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Gespenstersonate

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Gespenstersonate

Fischer Tb,

15 Minuten Lesezeit
10 Take-aways
Text verfügbar

Was ist drin?

Das wohl düsterste Werk Strindbergs und Vorläufer der modernen Dramatik.


Literatur­klassiker

  • Drama
  • Symbolismus

Worum es geht

Ein Geflecht aus Lügen, Verbrechen und Sünde – zu verwickelt, um es aufzulösen

August Strindbergs Gespenstersonate gilt als eines der rätselhaftesten und düstersten Werke des Dichters. Strindberg setzt in seinem Werk die Kausalität unserer Welt außer Kraft und lässt höhere, wirklichere Mächte walten. Wenn man dem Stück bis zum Ende folgt, verspricht das Wirken dieser Mächte allerdings kaum Aussicht auf Trost, geschweige denn eine Art von Erlösung. Was also nimmt man davon mit? Vielleicht sollte man hier dem Rat Franz Kafkas folgen, der ein begeisterter Leser Strindbergs war. Nach ihm sind Bücher nicht dazu da, uns glücklich zu machen. Im Gegenteil glaubte er, dass „ein Buch die Axt sein muss für das gefrorene Meer in uns.“ Strindbergs Gespenstersonate ist ohne Zweifel eine Axt dieser Art.

Take-aways

  • Die Gespenstersonate gehört zu den bedeutendsten dramatischen Werken Strindbergs.
  • Vor einem vornehmen Haus kommen ein Greis und ein Student ins Gespräch. Der Student träumt davon, ein Leben wie die reichen Bewohner des Hauses zu führen und das schöne Fräulein, das im Haus lebt, für sich zu gewinnen. Der Greis verspricht ihm, diese Träume zu erfüllen. Doch wie der Student lernen muss, glänzt nur die Fassade des Hauses. Dessen Bewohner leben wie Gespenster – verbunden nur durch vergangene Lügen und Verbrechen. Am Ende stirbt das Fräulein, weil der Student aussprechen musste, was er tatsächlich über sie und das Leben im Allgemeinen denkt.
  • Die Gespenstersonate entzieht sich der Einordnung in die klassischen Dramengattungen.
  • Das Werk orientiert sich vom Aufbau her an der dreiteiligen Sonatenform, wie sie aus der Musik bekannt ist: Exposition, Durchführung, Reprise.
  • In der Gespenstersonate zeigt sich die Hinwendung des späten Strindbergs zum Okkulten und Mystischen.
  • Diese Wende ins Düstere lässt sich biografisch erklären: Zwischen 1895 und 1897 wurde Strindberg von Wahnvorstellungen und Depressionen geplagt.
  • In der Figur des Direktor Hummel sehen manche Literaturwissenschaftler den Ursprung der modernen Dramatik.
  • Die Gespenstersonate ist eines von vier Kammerspielen, die Strindberg für das von ihm selbst gegründete Intime Theater schrieb.
  • Der Komponist Aribert Reimann vertonte das Werk 1983 als Oper mit großem Erfolg.
  • „Mich überkommt zuweilen ein rasendes Verlangen, alles zu sagen, was ich denke, aber ich weiß, dass die Welt einstürzen würde, wenn man wirklich aufrichtig wäre.“

Zusammenfassung

Das Milchmädchen

Es ist ein freundlicher Sonntagmorgen. Die Sonne scheint hell in eine kleine Seitenstraße, wo eine Pförtnersfrau den Vorplatz eines modernen Hauses scheuert. Auf der Treppe des Hauses steht eine dunkel gekleidete Frau. Auf dem Platz vor dem Haus befinden sich eine grüne Bank und ein Springbrunnen. Zudem eine Anschlagssäule, neben der ein Greis im Rollstuhl sitzend die Zeitung liest. Ein Milchmädchen erscheint, um sich am Brunnen zu waschen und Wasser zu trinken. Mit derselben Absicht betritt gleich darauf ein Student den Platz. Er bittet das Milchmädchen um dessen Schöpfkelle, doch das Mädchen blickt den übernächtigt aussehenden Studenten nur entsetzt an. Er erklärt ihr, seine verwahrloste Erscheinung rühre daher, dass er in der vergangenen Nacht den Verwundeten eines Hauseinsturzes geholfen habe. Da reicht ihm das Mädchen mit ihrer Kelle einen Schluck zu trinken. Der Greis fragt sich währenddessen, mit wem der Student wohl redet – er selbst kann außer dem Studenten niemand sehen.

