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Die fröhliche Wissenschaft

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Die fröhliche Wissenschaft

(„La gaya scienza“)

Kröner,

15 Minuten Lesezeit
10 Take-aways
Text verfügbar

Was ist drin?

Gott ist tot, sagt Nietzsche. Für ihn kein Grund zur Sorge: Seine pralle Lebensphilosophie ist heiter, bissig und für sein späteres Werk bahnbrechend.


Literatur­klassiker

  • Philosophie
  • Moderne

Worum es geht

Gott ist tot, das Leben geht weiter

In der Fröhlichen Wissenschaft präsentiert Friedrich Nietzsche bereits einige der Kernthemen seines späteren Hauptwerks Also sprach Zarathustra, vor allem die Dekonstruktion der Sinngebäude des christlichen Abendlandes. Völlig frei, fast schon heiter, aber auch ironisch, bissig und unbequem presst er 383 Aphorismen zwischen zwei Buchdeckel und würzt sie mit Liedern und Gedichten. Mal zielsicher, mal umherschweifend nimmt er sich einer ganzen Reihe von Themen an. Vor allem aber etabliert er ein neues Menschenbild: Hier wird der vitale (Über-)Mensch geboren, der Nietzsche berühmt machen soll. Frei von allen Moralvorstellungen, durch den Tod Gottes in die Existenz hineingeworfen und von der ewigen Wiederkehr des Gleichen zum verantwortungsvollen Handeln gedrängt, muss sich dieser neue Mensch in der Welt behaupten. Er sucht sein Heil in der Wissenschaft und in der Kunst und orientiert sich an der Antike. Für Nietzsche war die Gedankenarbeit offenbar eine heilsame Medizin: Er glaubte beim Verfassen der Aphorismen eine Besserung seiner zahlreichen Leiden zu spüren.

Take-aways

  • Die fröhliche Wissenschaft ist der Höhepunkt von Nietzsches mittlerer Schaffensperiode.
  • Inhalt: In freier Folge werden Themen wie Moral, Erkenntnis, Religion, Tugend, Frauen und Kunst diskutiert. Dabei demoliert Nietzsche die alte Ordnung und entwirft einen neuen, vitalen Menschen. Selbstständig, ohne göttlichen Rückhalt, soll dieser Wissenschaft und Kunst vereinen und sein Schicksal frohen Mutes annehmen.
  • Das Buch besteht aus 383 Aphorismen unterschiedlicher Länge.
  • Erstmals erwähnt Nietzsche hier die Lehre von der „ewigen Wiederkehr des Gleichen“ und die Formel vom „Tod Gottes“.
  • Ohne den moralischen Ballast früherer Zeiten steht der Mensch vor der neuen Herausforderung, seinem Leben selbstständig einen Sinn zu geben.
  • Um Wissenschaft geht es nur am Rand: Der Titel ist eher eine Anspielung auf das freie Philosophieren aus der Zeit der Troubadoure.
  • Kunst und Wissenschaft bilden in Nietzsches Philosophie eine Einheit; entsprechend schreibt er betont literarisch.
  • Das Buch war zu Nietzsches Lebzeiten ein Flop, gilt heute aber als besonders leichtfüßiges Werk aus seiner „freigeistigen“ Schaffensphase.
  • Die Stimmung des nachfolgenden Buches Also sprach Zarathustra klingt hier bereits an.
  • Zitat: „Gott ist tot! Gott bleibt tot! Und wir haben ihn getötet!“

Zusammenfassung

Macht, Triebe und Liebe

Egal, was die Menschen tun, all ihre Tätigkeiten dienen in erster Linie der Erhaltung der menschlichen Art. Es ist ihnen unmöglich, gegen diesen Urinstinkt zu handeln. Wenn man seine Mitmenschen in Gute und Böse trennt, kann man nicht umhin, auch die Bösen als nützlich anzusehen. Denn Eigenschaften wie Hass, Schadenfreude und Herrschsucht tragen mit zur Arterhaltung bei. Artzersetzendes Leben ist nicht möglich. Im Gegenteil: Böse Menschen haben die Art am weitesten vorangebracht, indem sie Leidenschaften entzündeten, Widerspruch wagten und damit den Fortschritt beflügelten.

