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Die öffentliche Meinung

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Die öffentliche Meinung

Wie sie entsteht und manipuliert wird

Westend,

15 Minuten Lesezeit
10 Take-aways
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Was ist drin?

Ein kluges Plädoyer dafür, die eigenen Meinungen immer wieder zu hinterfragen.


Literatur­klassiker

  • Sprache & Kommunikation
  • Moderne

Worum es geht

​​​Die Macht des Bildermachens

Als Die öffentliche Meinung 1922 erschien, gab es noch kein Radio und Fernsehen, geschweige denn Internet. Die damals aktuellen Beispiele, die Walter Lippmann für die Macht der Medien anführte, mögen heute überholt erscheinen, seine Grundthese aber gilt nach wie vor: Die Welt ist zu komplex und dynamisch, als dass wir sie direkt erfassen könnten. Über die meisten Ereignisse wie Kriege und Hungersnöte, politische Krisen und Streiks erfahren wir indirekt, über die Medien. Sie beeinflussen maßgeblich die inneren Bilder und Stereotype, die unser gesamtes Denken, Fühlen und Handeln bestimmen. Der Durchschnittsbürger wird durch diese inneren Bilder, die er für die Realität hält, leicht lenkbar. Lippmann forderte daher eine Einschränkung der Macht der Masse zugunsten von Expertenkommissionen, die Politiker neutral beraten sollten. Seine Vision einer von Spezialisten gelenkten Demokratie brachte ihm den Vorwurf des Elitarismus ein. Dennoch: Im Zeitalter von Fake News, manipulierten Bildern und perfider Meinungsmache ist dieses Buch aktueller denn je.

Take-aways

  • Walter Lippmanns 1922 erschienenes Buch Die öffentliche Meinung gilt als Gründungswerk der Medien- und Meinungsforschung.
  • Inhalt: Unsere Welt ist zu komplex, als dass wir sie direkt erfassen könnten. Von den meisten Ereignissen erfahren wir aus zweiter Hand. Wir erschaffen innere Bilder, die sich als eine Art Pseudoumwelt zwischen uns und die Wirklichkeit schieben. Unser gesamtes Denken und Handeln ist eine Reaktion auf diese selbst geschaffenen Stereotype.
  • In der „Macht des Bildermachens“ erkennt Walter Lippmann das wichtigste Herrschaftsinstrument in modernen Gesellschaften.
  • Eine entscheidende Rolle weist er dabei den Medien und Journalisten zu.
  • Der Autor sieht Demokratie skeptisch und spricht sich für eine Einschränkung der Macht der Masse zugunsten von Expertenkommissionen aus.
  • Als Heilmittel gegen die Übermacht der inneren Bilder empfiehlt er Bildung.
  • Lippmann war in den 1930er-Jahren Direktor eines einflussreichen Thinktanks.
  • Sein Stil ist nicht wissenschaftlich, sondern assoziativ und erzählerisch.
  • Noam Chomsky kritisierte in den 80er-Jahren die elitäre Grundhaltung des Buches.
  • Zitat: „Im Alltag ist das Urteil oft bereits lange vor der tatsächlichen Beobachtung gefällt, die dann nur noch zur Bestätigung desselben dient.“

Zusammenfassung

Unsere inneren Bilder

In unserer komplexen Welt ist es für den Einzelnen unmöglich, alles, was geschieht, mit eigenen Augen zu sehen. Ein Großteil unserer Gedanken und Empfindungen bezieht sich auf Ereignisse, die wir nicht selbst miterlebt haben. Ob Kriege, Hungerkatastrophen oder politische Intrigen – wir betrachten unsere Umwelt in der Regel auf indirekte Weise. Wir erschaffen uns geistige Bilder von Ereignissen, die wir nicht selbst miterlebt haben, und halten diese für Realität. Auch große Persönlichkeiten lernen wir nicht unmittelbar, sondern nur durch das Medium der Fiktion kennen. Die inneren Bilder, die von Halluzinationen bis hin zu bewusst konstruierten Wissenschaftsmodellen reichen, fügen sich als eine Pseudoumwelt zwischen dem Einzelnen und der Wirklichkeit ein. Tatsächlich besteht menschliche Kultur vor allem in der Auswahl, dem Anordnen sowie dem Erschaffen von Mustern und wissenschaftlichen Modellen, durch die wir der unordentlichen und ständig im Wandel begriffenen Umwelt eine Ordnung unterschieben.

