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Das Versprechen

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Das Versprechen

Requiem auf den Kriminalroman

Diogenes Verlag,

15 Minuten Lesezeit
10 Take-aways
Text verfügbar

Was ist drin?

Ein Lustmord an einem Mädchen und ein Kommissar, der zwar richtig kombiniert, den Fall aber dennoch nicht aufklärt – in Dürrenmatts Krimi triumphiert der absurde Zufall über die menschliche Logik.


Literatur­klassiker

  • Kriminalroman
  • Nachkriegszeit

Worum es geht

Krimi und Antikrimi zugleich

Dürrenmatts Versprechen ist ein Abgesang auf den traditionellen Kriminalroman. Das Vertrauen, ein Verbrechen dank Kombinationsgabe und Vernunft lösen zu können, ist in Dürrenmatts Weltsicht ein Trugschluss: Bei ihm triumphiert der Zufall über die Logik und den Sachverstand, mag der Ermittler noch so begnadet sein. Mit Dr. Matthäi führt Dürrenmatt ein Musterexemplar dieser Gattung ein, einen Kommissar, der sogar seine Existenz aufs Spiel setzt, um einen Kindermörder dingfest zu machen. Das Grausame an der Geschichte: Zwar hat Matthäi mit seinen Mutmaßungen und Schlussfolgerungen die ganze Zeit über recht, aber ein banaler Autounfall verhindert den Triumph über den Täter und über die ungläubigen Kollegen. Die Erfahrung, dass sich die Wirklichkeit seiner Kontrolle entzieht, zersetzt nach und nach die Vernunft des Ermittlers und stürzt ihn schließlich in den Wahnsinn. Als Leser braucht man Nerven wie Drahtseile, denn dieses Buch ist ebenso spannend wie deprimierend.

Take-aways

  • Das Versprechen ist der dritte Kriminalroman von Friedrich Dürrenmatt.
  • Inhalt: In einem Wald bei Zürich wird die Leiche eines Mädchens gefunden. Kommissar Matthäi verspricht der Mutter, den Täter zu finden. Während die Polizei einen Hausierer als Täter verhaftet, glaubt Matthäi, dass der wahre Mörder noch immer frei herumläuft. Er beschließt, die Ermittlungen privat weiterzuführen. Dass er mit seiner Vermutung richtig liegt, erfährt er aber nie: Der Täter stirbt bei einem Autounfall, bevor er in Matthäis Falle tappen kann, und als die Wahrheit Jahre später ans Licht kommt, ist Matthäi wahnsinnig geworden und nicht mehr aufnahmefähig.
  • Die Geschichte ist in eine Rahmenhandlung eingebettet: Ein ehemaliger Polizeikommandant erzählt die Ereignisse einem Krimischriftsteller.
  • Trotz seiner Kombinationsfähigkeit und Rationalität kann der Kommissar das Verbrechen nicht aufklären. Der Zufall macht ihm einen Strich durch die Rechnung.
  • Dem Roman vorangegangen ist ein Drehbuch Dürrenmatts, das unter dem Titel Es geschah am hellichten Tag verfilmt wurde und ein Happy End hatte.
  • Nach der Verfilmung nahm Dürrenmatt den Stoff nochmals auf. Für die Romanversion schrieb er ein düsteres Ende.
  • Damit unterläuft Das Versprechen die formalen Gesetze des Kriminalromans: Der Roman ist zugleich Krimi und Antikrimi.
  • 2001 kam eine auf dem Roman basierende Hollywood-Produktion in die Kinos.
  • Im Unterschied zu seinen früheren Krimis sah Dürrenmatt Das Versprechen nicht als reine Brotarbeit.
  • Zitat: „Der Wirklichkeit ist mit Logik nur zum Teil beizukommen.“

Zusammenfassung

„Er wird kommen, er wird kommen“

Ein Schriftsteller wird ins schweizerische Chur eingeladen, um einen Vortrag über die Kunst des Krimischreibens zu halten. Die Stadt ist kalt, grau und unwirtlich, der Vortrag stößt auf geringes Interesse, das Hotel wirkt abweisend und öde. Um sich zu trösten, trinkt er an der Bar ein paar Whiskys, wobei er Dr. H. kennenlernt, den ehemaligen Kommandanten der Zürcher Kantonspolizei. Dieser bietet dem Schriftsteller an, ihn am folgenden Tag in seinem Auto nach Zürich zu fahren.

