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Der Idiot

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Der Idiot

Artemis & Winkler,

15 Minuten Lesezeit
12 Take-aways
Text verfügbar

Was ist drin?

Dostojewskis berühmter Roman über einen russischen Don Quijote: Der naive und gutherzige Fürst Myschkin hält der Gesellschaft den Spiegel vor und muss doch an ihren Intrigen zugrunde gehen.


Literatur­klassiker

  • Roman
  • Realismus

Worum es geht

Der Idiot: Don Quijote und Christus zugleich

Mit dem Fürsten Myschkin, dem "Idioten", präsentiert Dostojewski einen im christlichen Sinne guten, aber auch tragischen Helden. Myschkin erinnert in seiner grenzenlosen Naivität und Vertrauensseligkeit an Don Quijote. Er ist eine Gegenfigur zu den arroganten, skrupellosen Menschen der St. Petersburger Gesellschaft in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Myschkin steht für die Niederlage von Tugend und Moral in einer Zeit, da in Russland das wohlhabende Bürgertum und der Land besitzende Adel um ihre wirtschaftlichen Privilegien kämpfen. 1861 wurde in Russland die Leibeigenschaft aufgehoben und das Land näherte sich immer mehr dem Westen an. Dostojewski lässt den Fürsten Myschkin indirekt ein Opfer dieses gesellschaftlichen Umbruchs werden. Er scheitert an seiner Unfähigkeit, die Menschen, die ihre Lebensbeziehungen verstärkt dem Prinzip von Käuflichkeit und Kommerz unterordnen, richtig einzuschätzen. Die psychologische Tiefenschärfe, die der Dichter in diesem Roman erreicht, ist in der damaligen Romanliteratur einzigartig und hat mit dazu beigetragen, dass der Autor zu den zehn meistgenannten Namen der Weltliteratur zählt. Aufgrund der vielen Dialoge eignete sich der Roman Der Idiot auch sehr gut für mehrere Dramen- und Filmfassungen.

Take-aways

  • Dostojewskis Roman Der Idiot gilt als einer der ersten psychologischen Romane der Weltliteratur.
  • Der aus verarmtem russischem Adel stammende Fürst Myschkin leidet an Epilepsie. Nach einigen Jahren in einer Schweizer Heilanstalt kehrt er nach St. Petersburg zurück.
  • Dort verliebt er sich in zwei Frauen gleichzeitig, die schöne, aber unglückliche Nastasja und die anmutige Aglaja.
  • Myschkins Gegenspieler im Kampf um Nastasjas Gunst ist der unberechenbare, leidenschaftliche Rogoschin.
  • Myschkin bemitleidet Nastasja, die sich selbst als gefallene Frau betrachtet: Die 16-Jährige ist von ihrem Pflegevater verführt und zur Mätresse gemacht worden.
  • Nastasja glaubt, Myschkins Liebe nicht zu verdienen, und wendet sich Rogoschin zu.
  • Rogoschin und Myschkin schließen Brüderschaft, um ihrer Rivalität ein Ende zu setzen. Wenig später versucht Rogoschin aber, Myschkin zu ermorden.
  • Aglaja fühlt sich durch Myschkin gekränkt, weil er sich nicht eindeutig zu ihr bekennt. Sie löst die Verlobung, nachdem sie von Nastasja beleidigt worden ist.
  • Nastasja bricht mit Rogoschin, um Myschkin zu heiraten. Vor dem Traualtar wirft sie sich aber erneut in Rogoschins Arme.
  • Rogoschin flieht mit Nastasja und ersticht sie noch in der gleichen Nacht. Myschkin und Rogoschin halten gemeinsam Totenwache.
  • Rogoschin wird nach Sibirien verbannt. Myschkin fällt in einen geistigen Dämmerzustand und wird zurück in die Schweizer Heilanstalt geschickt.
  • Dostojewski schrieb das Buch, von Spielsucht und Geldnot gebeutelt, 1868 während einer Reise durch Europa.