„(…) es ist völlig klar, dass Menschen unter gewissen Bedingungen auf Fiktionen ebenso stark reagieren wie auf Wirklichkeiten und dass sie in vielen Fällen erst die Fiktionen schaffen helfen, auf die sie eingehen.“ (S. 64)

Das meiste von dem, was der Mensch tut, beruht nicht auf unmittelbarem Wissen, sondern auf inneren Bildern. Sein Handeln ist die Reaktion auf eine selbst geschaffene Pseudowelt, vollzieht sich aber in der realen Welt und beeinflusst diese auf verschiedenste Weise. In der Politik und in öffentlichen Angelegenheiten spielen die geistigen Bilder eine besondere Rolle. Die Bilder, die Menschen von sich selbst und von anderen sowie von ihren Zielen und Beziehungen zueinander haben, nennen wir „öffentliche Meinungen“. Als „öffentliche Meinung“ dagegen bezeichnen wir die Bilder, nach denen Gruppen von Menschen oder einzelne Personen im Namen von Gruppen handeln.

Propaganda und Zensur

Propaganda stellt den Versuch dar, ein Bild durch ein anderes zu ersetzen und so eine bestimmte Reaktion seitens der Rezipienten zu fördern. Wer Propaganda betreibt, muss Nachrichten arrangieren und eine Schranke zwischen der Öffentlichkeit und dem Ereignis errichten. Beliebte Mittel dazu sind Zensur oder Geheimhaltung. In der Politik wird das oft mit der Wahrung der Privatsphäre oder mit Vertraulichkeit begründet. Es ist daher wichtig, sich stets zu fragen, wie man an bestimmte Informationen gelangt ist, auf die sich die eigene Meinung stützt. Stammen die Informationen von direkt Betroffenen oder aus zweiter Hand oder gar von einem Fernsehsender? Wenn etwa jemand sagt, Frankreich denke dies oder das, sollte man sich fragen, welchen Teil Frankreichs er beobachtet hat, wie er das getan hat, wo er war, mit welchen Franzosen er gesprochen hat usw. Solche Fragen führen uns immer wieder vor Augen, wie weit unsere Meinung von dem Ereignis, auf das sie sich bezieht, entfernt ist.

Äußere und innere Störfaktoren

Unsere gesellschaftliche Stellung entscheidet darüber, was wir sehen, hören, lesen erfahren. Die meisten Menschen bewegen sich nur in ihrem eigenen sozialen Umfeld und interessieren sich mehr für ihre privaten als für öffentliche Angelegenheiten. In jeder Gesellschaftsschicht gibt es zudem strikte Regeln, was man denken und sagen darf. Es ist wichtig, sich von solchen Vorgaben frei zu machen, seine Unbefangenheit und Neugier zurückzugewinnen und die eigene Meinung zu hinterfragen. Die meisten Menschen aber nehmen sich nicht einmal Zeit für die Zeitungslektüre, und selbst die wenigen, die begreifen, was sie da lesen, sind sich nicht bewusst, welche Bilder bestimmte Worte, zum Beispiel das Wort „Ausländer“, in ihren Köpfen auslösen. Der hektische Alltag und der ständige Lärm, dem die modernen Großstadtmenschen ausgesetzt sind, beeinträchtigen ihre Urteilsfähigkeit.