„Ich warte, ich warte, er wird kommen, er wird kommen.“ (Matthäi, S. 10)

Bei der Fahrt sind die beiden Männer zunächst schweigsam und mürrisch, die winterliche Landschaft ist starr und abweisend. Der Schriftsteller spürt die Nachwirkungen des Alkohols und döst immer wieder ein. An einer Tankstelle machen die beiden Männer halt. Auf einer Steinbank sitzt ein verwahrloster, vor sich hin stierender Mann, der nach Alkohol stinkt. Während er den Wagen volltankt, trinken die Reisenden einen Kaffee. Als sie zum Wagen zurückgehen, stößt der Unbekannte plötzlich die Worte „Er wird kommen, er wird kommen“ hervor. Während der Weiterreise erzählt der ehemalige Polizeikommandant dem Schriftsteller die Geschichte des Verwahrlosten, der noch neun Jahre zuvor sein fähigster Mann gewesen sei: ein Ermittler, der nur für seinen Beruf lebte und seine Fälle mit unbestechlichem Rationalismus, bar jeden Gefühls, löste. Mit 50 Jahren nahm dieser Kommissar namens Dr. Matthäi eine Stelle in Jordanien an, wo er die Polizei reorganisieren sollte. Doch wenige Tage vor seiner Abreise sah er sich mit einem Mordfall konfrontiert, der seine routinierte professionelle Gelassenheit in bedingungslose Leidenschaft umschlagen ließ. Dr. H. beginnt zu erzählen.

Ein Versprechen aus Mitleid

In einem Wald bei Mägendorf in der Nähe von Zürich ist die Leiche der kleinen Gritli Moser gefunden worden. Die Drittklässlerin, die in einem Nachbardorf wohnte, ist einem Sexualdelikt zum Opfer gefallen – es ist bereits der dritte Mord an einem kleinen Mädchen binnen fünf Jahren. Verdächtigt wird der Hausierer von Gunten, der sich Jahre zuvor an einer 14-Jährigen vergangen hat und deshalb vorbestraft ist. Von Gunten hingegen behauptet, er habe die Leiche lediglich gefunden. Die Tatsache, dass er danach sofort Alarm schlug, scheint für seine Version zu sprechen. Matthäi muss den Eltern des Mädchens die schreckliche Nachricht überbringen. Als er nach einem längeren Fußmarsch Gritlis Elternhaus erreicht, hackt Vater Moser gerade Holz. Er sieht, dass Matthäi Gritlis Korb in der Hand hält, und ahnt, dass seiner Tochter etwas zugestoßen sein muss. Der Polizist sagt den Eltern, was geschehen ist, wobei er der schockierten Mutter Moser bei seiner Seligkeit schwört, den Mörder zu finden.

Schneller Erfolg und große Zweifel

Bei seiner Rückkehr ins Dorf muss er feststellen, dass die erzürnten Bauern den Abzug der Polizei und des verdächtigen Hausierers verhindern wollen und dabei vom Gemeindepräsidenten zumindest passiv unterstützt werden. Dieser weigert sich nämlich trotz Matthäis Aufforderung, sich bei den Dorfbewohnern für die Polizeibeamten einzusetzen. Eine von Minute zu Minute unruhiger werdende Menge blockiert die Straße und droht mit Lynchjustiz. Erst eine Rede Matthäis, in der er auf die Unsicherheit der vorliegenden Indizien und die Fragwürdigkeit der Selbstjustiz hinweist, bringt die Bauern zur Besinnung. Zögernd und widerwillig machen sie den Weg frei.

„Der Wirklichkeit ist mit Logik nur zum Teil beizukommen.“ (Dr. H., S. 12)

Der Hausierer von Gunten beteuert zwar hartnäckig seine Unschuld, doch die Indizien gegen ihn verdichten sich immer weiter: Gritli wurde mit einer Rasierklinge ermordet, und der Hausierer führt Rasierklingen in seinem Sortiment. An seinem Kittel findet die Polizei Blutspuren der Ermordeten und im Magen des Mädchens Schokolade, wobei der Verdächtige zugeben muss, tatsächlich Schokolade auf sich gehabt zu haben. Die Blutspuren erklärt er damit, dass er über das tote Mädchen gestolpert sei. Nach stundenlangem Verhör bricht von Gunten jedoch zusammen und gesteht die Tat. Kurz darauf bringt er sich in seiner Zelle um.