„Den gemeinen Naturen erscheinen alle edlen, großmütigen Gefühle als unzweckmäßig und deshalb zuallererst als unglaubwürdig.“ (S. 33)

Wenn wir anderen Menschen Gutes oder Böses tun, so dient dies vor allem der Stärkung unseres Machtgefühls. Denen, die uns nicht kennen, werden wir zunächst wehtun, damit sie uns kennen lernen, denn Schmerz fragt immer nach dem Woher. Wenn sie dann in unserem Machtbereich sind, können wir ihnen auch Gutes tun, denn dann wissen sie bereits, dass es ihnen von uns geschieht. Lust hingegen fragt im Allgemeinen nicht nach dem Woher, sondern vermutet ihren Ursprung immer in sich selbst. Der Begriff der Liebe wird allenthalben dafür verwendet, dass sich jemand voll und ganz einem anderen Menschen schenkt. Doch insbesondere an die geschlechtliche Liebe wird eine Unbedingtheit geknüpft: Der Liebende verlangt, dass er allein der Höchste des Geliebten wird. Umgekehrt schließt er alle anderen Menschen von der Liebe zur geliebten Person aus. Insofern ist die Liebe doch nichts weiter als maßlos gesteigerter Egoismus.

Gemeine und edle Menschen

Hohe Gefühle, Edelmut und Kühnheit sind den meisten Menschen fremd. Sie haben eine gemeine Natur und unterscheiden sich von den edlen Gemütern dadurch, dass sie stets vernünftig handeln, während der edle Mensch in seinen besten Momenten nur von seinen Trieben gesteuert wird. Diese unvernünftige Leidenschaft verachtet der Gemeine.

„Die stärksten und bösesten Geister haben bis jetzt die Menschheit am meisten vorwärtsgebracht.“ (S. 35)

Tief verborgen in uns schlummern Vulkane. Es sind die Anlagen, die wir von unseren Ahnen erhalten haben. Wenn nicht der Vater, so wird der Großvater etwas von sich in uns wiedererkennen, über das wir selbst staunen. In jeder Generation gibt es Menschen, die etwas Besonderes sind und die wie der Rückfall in eine längst vergangene Kultur anmuten. Die Realisten beäugen sie misstrauisch und brüsten sich damit, dass sie keiner Fantasterei auf den Leim gehen, dass sie ernst und objektiv sind, anders als die Künstler. Doch sie machen sich etwas vor, weil sie gar nicht so realistisch sein können, wie sie es gerne wären. Unbemerkt schwingt in jedem Ding, das sie sehen, in jeder Betrachtung, in der sie sich ergehen, auch die Fantasie anderer Menschen mit, derer sie sich nicht entledigen können.

„(...) wir sind alle wachsende Vulkane, die ihre Stunde der Eruption haben werden (...)“ (S. 41)

Individualismus galt lange Zeit als größter Fluch. Früher war es eine Strafe, wenn jemand von der Gesellschaft ausgeschlossen und damit in seinen Meinungen und Entscheidungen sich selbst überlassen wurde. Egoistisches Verhalten hatte einem damals peinlich zu sein. Heute erscheint es uns als Last, sich in die Gesellschaft einordnen zu müssen. Die Selbstlosigkeit nützt nur der Gesellschaft, dem Tugendhaften selbst ist sie Last und Fluch. Er arbeitet fleißig, bis er stirbt. Und wofür? Damit seine Tüchtigkeit gelobt wird, bevor man schnell wieder zur Tagesordnung übergeht.

