwangere Frauen müssen bis zum Tag der Entbindung arbeiten, ja oft gebären sie am Arbeitsplatz und stehen wenige Wochen später wieder am Fließband. Der Gelehrte Dr. Villermé vergleicht in seinen Schriften die Lebensbedingungen der Elsässer Bevölkerung vor und nach der Industrialisierung: Während die Menschen dort um 1813 zum größten Teil Haus und Grund besaßen und „Kinder des Landes“ waren, erlebte Villermé im Elsass 25 Jahre später, nach Einführung der Baumwollindustrie, unvorstellbare Not, unmenschliche Arbeitszeiten, hohe Kindersterblichkeit und eine Entwurzelung der Menschen. Sie waren aus ihren gewachsenen Wohn- und Lebensformen herausgerissen worden, und da sie sich Wohnungen in der Nähe der Fabriken nicht leisten konnten, waren sie gezwungen, stundenlange Fußmärsche zur Arbeit und zurück in Kauf zu nehmen.

Kapitalistische Verschwörung

Die herrschende Klasse profitiert vom Elend der Arbeiter – das Proletariat ist dadurch besser zu kontrollieren. Daher haben die Machthaber die Arbeit zum moralischen Dogma erhoben, das natürlich nur für die Unterschicht verbindlich ist. An der Verherrlichung der Arbeit sowie an der Verdammung der Muße und der sinnlichen Genüsse beteiligen sich gleichermaßen Priester, Philosophen und bourgeoise Schriftsteller, etwa Auguste Comte oder Victor Hugo. Schon die 1770 erschienene, anonyme Schrift An Essay on Trade and Commerce propagiert die Verschärfung der im europäischen Vergleich relativ milden englischen Arbeitsbedingungen und schlägt als Mittel zum Zweck spezielle Einrichtungen für Arme vor, in denen diese 14 Stunden täglich arbeiten sollen. Napoleon brachte den Nutzen solcher Maßnahmen auf den Punkt, indem er sie mit dem erzieherischen Effekt harter Arbeit begründete: Je weniger Freizeit, desto weniger Unfug treiben die Menschen.

„Die kapitalistische Moral, eine jämmerliche Parodie der christlichen Moral, belegt das Fleisch des Arbeiters mit einem Bannfluch; ihr Ideal besteht darin, die Bedürfnisse des Produzenten auf ein Minimum zu drücken, seine Freuden und Leidenschaften zu ersticken und ihn zur Rolle einer Maschine zu verurteilen, die rast- und ruhelos Arbeit leisten soll.“ (S. 7 f.)

Der neuen, kapitalistischen Moral zufolge soll der Mensch seine Leidenschaften und Bedürfnisse verdrängen und allein für die Arbeit leben. Theoretiker beschwören den Geist des Fortschritts und die Überwindung überkommener Verhältnisse, Ökonomen sprechen von der Vermehrung des nationalen Reichtums durch Arbeit. Einige Gelehrte sehen aber auch den Zusammenhang zwischen der Prosperität eines Landes und der Verelendung der Massen. Die Bourgeoisie empfindet sich als Wohltäterin der Armen, da sie ihnen die Gelegenheit gibt, ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Die Absicht dahinter ist, den Arbeiter so elend werden zu lassen, dass er aus reiner Not arbeitet und nicht mehr dazu gezwungen werden muss.

Diagnose Arbeitssucht

Die Arbeiter sind aber auch selbst schuld an ihrer Misere. Sie begreifen nicht, dass es an ihnen ist, der fortschreitenden Erhöhung ihrer Arbeitslast Einhalt zu gebieten. Stattdessen folgen sie brav dem betrügerischen Dogma von Fleiß und Genügsamkeit. Das Proletariat als Ganzes ist an Arbeitssucht erkrankt. 1848 haben die revolutionären Massen sogar ein „Recht auf Arbeit“ gefordert und damit Verrat an den Idealen der Französischen Revolution von 1789 begangen. Abgesehen davon, dass ihre Gefügigkeit die bestehenden Verhältnisse fördert und weiter verschlimmert, sind die Arbeiter sogar der Hemmschuh einer technologischen Entwicklung, von der sie sich eigentlich Entlastung versprechen könnten: Erst wenn sie nämlich dazu übergehen, sich und ihre Arbeitskraft rar zu machen, sind die Fabrikanten gezwungen, sich um eine höhere Effizienz ihrer Maschinen zu bemühen und in den technologischen Fortschritt zu investieren. In Amerika beispielsweise ist die Technik schon so weit, dass die Bauern kaum noch arbeiten müssen, da ihnen Maschinen einen Großteil der Arbeit abnehmen.