„Unsere kriminalistischen Mittel sind unzulänglich, und je mehr wir sie ausbauen, desto unzulänglicher werden sie im Grunde. Doch ihr von der Schriftstellerei kümmert euch nicht darum.“ (Dr. H., S. 13)

Der Fall scheint gelöst, doch Matthäi befallen Zweifel. Sein Instinkt sagt ihm, dass der Hausierer unschuldig war; er wirft sich vor, während des harten Verhörs nichts für ihn getan zu haben. Das Versprechen, das er Gritlis Mutter gegeben hat, legt sich wie ein Schatten auf sein Gewissen. Kurz bevor er nach Jordanien abfliegen soll, sieht er am Flughafen eine Kinderschar und wirft in letzter Sekunde seine Pläne über den Haufen. Er will den wahren Schuldigen zur Strecke bringen. Doch seine ehemaligen Kollegen sind alles andere als erfreut über diesen Entschluss. Sie werfen dem Beamten vor, einem Hirngespinst nachzujagen. Als sich der Polizeikommandant Dr. H. weigert, Matthäi wieder ins Korps aufzunehmen, kündigt dieser an, die Ermittlungen auf eigene Faust weiterzuführen. Kurz darauf erfährt Dr. H., dass sich der Charakter seines ehemals besten Mitarbeiters dramatisch verändert habe: Er sei betrunken in verschiedenen Bars gesehen worden und habe zu rauchen begonnen. Dr. H. ruft einen Polizeipsychiater an und erfährt zu seiner Überraschung, dass sich Matthäi kurz zuvor selber um einen Termin bemüht hat.

Der schwarze Mann, der Steinbock und die Igel

Zu Beginn seiner Ermittlungen kehrt Matthäi nach Mägendorf zurück, um eine von Gritlis Zeichnungen aus dem Klassenzimmer zu entwenden. Sie zeigt einen riesigen, schwarz gekleideten Mann, daneben ein schwarzes Auto, einige Igel und ein seltsames Tier mit Hörnern. Eine Schulfreundin von Gritli erzählt dem Ermittler, dass sich das Mädchen mit dem Riesen angefreundet habe. Matthäi legt die Zeichnung dem Polizeipsychiater vor, der ihn auf Geheiß von Dr. H. eigentlich von seinem Wahn befreien soll. Die Zeichnung tut er zunächst als bloße Kinderfantasie ab, lässt sich dann aber doch zu ein paar Vermutungen über den hypothetischen Kindsmörder hinreißen: Er sei möglicherweise ein geistig zurückgebliebener Mann, der von seiner Frau unterdrückt oder ausgebeutet werde und sich räche, indem er kleine Mädchen ermorde. Der Widerstand gegen seinen Mordtrieb werde immer schwächer, weshalb sich die Zeitspanne zwischen den einzelnen Taten verkürze. Er werde sich auf öffentlichen Plätzen oder vor Schulen ein Opfer aussuchen, sich um dessen Vertrauen bemühen und es schließlich mit einer Rasierklinge umbringen.

„‚Versprechen Sie das?‘ – ‚Ich verspreche es, Frau Moser‘, sagte der Kommissär, auf einmal nur vom Wunsche bestimmt, den Ort zu verlassen. ‚Bei Ihrer Seligkeit?‘ Der Kommissär stutzte. ‚Bei meiner Seligkeit‘, sagte er endlich. Was wollte er anderes.“ (S. 26)