Lust, Unlust und Wissenschaft

Wer sich anschickt, aus der Moral eine Wissenschaft zu machen, hat einen Berg Arbeit vor sich. Zu groß sind die weißen Flecken auf der Landkarte der Moral, die noch kein Gelehrter betreten hat. Wie wäre es mit einer Geschichte der Liebe, des Neides, des Gewissens oder der Grausamkeit? Wer erforscht die Wirkung des Essens, der regelmäßigen Arbeit oder des Zusammenlebens auf die Moral? Manche meinen, dass es der Zweck der Wissenschaft sei, dem Menschen möglichst viel Lust zu verschaffen und die Unlust abzustellen. Was aber, wenn diese beiden Bereiche, Lust und Unlust, fest miteinander verknüpft sind? Dann wäre es vielleicht besser, wir täten es wie die Stoiker und wünschten uns möglichst wenig Lust, damit wir auch wenig Unlust mit in Kauf nehmen müssten.

„Wenn du eine Tugend hast, eine wirkliche, ganze Tugend (und nicht nur ein Triebchen nach einer Tugend!) – so bist du ihr Opfer!“ (S. 51)

Wenn einer eine ungeheuerliche Entdeckung macht, dreht er sich meist auf dem Absatz um und flieht vor der neuen Erkenntnis. Mit Dingen, die der üblichen Erfahrung nicht entsprechen, will niemand etwas zu tun haben. In den vergangenen Jahrhunderten hat man versucht, die Wissenschaft aus dreierlei Gründen zu fördern: Erstens, weil man mit ihrer Hilfe die Größe Gottes beweisen wollte, zweitens, weil man an die Nützlichkeit der Erkenntnis glaubte, und drittens, weil man die Wissenschaft für selbstlos und unschuldig, also objektiv hielt. Die Wissenschaft wurde demnach aufgrund von drei Irrtümern gefördert. Ein Hoch gilt jedoch der Physik: Sie lehrt uns Gesetzmäßigkeiten der Natur, Dinge des Hier und Jetzt. Damit ermöglicht sie uns, die moralinsauren Vorstellungen der Vergangenheit abzulegen. Wir müssen forschen und entdecken, um uns selbst zu finden. Wer Schöpfer sein will, muss Physiker sein!

Über die Frauen

Wie Sirenen locken uns die Frauen an. Wenn wir im Alltagstrott stecken und im Lärm der Welt unterzugehen glauben, sehnen wir uns nach ihnen, denn sie sind Ruhepole in der Ferne. Doch kommen sie uns zu nah, ist die Illusion dahin. Um sich nach ihnen sehnen zu können, braucht man die räumliche Distanz. Frauen drücken ihre Hingebung damit aus, dass sie ihre Tugend und Scham preisgeben. Diese Gabe wird von den Männern gern angenommen, allerdings ohne dass sie damit eine Verpflichtung ihrerseits verbinden würden. Das wiederum haben sich die Frauen meist anders vorgestellt.

„Die Liebe vergibt dem Geliebten sogar die Begierde.“ (S. 84)

Frauen sind groß darin, ihre Schwächen zu übertreiben. Sie führen damit dem Mann seine Grobheit vor Augen. Typisch für den Mann ist der Wille, typisch für die Frau die Willigkeit. Deshalb sind Frauen oft so, wie die Männer sie haben wollen. Der Vorwurf, sie würden die Männer verderben, ist nicht stichhaltig: Es sind vielmehr die Männer, die die Frauen verderben und sie dann für diese Verderbtheit tadeln. Die Frauen dürfen in den Augen der Männer auf keinen Fall ihre Keuschheit preisgeben. Daher wird in ihrer Erziehung einiges unternommen, um sie ganz ahnungslos in die Ehe zu entlassen. Dann kommt mit einem großen Paukenschlag die Ernüchterung. Plötzlich muss die Frau ihre Schamhaftigkeit aufgeben und wird von dem, den sie am meisten liebt, darin unterrichtet, dass der Mensch unmittelbar Gott und Tier zugleich sein kann. Die Frauen sind zu bedauern. Wenn sie erst Mütter sind, werden sie noch furchtsamer und unterwerfen sich umso leichter. Ihre Kinder benötigen sie auf die gleiche Weise wie ein Künstler sein Kunstwerk braucht.

