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Die erzwungene Heirat

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Die erzwungene Heirat

Diogenes Verlag,

15 Minuten Lesezeit
10 Take-aways
Text verfügbar

Was ist drin?

Er will Liebe, sie will Geld: In Molières feiner Ballettkomödie ist sich jeder selbst der Nächste.


Literatur­klassiker

  • Komödie
  • Klassizismus

Worum es geht

Eine Liebesgeschichte als Lachnummer

Wann ist man fürs Heiraten zu alt? Molières Antiheld Sganarell, ein Mann im vorgerückten Alter, möchte sich wohl gerne verehelichen. Zu spät stellt er jedoch fest, dass seine junge, hübsche Braut nicht ihn, sondern nur sein Geld liebt. Diese Torheit wird in der Komödie mit Schadenfreude gestraft, ja es werden sogar die Verhältnisse auf den Kopf gestellt: Nicht die Frau wird – wie sonst – zur Heirat gezwungen, sondern der Mann. Molière schrieb seine Ballettkomödie als Auftragswerk für den höfischen Karneval. Doch der gewiefte Moralist beschränkt sich nicht auf rosige Feierlaune: Er seziert seine Charaktere, legt ihre Egoismen frei und zeigt, wie wenig Verständnis sie füreinander haben. Das kleine Werk steht heute im Schatten von Molières großen Komödien. Seine kulturgeschichtliche Bedeutung spiegelt sich in dieser Tatsache aber nicht wider: Der ehrgeizige Versuch, Dichtung, Musik und Tanz zu einem Gesamtkunstwerk zu einen, ließ Die erzwungene Heirat zu einer wichtigen Wegbereiterin der französischen Oper werden.

Take-aways

  • Mit Die erzwungene Heirat schuf Molière eine Kunstform, die für die französische Oper wegbereitend war: die Ballettkomödie.
  • Diese vereinigt Schauspiel, Musik und Ballett zu einem Gesamtkunstwerk.
  • Inhalt: Am Tag seiner Hochzeit kommen dem alten Sganarell Zweifel: Seine Braut liebt nicht ihn, sondern sein Geld. Als er sein Jawort widerruft, erzwingt der Schwager mit dem Degen die Heirat.
  • Die erzwungene Heirat war ein Auftragswerk für den höfischen Karneval.
  • Molière stand in der Gunst Ludwigs XIV., der sogar Pate seines ersten Kindes war.
  • Der Dichter arbeitete mit dem späteren Hofkomponisten Jean-Baptiste Lully und dem königlichen Tanzlehrer Pierre Beauchamp zusammen.
  • In den Sprechpassagen dominiert der Realitätssinn der Figuren, in den Intermedien, den getanzten und gesungenen Zwischenspielen, das Imaginäre.
  • Molière übt zurückhaltende Gesellschaftskritik, indem er zeitgenössische soziale Typen karikiert.
  • Alle Figuren haben dasselbe Defizit: Durch ihren Eigennutz sind sie nicht in der Lage, sich zu verständigen.
  • Zitat: „Aber ich fürchte ... ich fürchte ... Sie wissen schon, was; das gewisse Unheil, das dem Mann kein Mitleid, sondern Lachen einträgt und ihn zur komischen Figur macht.“ (Sganarell)

Zusammenfassung

Ein Junggeselle sucht Rat

Der alternde Junggeselle Sganarell verlässt sein Haus und tritt eilig auf den Vorplatz hinaus, doch schnell wendet er sich noch einmal nach seinen Dienern um: Sie sollen ihn holen, wenn jemand Geld abzugeben habe; in anderen Fällen sei er für niemand zu sprechen. Er müsse sich nämlich dringend mit Herrn Geronimo beraten. Wie gerufen kommt dieser auch schon daherspaziert. Für eine Plauderei mit seinem Freund ist Geronimo gern zu haben. Sganarell aber will seinen Rat in einer ernsthaften Sache. Er bittet ihn, seine Meinung offen auszusprechen und keine falsche Rücksicht zu nehmen. Das sei keine Selbstverständlichkeit, denn die Sitten seien am Verfallen und die Ehrlichkeit am Schwinden. Geronimo verspricht Rat zu erteilen, und schon platzt es aus Sganarell heraus: Er hat vor zu heiraten.