„(…) die reale Umgebung ist insgesamt zu groß, zu komplex und auch zu fließend, um direkt erfasst zu werden.“ (S. 65)

Zugleich hindern uns Stereotype in unseren Köpfen daran, dass wir uns ein unvoreingenommenes Bild von einem Ereignis machen, selbst wenn wir es mit eigenen Augen beobachten. Bevor wir etwas beobachten, haben wir bereits ein Urteil darüber gefällt. Unser Denken folgt konventionellen Schablonen, die uns Eltern, Lehrer und Pfarrer seit frühester Kindheit vermittelt haben. Wir betrachten einen Sonnenuntergang und sehen darin doch nur das, was wir bereits erlernt haben. Wir erkennen an einem Menschen ein Merkmal, das etwa dem Typus des Ausländers oder des Intellektuellen oder des Arbeiters entspricht, und sofort projizieren wir auf ihn, was wir an Stereotypen bereits in unsere Köpfen tragen, ohne genauer hinzuschauen.

„Wir werden behaupten, dass alles, was der Mensch tut, nicht auf unmittelbarem und sicherem Wissen beruht, sondern auf Bildern, die er sich selbst geschaffen oder die man ihm gegeben hat.“ (S. 72)

Unsere Wahrnehmung ist beherrscht von vorgefassten Meinungen und unbestimmten Analogien. Sie sorgen für ein geordnetes und beständiges Weltbild, in dem alles an seinem vertrauten Platz ist. Ein gut verankertes System von Stereotypen reagiert nur auf solche Tatsachen, die es stützen, und blendet alles aus, was ihm widerspricht. Jede kleinste Störung der Stereotype, die in hohem Maße mit moralischen Urteilen und Gefühlen wie Zuneigung oder Abneigung, Lust, Stolz und Furcht aufgeladen sind, erscheint uns als ein Angriff auf die Fundamente unseres Universums. Das macht auch die Diskussion mit Andersdenkenden so schwer. Nur wenn wir unsere eigenen Stereotype erkennen, können wir anderen Meinungen gegenüber tolerant werden.

Eigeninteresse und öffentliche Meinung

Bei allem Schematismus sind Stereotype von Mensch zu Mensch verschieden. Schöpferisch verwandeln wir sie immer wieder in einen persönlichen Ausdruck unseres Selbst. Wir haben nicht ein einziges Ich, sondern bestehen aus vielen Persönlichkeiten mit höchst unterschiedlichen Interessen. Je nachdem, ob jemand mit sozial Gleichrangigen oder Höherstehenden zu tun hat, ob er um eine Frau wirbt, ob er sich mit seinen Kindern, dem Partner oder dem Chef befasst, immer ist er ein anderer. Anders als die Sozialisten behaupten, sind die Meinungen der Menschen auch nicht automatisch von ihren ökonomischen Interessen determiniert. Die vielen sozialen und wirtschaftlichen Beziehungen, in denen ein Mensch steht, erweitern sein Meinungsspektrum – so etwas wie ein schicksalhaftes Klassenbewusstsein existiert nicht.

„Es ist (…) oft aufschlussreich, sich selbst zu fragen, wie man zu den Fakten gelangt ist, auf denen die eigene Meinung basiert. Wer sah, hörte, fühlte, erzählte, erwähnte die Angelegenheit, zu der man eine Meinung hat?“ (S. 86)

Wie ist es bei dieser Verschiedenheit der Interessen möglich, dass sich so etwas wie eine öffentliche Meinung bildet? Berichte über Dinge, die sich außerhalb unserer Wahrnehmung abspielen, evozieren starke innere Bilder. Nach und nach werden diese durch Worte oder Symbole ersetzt, die Empfindungen auslösen und verschiedenste Reize umfassen. Der eine hasst Präsident Wilson, der andere mag den Völkerbund nicht, ein Dritter fürchtet die Gewerkschaften. Das einigende Symbol, das die Antithese zu diesen verschiedenen Hassobjekten bildet, könnte „Amerikanertum“ lauten. Es verbindet verschiedene Ideen zu einem gemeinsamen Gefühl. Politiker nutzen solche vieldeutigen und zugleich leeren symbolischen Phrasen, zum Beispiel „Menschenrechte“ oder „Demokratie“, um widerstreitende Gruppierungen zu einen. Große Symbole wie Nationalflaggen dienen ihnen dazu, die Massen hinter sich zu bringen. Symbole manipulieren und verhindern eine differenzierte Sichtweise, aber in Situationen, die schnelles Handeln erfordern, etwa in einem Krieg, sind sie unverzichtbar.