Kunst und Künstler

Es sind vor allem die Künstler des Theaters, denen wir dankbar sein sollten. Sie halten uns einen Spiegel vor. Mehr noch: Sie beweisen uns, dass wir alle Helden sein können. Die Griechen waren es, die uns mit ihren Dramen die schönen Worte gelehrt haben. Freilich um den Preis der Natürlichkeit. Die Italiener haben mit der Oper unsere Liebe zur Arie geweckt. Wieder um den Preis der Natürlichkeit. Kunst und Natur widerstreben sich nirgends so sehr wie auf der Bühne. Wir wissen, dass es den antiken Theaterautoren überhaupt nicht darum ging, Furcht und Schauder beim Publikum zu erregen (Anhänger des Aristoteles mögen weghören), sondern nur um die schöne Rede.

„Nachdem Buddha tot war, zeigte man noch jahrhundertelang seinen Schatten in einer Höhle.“ (S. 126)

Sprache in Reimen und künstlerischer Ausdruck verklären den Sinn der Worte. Insofern sind Gedichte nicht dazu geeignet, Klarheit zu schaffen. Das sollen sie auch nicht, denn Poesie will ja vor allem eines: nicht nützlich sein. Alle Künstler sind eitel. Sie achten ihre eigene Kunst nicht und glauben immer, dass sie eigentlich zu etwas Höherem berufen sind. Wenn ihre Seele die Tragik eines Augenblicks liebt, der in Musik ausgedrückt ist, dann strebt ihr Charakter danach, Maler verwegener Wandgemälde zu sein. Es ist ein Jammer, wenn die eigene Kunst den überhöhten Ansprüchen zum Opfer fällt.

Die Deutschen

Die Musik der Deutschen ist eine Musik Europas, eine Vertonung der Revolutionen. Nur die deutschen Komponisten können den Lärm des Massenauflaufs fassen, den Marsch der Massen musikalisch ausdrücken. Nur sie haben einen musikalischen Begriff für das Volk. Dafür geht ihnen die Grazie manch anderer Musik ab. Der Klang der deutschen Sprache gehorcht dem Kanzleistil. Da man in Deutschland immer schon vom Hof geschwärmt hat, bediente man sich auch der Sprache des Hofes und der Regierungen. Und das war eben das Behördendeutsch der Briefe, Urkunden und Testamente. Deutsch wurde hierdurch zu einer Sprache der gezierten Vornehmtuer. Geraten die Deutschen in Leidenschaft – was selten genug vorkommt –, so werden sie schnell grob und hässlich. Wenn es ihnen aber gelingt, sich zum Erhabenen aufzuschwingen, und zwar insbesondere in der Kunst, so werden auch sie Teil des Schönen. Die Deutschen sind eben doch Nymphen und Waldgötter – nur stecken sie in der plumpen Hülle tapsiger Bären.

Schicksal und Tod

Man muss sein Schicksal annehmen, um es ertragen zu können. Aber der Gedanke an den Tod ist den Menschen fremd. Obwohl er das einzig Sichere auf dieser Welt ist, schaffen sie es, ihn weit von sich zu weisen. Es ist wie wenn man an Bord eines Auswandererschiffs geht: Es kann nicht schnell genug gehen, die alte Welt hinter sich zu lassen, und man glaubt daran, dass man sein Glück finden wird. Von Not und Tod will niemand etwas wissen.

„Moralität ist Herden-Instinkt im Einzelnen.“ (S. 134)

Wenn man eines Nachts einen Dämon auf seinem Kissen liegen hätte, der einem ins Ohr flüsterte, dass diese Welt eine Welt der ewigen Wiederkehr des Gleichen sei, was würde man dann denken? Wenn sich alles wiederholen würde, jede Freude und jeder Schmerz, wie würde man darauf reagieren? Würde man den Dämon angesichts dieser Aussichten verfluchen, oder würde man ihn loben, weil man begierig ist, große Momente noch einmal zu erleben? In jedem Fall würde diese Prophezeiung großes Gewicht für alle folgenden Handlungen haben.