Auch Dr. H. überkommen jetzt Zweifel an der Schuld des Hausierers, und er muss sich eingestehen, dass er Matthäis Hartnäckigkeit bewundert. Kurz darauf erfährt der Polizeikommandant, dass sein ehemaliger Untergebener in der Nähe von Chur als Tankwart arbeitet und mit Frau Heller, einer ehemaligen Prostituierten, und deren kleiner Tochter Annemarie zusammenlebt. Die Tankstelle ist äußerst beliebt, vor allem bei Exhäftlingen, die vor Schadenfreude schier außer sich sind, wenn ihnen ein einstiger Polizist Benzin nachfüllen und die Frontscheiben wischen muss. Dr. H. ahnt, dass all dies mit den Ermittlungen im Fall Gritli Moser zusammenhängt, und er macht sich auf den Weg nach Graubünden, um seine Vermutung zu überprüfen. Zunächst ist Matthäi abweisend, aber dann erklärt er sich: Das seltsame gehörnte Tier auf Gritlis Zeichnung sei ein Steinbock – das Wappentier Graubündens. Der Mörder lebe in diesem Kanton und auf seinem Weg nach Zürich müsse er zwangsläufig an der Tankstelle vorbeifahren. Die kleine Annemarie, die Gritli Moser ähnlich sieht, soll den Triebtäter anlocken, ohne dass ihre Mutter oder sie selbst etwas davon ahnt. Dr. H. ist schockiert, kann jedoch seine Bewunderung für die ungewöhnlichen Ermittlungsmethoden nicht verhehlen.

Verzweifeltes Warten

Matthäi arbeitet als Tankwart, bringt die kleine Annemarie in die Schule und wartet auf den Mörder, wochen- und monatelang. Allmählich versinkt er in stumpfer Verzweiflung, sitzt oft während Tagen rauchend und trinkend vor der Tankstelle, um sich irgendwann mühsam wieder aufzuraffen. Aber eines Tages kommt das Mädchen nicht von der Schule zurück. Matthäi findet es auf einer Lichtung. Es sagt ihm, es warte auf einen Zauberer. Als das Kind kurz darauf zugibt, dass ihm ein rätselhafter Fremder Schokolade geschenkt hat – und zwar igelförmige Trüffel –, wird Matthäi von einer gewaltigen Erregung erfasst: Schlagartig wird ihm klar, was die rätselhaften Igel auf Gritlis Zeichnung zu bedeuten haben. Es scheint, als hätte der Gesuchte endlich angebissen. Matthäi sagt dem Mädchen, der Unbekannte sei ein guter Zauberer und es solle ihn ruhig wieder aufsuchen. Annemarie umarmt ihn strahlend.

„Die Bauern waren zusammengeströmt. Sie hatten von Gunten entdeckt. Sie hielten ihn für den Täter; Hausierer sind immer verdächtig.“ (S. 28)

Nun ist auch Dr. H. überzeugt. In Begleitung mehrerer bewaffneter Polizisten eilt er nach Chur, um die Falle zuschnappen zu lassen. Annemarie erwartet auf der Lichtung ahnungslos singend den Zauberer und wird dabei von den versteckten Beamten keine Sekunde aus den Augen gelassen. Es vergeht ein Tag, es vergehen zwei Tage – nichts geschieht. Die Männer geben nicht auf, sie beobachten das Mädchen weiterhin, doch in ihrer Erfolglosigkeit beginnen sie das Kind mit dem geschmacklosen roten Kleidchen, den Zahnlücken und dem hässlichen Mund geradezu zu hassen. Schließlich verlieren die Männer die Geduld, stürmen aus ihren Verstecken, umringen das Kind, schütteln es und fragen schreiend, auf wen es warte. Als Matthäi versucht, Annemarie zu erklären, dass ihr verehrter Zauberer in Wahrheit ein Mörder sei, antwortet sie nur: „Du lügst!“ Und als die Mutter von den wahren Absichten des Fahnders erfährt, nennt sie ihn ein Schwein. Dr. H. beschließt, nach Zürich zurückzukehren, Matthäi aber will weiterwarten. Der ehemalige Musterpolizist fällt im Lauf der Jahre dem Suff und dem Wahnsinn anheim. Frau Heller und Annemarie eröffnen eine armselige Kneipe und arbeiten daneben beide als Prostituierte. Dr. H. glaubt nun doch wieder an die Schuld des Hausierers, weil seit Jahren kein Lustmord an einem kleinen Mädchen mehr geschehen ist.