Zusammenfassung

Rückkehr nach Russland

Der 27-jährige Fürst Lew Nikolajewitsch Myschkin, letzter Spross eines verarmten russischen Adelsgeschlechts, ist nach dem Tod seines Vaters von Nikolaj Andrejewitsch Pawlistschew aufgenommen worden. Da Myschkin an Epilepsie leidet, hat der Ziehvater ihn in eine Schweizer Heilanstalt geschickt. Nach fünf Jahren - Pawlistschew ist inzwischen gestorben - kehrt Myschkin nach Russland zurück. Sein Zustand hat sich zwar gebessert, er hat in der Schweiz aber auch die Gewissheit erlangt, dass seine Krankheit unheilbar ist.

„Wenn Sie mich als Fürst Myschkin melden, so ist der Zweck meines Besuches schon aus der Meldung selbst ersichtlich. Empfängt man mich, ist es gut; empfängt man mich nicht, so ist es vielleicht auch ganz gut.“ (Fürst Myschkin, S. 27)

Während der Zugfahrt aus der Schweiz zurück nach St. Petersburg lernt Myschkin Parfen Semjonowitsch Rogoschin kennen, der einer wohlhabenden Kaufmannsfamilie entstammt. Rogoschin erzählt Myschkin von der schönen Nastasja Filippowna Baraschkowa. Den schüchternen Fürsten irritiert, wie impulsiv und gefühllos Rogoschin von Nastasja spricht. Sie scheint für ihn ein seit langem begehrtes Objekt zu sein. Die undurchsichtige Vergangenheit der jungen Frau bleibt für Myschkin noch rätselhaft, in Rogoschin aber hat sie bereits eine wahre Hassliebe hervorgerufen.

Zu Besuch bei den Jepantschins

Nach seiner Ankunft in St. Petersburg sucht Fürst Myschkin General Jepantschin auf. Dessen Frau Lisaweta Prokowjefna Jepantschina ist eine entfernte Verwandte des Fürsten. Myschkin bekommt bei den Jepantschins ein Bild der Nastasja Filippowna zu sehen. Er ist fasziniert von Nastasjas Schönheit, doch glaubt er, in ihrem Gesicht den Ausdruck einer leidvollen Vergangenheit zu erkennen. Schließlich erfährt er, dass sie die Geliebte ihres Pflegevaters Afanasij Iwanowitsch Tozkij ist. Dieser hat sie zwar in den Genuss einer sehr guten Erziehung kommen lassen, aber auch ihre Abhängigkeit ausgenutzt und sie zu seiner Mätresse gemacht. Nun fürchtet Tozkij, dass sich Nastasja rächen könnte. General Jepantschin möchte erreichen, dass der wohlhabende Tozkij eine seiner Töchter heiratet, und will darum Nastasja zu einer Heirat mit seinem ehrgeizigen Sekretär Ganja Ardalionowitsch Iwolgin bewegen. Jepantschin und Tozkij sind bereit, Nastasja dafür 15 000 Rubel zu bieten.

„‚Würden Sie eine solche Frau heiraten?’, fuhr Ganja fort, ohne den flammenden Blick von ihm zu wenden. ‚Ich kann überhaupt nicht heiraten, ich bin krank’, sagte der Fürst.“ (S. 49)

Eine weitere Frau erweckt die Aufmerksamkeit des Fürsten Myschkin. Es ist die jüngste Tochter des Generals Jepantschin, Aglaja Iwanowna, in die sich Myschkin Hals über Kopf verliebt.

Heiratsanträge

Eine große Erbschaft hat den Fürsten inzwischen in die Lage versetzt, heiraten zu können. Auf Nastasjas Geburtstagsfeier wird eigentlich erwartet, dass Nastasja ihre Verlobung mit Ganja Iwolgin bekannt gibt. Doch Nastasja lehnt Ganjas Heiratsantrag ab. Da erscheint Rogoschin, Myschkins Bekanntschaft aus dem Zug. Er bringt 100 000 Rubel mit: Nastasja hat einmal verlauten lassen, sie werde denjenigen heiraten, der ihr diesen Betrag zahlen könne. Voller Hohn wirft sie das Geld ins Kaminfeuer und fordert Ganja auf, die Banknoten vor dem Verbrennen zu retten. Nun sieht plötzlich Myschkin seine Chance gekommen. Er bittet Nastasja, ihn zu heiraten. Er habe in ihr eine zerbrechliche Existenz erkannt, so erklärt er ihr, die von sich selbst das Bild einer gefallenen Frau habe und ihr fehlendes Selbstwertgefühl hinter Zynismus, Spott und Hohn verberge. Doch auch Myschkins Antrag lehnt Nastasja ab. Sie sagt dem Fürsten, dass er ja noch ein Kind sei, fügt aber hinzu, dass er zu gut für sie sei und sie jemanden wie ihn nicht verdient habe. Und als habe Fürst Myschkins Antrag Nastasja umgestimmt, verlässt sie schließlich das Geburtstagsfest doch an Parfen Rogoschins Arm.

