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Das Unbehagen der Geschlechter
Buch

Das Unbehagen der Geschlechter

London, 1990
Diese Ausgabe: Suhrkamp, 2016 Mehr

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Literatur­klassiker

  • Philosophie
  • Moderne

Worum es geht

Geschlecht als Konstrukt

Mit ihrem berühmten Satz, man werde nicht als Frau geboren, sondern zur Frau gemacht, leitete Simone de Beauvoir nach dem Zweiten Weltkrieg eine neue Phase des Feminismus ein. Geschlechtsidentität wurde danach nicht mehr als natürlich gegeben, sondern als Folge von Kultur und Erziehung betrachtet. Judith Butler ging noch einen Schritt weiter. Die amerikanische Philosophin meinte, nicht nur in der Geschlechtsidentität, sondern bereits im anatomischen Geschlecht ein Konstrukt zu erkennen. Was wir für biologische Fakten hielten, sei erst durch wiederholte Praxis, Menschen in männliche und weibliche Subjekte aufzuteilen, zur Realität geworden. Im Dienst der Fortpflanzung seien Heterosexualität und Zweigeschlechtlichkeit zur gesellschaftlichen Norm erhoben worden, unter Ausschluss aller anderen Formen sexueller Identität. Das Unbehagen der Geschlechter wurde trotz seiner streckenweise unverständlichen Sprache rasch zum Bestseller, seine Autorin zu einer Art Popstar der Intellektuellenszene. Nicht nur unter Feministinnen entfachte dieses umstrittene Buch eine heftige Debatte, die bis heute anhält.

Zusammenfassung

Geschlechtsidentität als kulturelles Konstrukt

Lange Zeit ist die feministische Theorie davon ausgegangen, dass es so etwas wie „die Frau“ oder „die Frauen“ gebe, deren universale Interessen und politischen Ziele sie vertrete. Erst kürzlich hat man begonnen, „die Frau“ als einheitliche Kategorie infrage zu stellen. Michel Foucault verdanken wir die Erkenntnis, dass Machtsysteme die Subjekte, die sie sprachlich und politisch repräsentieren, zunächst einmal diskursiv produzieren müssen. Die zeitgenössischen Rechtsstrukturen stellen diese Subjekte als „natürliche“ Tatsache hin und verschleiern dadurch, dass es sich dabei letztlich um Konstruktionen handelt. Die Aufgabe eines kritischen Feminismus ist es nun, zu begreifen, dass genau die Machtstrukturen, von denen es sich zu emanzipieren gilt, „die Frau“ als Kategorie überhaupt erst erschaffen haben.

Wenn der Feminismus für sich in Anspruch nimmt, Frauen quer durch alle Kulturen zu vertreten, setzt er eine Einheitlichkeit und Universalität der Kategorie „Frau“ voraus, die in Wahrheit nicht existiert. Die Geschlechtsidentität ergibt sich nämlich entgegen allen hartnäckigen Vorurteilen nicht aus dem anatomischen...

Über die Autorin

Judith Butler wird am 24. Februar 1956 in Cleveland, Ohio als Tochter einer aus Ungarn stammenden Wirtschaftswissenschaftlerin und eines russischen Zahnarztes geboren. Als Tochter praktizierender Juden besucht sie eine jüdische Schule und lernt Hebräisch. Im Alter von 14 Jahren beginnt sie sich mit jüdischer Ethik, vor allem mit Martin Buber, aber auch mit Spinoza, Kant und Hegel zu beschäftigen. Etwa zur gleichen Zeit entdecken ihre Eltern, dass die Tochter lesbisch ist und schicken sie zum Psychiater. Nach dem Besuch des Bennington-College in Vermont nimmt Judith Butler an der Yale-Universität das Studium der Philosophie auf, das sie 1978 abschließt. 1984 wird sie in Yale mit einer Dissertation über Hegel promoviert. Nach einem Jahr an der Universität Heidelberg unterrichtet sie unter anderem an der George-Washington-Universität in Washington und an der Johns-Hopkins-Universität in Baltimore, ehe sie einem Ruf an die kalifornische Berkeley-Universität folgt, wo sie seit 1993 als Professorin für Rhetorik und vergleichende Literaturwissenschaft tätig ist. In den 80er-Jahren engagiert sie sich in der „Act Up“-Bewegung, die sich gegen die Stigmatisierung von HIV-Infizierten und gegen Homophobie einsetzt. Im Anschluss an ihren Bestseller Das Unbehagen der Geschlechter (Gender Trouble, 1990) präzisiert sie ihre Geschlechtertheorie in Körper von Gewicht (Bodies that matter, 1993) und Die Macht der Geschlechternormen und die Grenzen des Menschlichen (Undoing Gender, 2004). Ab Mitte der 90er-Jahre wendet sich Butler von der Geschlechterproblematik ab und beschäftigt sich vor allem mit ethischen Fragen, mit Krieg und dem Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern. 2012 wird Butler für ihre Verdienste um die Philosophie in Frankfurt mit dem Theodor-W.-Adorno-Preis geehrt. Wegen ihrer Kritik an der israelischen Siedlungspolitik und der Einordnung von Hisbollah und Hamas als linke soziale Bewegungen wird sie heftig angegriffen. Zusammen mit ihrer Lebensgefährtin, der Politikwissenschaftlerin Wendy Brown, mit der sie einen Sohn großgezogen hat, lebt Judith Butler in Kalifornien.


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