Arbeit ist widernatürlich

Das Dogma der Arbeit, erfunden von Christentum und Utilitarismus, hat den Menschen verdorben. Er ist nämlich dafür geschaffen, seine natürlichen Leidenschaften und Bedürfnisse auszuleben. Diese sind keineswegs sündig oder schädlich, wie es die Kirche im Auftrag des Kapitals lehrt. Der Mensch ist von Natur aus gut, jede übermäßige Selbsteinschränkung ist eine Vergewaltigung seines Wesens. Zu Zeiten der Handwerkszünfte haben die Menschen nur fünf Tage die Woche gearbeitet und trotzdem ihr Auskommen gehabt.

„Ein sonderbarer Wahnsinn überwältigt die Arbeiterklassen der Länder (...). Dieser Wahnsinn ist die Arbeitsliebe, die morbide, leidenschaftliche Arbeitssucht, die bis zur Erschöpfung der Lebenskräfte des Einzelnen und seiner Nachkommen getrieben wird.“ (S. 11)

Dass Arbeit krank, Müßiggang aber gesund macht, wird deutlich, wenn man die kerngesunden und edlen Wilden ferner Länder mit unseren ruinierten Fabrikarbeitern vergleicht. In Europa findet sich die ursprüngliche Arbeitsfeindschaft des Menschen am ehesten in Spanien, wo die Industrialisierung jener des restlichen Kontinents hinterherhinkt. Die Spanier sind stolz und gesund, während anderswo ein kränklicher und sowohl geistig als auch sinnlich verarmter Menschenschlag dahinvegetiert. Besonders arbeitssüchtig sind die Bewohner der Auvergne, Schottlands, Galiziens, Chinas und Pommerns. Dabei war es einst überall so, wie es heute noch in Spanien ist: Der Mensch war noch Mensch, er nutzte seine freie Zeit für Muße und Erbauung, feierte kräftig, schlemmte, soff und genoss das Leben. Davon zeugen die Schriften von Cervantes oder Rabelais und alte Gemälde von opulenten Festmählern.

Arbeit als Schande

Auch andere Quellen sprechen eine deutliche Sprache, etwa die Bergpredigt des Neuen Testaments, in der Jesus mit dem Gleichnis von den Lilien auf dem Feld die Faulheit lobt. Sogar Gott persönlich nahm sich am siebten Schöpfungstag eine Auszeit und ruht noch heute. Im alten Griechenland, besonders bei den Spartanern, war Arbeit regelrecht verpönt und durfte nur von Sklaven ausgeführt werden; sie war eines freien Bürgers unwürdig. Das Gleiche galt für den Handel. Von Herodot wissen wir, dass vor den Griechen schon die Ägypter und außerdem die Skythen, Thraker, Perser und Lyder die Arbeit verachteten. Die Athener erkannten nur militärische und politische Betätigung als ehrenhaft an, die Römer nur Landwirtschaft und Kriegsdienst. Wenn ein Römer sich damit nicht erhalten konnte, wurde er vom Staat finanziert, sodass er sich nicht zur Arbeit herablassen musste.

„Führe die Fabrikarbeit ein, und adieu Freude, Gesundheit, Freiheit – adieu alles, was das Leben schön und lebenswert macht.“ (S. 23)

Für Cicero sind Händler nichts anderes als Betrüger. Platon beschreibt Arbeit als widernatürlich und erniedrigend, Handel als schändlich. Wenn es nach ihm ginge, würden Bürger seines Idealstaats, die sich dazu herablassen, Handel zu treiben, ins Gefängnis geworfen. Xenophon schreibt der Arbeit eine schädliche Wirkung auf Geist und Körper zu. Und Plutarch hebt von Lykurgs Leistungen das Handwerksverbot für freie Bürger hervor.

