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Die Umsiedler

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Die Umsiedler

Suhrkamp,

15 Minuten Lesezeit
10 Take-aways
Text verfügbar

Was ist drin?

Ein Fotoalbum der Flucht: Arno Schmidts assoziative Auseinandersetzung mit seiner Umsiedlung im Jahr 1950.


Literatur­klassiker

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  • Nachkriegszeit

Worum es geht

Momentaufnahmen der Vertreibung

Arno Schmidt hatte angedroht, sich zu seiner Umsiedlung im Jahr 1950 literarisch zu äußern. In seiner drei Jahre später erschienenen Prosastudie erinnert er sich an die damit verbundenen Schwierigkeiten, an die bornierten Leute und die störrischen Behörden. Obwohl er den Erzähler anonym bleiben lässt und eine Liebesgeschichte dazudichtet, erzählt er zumindest teilweise seine eigenen Erlebnisse. Das tut er nicht in klassischer Tagebuchform, sondern indem er ein „Fotoalbum“ mit vielen skurrilen, eigenwilligen Bildern aufschlägt. Jedes von ihnen ist ein Stück Erinnerung, das sich nach und nach mit weiteren Details der Reise vermischt, die den Erzähler und seine Bekanntschaft Katrin zu ihrem neuen Bestimmungsort führt. Ironisch und bisweilen zynisch kommentiert Schmidt seine Gegenspieler und spart nicht mit bissigen Kommentaren zu Kirche und Religion. Genau das hat ihm für das folgende Buch (Seelandschaft mit Pocahontas) eine Klage und viele miese Kritiken eingebracht. Hier jedoch passt es in die Gefühlswelt des Vertriebenen, der Gott und die Welt anklagt. Ein frühes Werk, das mithalf, den Avantgarde-Autor und „deutschen James Joyce“ zu etablieren.

Take-aways

  • Die Umsiedler ist Arno Schmidts erstes Prosaexperiment, das er als „Fotoalbum“ bezeichnete.
  • Inhalt: Der namenlose Erzähler, ein Vertriebener des Zweiten Weltkriegs, lässt sich von Niedersachsen nach Süddeutschland umsiedeln. Auf der schier endlosen Zugfahrt lernt er Katrin kennen, in die er sich verliebt. Gemeinsam machen sie sich an ihrem Bestimmungsort auf Wohnungssuche und verbünden sich gegen Behörden und misstrauische Dörfler. Schließlich ziehen sie zusammen und wollen gemeinsam ein neues Leben beginnen.
  • Nicht die Handlung, sondern Form und Stil sind die tragenden Elemente des Buches.
  • Schmidt nimmt kurze Erinnerungsmomente, die er Fotos nennt, als Ausgangspunkte und gruppiert 24 Kapitel um sie herum.
  • Satzfetzen, Gedankenstromsequenzen, originelle Metaphern und verschiedene Dialekte werden zu einem Ganzen zusammengefügt.
  • Schmidts Erzähler übt ätzende Kritik an der Doppelmoral der Dörfler im Umsiedlungsort: Überall sieht er Borniertheit und dumpfen religiösen Starrsinn.
  • Die Erzählung folgt weitgehend Schmidts eigener Umsiedelung im Jahr 1950.
  • Weil der Rowohlt Verlag das Thema uninteressant fand, erschien Die Umsiedler in der von Alfred Andersch herausgegebenen Buchreihe Studio Frankfurt.
  • Heute gilt die Erzählung als eines der wichtigsten Werke der Kriegsheimkehrer-Literatur.
  • Zitat: „Deutschland wird in der Weltgeschichte einmal den Ruhm des Steines haben, über den Menschen mehrfach gestolpert sind (...)“