Demokratie und Menschenwürde

Demokratietheoretiker von Aristoteles über Rousseau bis hin zu den Gründervätern der USA sahen sich vor das Paradox gestellt, dass der Bürger als Souverän sich ein kritisches Urteil über Dinge bilden muss, die außerhalb seines unmittelbaren Beobachtungskreises liegen. Zum einen gingen sie von kleineren, überschaubaren politischen Gemeinschaften aus; zum anderen unterstellten sie, dass der Instinkt des Menschen und sein angeborener Gemeinsinn ausreichten, um politische Entscheidungen zu treffen. Sie betrachteten die demokratische Selbstregierung als eine Frage der Menschenwürde und übersahen dabei, dass ichbezogene Meinungen nicht ausreichen, um eine gute Regierung zu gewährleisten.

„Meistens schauen wir nicht zuerst und definieren dann, sondern definieren erst und schauen dann.“ (S. 110)

Die Würde des Menschen hängt jedoch nicht von Machtausübung ab, vielmehr erfordert sie einen Lebensstandard, der es jedem erlaubt, seine Fähigkeiten zu entfalten. Statt sich an ichbezogenen Meinungen zu orientieren, die gerade zufällig durch die Menschenhirne geistern, sollte eine gute Regierung für ein Mindestmaß an Gesundheit, materieller Sicherheit, Freiheit, Erziehung und Vergnügen sorgen. Selbst wenn die Menschen die Mittel und die Zeit hätten, sich über hochkomplexe Regierungsgeschäfte zu informieren, bleibt doch die Frage, ob sie überhaupt damit behelligt werden wollen. Demokratie bedeutet nicht, dass alle Menschen politisches Handeln anstoßen oder selbst ausüben, sondern vielmehr, dass sie echte Kontrolle über Regierungsentscheidungen bekommen.

Die Rolle der Presse

Erst in jüngster Zeit besitzen die Menschen die Möglichkeit, sich durch Medien über weit entlegene und komplexe Angelegenheiten zu informieren. Aber sind die Nachrichten, die wir täglich in der Zeitung lesen, wirklich zuverlässig? Zunächst einmal liegt die Wahrheit nicht offen, und es kostet viel Geld, fundierte Informationen einzuholen. Der Bürger, der gern für Reisen, Autos, Vergnügungen Geld ausgibt, ist nicht bereit, einen angemessenen Preis für Nachrichten zu zahlen. Die Zeitung ist daher auf Anzeigen angewiesen. Die finanzkräftigen Inserenten aber, vor allem Unternehmer und Geschäftsleute, richten sich nach der Auflage der Zeitung. Die Zeitung muss also den Standpunkt des zahlenden Kunden beachten, was zu einer Kapitalisierung der Presse geführt hat.

„Im Alltag ist das Urteil oft bereits lange vor der tatsächlichen Beobachtung gefällt, die dann nur noch zur Bestätigung desselben dient.“ (S. 138)

Der Leser entscheidet anhand der Genauigkeit von Lokalnachrichten, die in seiner eigenen Erfahrungswelt liegen, über die Vertrauenswürdigkeit einer Zeitung. Nachrichten ohne diesen persönlichen Bezug, die von Presseagenturen standardisiert werden, sind für ihn von Fiktion nicht zu unterscheiden. Sofern diese Nachrichten geläufigen Stereotypen entsprechen, ist er zufrieden. Dabei sind es nicht politische Themen, mit denen die Zeitungen sich ihre Leserschaft sichern, sondern Gesellschaftsthemen, Skandale, Verbrechen, Sport- und Ratgeberseiten. Die Presse kreist wie ein Scheinwerfer im Dunkeln umher und greift nach dem Zufallsprinzip Ereignisse heraus. Bevor die Zeitungen über etwas berichten, muss allerdings etwas Spektakuläres geschehen sein – eine Bankrotterklärung, ein Unfall, ein Aufstand, ein Gesetzesantrag, eine Rede, die Meinungsäußerung eines Prominenten, eine Preisänderung oder Ähnliches.

