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Demokratie und Erziehung

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Demokratie und Erziehung

Eine Einleitung in die philosophische Pädagogik

Beltz,

15 Minuten Lesezeit
9 Take-aways
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Was ist drin?

Das Hauptwerk des amerikanischen Philosophen und Pädagogen John Dewey.


Literatur­klassiker

  • Philosophie
  • Moderne

Worum es geht

Learning by Dewey-ing

Das bekannte Motto „Learning by Doing“ fasst sehr gut zusammen, worum es in John Deweys Erziehungstheorie geht: Schüler sollen an praktischen Beispielen aus eigener Erfahrung lernen. Mehr noch: Sie sollen im gemeinsamen Lösen von konkreten Problemen das Lernen selbst lernen. Erziehung ist ein Selbstzweck und ein lebenslanger Prozess. Mit dieser Absage an autoritäre Erziehungsstile und verstaubte Lehrstoffe hat John Dewey der internationalen Reformpädagogik entscheidende Impulse gegeben. Der angesehene Philosoph und Psychologe wirkte bereits ab den 1870er-Jahren in den Debatten um die Neugründung des US-amerikanischen Bildungssystems mit und leitete ab 1896 einen eigenen Schulversuch. In Erziehung und Demokratie führte er 1916 diese pädagogische Erfahrung mit seiner Philosophie und Gesellschaftstheorie zusammen. Das Ergebnis ist eine mitreißende Streitschrift für die Werte eines lebensnahen und kooperativen Erfahrungslernens zur Heranbildung mündiger und eigenständiger Bürger, auch im Sinne einer funktionierenden Demokratie. 

Take-aways

  • Demokratie und Erziehung ist das Hauptwerk des Philosophen John Dewey.
  • Inhalt: Bildung darf nicht als bloßes Auswendiglernen von abstraktem Wissen und vorgegebenen Normen verstanden werden, sondern muss einen engen Kontakt zur alltäglichen Lebenswelt der Schüler haben. Diese sollen aus ihrer eigenen alltäglichen Erfahrung und durch gemeinsames Lösen von Problemen zu lebenslangem Lernen und eigenständigem Denken ermuntert werden.
  • Das Buch ist ein Schlüsselwerk der internationalen Reformpädagogik.
  • Es vereint Deweys Erkenntnisse in den Disziplinen Philosophie, Psychologie und Politiktheorie.
  • Die philosophische Pädagogik Deweys versteht sich als antiautoritäre, demokratische Praxis.
  • Im 19. Jahrhundert wurde in den USA bei der Integration der vielen unterschiedlichen Herkunftskulturen der Menschen der Erziehung eine entscheidende Rolle zugewiesen.
  • Dewey gründete und leitete ab 1896 einen eigenen Schulversuch in Chicago.
  • Obwohl Demokratie und Erziehung internationale Anerkennung fand, blieb es in Deutschland bis heute weitgehend unbekannt.
  • Zitat: „Erziehung (…) ist diejenige Rekonstruktion und Reorganisation der Erfahrung, die die Bedeutung der Erfahrung erhöht und die Fähigkeit, den Lauf der folgenden Erfahrung zu leiten, vermehrt.“

Zusammenfassung

Die Grundlagen der Erziehung

Die Grundlagen der Demokratie liegen in der Erziehung. Wir müssen darum die Fragen stellen, welche Ziele die öffentliche Erziehung in einer Demokratie verfolgen soll, wie sie das tun kann und welche überkommenen und veralteten Vorstellungen von Pädagogik heute noch existieren und einer demokratischen Erziehung im Weg stehen.

