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Der seltsame Fall von Dr. Jekyll und Mr. Hyde

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Der seltsame Fall von Dr. Jekyll und Mr. Hyde

Diogenes Verlag,

15 Minuten Lesezeit
12 Take-aways
Text verfügbar

Was ist drin?

„Sei ganz du selbst“ muss nicht immer ein guter Ratschlag sein. Stevensons berühmte Doppelgängergeschichte: ungeheuerlich!


Literatur­klassiker

  • Novelle
  • Viktorianische Ära

Worum es geht

Das Gute und das Böse im Menschen

In der berühmten Erzählung Dr. Jekyll und Mr. Hyde beschreibt Stevenson den Fall des Wissenschaftlers Dr. Jekyll, dem es gelingt, den schlechten Teil seines Wesens von sich abzuspalten und zu einer eigenen Person zu machen. Der so entstandene Mr. Hyde verfolgt ohne Gewissen und Moral seine Triebe und Leidenschaften bis hin zu einem sinnlosen Mord. Stevenson schreibt zunächst aus der Perspektive eines Beobachters: So gelingt es ihm, die Qualen Jekylls und die Taten sowie den Charakter Hydes getrennt voneinander darzustellen. Erst durch den anschließend wiedergegebenen Bericht Dr. Jekylls wird das Rätsel gelöst. Die Novelle schildert einerseits die Gefahren, die aus einer völligen Abwendung von jeglicher Moral resultieren, andererseits auch die Folgen zu strenger Moralvorstellungen und der Verdrängung dunkler Triebe. Obwohl die Geschichte heute durch zahlreiche Adaptionen bekannt ist, bleibt Dr. Jekyll und Mr. Hyde ein spannendes und meisterhaft erzähltes Stück Weltliteratur, das auch über 100 Jahre nach seinem Erscheinen fesselnde Einblicke in die Untiefen der menschlichen Natur erlaubt.

Take-aways

  • Dr. Jekyll und Mr. Hyde ist neben Die Schatzinsel Stevensons bekanntestes Werk.
  • Die Erzählung ist Horrorgeschichte und psychologische Studie zugleich.
  • Der Anwalt Mr. Utterson macht sich Sorgen um seinen Freund Dr. Jekyll, der anscheinend von einem gewissen Mr. Hyde erpresst wird.
  • Durch Uttersons Nachforschungen kommen die negativen Charaktereigenschaften von Mr. Hyde ans Licht.
  • Schließlich wird er sogar dabei beobachtet, wie er einen Mord begeht.
  • Obwohl die Polizei eine ausgedehnte Suche beginnt, bleibt der Mörder verschwunden. Währenddessen zieht sich Dr. Jekyll immer mehr zurück.
  • Als Utterson sich schließlich mit Gewalt Zutritt zu Jekylls Arbeitszimmer verschafft, findet er die Leiche von Hyde.
  • In einem hinterlassenen Manuskript beschreibt Jekyll, wie er sich in Mr. Hyde verwandelt hat und warum.
  • Nachdem er seinem zweiten, bösen Ich immer mehr Freiheiten gelassen hatte, gewann dieses die Oberhand über Jekyll, sodass er sich nicht mehr zurückverwandeln konnte.
  • Jekylls Bericht bildet den Schlusspunkt der Novelle und stellt die zuvor beschriebenen rätselhaften Vorkommnisse in einen sinnvollen Zusammenhang.
  • Die Novelle wurde in über 100 Film- und Fernsehproduktionen aufgegriffen und gilt heute als eine der meistverfilmten Geschichten.
  • Das Thema des selbst erschaffenen Bösen, das außer Kontrolle gerät, findet sich in zahlreichen Romanen des 19. Jahrhunderts wieder, z. B. in Mary Shelleys Frankenstein.

