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Die Europäer

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Die Europäer

Manesse,

15 Minuten Lesezeit
10 Take-aways
Text verfügbar

Was ist drin?

Europäisch-amerikanische Liebschaften – mit leichter Feder skizziert.


Literatur­klassiker

  • Liebesroman
  • Realismus

Worum es geht

Transatlantische Beziehungen

Ein kosmopolitisches Geschwisterpaar aus Europa macht sich auf, hoffnungslos provinzielle und prüde Verwandte in Amerika für sich zu erobern – und muss feststellen, dass diese Menschen nicht nur hinter dem Mond, sondern auf einem anderen Planeten leben. Klingt vertraut? Selbst wenn sich die Vorzeichen der amerikanisch-europäischen Verstimmungen im Lauf der Zeit gewandelt haben, das Fazit aus Henry James’ 1878 veröffentlichtem Roman Die Europäer bleibt unverändert gültig: Die Alte und die Neue Welt würden einander durchaus ergänzen, wenn nur alle Beteiligten bereit wären, ihre bornierten Positionen zu überdenken. Den Hindernislauf zum Happy End mit Einschränkung beschreibt James mit leichtem Humor und subtiler Ironie – ein lange vergessenes Frühwerk, das zu Recht aus der Versenkung geholt wurde.

Take-aways

  • Henry James’ Roman Die Europäer ist eine hintersinnige Beziehungskomödie im kulturellen Spannungsfeld zwischen der Alten und der Neuen Welt.
  • Inhalt: Eugenia, eine von ihrem adligen Ehemann verstoßene Baronin, und ihr Bruder Felix reisen nach Amerika, um bei reichen puritanischen Verwandten ihr Glück zu suchen. Nach vielen Fehltritten und allerlei amourösen Verwicklungen kommen fast alle glücklich unter die Haube. Nur die Baronin kehrt frustriert nach Europa zurück.
  • James’ Lebensthema waren die komplexen und komplementären Beziehungen zwischen Alter und Neuer Welt.
  • Laut dem Roman fehlt es den sittenstrengen Amerikanern an Lebensfreude und den sinnlichen Europäern an Aufrichtigkeit.
  • Die perfekte Synthese aus beidem kann mithilfe der Kunst gelingen.
  • Der Weltenbummler James veröffentlichte den Roman 1878, drei Jahre nachdem er seiner amerikanischen Heimat endgültig den Rücken gekehrt hatte.
  • Mit dem Porträt einer puritanischen Familie im Boston der frühen 1840er-Jahre beschwor er eine pastorale Idylle herauf, die es längst nicht mehr gab.
  • Tatsächlich war Neuengland der Motor hinter der Industrialisierung der USA.
  • Heute wird Henry James als brillanter Stilist und Vater des psychologischen Romans verehrt.
  • Zitat: „Ich rechne nicht damit, dass sie klug sind oder freundlich – jedenfalls am Anfang – oder vornehm oder interessant. Aber ich bestehe darauf, dass sie reich sind.“ (Eugenia über ihre Verwandten)

Zusammenfassung

Reise nach Amerika

Zwei Geschwister, Eugenia Camilla Dolores, Baronin Münster, und ihr Bruder Felix Young, reisen aus Europa nach Boston, um dort ihre Verwandten zu besuchen. Verdrießlich betrachtet die 33-jährige Baronin vom Fenster ihres feinen Hotels aus, wie sich im Schneeregen – und das mitten im Mai – die Menschen in eine neumodische, auf Schienen gezogene Pferdebahn drängen. So etwas hat sie noch nie gesehen, und in ihrem zwar nicht hübschen, aber sehr interessanten, fremdländischen Gesicht spiegelt sich Missfallen. Ganz anders ihr äußerst attraktiver, fünf Jahre jüngerer Bruder: Vergnügt skizziert er seine Eindrücke mit dem Bleistift und kann dem Abenteuer nur Positives abgewinnen, sogar dem Schmuddelwetter. Denn morgen, so verkündet er im Brustton der Überzeugung, erwarte sie strahlender Sonnenschein.