„‚Fräulein‘, sagte er, ‚ich fliege nicht‘, und kehrte ins Flughafengebäude zurück, schritt unter der Terrasse mit der unermesslichen Schar der Kinder hindurch dem Ausgang zu.“ (über Matthäi, S. 67)

Nachdem Dr. H. dem Schriftsteller all dies erzählt hat, kommen die beiden Männer in Zürich an, wo sie in der Kronenhalle essen gehen. Dr. H. malt sich aus, wie das Schriftstellerhirn seines Zuhörers die Geschichte wohl umformen würde: etwa im Sinne von Vernunft und christlichem Glauben, wobei das Gute triumphieren würde und es Matthäi gelänge, den Mörder zu verhaften. Oder die Geschichte würde nach den unvorhersehbaren Spielregeln eines absurden Schicksals enden: Der Ermittler könnte im Kampf einen Unschuldigen umbringen, den die Polizei jedoch aufgrund falscher Indizien für den wahren Täter hielte – wonach Matthäi als Genie gefeiert und in Ehren wieder in den Dienst aufgenommen würde. Doch die Realität sieht anders aus, wie Dr. H. nun erzählt:

Das Geständnis einer Sterbenden

Jahre nach den geschilderten Ereignissen erfährt Dr. H. durch einen Zufall, dass er tatsächlich nahe daran gewesen war, sein Ziel zu erreichen. Der Beamte wird ans Sterbebett der alten, reichen Frau Schrott gerufen, die der nahende Tod zu einem späten Geständnis drängt. Zuerst redet die Frau nur wirres Zeug, und Dr. H. glaubt, sie wolle der Polizei eine Erbschaft anbieten. Er unterdrückt seine Ungeduld, während der Pfarrer die Dame immer wieder auffordert, endlich mit ihrem Geständnis herauszurücken.

„Dass Sie den Wahnsinn als Methode wählen, mag mutig sein, das will ich gerne anerkennen, extreme Haltungen imponieren ja heute, aber wenn diese Methode nicht zum Ziel führt, fürchte ich, dass Ihnen dann einmal nur noch der Wahnsinn bleibt.“ (Psychiater, S. 95 f.)

Schließlich kommt sie zur Sache: Nach dem Tod ihres ersten Mannes habe sie ihren 32 Jahre jüngeren Hausangestellten Albert geheiratet – aber nur, damit es kein Gerede gebe, weil in ihrem Haushalt ein Mann lebe. Eine Liebesbeziehung habe sie mit Albert niemals gehabt, schon wegen des Altersunterschieds nicht. Er sei immer anständig gewesen, habe Hausarbeiten verrichtet und abgesehen von „Ja, Mutti“ kaum etwas gesagt. Einmal jedoch sei er spätnachts blutverschmiert nach Hause gekommen und habe erzählt, er habe einen Unfall gehabt. Am folgenden Morgen habe in der Zeitung gestanden, im St. Gallischen sei ein Mädchen ermordet worden. Albert habe den Mord zugegeben und gesagt, eine Stimme vom Himmel habe ihm die Tat befohlen. Gleichzeitig habe er versprochen, so etwas nie wieder zu tun. Obwohl ihr das ermordete Mädchen leidgetan habe, habe sie Albert nicht angezeigt.

„Ein Mädchen können Sie doch nicht immer wie einen Köder in der Nähe der Straße halten, es muss doch auch zur Schule, es will doch auch fort von Ihrer verfluchten Landstraße.“ (Dr. H., S. 110)

Dasselbe sei dann in den folgenden Jahren noch zwei Mal passiert. Und irgendwann habe sie gemerkt, dass Albert wieder unruhig sei, spät nach Hause komme und jeweils Schokoladentrüffel mitnehme – genau wie vor den Morden. Ihr Mann habe ihr dann gestanden, dass er wieder ein Mädchen ausgespäht habe. Es lebe bei einer Tankstelle, er treffe es regelmäßig und schenke ihm Schokolade. Die Stimme befehle ihm, neuerlich einen Mord zu begehen. Frau Schrott erzählt, sie habe ihrem Albert daraufhin verboten, zur Tankstelle zu fahren. Doch dieser sei zum ersten Mal in ihrer Ehe wütend geworden und habe geschrien, sie behandle ihn wie einen nichtswürdigen Hausknecht. In seinem schwarzen Auto sei er mit Schokoladetrüffeln und Rasiermesser in Richtung Tankstelle davongebraust. Eine Viertelstunde später habe sie die Nachricht erhalten, ihr Mann sei mit einem Lastwagen zusammengestoßen und ums Leben gekommen.