Zusammenfassung

Eine seltsame Geschichte

Der Anwalt Mr. Utterson ist ein ruhiger und vernunftbetonter Mann in den besten Jahren, der seine Leidenschaften streng beschränkt, sich jedoch den Fehlern anderer gegenüber immer verständnisvoll zeigt. So ist er dafür bekannt, auch dann noch zu seinen Freunden zu halten, wenn sich alle anderen aus irgendeinem Grund von ihnen abgewandt haben. Zu seinen Freunden zählt auch sein entfernter Verwandter Mr. Enfield, mit dem er jede Woche einmal spazieren geht. Bei einem ihrer Treffen gelangen sie zu einem Haus, das ihre Aufmerksamkeit weckt, weil es in einer ansonsten eher gepflegten Gegend durch seine Verwahrlosung auffällt. Enfield sagt zu Utterson, dass er eine merkwürdige Geschichte über den Bewohner dieses Hauses kenne. Auf das Drängen seines Freundes hin erzählt er von seiner Begegnung mit einem gewissen Mr. Hyde. Dieser hat eines Tages unweit des Hauses ein kleines Mädchen umgestoßen, ist dann sogar noch auf sie getreten und, ohne sich darum zu kümmern, weitergegangen. Enfield folgte dem Mann, ergriff ihn und führte ihn zurück zum Tatort, wo sich bereits die wütenden Angehörigen des Kindes versammelt hatten und Schadenersatz forderten. Daraufhin stellte der Täter einen Scheck aus, allerdings auf einen Namen, den Enfield nun nicht preisgeben will, da es sich um einen Freund Uttersons handelt. Utterson meint aber bereits zu wissen, wessen Name auf dem Scheck stand.

Utterson belauert Hyde

Zutiefst beunruhigt vom Gehörten kehrt Utterson in sein Büro zurück und holt das Testament seines Freundes Dr. Jekyll hervor, das ihn bereits beim ersten Lesen misstrauisch gemacht hat. Darin hat Jekyll festgelegt, dass im Falle seines Ablebens oder Verschwindens sein gesamtes Vermögen sofort und ohne weitere Untersuchungen auf einen gewissen Mr. Hyde übertragen werden soll. Utterson erscheint es merkwürdig, dass Dr. Jekyll so deutlich auf den Fall seines möglichen Verschwindens eingeht, und beschließt aufgrund des schlechten Bildes, das er durch Enfield von Hyde erhalten hat, die Angelegenheit mit einem gemeinsamen Freund, Dr. Lanyon, zu besprechen. Im Gespräch findet Utterson heraus, dass Lanyon sich schon seit längerer Zeit von Jekyll distanziert hat, weil dieser auf wissenschaftliche Abwege geraten sei. So beschließt der Anwalt, den mysteriösen Partner von Jekyll zu beschatten. Nach mehreren erfolglosen Versuchen trifft er ihn schließlich vor seiner Haustür und spricht ihn an. Ohne es genau erklären zu können, empfindet er tiefe Abscheu gegenüber dem Mann. Sie unterhalten sich kurz und Hyde will wissen, woher er von ihm wisse und wie er ihn erkannt habe. Als Utterson andeutet, er habe über Jekyll von ihm erfahren, bezichtigt Hyde ihn der Lüge und verschwindet ins Haus.

Gespräch mit Dr. Jekyll

Verwirrt macht sich Utterson auf den Weg zu Jekyll, um ihn nach seiner Verbindung zu diesem merkwürdigen Mann zu fragen. Vom Hausdiener Poole erfährt er, dass Dr. Jekyll ausgegangen ist. Utterson befragt den Diener zu Hyde, und Poole teilt ihm mit, dass dieser nach Belieben im Haus des Doktors ein- und ausgehen könne und dass die Dienerschaft von Jekyll angewiesen worden sei, Hyde zu gehorchen. Utterson kommt zu dem Schluss, dass Hyde die Folge eines früheren Fehltritts seines Freundes sein muss und dass er Jekyll in irgendeiner Form erpresst. Er befürchtet, dass Hyde, sobald er von dem Testament erfährt, den Tod von Jekyll herbeiführen könnte. Als Utterson zwei Wochen später bei Jekyll zu Gast ist, spricht er ihn auf sein Testament an. Jekyll ahnt sofort, worum es geht und weigert sich, über Hyde zu sprechen. Er versichert Utterson aber, dass Hyde keine Gefahr für ihn darstelle und dass er ihn jederzeit wieder loswerden könne.