Über Gott und Religion

Wer war es doch gleich, der eines Vormittags mit einer Laterne auf den Markt lief und nach Gott suchte? Es war der tolle Mensch. Die umherstehenden Leute, allesamt Atheisten, lachten über die Naivität des Verrückten und machten sich über ihn lustig. Da geriet er in Zorn und verkündete ihnen, dass Gott tot sei. Sie alle hätten ihn ermordet. Er fragte die Menschen, ob es nach dieser ungeheuerlichen Tat nicht kälter geworden sei. Ob nicht alles verkehrt, sinnlos und dunkel geworden sei. So dunkel, dass man schon am Vormittag die Laterne anzünden müsse. Schließlich zerschmetterte der tolle Mensch seine Laterne und stellte fest, dass die Menschen sich ihrer Tat noch nicht bewusst waren. So wie der Donner Zeit braucht, um nach dem Blitz wahrgenommen zu werden, so schien es sich auch mit dem Mord an Gott zu verhalten. Der tolle Mensch trollte sich und stimmte das Requiem in mehreren Kirchen an, die er nunmehr als Grüfte Gottes bezeichnete. Heute wird das Bild Gottes auch nach dessen Tod immer noch an Höhlenwänden gezeigt. Wirklich fort ist er erst, wenn auch diese Schatten verschwunden sind.

„Gott ist tot! Gott bleibt tot! Und wir haben ihn getötet!“ (S. 141)

Religion geht auf die Vorstellung von Ursache und Wirkung oder, wie Schopenhauer es formulierte, auf das Wirken eines Willens zurück. Wo es einen Willen gibt, muss es auch jemanden geben, der diesen Willen steuert – ein wollendes Wesen. Das Gebet ist für diejenigen Menschen gemacht, die selbst keine erhebenden Worte finden können. Das rhythmische Beten vorgefertigter Verse, möglichst in Kombination mit dem Drehen der Gebetsmühle oder dem Abzählen des Rosenkranzes, hilft ihnen, ihre Gedanken zu bündeln.

„Das Gebet ist für solche Menschen erfunden, welche eigentlich nie von sich aus Gedanken haben und denen eine Erhebung der Seele unbekannt ist oder unbemerkt verläuft.“ (S. 143)

Woher kommt das christliche Gefühl der Sünde? Es kommt von den Juden, die Begriffe wie Reue und Buße in die Welt eingeführt haben. Hätte man einem antiken Griechen gesagt, dass er sich sein Seelenheil nur mithilfe der Reue erkaufen kann, hätte er gelacht. Er hätte die Sünde als Folge der Leidenschaft betrachtet – und sie in Kauf genommen. Gott und die Welt waren in der Antike so klar voneinander getrennt, dass eine weltliche Missetat den Allerhöchsten noch nicht einmal berührt hätte. Eine Person wie Jesus Christus war als Erlöser nur vor dem Hintergrund der jüdischen Dunkelheit denkbar: Wo ein ewig rachsüchtiger Jehova hinter Blitzen und Donnern lauerte, musste der sanftmütige Jesus mit seiner Botschaft der Liebe Erfolg haben.

Zum Text

Aufbau und Stil

Die fröhliche Wissenschaft besteht aus fünf Büchern mit insgesamt 383 nummerierten Abschnitten sehr unterschiedlicher Länge. Die ersten drei Bücher tragen keinen Titel, das vierte nennt Nietzsche „Sanctus Januaris“, Buch fünf heißt „Wir Furchtlosen“. Eingeführt wird der Textkorpus von einem „Vorspiel in deutschen Reimen“ mit 63 bissigen Gedichten unter dem Titel „Scherz, List und Rache“. Diesen Titel entlieh Nietzsche von Goethes Singspiel aus dem Jahr 1790. Den Anhang bilden 14 „Lieder des Prinzen Vogelfrei“.