Eine alte Schuld

Der Greis wendet sich an den Studenten. Er habe gehört, dass der Student bei dem gestrigen Häusereinsturz gewesen sei, er habe darüber gerade in der Zeitung gelesen. Das Bild des Studenten sei darin abgedruckt mit der Anmerkung, er habe tüchtig geholfen, jedoch habe die Zeitung seinen Namen nicht herausfinden können. Der Greis möchte ihn gern erfahren, doch der Student lehnt das ab. Er wolle, sagt er, nicht in die Öffentlichkeit treten – damit ernte man neben Lob sowieso gleich wieder Tadel. Dann erklärt der Greis, ihm komme die Stimme des Studenten bekannt vor. Er fragt ihn, ob er mit dem Großhändler Arkenholz verwandt sei. Das sei sein Vater, antwortet der Student.

„Es verhält sich indessen so, dass Ihr Vater mich um 17 000 Kronen brachte, die damals meine Ersparnisse ausmachten.“ (Greis zum Studenten, S. 210)

Es stellt sich heraus, dass der Greis den Studenten schon als kleines Kind kannte. Und auch der Greis, der sich als Direktor Hummel vorstellt, ist dem Studenten seit Kindestagen namentlich bekannt. Denn der Großhändler Arkenholz hat vor langer Zeit einen Bankrott erlitten und gegenüber seiner Familie Direktor Hummel dafür die Schuld gegeben. Zur Überraschung des Studenten stellt Hummel die Geschichte aber genau gegenteilig dar: Arkenholz habe sich durch Spekulationen selbst ruiniert und Hummel habe ihm damals mit viel Geld ausgeholfen, dieses jedoch nie zurückbekommen. Arkenholz, meint Hummel, habe ihn wohl deshalb verleumdet, weil er die Hilfe als Demütigung erlebt habe.

Der Student fragt, was Hummel für die unbeglichene Schuld seines Vaters von ihm verlange. Da Hummel im Rollstuhl sitzt, soll der Student ihn so drehen, dass er die aktuellen Vorstellungen an der Anschlagssäule lesen kann. Hummel verlangt, der Student solle sich telefonisch einen Sitzplatz für die Nachmittagsvorstellung der Walküre reservieren. Dabei hat er einen ganz bestimmen Sitzplatz im Sinn: neben dem Oberst und dessen Tochter, deren Stammplätze Hummel kennt. Belustigt folgt der Student Hummels merkwürdigem Auftrag und verschwindet zum Telefonieren.

Die Bewohner des Hauses

Als er zurück ist, kommen sie auf das vornehme Haus zu sprechen. Der Student erzählt, er sei erst gestern daran vorbeigegangen und habe sich ausgemalt, als wohlhabender Mensch darin zu leben. Hummel erzählt, er kenne alle Menschen, die darin leben. Da öffnet sich ein Rollo im Erdgeschoss, sodass durch das Fenster ein runder Salon sichtbar wird. In diesem hält sich der Oberst auf. Hummel erklärt, das sei der Mann, neben dem der Student heute in der Oper sitzen werde. Die Marmorstatue im Salon sei nach dem Bild der Frau des Obersten geschaffen, die sich übrigens als Mumie auch in der Wohnung aufhalte und ihre Statue anbete. Im Zimmer nebenan, das voller Hyazinthen ist, lebe die Tochter der beiden, Fräulein genannt. Sie sei noch auf einem Spazierritt, werde aber bald zurückkehren.

„In meinem Alter kennt man alle Menschen (…) aber niemand kennt mich richtig – ich interessiere mich für die Schicksale der Menschen …“ (Greis zum Studenten, S. 212/213)

Nebenbei stellt sich heraus, dass der Student ein Sonntagskind ist. Hummel glaubt, dass Sonntagskinder Tote sehen können. Auch der Student weiß, dass er mehr sehen kann als andere. Als Hummel ihn fragt, mit wem er vorhin am Springbrunnen gesprochen habe, fragt er verblüfft zurück, ob Hummel denn das Milchmädchen nicht gesehen habe. Hummel erschaudert – und sieht sich bestätigt.