„Arbeitet, arbeitet, Proletarier, vermehrt den gesellschaftlichen Reichtum und damit euer persönliches Elend. Arbeitet, arbeitet, um, immer ärmer geworden, noch mehr Ursache zu haben, zu arbeiten und elend zu sein. Dies ist das unerbittliche Gesetz der kapitalistischen Produktion.“ (S. 24)

Die Lehren der Alten werden nicht dadurch unwahr, dass die damaligen Gesellschaften auf Sklaverei beruhten. Zum einen war das den Zeitumständen geschuldet: Die freien Bürger benötigten ja all ihre Kraft für die Lenkung und Verteidigung ihres Staates – besonders das Kriegshandwerk war seinerzeit noch viel anstrengender und forderte den ganzen Mann. Das Überleben der Gemeinschaft hing also daran, dass die Sklaven den freien Bürgern die Arbeit abnahmen. Zum anderen ist das heutige System der Lohnarbeit noch viel verwerflicher als das der Sklaverei.

Perverse Logik des Fortschritts

Man könnte annehmen, dass der technologische Fortschritt dem einzelnen Arbeiter Erleichterung von seiner unmenschlichen Arbeitsbelastung bringen würde. Schon der griechische Dichter Antipatros äußert zum Beispiel die Hoffnung, durch die Erfindung der Wassermühle werde den Menschen, besonders den Sklavinnen, einiges an Arbeit abgenommen und ein besseres Leben ermöglicht. Die Geschichte hat diese Hoffnung aber zunichtegemacht. Jetzt, wo Maschinen dem Menschen die Arbeit erleichtern und die Gelegenheit zur Verkürzung seiner Arbeitszeit gegeben wäre, muss er wie unter Zwang nicht weniger, sondern mehr und mehr arbeiten. Die Belastung nimmt zu statt ab. Die herrschende Moral und die Gesetzmäßigkeiten des kapitalistischen Systems verbieten, beim einmal erreichten Produktionsniveau stehen zu bleiben.

„Die Enthaltsamkeit, zu der sich die produktive Klasse verurteilt, nötigt die Bourgeoisie, sich mit der Überkonsumtion der unmäßig vielen von ihr hergestellten Produkte abzugeben.“ (S. 34)

Dabei wird weitaus mehr produziert, als verbraucht werden kann. Die Bourgeoisie bemüht sich zwar nach Kräften, immer größere Mengen Champagner und ähnliche Luxusgüter zu konsumieren, und wird durch Untätigkeit und Völlerei krank an Leib und Seele. Sie zieht eine stetig wachsende Zahl von Menschen aus der Produktion ab, um sie als Dienstboten und damit als Komplizen ihrer Verschwendung an sich zu binden – und dennoch kommt es immer wieder zu Überproduktionskrisen, in deren Folge Kapitalisten pleitegehen, Fabriken schließen und Arbeiter ihren Job verlieren. Dadurch sinken natürlich die Löhne, denn die Arbeiter versuchen sich jetzt gegenseitig in ihren Lohnforderungen zu unterbieten, weshalb sich wiederum das Elend des Proletariats vermehrt. Auch werden durch die Überproduktion die Rohstoffe knapp und die Qualität der Produkte leidet. Folglich setzen die Kapitalisten ihre Hoffnungen auf den internationalen Handel, um den Warenüberschuss auf fremden Kontinenten loszuschlagen, und drängen die Politik zu Eroberungskriegen, um neue Märkte zu erschließen. Den für sie profitablen Istzustand – sprich: Müßiggang für die Kapitalisten, Arbeit für die Massen – sichern sie zudem durch Justiz-, Polizei- und Militärapparate ab. Proteste der Unterdrückten werden brutal niedergeschlagen. Die Arbeiter begreifen die wahren Zusammenhänge nicht: Sie versuchen, die schmarotzende Bourgeoisie zum Arbeiten zu zwingen, statt selbst ein Leben in Müßiggang anzustreben.