„Nur wenn wir die Gewohnheit haben, unsere Meinungen als partielle Erfahrung zu erkennen, die wir durch unsere Stereotype sehen, werden wir gegen unseren Gegner wirklich tolerant werden.“ (S. 143)

Schlechte Arbeitsbedingungen in Fabriken etwa sind der Tagespresse meist keine Nachricht wert, zumal detaillierte Recherchen Geld kosten. Erst wenn es zu einem Streik kommt, wird darüber berichtet. Der komplizierte Prozess, der hinter dem Arbeitskampf steht, entzieht sich indes der direkten Erfahrung des Reporters wie auch des Lesers. Der Reporter ruft lediglich Stereotype ab, die er von Streiks besitzt, ohne die konkrete Situation der Arbeiter, die Monotonie der Prozesse, die schlechte Luft oder die Armut wahrzunehmen. Die abstrakten Schlagworte rufen im Leser seinerseits Gefühle wach – zum Beispiel Angst vor Arbeitsplatzverlust, Warenverknappung – und bringen ihn dazu, sich mit dem Dargestellten zu identifizieren.

Die Schwäche der Demokratie

Es gibt nur einen kleinen Kernbereich exakten Wissens. Alles Übrige liegt im Ermessen des Journalisten, der die Welt wie alle anderen Menschen auch durch seine subjektive Brille betrachtet. Die Presse und die parlamentarische Regierung haben dasselbe Problem: die Unfähigkeit der Menschen, über die unmittelbare Erfahrung und die eigenen Vorurteile hinauszugehen. Gegen die offensichtliche Schwäche der Demokratie, gegen die allgemeine Apathie, die Voreingenommenheit, den Hunger nach trivialer Unterhaltung und die Sensationslust kann die Presse ebenso wenig ausrichten wie eine Volksregierung.

„Jede Zeitung ist im Augenblick, wo sie den Leser erreicht, das Endergebnis einer ganzen Reihe von Auswahlvorgängen, die bestimmen, welche Artikel an welcher Stelle mit wie viel Raum und unter welchem Akzent erscheinen sollen.“ (S. 303)

Ein Mittel, um die Schwierigkeiten der Selbstregierung und der nicht beobachteten Wirklichkeit in den Griff zu bekommen, wären Informationsbüros, besetzt mit Fachleuten wie Mathematikern und Statistikern, Industrieberatern und Ingenieuren, die Phänomene der ungesehenen Umwelt so schildern, dass sich unterschiedlichste Gruppen ein objektives Bild von einer öffentlichen Angelegenheit machen könnten. Weniger die Bürger, die kaum Zeit und Lust dazu haben, sondern vor allem Politiker und Unternehmer, Gewerkschaftsfunktionäre und Verwaltungsfachleute sollten solche Informationsdienste nutzen. Um Machtmissbrauch zu verhindern, müssten die Machtausübenden strikt von den Untersuchenden getrennt sein.

„Die mir am fruchtbarsten erscheinende Hypothese besagt, dass Nachrichten und Wahrheit nicht dasselbe sind und klar voneinander geschieden werden müssen.“ (S. 306)

Wie in den meisten anderen Dingen auch ist Bildung das beste Heilmittel. Junge Menschen sollten in der Schule auf die Beschäftigung mit einer nicht beobachteten Umwelt vorbereitet werden und lernen, Informationsquellen zu überprüfen, Propaganda zu erkennen und sich Stereotype bewusst zu machen. Abstrakte Appelle an die Vernunft bringen dagegen gar nichts. Gerade in Krisenzeiten, wenn Panik herrscht und wirkliche Gefahren sich mit eingebildeten Schreckvorstellungen mischen, hat die Vernunft keine Chance.