Ein Mord

Etwa ein Jahr später wird das hochrangige Parlamentsmitglied Sir Carew ermordet aufgefunden. Eine Zeugin sagt aus, sie habe den vornehmen Herrn zur Tatzeit beobachtet, als ein anderer, kleinerer Mann zu ihm gestoßen sei. Carew stellte diesem eine Frage, und als der andere sich zur Seite drehte, erkannte das Mädchen ihn als Mr. Hyde. Dieser antwortete nicht auf die Frage, sondern schlug sein Gegenüber ohne erkennbaren Grund mit seinem Stock nieder, dann trat und schlug er so lange zu, bis Carew tot war. Die Polizei findet neben der Leiche die Hälfte des Stocks, mit dem das Opfer niedergeschlagen worden ist, und einen Brief an Mr. Utterson, den Carew wohl gerade zur Post bringen wollte. So wird Utterson zur Identifizierung der Leiche herangezogen und nach Hyde befragt. Da er den Stock wiedererkennt, den er selbst Jahre zuvor Jekyll geschenkt hat, besteht für ihn kein Zweifel an der Schuld Hydes, und er erklärt sich bereit, die Polizei zu dessen Haus zu führen. Hyde ist nicht mehr dort. Bei der Durchsuchung der Wohnung stellen die Beamten und der Anwalt fest, dass Hyde sie offenbar eilig verlassen und zuvor noch einige Dokumente und sein Scheckbuch verbrannt hat. Sie finden auch die andere Hälfte des Stocks, mit der sie Hyde überführen wollen.

Jekyll verhält sich merkwürdig

Noch am gleichen Tag sucht Utterson Jekyll auf, um mit ihm über die Geschehnisse zu sprechen und ihn vor Hyde zu warnen. Jekyll wirkt krank und schwach. Er weiß bereits von den Vorfällen und schwört, von nun an nichts mehr mit Hyde zu tun haben zu wollen. Er übergibt Utterson einen Brief, der von Hyde stammen soll. In diesem bedankt er sich bei Jekyll für dessen Großzügigkeit und berichtet, er habe die Möglichkeit zur Flucht. Jekyll bittet Utterson, den Brief an sich zu nehmen und für ihn zu entscheiden, was mit dem Schreiben geschehen soll. Utterson beschließt, seinem Mitarbeiter Mr. Guest, der sich mit der Deutung und der Analyse von Handschriften beschäftigt, den Brief zu zeigen und ihn um Rat zu fragen. Dieser vergleicht Hydes Brief mit einem zufällig gerade in diesem Moment eintreffenden Schreiben von Jekyll und stellt fest, dass sich die Handschriften kaum unterscheiden. Utterson ist bestürzt darüber, dass Jekyll offenbar einen Brief fälscht, um einen Mörder zu decken.

„Mr. Hyde war bleich und gnomenhaft. Er machte den Eindruck eines Verwachsenen, ohne dass man einen Defekt anzugeben vermochte. Er hatte ein unangenehmes Lächeln.“ (S. 24)

Von dem Einfluss Hydes befreit, kehrt Dr. Jekyll in der folgenden Zeit zu seinem alten Leben zurück. Doch etwa zwei Monate nach dem Verschwinden Hydes zieht er sich plötzlich wieder von allem zurück und empfängt keine Gäste mehr. Da sich in der Zwischenzeit auch Jekyll und Lanyon wieder angenähert haben, besucht Utterson diesen, um vielleicht von ihm erfahren, was mit Jekyll los ist. Er trifft den alten Freund todkrank an. Utterson hat den Eindruck, dass er durch irgendetwas zutiefst verängstigt ist. Als Utterson Jekyll erwähnt, stellt Lanyon klar, dass er nie wieder etwas mit ihm zu tun haben will; er sagt aber nicht, warum. Auf seine Anfrage hin erhält der Anwalt am folgenden Tag einen Brief von Jekyll, in dem er schreibt, dass er das Verhalten von Lanyon gut verstehen könne und dass er selbst beschlossen habe, sich von nun an völlig von der Welt zurückzuziehen. Er bittet Utterson, diese Entscheidung zu achten und ihn nicht mehr zu besuchen.