Im Reich der Faulheit

Dabei läge die Lösung so nahe: Man müsste nur die Arbeit gleichmäßig auf alle verteilen, dann hätten die Arbeiter endlich Zeit, die von ihnen hergestellten Waren selbst zu verbrauchen. Die Arbeitgeber sollten ihren Angestellten sogar Kredite geben, damit die sich die Produkte ihrer eigenen Arbeit leisten könnten. Einzelne Industrielle, vor allem in England, haben das erkannt und gehen mit gutem Beispiel voran: Sie haben die Arbeitszeiten in ihren Fabriken verkürzt. Tatsächlich bleibt die Produktivität davon unberührt, ja in einigen Fällen steigt sie sogar. England hat als erstes und bisher einziges Land die Konsequenzen daraus gezogen und den Zehnstundentag eingeführt, ohne durch diese Maßnahme seine wirtschaftliche Führungsstellung eingebüßt zu haben. Ein Dreistundentag wäre noch besser.

„Und da die vor Hunger und Kälte zitternden europäischen Arbeiter sich weigern, die Stoffe, die sie weben, zu tragen und den Wein, den sie ernten, zu trinken, so sehen sich die armen Fabrikanten genötigt, wie Wiesel in ferne Länder zu eilen und dort Leute zu suchen, die sie tragen und trinken.“ (S. 40)

Statt eines Rechts auf Arbeit müssten die Massen ihr Recht auf Faulheit einfordern. Wenn die Arbeiter die Produkte ihrer eigenen Arbeit verbrauchen würden und somit die Bourgeoisie ihrer Rolle als Verschwenderin der Produktionsüberschüsse enthoben wäre, würde die Dienstbotenklasse allmählich überflüssig und ihre Angehörigen würden den Arbeitsmarkt fluten. Es gäbe dann für den Einzelnen weniger zu tun. Die Folge wäre ein Reich der allgemeinen Faulheit, in dem es mehr Menschen als Arbeit gäbe. Der technologische Fortschritt macht es möglich, dennoch genug Waren für alle Menschen zu produzieren. In diesem Reich der Faulheit würden endlich die Theoretiker des Arbeitsdogmas, die Moralisten, Philosophen und Kirchenleute dafür bestraft, dass sie so lange Wasser gepredigt und Wein getrunken haben. Politiker würden als Schautruppe durchs Land ziehen und das Volk mit Possenspielen über ihre früheren Schandtaten belustigen.

Eine neue Arbeiterbewegung

Die Herbeiführung eines solchen Zustands muss die Aufgabe des Proletariats sein. Die Arbeiterschaft müsste sich geschlossen erheben und sich weigern, länger als drei Stunden täglich zu arbeiten. Den Rest des Tages würden die Menschen sich in Muße den sinnlichen Genüssen hingeben. Die natürlichen Leidenschaften und Bedürfnisse des Menschen dürften nicht länger unterdrückt werden. Das Dogma von Fleiß und Genügsamkeit würde fallen. Das Ideal dieser neuen Arbeiterbewegung wäre nicht die Forderung nach Menschenrechten, die ja doch nur den Interessen der Bourgeoisie dienen; noch weniger die Forderung nach einem Recht auf Arbeit. Damit würden die Arbeiter ihren Ausbeutern nur in die Hände spielen. Ihre Forderung muss vielmehr lauten: Gebt uns ein Recht auf Faulheit! Doch es wird schwierig, das Proletariat zu seinem eigenen Glück zu zwingen. Allzu sehr haben die Lehren der Arbeitsdogmatiker die Arbeiterklasse schon verweichlicht, allzu tief ist die Arbeitssucht in der Gesellschaft verwurzelt. Aber eine bessere Welt ist machbar. Schon Aristoteles hat prophezeit, dass eines Tages Maschinen die Menschheit vollkommen von jeglicher Arbeit entbinden und ihr ein Leben in Freiheit und Muße ermöglichen könnten.