Zusammenfassung

Reisevorbereitungen

Ein namenloser Erzähler ist durch den Krieg nach Niedersachsen in die Nähe von Benefeld bei Walsrode gekommen. Er teilt sich eine Stube mit zwei Kriegsflüchtlingen. Sein Leben findet er trostlos, und Leute, die Wiederaufrüstung fordern, sind für ihn unsägliche Dummköpfe. Er möchte etwas ändern und beschließt, sich freiwillig umsiedeln zu lassen. Für seinen spärlichen Besitz beschafft er sich Kisten. Zwei Tassen, eine Zeltplane, ein großer Topf: Alles wird sorgfältig mit Holzwolle ausgepolstert. Behutsam beschriftet er die Kisten mit Tusche und trägt alles dreifach in die Transportlisten ein. In der Nacht geht er bei starkem Regen ein letztes Mal durch das Dorf. Am nächsten Morgen packt er seine Kisten auf einen Lkw. Auf dem Bahnhof werden Gepäckstücke verladen. Manche Menschen haben ganze Schränke dabei und einer sogar zwei lebendige Ziegen. Auf Geheiß des Kreisflüchtlingsbetreuers verstaut der Erzähler seine Kisten in einem Gepäckwaggon. Da nähert sich ein Laster und eine forsche Mädchenstimme fordert ihn auf, Möbel zu verstauen. Offenbar denkt das Mädchen, er sei dafür zuständig. Also laden er und der Lastwagenfahrer Tische, Stühle, Schränke und eine Kiste mit einem Radio in den Waggon.

Begegnung mit Katrin

Das Mädchen fragt den Erzähler, ob er mit ihr zur „Börse“ gehen wolle. Die „Börse“ ist eine Pension, in der die Umsiedler bis zur Abfahrt des Zuges untergebracht werden. Bereitwillig schleppt er den unglaublich schweren Koffer der jungen Frau dorthin. Hoffnungsvoll fragt der Erzähler sie, ob sie auch allein sei, was sie nach kurzem Zögern bejaht. Daraufhin besetzt er zwei Stühle mit ihren Mänteln und stellt die Koffer als Barriere an die Seiten. Sie teilt ihm mit, dass sie Katrin heiße und Witwe sei. Ihr Mann sei nach nur einem halben Jahr Ehe im Krieg gefallen. Nachdem Katrin zwei Schinkenbrötchen verspeist hat, geht sie mit dem Erzähler ein bisschen spazieren. Dieser berichtet, er habe als Dolmetscher an der Hilfspolizeischule gearbeitet. Nun übersetze er Bücher. Höflich breitet er seinen Mantel über einen Baumstumpf, und Katrin setzt sich. In einem Atlas schlägt sie nach, wohin ihre Reise sie führen wird. Abends in der Stube gibt der Erzähler Katrin seinen Mantel, obwohl sie Decken dabei hat. Das macht sie stolz und glücklich.

Die Zugfahrt

Frühmorgens fährt der Zug los. Doch die Fahrt in Richtung Gau-Bockenheim in Rheinhessen geht nur langsam voran. Manchmal muss anderen Zügen Platz gemacht werden, sodass man die Umsiedler einfach für eine halbe Stunde auf ein Nebengleis schiebt. Im Abteil ist es kalt und ungemütlich. Das Rasieren ist schwierig und das Klo widerlich. Ganze zwei Tage werden die Umsiedler unterwegs sein. Zeit genug für den Erzähler, Katrin näher kennen zu lernen. Sie ist fast immer guter Laune und erzählt ihm von den Tanzpuppen, die sie sich als Kind gebastelt hat. Er selbst hat sich kleine Stifte und Papierchen, winzige Weltkarten und Bleistiftendchen gemacht, die allesamt in Streichholzschachteln passten. In einer Durchsage wird mitgeteilt, dass nur der hintere Zugteil nach Gau-Bockenheim fahre. Katrin und der Erzähler müssen ihre heiße Erbsensuppe in aller Hast hinunterschlingen und umsteigen. Ein leeres Abteil zu finden, ist nicht leicht. Sie landen beim Ehepaar Weber und deren erwachsener Tochter und kommen mit ihnen ins Gespräch. Der Mann ist Schmied, Vertriebener aus Thüringen, und hatte in Niedersachsen sogar Arbeit. Doch dort wohnte die Familie sehr beengt. Vom Umsiedeln erwarten sie sich einen besseren Lebensstandard. Mutter und Tochter stricken fast die ganze Zugfahrt über. Das Wetter draußen ist hässlich, Regen rinnt die Scheiben herab. Die Lampen der vorbeifliegenden Bahnhöfe scheinen die Gestalten drinnen in Einzelteile zu zerhacken.