Brüderschaft mit Rogoschin

Die St. Petersburger Gesellschaft erwartet nun die baldige Hochzeit von Rogoschin und Nastasja. Im Gefühl seines Sieges verlangt Rogoschin von Myschkin, ihm zu versprechen, Nastasja nie mehr wiederzusehen. Doch Nastasja verschiebt den Hochzeitstermin immer wieder. Schließlich verlässt sie Rogoschin und zieht nach Moskau. Doch so schnell gibt Rogoschin nicht auf. Er reist hinter ihr her, auch wenn Nastasja für ihn nur Spott und Hohn übrig hat. Von Mitleid und Gewissensbissen gepackt, bricht Myschkin sein Versprechen und besucht Nastasja regelmäßig.

„Ich ... Nastasja Filippowna ... ich liebe Sie. Ich will für Sie sterben, Nastasja Filippowna. Ich erlaube keinem, ein Wort über Sie zu sagen, Nastasja Filippowna ... Wenn wir arm sein werden, will ich arbeiten, Nastasja Filippowna.“ (Fürst Myschkin, S. 216)

Eines Tages spürt Myschkin in der Menschenmenge ein Augenpaar auf sich gerichtet, und er weiß instinktiv, dass es Rogoschins Augen sind, die ihn überwachen. Der Fürst überrascht Rogoschin mit einem Besuch. Er versichert ihm, dass er ihn seinem Versprechen gemäß nicht als Konkurrenten zu fürchten braucht. Allerdings habe Rogoschin die Pflicht, fordert Myschkin, Nastasja die Fürsorge und Liebe zukommen zu lassen, die sie braucht und verdient. Rogoschin gibt im Verlauf des Gesprächs seine feindselige Haltung gegenüber Myschkin auf. Schließlich bittet er den Fürsten sogar, mit ihm Brüderschaft zu schließen und die Taufkreuze zu tauschen. Das überrascht Myschkin zwar, aber er geht dennoch darauf ein.

Mordanschlag

Wenige Tage später befindet sich Myschkin erneut in Moskau. Unwohlsein ergreift ihn, gepaart mit einem Gefühl eigentümlicher Leichtigkeit - ein epileptischer Anfall kündigt sich an. Verwirrt läuft er durch die Straßen auf der Suche nach Nastasjas Wohnung. Erneut spürt er Blicke auf sich ruhen. Und obwohl die mit Rogoschin geschlossene Brüderschaft ihm ja eigentlich verbietet, jenen zu verdächtigen, sagt ihm ein höheres Bewusstsein, dass Rogoschin ihn wieder beobachtet. Als Myschkin sich entschließt, in sein Hotel zurückzukehren, lauert ihm Rogoschin auf und erhebt ein Messer gegen ihn. Genau in diesem Moment ereilt den Fürsten der Anfall. Er stürzt zu Boden, noch bevor Rogoschin zustechen kann, und bleibt regungslos liegen. Rogoschin flieht.

„Du willst, dass wir die Kreuze tauschen? Gut, Parfen, wenn du das wünschst, freut es mich. Seien wir Brüder!“ (Fürst Myschkin, S. 291)

Der Beamte Lukjan Lebedew, ein Freund und Bewunderer Myschkins, findet ihn und pflegt ihn in seinem Haus gesund. Da er glaubt, dass dem Fürsten eine Sommerfrische gut tun würde, nimmt er ihn einige Tage später mit in sein Landhaus nach Pawlowsk in der Nähe von St. Petersburg.