„Jetzt durchbrach Mr. Hyde alle Schranken, knüttelte ihn nieder, und im nächsten Augenblick, mit der Raserei eines Affen, trampelte er sein Opfer unter die Füße und ließ einen ganzen Hagel von Schlägen auf den Wehrlosen niedersausen, unter deren Wucht die Knochen krachten und der entseelte Körper auf dem Fahrdamm zuckte.“ (S. 34)

Drei Wochen später stirbt Dr. Lanyon an einer schon länger andauernden Krankheit. Utterson besitzt einen Brief von ihm, der erst bei seinem Ableben geöffnet werden soll. Im Kuvert findet er einen weiteren Umschlag, der wiederum erst nach dem Tod von Dr. Jekyll geöffnet werden darf. Obwohl er neugierig auf den Inhalt ist, lässt Utterson den Brief verschlossen.

Mr. Hyde begeht Selbstmord

Eines Nachts kommt Jekylls Diener Poole zu Utterson und bittet ihn, ihm zu folgen. Er mache sich große Sorgen um seinen Herrn. Vor dem Arbeitszimmer Jekylls angekommen, hört Utterson, dass sich die Stimme seines Freundes stark verändert hat. Poole vermutet, dass sich nicht Jekyll, sondern Hyde in dem Raum befindet und dass dieser den Doktor schon eine Woche zuvor umgebracht hat. Weiter berichtet der Diener, dass er den Doktor in der letzten Zeit nicht gesehen und nur auf Zettel gekritzelte Anordnungen auf der Treppe gefunden habe. Er sollte jeweils bestimmte Arzneien bei verschiedenen Apothekern der Stadt kaufen, musste sie in den meisten Fällen aber mit einer Beschwerde wieder zurückbringen. Dann habe er den Mann gesehen, der sich nun im Arbeitszimmer des Doktors verstecke. Er schwört, dass es Mr. Hyde war. Auf diese Aussage hin beschließt Utterson, die Tür aufzubrechen. Drinnen stoßen sie auf die Leiche von Hyde, der sich offensichtlich selbst vergiftet hat. Die Suche nach Jekyll bleibt ergebnislos. Im Raum finden sich die Überreste verschiedener Experimente, die offenbar in großer Hast durchgeführt worden sind, sowie einen an Utterson adressierten Briefumschlag, der ein neues Testament Jekylls, einen kurzen Brief und ein längeres Manuskript enthält. In dem kurzen Schreiben bittet Jekyll Utterson, zunächst den Bericht von Lanyon zu lesen und dann, wenn er mehr erfahren möchte, sein eigenes Geständnis.

Dr. Lanyons Bericht

Lanyon berichtet, wie er einen Brief von Dr. Jekyll erhalten hat, in dem dieser ihn bat, in sein Arbeitszimmer zu gehen, eine Schublade samt deren Inhalt an sich zu nehmen und sie bei sich zu Hause zu verwahren, bis sie von einem Boten abgeholt würde. Lanyon befolgte die Anweisungen, weil er sich um Jekyll sorgte, und erwartete abends den Boten, der um Punkt Mitternacht kommen sollte. Lanyon sah sich den Inhalt der Schublade genauer an und entdeckte eine Phiole mit einer blutroten Flüssigkeit, ein weißes Salz und ein Notizbuch, das merkwürdige Formeln, Daten und einige Notizen enthielt, auf die er sich keinen Reim machen konnte. Schließlich erschien um zwölf Uhr Mr. Hyde an seiner Tür und gab sich als Jekylls Bote aus. Als Lanyon ihm die Schublade gab, mischte er sofort eine kleine Menge der Flüssigkeit mit dem Salz und nahm den Trank ein. Mit Grauen beobachtete Lanyon, wie sich Hydes Körper verformte, um sich schließlich in Dr. Jekyll zu verwandeln.