„Die Anerkennung (…) der Tatsache, dass große historische Institutionen wirksame Faktoren in der intellektuellen Entwicklung des einzelnen Menschen sind, war ein wichtiger Beitrag zur Philosophie der Erziehung.“ (S. 87)

Alles Leben will sich selbst erhalten und muss sich darum ständig selbst erneuern: Wie der Organismus sich ernähren und fortpflanzen muss, so muss sich die Gesellschaft in der Erziehung erhalten, indem die Alten ihre Erfahrungen mit den Jungen teilen und ihr Wissen an sie weitergeben. In den komplexen Gesellschaften unserer Zeit steht die Formalisierung und Standardisierung der Lehre allerdings im Widerspruch zur Erfahrung und zur Gründung der Erziehung in persönlichen Beziehungen und zwischenmenschlichem Wissenstransfer.

„Erziehung (…) ist diejenige Rekonstruktion und Reorganisation der Erfahrung, die die Bedeutung der Erfahrung erhöht und die Fähigkeit, den Lauf der folgenden Erfahrung zu leiten, vermehrt.“ (S. 108)

Die Jugend lernt die für das soziale Leben nötigen Kompetenzen, Gewohnheiten und Normen nicht als Menge von Wissenssätzen, sondern durch praktische Beteiligung in ihrer sozialen Umwelt. Durch den tätigen Austausch mit den Mitmenschen werden bestimmte Charaktereigenschaften eines jungen Menschen gefördert und andere gehemmt. Auf diese Weise wird er geformt, er erlernt eine spezifische Sprache, Manieren und Geschmack. Diese Führung der Heranwachsenden ist weitgehend zwanglos, da das gemeinsame Handeln die Ziele und Mittel des sozialen Lebens unmittelbar als geteilte Sinngehalte zugänglich und verständlich macht. Indem Kinder ihr Handeln an die Anforderungen ihrer Umgebung anpassen, errichten sie die Grundlage für ihr persönliches Wachstum. Dieses Wachstum besteht darin, aktive Gewohnheiten auszubilden, bereits erlernte Fähigkeiten innovativ auf neue Kontexte anzuwenden oder kreativ zu erweitern. Das Kind lernt zu lernen, denn sein gesamtes bereits erlerntes Handlungswissen bietet immer reichhaltigere Möglichkeiten, kombiniert und adaptiert zu werden – und jede dieser Rekombinationen bedeutet einen weiteren Lernerfolg. Wachstum durch Lernen ist deshalb ein unabschließbarer und lebenslanger Prozess, ein absoluter Selbstzweck.

Die Ziele der Schule

Die Aufgabe der Schule besteht darin, im Kind die Neugier auf und den Wunsch nach diesem lebenslangen Lernprozess zu wecken und zu verstärken. Sie hilft diesem komplexen und unbewussten Prozess dadurch, dass sie die Umwelt vereinfacht und die wichtigsten Kernkompetenzen des sozialen Lebens geordnet vermittelt. Außerdem versucht sie, hinderliche oder nutzlose Züge der Umwelt wie unerwünschtes oder nicht mehr zeitgemäßes Verhalten so weit wie möglich aus der Lernsituation zu entfernen. Die Schule ist somit ein wichtiger Filter für den Fortschritt einer Gemeinschaft hin zu einer besseren und aufgeklärteren Gesellschaft. Die Schule muss die Eigenheiten und Beschränkungen der vielen sozialen Umwelten, aus denen moderne komplexe Gesellschaften bestehen, ausgleichen. So kommt jeder Schüler mit einer möglichst gleichen und ausbalancierten Auswahl der verschiedenen sozialen Schichten in Kontakt.

„Die Demokratie ist mehr als eine Regierungsform; sie ist in erster Linie eine Form des Zusammenlebens, der gemeinsamen und miteinander geteilten Erfahrung.“ (S. 121)

Die Schule zielt wesentlich auf die Erweiterung der Bedeutung der Erfahrung ab. Dies geschieht, wenn konkrete persönliche Erfahrungen mit anderen Inhalten oder Erfahrungen in Beziehung gesetzt werden. Je mehr sie verknüpft werden, desto mehr Sinn und Bedeutung erhalten sie. Die beiden wichtigsten Fächer für diese Aufgabe sind Geschichte und Erdkunde, denn sie lehren die allgemeine Natur der menschlichen Beziehungen zueinander und zur Natur.