„Sie war auch nicht mehr ganz jung; obwohl schlank, besaß sie außerordentlich wohlgeformte Rundungen – eine Andeutung von Reife und gleichzeitig Beweglichkeit – und trug ihre dreiunddreißig Jahre, wie eine zartgliedrige Hebe einen randvollen Weinkelch tragen mochte.“ (über Eugenia, S. 7)

Die Reise nach Amerika war Eugenias Idee. Sie ist in nicht standesgemäßer Ehe mit einem deutschen Prinzen verheiratet, der sich aber von ihr losgesagt hat. Seine Familie will Eugenia loswerden und sie dazu bewegen, eine Verzichtserklärung zu unterschreiben. Doch Eugenia denkt nicht daran. Zunächst möchte sie ihre angeblich sehr reiche Verwandtschaft in Neuengland kennenlernen und sich alle Optionen offenhalten. Sie befiehlt Felix, am nächsten Tag die Lage zu sondieren und ihr Bericht zu erstatten.

Erste Begegnung

Bei strahlend schönem Wetter macht Felix sich am nächsten Morgen zu Fuß auf, zum Anwesen seines Onkels Mr. Wentworth, das siebeneinhalb Meilen vor Boston liegt. Es ist ein großes, helles Herrenhaus inmitten grüner Wiesen, blauer Seen und dichter Wälder. Als Felix ankommt, ist die Familie in der Kirche, nur Gertrude, die jüngere der beiden Töchter, ist zu Hause geblieben. Sie liest in Tausendundeiner Nacht, als Felix plötzlich wie ein Märchenprinz vor ihr steht. Die beiden sind voneinander fasziniert: Gertrude, weil sie noch nie einen so schönen, weit gereisten und fröhlichen Menschen gesehen hat, und Felix, weil ihm dieses hochgewachsene, kluge und eigensinnige Wesen im hellen Kleid vorkommt wie ein Wesen von einem anderen Stern. Gertrude lädt ihn ein, zum Mittagessen zu bleiben, damit er gleich die ganze Familie kennenlernt.

„Ich rechne nicht damit, dass sie klug sind oder freundlich – jedenfalls am Anfang – oder vornehm oder interessant. Aber ich bestehe darauf, dass sie reich sind.“ (Eugenia über ihre Verwandten, S. 15)

Später, beim Abendessen mit seiner Schwester, kommt Felix aus dem Schwärmen nicht mehr heraus. Das Haus: ein romantischer Traum, schmucklos und so sauber, dass man vom Fußboden essen könnte. Die Bewohner: schlicht, ursprünglich und einfach reizend – ein Hauch von Goldenem Zeitalter. Eugenia traut ihrem Bruder nicht, sie kennt seinen Hang zur Schönfärberei. Ihr liegt an Konkretem: Ist die Familie wohlhabend? Und gibt es eine interessante Partie für sie? Felix erwähnt Robert Acton, Mr. Wentworths Cousin – ein kluger und weltgewandter Mann, der in China ein Vermögen gemacht haben soll. Eugenia willigt ein, sich die Sache einmal anzuschauen.

Familientreffen

Am nächsten Tag fahren die beiden im luxuriösen Zweispanner zu den Verwandten. Dem Puritaner und Asketen Mr. Wentworth sind die exaltierten Schmeicheleien der Nichte nicht geheuer. Er fühlt sich hin- und hergerissen zwischen familiärem Mitgefühl und der Sorge, dass diese ordinäre Person den Hausfrieden gefährden könnte. Und nicht nur ihm ergeht es so: Wentworths jüngster Sohn Clifford hat sich gleich ganz versteckt, und Mr. Brand – ein Laienpriester und Freund der Familie – schaut angestrengt an Eugenia vorbei. Nur Mr. Acton erwidert ihren Blick mit wachsamen Augen und stellt ihr seine Schwester Lizzie vor, ein hübsches, lebhaftes Geschöpf, das laut Eugenia typisch amerikanisch aussieht. Eugenia ist von dem Ernst und der schlichten Freundlichkeit dieser Menschen gerührt und nimmt die Einladung an, sich für eine Weile bei ihnen niederzulassen.