„So wartete er denn. Unerbittlich, hartnäckig, leidenschaftlich.“ (über Matthäi, S. 112)

Nach diesem Geständnis geht der Polizeikommandant nach Chur, wo er dem bereits völlig verkommenen Matthäi von der Erzählung der alten Dame berichtet. Doch dieser ist nicht mehr in der Lage, aus seiner Wahnwelt auszubrechen.

Zum Text

Aufbau und Stil

Der Roman hat eine Rahmen- und eine Binnenhandlung: Die Rahmenhandlung schildert das Zusammentreffen zwischen dem Schriftsteller und dem ehemaligen Polizeikommandanten Dr. H. Die Binnenhandlung, die dem Schriftsteller von Dr. H. erzählt wird, beschreibt die neun Jahre zurückliegenden Ereignisse um Gritli Mosers Ermordung sowie Matthäis Ermittlung und sein Versinken im Wahnsinn. Der entscheidende Wendepunkt findet statt, als der Kommissar auf dem Flughafen seine Pläne über den Haufen wirft und auf seine Laufbahn in Jordanien verzichtet. Zeichnete er sich zuvor durch emotionslose Nüchternheit aus, so ist er nun leidenschaftlich und verbissen. Sein Kontrollverlust wird – vielleicht etwas zu plakativ – durch die Tatsache illustriert, dass er von einem Tag auf den anderen zu trinken und zu rauchen beginnt. Dürrenmatts Sprache ist geradlinig, schmucklos und unprätentiös. Auffallend sind die zahlreichen atmosphärisch dichten Beschreibungen von Natur und Wetterverhältnissen, die den Gang der Ereignisse oder die Gemütsverfassung der Figuren illustrieren. Für Dürrenmatt scheint die Sprache mehr Werkzeug für die Vermittlung von Handlungen und Gedanken als eigenständiges Spielzeug zu sein. Genau dies lässt er Dr. H. dem Kriminalschriftsteller zu Beginn des Romans auch deutlich sagen: „Lasst die Vollkommenheit fahren, wollt ihr weiterkommen, zu den Dingen, zu der Wirklichkeit, wie es sich für Männer schickt, sonst bleibt ihr sitzen, mit nutzlosen Stilübungen beschäftigt.“

Interpretationsansätze

  • Das Versprechen gehört zwar zum Genre des Kriminalromans, zugleich jedoch demontiert das Buch dessen Gesetze und führt sie ad absurdum: Die Logik des Kommissars, obwohl vollkommen korrekt, führt hier nicht zur Aufklärung des Verbrechens. Matthäi muss erfahren, dass seine rationalistische Weltsicht ein Irrtum ist.
  • Der Wirklichkeit ist mit menschlicher Logik und kriminaltechnischem Sachverstand nicht beizukommen. Das oberste, die Realität beherrschende Prinzip ist für Dürrenmatt der Zufall, der in seiner Unvorhersehbarkeit jede Planung zunichtemachen kann.
  • Mit dem Untertitel „Requiem auf den Kriminalroman“ macht Dürrenmatt deutlich, dass er das Grundprinzip der Aufklärung eines Verbrechens in der herkömmlichen Detektivliteratur für überholt hält. Das Versprechen ist darum zugleich Krimi und Antikrimi.
  • Der Roman enthält zahlreiche literarische Anspielungen, indem er zum Beispiel Motive aus den Werken Becketts, Edgar Allan Poes und George Simenons aufgreift und teilweise verfremdet. Deutlich sind auch die Bezüge zur literarischen Tradition des Märchens, vor allem zu Rotkäppchen.
  • Die Grenze zwischen Gut und Böse erweist sich als durchlässig: Der Mörder ist im Grunde genommen ein bedauernswertes psychisches Wrack, das von seiner reichen und gewissenlosen Ehefrau ausgebeutet wird. Die Ermittlungsmethoden Matthäis sind moralisch fragwürdig, genauso wie die Bereitschaft der einfachen und aufrechten Mägendorfer Bauern, einen Akt von Lynchjustiz zu begehen.

