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Der arme Spielmann

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Der arme Spielmann

Suhrkamp,

15 Minuten Lesezeit
10 Take-aways
Text verfügbar

Was ist drin?

Grillparzers große kleine Erzählung aus dem kaiserlichen Wien.


Literatur­klassiker

  • Novelle
  • Biedermeier

Worum es geht

Tragödie eines verhinderten Künstlers

Franz Grillparzers Novelle Der arme Spielmann ist auf den ersten Blick eine schlichte, auf den zweiten aber eine abgründige Erzählung aus der Spätzeit des Habsburgerreichs. Wien war schon zu Grillparzers Zeit die Stadt der Musik, die Stadt Mozarts, Schuberts, Beethovens. Doch es stand eine neue Epoche mit neuen Werten an: die Epoche der funktionellen Vernunft, in der die musikalische Kunst ihren Stellenwert verlor. Jakob, der alte Geiger, spielt Göttermusik, die nur er noch hört. Alle anderen vernehmen lediglich sinnloses Gekratze. Das lässt Jakob zum gesellschaftlichen Außenseiter werden. Es macht ihn aber auch zur Verkörperung jener allzu menschlichen Tragik: des Festhaltens an Illusionen, die für das Leben unentbehrlich sind. Die zeitlose Erkenntnis dieser Tragik kommt bei Grillparzer als unsentimental erzählte Anekdote daher – genau darum ist dieser kleine Text ein ganz großer, ein Klassiker.

Take-aways

  • Der arme Spielmann ist eines der wenigen erzählerischen Werke des österreichischen Dramatikers Franz Grillparzer.
  • Inhalt: Ein Erzähler berichtet von seiner Begegnung mit dem alten Geiger Jakob, einem verarmten Sonderling, und gibt dessen Lebensgeschichte wieder: Jakob wird von seinem Vater verstoßen, beerbt ihn aber trotzdem, verliert aufgrund seiner Naivität sein Erbe und hat am Ende nichts mehr im Leben außer seiner Musik und der Erinnerung an eine unerfüllte Liebe.
  • Oberflächlich gesehen eine stille, etwas rührselige Anekdote, ist die Erzählung auf den zweiten Blick ein kritisches Porträt Österreichs während der Biedermeierzeit.
  • Grillparzer war Hofdichter des Kaiserhauses und zeitlebens zwischen den Anforderungen des Staatsdiensts und denen der Dichtkunst hin- und hergerissen.
  • Der arme Spielmann ist eine Rahmennovelle, eine in eine Rahmenerzählung eingebettete Binnenerzählung.
  • Die Novelle ist von einer ausgeprägten Symbolik gekennzeichnet.
  • Mit der Figur des Jakob, eines Geigers, der sich bezüglich seiner musikalischen Fähigkeiten täuscht, hat Grillparzer seiner eigenen Versagensangst Gestalt gegeben.
  • Die zeitgenössische Kritik übersah die subversive Vielschichtigkeit der Novelle und begeisterte sich stattdessen für die vermeintliche Einfachheit.
  • Der arme Spielmann beeinflusste Dichter wie Adalbert Stifter oder Franz Kafka, die sich beide an Nachbildungen versuchten.
  • Zitat: „Der Alte genoss, indem er spielte. Seine Auffassung unterschied hierbei aber schlechthin nur zweierlei, den Wohlklang und den Übelklang, von denen der Erstere ihn erfreute, ja entzückte, indes er dem Letzteren, auch dem harmonisch begründeten, nach Möglichkeit aus dem Wege ging.“