Dann stellt Hummel dem Studenten die weiteren Bewohner des Hauses vor, die einer nach dem anderen in den Fenstern, vor der Tür und auf dem Platz erscheinen: Eine weißhaarige Greisin, die sich im Erdgeschoss an ein Fenster setzt, sei früher Hummels Braut gewesen. Damals hätten sie sich ewige Treue geschworen, heute aber würde sie ihn nicht wiedererkennen. Die dunkle Dame, die sich mittlerweile im Gespräch mit der Pförtnersfrau befindet, sei deren Tochter, erklärt Hummel. Ihr Vater sei der verstorbene Konsul. Die dunkle Dame habe des Weiteren einen vornehmen Freier, Baron Skanskorg, der allerdings noch mit einer anderen verheiratet sei.

Als das Fräulein von ihrem Spazierritt zurückkehrt und auf den Platz tritt, kommen dem Studenten vor Verzweiflung die Tränen, denn sie scheint ihm unerreichbar. Hummel aber versichert: Wenn der Student ihm nur dienen wolle, werden sich ihm alle Träume erfüllen. Er, Hummel, sei reich und wolle den Studenten zu seinem Erben machen. Er solle nur die Vorstellung besuchen – schon heute Abend werde ihm dann Eintritt in das Haus und in den runden Salon gewährt werden.

Johansson, Hummels Diener, betritt die Szene und schiebt Hummel auf dessen Befehl vom Platz fort. Im anschließenden Gespräch mit dem Studenten schildert Johansson seinen Herrn als herrschsüchtig und trickreich. Hummel zerstöre Menschenschicksale, verzeihe niemals und scheue bei seinen Feinden selbst vor Mord nicht zurück. Ihn selbst, Johansson, hätte Hummel einst durch Erpressung versklavt. Hummel fürchte weiterhin nichts und niemanden – außer einer Person: dem Milchmädchen, wie der Student richtig errät.

„Mich hat er buchstäblich aus den Händen der Gerechtigkeit gestohlen … ich hatte nämlich etwas begangen, hm, von dem er wusste; statt mich einsperren zu lassen, machte er mich nur zum Sklaven;“ (Johansson zum Studenten, S. 220)

Im Rollstuhl stehend, von einem Bettler gezogen und von anderen Bettlern begleitet, kehrt Hummel zurück. Er ruft dazu auf, dem Studenten für seine gestrige Heldentat zu huldigen. Stumm nehmen die Bettler ihre Kopfbedeckungen ab und stumm erscheinen die Bewohner des Hauses wieder in den Fenstern. Hummel klatscht in die Hände; er habe die Gabe des Weissagens und des Heilens. Einmal habe er einen Ertrunkenen ins Leben zurückgeholt. Plötzlich erscheint wieder das Milchmädchen, doch nur Hummel und der Student sehen es. Das Mädchen starrt Hummel an und rudert mit den Armen wie eine Ertrinkende. Der Greis schreckt zusammen und verlangt, sofort weggebracht zu werden. Vorher erinnert er den Studenten noch an die Walküre.

Im runden Salon

Johansson und Bengtsson, der Diener des Obersten, betreten den runden Salon in Livree. Bengtsson macht Johansson mit den Gepflogenheiten des bevorstehenden „Gespenstersoupers“ bekannt. Dies werde so genannt, weil die Teilnehmenden seit Jahren immer dieselben seien und mittlerweile wie Gespenster aussähen. Niemand spreche, außer manchmal der Oberst. Die Frau des Hauses, so Bengtsson weiter, lebe eingeschlossen hinter einer Tapetentür in einer kleinen Garderobe, weil ihre Augen mit dem Licht nicht zurechtkämen. Sie sähe aus wie eine Mumie und lebe im Glauben, ein Papagei zu sein. Als Bengtsson die Tapetentür öffnet, um Johansson die Mumie zu zeigen. Er redet einige Worte mit ihr, die ihm das Gesagte bestätigen. Daraufhin schließt er die Tür wieder.

„Es ist das gewöhnliche Gespenstersouper, wie wir es nennen. Sie trinken Tee, sagen kein Wort, oder der Oberst spricht allein (…) Und das haben sie nun seit zwanzig Jahren betrieben, immer dieselben Menschen, die dasselbe sagen, oder sie schweigen, damit sie sich nicht zu schämen brauchen.“ (Bengtsson zu Johansson, S. 223)

Aus dem Vorzimmer schleicht sich Hummel an die beiden heran. Als er hört, wie Johansson ihn einen Dieb und Zauberer nennt, zupft er ihn am Ohr, nennt ihn seinerseits einen Schurken und befiehlt Bengtsson, dem Oberst seinen Besuch zu melden. Angeblich erwarte ihn dieser. Johansson befiehlt er zu verschwinden.