Die Ehe, ein Wahnsinn

Geronimo staunt nicht schlecht und fragt nach Sganarells Alter. Er kenne es selbst nicht, behauptet dieser. Also forschen sie gemeinsam nach Lebensdaten, die als gesichert gelten können: Mit 20 lernten sie sich in Rom kennen, wo sie acht Jahre lebten, ehe Sganarell für sieben Jahre nach England ging. Anschließend verbrachte er fünf Jahre in Holland. Vor zwölf Jahren kehrte er in die Heimat zurück. Geronimo rechnet schlüssig: Sganarell ist 52, so heftig er auch dagegen protestiert. Eine Ehe komme also nicht infrage, findet Geronimo. Überhaupt sei das Heiraten ein großer Wahnsinn, man würde sich aus freien Stücken unfrei machen. Bei einem 50-Jährigen wirke das nur lächerlich.

Der glücklichste Mann der Welt

Sganarell verteidigt seinen Entschluss. Die Braut sei schön und sein Gefühl tief und ernst. Der Brautvater habe bereits zugestimmt, und die Feier solle noch am selben Abend stattfinden. Geronimo beeindrucken die fortgeschrittenen Planungen, sodass er eilig seine Meinung wechselt: Wenn die Formalitäten schon geregelt seien, dann müsse auch geheiratet werden, da verbiete sich jede Widerrede. So leicht will Sganarell aber nicht gewinnen. Mit allen Mitteln der Rhetorik sucht er den Freund zu überzeugen: Auch ältere Männer begehrten eine Frau, und er selbst strotze nur so vor Lebenskraft, Gelenkigkeit und Appetit; nicht weniger als vier Mahlzeiten vertilge er jeden Tag. Zwar habe er früher das Heiraten rundheraus abgelehnt, doch mit der Zeit sei alles anders geworden. Seine Frau werde ihm nicht nur Zärtlichkeiten, sondern auch einen Stammhalter schenken. So bleibe sein Geschlecht erhalten. Ja, in jenem Kindergesicht werde er sich selbst erkennen und sich geschmeichelt fühlen, frohlockt Sganarell.

„Und wenn es heißt: Das Heiraten ist der ärgste Wahnsinn, dann finde ich es besonders unpassend, diesen Wahnsinn in einem Alter zu begehen, in dem man vernünftiger geworden sein müsste.“ (Geronimo, S. 93)

Geronimo wünscht den Namen der Braut zu erfahren. Er kann es kaum glauben, aber es ist die elegante Dorimène, die Tochter von Alcantor und die Schwester des immerfort mit dem Degen fuchtelnden Alcidas. Geronimo meint, das könne ja eine schöne Hochzeit werden. Sganarell aber hat kein Ohr für diese ironische Bemerkung. Er hält sich für den glücklichsten Mann der Welt.

Die Braut hat eigene Interessen

Aufs Stichwort kommt Dorimène daherstolziert und weist ihren Pagen zurecht: Er solle ihre Schleppe ordentlich und ohne viel Gerede tragen. Sganarell genießt den schönen Anblick, dann stürmt er auf sie zu und preist das Glück, das beiden blühen werde. Dorimène werde ihm willenlos ergeben sein, kein anderer sie ihm streitig machen. Dann rühmt er einige ihrer Körperteile, die er feierlich zu seinem Besitz erklärt: Augen, Nase, Lippen, Ohren, Kinn und Brüste.