Der aphoristische Stil – geistreiche, knapp formulierte Gedanken – ist typisch für Nietzsches mittlere Schaffensphase. Der Begriff „knapp“ ist allerdings dehnbar; die einzelnen Abschnitte reichen von einem einzigen Satz bis zu mehreren Seiten. Das Buch ist voll von Assoziationen, Metaphern und Allegorien. Zwar gibt es wiederkehrende Themen, z. B. Religion, Moral oder Kunst, aber sie werden in kein stringentes Konzept gegossen. Nietzsches Ton ist unbeschwert heiter, bisweilen geradezu ekstatisch. Er selbst bezeichnete Die fröhliche Wissenschaft als ein bejahendes, positives Buch.

Interpretationsansätze

  • Der zweifellos berühmteste Aphorismus der Fröhlichen Wissenschaft ist jener vom Tod Gottes. Nietzsche zufolge teilt dieses Ereignis die Geschichte in zwei Hälften; bestehende Wahrheiten und Werte seien fortan verloren. Eigentlich wollte Nietzsche diese Aussage Zarathustra, dem Protagonisten seines nachfolgenden Werkes, in den Mund legen. Er benannte diesen in der Fröhlichen Wissenschaft dann aber in den „tollen Menschen“ um.
  • Der wissenschaftliche Fortschritt des 19. Jahrhunderts stellte die Existenz einer göttlichen Macht radikal in Frage. Was Sören Kierkegaard als Verlust betrachtete und der ungarische Philosoph Georg Lukács als „transzendentale Obdachlosigkeit“ beschrieb, sah Nietzsche positiv: Ohne den moralischen Ballast früherer Zeiten stehe der Mensch vor der schönen Aufgabe, die Welt nach seinen eigenen Vorstellungen zu gestalten. Die Frage nach der (Nicht-)Existenz Gottes hat bis heute nichts von ihrer Sprengkraft eingebüßt und die so genannte Existenzphilosophie populär gemacht.
  • Ein weiterer Gedanke entpuppt sich als bahnbrechend für Nietzsches Philosophie: die Idee von der ewigen Wiederkehr des Gleichen. Sie ist eng verknüpft mit der Idee der Schicksalsliebe („Amor Fati“): Ertragen kann diese Wiederholung guter und schlimmer Ereignisse nur, wer sein Schicksal lieben lernt.
  • Der Kampf zwischen Kunst und Wissenschaft ist für Nietzsche zu einem Ende gekommen: Beide haben ihre Berechtigung und präsentieren sich neu als Einheit. Der Wissenschaftler erscheint immer auch als Künstler, und umgekehrt.
  • Was ist eigentlich fröhlich an der Wissenschaft? Für Nietzsche ist es die freie Erforschung der Welt und der eigenen Person, ein offenes Philosophieren als Gegensatz zur strengen, formalistischen Wissenschaft. Der Untertitel „La gaya scienza“ erinnert an die provenzalischen Troubadoure, die gleichzeitig Ritter, Sänger und Freigeister waren.
  • Nietzsche nutzte die Dichtung als Medizin: Während der Niederschrift der Aphorismen verbesserte sich sein Gesundheitszustand spürbar. Von der Schwermut und Aggressivität späterer Werke ist in der Fröhlichen Wissenschaft denn auch kaum etwas zu spüren.