Nachts im Zug

Nachts richtet man sich so gut es geht zum Schlafen ein. Diesmal gibt Katrin dem Erzähler eine Decke ab. Doch schlafen können die beiden nicht. Sie flüstern noch lange, und Katrin erzählt von ihren Großeltern. Sie berichtet, dass diese viel gearbeitet hätten, während sie selbst jeden Monat 180 Mark Rente bekomme. Diese Summe erscheint dem Erzähler sehr hoch, denn eine Witwe erhält sonst nur 60 Mark. Daraufhin verrät ihm Katrin, dass ihr Mann schon kurz nach der Hochzeit etwas mit der Nachbarin gehabt habe. Als sie den Rhein erreichen und die vielen Schlossruinen dort sehen, denkt sich der Erzähler mittelalterliche Geschichten für Katrin aus und tut so, als wären sie wirklich geschehen.

Ankunft in Gau-Bockenheim

Am Bahnhof von Gau-Bockenheim werden die Passagiere in Empfang genommen. Im grauen Nieselregen erwarten sie ein Landrat, der Bürgermeister und ein Beamter vom Wohnungsamt. Sie halten heuchlerische Ansprachen und verschwinden bei der ersten Gelegenheit. Die 135 Umsiedler gehen ins Dorf. Auf einem Ackerwagen wird ihr Gepäck transportiert. Der Regen hat die Straßen aufgeweicht. Die Stimmung ist gedrückt. Die Häuser des Dorfes stehen dicht gedrängt und vermitteln insgesamt keinen idyllischen Eindruck. Zudem ist es so kalt, dass die Hände blau anlaufen. Der Erzähler und Katrin gehen Arm in Arm. Doch dann erfahren sie, dass die Männer im Gasthaus „Römer“ und die Frauen in der „Krone“ Logis nehmen sollen. Im „Römer“ wurde ein Tanzsaal als Auffanglager eingerichtet. Herrn Weber gehört das Bett unter dem Erzähler. Er ist bekümmert, denn in dem Ort gibt es bereits drei Schmiede. Ein Bettnachbar lobt die neue Wehrmacht, worauf der Erzähler antwortet, dass Deutschland bloß ein Stolperstein für die Menschheit sei. Danach drehen sie einander den Rücken zu und wechseln kein Wort mehr miteinander. Für die Flüchtlinge hat man ein Abendessen bei verschiedenen Dorfbewohnern organisiert. Sie werden von Schulkindern zu den entsprechenden Familien geführt. Der Erzähler und Katrin folgen einem Jungen mit dem grässlichen hiesigen Dialekt zu einer Familie Beck. Katrin versichert fröhlich, dass die beiden verlobt seien. Das Essen ist gut, und nach den Erzählungen über die Flucht wird sogar Wein serviert.

Der erste Morgen

Am nächsten Tag will der Erzähler Katrin in der „Krone“ abholen. Ihre Stimmung ist merkwürdig trüb. Sie druckst herum. Dann gesteht sie, dass sie bei einem Luftangriff einen Fuß verloren hat. Von der Mitte der linken Wade an abwärts trägt sie eine harte Prothese. Katrin flucht und weint. Der Erzähler legt ihr eine Hand auf den Hinterkopf. Unter Tränen verkündet sie stolz, sie könne dennoch weiße Kniestrümpfe tragen. Außerdem sei sonst mit ihr alles in Ordnung und sie habe ein gutes Radio und die Rente, die pünktlich gezahlt werde. Später sehen sich die beiden die Wohnung an, die ihnen zugewiesen werden soll. Das Klo ist ekelhaft und es gibt kein fließendes Wasser. Man muss von der nächsten Straße einen Eimer herbeischleppen. Der Fußboden droht einzubrechen, und die Nachbarn machen einen debilen Eindruck. Von der Zuteilung haben ihnen die Webers erzählt, die bei einem Verwandten des Bürgermeisters zum Essen waren. Das Wohnungsamt plane, sie einfach vor vollendete Tatsachen zu stellen und ihre Sachen dorthin zu bringen. Katrin ereifert sich und der Erzähler pflichtet ihr bei. Die Dorfbewohner singen Lieder in der Kirche. Wie können sie so fromm tun und den Flüchtlingen dann ein solches Drecksloch anbieten?