Dr. Jekylls Geständnis

Schon früh bemerkte Dr. Jekyll, wie er in seinem Bericht schreibt, dass er einerseits eine sehr ernste, wissenschaftliche und andererseits eine zur Vergnügungssucht neigende Seite hatte, die er, wenn er beruflich erfolgreich sein wollte, verbergen musste. Diese Ambivalenz seines Wesens versuchte er zu umgehen, indem er Möglichkeiten erforschte, tatsächlich eine Seite von der andern zu trennen. Schließlich fand er eine Substanz, die diese Trennung herbeiführen konnte, und testete sie nach einigem Zögern an sich selbst. Er verwandelte sich in Hyde, in dem alle dunklen Seiten Jekylls zusammengefasst waren, der keine moralischen Grenzen und kein Gewissen kannte. Doch Jekyll musste erkennen, dass die von ihm erfundene Droge nur in eine Richtung funktionierte: Als Hyde war er nur böse, doch als Jekyll blieb er weiter die gespaltene Person, die er vorher war. Um sich als Hyde vollkommen frei bewegen zu können, trennte Jekyll die beiden Identitäten voneinander, kaufte für sein anderes Ich ein Haus, stellte es seiner Dienerschaft vor und legte sogar ein eigenes Bankkonto an. Schließlich setzte er Hyde in seinem Testament als Erben ein, falls er einmal entscheiden sollte, sein altes Leben völlig hinter sich zu lassen.

„Gerüchte tauchten auf über des Mannes Grausamkeit, über seine Hartherzigkeit und seinen Jähzorn, über seinen gemeinen Lebenswandel, seinen seltsamen Umgang, über den Hass, den er auf Schritt und Tritt aussäte; doch über seinen gegenwärtigen Aufenthalt auch nicht ein Wispern.“ (über Hyde, S. 49)

Lange Zeit ging alles gut, doch eines Morgens erwachte er als Hyde – ohne zuvor den Trank genommen zu haben. Schockiert über dieses Ereignis beschloss er, zu seinem alten Leben zurückzukehren und sich für immer von Hyde zu trennen. Zwei Monate blieb er bei diesem Vorsatz, frischte alte Freundschaften auf, lud Bekannte ein und engagierte sich für wohltätige Zwecke. Doch Hyde forderte immer stärker sein Recht. Schon bald konnte Jekyll dem Drang zur Verwandlung nicht mehr widerstehen und nahm den Trank. Nach so langer Zeit der Gefangenschaft, in der sich Zorn und Wut aufgestaut hatten, brach Hyde los und tötete schließlich Sir Carew. Jekyll reagierte mit gemischten Gefühlen auf diese Tat: Er war entsetzt über den kaltblütigen Mord, doch zugleich erleichtert, dass Hyde selbst ihm die Entscheidung darüber abgenommen hatte, wie er fortan leben wollte. Da Hyde nun von der Polizei gesucht wurde, konnte er sich nicht mehr in ihn verwandeln.

„Und während ich noch hinblickte, kam plötzlich eine Veränderung – er schien aufzuschwellen – sein Gesicht verfärbte sich schwarz, und seine Züge schienen sich auszulösen und zu verändern – (...) dort vor mir, vor meinen Augen (...), dort stand – Henry Jekyll.“ (Lanyon über Hyde/Jekyll, S. 87)