„(...) wenn ich aber heirate, kann ich mich weiterleben sehen, in meinen kleinen zweiten Ichs (...)“ (Sganarell, S. 94)

Dorimène erklärt im Gegenzug freimütig, was sie sich von der Ehe verspricht. Sie hofft, sich von ihrem Vater zu emanzipieren und fortan ein Leben in Freiheit führen zu können. Sganarell werde ihr das Tor zur Welt der Vergnügungen öffnen und ihr jeden Wunsch erfüllen: Geschenke, Feste, Spazierfahrten. Sie würden leben und sich gegenseitig leben lassen, ohne sich in die Angelegenheiten des Partners einzumischen. Sganarell macht angesichts dieser Äußerungen ein erschrockenes Gesicht, doch Dorimène kümmert das herzlich wenig. Sie eilt davon, um ihrer liebsten Beschäftigung nachzugehen: auf Sganarells Kosten einzukaufen.

Der Ring liegt schon bereit

Geronimo, der kurz weg war, weist Sganarell auf einen wunderbaren Brillantring hin, den er bei einem Goldschmied gesehen hat, und empfiehlt seinem Freund, das Schmuckstück zu kaufen. Doch Sganarell gesteht, ihn würden Zweifel plagen, die er vor der Hochzeit ausräumen müsse. Außerdem quäle ihn ein Traum, den er nicht zu deuten vermöge. Geronimo will nichts davon wissen und verweist ihn an zwei benachbarte Philosophen: Die wüssten auf alles einen Rat.

Ein wütender Aristoteliker

Schon stürmt einer dieser Philosophen, Pancratius, auf den Platz. Er scheint über irgendjemand wütend zu sein. In seinem zornigen Selbstgespräch bemerkt er Sganarell zunächst nicht. Dieser muss mehrere Anläufe nehmen, bis er Pancratius’ Aufmerksamkeit hat: „Herr Aristoteles“, ruft er – jetzt reagiert der Philosoph und beginnt, seine Verärgerung zu erklären. Zunächst beklagt er den allgemeinen Verfall der Sitten, dann die unfähigen Behörden, die gegen so einen Skandal nichts auszurichten wüssten. Da habe sich einer erdreistet, in aller Öffentlichkeit zu sagen: „die Form eines Hutes“. Es müsse aber heißen: „die Gestalt eines Hutes“. Form besitze nur der belebte Gegenstand, der unbelebte hingegen Gestalt. Aristoteles habe das ein für alle Mal klargestellt. Sganarell kann darin keinen Skandal erkennen, pflichtet Pancratius aber höflich bei und sagt, er selbst fürchte, als Ehemann betrogen und zum Gespött gemacht zu werden. Das sei nichts gegen seinen Ärger, erwidert Pancratius.

Philosophisches Gequassel

Sganarell versucht verzweifelt, die Aufmerksamkeit des Philosophen auf sein Thema zu lenken, aber der will zuerst die Sprache klären, in der Sganarell ihn zu befragen gedenkt: Hebräisch, Lateinisch, Syrisch, Arabisch? Schließlich einigt man sich aufs Französische. In diesem Fall, fordert Pancratius, müsse Sganarell die Seite wechseln. Denn das eine seiner Ohren sei der Muttersprache, das andere den Wissenschaftssprachen vorbehalten.

„Die Ehe muss glücklich werden, denn jeder freut sich über sie – ja, alle, denen ich davon berichte, lachen mich an. Ich bin der glücklichste Mann der Welt.“ (Sganarell, S. 95)

Sganarell nimmt einen neuen Anlauf: Er habe Schwierigkeiten ... Doch Pancratius fällt ihm schon wieder ins Wort: Ob Sganarell am Ende die Seinsfrage klären wolle? Oder das Wesen der Logik? Die Zahl der Kategorien? Oder die rechte Form des Schlussfolgerns? Sganarell verneint scharf, was Pancratius wiederum irritiert: Er könne Sganarells Schwierigkeiten nicht erraten, er müsse sie ihm schon benennen. Als Sganarell jedoch seine Sorge zu schildern beginnt, hat Pancratius bereits wieder zu einem Monolog über das Wesen der Dinge und ihr Verhältnis zu den Worten angehoben.