Historischer Hintergrund

Wilhelm I. und Kanzler Bismarck

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts breitete sich in Europa ein flächendeckendes Gefühl der Überlegenheit aus. In den meisten europäischen Ländern war die Industrialisierung in vollem Gang. Wissenschaftliche, technische und medizinische Fortschritte nährten die Hoffnung, dass sich die Lebensqualität künftig stark verbessern würde. Das galt auch und besonders für das Deutsche Kaiserreich. 1871 hatte Preußen über Frankreich gesiegt. Insgesamt 25 Bundesstaaten schlossen sich am 18. Januar 1871 zum Deutschen Kaiserreich mit Wilhelm I. an der Spitze zusammen. Erster Reichskanzler wurde Otto von Bismarck, der die innen- und außenpolitischen Geschicke des neuen Staates lenkte. Da er das Reich für „saturiert“ hielt, verfolgte Bismarck eine gemäßigte Außenpolitik, die nicht auf Expansion drängte. Er knüpfte stattdessen ein kompliziertes Bündnisnetz, mit dem er sich die Neutralität bzw. Loyalität verschiedener Staaten sicherte. Am Kolonialismus mochte Bismarck zunächst nicht teilhaben, ermöglichte jedoch 1882 die Gründung des Deutschen Kolonialvereins, den er ab 1884 auch aktiv unterstützte und der mehrere Kolonien in Afrika erwarb.

Entstehung

Der Winter 1879 war für den von Magenschmerzen, Migräne und Erbrechen heimgesuchten Nietzsche einer der schlimmsten Abschnitte seines Lebens. Wegen seiner schlechten Augen konnte er kaum noch lesen und schreiben. Seine Texte kritzelte er während seiner Spaziergänge in „kleinen Häppchen“ hin. Besserung erfuhr der rastlos Reisende erst in Sils-Maria im schweizerischen Engadin. Hier hatte er 1881 während einer Wanderung eine Eingebung: Ihm kam die Idee der ewigen Wiederkehr, die für Die fröhliche Wissenschaft und seine späteren Werke wichtig wurde. Nietzsche wusste jedoch nicht recht, wie er diesen neuen Gedanken formulieren sollte. Eigentlich plante er eine Fortsetzung seines Werkes Morgenröte, das er um weitere fünf Bücher ergänzen wollte. Im Januar 1882 schrieb er an seinen Freund Heinrich Köselitz (der unter dem von Nietzsche erdachten Pseudonym Peter Gast veröffentlichte), dass er bereits drei der geplanten Ergänzungsbände abgeschlossen habe. Bis zur Veröffentlichung verfasste er noch ein weiteres Buch, behielt aber rund ein Viertel des bereits angesammelten Materials zurück, um daraus eine wissenschaftliche Abhandlung über die ewige Wiederkehr zu machen. Die fröhliche Wissenschaft enthält daher nur die erste, metaphorisch verbrämte Erwähnung dieses wichtigen Gedankens. Ausformuliert wird er dichterisch erst im nachfolgenden Werk Also sprach Zarathustra. Die Abhandlung über die ewige Wiederkehr wird nie veröffentlicht; Vorarbeiten finden sich jedoch in Nietzsches Nachlass. Parallel zur Fröhlichen Wissenschaft beschäftigte sich Nietzsche mit der Figur Zarathustras, den er zum Helden einiger Aphorismen machte. Bis auf eine Stelle („Incipit tragoedia“ – der letzte Aphorismus des vierten Buches, der starke Ähnlichkeiten mit der Vorrede von Also sprach Zarathustra aufweist) tilgte Nietzsche aber jede Erwähnung des Namens.

Wirkungsgeschichte

Die fröhliche Wissenschaft erschien Mitte August 1882 im Verlag von Ernst Schmeitzner in Chemnitz. Die Erstauflage belief sich auf 1000 Exemplare, von denen aber in den folgenden vier Jahren nur rund ein Fünftel verkauft wurde. Dennoch unternahm Nietzsche 1886 den Versuch, das Buch zu überarbeiten und zu ergänzen. Anlass war eine Neuauflage seiner größeren Schriften im Fritzsch-Verlag. Nietzsche ergänzte Die fröhliche Wissenschaft um eine Vorrede, ein fünftes Buch („Wir Furchtlosen“) und die „Lieder des Prinzen Vogelfrei“. Es wird immer wieder darüber gestritten, welche Stellung Die fröhliche Wissenschaft in Nietzsches Werk einnimmt. Die einen meinen, es markiere den Abschluss der mittleren, so genannten „freigeistigen“ Schaffensperiode, und mit Zarathustra würde etwas völlig Neues beginnen. Andere glauben, dass sich beide Werke komplementär zueinander verhalten, zumal viele der Themen von Zarathustra bereits in der Fröhlichen Wissenschaft anklingen. Darüber hinaus benutzte Nietzsche zumindest für die zweite Auflage von 1886 auch Material, das er für Also sprach Zarathustra und Jenseits von Gut und Böse konzipiert, aber nicht verwendet hatte.