In die Enge getrieben

Dort finden sich auch die Jepantschins und die Iwolgins mit ihren Mietern ein. Die Gäste bringen Myschkin in Verlegenheit, indem sie sich darin gefallen, eine Verbindung zwischen der nun für alle sichtbar gewordenen angeschlagenen Gesundheit des Fürsten und seiner außergewöhnlichen Andersartigkeit, insbesondere seiner Vertrauensseligkeit und Naivität herzustellen. Als dann ein gewisser Antip Burdowskij auftaucht, der sich als unehelicher Sohn Pawlistschews, des Pflegevaters von Fürst Myschkin, ausgibt, gerät der Aufenthalt in Pawlowsk für Myschkin zu einem wahren Spießrutenlauf. Burdowskij erdreistet sich, die reiche Erbschaft, in deren Genuss Myschkin gekommen ist, als unrechtmäßig zu bezeichnen, und meldet seine eigenen Erbansprüche an. Trotz des unsympathischen Erscheinungsbildes, das Burdowskij abgibt, stellt sich die Gesellschaft auf seine Seite. Der Fürst geht in die Defensive. Der ihm eigene Hang zur Bescheidenheit und Selbstkasteiung, sein Wille, höflich bleiben zu wollen und sich nicht aus der Reserve locken zu lassen, verfehlen jedoch ihre Wirkung nicht: Nach und nach beruhigen sich die Gemüter, zumal sich herausstellt, dass Burdowskij gelogen hat. Myschkin lässt Burdowskij dennoch aus Mitleid 10 000 Rubel zukommen.

Zwischen zwei Frauen

Aglaja Jepantschina ist die Einzige, die erkennt, dass Myschkin aufgrund seines Naturells immer wieder Gefahr laufen wird, sich dieser Art von Manipulation auszusetzen. Wenn sich Myschkin nicht endlich vor diesen Leuten - und damit meint sie nicht zuletzt auch die Mitglieder ihrer eigenen Familie - in Acht nehme, flüstert sie dem Fürsten ins Ohr, so habe er sie, Aglaja, für immer verloren.

„‚Wenn Sie diese gemeinen Menschen nicht sofort abschütteln, so werde ich Sie allein mein Leben lang, mein ganzes Leben lang hassen!’, flüsterte Aglaja.“ (S. 395)

Myschkin und Nastasja gehen durch ein Wechselbad der Gefühle. Aus ihrer wachsenden Aversion gegenüber dem unsensiblen Rogoschin erwächst in Nastasja die Bereitschaft, Myschkin zu heiraten. Als ihr aber die starke Zuneigung Myschkins zu Aglaja bewusst wird, kehrt sie wieder zu Rogoschin zurück. Nastasja schreibt der Generalstochter Aglaja Briefe, in denen sie ihr mitteilt, dass sie der Verbindung des Fürsten mit ihr nicht im Wege stehen wolle. Tatsächlich verlobt sich der Fürst mit Aglaja. Doch die Verbindung steht unter einem schlechten Stern. Immer wieder lässt sich auch Aglaja dazu hinreißen, den Fürsten wegen seiner Ungeschicklichkeiten zu kritisieren. Momente der Harmonie wechseln mit Spannungen und Häme, die von der jungen Frau in die Beziehung getragen werden. Dahinter verbergen sich deutlich Anzeichen der Angst, Myschkin wieder an Nastasja zu verlieren.