„Vom Kopf bis zu den Füßen wirst du mir gehören, das alles wird mein sein: deine munteren Augen, deine kecke kleine Nase, deine reizenden Lippen, deine zärtlichen Ohren, dein niedliches kleines Kinn, deine beiden süßen runden ...“ (Sganarell zu Dorimène, S. 96)

Jetzt verliert der Junggeselle die Nerven. Er beginnt, mit Steinen nach Pancratius zu werfen. Dieser rennt entsetzt ins Haus und droht aus sicherer Entfernung: Fortan werde er mit allen Mitteln der Logik beweisen, dass Sganarell ein dummer Esel sei. Als der Steinhagel endlich zum Erliegen kommt, tritt Pancratius aus der Deckung heraus und listet an die 40 Disziplinen auf, in denen er sich für einen Meister hält. Entnervt verlässt Sganarell den ersten Philosophen und setzt seine ganze Hoffnung auf den zweiten.

Eine Tracht Prügel

Mit dem anderen Philosophen, Marphurius, scheint Sganarell Glück zu haben: Er geht sofort auf den Ratsuchenden ein und zeigt sogar Interesse. Aber Sganarell hat sich zu früh gefreut. Marphurius entpuppt sich als echter Pedant, der jedes Wort auf die Goldwaage legt. Er werde nur Tatsachen anerkennen, verkündet er, Worte und Urteile müssten aufs Schärfste präzise sein. Bereits Sganarells erster Satz verlange nach einer Korrektur: Sganarell sei nicht zu Marphurius gekommen, es scheine bloß so. Da helfe es wenig, auf die eigene Gegenwart zu pochen. Sganarell fährt ungeduldig dazwischen: Er mache sich Sorgen, dass seine Braut ihn nach der Heirat betrügen werde.

„Du bist ja ein nobler Mann und weißt zu leben – also glaube ich, dass wir die beste Ehe führen werden, weil du nicht den lästigen Ehemännern gleichen wirst, die ihre Frauen wie bessere Haustiere halten.“ (Dorimène zu Sganarell, S. 96)

Auch diesem Satz wird widersprochen. Marphurius behauptet: Die Hochzeit finde nicht wirklich, sondern nur möglicherweise statt. Zornig verlangt Sganarell eine eindeutige Stellungnahme, doch der Skeptiker redet sich mit Allgemeinplätzen heraus: Ein Betrug sei nicht auszuschließen, und wie er selbst an Sganarells Stelle handeln würde, wisse er nicht. Er könne ihm nur das sagen, was der Ratsuchende auch hören wolle.

„Ach, Herr Sganarell, alles geht heutzutage drunter und drüber, denn die ganze Welt ist der allgemeinen Verderbnis anheimgefallen.“ (Pancratius, S. 99)

Sganarell platzt der Kragen und er beginnt, wild auf Marphurius einzuschlagen. Dieser kreischt, er werde gleich zur Polizei laufen und ihn als Schläger verhaften lassen. Doch Sganarell dreht den Spieß nun einfach um: Marphurius habe keine blauen, sondern nur mögliche Flecken davongetragen. Wütend stapft der zweite Philosoph davon. Sganarell bleibt zurück, ohne Rat erhalten zu haben.

Können Wahrsagerinnen helfen?

Sganarell wendet sich nun an zwei Zigeunerinnen, um Näheres über die Zukunft zu erfahren. Seine Sorge ist ihm ein ganzes Goldstück wert. Dafür sagen ihm die Zigeunerinnen genau das voraus, was er hören will oder eh schon weiß. Sie loben sein Gesicht: Es spiegle bereits den künftigen Ruhm. Seine Hochzeit stünde unmittelbar bevor. Die Gattin werde viele Kinder gebären und alle Welt werde ihn dafür bewundern.