Ein Sonntagsspaziergang

Im Dorf findet ein Fußballspiel statt. Die Zuschauer: feiste „Schützenkönige“, dicke oder schwangere Frauen, brüllende Kinder. Das Spiel enthüllt den Charakter der Dorfbewohner, man findet Gefallen an Befehl und Gehorsam. Die Frauen sind parfümiert, laut Katrin würden sie sonst sicher nach Stall riechen. Katrin beschließt, dass sie und der Erzähler „in dem Nest nicht alt werden“. Der Erzähler ärgert sich über die Politik. Die Regierung plane Aufrüstung. Wenn einer dafür sein wolle, sei das in Ordnung, aber dann solle er auch zwei Jahre lang die Latrinen der Wehrmacht putzen! Die Regierung sei sowieso das reinste Altersheim. Alles Greise, die bequem im Parlament säßen und bei militärischen Aktionen nicht mehr dabei wären. Die beiden spazieren durch den Ort, gehen am Fußballfeld vorbei. Bäume sind hier selten, denn sie nehmen kostbaren Boden weg. Der ganze fruchtbare Boden muss nämlich genutzt werden, um die Bevölkerung zu ernähren. Der Erzähler plädiert für weniger Geburten. Dann wäre Platz für Bäume, und außerdem gäbe es auch nie wieder Krieg um knappen Lebensraum. Der Spaziergang führt das Paar zu einem kleinen Stellwerk mit Flachdach und Metalltüren. Im Untergeschoss befinden sich die Küche und eine Kammer, oben ein großes Zimmer mit einer Bettnische. Die Wohnung würde den beiden besser gefallen als die ihnen zugewiesenen Räume. Auf Katrins Vorschlag schauen sie sich diese ein andermal erneut an. Doch die Abneigung gegen das „Drecksnest“ kommt schnell wieder hoch, als der Spazierweg auf einem abgeernteten, mit Draht umzäunten Feld endet. Offenbar kennen sie hier nicht mal Hecken.

Bloß keine Hochzeit

Viele Umsiedler sind mit den ihnen angebotenen Wohnungen unzufrieden. Die Behausungen sind oft winzig, haben extrem niedrige Decken oder Löcher in den Wänden. Man schwärmt von den großen Häusern in der Heimat. Der Erzähler zieht Katrin auf die sonnige Straße. Er beschwört sie, auf jeden Fall mit ihm zusammenzuziehen. Als Verlobte ginge das doch sicher. Vor der „Krone“ küssen sie sich heftig. Katrin drückt ihren Kopf an seine Brust, ihr Kinn an seines, sodass sie schwanken. Dann guckt sie ihn listig an und erklärt, dass sie aber auf gar keinen Fall heiraten werde. Denn damit entfiele ja die gute Rente.