Die Waffen der Frauen

Aglaja empfindet Nastasjas briefliche Einmischung in ihr Gefühlsleben als eine Zumutung, umso mehr, als ihr die Beziehung, die der Fürst zu Nastasja unterhält, gänzlich unverständlich geworden ist. Bei einem Zusammentreffen Aglajas mit Nastasja, Rogoschin und dem Fürsten kommt es zum Eklat. Mit unvermuteter Schärfe greift Aglaja Nastasja an und reißt alte Wunden auf. Sie wirft Nastasja vor, was diese schon längst selbst bereut, nämlich zu lange bei Tozkij geblieben zu sein, um sich selbst als dessen Opfer bemitleiden lassen zu können. Sie habe ihren schlechten Ruf also durchaus zu Recht. Nastasja rächt sich nun, indem sie gerade diesen Ruf bestätigt: Wenn sie, Nastasja, sich entschließe, Myschkin zu heiraten, so könne sie niemand daran hindern; sie bestimme allein über ihr und Myschkins Schicksal. Angesichts dieser Zuspitzung der Situation muss Myschkin eine Entscheidung treffen. Angst steigt in ihm hoch. Er glaubt, dass Nastasja dem Wahnsinn nahe ist, und dass dieser Entwicklung nur Einhalt geboten werden kann, wenn er sie heiratet.

Flucht in den Tod

Der Fürst ergreift demonstrativ Nastasjas Partei und lässt es zum Bruch mit Aglaja kommen. Myschkin würde sich allerdings untreu werden, wenn er nicht auch in dieser Situation noch hoffte, Aglaja behalten zu können. Doch statt der davonlaufenden Aglaja unmittelbar zu folgen, kümmert sich der Fürst um Nastasja, die in Ohnmacht gefallen ist. Aglaja verlässt ihn daraufhin. Sie verlobt sich zum Entsetzen ihrer Familie mit einem jungen polnischen Anarchisten. Jetzt willigt Nastasja erneut ein, Myschkin zu heiraten. Es wird ein Tag festgelegt, an dem die Trauung vollzogen werden soll. Myschkin merkt allerdings schon bald, dass sich Nastasja ihm erneut zu entziehen droht. Auf dem Weg zum Traualtar flüchtet sie dann auch tatsächlich wieder in die Arme Rogoschins, der sich dieses Mal alle Mühe gibt, die Spuren seiner Flucht mit der Geliebten zu kaschieren, damit Myschkin sie nicht findet. Ohne Erfolg freilich: Myschkin lässt sich durch die falschen Spuren, die Rogoschin legt, nicht beirren und findet ihn schließlich zu Hause im Halbdunkel sitzen - vor der Leiche Nastasjas, die auf seinem Bett liegt. Myschkin wankt, er glaubt den Boden unter den Füßen zu verlieren, doch gegenüber Rogoschin verhält er sich, als ob ihn das Geschehene nicht überrasche.

Gemeinsame Totenwache

Als er wieder von einem jener höheren Bewusstseinszustände ergriffen wird, die seinen epileptischen Anfällen stets vorausgehen und die ihn instinktiv das Richtige tun oder denken lassen, setzt sich Myschkin zu Rogoschin neben das Bett, auf dem die Tote liegt. Rogoschin hat Nastasja ermordet - mit demselben Messer, das er zuvor auch gegen den Fürsten erhoben hat. Nun zeigt der Mörder Myschkin die Wunde, die sein Stich in Nastasjas Herz hinterlassen hat. Es ist gar kein Blut aus dem Körper der Frau geflossen, es ist nach innen gelaufen, stellen die beiden Männer überrascht fest. Gemeinsam wachen sie am Bett der Toten. Als man sie am nächsten Morgen findet, hat sich eine fiebrige Bewusstlosigkeit Rogoschins bemächtigt. Sie ist der Vorbote einer Gehirnentzündung, unter der er in den folgenden Wochen leiden wird. Auch Myschkin scheint nicht mehr von dieser Welt zu sein. Mit fahrigen Gesten streichelt er Rogoschin über Kopf und Wangen. Die Fragen, die auf die beiden einströmen, hören sie gar nicht. Wie abwesend sitzen sie da, unfähig sich zu den Vorfällen der Nacht zu äußern.

„Die freudige Stimmung der Familie währte nicht lange. Tags darauf überwarf sich Aglaja wieder mit dem Fürsten, und so ging es ununterbrochen, all die folgenden Tage.“ (S. 678)

Nach mehrmonatiger Krankheit wird Rogoschin zu 15 Jahren Arbeitslager in Sibirien verurteilt. Auf die Eingabe seines Verteidigers vor Gericht, die Tat seines Mandanten hänge ursächlich mit jener Gehirnentzündung zusammen, geht der Richter nicht ein. Fürst Myschkin aber bringt man zurück in seine Schweizer Heilanstalt, wo er in einer bewusstseinsgestörten Existenz dahinvegetiert.