„Ich behaupte, es muss heißen: die Gestalt eines Hutes, nicht: die Form eines Hutes. Denn zwischen Form und Gestalt besteht der Unterschied, dass die Form die äußere Beschaffenheit eines belebten Gegenstandes bezeichnet, die Gestalt aber die äußere Beschaffenheit eines unbelebten Gegenstandes.“ (Pancratius, S. 99)

Ungeduldig will Sganarell wissen, ob seine Frau ihn betrügen wird. Auf einmal stellen sich die Zigeunerinnen taub und verlassen tanzend die Szene. Sganarell schickt ihnen einen bösen Fluch hinterher. Noch immer von Zweifeln gequält, beschließt er, einen Zauberer zu befragen: Dieser werde ihm die Augen für die Zukunft öffnen.

Die Heuchelei fliegt auf

Derweil macht sich Dorimènes Liebhaber Lykaste Sorgen, dass die Heirat ihre Affäre beenden könnte. Dorimène weiß ihn zu beschwichtigen: Von einer Liebesheirat könne keine Rede sein. Ihr komme es nur auf das Geld des Gatten an, von dem sie sich ein leichtes, lustvolles Leben verspreche. Das hohe Alter habe den Ausschlag gegeben: Keine sechs Monate, und Sganarell werde sterben und sie selbst als betuchte Witwe sorgenfrei leben.

„Aber ich fürchte ... ich fürchte ... Sie wissen schon, was; das gewisse Unheil, das dem Mann kein Mitleid, sondern Lachen einträgt und ihn zur komischen Figur macht.“ (Sganarell zu Pancratius, S. 100)

Sganarell kommt hinzu. Lykaste beglückwünscht ihn überschwänglich. Was für eine ehrenwerte Frau Dorimène doch sei! Sganarell habe eine gute Wahl getroffen und werde sicher ein vorbildlicher Ehemann sein. Er freue sich darauf, Sganarell künftig häufiger zu sehen. Dieser sieht jedoch all seine Zweifel bestätigt: Die Heirat muss sofort abgesagt werden.

Alles scheint gut zu enden

Der Brautvater Alcantor empfängt Sganarell geschäftig. Die Hochzeit sei bestens vorbereitet, nur der Kontrakt müsse noch unterzeichnet werden. Sganarell trägt seine Bedenken vor: Er halte sich für einen schlechten Schwiegersohn, sei zu alt, zu reizbar und zu gebrechlich. Einer wie er tauge nicht zum Ehemann. Zögerlich gibt Alcantor nach: Der Mensch und sein Wille seien nun mal frei. Er wolle sehen, wie sich die Sache einvernehmlich regeln lasse. Sganarell atmet auf. Jetzt werde sich alles zum Guten wenden, meint er.

Der angeschmierte Ehemann

Da kommt auch schon Dorimènes Bruder Alcidas gelaufen. Doch statt sich mit der Vertragsauflösung einverstanden zu erklären, händigt er Sganarell einen Degen aus und erklärt: Bei solchen Zwisten sei es üblich, sich zunächst wüst zu beschimpfen, doch er biete ihm höflich an, einander gleich zu erstechen. Aller Widerrede zum Trotz beginnt er auch schon, auf Sganarell einzuschlagen. Gleichzeitig fordert er ihn auf, er solle lieber frei wählen, anstatt sich nötigen zu lassen: Heirat oder Schläge. Als die Letzteren immer stärker werden, ruft Sganarell endlich aus: „Gut, ich heirate sie!“

„Es scheint mir, als wären Sie hier, und es scheint mir, als spräche ich zu Ihnen. Aber es bleibt ungewiss, ob es so ist.“ (Marphurius zu Sganarell, S. 106)

Alcidas steckt den Degen in die Scheide und spricht Glückwünsche aus. Dann ruft er die Braut und den Vater, der den Bund feierlich besiegelt, den Himmel lobpreist und seine Verantwortung für Dorimène auf Sganarell überträgt.