Zum Text

Aufbau und Stil

Das Recht auf Faulheit ist in fünf kurze Kapitel aufgeteilt; der heutigen Fassung vorangestellt ist ein Vorwort zur zweiten Ausgabe, das Lafargue in seiner Zelle im Gefängnis Sainte-Pélagie geschrieben hat. Der Text ist der Form nach ein Essay, also eine bewusst subjektive, eher journalistische als wissenschaftliche Untersuchung. Der Stoßrichtung nach ist es ein Pamphlet: Lafargue greift in eine laufende Debatte ein und attackiert gezielt gesellschaftliche und politische Missstände. In der Wahl der Mittel ist er nicht kleinlich und bedient sich polemischer Stilelemente wie Spott, Übertreibung, Paradox, Sarkasmus und Ironie. Auch für regelrechte Schimpftiraden ist er sich nicht zu schade.

Dass Lafargue sich im Recht auf Faulheit oft von seinen Gefühlen leiten lässt und infolgedessen nicht allzu viel Wert auf Belegbarkeit oder logische Konsistenz seiner Vorwürfe zu legen scheint, liegt in der Natur der Sache und fügt dem Text keinen eigentlichen Schaden zu. Im Gegenteil: Gerade durch seine handfeste Unbekümmertheit hat sich Das Recht auf Faulheit bis heute frisch erhalten. Ihr verdankt das Werk wohl auch einen Gutteil seiner Wirkung auf Lafargues Zeitgenossen: Es hebt sich wohltuend von den spröden und langatmigen Schriften anderer politischer Theoretiker ab und orientiert sich stilistisch eher an der Tradition der Aufklärungsphilosophen des 18. Jahrhunderts, etwa an Diderot oder Voltaire. Ein bisschen zu locker ging er, zumindest in den Augen seiner Kritiker, mit Zitaten aus den Werken anderer Schriftsteller um: Nicht nur ist der Titel bei Louis Moreau-Christophe abgekupfert, auch sonst bediente sich Lafargue großzügig bei dessen Werk. Gerüchten zufolge soll er mit der Veröffentlichung sogar gewartet haben, bis Moreau-Christophe tot war und ihn somit nicht mehr verklagen konnte.

Interpretationsansätze

  • Das Recht auf Faulheit illustriert zunächst ein absteigendes Geschichtsmodell, nach dem sich die Menschheit vom Guten zum Schlechten entwickelt. Damit knüpft Lafargue an antike Mythen an, aber auch an den Aufklärungsphilosophen Jean-Jacques Rousseau, der den Urzustand der Menschheit als Goldenes Zeitalter idealisierte.
  • Gleichzeitig ist das Werk als Utopie zu lesen, insofern darin Lafargues Überzeugung zum Ausdruck kommt, technologischer Fortschritt werde die Menschheit einst vom Zwang manueller Arbeit befreien und ein Zeitalter allgemeiner kreativer Muße herbeiführen.
  • Lafargue greift auf marxistische Ideen zurück, etwa auf das Konzept der „entfremdeten Arbeit“. Laut Marx wird der Lohnarbeiter im Kapitalismus seelisch ausgebeutet: Die Produkte seiner Arbeit befriedigen nicht die eigenen Bedürfnisse, sondern fremde.
  • Deutlich ist auch der Einfluss des Anarchisten Pierre-Joseph Proudhon, den der junge Lafargue bewunderte. Der Philosoph Proudhon erklärte die Freiheit zum höchsten Ideal. In einer frühen Schrift erörterte er die Bedeutung der Sonntagsruhe.
  • Lafargues Ideal eines Lebens voller Muße und Sinnenfreude knüpft an die Lehren des griechischen Philosophen Epikur an, der das Streben nach Lust sowie die Vermeidung von Unlust als eigentlichen Sinn des menschlichen Daseins ansah.