Eines Tages jedoch verwandelte er sich wieder ohne sein Zutun, diesmal weit entfernt von seiner Wohnung. Da er nicht als Hyde nach Hause gehen konnte, um sich seinen Trank zu holen, schrieb er jenen Brief an Lanyon, mit der Bitte, dass dieser die Schublade an sich nehmen sollte. So konnte er nachts, wenn die Gefahr erkannt zu werden geringer war, zu Lanyon gehen und sich zurückverwandeln. Der Plan ging auf, doch um den Preis der Freundschaft zu Lanyon. Daneben wuchs Jekylls Angst vor einer erneuten plötzlichen Verwandlung und vor dem, was Hyde dann tun könnte. In der Tat, die unfreiwilligen Verwandlungen häuften sich, und Jekyll beschloss, das Haus nicht mehr zu verlassen und keine Besucher mehr zu empfangen. Schließlich war der Vorrat an einer wichtigen Zutat für seinen Trank aufgebraucht. Jekyll stellte fest, dass das Salz, das er benutzt hatte, wohl verunreinigt gewesen war, da nun kein Salz mit gleicher Wirkung mehr zu finden war. Jekyll war sich darüber im Klaren, dass er mit der letzten Dosis nicht lange er selbst bleiben und dass dann Hyde endgültig die Oberhand gewinnen würde. Deshalb nutzte er die verbleibende Zeit für sein Geständnis.

Zum Text

Aufbau und Stil

Dr. Jekyll und Mr. Hyde ist in zehn Kapitel gegliedert, wobei die ersten acht die Geschehnisse aus der Perspektive des Anwalts Utterson wiedergeben, das neunte den Bericht Dr. Lanyons und das zehnte (das mit Abstand längste) das Geständnis Dr. Jekylls enthält. Die Erzählperspektiven sind wie konzentrische Kreise um das zentrale Geheimnis herum angelegt. Erst Jekylls Ausführungen lösen das Rätsel auf und klären genau die Fragen, die sich Utterson (und mit ihm der Leser) im Verlauf des ersten Teils stellt, und sie bringen die zahlreichen mysteriösen Details, die bei den Untersuchungen des Anwalts ans Licht kommen, in einen sinnvollen Zusammenhang. So erklärt Jekyll z. B. die anfängliche Episode mit dem Mädchen genauer. Auf diese Weise entsteht der Eindruck einer Symmetrie zwischen Vorgeschichte und Auflösung. Aufbau und Spannungsbogen der Erzählung folgen der klassischen Form des Kriminalromans, wobei Utterson als der Ermittler gesehen werden kann.

Interpretationsansätze

  • Dr. Jekyll und Mr. Hyde steht in der Tradition der Gothic Novel, die im 19. Jahrhundert in England vor allem von Bram Stoker (Dracula) und Mary Shelley (Frankenstein) populär gemacht wurde. Die Thematik des selbst erschaffenen Bösen, das sich gegen seinen Schöpfer wendet, findet sich auch in Frankenstein. Das Neuartige an Stevensons Novelle ist jedoch, dass das dargestellte Böse selbst ein Teil des Protagonisten ist.
  • Dr. Jekyll und Mr. Hyde kann auch als eine psychologische Studie über die Doppelnatur des Menschen gelesen werden. Vor dem Hintergrund der kultivierten Londoner Gesellschaft des Viktorianischen Zeitalters entfaltet der Autor ein Bild der heimlichen Lüste und Leidenschaften, die hinter den Masken der angesehenen Bürger ausgelebt oder verleugnet werden.
  • Bezüge zur Psychoanalyse Sigmund Freuds drängen sich auf: Das „Ich“ des Protagonisten schwankt sozusagen zwischen „Es“ (Mr. Hyde) und „Über-Ich“ (Dr. Jekyll).
  • Dr. Jekyll zeigt Züge eines Süchtigen: Er wird abhängig von seinem Trank, der ihm kurzfristige Erleichterung, aber langfristiges Leid bringt, und kapselt sich zunehmend von seinem sozialen Umfeld ab.
  • Dr. Jekylls Feststellung, dass die menschliche Doppelnatur „einerseits die Wurzel der Religion ist, andererseits eine der stärksten Quellen des Elends bildet“, kann als Hinweis dienen, dass Stevenson auch eine Religionskritik im Sinn hatte, als er die Novelle schrieb. Dr. Jekyll und Mr. Hyde kann in diesem Zusammenhang als Gleichnis gelesen werden: Die Forderungen der Religion an den Menschen sind zu hoch, aufgrund seines bösen Teils kann er niemals nur gut sein.