Zum Text

Aufbau und Stil

Die erzwungene Heirat hält sich streng an die formalen Vorgaben der Gattung Komödie, wie sie zur Zeit Molières galten: Es treten nur Figuren aus dem Bürgertum auf, Adel und Klerus blieben damals der Tragödie vorbehalten. Die Figuren sprechen nicht in Versen, sondern in freier Rede. Dramaturgisch ist das Stück sehr einfach aufgebaut. Statt das Geschehen in Akte zu gliedern, was Zeit- und Handlungssprünge erfordert hätte, lässt Molière es linear in zehn Szenen ablaufen. Diese Einfachheit hat vor allem aufführungstechnische Gründe: Zwischen die Szenen wurden Musik- und Tanzeinlagen eingefügt, so genannte Intermedien. Darin wurden manche Aspekte der Handlung ausgemalt: etwa durch tanzende Zigeunerinnen oder indem ein Loblied auf die Schönheit angestimmt wurde. Ein schwieriger, verästelter Handlungsverlauf hätte bei diesen Zwischenspielen leicht den Faden reißen lassen.

Interpretationsansätze

  • Obwohl Molière mit seiner Ballettkomödie höfische Erwartungen erfüllt und das Stück auf den ersten Blick ganz und gar unpolitisch scheint, übt der Autor doch auch Zeitkritik. Er karikiert soziale Typen und stellt ihre Moral auf die Probe: Die kokette Bürgersfrau stellt sich als geld- und vergnügungssüchtig heraus (Dorimène), der vermeintliche Freund als opportunistischer Ironiker (Geronimo) und der angesehene Ehrenmann als stupider Vollstrecker eines überkommenen Ideals (Alcidas).
  • Der Antiheld Sganarell verkörpert den neureichen Möchtegern. Seine Bildung und sein Wohlstand nützen ihm im Alltag wenig; was er bräuchte, sind Mut und Menschenkenntnis. Sganarell hat zwar ein Vermögen angehäuft, sich aber nicht gänzlich von Geldsorgen befreien können. Seine Reputation schätzt er so hoch ein wie die eines Adligen, doch vermag er sie nicht nach Art des Adels – mit dem Degen – zu verteidigen. So endet er als jene „komische Figur“, die er auf keinen Fall sein wollte.
  • Die beiden Philosophen, bzw. ihre berufsbedingten Deformationen, übersteigert Molière derart, dass die Philosophie als groteske Farce erscheint: Anstatt ihr Können als kluge Ratgeber einzusetzen, reiten sie auf ihren Prinzipien herum und leben marionettenhaft ihren Idealen nach, dem Dogmatismus und dem Skeptizismus.
  • Gemeinsames Merkmal aller Figuren ist ihre Unfähigkeit zur Kommunikation. Jede Verständigung misslingt, alle versteifen sich auf ihre Interessen. Sganarell heiratet trotz, Dorimène wegen seines hohen Alters. Sie zielt auf einen ökonomischen, er auf einen ideellen Nutzen. Auch von ihrem Vater trennen Dorimène Welten: Sie fordert ihre Emanzipation, er hingegen das traditionelle Recht darauf, seine Tochter zu besitzen. Niemand erklärt sich zum Kompromiss bereit; jeder sucht seinen Vorteil.
  • Molière setzt die Intermedien als Gegengewicht zur nüchternen Realität der Figuren ein. Mit Tanz und Musik wird inszeniert, was sich in den Dialogen auf Andeutungen beschränkt. Sganarells Wunsch- und Angstträume etwa können so in ihrer ganzen Farbigkeit gezeigt werden. Damit erweiterte Molière die Komödie um ein Moment, das später die Romantik ausschöpfte: das Imaginäre.