Zum Text

Aufbau und Stil

Der Roman Der Idiot gliedert sich in vier Teile von annähernd gleicher Länge. Diese umfassen zwischen 10 und 16 Kapiteln. An der großen Anzahl von Kapiteln wird deutlich, dass das Buch zunächst ein Fortsetzungsroman war, der über ein Jahr lang in einer Zeitschrift erschien und in Buchform etwa 800 Seiten ausmacht. Jeder der vier Teile beginnt mit einer Art Exposition, die für einen Fortsetzungsroman typisch ist, weil der Leser über einen längeren Zeitraum "bei der Stange gehalten" werden soll, ihm also auch die wichtigen Begebenheiten wiederholt werden müssen, die er evtl. vergessen hat. In diesen Einleitungen verzögert der Autor für eine kurze Zeit die Handlung des Romans, die rund acht Monate umfasst, und wendet sich nicht selten auch in einer unmittelbaren Ansprache an den Leser. Obwohl es im Roman zu häufigen Ortswechseln kommt, beschränken sich die Beschreibungen der Örtlichkeiten auf wenige Sätze, wie es sonst etwa bei szenischen Anweisungen auf der Bühne der Fall ist. Auffallend ist das Wechselspiel zwischen Empfängen, Feiern und anderen gesellschaftlichen Großanlässen einerseits und der unmittelbaren Fokussierung auf wenige Personen andererseits. Entsprechend zahlreich sind denn auch die Dialoge in diesem Roman. Dostojewski nutzt diese Gespräche mit ihrer Engagiertheit und ihrer Explosivität der Sprache sowie eine Vielzahl von inneren Monologen, um die Personen abwechselnd mal von der Außen- und mal von der Innensicht her zu betrachten. Obwohl sich die Handlungsstränge des Romans im Rhythmus seiner dialogischen Struktur kompliziert ineinander verschlingen, laufen schließlich doch alle Fäden auf Myschkin zu.

Interpretationsansätze

  • Mit Fürst Myschkin wollte Dostojewski einen "wahrhaft vollkommenen und schönen Menschen" darstellen, eine Art moderne Christusfigur. Myschkins Epilepsie kann als eine natürliche Reaktion, als eine Art Protest gegen die entfremdete Gesellschaft gedeutet werden. Dass die Krankheit auch eine Selbstschutzfunktion hat, wird in dem Moment deutlich, als sie ihm bei Rogoschins Mordversuch das Leben rettet.
  • Alle Figuren im Roman glauben an die Käuflichkeit der Liebe - außer Myschkin und Nastasja. Dafür zahlen sie einen hohen Preis: ihre Selbstzerstörung. Myschkin verbraucht sich in dem ständigen Bemühen, trotz seiner Andersartigkeit das Vertrauen der Menschen zu gewinnen. Der von Schuldgefühlen geplagten Nastasja kann Myschkin letztlich nicht helfen: Sie holt sich ihre Strafe bei Rogoschin.
  • Rogoschin erscheint wie ein Schatten des Fürsten, wie das Böse, das Myschkin nicht als Teil seiner selbst anerkennt. Vor dem Leichnam Nastasjas werden Rogoschin und Myschkin gleich, weil sie beide versagt haben.
  • Der ständige Wechsel der Heiratsabsichten Nastasjas und Myschkins wirkt absurd und bringt auch ein satirisches Element in den Roman. Myschkin erscheint so als tragikomische Figur.
  • Hans Holbeins Gemälde "Der tote Christus", von dem eine Kopie in Rogoschins Wohnung hängt, war eine Provokation für die orthodoxe Kirche Russlands, in der Christus niemals tot gezeigt wird. Das Bild dient im Roman als Symbol für den Einzug der westlichen Aufklärung ins orthodox-religiöse Russland.