„Die Unterrichtsvorgänge schließen sich zu einem einheitlichen Ganzen zusammen in dem Grade, in dem sie sich um die Erzeugung guter Denkgewohnheiten gruppieren.“ (S. 218)

In der Schule geht es darum, im Kind selbst den Willen zum Wachstum durch Lernen zu erregen, und nicht darum, es an äußere und oberflächliche Vorgaben durch Zwang anzupassen. Erziehung darf keine äußeren Zwecke haben. Sie ist nicht ein bloßes Mittel zur Erreichung eines vorgegebenen Ziels wie beflissene Dienstfertigkeit oder blinde Kenntnis eines Bildungskanons, sondern ein Ziel in sich selbst. Ebensowenig ist Erziehung lediglich die Entfaltung bereits angeborener Fähigkeiten durch ihre Übung an beliebigen Stoffen. Wer dieser Meinung ist, vergisst völlig, dass das Kind in der aufmerksamen Beziehung zu seinem gegenwärtigen Handeln und den behandelten Stoffen stets in der Lage ist, neue Fähigkeiten zu erfinden und innovative Beobachtungen zu machen. Erziehung musst als „beständige Erneuerung der Erfahrung“ verstanden werden. Sowohl in der Kindheit als auch im Erwachsenenalter bedeutet Erziehung dasselbe: die Bereicherung der gegenwärtigen Erfahrung durch das, was man in dieser Erfahrung dazulernt, sowie die Nutzung des Gelernten zur produktiveren Bewältigung und Lenkung zukünftiger Erfahrungen. Diese Fähigkeit eines Menschen, die Bedeutung seiner Erfahrungen ständig zu bereichern und zu erweitern, fasst sehr gut zusammen, was wir allgemein unter Kultur verstehen.

Eine lebensnahe Pädagogik

Das Ziel der Erziehung, sofern es ein eigentliches Ziel und kein von außen auferlegter Befehl ist, muss also die Ausbildung von Kultur sein. In der Kultivierung der Menschen liegt der Wert der Erziehung für die Gesellschaft, denn sie ermöglicht es jedem Einzelnen, selbstbewusst und selbstbestimmt an gemeinsamen Tätigkeiten teilzunehmen. Darin erfüllt sich auch die wahre Bedeutung der populären Ansicht, Erziehung müsse die natürlichen und angeborenen Fähigkeiten des Menschen fördern – denn worin bestehen diese Fähigkeiten sonst als in ihrer möglichst optimalen Nutzung für den Umgang mit anderen Menschen? Dazu müssen wir verstehen, dass der Geist eines Menschen nicht unabhängig von der Welt entsteht, sondern sich gerade in der Auseinandersetzung mit seiner Umwelt, in der Lösung von konkreten Problemen und im Umgang mit anderen Menschen bildet. Erziehung ist deshalb auch die Heranbildung eines kultivierten Wollens, eines zielgerichteten, aufmerksamen und bewussten Zugangs zur Welt, der die Ziele, die nötigen Mittel und die wahrscheinlichen Folgen, also die Tragweite von Handlungen, klar vor Augen hat und diese Problemlösungskompetenz ständig für zukünftige Herausforderungen ausbaut.

„In einem sehr frühen Alter gibt es keine Unterscheidung von Zeiten ausschließlichen Spieles und solchen ausschließlicher Arbeit, sondern nur Unterschiede in der Betonung.“ (S. 270)

Die pädagogische Erklärung sollte immer von der unmittelbaren und persönlichen Erfahrung ausgehen und daraus allgemeine Gesetze und Grundlagen einsichtig und verständlich machen. Erziehung untersteht also einer naturwissenschaftlichen Logik der Abstraktion und Verallgemeinerung. Sie darf aber nie den Kontakt zur konkreten Erfahrung verlieren. Die grundlegenden physikalischen Kenntnisse beispielsweise werden am besten über einfache Tätigkeiten praktisch erworben. Idealerweise sollten diese Tätigkeiten Teil des sozialen Lebens sein, damit die Schüler das erworbene Wissen auch außerhalb der Schule leicht anwenden können.