Nietzsches Wirkung zeigte sich erst relativ spät, dann aber auf breiter Ebene. Obwohl sein Werk zu Lebzeiten bei den deutschsprachigen Intellektuellen kaum Beachtung fand, hatte es großen Einfluss nicht nur auf die Philosophie, sondern vor allem auch auf Kunst und Literatur des 20. Jahrhunderts. In Deutschland befassten sich Autoren wie Stefan George, Karl Kraus, Thomas Mann, Robert Musil und Georg Trakl mit Nietzsches Philosophie. Insbesondere die Expressionisten fanden viele Anknüpfungspunkte bei ihm. Martin Heidegger betonte die große Bedeutung der Fröhlichen Wissenschaft als ersten Schritt zur Ausbildung von Nietzsches metaphysischer Grundeinstellung bzw. zur Vollendung und Überwindung der abendländischen Metaphysik.

Über den Autor

Friedrich Nietzsche wird am 15. Oktober 1844 im sächsischen Röcken geboren. Seine Kindheit ist vom strengen Protestantismus des Elternhauses sowie vom frühen Tod des Vaters geprägt. 1864 beginnt er in Bonn ein Studium der klassischen Philologie und wechselt später nach Leipzig. Mit 24 Jahren wird der begabte Student auf eine Professur in Basel berufen. Mit seinem unkonventionellen Werk Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik (1872) brüskiert er seine Fachkollegen und wendet sich der Philosophie zu. Seine Unzeitgemäßen Betrachtungen (1873–1876) stehen unter dem Einfluss Arthur Schopenhauers. Mit dem Text Richard Wagner in Bayreuth (1876) setzt Nietzsche seiner Freundschaft mit dem Komponisten ein Denkmal. Kurz darauf bricht er jedoch mit ihm, u. a. wegen Wagners Hinwendung zum Christentum. Mit Menschliches, Allzumenschliches (1878) wendet Nietzsche sich auch von Schopenhauer ab. 1879 gibt er wegen einer dramatischen Verschlechterung seines Gesundheitszustands das Lehramt in Basel auf. Er leidet unter schweren migräneartigen Kopf- und Augenschmerzen. Die folgenden zehn Jahre sind von gesundheitlichen Krisen geprägt, denen er mit Aufenthalten in der Schweiz, in Italien und in Frankreich zu entgehen versucht. In diesen Jahren erscheinen Nietzsches Hauptwerke: Morgenröte (1881), Die fröhliche Wissenschaft (1882), Also sprach Zarathustra (1883–1885), Jenseits von Gut und Böse (1886) und Zur Genealogie der Moral (1887). Im Januar 1889 erleidet er in Turin einen geistigen Zusammenbruch: Aus Mitleid mit einem geschlagenen Droschkengaul umarmt er weinend das Tier und fällt später in eine vollständige geistige Umnachtung; möglicherweise ist Syphilis die Ursache. Er stirbt am 25. August 1900 in Weimar. Nach Nietzsches Tod erscheint auf Betreiben seiner Schwester das Buch Der Wille zur Macht, eine unabgeschlossene Sammlung von Aphorismen, die lange als Nietzsches Hauptwerk gelten. Heute stuft die Forschung diesen Text aufgrund vieler Verfälschungen durch die Schwester als sehr unzuverlässig ein. Zeugnis der letzten Schaffensphase Nietzsches und des zunehmenden Größenwahns legt Ecce homo ab, Nietzsches eigenwillige Autobiografie, die 1908 erscheint.

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    S. F. vor 5 Jahren
    Sehr gute und ausführliche Informationen.
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