Zusammenfassung

Ein seltsamer Musikant

Im sommerlichen Wien wird ein Volksfest gefeiert, Kirchweih in der Brigittenau, nahe dem Donauufer. Der Erzähler mischt sich unter die Menge. Ihn interessieren die Menschen, die Vielfalt ihrer Gesichter und Geschichten. Auf dem Weg vom Augarten zur Brigittenau sieht er einige Straßenmusiker. Besonders fasziniert ihn ein alter Geiger, der wohl schon bessere Tage gesehen hat. Der Alte ist voller Leidenschaft bei der Sache. Doch die Inbrunst seines Spiels steht in merkwürdigem Gegensatz zu den erzeugten Klängen: Etwas anderes als ein unmelodiöses Durcheinander vermag der Geiger seinem Instrument nicht zu entlocken. Die Passanten haben auch nur Spott für ihn übrig; der Hut zu seinen Füßen bleibt leer. Schließlich hat der Alte genug und packt seine Sachen. Der Erzähler folgt ihm, verliert ihn jedoch aus den Augen. Erst später trifft er ihn wieder: musizierend am Ausgang des Augartens. Ein paar Kinder stehen um ihn herum und fordern einen Walzer. Doch wird ihr Wunsch nicht erfüllt. Als der Erzähler den Alten anspricht, stellt sich heraus, dass dieser überzeugt ist, sehr wohl einen Walzer gespielt zu haben; die Kinder seien eben Banausen. Der Erzähler gibt ihm ein Silberstück und erkundigt sich nach seiner Adresse, er möchte ihn einmal zu Hause besuchen, ihm beim Üben zusehen, denn der Alte behauptet, erst in der Abgeschiedenheit seiner vier Wände richtig Musik zu machen. Dann würde er nämlich improvisieren, statt bloß Noten abzuspielen. Der Erzähler erhält die Adresse, es handelt sich um ein Haus in der Gärtnergasse.

In der Dachstube des Spielmanns

Ein paar Tage später macht der Erzähler seine Ankündigung wahr und besucht den Spielmann in seiner Wohnung. Der Alte teilt sich eine armselige Dachstube mit zwei Handwerkern. Ein Kreidestrich mitten durchs Zimmer soll die jeweiligen Wohnbereiche auseinanderhalten. Der Bereich des Spielmanns ist ärmlich, aber gepflegt. Als der Erzähler in die Stube tritt, ist der Spielmann so sehr in sein Musizieren vertieft, dass er den Gast zunächst nicht bemerkt. Auf diese Weise hat der Erzähler Gelegenheit, dem „höllischen Konzert“ zu lauschen. Das Spiel des Alten folgt vollkommen einer primitiven Vorstellung von Wohlklang, suhlt sich förmlich in angenehmen Intervallen und umgeht die dissonanten. Rhythmus oder Melodie spielen keine Rolle.

„(...) ein alter, leicht siebzigjähriger Mann in einem fadenscheinigen, aber nicht unreinlichen Moltonüberrock mit lächelnder, sich selbst Beifall gebender Miene. Barhäuptig und kahlköpfig stand er da, nach Art dieser Leute, dem Hut als Sammelbüchse vor sich auf dem Boden, und so bearbeitete er eine alte, vielzersprungene Violine (...)“ (über Jakob, S. 13)

Schließlich macht sich der Erzähler bemerkbar. Der Alte unterbricht sein Spiel und die beiden kommen ins Gespräch. Es stellt sich heraus, dass der Spielmann aus guter Familie stammt; sein Vater bekleidete seinerzeit ein einflussreiches politisches Amt. Die Erwartungen des Vaters an seine Söhne waren hoch; Jakob, der spätere Spielmann, blieb bald hinter den Brüdern zurück und wurde so zum schwarzen Schaf der Familie. Mit seiner schwerfälligen Art und seiner schwachen Auffassungsgabe schien er zu nichts zu taugen. Seine einzige Freude, das freie Geigenspiel, wurde ihm durch die Zurechtweisungen seiner Brüder verleidet. Auch im Schulexamen versagte er, und das unter den Augen seines strengen Vaters. Der hatte nun genug und schob den ungeratenen Sprössling als Schreiber in eine Kanzlei ab. Noch durfte Jakob zu Hause wohnen, jedoch in einem „Hinterstübchen“, von seinem Vater und den Brüdern geschnitten.