Allein gelassen streift Hummel durchs Zimmer und bleibt schließlich vor der Marmorstatue stehen. Aus der Garderobe heraus spricht ihn die Mumie an. Er vermutet einen Papagei, doch da er keinen entdecken kann, folgert er, es müsse sich um einen Spuk handeln. Daraufhin tritt die Mumie aus der Garderobe heraus und redet ihn, die Papageienstimme ablegend, mit Jakob an. Er heiße wirklich Jakob, bestätigt Hummel. Und sie heiße Amalia, antwortet die Mumie. Was Hummel hier suche, will sie wissen. Ihr gemeinsames Kind, sagt er. Denn das schöne Fräulein, so verrät die folgende Unterhaltung, ist in Wahrheit Hummels Tochter. Hummel hatte sich einst an dem Oberst rächen wollen, weil der mit Hummels einstiger Braut, der Greisin, angebändelt hatte. Im Gegenzug hatte Hummel eine Affäre mit Amalia begonnen.

„Warum macht er die Tür auf, hab ich nicht gesagt, dass sie geschlossen sein soll!“ (Mumie zu Bengtsson, S. 224)

Um ihn im Streit zu verletzen, habe Amalia dem Oberst die Wahrheit über die Vaterschaft zwar einmal gestanden, berichtet sie. Doch der Oberst habe ihr nicht geglaubt. Hummel erklärt, dass er für das Wohl seiner Tochter sorgen werde, indem er sie mit dem Studenten verkuppelt, der ja durch sein Erbe reich würde. Unter anderem sprechen sie darüber, dass Baron Skanskorg einst auch Amalias Geliebter gewesen sei. Zum Schluss kündigt Hummel an, sich noch immer am Oberst rächen zu wollen. Da warnt ihn Amalia, dass er hier in diesem Zimmer sterben wird, wenn er auf seiner Rache besteht.

Enthüllungen

Der Oberst erscheint, Amalia verlässt den Salon. Der Oberst hat einen Brief dabei, aus dem hervorgeht, dass Hummel sämtliche Schuldscheine des Obersten aufgekauft hat, sodass Hummel diesen nun ganz in der Hand hat. Er verlangt, der Oberst solle seinem Diener kündigen. Dem widersetzt sich der Oberst mit Verweis auf Bengtssons langjährige Treue Einspruch erhebt. Hummel erinnert ihn daran, dass er ganz frei über das Haus verfügen könne, da alles darin ihm gehöre. Der Oberst kontert mit seiner adligen Herkunft. Ein Papier, das Hummel hervorholt, belegt allerdings, dass das Adelsgeschlecht des Obersten schon seit einem Jahrhundert nicht mehr existiert. Und auch sein Titel als Oberst sei nach der Neugestaltung der Armee nicht mehr gültig. Der Oberst – gedemütigt und aufgebracht – will wissen, wer Hummel ist, doch der verrät seine Identität nicht und befiehlt dem Oberst, sich gegenüber den nun erscheinenden Gästen ruhig zu verhalten.

„Aber mein adliges Wappen und mein guter Name bleiben mir!“ (Oberst zu Hummel, S. 229)

Der Student betritt den Salon als Erster. Er wird vom Obersten herzlich empfangen und für sein edles Handeln beim gestrigen Häusereinsturz gerühmt. Dann wird er zum Fräulein ins Hyazinthenzimmer geführt. Die anderen Gäste erscheinen: die weißhaarige Greisin, der Baron Skanskorg und schließlich Amalia. Man bildet einen Kreis. Hummel beginnt eine Rede: In der durch vergangene Verbrechen vergifteten Atmosphäre dieses Hauses gehe seine Tochter, das Fräulein, ein wie eine Blume. Seine Mission sei es, seine Tochter vor schlechten Einflüssen zu bewahren. Sie soll mit dem Studenten in diesem Haus ein neues Leben – frei von Schuld und in gutem Umfeld – beginnen können. Er fordert darum alle Anwesenden auf, das Haus zu verlassen – wer zurückbleibt, soll verhaftet werden.