Die neue Wohnung

Herr Weber sitzt mit bedrückter Miene in der Stube. Man hat seiner Familie eine Wohnung zugewiesen: zwei dunkle Stuben mit Schrägen im dritten Stock. Zwar mit Waschbecken und fließendem Wasser, aber viel zu klein für drei Personen. Die Wohnung sei gleich gegenüber der Familie, bei der Katrin und der Erzähler essen waren. Am nächsten Tag erklärt der Erzähler dem Herrn vom Amt in tadellosem Hochdeutsch, er wolle die Wohnung mieten, die Herr Weber ablehnt. Der Beamte hält ihn für einen Fürsprecher der gesamten Umsiedler und will ihn schnell loswerden. Daher geht er mit ihm und Katrin zum Vermieter. Dieser begegnet dem unverheirateten Paar zunächst skeptisch, lässt sich von Katrins 50-Mark-Schein jedoch schnell umstimmen. Später holt der Erzähler das Hab und Gut der beiden mit dem Handwagen herbei und schleppt alles nach oben. Er beginnt, die Möbel zusammenzunageln, zerlegt die Kisten und schlitzt sich dabei die Haut auf. Bei allem Fleiß hat er das Bett am Abend erst zur Hälfte zusammengebaut und Katrin muss für eine letzte Nacht nochmals in die „Krone“. Der Erzähler legt sich auf seine drei Bretter, doch er findet keine Ruhe. Er wälzt sich hin und her. Zweimal steht er auf, dann fällt er in unruhigen Schlaf, träumt von seinem Leben als Frontsoldat und Kriegsgefangener. Nirgendwo hat er sich bisher heimisch und willkommen gefühlt. Die neue Wohnung erscheint ihm zu groß für seine paar Habseligkeiten. Um drei Uhr steht er auf und schaut durch die Dachluke auf die weiß überfrorenen Dächer der Nachbarhäuser. Frühmorgens tritt plötzlich Katrin an sein Bett. Sie legt ihm eine Hand auf die Brust, und endlich findet er Ruhe.

Ein neues Leben

Die beiden treiben das gelb glänzende Unterteil eines Küchenschrankes auf und schieben es an die Wand. Besteck und Flaschen sollen darin untergebracht werden. Der Erzähler holt die Überbrückungshilfe beim Bürgermeister ab. 20 Mark für Männer, 10 Mark für Frauen. Katrin findet das ungerecht, und der Erzähler zieht sie mit der Frage auf, ob eine Frau tatsächlich eine Seele habe. Daraufhin ist sie lange verstimmt. Als er vom Bürgermeister zurückkommt, findet er Katrin zu Hause vor. Sie streichelt ein Kätzchen und bittet ihn, dem armen Tier einen Namen zu geben. Er nennt es „Gurnemanz“, da es vorne schnurre und hinten einen Schwanz habe. Glücklich richten die beiden ihre neue Bleibe ein und machen immer wieder Pausen für Liebkosungen. Aus einer alten Kiste, in die er Bretter nagelt, fertigt der Erzähler ein Bücherregal und stellt Wieland, Jean Paul und Cervantes auf. Für ihn hat die Wohnung damit eine Seele bekommen. Katrin plant, in einem Tagebuch alle wichtigen Vorkommnisse ihres neuen Lebens festzuhalten. Sie kocht das erste Essen in der neuen Küche, Pellkartoffeln mit Leberwurst. Die neue Heimat hat etwas Gutes: Kartoffeln und auch der Eimer Sirup sind viel billiger als in Niedersachsen. Nach dem Essen hilft der Erzähler Katrin abzutrocknen, und er ahnt, dass dies nun zu einer täglichen Pflicht wird. Sie lieben sich innig und waschen sich danach gegenseitig in kleinen Metallwannen in der Küche. Beim Anziehen wünscht sich Katrin, dass er ihr den ganzen Abend lang vorliest. Sie schreibt Postkarten an Verwandte, um die neue Adresse mitzuteilen. Im Frühling will sie ein Tandem kaufen und im Hof einen Kastanienbaum pflanzen.