Ein Lied öffnet Jakobs Augen

Eines Tages hörte Jakob im Hof des Nachbarhauses Gesang. Es war, wie sich später herausstellte, Barbara, die Tochter eines Krämers und fliegende Kuchenverkäuferin, die ihr Blech in den Hof zum Backofen trug und dabei vor sich hin sang. Besonders eines ihrer Lieder fesselte Jakob. Vergeblich versuchte er, es nachzusingen. Da nahm er die alte Geige von der Wand, auf der er seit Langem nicht mehr gespielt hatte. Zwar gelang es ihm auch auf dem Instrument nicht, die Melodie zu erfassen, doch bescherte ihm der lange ungehörte Klang seiner Geige eine Art Erweckungserlebnis. Barbara war ihm aus der Kanzlei bekannt, wo sie jeweils ihre Ware anbot. Er hatte bisher noch nichts von ihr gekauft. Vor ein paar Tagen allerdings war Jakob von seinen Kollegen zum Narren gehalten worden: Diese machten das Mädchen glauben, Jakob habe von ihrem Kuchen bestellt. Der Spaß klärte sich auf, doch Barbara war verärgert. Um sie günstig zu stimmen, bot Jakob an, ihr am nächsten Tag Papier von zu Hause mitzubringen, das sie, wie sie sagte, benötigte, um ihre Kuchen daraufzulegen. Nachdem er sie nun wenig später auf dem Hof hatte singen hören, fasste er den Plan, die Gabe mit einer Bitte um die Noten jenes Liedes zu verbinden. Dafür hatte er gleich eine größere Menge Papier für Barbara parat. Sie gab sich unwirsch, nahm das Geschenk jedoch an. Die Noten hatte sie indes nicht, sagte aber zu, einen Kunden des väterlichen Geschäfts, einen Organisten, um die Niederschrift zu bitten.

Der wohlgesinnte Krämer

Drei Wochen später fasste sich Jakob ein Herz und suchte Barbara im Laden ihres Vaters auf, um nach den Noten zu fragen. Das Lied hatte ihn völlig in Beschlag genommen. Da sein Vater ihm verboten hatte, nach Feierabend das Haus zu verlassen, schlich er sich heimlich davon. Vor dem Laden zögerte er. Drinnen saß Barbara an der Arbeit. Plötzlich fühlte sich Jakob am Schlafittchen gepackt: Es war Barbaras Vater, der ihn für einen Dieb hielt. Jakob legte sein Ansinnen dar, doch der Krämer blieb misstrauisch. Erst als sich Jakob als Sohn eines Hofrats zu erkennen gab, war der Krämer plötzlich die Güte in Person. Während Barbara sich Jakob gegenüber weiter gleichgültig verhielt, überschlug sich ihr Vater beinahe vor Unterwürfigkeit. Er bot Jakob sogar an, er solle Barbara Musikunterricht geben, seine Tochter habe ja „auch sonst ihre Qualitäten“. Jakob war so viel Ehrerbietigkeit unangenehm. Seine Misere wurde noch verschlimmert, als ein Hausangestellter seines Vaters im Vorübergehen in den Laden hinein grüßte. Jakob fürchtete, dieser könnte ihn erkannt haben. Mit ungutem Gefühl ging er heim. Immerhin war er nun im Besitz der Noten zu seinem Lied. Barbara hatte ihr Versprechen gehalten.

Die Erbschaft verändert alles

Jakobs Furcht bewahrheitete sich, der Dienstbote hatte ihn erkannt. Die Strafe folgte auf dem Fuß: Jakob wurde von seinem Vater verstoßen und kurzerhand in einen Außenbezirk umquartiert, wo er fortan eine kleine Kammer bewohnte. Solcherart isoliert, entdeckte er das Geigenspiel als Mittel gegen die Einsamkeit. Wenig später setzte der Niedergang seiner Familie ein: Ein Bruder verlor die Ehre, der andere das Leben, den Vater traf kurz darauf der Schlag. Jakob war vor Kummer am Boden zerstört. Eine Weile trauerte er in der Einsamkeit seines Zimmers. Nachts streifte er durch die Straßen, die Nähe des väterlichen Hauses wohlweislich vermeidend. Einmal verschlug es ihn dennoch dorthin. Als er es merkte, erfasste ihn die Panik. Da sah er in der Nähe das Fenster des Krämerladens erleuchtet und Barbara dahinter. Er konnte nicht anders und ging hinein. Barbara gab sich zugeknöpft, doch ihr Vater schien voller Mitgefühl. Er versuchte, Jakob mit dem Gedanken an seinen neuen Wohlstand zu erheitern, denn er müsse ja wohl etwas geerbt haben. Daran hatte Jakob noch gar nicht gedacht. Der Krämer versuchte ihm nun eine Investition des Geldes in Handelswaren schmackhaft zu machen. Als Jakob wenig später den Laden verließ, hörte er plötzlich aus einem Fenster ein Flüstern; es war Barbara, die ihn vor allzu großer Vertrauensseligkeit warnte – zu Recht, wie sich bald herausstellte: Die Kunde von seiner Erbschaft brachte Jakob allerlei Bittsteller ins Haus.