Einzug ins weiße Haus

Wenige Tage später zieht sie mit ihrem Bruder in ein kleines weißes Häuschen unweit des Herrensitzes, da der Familienrat beschlossen hat, dass die Baronin ihre Privatsphäre brauche. Eugenias französische Dienerin Augustine macht sich sofort daran, das kahle Häuschen mit indischen Schals, Samtdeckchen und Seidenrouleaus aufzuhübschen – ein Eingriff, der bei der älteren Wentworth-Tochter Charlotte das Bedürfnis weckt, den ganzen Nippes wieder wegzuschaffen. Das Angebot, jeden Tag im großen Familienkreis zu speisen, lehnt Eugenia dankend ab. Sie möchte lieber eine eigene Köchin einstellen, am liebsten eine Turban tragende Negerin, allein um des bezaubernden Lokalkolorits willen.

„Die Baronin ergriff die Hand ihres Onkels, stand da mit ihrem hässlichen Gesicht und blickte ihn mit ihrem schönen Lächeln an. ,War es recht von mir zu kommen?‘, fragte sie.“ (S. 45)

Felix wähnt sich im siebten Himmel. Er hat zuvor als umherziehender Maler, Schauspieler und Geiger in vielen dreckigen Mietshäusern gehaust und auf dunkle Hinterhöfe geschaut. Er vermisst sein Bohemien-Leben nicht. Charlotte, Lizzie und Gertrude findet er allesamt bezaubernd, obwohl sie für seinen Geschmack etwas zu traurig sind. Er richtet sich in dem Häuschen ein Atelier ein und beginnt, gegen Bezahlung Porträts und Landschaftsbilder anzufertigen.

„,Wahrhaftig, was ist ein Leben ohne Vorhänge?‘, fragte sie sich insgeheim, und ihr schien, als sei ihr bisheriges, gänzlich volantfreies Dasein unsäglich indiskret gewesen.“ (über Gertrude, S. 68)

Der Herr des Hauses geht seine Nichte regelmäßig besuchen, aber ganz geheuer ist sie ihm nach wie vor nicht. Schon seine verstorbene Halbschwester, Eugenias und Felix’ Mutter, war durch ihren Entschluss, in Europa zu heiraten, in der Familie in Misskredit geraten. Der Neffe ist Mr. Wentworth zwar sympathischer als die Nichte, aber auch irgendwie rätselhaft: geradezu unverschämt sorglos, doch zugleich tiefgründig. Als Felix ihn fragt, ob er ihn im Stil eines Prälaten oder Kardinals zeichnen dürfe, lehnt der alte Herr entrüstet ab. Gertrude hingegen möchte Felix Modell sitzen. Sie will ergründen, warum man in ihrer Familie immer alles so schwer nimmt. Felix begreift das auch nicht, schließlich leben sie, wie er findet, im Paradies. Gleichzeitig weckt er in Gertrude den Wunsch, die große weite Welt kennenzulernen. Doch sie hat ein Problem: Ihr Vater und Charlotte haben sich in den Kopf gesetzt, der umsichtige Mr. Brand sei der Richtige für sie, und nun ist dieser zu allem Überfluss auch noch überzeugt, in sie verliebt zu sein.

Ein unmoralisches Angebot

Von allen neuen Bekannten mag Eugenia Robert Acton am liebsten. Und ihre Zuneigung wird erwidert. Noch nie hat der weit gereiste und kluge Bostoner eine solche Frau getroffen. Es gelingt ihm nicht, ihre vielfältigen Signale zu entschlüsseln – und das reizt seine Neugierde nur noch mehr. Eugenia erzählt ihm von ihrer heiklen Ehe mit dem deutschen Prinzen. Aber sie stellt auch klar, dass sie nach wie vor alle Fäden in der Hand habe. Sie kann die förmliche Einwilligung zur Auflösung der Ehe abschicken – oder auch nicht. Robert Acton würde nur zu gern wissen, wie sie sich entscheidet. Später besucht Eugenia Roberts schwer kranke Mutter. Mit einem unaufrichtigen Kompliment gegenüber der alten Dame sorgt sie für Verwirrung. Eugenia spürt, dass ihre Flunkerei nicht gut ankommt. Und das ärgert sie.