Historischer Hintergrund

Die Schweiz in den 50er-Jahren: Wohlstand, Behaglichkeit, Verfilzung

Das Versprechen erschien Ende der 50er-Jahre, zu einer Zeit, als die Erinnerung an die Apokalypse des Zweiten Weltkriegs durch einen fiebrigen Wirtschaftsaufschwung in den Hintergrund gedrängt wurde und sich mit dem Kalten Krieg eine neue, diesmal atomare Katastrophe als mögliches Schreckensszenario abzeichnete. In der von Hitlers Weltmachtstreben verschonten Schweiz bildete sich in diesem und im folgenden Jahrzehnt jene geistige Grundstimmung aus, die die linke Intelligenz des Landes – neben Dürrenmatt etwa Max Frisch, Niklaus Meienberg und Paul Nizon – pausenlos kritisieren und schließlich erfolgreich demontieren sollte: der Mythos von der unbefleckten Neutralität und der rettenden Macht der Schweizer Armee, die Behaglichkeit inmitten des wachsenden Wohlstands, die zwischen militärischer, wirtschaftlicher und konservativer politischer Elite wuchernde Verfilzung. „Zu unserem Davonkommen gehört die Schuld; gerade hier erweist sich die Schweiz als klein, kleiner noch als auf der Landkarte“, schrieb Dürrenmatt in seinem Essay Zur Dramaturgie der Schweiz.

Auch im Versprechen sind Motive der traditionellen Kritik an der Schweiz, an Konsumismus und Wohlstandsliebe vorhanden: Da ist zum Beispiel die Schilderung der „monströsen, sinnlosen Unruhe“, die die „ganze Ostschweiz“ wegen eines Autorennens erfasst. Oder die autoritäre Selbstgerechtigkeit, mit der die Polizisten den verdächtigen Hausierer behandeln. Oder die Entlarvung einer – typisch schweizerischen – bäuerlich-dörflichen Idylle, in deren Mitte sich von einem Moment zum anderen der Funke der Lynchjustiz entzündet.

Entstehung

Während Dürrenmatts frühere Kriminalromane Der Richter und sein Henker (1952) und Der Verdacht (1953) nach Angaben des Autors reine Brotarbeiten zur Überwindung einer finanziell schwierigen Situation waren, entstand Das Versprechen (1958) zu einer Zeit, als sich Dürrenmatt als Dramatiker etabliert hatte und keine Geldsorgen mehr hatte.

Die Keimzelle des Romans ist ein Drehbuch, das Dürrenmatt im Auftrag des Filmproduzenten Lazar Wechsler anfertigte und das unter dem Titel Es geschah am hellichten Tag verfilmt wurde. Als Thema war „Sexualverbrechen an Kindern“ vorgegeben, der Film sollte eine aufklärerisch wirkende Warnung sein. Im Unterschied zum später verfassten Roman endet der Film deshalb mit einem Happy End: Die Rechnung des Detektivs geht auf, der Mörder wird unschädlich gemacht. Laut Dürrenmatt greift Das Versprechen die Handlung des Films zwar auf, entwickelt sie jedoch weiter, jenseits aller volkspädagogischen Absichten. Der Roman erschien vom 5. bis 28. August 1958 als Vorabdruck in der Neuen Zürcher Zeitung und noch im selben Jahr im Zürcher Verlag Die Arche.

Wirkungsgeschichte

Das Versprechen stand stets im Schatten von Dürrenmatts bekannteren Kriminalromanen Der Richter und sein Henker und Der Verdacht. Dennoch wurde er von der zeitgenössischen Kritik alles in allem mit Zustimmung aufgenommen. Der österreichische Schriftsteller Peter Handke notierte nach der Lektüre des Werks, er habe das Bedürfnis, sich beim Autor „für den Entwurf eines nicht den Tatsachen gehorchenden Lebens“ zu bedanken. Der Literaturwissenschaftler, Schriftsteller und Kritiker Walter Jens bezeichnete das Buch als großen Roman, der vor Intelligenz, Realismus und Fantasie nahezu berste.