Hoffnung für einen Ungeschickten

Mit dem Tod seines Vaters endete Jakobs Tätigkeit in der Kanzlei. Er wurde dort kurzerhand ersetzt. Da traf es sich gut, dass ihm der ehemalige Sekretär seines Vaters ein Angebot machte: Er solle Geld für die Gründung eines „Auskunfts-, Kopier- und Übersetzungs-Comptoirs“ geben. Jakob nahm an, die Sache wurde abgemacht und war guten Mutes wegen der neuen Perspektive. Um sich schon einmal im Umgang mit den Kunden zu üben, half er derweil bei Barbara und ihrem Vater ein wenig im Laden mit. Allerdings erwies er sich dabei nicht eben als Naturtalent. Im Gegenteil: Seine Ungeschicklichkeit zog ihm immer wieder Barbaras Ärger zu. Manchmal zeigte sich die Krämerstochter aber auch mild und verständnisvoll. Oft unterhielten sie sich und Jakob erzählte ihr aus seinem Leben.

„Das ganze Wesen des alten Mannes war eigentlich wie gemacht, meinen anthropologischen Heißhunger aufs äußerste zu reizen. Die dürftige und doch edle Gestalt, seine unbesiegbare Heiterkeit, viel Kunsteifer bei so viel Unbeholfenheit; (...) endlich die wenigen, aber mit der richtigsten Betonung, mit völliger Geläufigkeit gesprochenen lateinischen Worte.“ (über Jakob, S. 14)

Eines Tages beobachtete er, wie Barbara munter vor sich hin sang. Es war wieder das Lied, das ihn so faszinierte. Er war derart entzückt, dass er nicht anders konnte, als sie von hinten zu berühren. Reflexhaft drehte Barbara sich um und verpasste ihm eine saftige Ohrfeige. Doch gleich erschrak sie über ihre Tat und drückte ihm einen Kuss auf die Wange. Nun gingen die Gefühle vollends mit Jakob durch: Barbara floh, er setzte hinterher, sie verschanzte sich hinter einer Glastür, er versuchte, die Tür aufzudrücken; als es ihm nicht gelang, küsste er, statt Barbara, die Glasscheibe, die sein Gesicht von Barbaras trennte. Just in diesem Augenblick kam der Krämer herein. Er forderte Barbara auf, sich nicht so zu zieren. Die jedoch blieb verstockt. Jakob suchte beglückt das Weite.

Barbara erkennt den Betrug

Entgegen seinen Befürchtungen fand Jakob das Mädchen bei seinem nächsten Besuch freundlich gestimmt. Geduldig befragte sie Jakob, wie er sich seine Zukunft vorstelle. Dabei führte sie ihm in aller Deutlichkeit vor Augen, dass er wegen seiner wenig selbstständigen Wesensart wohlmeinender Freunde bedürfe. Auch nach seiner Erbschaft fragte sie ihn. Noch einmal riet sie ihm davon ab, das Angebot ihres Vaters anzunehmen. Lieber solle Jakob das Geld in den Kauf eines Putzladens investieren, den sie, Barbara, dann führen wolle. Er könne ihr Buchhalter sein. „Was sich noch weiter ergäbe“, sagte sie schließlich, „davon wollen wir jetzt nicht reden.“ Jakob war Feuer und Flamme. Doch sein Geld steckte ja in jenem anderen Projekt, dem Kopierbüro. Als er Barbara davon erzählte, witterte sie gleich Betrug. Ihre Sorge steigerte sich zu Entsetzen, als Jakob ihr die ganze Wahrheit beichtete: Er hatte bereits die gesamte Erbschaft in das Vorhaben gesteckt und nicht einmal eine Quittung erhalten. Wer der ominöse Partner sei, wollte Barbara wissen. Jakobs Antwort ließ sie die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, denn den Namen kannte sie aus der Zeitung: Der saubere Sekretär war ein gesuchter Betrüger.