Erziehung und Demokratie

Jede Gesellschaft lässt sich beschreiben durch die von allen Individuen geteilten Interessen und das Ausmaß an Zusammenarbeit und Austausch (im Handel oder im Lernen) zwischen einzelnen Gesellschaftsteilen sowie mit anderen Gesellschaften. Es gibt unterschiedliche Formen von Gesellschaft und, abhängig davon, verschiedene Ansprüche an Erziehung. Die Demokratie zeichnet sich dadurch aus, dass alle Individuen ein Interesse an der Gestaltung ihrer sozialen Beziehungen haben, die aufgrund ihrer ständigen Veränderungen eine permanente Neugestaltung des sozialen Gefüges notwendig machen. Demokratie ist nicht nur eine Regierungsform, sondern hauptsächlich eine Form des Zusammenlebens. Das macht eine planmäßige Erziehung aller Beteiligten für die Demokratie besonders wichtig. Allerdings hat die Herausbildung moderner Nationalstaaten im 19. Jahrhundert dem ein großes Hindernis entgegengestellt, da das politische Interesse der Einzelstaaten sich primär auf nationale Kulturbildung richtet und die soziale und demokratische Erziehung ihrer Bürger vernachlässigt.

Theorie und Praxis

Ein historisch ererbtes Hindernis für die demokratische Erziehung ist die Trennung zwischen Theorie und Praxis, zwischen schöngeistiger Kultur und überlebensnotwendiger Arbeit. Diese Trennung geht kulturgeschichtlich auf die antiken Stadtstaaten zurück, die aus Sklaven und Freien bestanden. Aus dieser Gesellschaftsform ergab sich die strenge Unterscheidung zwischen mußevoller Bildung als luxuriösem Selbstzweck und körperlicher Arbeit als notwendigem Übel. Auch heute noch glauben wir oft, dass sich praktische Nützlichkeit und Kultur ausschließen. Das liegt an der spezifischen Wirtschaftsform unserer Gesellschaft, die viele Arbeitende zu einer sinnentleerten Tätigkeit zwingt, zu der sie selbst keinen Bezug aufbauen können. In einer demokratischen Gesellschaft sollte es diese Unterscheidung allerdings nicht geben. Jede Tätigkeit sollte sowohl praktisch, für die Gemeinschaft nützlich als auch sinnvoll, also aus eigenem Antrieb und durch freie Willensausübung gestaltet sein. Erfahrung sollte nicht als passives Wahrnehmen, sondern als Resultat einer praktischen Handlung, als Aktivität gesehen werden. Eine demokratische Pädagogik, die diese ganzheitliche Verbundenheit zwischen Einzelnem, Gesellschaft und Welt beachtet, wird daher mit der Zeit auch die wirtschaftliche Organisation unserer Gesellschaft verändern.

Naturwissenschaftliche und humanistische Bildung

Ein anderes historisch gewachsenes Hindernis der demokratischen Pädagogik ist die Unterscheidung zwischen naturwissenschaftlicher und humanistischer Bildung. Diese Unterscheidung erwächst aus einem starren Mensch-Natur-Dualismus, der entweder die Freiheit des menschlichen Geistes über die bloß mechanische Natur stellt oder aber alle menschliche Freiheit als Illusion angesichts der Wahrheit der physikalischen Naturgesetze verleugnet. In der Praxis lässt sich die Trennung zwischen Natur und Mensch freilich nur schwer aufrechterhalten. Wir leben in der Welt, arbeiten mit ihr. Alle sozialen Errungenschaften unserer modernen Welt basieren auf der Anwendung naturwissenschaftlicher Denkmethoden und technisch-physikalischer Innovationen auf die Gesellschaft – unter der Anleitung des freien, sozialen Willens. Um diese Einheit wieder verständlich zu machen, müssten die Hochschulen und Universitäten aufhören, die Naturwissenschaften als hochabstrakte Spezialwissenschaften zu lehren, die mit dem Alltagsleben von Menschen nichts mehr zu tun haben. Aber auch die humanistischen Disziplinen müssen wieder von einer bloßen Sammlung von Fakten und Daten zu einer am sozialen Wohl ausgerichteten Einrichtung werden.