Zum Text

Aufbau und Stil

Obwohl sich Arno Schmidt – anders als in seinen späteren Werken – in Die Umsiedler um eine nachvollziehbare Handlung bemüht, steht diese doch eher im Hintergrund. Was den Leser einnimmt, ist vielmehr Schmidts außergewöhnliche Prosa. Er selbst nannte das Buch ein „Fotoalbum“, weil es wie eine Bilderschau lose aneinandergekettete Momentaufnahmen zeigt, die sich nur allmählich zu einem Erzählteppich verknüpfen lassen. Die „Prosastudie“ besteht aus 24 solcher Abschnitte. Jedes Kapitel wird von einer kurzen Szene eingeleitet, dem „Foto“. Dabei handelt es sich oft um Motive, die später im Text wieder aufgenommen werden. Sie beschreiben eine Stimmung oder die Beschaffenheit von Gegenständen. Schmidts Sprache ist eigenwillig und orthografisch gesehen vollkommen gegen den Strich gebürstet. Er mischt Dialektsprache, Satzfetzen und verkürzte Gedankeneinschübe, Klammerbemerkungen und wörtliche Rede. Syntax und Wortwahl sind oft sperrig. Ironie und Sarkasmus bietet das schmale Büchlein in großen Mengen, ebenso eigenwillige Naturbeschreibungen wie z. B.: „Eine fette Wolkennutte räkelte graue Schultern hinter den Abendwäldern; Makkaroni und die harte Ecke Schweizer reingerieben.“ Das macht die Lektüre anspruchsvoll, aber auch sehr ergiebig.

Interpretationsansätze

  • Genauigkeit statt Action: So ließe sich Arno Schmidts poetisches Programm für Die Umsiedler bezeichnen. Die Handlung bleibt simpel, im Vordergrund stehen die dargestellten Augenblicke, die scheinbar willkürlich ausgewählt werden. Diese Erzählweise passt zur Unfähigkeit von Schmidts Erzähler, Situationen und Lebensbereiche zu trennen und einzuordnen: Alles geht durcheinander.
  • Der Erzähler zeigt die Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung, wie sie für Soldaten typisch ist. Der Wechsel der Identitäten gelingt ihm nicht mehr. Gerade war er noch Frontsoldat, jetzt ist er Kriegsheimkehrer. Überall sieht er die Signalfarbe Rot, die ihn an die Gräuel des Krieges erinnert, er träumt von den Schlachten und hat Schlafstörungen.
  • Katrin leidet an ihrer nur scheinbaren Emanzipation. Ihre Kriegsversehrtheit will sie mit „Ausgleichswerten“ wie der guten Rente aufwiegen. Das Schicksal, das sie mit dem Erzähler teilt, schweißt die beiden zusammen.
  • Soll das die große Liebe sein? Die Beziehung zwischen Katrin und dem Erzähler gründet auf der Sympathie, die zwei Ausgestoßene füreinander haben. Schwärmerische Romantik kann es für sie nicht geben. Entsprechend sparsam ist Schmidt mit Beschreibungen der Gefühlswelt. Wenn er doch sentimental wird, dann nur in einer bissigen, ironisch verzerrten Nebenbemerkung.
  • Schmidts Beschreibung der Dörfler liest sich ziemlich misanthropisch. In der alten wie in der neuen Heimat des Erzählers wimmelt es nur so von Kanaillen, aufgedunsenen Bauern mit blöden Gesichtern, nörgelnden Kindern, „gemästeten oder schwangeren Frauen“. Zynismus und Sarkasmus sind die Mittel, mit denen sich der Erzähler – der natürlich als einziger Geist und Esprit besitzt – von dem plumpen Menschenpack absetzt.
  • Schmidt spart nicht mit der Kritik an der christlichen Moral. Immer wieder nimmt er die nach seiner Ansicht bigotten Katholiken in Gau-Bockenheim aufs Korn. Die Frömmelei der Dörfler scheint ihm aufgesetzt. „Neenee, Katrin: Christentum hat mit Kultur nischt zu tun“, lässt der Autor seinen Erzähler sagen.