Armut rückt Liebe in weite Ferne

Plötzlich sah sich Jakob, eben noch ein Mann mit Aussichten, aller Hoffnung beraubt. Der Krämer entzog ihm prompt seine Gunst; mit so einem armen Schlucker wolle er nichts zu tun haben, Jakob solle sich nicht mehr blicken lassen. Nun begab sich Jakob zum Handelsgericht, um nach dem Verbleib seines Geldes zu forschen. Und tatsächlich: Der Sekretär, den er mit der Einzahlung betraut hatte, hatte die ganze Summe unterschlagen. Nun zog sich Jakob in seine Kammer zurück. Eines Tages kam Barbara ihn besuchen, sie brachte etwas Wäsche. Plötzlich fing sie an zu weinen. Jakob griff ihre Hand, sie ließ ihn zunächst gewähren, dann klagte sie ihn an, warf ihm seine Naivität und Lebensunfähigkeit vor, womit er nicht nur sein eigenes, sondern auch ihr gemeinsames Glück verspielt habe. Jetzt müsse sie „unter die groben Leute“. Dann sagte sie Adieu, rief Gottes Segen auf Jakob hinab und ging. Später erfuhr Jakob, dass Barbara einen Fleischer geheiratet hatte. Er selbst war nun auf dem absteigenden Ast. Seinen kargen Lebensunterhalt verdiente er mit Straßenmusik.

„,Sie wollen nicht tanzen‘, sagte wie betrübt der alte Mann, seine Musikgeräte zusammenlesend. Ich war ganz nahe zu ihm getreten. ,Die Kinder kennen eben keinen andern Tanz als den Walzer‘, sagte ich. ,Ich spielte einen Walzer‘, versetzte er, mit dem Geigenbogen den Ort des soeben gespielten Stückes auf dem Notenblatte bezeichnend.“ (über Jakob, S. 15)

Die Jahre gingen ins Land. Da stand plötzlich Barbara vor Jakobs Tür. Sie erzählte von ihren beiden Kindern, deren ältestes Jakob hieß. Der Spielmann solle ihm Geigenunterricht geben. Nun war Jakob einmal wöchentlich bei der Fleischersfamilie und brachte dem Jungen das Geigenspiel bei, übrigens auch Barbaras Lied, das er nun, nachdem er dem Erzähler seine Lebensgeschichte berichtet hat, selbstvergessen auf der Geige zu spielen beginnt. Der Erzähler fühlt sich überflüssig, legt etwas Geld auf den Tisch und macht sich davon.

Tödliche Fluten

Erst im folgenden Jahr erinnert er sich an den Spielmann: Im Frühjahr wird Wien von einem katastrophalen Hochwasser heimgesucht. Die Gegend um die Gärtnergasse wird überschwemmt. Nachdem das Wasser schließlich etwas zurückgegangen ist, begibt sich der Erzähler dorthin, um in Erfahrung zu bringen, was aus dem Spielmann geworden ist. Das Stadtviertel ist verwüstet, überall liegen Leichen. Von einer Nachbarin erfährt der Erzähler, dass auch der Spielmann sein Leben gelassen hat. Er sei einer Krankheit erlegen, die er sich bei dem Versuch zugezogen habe, Kinder in Sicherheit zu bringen. Im Sterben habe er aufgehorcht, als ob er in der Entfernung etwas sehr Schönes hörte. Die Beerdigung bezahle die „Frau Fleischermeisterin“. Der Erzähler findet sie in der alten Dachstube mit ihren Kindern am Sarg des Spielmanns. Ihr Mann ist unten auf der Straße und mahnt zum Aufbruch. Alle gemeinsam geben sie Jakob das letzte Geleit. Einige Zeit darauf besucht der Erzähler die Fleischersfamilie unter dem Vorwand, die alte Geige des Spielmanns kaufen zu wollen. Der Fleischer hat nichts dagegen, doch Barbara reagiert heftig: Die Geige gehöre „unserem Jakob“. Besorgt nimmt sie das Instrument von der Wand und schließt es weg. Der Erzähler verabschiedet sich und geht. Das Letzte, was er sieht, ist das tränenüberströmte Gesicht der Frau.