Zum Text

Aufbau und Stil

Walter Lippmanns Die öffentliche Meinung ist in acht lange Kapitel gegliedert, die jeweils in kurze, durchnummerierte Abschnitte unterteilt sind. Im ersten Teil des Buches behandelt der Autor die Frage, was die öffentliche Meinung ist und wie sie entsteht. In weiteren Kapiteln widmet er sich eher demokratietheoretischen Fragen. Obgleich Lippmann immer wieder auf wissenschaftliche und philosophische Werke Bezug nimmt, ist Die öffentliche Meinung kein systematisch aufgebautes, akademisches Buch. Als Journalist nähert sich Lippmann seinen Themen eher assoziativ oder erzählerisch, oft ist nicht auf den ersten Blick erkennbar, wie die einzelnen Abschnitte miteinander zusammenhängen. Seine Thesen bettet er in damals aktuelle Kontexte ein, die dem heutigen Leser fremd erscheinen mögen. So beschreibt er etwa detailliert, wie die öffentliche Meinung in amerikanischen Wahlkämpfen und im Ersten Weltkrieg manipuliert wurde – meist in nüchternem, sachlichem Ton. Nur gelegentlich bringt er in deutlichen Worten seine Verachtung für die amerikanische Massenkultur zum Ausdruck.

Interpretationsansätze

  • Lippmann sieht in dem Dreieck „Mensch – Pseudowelt – reale Handlungswelt“ den Schlüssel für das Verständnis unserer Gesellschaft. Dabei ist die Pseudowelt, also die Wirklichkeit, die wir nicht beobachten können, aber doch für wirklich halten, für ihn keine subjektiv-individuell konstruierte Realität, sondern ein soziales Artefakt.
  • Der Bereich unmittelbar erfahrener Realität und direkten Handelns ist nach Lippmann in der massenmedialen Gesellschaft äußerst beschränkt. Sowohl der Gedanke als auch die daraus resultierende Aktion sind meist indirekt. Die Fernsehbilder eines hungernden Kindes etwa wecken Emotionen und lösen Mitleid aus. Da man das Kind aber nicht direkt füttern kann, spendet man einer unpersönlichen Organisation – eine anonyme, vom individuellen Wirkungsbereich losgelöste Reaktion.
  • In der „Macht des Bildermachens“ erkennt Lippmann das entscheidende Herrschaftsinstrument in der modernen Mediengesellschaft. Wer regiert, muss die Bilder in den Köpfen der Menschen beherrschen und lenken – eine Tatsache, die für ihn in keinem Widerspruch zu demokratischen Prinzipien steht.
  • Als Ideal schwebt Lippmann, der mit seiner Skepsis gegenüber der Masse in der Tradition von Alexis de Tocqueville und Gustave Le Bon steht, eine von einer unabhängigen Expertenkommission mit beamtenähnlichem Status gelenkte Demokratie vor. Den Durchschnittsbürger, der mit komplexen gesellschaftlichen und politischen Zusammenhängen überfordert sei, sieht er dadurch nicht eingeengt, sondern entlastet.
  • Obwohl Lippmann den inneren Bildern große Macht über unser Denken zugesteht, vermeidet er einfachen Determinismus: Sofern der Mensch sich seiner inneren Bilder als Fiktionen bewusst wird, hat er die Macht, sie zuzulassen oder sie als unzulässig zurückzuweisen. In der Regel allerdings hinterfragt er laut Lippmann die inneren Bilder kaum, nimmt den Unterschied zwischen Bild und Realität kaum wahr.
  • Lippmann übt deutliche Kritik an Fortschrittsdenken und Materialismus, den fundamentalen Stereotypen im amerikanischen Denken. Die Amerikaner streben demnach nach Superlativen und verwechseln dabei „Vortrefflichkeit mit Größe, Glück mit Geschwindigkeit und die menschliche Natur mit einem nützlichen Gerät“, so Lippmann.