Historischer Hintergrund

Flüchtlinge und Umsiedler

In der Zeit zwischen 1944 und 1950 strömten rund 12,5 Millionen Flüchtlinge und Vertriebene aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten nach Deutschland. Die meisten dieser Flüchtlinge landeten in den Bundesländern, die sie vom Osten besonders schnell erreichen konnten. Das führte beispielsweise dazu, dass die Bevölkerung Schleswig-Holsteins bis 1949 um 73 % wuchs. In Niedersachsen waren es immerhin 52 %. Insbesondere in den ländlichen Gemeinden bargen die Flüchtlingsströme ein großes Konfliktpotenzial, weil das materielle und soziale Gefälle zwischen den mittellosen Vertriebenen und den Dorfbewohnern groß war. Die Bauern konnten sich weitestgehend selbst versorgen, die Flüchtlinge jedoch nicht. Dazu kamen kulturelle und oft auch konfessionelle Unterschiede. Zudem verfügten die Alteingesessenen über eine gewachsene und auch von den Nationalsozialisten nicht gänzlich zerstörte lokale Interessenvertretung. Die „Neubürger“ hatten nichts Vergleichbares. Noch dazu bestand bis 1948 ein von den Alliierten verhängtes Koalitionsverbot, sodass sich Vertriebenenverbände erst spät entwickeln konnten.

Wer umgesiedelt werden wollte, musste einen formellen Antrag stellen und wurde dann in eine von zwei Kategorien eingeteilt: „echte Flüchtlinge“, die vor dem 1. September 1939 in den ehemals deutschen Ostgebieten gelebt hatten, und „unechte Flüchtlinge“, die bereits vor dem Krieg ihre Heimat verlassen hatten. Die Entscheidung über eine Umsiedlung traf eine Auswahl-Kommission im jeweils aufnehmenden Bundesland. In vielen Fällen wurde die prekäre Lage der Umsiedler aber nach dem Umzug nicht besser: Zu beengt war die Wohnraumsituation und zu konfliktreich das Zusammenleben mit der alteingesessenen Bevölkerung. Viele der Flüchtlinge zog es später (oft in Eigenregie) zurück an ihren ersten Bestimmungsort.

Entstehung

Die Umsiedler hat einen autobiografischen Hintergrund. Schmidt setzte seine Erfahrungen rund eineinhalb Jahre nach seiner eigenen Umsiedlung nach Gau-Bickelheim (im Buch Gau-Bockenheim) im November 1950 literarisch um. Es handelt sich also nicht um eine spontane Verarbeitung der Umsiedlungserlebnisse und auch nicht um einen schnellen „Racheakt“ an den örtlichen Behörden und den eher unfreundlichen Bewohnern des Ortes, wie ihn Schmidt mehrmals angekündigt hatte. Schmidt nutzte das Tagebuch seiner Frau Alice Schmidt für die äußere Handlung, und zwar ziemlich detailgetreu. Lediglich die Liebesgeschichte zwischen dem Erzähler und Katrin ist fiktional. Wie er später in seinen prosatheoretischen Berechnungen I erklärte, handelt es sich bei den Umsiedlern um das Werk einer „Versuchsreihe“ mit verschiedenen Prosaformen.

Das Thema des Kriegsheimkehrers hatte er schon zuvor verarbeitet, weshalb der Rowohlt Verlag das Buch ablehnte: „Es will uns scheinen, als hätten Sie hier in anderer Form, sicherlich auch mit anderen Details, das in Brand’s Haide gestaltete Thema noch einmal aufgegriffen.“ Glücklicherweise fand sich ein anderer Verleger für das Buch. Schmidt war im Sommer 1952 auf Einladung Martin Walsers für ein Interview mit dem Süddeutschen Rundfunk nach Stuttgart gekommen. Hier lernte er Alfred Andersch kennen, der ihm Aufträge für Rundfunkessays gab, was ihm ein regelmäßiges Einkommen sicherte. Gleichzeitig suchte Andersch Manuskripte für die von ihm betreute Buchreihe Studio Frankfurt. Da kam ihm das Manuskript der Umsiedler gerade recht.