Zum Text

Aufbau und Stil// Der arme Spielmann ist eine sogenannte Rahmennovelle: Eine Binnenerzählung ist in eine Rahmenerzählung eingelassen – das heißt: Es wird erzählt, wie jemand etwas erzählt. Das ist keineswegs eine funktionslose Spielerei, vielmehr hat eine solche Verschachtelung eine inhaltliche Wirkung, insofern der Wahrheitsgehalt der Binnenerzählung vom eigentlichen Erzähler infrage gestellt wird. Jakob wird so zu dem, was die Literaturwissenschaft einen „unzuverlässigen Erzähler“ nennt. Der Leser muss davon ausgehen, dass sein Bericht stark subjektiv eingefärbt, wenn nicht sogar verfälscht ist. Die Rahmenerzählung gewährt dem Leser einen Wissensvorsprung gegenüber Jakob. Die zur Deutung seiner Lebensgeschichte notwendigen Umstände werden durch den Erzähler ergänzt. Am deutlichsten zeigt sich dieses Prinzip im Hinblick auf Jakobs Geigenspiel: Jakob selbst ist überzeugt, schlechthin himmlische Klänge zu erzeugen, während der Erzähler sein Spiel als Katzenmusik empfindet – und das in Übereinstimmung mit allen anderen Personen in der Rahmenebene. Die Novelle ist von einer ausgeprägten Symbolik gekennzeichnet. Grillparzer handhabt seine Bilder und Motive virtuos, etwa das Motiv des Fließens und Strömens, das mal als drängende Menschenmasse, mal als Überflutung der Wiener Vorstädte und nicht zuletzt als Fluss der Töne aus Jakobs Geige aufscheint. Grillparzers Sprache in Der arme Spielmann// ist schlicht und ungekünstelt und geht bis zur Brüchigkeit; wo Dialog vorkommt, ist er lebensnah und trägt zur Charakterisierung der Sprecher bei.

Interpretationsansätze

  • Die Erzählung lässt sich autobiografisch deuten: Sowohl die Figur Jakobs als auch die des Erzählers tragen Züge ihres Schöpfers. Grillparzer hat im Erzähler sein rationales, angepasstes, gleichsam gelungenes Ich dargestellt, während der alte Geiger Grillparzers Angst verkörpert, als Künstler zu scheitern.
  • Die kultische Absolutheit, mit der der alte Geiger seine Musik auffasst, verweist auf das Ideal der Kunstreligion, einer metaphysischen Aufwertung der Kunst zum Religionsersatz, wie sie sich vor allem die romantische Literatur zum Programm machte. Die Ironie der Geschichte liegt darin begründet, dass der arme Spielmann als Vertreter dieser Kunstreligion mit seiner tatsächlichen Kunstfertigkeit weit hinter diesem Ideal zurückbleibt.//
  • Der arme Spielmann führt die Traditionen des psychologischen Romans fort, wie sie Karl Philipp Moritz 1785 mit seinem Anton Reiser// begründete, weist aber mit seinem Interesse an den Lebensumständen einfacher Leute zugleich auf Naturalismus und Realismus voraus.
  • Unter der gemütlichen Oberfläche ist im Spielmann eine gesellschaftskritische Stellungnahme Grillparzers verborgen: gegen das autoritäre Erziehungsideal des habsburgischen Staates, gegen Obrigkeitshörigkeit und soziale Kälte.
  • Von der skurrilen, aber liebenswürdigen Außenseiterfigur des alten Geigers lassen sich Parallelen zur politischen Situation in Habsburg-Österreich ziehen. Auch das Reich hatte schon bessere Tage gesehen, auch das „alte“ Wien lebte vor allem in der Musik fort.
  • Die oft als „Schlusstableau“ bezeichnete Szene im Haus des Metzgerehepaars, das bedeutungsschwangere Arrangement der an der Wand hängenden Geige, des Kruzifixes und des Spiegels, bündelt noch einmal die Motive der Entfremdung (Spiegel), der entrückten Vergangenheit (Geige) und der Kunstreligion (Kruzifix).