„Nein, mir liegt nichts an den großen Fragen. Mir liegt an Freude und Vergnügen. Vielleicht mag ich das Böse, das ist gut möglich!“ (Gertrude, S. 135)

Felix hat seinen Onkel umstimmen können und malt nun doch dessen Porträt. Mr. Wentworth erzählt ihm von seiner Sorge um Clifford: Der Junge hat mehrmals einen über den Durst getrunken und ist von der Harvard-Universität suspendiert worden. Mr. Brand, so der Onkel, kümmere sich um ihn. Doch Felix hat eine andere Idee: Wie wäre es, wenn Clifford eine Zeit lang bei Eugenia in die Lehre ginge und die Manieren eines Gentlemans lernen würde? Und wenn er sich sogar ein wenig in sie verlieben würde? Mr. Wentworth findet die Idee skandalös.

Sommerlicher Reigen

Felix erwähnt Gertrude gegenüber, dass er im Herbst wohl abreisen werde. Er verhehlt nicht seinen Wunsch, ihr den Hof zu machen, glaubt aber, dass er mangels Stellung und Vermögen dazu kein Recht habe. Gertrude erklärt ihm die vertrackte Situation: Mr. Brand möchte sie heiraten, sie aber ihn nicht; während Charlotte und ihr Vater eine solche Verbindung sehr befürworten, es aber nie ausdrücklich von ihr verlangen würden. Für Felix ist die Lösung ganz einfach: Warum nicht einfach Mr. Brand und Charlotte miteinander verkuppeln? Er ist ohnehin der Ansicht, dass die beiden einander schon seit Langem zugetan sind – man müsste ihnen nur die Augen öffnen. Gertrude gefällt die Idee, denn Mr. Brand hat offenbar ein ganz anderes Bild von ihr als sie selbst: Er hält sie für tiefschürfend und verkopft, während sie einfach nur leichtsinnig und ausgelassen sein will. Als Charlotte ihr später gut zuzureden versucht, wagt Gertrude den Befreiungsschlag: Sie bittet die Schwester, ihr den Verehrer künftig vom Hals zu halten. Schließlich seien Mr. Brand und Charlotte doch ohnehin ineinander verliebt.

Wer liebt wen?

Clifford schenkt Eugenia Blumen und besucht sie auffallend oft. An seiner Absicht, Lizzie Acton zu heiraten, hat sich zwar nichts geändert, aber er findet Eugenia amüsant und spürt wohl, dass er bei ihr einiges lernen kann. Eugenia gefällt ihre neue Rolle. Ihrer Meinung nach kann es nicht schaden, neben Robert Acton noch einen zweiten Verehrer in der Hinterhand zu haben. Mr. Acton muss Mitte August für ein paar Tage verreisen und sucht Eugenia sofort nach seiner Rückkehr in ihrem Häuschen auf. Er lädt sie ein, mit ihm zu den Niagarafällen zu reisen, doch bevor sie zustimmen kann, tritt plötzlich ein verlegen blickender Clifford ins Zimmer. Hastig verkündet Eugenia, er sei im Atelier gewesen, um sich Felix’ Bilder anzusehen. Der Junge starrt sie beide verwundert an und verschwindet. Danach ändert Eugenia ihre Version und behauptet, dass Clifford sich in sie verliebt habe und sie gerne nachts besuche. Verwirrt geht Robert nach Hause. Am nächsten Tag stellt er den jungen Mann zur Rede. Clifford streitet vehement ab, in Eugenia verliebt zu sein.