Historischer Hintergrund

Die Modernisierung Russlands

Dostojewskis Roman Der Idiot rückt mit der Figur des Fürsten Myschkin das destabilisierte Selbstbewusstsein der russischen Oberschicht in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in den Vordergrund. Es ist die Zeit nach der Aufhebung der Leibeigenschaft im Jahr 1861, die letzte Phase der unter Zar Peter dem Großen begonnenen Öffnung Russlands gegenüber dem westlichen Europa. Eine Folge der Bauernbefreiung waren massive Gewinneinbußen des Landadels, der in die Städte zog, um mit Geldgeschäften und im Handel zu überleben oder in der Industrie Fuß zu fassen, was häufig nicht gelang. Die Folge: Um zu Geld zu kommen, vermieteten viele Adlige ihre Stadtwohnungen und lebten gar mit den Mietern zusammen - eine Situation, die auch in Der Idiot geschildert wird. Das wohlhabende städtische Bürgertum erhielt mit dem Adel nun Konkurrenz und kämpfte um seine Pfründe - und zugleich gemeinsam mit dem Adel gegen die Arbeiterbewegung. Alle Bevölkerungsschichten teilten im damaligen Russland das Schicksal, politisch kaum etwas bewegen zu können. Das zaristische Regime war im Unterscheid zu den Monarchen der westeuropäischen Länder nicht willens, eine Verfassung zu akzeptieren und Macht abzugeben. Mit einer straff organisierten Polizei und einem effizienten Spitzelsystem wurde die Kontrolle über die gesamte Gesellschaft ausgeübt. So entstand die weit verbreitete Tendenz zum Rückzug ins Private, in die kleine, überschaubare Welt der Familie und des Freundeskreises. Insbesondere der Heiratsmarkt geriet zu einer wichtigen Größe in den familiären Bereicherungs- und Absicherungsstrategien. Der richtige Ehepartner wurde nicht selten durch Bezahlung riesiger Geldsummen gefunden, ganz so als werde in Maschinen investiert.

Entstehung

Dostojewski schrieb große Teile des Romans zwischen September 1867 und Januar 1869 außerhalb Russlands, als er sich, vor seinen Gläubigern fliehend, in Deutschland, in der Schweiz und in Italien aufhielt. Die St. Petersburger Zeitung Russkij vestnik hatte dem ständig in Geldnot lebenden Autor einen bedeutenden Vorschuss bezahlt, dem dieser nun durch termingenaue Lieferungen gerecht werden musste. Immer wieder warf den Autor allerdings familiäres Unglück zurück, z. B. der Tod seiner beiden gerade geborenen Töchter. Der Roman erschien in Russkij vestnik von 1868 bis 1869 in Fortsetzungen. Dostojewski glaubte den Verfall der Moral in Russland mit dem Einfluss des römischen Katholizismus und der westlichen Lebensform erklären zu können. In Basel sah er Hans Holbeins Gemälde "Der tote Christus". Christus tot statt leidend darzustellen, war im orthodoxen Russland völlig unmöglich. Dostojewski erkannte in diesem Bild einen Autoritätsverlust der Kirche und der Moral allgemein, der nun seiner Meinung nach auch in Russland zu spüren war. Dem stellte er mit dem Fürsten Myschkin einen "im positiven Sinne schönen Menschen" gegenüber, der christusähnliche Züge trägt. Eine weitere Inspiration war für Dostojewski Miguel de Cervantes’ Don Quijote: Der ebenso naive wie herzensgute Ritter von der traurigen Gestalt kann durchaus als Vorbild für Myschkin angesehen werden. Als Dostojewski die ersten Kapitel an die Redaktion von Russkij vestnik schickte, wusste er noch nicht, wie sich der Roman und seine Figuren entwickeln würden. Immer wieder konzipierte er die Handlung neu. Erst nach einigen Wochen sei ihm bewusst geworden, so schrieb er damals an seinen Verleger, dass das Paradox des Romans darin bestehen würde, dass sich sowohl Rogoschin als auch Myschkin selbst zerstören würden - jener aufgrund seiner Bösartigkeit, dieser wegen seiner Güte.