Historischer Hintergrund

Im Windschatten der Moderne

Nach fast drei Jahrzehnten historischer Umwälzungen, von der Französischen Revolution 1789 über die Napoleonischen Eroberungsfeldzüge bis zur endgültigen Niederlage von Napoleon Bonaparte bei Waterloo 1815, hatten die europäischen Machthaber genug vom sogenannten Fortschritt. Das Streben der Völker nach nationaler Selbstbestimmung und jenes des Bürgertums nach Mitbestimmung wurden zurückgedrängt. Eine besondere Ausprägung erfuhr diese Restauration in Österreich unter Kaiser Franz I. Dessen Kanzler, Graf von Metternich, betrieb nach außen den Schulterschluss der europäischen Monarchen zur Abwehr des Liberalismus, nach innen die völlige Kontrolle des öffentlichen Lebens mittels Zensur und polizeilicher Überwachung. Zensur gab es zwar auch in Preußen, doch das Habsburgerreich, jenes prekäre, multiethnische Staatsgebilde, hatte deutlich mehr zu verlieren als das vergleichsweise homogene Preußen. Die Maßnahmen wurden von der Angst getragen, der kleinste Schritt in Richtung Liberalisierung könnte eine Kettenreaktion in Gang setzen – mit der Konsequenz einer Auflösung des Reichs. Dessen Zeit war im Grunde längst abgelaufen, allein das „System Metternich“ und der hocheffiziente bürokratische Apparat, auf den es sich stützte, hinderten noch den Zerfall. Das hatte jedoch einen hohen Preis: Österreich geriet in Rückstand gegenüber dem restlichen Europa, wo im weiteren Verlauf des 19. Jahrhunderts fortschrittliche Kräfte zum Zuge kamen.

Dies und die aufgezwungene Entpolitisierung des öffentlichen Lebens hatten eine kulturelle Blüte zur Folge. Besonders die Musik bot sich als Ventil für von der Zensur unterdrückte kreative Energien an. Das Wien der Biedermeierzeit wurde zur musikalischen Metropole; hier wirkten Komponisten wie Johannes Brahms, Anton Bruckner, Franz Liszt, Franz Schubert oder Ludwig van Beethoven.

Entstehung

Der arme Spielmann begann als regelrechte Auftragsarbeit: 1831 sollte Grillparzer für einen Almanach eine Novelle liefern. Auf der Suche nach einem geeigneten Stoff erinnerte er sich an einen alten Geiger, dem er früher in einem Wirtshaus des Öfteren zugehört hatte und von dem er annahm, er sei bei der großen Überschwemmung Wiens im Jahr 1830 ums Leben gekommen. Auch die Wahl der Schauplätze ergab sich aus Grillparzers Erfahrungswelt: Die Orte der größten Verwüstung während des Hochwassers von 1830, Brigittenau und die Leopoldstadt, lagen seinerzeit als Vorstädte außerhalb der Wiener Stadtmauern. Hier wohnte der alte Geiger aus dem Wirtshaus, hier siedelte Grillparzer auch seinen Jakob an. Vermutlich verpasste Grillparzer die Abgabefrist für seinen Beitrag zu jenem Almanach, und so ließ er das Werk zunächst unvollendet liegen. Erst Jahre später, etwa um 1842, nahm er die Arbeit daran wieder auf. Einige inhaltliche Ungereimtheiten bezeugen den großen zeitlichen Abstand, der zwischen Beginn und Vollendung des Werks lag. 1847 erschien Der arme Spielmann in Iris, einer der damals verbreiteten, periodisch erscheinenden Sammelpublikationen. In einem Brief an deren Herausgeber forderte Grillparzer für das Manuskript 300 Gulden – eine stolze Summe für damalige Verhältnisse. Ob er diese tatsächlich erhielt, ist nicht bekannt.