Der Individualismus als Hindernis demokratischer Bildung

Ein Kennzeichen der Moderne ist ein ausgeprägter Individualismus, der sich nicht nur auf die Unterschiede in Fähigkeiten und Kenntnissen zwischen den Menschen bezieht, sondern auf eine radikale Loslösung des individuellen Seins von der Welt und den Mitmenschen abzielt. War Individualismus zunächst eine autoritätskritische Haltung, die sich das Recht nahm, geschichtlich überlieferte Überzeugungen selbst zu überdenken und zu prüfen, wandelte er sich bald zu der philosophischen Frage, wie überhaupt Einzelne sinnvoll für ein Allgemeinwohl handeln oder die Natur erkennen können. Der Idealismus des 19. Jahrhunderts hat deshalb das Allgemeine als Autorität wiedereingesetzt und zum Beispiel bestehende gesellschaftliche Ordnungen über individuelle Meinungen gestellt. In der Schule zeigt sich diese Trennung zwischen Individuum und Gemeinschaft darin, dass Lehrstoffe ohne soziale Dimension vermittelt werden: Der Schüler lernt für sich, nicht für die Gesellschaft. Was die Geschicke des großen Ganzen betrifft, ist die Regierung zuständig, nicht der Einzelne. In einer Demokratie sollte es jedoch um das permanente Neu- und Umgestalten der sozialen Welt gehen – entsprechend den Bedürfnissen und Interessen der einzelnen Bürger. Diese müssen deshalb zu denkenden und gebildeten Bürgern erzogen werden, die sowohl das Selbstverständnis als auch das Verantwortungsgefühl besitzen, Demokratie zu praktizieren.

Die Philosophie der Erziehung

Die soeben beschriebenen Dualismen, die sich in den philosophischen Streitigkeiten zwischen Empirismus und Rationalismus, Realismus und Idealismus oder Individualismus und Kollektivismus niederschlagen, prägen die Art, wie wir unsere Welt wahrnehmen und erfahren. Sie alle führen zu einer Erkenntnistheorie, die es uns ermöglicht, die Unsicherheiten und Probleme unserer Erfahrung systematisch aufzuheben und so zu erfolgreichem Handeln zu gelangen. Da es jedoch viele verschiedene Philosophieschulen gibt, die unterschiedliche Arten anbieten, wie wir die Zweifel an unserer Erfahrung beheben können, muss eine geeignete Form der Philosophie ausgewählt und durch Erziehung gelehrt und verbreitet werden.

„Die Aufgabe, die die Naturwissenschaft im Lehrgange der Schule zu erfüllen hat, ist die gleiche, die sie auch in der Entwicklung der Menschheit erfüllt hat: die Befreiung der Erfahrung von örtlichen und zeitlichen Zufälligkeiten (…)“ (S. 304 f.)

Die überlieferte Erkenntnistheorie stellt der demokratischen Erziehung zahlreiche Hindernisse in den Weg. Dies rührt daher, dass sie für eine zweigeteilte Gesellschaft ausgelegt ist, in der es eine Klasse von Menschen gibt, die mechanische und körperliche Arbeit verrichten, ohne den Gesamtzusammenhang oder den Sinn ihrer Tätigkeit zu kennen, und eine andere, die diese Arbeiten organisiert und aufgrund ihres Reichtums Muße für eine humanistische Bildung und kulturelle Tätigkeiten hat. Wir brauchen dagegen eine Erkenntnistheorie und Pädagogik für eine demokratische Gesellschaft, in der Lernen Teil einer gelebten sozialen Praxis ist und das Klassenzimmer zu einer kleinen Gesellschaft wird – einer, die mit der großen Gesellschaft im engen Austausch steht.