Historischer Hintergrund

Elend der Proletariats – Glanz des Marxismus

Spätestens mit dem Ende der Napoleonischen Kriege 1815 brach in Europa das Industriezeitalter an. Der bis dato wichtigste Produktionssektor, die Landwirtschaft, verlor an Bedeutung, mehr und mehr Kapital wurde in Fabriken investiert. Da der Landbau nicht mehr profitabel war, strömten die Menschen in die Städte. Doch deren Infrastrukturen waren der Masseneinwanderung nicht gewachsen, bald herrschte in den urbanen Ballungsgebieten Not und Chaos. Während die Profite der Fabrikanten in die Höhe schossen, stagnierten die Löhne der Arbeiter auf niedrigstem Niveau, und es herrschten unmenschliche Arbeitsbedingungen.

Zugleich strebten immer größere Teile der Bevölkerung nach politischer Mitsprache und setzten die traditionellen Eliten unter Druck. Aus dieser Situation entstand die Ideologie des Sozialismus, des gemeinschaftlichen Eigentums an den Produktionsmitteln. 1848 erschien Das kommunistische Manifest, worin Karl Marx und Friedrich Engels den Klassenkampf ausriefen und den historisch unausweichlichen Triumph des Proletariats verkündeten. Doch die angeblich kurz bevorstehende Revolution blieb aus. Zwar kam es 1848 zuerst in Frankreich, in der Folge auch im Deutschen Bund und in anderen europäischen Ländern zu revolutionären Bestrebungen. Diese wurden jedoch vom Bürgertum getragen, nicht von der Arbeiterklasse, zudem wurden sie bald niedergeschlagen oder zeitigten nur kurzfristige Erfolge. Die Anhänger des Marxismus gerieten zunehmend in Erklärungsnot, zumal gegen Ende des Jahrhunderts erste Reformen das Elend der Arbeiter zu lindern begannen. Die sozialistische Bewegung verzettelte sich mehr und mehr in Diskussionen über ideologische und strategische Fragen und verlor bald die Bindung zu ihrer proletarischen Klientel. Diese fühlte sich von reformorientierten Bewegungen wie der Sozialdemokratie besser vertreten.

Entstehung

Im März 1871, in den Wirren des Deutsch-Französischen Krieges, bildeten revolutionäre Kräfte in Paris eine Räteregierung, die sogenannte Pariser Kommune, die jedoch wenig später von Regierungstruppen blutig niedergeschlagen wurde. In der Folge kam es überall in Frankreich zu Verhaftungen vermeintlicher Unterstützer der Kommune. Auch Paul Lafargue geriet ins Visier der Behörden und floh über Spanien nach London zu seinem Schwiegervater Karl Marx. In dessen Bibliothek stieß er auf das Buch Du droit à l’oisiveté (Das Recht auf Müßiggang, 1849) von Louis Moreau-Christophe, von dem er später den Titel seines Pamphlets Das Recht auf Faulheit entlehnen sollte. 1879 trat Lafargue in Korrespondenz mit dem französischen Sozialisten Jules Guesde. 1877 hatte Guesde das Wochenblatt L’Egalité gegründet, Frankreichs erste marxistische Zeitung, musste es jedoch nach wenigen Monaten aus finanziellen Gründen wieder einstellen. Für eine Wiederaufnahme wollte er nun Lafargue als Autor gewinnen. Der war dankbar, endlich eine Plattform für seine Ideen zu haben. Allerdings zog er es vor, in London zu bleiben, entgegen Guesdes Bestreben, der ihn nach Paris holen wollte. Zwar trat 1880 eine Amnestie für die im Zusammenhang mit der Pariser Kommune Verfolgten in Kraft, doch der ständig abgebrannte Lafargue fürchtete den Sprung in die finanzielle Ungewissheit. Erste Gedanken zum Recht auf Faulheit tauchten bereits 1879 in seinen Briefen an Guesde auf. Lafargue verlor keine Zeit mit der Umsetzung. Ab Mitte Juni 1880 konnte sein Pamphlet, auf drei wöchentliche Portionen verteilt, in L‘Egalité erscheinen.