„Dieses war meine Mission in diesem Hause: das Unkraut auszujäten, das Verbrechen zu enthüllen, den Bücherabschluss zu machen, sodass das junge Paar neu in diesem Heim beginnen kann, das ich ihnen geschenkt habe!“ (Hummel zu den Teilnehmenden des Gespenstersoupers, S. 233)

Da erhebt Amalia Einspruch: Es stimme zwar, dass alle Anwesenden gesündigt hätten, doch dass ausgerechnet er, Hummel, sich zum Richter über sie erhebe, beweise, dass er der Schlechteste von allen sei. Er habe den Konsul, der gestern begraben worden sei, ermordet und den Studenten mittels erdachter Schulden des Vaters an sich zu binden versucht. Das größte Verbrechen Hummels weiß Bengtsson zu berichten: Nicht nur sei Hummel früher ein Schmarotzer gewesen, der bei Bengtsson gedient hat und dem Haushalt das ganze Essen weggegessen, ihn gar „wie ein Vampir“ ausgesaugt hätte. Hummel habe zudem einst ein Mädchen aufs Eis gelockt und ertränkt, da es ein anderes seiner Verbrechen mit angesehen hat.

„Später traf ich diesen Mann in Hamburg unter einem andern Namen (…) da war er sogar unter Anklage, ein Mädchen aufs Eis gelockt und sie ertränkt zu haben, weil sie durch ihr Zeugnis ein Verbrechen bekräftigte, dessen Entdeckung er befürchtete.“ (Bengtsson zu den Teilnehmenden des Gespenstersoupers, S. 234/235)

Während dieser Enthüllungen sackt Hummel immer weiter in seinem Stuhl zusammen. Schließlich befiehlt Amalia ihm, sich in der Garderobe zu erhängen. Hummel, der nun ebenfalls wie ein Papagei redet, gehorcht. Als sich die Garderobentür hinter ihm schließt, bittet Amalia Gott, er möge seiner Seele gnädig sein. Die Anwesenden antworten: „Amen“.

Im Hyazinthenzimmer

Im Hyazinthenzimmer singt der Student von Gott, Sünde und Vergebung. Adele, das Fräulein, begleitet ihn an der Harfe. Im Hintergrund sitzen im runden Salon der Oberst und Amalia. Der Student und Adele sprechen über Blumen und der Student erzählt ein Märchen, in dem die Entstehung des Kosmos mit dem Wachsen einer Blume aus einer Zwiebel verglichen wird. Sie malen diese Vorstellung gemeinsam weiter aus und der Student glaubt, dass sie durch die Vereinigung in Gedanken bereits Mann und Frau seien. Adele widerspricht: Es stünden noch Prüfungen an, er müsse sich in Geduld üben.

„Freilich, wir bekommen viele Gerichte, aber alle Kraft ist weg … Sie kocht das Fleisch aus, gibt uns die Fasern und das Wasser, während sie selbst die Kraftbrühe trinkt.“ (Adele zum Studenten, S. 238)

Im weiteren Gespräch kommt heraus, dass Adele und ihre Familie eine Köchin beschäftigen, die ihnen die Kraft aussaugt. Sie gehöre zur „Vampirfamilie Hummel“. Sie kocht das Fleisch aus, trinkt selbst die kräftigende Brühe und serviert der Familie lediglich die Fasern und Wasser. Sie wegzujagen, dazu fehle die Kraft, erklärt Adele. Auch das Hausmädchen mache ihnen mehr Arbeit, als sie ihnen abnehme, denn es müsse immerzu hinter ihr her geputzt, gewaschen und aufgeräumt werden. Adele fragt schließlich, ob das Leben die Mühe überhaupt wert sei. Der Student erwidert, dass es auf den Lohn ankomme, den man erwarte, und dass er jede Mühe auf sich nehmen würde, um ihre Hand zu gewinnen. Adele erwidert, das könne niemals passieren. Doch sie sagt nicht, warum.