Wirkungsgeschichte

Der arme Spielmann war kein unmittelbarer Erfolg. Das lag wohl zum einen daran, dass Grillparzer sich mit der Iris ein eher unbedeutendes Medium zur Veröffentlichung ausgesucht hatte. Zum anderen standen zur Jahrhundertmitte die Zeichen der Zeit auf Revolution; die Völker Europas erhoben sich im Kampf um Freiheit und Selbstbestimmung, und auch die Welt der Literatur wurde zur Arena der hehren Ideale. Grillparzer sah richtig voraus, dass ein so unscheinbares Werk im allgemeinen Säbelrasseln und Fahnenknattern untergehen müsse. Ganz unbemerkt blieb der Spielmann dennoch nicht: Adalbert Stifter etwa schrieb kurz nach dem Erscheinen eine begeisterte Rezension und ließ sich durch den Text zu zwei eigenen Novellen inspirieren. Allerdings scheint sein Lob, aus heutiger Sicht, auf einer Fehllektüre des Spielmanns zu gründen, insofern es dessen „sittliche Ursprünglichkeit und Einfalt“ hervorhebt, dagegen die dunkleren, konflikthaften und gesellschaftskritischen Aspekte der Novelle übersieht. Stifters Perspektive wurde jedoch bis weit ins 20. Jahrhundert wegweisend für die Spielmann-Rezeption.

Eine vielschichtigere Sichtweise auf den Spielmann darf man Franz Kafka zuschreiben, zu dessen Lieblingsbüchern die Novelle zählte. Seine Erzählung Josefine, die Sängerin oder Das Volk der Mäuse aus dem Jahr 1924 gilt als regelrechter Gegenentwurf zum Spielmann. Der Literaturwissenschaftler Heinz Politzer sieht gar in der Figur des Gregor Samsa aus Kafkas Verwandlung einen Nachkommen des Grillparzer’schen Jakob. Um 1945 begann endlich die Auseinandersetzung mit dem kritischen Gehalt des Spielmanns. Die wohl berühmteste Einschätzung der Novelle fiel allerdings noch 1978 in die alten Muster zurück: „einfältig erzählt und schlicht sentimental“ – so urteilt der Held in John Irvings Roman Garp und wie er die Welt sah über Grillparzers Werk.

Über den Autor

Franz Grillparzer wird am 15. Januar 1791 in Wien geboren. Die Kälte und Unzugänglichkeit des Vaters, eines Advokaten, setzen dem jungen Grillparzer zu. Die Mutter dagegen ist von warmherzigem und musischem Naturell. Als der Vater 1809 stirbt, muss Grillparzer für sie und seine drei Brüder sorgen. Neben seinem Jurastudium verdingt er sich als Privatlehrer und später als Praktikant in der Wiener Hofbibliothek, woraus sich eine Anstellung im Finanzministerium ergibt. Außerdem dichtet er, unter anderem angeregt von den Dramen Friedrich Schillers. Sein erstes Stück wird 1810 zurückgewiesen; noch lange danach scheut er, von tiefen Selbstzweifeln geplagt, die literarische Öffentlichkeit, schreibt aber unablässig an weiteren Werken. Vorwiegend sind es Dramen. Erst 1817 gelingt ihm mit dem Drama Die Ahnfrau der Durchbruch. Die Uraufführung im Theater an der Wien macht ihn schlagartig berühmt. Mit Sappho und der Trilogie Das goldene Vlies gelingen ihm weitere Erfolge. Grillparzer wird Hofdichter des Habsburger Kaiserhauses, mag allerdings die Karriere als Beamter nicht aufgeben und bleibt daher zeitlebens zwischen den Anforderungen des Staatsdiensts und denen der Dichtkunst hin- und hergerissen. Auch zwischen den großen historischen Strömungen seiner Zeit, Revolution und Restauration, findet er nie einen eindeutigen Standpunkt. Mithin wird er von seinen freiheitlich gesinnten Zeitgenossen als duckmäuserischer Staatsschriftsteller angefeindet, sieht sich aber zugleich immer wieder selbst von Zensur bedroht. Neben dem Schreiben pflegt Grillparzer im Privaten seine musikalische Ader, spielt Klavier und komponiert. 1856 ernennt ihn Kaiser Franz Joseph für seine dichterischen Verdienste zum Hofrat, 1861 beruft er ihn auf Lebenszeit in den Reichsrat. Grillparzer, der mit Ehren überhäufte Nationaldichter Österreichs, stirbt am 21. Januar 1872.

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