Wirkungsgeschichte

Die wöchentliche Auflage von L’Egalité betrug rund 5000 Stück; Lafargues Pamphlet wurde also zunächst nur von wenigen Menschen gelesen. Dennoch erregte es großes Aufsehen, wurde von den Vordenkern der sozialistischen Bewegung als Meisterwerk gelobt und in seiner Bedeutung mit dem Kommunistischen Manifest verglichen. Entsprechend stieg die Nachfrage. 1881 brachte Lafargue den Text als Broschüre heraus, bereits 1883 war eine zweite Auflage nötig. Zu diesem Zeitpunkt saß Lafargue gerade wegen Anstiftung zum Aufruhr im Gefängnis, hatte dort aber immerhin die Muße, Das Recht auf Faulheit noch einmal zu überarbeiten und mit einem Vorwort zu versehen. Es folgten zahlreiche weitere Auflagen sowie Übersetzungen in andere Sprachen.

Eine unmittelbare Wirkung des Textes war die Aufnahme seiner zentralen Forderung, der Arbeitszeitverkürzung, in das Programm der Partei Fédération des travailleurs socialistes de France (FTSF). Außerdem beeinflussten Lafargues Gedanken etliche seiner Zeitgenossen, darunter Karl Kautsky, Lenin oder Rosa Luxemburg. Im Lauf des 20. Jahrhunderts verschwand Das Recht auf Faulheit in der Versenkung, was vor allem daran lag, dass die Arbeitsbedingungen des Industrieproletariats sich allmählich ganz ohne Revolution zu bessern begannen. Im Zuge der Studentenbewegung erlebte der Text ein regelrechtes Revival, wurde aber weniger in kommunistischem als in anarchistischem Kontext gedeutet. 1974 widmete der französische Sänger und Lebemann Georges Moustaki dem Droit á la paresse ein Chanson. Der antiautoritäre Gehalt war übrigens der Grund dafür, dass Lafargues Text in den Ostblockstaaten als Gefahr für die Arbeitsmoral unter Verschluss gehalten wurde.

Über den Autor

Paul Lafargue wird am 15. Januar 1842 auf Kuba geboren. Sein Vater ist Plantagenbesitzer, mit Wurzeln im französischen Bordeaux. 1851 siedelt die Familie dorthin um. Mit 19 geht Lafargue nach Paris, um Medizin zu studieren. Hier wird er auch politisch aktiv und tritt engagiert gegen das Regime Napoleons III. ein. Wegen revolutionärer Umtriebe fliegt er 1865 von der Universität und setzt sein Studium in London fort. Dort lernt er Karl Marx und Friedrich Engels kennen und wird Mitglied des Generalrats der Internationalen Arbeiterassoziation (IAA). 1868 heiratet er Marx’ Tochter Laura. Das Paar übersiedelt nach Paris. Der temperamentvolle Lafargue entscheidet sich gegen den Arztberuf und für die Politik. Er veröffentlicht zunächst theoretische Artikel in diversen linken Zeitungen, mit denen er den Marxismus in Frankreich bekannt macht. Bald wird er zum unermüdlichen Propagandisten für die Sache seines Schwiegervaters. Das Pamphlet Le Droit à la paresse (Das Recht auf Faulheit, 1880) macht ihn schließlich berühmt, wenn auch nicht reich; immer wieder muss er Engels um Geld bitten. Gemeinsam mit Jules Guesde gründet Lafargue 1882 die marxistische Parti ouvrier français (POF). 1891 wird er in die Abgeordnetenkammer der Nationalversammlung gewählt. Es folgt eine Welle des Erfolgs für die sozialistische Bewegung, die jedoch bald wieder verebbt. Lafargue tritt ins Glied zurück und wirft sich in schier endlose Richtungskämpfe zwischen den einzelnen Faktionen, um die Reinheit der marxistischen Lehre zu bewahren. Am 26. November 1911 nimmt er sich, gemeinsam mit seiner Frau Laura, das Leben. Grund dafür ist der Wunsch, im Vollbesitz seiner Kräfte abtreten zu wollen. Der Trauerfeier wohnt die internationale Prominenz des Sozialismus bei, unter anderem Karl Kautsky und Lenin, der eine Grabrede hält.

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