Zum Text

Aufbau und Stil

Demokratie und Erziehung ist für ein möglichst breites Publikum bestimmt, und das schlägt sich in der Struktur des Buches deutlich nieder. Der Philosophieprofessor Dewey bemüht sich um eine möglichst klare und einfache Darstellung seiner Thesen, er vermeidet Schachtelsätze und versucht, möglichst rasch zum Punkt zu kommen. Dass er dabei trotzdem der Komplexität seines Themas gerecht wird, macht das Buch zu einer sehr gelungenen Mischung aus wissenschaftlichem Fachdiskurs und niedrigschwelligem Beitrag zur öffentlichen Debatte. Einzig der Umfang des Buches mag einige Leser abschrecken: Es umfasst etwa 450 Seiten, die über 26 Kapitel verteilt sind. Die meisten Kapitel bestehen aus drei bis fünf Unterkapiteln und folgen meist derselben argumentativen Logik: Zunächst definiert Dewey die Kernbegriffe des Kapitels, um dann einige zeitgenössische oder ideengeschichtliche Positionen dazu zu kritisieren und die Begriffe zuletzt auf das konkrete Problem der Erziehung anzuwenden. Jedes Kapitel wird durch eine sehr knappe Zusammenfassung abgeschlossen. Das Buch lässt sich grob in zwei Hälften einteilen: Während die ersten 14 Kapitel die allgemeinen Grundlagen von Deweys Theorie vorstellen – etwa wie Individuen lernen, wie sie zum gesellschaftlichen Ganzen stehen oder was Demokratie bedeutet –, beschäftigt sich die zweite Hälfte des Buches mit konkreten gesellschaftspolitischen und kulturhistorischen Hindernissen, die in modernen Gesellschaften einer authentischen demokratischen Erziehung im Weg stehen.

Interpretationsansätze

  • Die philosophische Pädagogik John Deweys kann als Beginn der modernen Reformpädagogik angesehen werden. Sie richtet sich gegen die zwei einflussreichsten Erziehungsideen der Neuzeit, den Naturalismus Rousseaus und die nationalistische Kulturpädagogik.
  • Ein wesentliches Merkmal der Reformpädagogik Deweys ist ihre antiautoritäre Ausrichtung. Die Schule soll Kindern nicht vorgegebene Meinungen einimpfen, sondern sie zum selbstständigen Denken anregen. 
  • In der Ideengeschichte wird Dewey dem Pragmatismus zugerechnet und seine handlungszentrierte Pädagogik unterstreicht das. Sein Erziehungskonzept wird oft mit dem bekannten Motto „Learning by Doing“ zusammengefasst.
  • Die philosophische Pädagogik erweist sich bei Dewey als wesentlich politische Bildung. Die Erziehung zu demokratischen Bürgern soll nicht auf ein gesondertes Fach im Stundenplan beschränkt sein, sondern den gesamten Schulalltag anleiten und durchdringen. 
  • Deweys Denken ist stark von der Philosophie G. W. F. Hegels beeinflusst. Während er Hegels Methode der dialektischen Auflösung von Gegensätzen fast in jedem Kapitel anwendet, steht er der politischen Philosophie Hegels, die das Staatsganze über Einzelinteressen stellt, jedoch kritisch gegenüber.
  • In der Forschung wird oft auf einen Normenwiderspruch zwischen Deweys Idee des Erfahrungslernens und seinem Konzept der Demokratie hingewiesen. Während das erfahrungsgeleitete Lernen stets zukunftsoffen und veränderbar bleibt, setzt Dewey die Demokratie als absolute und unverhandelbare Norm, die – so die logische Folge – durch kein zukünftiges Erfahrungslernen relativiert oder angezweifelt werden kann.