Historischer Hintergrund

Die höfische Gesellschaft des Sonnenkönigs

Auch wenn ihm der berühmte Satz „L’État, c’est moi!“ („Der Staat bin ich!“) nur in den Mund gelegt wurde: Unter Ludwig XIV. erreichte die absolute Monarchie in Frankreich ihren Höhepunkt. Nachdem 1661 der einflussreiche Kardinal und regierende Minister Jules Mazarin gestorben und Finanzminister Nicolas Fouquet 1664 auf Lebenszeit ins Gefängnis gesperrt worden war, hatte der Sonnenkönig politisch freie Hand. Er reagierte auf die gescheiterte Revolte des Adels in den 1650er Jahren, die „Fronde des Princes“, indem er dessen Macht gezielt beschnitt und ein zentralistisches, ganz auf ihn als König zugeschnittenes Staatswesen aufbaute. Gleichzeitig überhäufte er den Hofadel mit luxuriösem Pomp, um ihn einzulullen und ihn so in einen goldenen Käfig zu sperren. Alle Möglichkeiten, sich politisch oder sozial zu engagieren, fielen weg. So blieb dem Adel kaum mehr als dekadenter Müßiggang auf den wenigen verbliebenen Spielfedern: Liebe, Literatur und Konversation.

Zur gleichen Zeit vollzog sich der Aufstieg des Bürgertums. Es profitierte vom ökonomischen Aufschwung, den der Merkantilismus befördert hatte, und durfte fortan sogar Staatsämter bekleiden. Der Tuchhändlersohn Jean-Baptiste Colbert etwa wurde Nachfolger des verhafteten Finanzministers Fouquet. Doch die neue Schicht des so genannten Geld- und Robenadels blieb von adligen Privilegien ausgeschlossen. Der Hofadel grenzte sich durch einen strengen Verhaltenskodex gegen alle Emporkömmlinge ab. Wer seine Regeln missachtete, wurde schnell als lächerlich diffamiert und nicht selten vor Gericht gestellt.

Die französische Kultur profitierte vom Mäzenatentum des Königs. Dank seiner Geldmittel erreichten Kunst und Wissenschaft eine hohe Blüte, die heute als französische Klassik bezeichnet wird.

Entstehung

Die erzwungene Heirat verdankt sich dem zeitweilig guten persönlichen Verhältnis Molières zu Ludwig XIV., der die Ballettkomödie für die Festivitäten zum höfischen Karneval in Auftrag gab. Für die Ausarbeitung blieben nur wenige Wochen Zeit. Wohl deshalb griff Molière auf bekannte formale und inhaltliche Muster zurück. Die beiden Philosophen entstammen der französischen Farcentradition, Sganarell erinnert an den Pantalone der italienischen Commedia dell’Arte, und das Thema an eine Stelle aus François Rabelais’ Roman Gargantua und Pantagruel. Dort fragt sich Pantagruel genau wie Sganarell, ob er heiraten solle: Er freut sich wie jener, Ehemann und Vater zu werden, und sucht Rat bei weisen Männern, die ihm aber nur unzulängliche Antworten geben können.

Die Musik für die Intermedien schrieb der spätere Hofkomponist Jean-Baptiste Lully, die Choreografien entwarf Pierre Beauchamp, der Tanzlehrer von Ludwig XIV.

Wirkungsgeschichte

Die erzwungene Heirat wurde als „Ballett für den König“ am 29. Januar 1664 im Pariser Louvre uraufgeführt. Die geladene Hocharistokratie beteiligte sich an den zahlreichen Tanzeinlagen; selbst der König war nicht nur als Zuschauer, sondern auch als Mitwirkender gefragt und tanzte – entsprechend maskiert – bei den Zigeunerinnen mit. Fünf professionelle, reich kostümierte Tänzer verkörperten Gefühle wie Eifersucht, Zorn oder Misstrauen. Vier Monate später, am 13. Mai, führte Molière Die erzwungene Heirat nochmals im Vestibül des Versailler Schlosses auf. Den Anlass gaben diesmal die mehrtägigen Festivitäten „Les Plaisirs de l’Île enchantée“. Bereits zuvor hatte Molière seine Ballettkomödie erstmals vor bürgerlichem Publikum präsentiert: am 15. Februar im Pariser Palais Royal. Er selbst spielte wie schon bei Hof die Hauptrolle, doch der Erfolg blieb aus. Schon nach zwölf Vorstellungen musste Die erzwungene Heirat abgesetzt werden. Vier Jahre später entfernte man die Intermedien und spielte den Einakter als Anhängsel zum Amphitryon.