„Unter dem amerikanischen Himmel schien ihre Macht die Krallen verloren zu haben; die glatte Felswand war nicht zu ersteigen.“ (über Eugenia, S. 168)

Am Sonntag darauf schlägt das Wetter um. Es wird kühl und regnerisch. Eugenia ist schlecht gelaunt. Es ärgert sie, dass Mr. Acton schon seit Tagen nicht mehr bei ihr gewesen ist. Sie hat das Gefühl, ihrem Ziel keinen Schritt näher gekommen zu sein. Abgesehen davon kann sie sich nicht mit dem Gedanken anfreunden, in diesem schrecklichen Landstrich zu leben. Felix spricht ihr Mut zu. Er mag Robert und glaubt, dass seine Schwester mit ihm glücklich würde. Am frühen Abend, während er einen atemberaubend schönen Sonnenuntergang malt, sieht er von Weitem Mr. Brand und winkt ihn zu sich. Er versucht ihn davon zu überzeugen, Gertrude zu vergessen und sich um Charlotte zu bemühen. Mr. Brand scheint nicht abgeneigt, unterstellt Felix jedoch eigennützige Motive. Felix winkt ab. Seiner Meinung nach hat Mr. Brand Gertrude nie für sich gewonnen und kann sie deshalb auch nicht verlieren.

Zwischen Abschied und Antrag

Eugenia stattet Mr. Actons Mutter einen Abschiedsbesuch ab. Zu ihrem Verdruss scheint die Sterbenskranke nicht zu begreifen, weshalb Eugenia nicht für immer in dem armseligen Häuschen leben möchte. Als sie nach dem Abschied die breiten Stufen in die Halle hinuntergeht, nimmt sie anerkennend den gediegenen Luxus des Hauses wahr, eines Hauses, wie sie es sich immer erträumt hat. Im Garten sieht sie Robert Acton unter einem Baum im Gras liegen. Verlegen springt er auf und begleitet sie nach Hause. Er weiß nicht, wie und ob überhaupt er sie zum Bleiben bewegen kann. Denn Robert spürt, dass sie eine Lügnerin ist. Und als sie auf seine Nachfrage hin erklärt, sie habe jenes Schriftstück abgeschickt und ihre Ehe aufgelöst, bezweifelt er das.

„Offenbar hatte Felix Feuer an eine Zündschnur mit Erinnerungen gelegt, und das führte vor Mr. Brands erstaunten Augen zu einer ansehnlichen Flamme und rückwirkender Erleuchtung.“ (S. 182)

Dagegen ist sich Felix seiner Sache hundertprozentig sicher: Er möchte Gertrude heiraten. Er bittet Charlotte, bei ihrem Vater und Mr. Brand ein gutes Wort für ihn einzulegen. Als Felix drei Tage später seinen Onkel aufsucht, sitzt auch Charlotte im Zimmer. Von Anfang an versucht er, dem väterlichen Widerstand mit entwaffnender Ehrlichkeit zu begegnen: Ja, er sei es eigentlich nicht wert, ein so wunderbares Mädchen zu heiraten. Aber er habe einen Weg gefunden, mit der Porträtmalerei einen bescheidenen Lebensunterhalt zu verdienen. Gerade als er die Vorteile einer Liebesheirat preist, tritt Gertrude durch die Tür. Sie macht ihrem Vater unmissverständlich klar, dass sie ihren Cousin heiraten und mit ihm die Welt kennenlernen will. Zu guter Letzt taucht noch Mr. Brand auf und drängt Mr. Wentworth einzuwilligen. Er selbst wolle die beiden trauen. Verwirrt gibt sich der alte Mann geschlagen.