Historischer Hintergrund

Die Entstehung des US-amerikanischen Bildungssystems

Ab den 1850er-Jahren gab es in den USA die Debatte, wie eine genuine „American Education“, eine Erziehung für die junge demokratische Gesellschaft der USA, aussehen könnte. Sowohl das Fehlen von gewachsenen Traditionen als auch die Notwendigkeit, die riesige Zahl Eingewanderter und ihre unterschiedlichen Kulturen zu vereinen, stellten die USA vor eine völlig andere soziopolitische Situation, als sie etwa in Europa gegeben war. Die Bevölkerung von Städten wie New York oder Chicago hatte sich bis 1900 innerhalb von drei Jahrzehnten verdoppelt oder gar verdreifacht. An der Wende zum 20. Jahrhundert etablierte sich die Rede von den USA als „Melting Pot“ der Kulturen. Dass öffentliche Bildung für die Bewältigung dieser soziopolitischen Herausforderung ein wesentlicher Faktor sein würde, war offenkundig: Erziehung musste eine zentrale Rolle bei der Integration der vielen unterschiedlichen Herkunftskulturen zu einer einheitlichen Demokratie übernehmen.

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde mit dem Aufbau eines öffentlichen Schulsystems begonnen. Davor war Bildung ein Privileg von Privatstiftungen und ihrer zahlungskräftigen Kundschaft gewesen. Die Entwicklung fokussierte sich zunächst auf die Elementarschulen und erst ab den 1880er-Jahren auf die weiterführenden Highschools. 1869 wurde die allgemeine Graduierung des Lehrplans nach Alter, Klasse und Wissensstand eingeführt. 1892 wurde der erste nationale Schulentwicklungsplan vorgestellt, der erstmals einen einheitlichen Lehrplan für alle Schüler der USA vorschlug.

Entstehung

Die Entwicklung des Bildungssystems in den USA im 19. Jahrhundert bot viel Spielraum für Experimente. Dies erforderte die spezifische soziale Situation der USA, die eine Übernahme europäischer Konzepte unmöglich machte. Es musste eine genuin amerikanische Erziehungsform gefunden werden. In dieser Debatte war John Dewey über Jahrzehnte hinweg involviert. Er war anfangs stark von den Thesen Charles Eliots, eines der wichtigsten US-Schulreformer der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, beeinflusst. Eliot war Befürworter einer „New Education“, die sich von den pädagogischen Konzepten Europas selbstbewusst distanzierte, sich in den Dienst der Herausbildung einer Demokratie stellen und von der konkreten Erfahrung der Schüler ausgehen sollte.

Diese Ansätze fielen bei John Dewey, Anhänger der philosophischen Schule des Pragmatismus, auf fruchtbaren Boden. Seine 1896 gegründete Laboratory School in Chicago war ein landesweit beachteter Schulversuch für progressive Erziehung. Und obwohl Dewey Professor für Philosophie war, begann er ab dieser Zeit, eine eigenständige und ausgefeilte Pädagogik zu entwerfen. Im August 1915 schloss er mit dem Vorwort zu Demokratie und Erziehung nicht nur die umfassende Ausarbeitung seiner pädagogischen Position ab, für ihn war damit gleichzeitig auch die Zusammenfassung seiner gesamten Philosophie vollbracht. Demokratie und Erziehung erschien 1916, kurz vor dem Eintritt der USA in den Ersten Weltkrieg, bei Macmillan in New York.