Historischer Hintergrund

Das Viktorianische Zeitalter

Die Regentschaft von Königin Victoria (1837–1901) bescherte England in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine Epoche äußerer Sicherheit und wirtschaftlichen Wohlstands, die heute als Viktorianisches Zeitalter bekannt ist. Mit der Teilnahme am Krimkrieg (1853–1856) aufseiten der Türkei und der erfolgreichen Niederwerfung des Sepoy-Aufstands in Indien 1857 konnte England seine außenpolitische Stärke unter Beweis stellen.

Durch die industrielle Revolution wandelte sich das innere Gefüge der britischen Gesellschaft: War zuvor der überwiegende Teil der Bevölkerung auf dem Land ansässig, strömten die Menschen nun zu Tausenden in die rasch wachsenden Städte. Als Reaktion auf die neu entstandene Arbeiterbewegung wurde ab 1867 das Wahlrecht reformiert, sodass die wahlberechtigte Bevölkerung erheblich ausgeweitet wurde. Auch die Frage nach der Stellung der Frau in der Gesellschaft wurde im Zuge dieser strukturellen Umwälzungen zum Thema.

Naturwissenschaftliche Erkenntnisse, wie die Evolutionstheorie von Charles Darwin oder die Entdeckung und Erforschung von Geisteskrankheiten, erschütterten das alte Wertgefüge. Die Viktorianische Ära reagierte auf diese Herausforderungen vielfach durch noch strengere Moralvorstellungen. Diese hohen Ansprüche an das eigene Leben und den gesellschaftlichen Status zwangen die Menschen jener Zeit, besonders ihre sexuellen Neigungen im Geheimen auszuleben. Am Ende dieser Ära stand der allmähliche Niedergang der Wohlstandsgesellschaft und der Umbruch zum Fin de Siècle.

Entstehung

Der Mythos vom Doppelgänger, dem der Mensch in seiner Todesstunde begegnet, ist ein fester Bestandteil der schottischen Tradition. Als Robert Louis Stevenson eines Nachts einen Albtraum von einem solchen Doppelgänger hatte, beschloss er, ein Buch darüber zu schreiben. Bereits nach drei Tagen soll er es vollendet, es jedoch auf Wunsch seiner Frau, der die Moral zu kurz kam, noch einmal geändert haben. Insofern ist Dr. Jekyll und Mr. Hyde als eine Auseinandersetzung Stevensons mit den eigenen Ängsten und als Einblick des Autors in die eigene Zwiespältigkeit zu lesen. Autobiografische Züge trägt auch das Selbstmordthema: Stevenson setzte sich nachweislich intensiv mit diesem Gedanken auseinander.

Als wichtiges Vorbild für die Geschichte des Dr. Jekyll wird der Fall des William Brodie angesehen. Der Tischler und Stadtrat aus Edinburgh soll Ende des 18. Jahrhunderts hinter der Maske des angesehenen Bürgers mehrere Straftaten begangen haben und wurde 1788 zum Tode verurteilt.

Literarische Anregungen hat Stevenson vor allem durch den englischen Schauerroman erhalten. Daneben finden sich im Text auch diverse Anspielungen auf die römische und griechische Mythologie, auf die christliche Tradition und auf zeitgenössische Themen, etwa in der Auseinandersetzung zwischen Lanyon und Jekyll über die Möglichkeiten und Grenzen der Wissenschaft.