Vier Hochzeiten und eine Abreise

Am Abend wünscht Eugenia ihrer künftigen Schwägerin viel Glück. Bei der Gelegenheit erfährt sie, dass auch Clifford und Lizzie den Bund fürs Leben eingehen wollen. Mr. Acton versucht ein letztes Mal, sich an Eugenia heranzumachen, doch diese geht nicht darauf ein. Sie möchte unverzüglich nach Deutschland abreisen. Sie will nicht einmal die Hochzeit ihres Bruders abwarten. Die ganze Geschichte kommt ihr plötzlich wie eine billige Komödie vor. Und die Verzichterklärung habe sie selbstverständlich nicht unterschrieben, bekräftigt sie gegenüber Felix. Schließlich geben sich auch Charlotte und Mr. Brand das Jawort, und Robert Acton heiratet nach dem Tod seiner Mutter ein reizendes junges Mädchen.

Zum Text

Aufbau und Stil

Der Roman trug ursprünglich den Untertitel A Sketch – „eine Skizze“. Tatsächlich handelt es sich eher um eine Reihe von mit leichter Hand gemalten Skizzen als um ein komplexes Sittengemälde mit tiefenscharfen Charakterstudien. In der erzählten Zeit der frühen 1840er-Jahre passiert nicht viel, was die Figuren Profil gewinnen ließe. Sie reden miteinander oder auch aneinander vorbei – Letzteres vor allem, wenn die Besucher aus Europa ihre französischen Phrasen zum Besten geben und damit lautes Schweigen provozieren. Die Dialoge sind subtil ironisch und fein gedrechselt, was die Beteiligten etwas hölzern und leidenschaftslos erscheinen lässt. Ein allwissender Erzähler tritt vereinzelt mit seiner Meinung in Erscheinung, außerdem stiftet er mitunter aus wechselnden Perspektiven Verwirrung: So beschreibt er Gertrude anfangs als linkische Bohnenstange und verklärt sie später aus der Sicht ihres Verehrers Felix als hochgewachsene Grazie. Anders als die unfertig wirkenden Figurenskizzen malt James Architektur, Landschaft und Sonnenuntergänge mit breiten Pinselstrichen und in leuchtenden Farben, die oft auf ominöse Weise vorwegnehmen, was in der Geschichte passiert.

Interpretationsansätze

  • Die so komplexe wie komplementäre Beziehung zwischen Europa und Amerika steht im Zentrum des Romans: Die Wentworths sind wohlhabend, aufrichtig und politisch frei – aber auch freudlos, kulturlos und verklemmt. Ihre europäischen Verwandten sind verarmt, weltklug und, im Fall von Eugenia, verschlagen und voller Standesdünkel. Eugenia verkörpert das dekadente Europa – und scheitert. Felix hingegen gelingt die Synthese zwischen Alter und Neuer Welt mithilfe seiner Kunst.
  • Kulturelle Missverständnisse und Sprachschwierigkeiten sind ein wichtiges Motiv: Obwohl alle des Englischen mächtig sind, sprechen sie aneinander vorbei. Die Wentworths sind anderen gegenüber bedingungslos ehrlich, belügen sich aber häufig selbst. Bei den Verwandten aus Europa ist es umgekehrt: Sie flunkern, dass sich die Balken biegen, sind sich aber der eigenen Gefühle besser bewusst.
  • Henry James, ein Meister des Vagen und Unbestimmten, verstrickt Eugenia und ihren reichen Verehrer Mr. Acton in ein Verwirrspiel aus unklaren Motiven: Hat Robert Acton nun Eugenia abgewiesen oder sie ihn? Haben die beiden die Chance ihres Lebens verspielt? Oder einander eine qualvolle Ehe erspart? Diese Fragen bleiben offen.
  • Die Wentworths und Actons führen das Leben reicher Müßiggänger: In der Vergangenheit angehäufte Vermögen werden verwaltet, aber keine neuen geschaffen. Dies kommt auch in dem sprechenden Namen Wentworth („vergangener Wert“) zum Ausdruck. Ironischerweise betätigt sich nur der hedonistische Hallodri Felix produktiv: Er verdient als Künstler sein Geld.
  • Landschaften, Häuser, Möbel und Kleidungsstücke sind symbolisch aufgeladen: Das Anwesen der Wentworths steht für das puritanische, asketische Arkadien. Die Europäer dringen mit ihrem Tand in dieses unsinnlich kalte Idyll ein, verfeinern es durch ihre Kunst und Zivilisation und ermuntern seine Bewohner, sich ihren Gefühlen und der Welt zu öffnen.