Historischer Hintergrund

Das Zeitalter von Massenmedien und Propaganda

In den 1920er-Jahren, als Radio und Fernsehen noch in den Kinderschuhen steckten, genossen Zeitungen in den USA als Massenmedien eine Monopolstellung. Allein in New York gab es über 15 englischsprachige Zeitungen, in Philadelphia und Chicago je sechs, und eine Reihe kleinerer Städte besaßen ihre eigenen Lokalausgaben. Einige Zeitungsverlage boten zusätzlich zur Tageszeitung aktualisierte Abendausgaben, um die Leser stets über den letzten Stand der Dinge zu informieren. Viele Blätter versuchten, mit Geschichten über Sex, Verbrechen und Prominentenskandale neue Leser zu gewinnen und an sich zu binden.

Von Beginn an waren die Massenmedien in den USA kommerziell ausgerichtet. Zeitungen und später auch das Radio finanzierten sich in erster Linie durch Werbung. In den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts fusionierten konkurrierende Zeitungsverlage, und es entstanden große, unternehmerisch ausgerichtete nationale Zeitungsketten. Bei aller Profitorientierung konnte der amerikanische Journalismus aber auch auf eine lange Tradition von aufklärerischem und demokratiestützendem Handeln zurückblicken. Investigative Journalisten machten skandalöse Zustände wie schlechte Arbeitsbedingungen in Fabriken oder Kinderarbeit öffentlich und deckten Korruption und Verschwendung in der Regierung auf.

Ein eindrucksvolles Beispiel für die Macht der Massenmedien lieferte 1917 die Frage des Kriegseintritts: Um die Bevölkerung, die einer Beteiligung der USA am Ersten Weltkrieg zunächst skeptisch gegenüberstand, auf den Krieg einzustimmen, schuf Präsident Woodrow Wilson mit dem „Committee on Public Information“ eine Art militärische Informationsbehörde. Was als Aufklärungskampagne begann, entwickelte sich schon bald zu einer beinahe schon totalitär agierenden Propagandaoffensive. Das CPI überschüttete Zeitungen und Zeitschriften mit Propagandamaterial und erteilte ihnen präzise Vorschriften für die Wortwahl bei der Kriegsberichterstattung. Einige Blätter, die den Anordnungen zuwiderhandelten, wurden verboten. Auf dem Höhepunkt der Kampagne kontrollierte das CPI mehr als 200 Zeitungen. Bis zum Ende des Krieges veröffentlichte die Behörde mehrmals in der Woche Broschüren, die in hoher Auflage im ganzen Land verteilt und durch eindringliche Reden Prominenter, die sich für eine Kriegsbeteiligung der USA aussprachen, flankiert wurden.

Entstehung

Als Walter Lippmann zu Beginn der 20er-Jahre Die öffentliche Meinung schrieb, stand er noch ganz unter dem Eindruck der erfolgreichen amerikanischen Militärpropaganda während des Ersten Weltkrieges. Er selbst war im Juni 1918 von der Regierung Wilson nach Europa gesandt worden, um dort Flugblätter für deutsche und österreichische Soldaten zu verfassen, die millionenfach hinter den feindlichen Linien abgeworfen wurden. Zugleich sollte er an der Ausarbeitung eines Friedensplans der Alliierten mitwirken. Über den Erfolg des CPI, dessen Schaffung er mit angeregt hatte, zeigte sich Lippmann im Nachhinein höchst beunruhigt, und erkannte darin die Gefahr einer Manipulation der Demokratie.