1668 erschien die Ballettkomödie als Buch. Weitere vier Jahre später nahm Molière sie erneut ins Programm, diesmal mit Intermedien des Komponisten Marc-Antoine Charpentier. Lully war inzwischen zum Hofkomponisten aufgestiegen und hatte als erste Amtshandlung die Aufführung seiner Musikpartien untersagt.

Nach Molières Tod wurde Die erzwungene Heirat nur noch selten aufgeführt und steht seither im Schatten der großen Komödien des Autors. Die Zeitgenossen kritisierten das Stück als Zeugnis einer misslungenen, da gemischten Gattung: Mit ihm habe der Theatermann lediglich die Bringschuld bei seinem Mäzen begleichen wollen. Aus heutiger Sicht schuf Molière mit seiner Ballettkomödie eine für die französische Oper wegbereitende Gattung. Alle beteiligten Künste – Schauspiel, Tanz, Gesang, Kostüm und Dekor – wurden erstmals zu einem Gesamtkunstwerk vereint.

Über den Autor

Molière wird um den 15. Januar 1622 in Paris als Jean-Baptiste Poquelin geboren. Er ist der erste Sohn des königlichen Tapissiers und Dekorateurs Jean Poquelin. Seine Mutter verliert er mit zehn Jahren. Als er mit 20 den Handwerksbetrieb des Vaters übernehmen soll, lehnt er ab, lässt sich das mütterliche Erbe ausbezahlen und gründet 1642 mit der Schauspielerin Madeleine Béjart das Illustre Théâtre in Paris. Nach drei Jahren macht das Theater Bankrott, und Molière – wie er sich mittlerweile nennt – muss für ein paar Tage ins Gefängnis. Wieder auf freiem Fuß, schließt er sich mit Madeleine einer Wandertruppe von Schauspielern an. Mit ihr touren sie von 1645 bis 1658 quer durch Frankreich. Dank guter Kontakte zum jüngeren Bruder von König Ludwig XIV. darf Molière in Paris seine ersten Komödien spielen: Le Médecin amoureux (Der verliebte Arzt, 1658) und Les Précieuses ridicules (Die lächerlichen Preziösen, 1659). Beide werden große Erfolge, ebenso das Stück L’ École des femmes (Die Schule der Frauen), das 1662 folgt. Im selben Jahr heiratet Molière Armande Béjart – Madeleines Schwester oder Tochter, das ist unbekannt –, mit der er etwa sieben Jahre zusammenbleibt. Was Molière schreibt, gefällt dem König so sehr, dass er den Dichter mit einer Pension von 1000 Livres jährlich belohnt, Taufpate von dessen erstem Kind wird und Molières Truppe am Hof und im Palais Royal spielen lässt. Im Mai 1664 darf Molière im Schlossgarten von Versailles ein mehrtägiges Fest organisieren, an dem er u. a. eigene Komödien wie Le Mariage forcé (Die erzwungene Heirat) präsentiert. In diesem Rahmen wird auch der Tartuffe uraufgeführt – eine offene Attacke gegen die Frömmlerei –, der für einen Skandal sorgt und mit einem fünfjährigen Aufführungsverbot belegt wird. Ab 1668 folgen Komödien im Jahresrhythmus, so 1668 L’Avare (Der Geizige), 1670 Le Bourgeois gentilhomme (Der Bürger als Edelmann) oder 1672 Les Femmes savantes (Die gelehrten Frauen). In Le Malade imaginaire (Der eingebildete Kranke) spielt Molière seine letzte Rolle: Am 17. Februar 1673 bricht er während der vierten Aufführung zusammen und stirbt wenig später.

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