Historischer Hintergrund

Die Stadt auf einem Hügel

Neuengland im Nordosten der USA gilt oft als Verkörperung des ursprünglichen Amerika und als Wiege der amerikanischen Demokratie: Die Massachusetts Bay Colony wurde 1629 von englischen Puritanern gegründet und von dem Prediger John Winthrop zur berühmten „Stadt auf einem Hügel“ ausgerufen, die der ganzen Welt als leuchtendes moralisches Vorbild dienen werde. 1773 eskalierte mit der sogenannten Boston Tea Party der Steuerstreit der Kolonie mit dem Mutterland Großbritannien – der Startschuss zum Unabhängigkeitskrieg und schließlich zur Unabhängigkeitserklärung drei Jahre später. Die strenge christliche Moral der Puritaner prägte das Leben in der Region bis ins 19. Jahrhundert: Weltliche Vergnügungen waren des Teufels, ein einfaches, frommes und fleißiges Leben Pflicht. Sogar Weihnachtsfeiern waren lange verpönt – im Bundesstaat Massachusetts wurde Weihnachten erst 1856 ein gesetzlicher Feiertag.

Die pastorale Idylle der Gründerväter war da, im Zuge der atemberaubend schnellen Industrialisierung, bereits zum Mythos geworden: 1830 lebten die meisten Neuengländer noch als unabhängige Farmer auf dem Land, doch nur 50 Jahre später wohnte die Mehrheit in Städten und verdiente sich als Lohnarbeiter ihren Lebensunterhalt. Der rasche Ausbau von Telegrafen- und Eisenbahnnetzen ließ Entfernungen schrumpfen und erhöhte die wirtschaftliche Effizienz. Neuengland, mit seinem erstklassigen Bildungssystem und hoch entwickelten Bankenwesen, hatte sich zur Lokomotive des Fortschritts gemausert.

Entstehung

Rund 30 Jahre später blickte Henry James in Die Europäer bereits nostalgisch auf die vermeintlich gute alte Zeit zurück. Der gebürtige New Yorker war von klein auf zwischen der Neuen und der Alten Welt hin- und hergependelt und ließ sich 1875 endgültig in Europa nieder. In Paris begann er noch im selben Jahr mit dem Roman Der Amerikaner, der von den vergeblichen Versuchen eines jungen amerikanischen Industriellen handelt, in den französischen Adel einzuheiraten. Die Fortsetzung kündigte James als spiegelbildliche Umkehrung dieses Plots an: Ein junger Europäer sollte nach Amerika reisen und dort die Frauenwelt verzaubern. „Er soll das Bild von der Konversion eines staubigen und trübseligen häuslichen Zirkels zum Epikuräismus geben“, schrieb der Autor an den Herausgeber der Literaturzeitschrift Atlantic Monthly über den Roman.

Weshalb aus dem einen Europäer dann zwei wurden und warum James auch in anderen Punkten von seinem Plan abwich, ist nicht bekannt. Fest steht: Die komplexen Wechselbeziehungen zwischen Amerikanern und Europäern waren sein Lebensthema. James verachtete die Dekadenz der Europäer und bewunderte zugleich ihre kulturellen Leistungen. Zugleich war er stolz auf den Mut der Amerikaner, jene „Stadt auf dem Hügel“ und damit ein besseres Europa zu errichten. Er nutzte den ständigen Vergleich mit der Alten Welt, um sich seiner eigenen amerikanischen Identität bewusst zu werden. „Amerikaner zu sein, ist ein schweres Los“, schrieb er 1872 an seinen Freund Charles Eliot Norton, „und eine der Aufgaben, die es mit sich bringt, besteht darin, gegen eine abergläubische Bewertung Europas anzukämpfen.“