Wirkungsgeschichte

Dass der Roman Der Idiot ein Publikumserfolg werden sollte, war für Dostojewski zu einer Frage des materiellen Überlebens geworden. Im Gegensatz zu den meisten seiner Schriftstellerkollegen war Dostojewski gezwungen, von seinen Einkünften als Autor zu leben - was ihm wegen seiner Spielsucht mehr schlecht als recht gelang. Eine Neuerung, die sich Dostojewski mit Autoren des deutschen Realismus, insbesondere mit Georg Büchner, teilte, war die Erkenntnis, dass ganz normale Alltagsmenschen die künftigen Protagonisten der Literatur sein würden. Gerhart Hauptmann wies auf die theatralische Struktur des Dostojewski’schen Werkes hin. Tatsächlich begannen in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts Umschreibungen des Romans für das Theater Aufmerksamkeit zu erregen. Seit 1945 gehören Inszenierungen des Idiot-Stoffes weltweit zu den meistgespielten Stücken überhaupt. Bekannt ist auch die Verfilmung des Japaners Akira Kurosawa unter dem Titel Hakuchi aus dem Jahr 1951. Kurosawa wollte die Scheinmoral in der St. Petersburger Gesellschaft zeigen - ein Reflex auf die nach dem Zweiten Weltkrieg in einer tiefen moralischen Krise befindliche japanische Gesellschaft. Die sowjetische Verfilmung aus dem Jahr 1958 wartete mit einem Paradox auf: Dostojewskis Kritik am römischen Katholizismus münzte Regisseur Iwan Pyrjew in den moralischen Überlegenheitsanspruch des Kommunismus gegenüber dem Kapitalismus um. Der Rolle des Myschkin verdankte der junge Klaus Kinski 1953 in einer denkwürdigen Inszenierung am Berliner Hebbel-Theater seinen Durchbruch. Eine der letzten großen Theaterinszenierungen des Romans im deutschen Sprachraum stammt von Frank Castorf im Jahr 2002.

Über den Autor

Fjodor M. Dostojewski wird am 11. November 1821 als zweites von insgesamt acht Kindern in einem Moskauer Armenhospital geboren. Nach einer Jugendzeit in mehr als bescheidenen Verhältnissen tritt er gemeinsam mit seinem Bruder im Jahr 1838 in die Petersburger Militärakademie ein. Nach Beendigung des Studiums erhält Dostojewski 1843 eine Anstellung im Kriegsministerium. Dort hält es ihn aber nicht lange: Er quittiert den Dienst, trotz massiver finanzieller Probleme, bereits ein Jahr später. Sein Ziel: Er will Schriftsteller werden. Sein Erstling, der Briefroman Arme Leute (1846), macht ihn schlagartig berühmt. Die intensive Arbeit an weiteren Werken und die Versagensangst führen zu ersten epileptischen Anfällen. 1849 wird er wegen Mitgliedschaft im revolutionären Petraschewski-Kreis, einer Art Geheimbund, zum Tode verurteilt. Buchstäblich in letzter Sekunde, bereits auf dem Richtplatz, wird er jedoch vom Zaren begnadigt und mit vier Jahren Zwangsarbeit und vier Jahren Militärdienst bestraft. Während der Zeit in Sibirien tritt er zum christlichen Glauben über. 1854 lernt er Marja Dimitrijewna kennen, die er 1857 heiratet. Nach Beendigung des Militärdienstes kehrt er 1859 nach Moskau zurück. Die Aufzeichnungen aus einem Totenhaus, eine Beschreibung seiner Verbannung in Sibirien, erscheinen 1861 in der von Dostojewski gegründeten Zeitschrift Vremja. Im nächsten Jahr unternimmt er seine erste Europareise und ein Jahr darauf eine zweite. Dostojewski ist ein Spieler, der wegen seiner Sucht hohe Schulden macht. Nach der dritten Europareise erscheinen 1866 die Romane Schuld und Sühne und Der Spieler. Bis 1871 reist er auf der Flucht vor seinen Gläubigern durch Europa und hält sich unter anderem in Florenz auf, wo er Der Idiot beendet. Der Roman Die Dämonen (1871) wird ein großer Erfolg, ebenso Die Brüder Karamasow (1879). Am 9. Februar 1881 stirbt Dostojewski in St. Petersburg an den Folgen seiner Epilepsie und einem Lungenleiden.

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