Wirkungsgeschichte

Dr. Jekyll und Mr. Hyde war ein Publikumserfolg und machte Robert Louis Stevenson international bekannt. Einige Kritiker sahen in der Novelle allerdings auch eine Gefahr: Der Stein des Anstoßes war insbesondere Stevensons Annahme, dass das Gute und das Böse ins Gleichgewicht gebracht werden müssten, statt alle dunklen Triebe zu unterdrücken oder zu verbergen. Hierin sahen die Zeitgenossen des Autors einen Aufruf zur Zerstörung der Moral, die tief im Bewusstsein der damaligen Gesellschaft verankert war. Diese Kritik übersah jedoch, dass Stevenson nicht nur die Konventionen der viktorianischen Gesellschaft anzweifelte, sondern zugleich mit der Figur des Mr. Hyde ein abschreckendes Beispiel dafür schuf, was aus einem Menschen werden kann, der sich über jedes moralische Gesetz hinwegsetzt.

Bis heute gilt Stevensons Novelle als eines der Meisterwerke in der Nachfolge der Gothic Novels und inspirierte Generationen von Schriftstellern und Filmschaffenden. So nannte etwa James Joyce Stevenson seinen „Lehrmeister in der Stilkunst“. Moderne Romane wie American Psycho von Bret Easton Ellis, Filme wie Psycho oder Fight Club und selbst Comics wie Der unglaubliche Hulk bedienen sich des Musters von Dr. Jekyll und Mr. Hyde. Über 100 Adaptionen für Film, Theater und Musical belegen die ungebrochene Faszination der Novelle. Die Zwiespältigkeit der menschlichen Natur, die Rolle des Gewissens und die Zwänge strenger Moralvorstellungen bleiben aktuelle Themen.

Über den Autor

Robert Louis Stevenson wird am 13. November 1850 als einziger Sohn eines Mittelklasse-Ehepaars im schottischen Edinburgh geboren. Sein Vater baut als Ingenieur vor allem Leuchttürme und ist wie die Mutter sehr religiös. Stevenson studiert zunächst Technik, dann Jura, widmet sich aber bald überwiegend der französischen Literatur, der schottischen Geschichte und den Werken von Charles Darwin. Auf der Suche nach Linderung für seine Tuberkulose bereist er zahlreiche Weltgegenden. Erstmals fährt er 1873 für sechs Monate nach Frankreich, später nach Kalifornien und in die Südsee. Seine Erlebnisse verarbeitet er in Reiseerzählungen. In den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts macht sich Stevenson zunächst einen Namen als Autor von Buchbesprechungen und Essays, versucht sich aber bald selbst an Kurzgeschichten. Zahlreiche dieser Erzählungen werden in der Sammlung The New Arabian Nights 1882 veröffentlicht. Daneben schreibt er auch Gedichte. In Schottland lernt er die zehn Jahre ältere, verheiratete Amerikanerin Fanny Vandergrift Osbourne kennen. Nach deren Scheidung heiratet er sie im Mai 1880 in San Francisco. Stevensons bis heute anhaltender Weltruhm gründet sich neben dem Roman Treasure Island (Die Schatzinsel, 1883) vor allem auf die Erzählung The Strange Case of Dr. Jekyll and Mr. Hyde (Der seltsame Fall von Dr. Jekyll und Mr. Hyde), die er 1886 veröffentlicht. Im gleichen Jahr erscheint auch Kidnapped (Entführt), zwei Jahre darauf The Black Arrow (Der Schwarze Pfeil), beides Romane mit historischen Themen. Nach dem Tod seines Vaters 1887 beschließt Stevenson, Großbritannien zu verlassen. Zunächst lebt er ein Jahr in Amerika, bevor er 1888 in die Südsee aufbricht. In Apia auf Samoa kauft er sich ein Anwesen, davon überzeugt, die harten Winter in seiner Heimat nicht mehr überstehen zu können. Er lebt dort ab 1890 in einer produktiven Phase. Neben weiteren belletristischen Werken schreibt er Berichte über das Leben auf den pazifischen Inseln. Am 3. Dezember 1894 stirbt Stevenson auf seinem Anwesen im Alter von 44 Jahren an einer Hirnblutung.

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