„Mich überkommt zuweilen ein rasendes Verlangen, alles zu sagen, was ich denke, aber ich weiß, dass die Welt einstürzen würde, wenn man wirklich aufrichtig wäre.“ (Student zu Adele, S. 242)

Als der Student Adele fragt, ob sie wisse, was er von ihr denke, beschwört sie ihn, nicht zu sprechen, da sie sonst sterben müsse. Auch er müsse sterben, wenn er nicht spreche, erwidert er. Er verurteilt das Schweigen zwischen Menschen, das dieses Haus und seine Bewohner in die Verdammnis gestürzt habe. Während er pathetisch die Schlechtigkeit der Welt beklagt und schließlich sogar Jesus um Erlösung anfleht, sinkt Adele immer weiter in sich zusammen und stirbt. Ein weißes Licht erfüllt noch einmal den Raum, der Student bittet Gott um Gnade für ihre Seele, dann verschwindet das Zimmer und „die Toteninsel“, ein Gemälde Arnold Böcklins, erscheint im Hintergrund. Leise Musik tönt von der Insel herüber.

Zum Text

Aufbau und Stil

Strindbergs Gespenstersonate ist höchst komplex aufgebaut – ein herausforderndes Werk, das sich nicht so einfach in die klassischen Dramengattungen einordnen lässt. Strindbergs Komposition orientiert sich an der Sonatenform. Dieses musikalische Gestaltungsprinzip fordert drei Teile: Exposition, Durchführung und Reprise. Dem entsprechen die drei Akte der Gespenstersonate, die durch die drei unterschiedlichen Schauplätze markiert werden: die Begegnung des Studenten mit Direktor Hummel vor dem vornehmen Haus, das Gespenstersouper im runden Salon sowie der Dialog zwischen dem Studenten und Adele im Hyazinthenzimmer. Über diese einfache Analogie hinaus ist es Literaturwissenschaftlern jedoch nicht gelungen, die zahlreichen Motive und Verflechtungen der Handlung anhand der musikalischen Formprinzipien aufzuschlüsseln. Sicher ist, dass Strindberg mit seinem Werk konsequent an der Weiterentwicklung eines neuen, antimimetischen Dramentyps arbeitete – einem Drama, das die Welt nicht mehr nach den Prinzipien von Kausalität und Logik abbildet, sondern einer höheren, metaphysischen Logik folgt.

Interpretationsansätze

  • Die Gespenstersonate ist von Symbolismus und Expressionismus beeinflusst. In seinem Spätwerk löst sich Strindberg vom Naturalismus, der in seinen früheren Werken bestimmend war und den er im Vorwort seines wohl berühmtesten dramatischen Werkes Fräulein Julie auch theoretisch begründete.
  • Strindbergs Hinwendung zum Okkulten in seinem Spätwerk steht im Zusammenhang mit einer düsteren Phase seines Lebens: der sogenannten „Inferno-Krise“ zwischen 1895 und 1897, als er von Wahnvorstellungen und Depressionen geplagt wurde.
  • Die Gespenstersonate kann als sprachskeptisches Werk gelesen werden. Strindbergs literarische Neuerung bestand nicht so sehr im Aufbrechen formaler Prinzipien, sondern vielmehr im tiefen Zweifel an der Sprache selbst, an der Möglichkeit gelingender menschlicher Kommunikation, der sich in der Gespenstersonate ausdrückt. Die krächzende Mumie und die sprachlosen Teilnehmer des Gespenstersoupers sind dafür eindrückliche Symbole.
  • Die Figur des Direktor Hummel wird oft als Ursprung der modernen Dramatik genannt. Hummel scheint auf einer eigenen Ebene zu agieren – ein Spielleiter, der alle Figuren und ihre Abgründe kennt. Nach dem Literaturwissenschaftler Peter Szondi ist Hummel damit ein Vorbote von Bertolt Brechts Konzept des epischen Theaters.

Historischer Hintergrund

König Oskar II.

Nach dem Tod seines Bruders Karl XV. wurde Oskar II. 1873 zum König von Schweden und Norwegen gekrönt. Die beiden Königreiche wurden seit 1818 in Personalunion durch Könige des Hauses Bernadotte regiert. Die Regierungszeit Oskars II. war von der schnell voranschreitenden Industrialisierung beider Länder sowie vom enormen technischen Fortschritt geprägt. Das Hauptinteresse Oskars II. lag jedoch in der Außenpolitik. Seine Bewunderung für Otto von Bismarck und die engen Beziehungen zu einigen deutschen Fürstentümern – auch vermittelt durch seine deutsche Ehefrau Sophia von Nassau – leiteten einen Wandel in der außenpolitischen Orientierung des Königreichs ein. Die Beziehungen zum Deutschen Reich gewannen gegenüber der bis dahin starken Verbundenheit mit Frankreich an Bedeutung.