Wirkungsgeschichte

Die Europäer erschien zwischen Juli und Oktober 1878 als Fortsetzungsroman in Atlantic Monthly und kam im September in London als Buch heraus. Viele Kritiker lobten die detaillierte und liebevolle Art, mit der James der typisch neuenglischen Familie ein Denkmal setzte. Sie hoben die feine Charakterzeichnung und die Kunstfertigkeit hervor, eine Geschichte ohne Handlung, nur aus der Konversation heraus zu erzählen. Andere, darunter auch Henrys Bruder William James, vermissten an dem Gesellschaftsroman die Substanz: Er sei „dünn und leer“ befand der renommierte Philosoph und Psychologe, eine Einschätzung, die Henry schwer traf, der er aber am Ende zustimmte. 30 Jahre später schloss er den Roman sogar von der offiziellen Gesamtausgabe seiner Werke aus. Die Europäer wurde erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wiederentdeckt. Kritiker und Leser schätzen an dem Frühwerk die humorvolle Leichtigkeit, mit der James transatlantische Verwicklungen aufs Korn nimmt, und Gustav Seibt würdigte den Roman im Nachwort zur Neuübersetzung als James’„erstes ganz modernes Werk“. Die Europäer wurde 1979 von James Ivory verfilmt.

Henry James gilt als Vater des psychologischen Romans. Mit seiner Prosa schuf er ein wichtiges Bindeglied zwischen dem Realismus eines Honoré de Balzac oder eines Charles Dickens und modernen Autoren wie Virginia Woolf oder James Joyce. In der Zeit wurde er als „einer der brillantesten Kenner unserer lebenshungrigen Seelen“ geadelt – schon nach der ersten Zeile mache er süchtig. Für seine loyalen Fans, vor allem in der englischsprachigen Welt, ist er schlicht und einfach: „The Master“.

Über den Autor

Henry James gilt in der angelsächsischen Welt als großer Klassiker der Literatur um 1900, als Meister des subtilen psychologischen Romans und Wegbereiter der literarischen Moderne. Am 15. April 1843 in eine großbürgerliche, wohlhabende und intellektuelle New Yorker Familie hineingeboren, erhält er eine umfassende Bildung und lernt schon früh die Klassiker der Weltliteratur kennen. Sein Vater ist einer der angesehensten amerikanischen Intellektuellen, befreundet mit Denkern wie Thoreau, Emerson und Hawthorne. Henry James’ Bruder William wird Psychologieprofessor in Harvard und Begründer des Pragmatismus in der Philosophie. Henry James selbst studiert, nachdem er in seiner Jugend Europa bereist hat, für kurze Zeit Jura in Harvard und betätigt sich bald als Journalist, zunächst als Kritiker, dann auch als Zeitungskorrespondent in Paris. 1869 siedelt er nach England über, wo er sich 1876 endgültig niederlässt. Viele seiner berühmten Romane und Erzählungen wie Daisy Miller (1878), Die Europäer (The Europeans, 1878) oder Die Gesandten (The Ambassadors, 1903) spielen vor dem Hintergrund der Begegnungen vornehmer Amerikaner mit Europäern. Der Gegensatz zwischen Alter und Neuer Welt, zwischen europäischer Kultur und amerikanischer Naivität spielt in seinem Werk eine wichtige Rolle. Da James vermögend und somit finanziell unabhängig ist, kann er sich ganz dem Schreiben und seinen intellektuellen Interessen widmen. Auch in England steht er in engem Kontakt zu den führenden Geistern seiner Epoche. 1904/05 reist James nach 25 Jahren erstmals wieder in die Vereinigten Staaten, unter anderem um die Ausgabe seiner gesammelten Werke vorzubereiten und zu begleiten, darunter sein meistgelesenes Buch, die Gespenstergeschichte Das Durchdrehen der Schraube (The Turn of the Screw, 1898). 1915 erwirbt James die englische Staatsbürgerschaft. Er stirbt am 28. Februar 1916 im Londoner Stadtteil Chelsea.

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