Wirkungsgeschichte

Wie seine vorherigen Werke wurde auch Die Umsiedler kein kommerzieller Erfolg. Aber das Buch half dabei, am Mythos des unbequemen Dichters zu schrauben. Da Schmidt bereits bekannt war, nahmen sich alle wichtigen Feuilletons sein neuestes Werk vor – und kamen überwiegend zu positiven Ergebnissen. Schmidt hatte bereits den Stempel des Avantgarde-Autors; zuweilen wurde er sogar mit James Joyce verglichen, vor allem weil er, wie der irische Autor, die Technik des Stream of Consciousness verwendete. Eine Rezension, die am 17. Oktober 1953 in der Welt erschien, zeigt recht deutlich, welches Bild man von Schmidt und seinen Umsiedlern hatte: „Es liest ihn keiner – es sei denn, die Experten nehmen ihn vor ihre neugierigen Augen –, aber er wird überall diskutiert (...) einseitig, erfolglos und in vieler, vieler Leute Mund. Qualvoll intelligent, qualvoll einseitig, dabei beschenkt mit dem zartesten Herzen der Welt schreibt er.“ Aber auch Schriftstellerkollegen wie Siegfried Lenz waren von Schmidts Schreibstil angetan: „Arno Schmidt schreibt ohne Zweifel die dichteste und tollste Prosa.“

Das Thema der Kriegsheimkehrer und Umsiedler wurde nicht nur von Schmidt mehrmals aufgenommen, sondern setzte sich in der deutschen Literatur nach 1950 fest. Zu den prominentesten Romanen mit dieser Thematik gehören Die Unvollendeten von Reinhard Jirgl, Anna SeghersDie Umsiedlerin, Erwin Strittmatters Tinko und Im Krebsgang von Günter Grass.

Über den Autor

Arno Schmidt wird am 18. Januar 1914 in Hamburg geboren. Kaum kann er lesen, macht er sich über jedes gedruckte Stück Papier her. Er ist, nach eigener Aussage, zum „Bibliophagen und zur Isolation prädestiniert“. Nachdem sein Vater, ein Polizeibeamter, stirbt, siedelt die Familie 1928 nach Lauban in Schlesien über. 1934 beginnt Schmidt mit einer kaufmännischen Lehre, die er drei Jahre später abschließt. Er arbeitet als Lagerbuchhalter in einer schlesischen Textilfabrik. 1937 heiratet er seine Kollegin Alice Murawski. Im Zweiten Weltkrieg kommt Schmidt zur Artillerie, er kämpft im Elsass sowie in Norwegen. Nach einem Einsatz in Niedersachsen gerät er in britische Kriegsgefangenschaft. Als der Krieg vorbei ist, arbeitet Schmidt an der Hilfspolizeischule Benefeld als Dolmetscher für Englisch. Noch bis 1955 müssen er und seine Frau in Notunterkünften leben, zunächst in Niedersachsen und dann, nach seiner Umsiedlung nach Rheinland-Pfalz, in Gau-Bickelheim. 1949 erscheint mit Leviathan die erste Erzählung des Autors. 1955 wird Seelandschaft mit Pocahontas veröffentlicht, ein Werk, das ihm eine Anzeige wegen „Gotteslästerung und Pornografie“ einbringt. Wieder muss Schmidt sich „umsiedeln“ lassen, diesmal vom katholischen Kastel an der Saar ins protestantische Darmstadt. Seinen Ruhepunkt findet er in Bargfeld, wo er sich mit finanzieller Unterstützung des Malers Wilhelm Michels ein Holzhaus kauft. Hier führt er fortan als freier Schriftsteller ein relativ abgeschiedenes Leben. Seine literarische Arbeit kulminiert 1970 im Hauptwerk Zettel’s Traum. Damit wird er endgültig zu einem Außenseiter der deutschen Literatur: Seine avantgardistische Prosa passt in kein Schema und kann keiner literarischen Strömung zugeordnet werden. Drei Jahre später verleiht ihm die Stadt Frankfurt am Main den Goethepreis. Neben seinem eigenen Werk tritt er als Übersetzer von James Fenimore Cooper, William Faulkner und Edgar Allan Poe hervor. Sein Interesse an Karl May führt zu Sitara und der Weg dorthin, einer Studie über den Abenteuerschriftsteller (1963). Arno Schmidt stirbt am 3. Juni 1979 an den Folgen eines Gehirnschlages in Celle.

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