Seine Erfahrungen mit der Wirkungsmacht von Propaganda boten Lippmann Anlass, sich grundsätzlich mit den Voraussetzungen erfolgreicher Politik zu beschäftigen. In seinem 1920 erschienenen Buch Liberty and News nahm er die Presse ins Visier, die er wegen ihres agitatorischen Auftretens für die Krise der Demokratie mit verantwortlich machte. Zwei Jahre später weitete er den Blick von medienpolitischen Problemen auf Grundfragen menschlicher Erkenntnis hinsichtlich sozialer und politischer Zusammenhänge und der Wirkungsweise von Propaganda. Die öffentliche Meinung erschien 1922 bei Macmillan in New York. Ein Jahr später schrieb Lippmann eine Fortsetzung, die 1925 unter dem Titel The Phantom Public erschien. Darin verschärfte er seine Kritik an der demokratischen Regierungsform und forderte ausdrücklich eine Beschränkung des Einflusses der Massen zugunsten einer Klasse von ausgewiesenen Spezialisten.

Wirkungsgeschichte

Die öffentliche Meinung übte in den USA von Beginn an großen Einfluss aus. In seinem 1928 erschienenen Hauptwerk Propaganda entwickelte Edward S. Bernays, einer der Gründerväter von Public Relations, auf der Grundlage von Lippmanns Stereotypenbegriff sein eigenes Konzept von Massenmanipulation und einer „unsichtbaren Regierung“, die die wahre Herrschaft ausübe. Bei aller Anerkennung wurde jedoch auch immer wieder Kritik an Lippmanns Buch laut. So las der amerikanische Linguist Noam Chomsky Die öffentliche Meinung Ende der 80er-Jahre als eine Handlungsanleitung für Propaganda und Manipulation. Indem er Lippmann eine elitäre Haltung vorwarf, prägte er das Bild des Autors als Demokratiefeind und Gegner echter Mitbestimmung. Trotz aller Kritik gilt Die öffentliche Meinung bis heute als Gründungswerk der Meinungs- und Medienforschung.

Über den Autor

Walter Lippmann wird am 23. Oktober 1889 in New York geboren. Er wächst als einziges Kind wohlhabender deutsch-jüdischer Einwanderer auf und reist mehrfach nach Europa. Im Alter von 17 Jahren nimmt er an der Harvard-Universität ein Studium der Literatur, Philosophie und Ökonomie auf und wird Assistent des Philosophen George Santayana. Zusammen mit dem Schriftsteller John Reed gründet er einen sozialistischen Klub, wendet sich aber schon bald wieder vom Sozialismus ab. Nach ersten Schritten als investigativer Journalist gründet er 1914 mit Kollegen das liberale Magazin The New Republic. Während des Ersten Weltkriegs wird Lippmann Berater von Präsident Woodrow Wilson, dessen 14-Punkte-Plan für die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg er maßgeblich mitgestaltet. Nach einer Zeit als Chefredakteur der demokratischen New York World wechselt er 1931 zur renommierten New York Herald Tribune. Seine Kolumne Today and Tomorrow, die er bis 1967 drei- bis viermal wöchentlich in der Herald Tribune und später in der Washington Post veröffentlicht, wird in über 200 Zeitungen nachgedruckt und bringt ihm zweimal den Pulitzerpreis ein. Von 1932 bis 1937 ist er Direktor des „Council on Foreign Relations“, einem von Unternehmern, Bankern und Anwälten gegründeten einflussreichen Thinktank. In den 30er-Jahren zählt Lippmann, der teilweise neoliberale Positionen vertritt, zu den wichtigsten Unterstützern von Franklin D. Roosevelts Wirtschaftsprogramm. Nach dem Zweiten Weltkrieg ist er als informeller Berater und Redenschreiber verschiedener Präsidenten, unter anderem John F. Kennedy und Lyndon B. Johnson, tätig. Er wird zu einem scharfen Antikommunisten, lehnt in seinen Artikeln den Sozialismus ab und prägt mit seinem Buch The Cold War (1947) das Konzept des Kalten Krieges. Bis zu seinem Tod lebt er mit seiner zweiten Ehefrau Helen Byrne Armstrong zusammen. Am 14. Dezember 1974 stirbt Walter Lippmann in New York.

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