Eine nachhaltige Wirkung hatte die Geschichte vom Kommissar und dem Kindermörder durch die äußerst erfolgreiche Verfilmung Es geschah am hellichten Tag. Dessen Produktion war jedoch von zahlreichen Widrigkeiten begleitet. Zunächst lehnte der vorgesehene Regisseur das Angebot ab, danach gab es Streit um den Titel: Dürrenmatt war mit Es geschah am hellichten Tag nicht einverstanden, seine eigenen Vorschläge – Gott schlief am Vormittag und Schrott geht bummern – stießen wiederum bei den Geldgebern des Projekts auf Ablehnung. Der Beginn der Dreharbeiten verzögerte sich so lange, dass schließlich auch der Ersatzregisseur und der als Hauptdarsteller vorgesehene Schauspieler verzichten mussten. So wurde das Projekt unter der Leitung von Ladislao Vajda in Angriff genommen; Kommissar Matthäi wurde vom bekannten deutschen Schauspieler Heinz Rühmann gespielt, die Rolle des ebenso kindlich wie bedrohlich auftretenden Mörders übernahm Gert Fröbe. Obwohl Dürrenmatt vom Resultat der Verfilmung alles andere als begeistert war, reiste er 1958 gemeinsam mit seiner Frau nach Berlin, um das Werk an den Filmfestspielen vorzustellen. Der Stoff wurde noch weitere Male verfilmt, etwa 1997 in Deutschland unter der Regie von Bernd Eichinger. Aus dem Jahr 2001 stammt eine Hollywood-Produktion mit hochkarätiger Besetzung: Regisseur von The Pledge war Sean Penn, den Ermittler spielte Jack Nicholson.

Über den Autor

Friedrich Dürrenmatt wird am 5. Januar 1921 in Konolfingen im Schweizer Kanton Bern geboren. Sein Vater ist protestantischer Pfarrer. In Bern besucht Dürrenmatt das Freie Gymnasium und das Humboldtianum, 1941 legt er die Matura ab. Er ist bestenfalls ein mittelmäßiger Schüler und bezeichnet die Schulzeit später als die übelste Phase seines Lebens. In Bern und Zürich studiert er Philosophie, Literatur- und Naturwissenschaften. Seinen eigenen biografischen Schriften zufolge führt er das Leben eines verkrachten Studenten. 1946 zieht er nach Basel, ein Jahr später heiratet er die Schauspielerin Lotti Geissler, mit der er drei Kinder hat. 1947 wird sein erstes Theaterstück Es steht geschrieben uraufgeführt. Aus Geldnot verfasst Dürrenmatt Anfang der 50er-Jahre seinen wohl bis heute bekanntesten Kriminalroman Der Richter und sein Henker (1950/51), es folgen Der Verdacht (1951/52) und Das Versprechen (1958). Die Theaterstücke Die Ehe des Herrn Mississippi (1952) und Ein Engel kommt nach Babylon (1953) machen ihn einem breiten Publikum bekannt, die Dramen Der Besuch der alten Dame (1956) und Die Physiker (1962) begründen seinen Weltruhm. Ab 1952 lebt der Schriftsteller in einem eigenen Haus bei Neuchâtel. Nach dem Tod seiner ersten Frau heiratet Dürrenmatt 1984 die Schauspielerin und Filmemacherin Charlotte Kerr. Wechselvoll ist sein Verhältnis zur zweiten großen Figur der Schweizer Literatur des 20. Jahrhunderts, Max Frisch. Die anfängliche Freundschaft schlägt in gegenseitiges Ressentiment um, das auf persönlicher Antipathie und literarischen Differenzen beruht. Dürrenmatt erhält im Lauf seines Lebens zahlreiche Auszeichnungen, unter anderem den Georg-Büchner-Preis. Sein literarisches Werk ist äußerst vielfältig: Neben Theaterstücken und Romanen umfasst es Hörspiele, Essays, Erzählungen, Vorträge sowie autobiografische, literatur- und theatertheoretische Schriften. Daneben arbeitet Dürrenmatt zeitweise als Regisseur und ständig als Maler und Zeichner. Er stirbt am 14. Dezember 1990 in Neuchâtel an einem Herzinfarkt.

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