Wirkungsgeschichte

Demokratie und Erziehung gilt heute als Hauptwerk der pädagogischen Theorie Deweys und als eines der Schlüsselwerke der Reformpädagogik. Als es in den Wirren des Ersten Weltkriegs erschien, wurde Deweys Pädagogik aber auch angegriffen. Vor allem das Ideal selbst denkender Bürger wurde angesichts der Notwendigkeit von braven, Befehle empfangenden Soldaten stark kritisiert. Dennoch setzte sich das Buch bald als Hauptwerk der Reformpädagogik durch. Ab Mitte der 1950er-Jahre erfuhr Deweys philosophische Pädagogik verschärfte Kritik, wobei umstritten blieb, wie sehr die breitgefächerten Projekte und Theorien der Reformpädagogik überhaupt Deweys Ideen entsprachen, sie verwässerten oder gar verkannten. Der Kern seiner Pädagogik, das lebens- und praxisnahe Lernen, erwies sich als bleibender und auch in der internationalen Diskussion einflussreicher pädagogischer Ansatz.

Der deutsche Sprachraum bildete hier eine seltsame Ausnahme. Denn obwohl Demokratie und Erziehung in Deutschland bereits 1930 durch die Übersetzung von Erich Hylla zugänglich war, wurde es weitgehend ignoriert. In der nationalistisch aufgeladenen Diskussion der Weimarer Republik wurde Deweys Zugehörigkeit zum amerikanischen Pragmatismus zum größten Hindernis für eine ernsthafte Lektüre. Einer zweiten Auflage von Demokratie und Erziehung 1949 erging es nicht besser: Nun wurde Deweys Pädagogik vor allem im Kontext der Re-education-Programme der US-amerikanischen Nachkriegspolitik wahrgenommen und abgelehnt. Nach einer dritten Auflage 1964 blieb das Buch lange Zeit vergriffen. Erst die Neuauflage 1993 machte Deweys Hauptwerk der deutschen Diskussion wieder zugänglich. Heute wird John Deweys Philosophie hauptsächlich in der Deutung Richard Rortys gelesen, als Theorie einer aufgeklärten und selbst organisierten Lebenspraxis, die sowohl metaphysische als auch traditionelle Autoritäten ablehnt.

Über den Autor

John Dewey wird am 20. Oktober 1859 in Burlington, Vermont geboren. Sowohl der Schulbesuch als auch sein Philosophiestudium in Burlington führen ihm früh die Mängel der öffentlichen Bildungsanstalten vor Augen. Während seines Studiums entdeckt er die Philosophie von G. W. F. Hegel und ist tief beeindruckt. Parallel zu seiner universitären Ausbildung arbeitet Dewey als Highschool-Lehrer und bemerkt, wie stark die Schulpädagogik vom Leben der Jugendlichen getrennt ist – eine Tatsache, die er in seinen pädagogischen Arbeiten fortan zu überwinden sucht. 1894 wird er Professor für Philosophie an der Universität Chicago und stellt seine Forschung ganz ins Zeichen der Pädagogik. Er gründet eine Elementary School, die Laboratory School, in der er seine pädagogische Theorie praktisch erprobt. Bald entsteht an der Universität von Chicago auch eine eigene pädagogische Fakultät, die School of Education. Von hier geht im Weiteren die US-amerikanische Reformpädagogik aus, die Deweys pädagogische Theorie fest im US-amerikanischen Bildungssystem etabliert. Außerdem gründet er gemeinsam mit George Herbert Mead und James Rowland Angell einen einflussreichen Zweig der funktionalistischen Psychologie. Ab 1904 lehrt er bis zu seiner Emeritierung 1930 Philosophie an der Columbia Universität in New York, gründet dort die New School mit und entwickelt einen Zweig des Pragmatismus, der heute als Konsequentialismus gelehrt wird. Dewey ist ein vielfach engagierter Intellektueller, veröffentlicht Reiseberichte, demokratische Manifeste, Arbeiten zur Ästhetik und Religionsphilosophie sowie eine eigenständige Logik. Aus seiner ersten Ehe mit der 1927 verstorbenen Alice Chipman entstehen sechs Kinder; im Alter von 87 heiratet der Witwer noch einmal. Am 1. Juni 1952 stirbt John Dewey nach langjähriger Krankheit in New York.

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