Oskar II. liebte Dichtung und Theater und verfasste auch selbst Gedichte und Essays, die in andere Sprachen übersetzt und in Zeitschriften veröffentlicht wurden. Er förderte Dichter und Künstler, die er schätzte. Andererseits machte er auch aus seinen Abneigungen keinen Hehl. So soll er dem norwegischen Dramatiker Henrik Ibsen mitgeteilt haben, dass er dessen Stück Gespenster für misslungen hielt. Auch für August Strindberg konnte er wenig Sympathie aufbringen. Das ist allerdings kein Wunder, wenn man bedenkt, dass Strindberg leidenschaftlich gegen die gesellschaftlichen Institutionen seiner Zeit und insbesondere gegen die Aristokratie wetterte.

Entstehung

Die 1890er-Jahre waren für Strindberg eine rastlose Zeit. Nachdem seine erste Ehe 1891 nach langwierigem Verfahren geschieden worden war, zog er 1892 von Kopenhagen nach Berlin und verkehrte dort im Berliner Lokal „Zum schwarzen Ferkel“ mit der norwegischen Schriftstellerin Dagny Juel und dem norwegischen Maler Edvard Munch. 1893 heiratete Strindberg die über 20 Jahre jüngere Frida Uhl kennen, die sich allerdings kaum ein Jahr später wieder von ihm trennen sollte. In der Folgezeit verschlug es ihn nach Paris, wo er sich mit mäßigem Erfolg als Maler und dann ohne Erfolg als Naturwissenschaftler versuchte. Er verarmte zusehends, wurde von Wahnvorstellungen geplagt und sein künstlerisches Schaffen kam fast gänzlich zum Erliegen. Mit seinem Roman Inferno, in dem er die Erfahrung dieser Zeit verarbeite und der 1897 erschien, gelang ihm ein Comeback. Die Hinwendung zum Okkulten während der Krisenzeit bestimmte Strindbergs Spätwerk maßgeblich.

Ende der 1890er kehrte er nach Schweden zurück, wo seine produktivste Schaffensphase begann. Auch seine dritte Ehe 1901 mit der fast 30 Jahre jüngeren Schauspielerin Harriet Bosse hielt nicht lange. 1904 folgte die Scheidung. 1907 verwirklichte er gemeinsam mit dem jungen Schauspieler August Falck einen lang gehegten Traum: die Gründung eines Theaters, das ganz seinem Werk gewidmet war: das Intime Theater. Strindberg schrieb dafür Kammerspiele und versuchte dabei, das Konzept der Kammermusik – kleine Besetzung auf überschaubarem Raum – auf das Theater zu übertragen. Von den vier Kammerspielen, die Strindberg zwischen November 1907 bis Januar 1908 schrieb, sollte die Gespenstersonate schließlich das berühmteste werden.

Wirkungsgeschichte

Die Uraufführung der Gespenstersonate am Intimen Theater am 21. Januar 1908 ließ das Publikum weitgehend kalt: Man empfang es als düster und hoffnungslos. Erst 1916 – vier Jahre nach Strindbergs Tod – gelang dem deutschen Theaterregisseur Max Reinhardt eine sensationelle Inszenierung in Berlin, die dem Werk zu einiger Bekanntheit verhalf. Die Gespenstersonate war in dieser Hinsicht im Übrigen kein Einzelfall: Zu Beginn des Jahrhunderts war Strindbergs dramatisches Werk auf deutschen Theaterbühnen so populär wie sonst nirgendwo in Europa, nicht einmal in Strindbergs Heimatland Schweden. Für die deutschen Theaterbühnen, die in den 1920er-Jahren mit Regisseuren und Autoren wie Max Reinhardt, Erwin Piscator und Bertolt Brecht zur weltweiten Avantgarde gehörten, waren Strindbergs dramatische Werke wichtige Impulse.

Den langfristig größten Erfolg feierte die Gespenstersonate allerdings nicht auf Theaterbühnen, sondern an der Oper. Der deutsche Komponist Aribert Reimann, der als Jugendlicher einige Zeit in Schweden gelebt hatte und dort mit dem Werk Strindbergs in Berührung gekommen war, vertonte die Gespenstersonate 1983. An der Übersetzung aus dem Schwedischen für das Libretto war Reimann selbst beteiligt, kürzte dabei einige Passagen und fügte zwei Gedichte Strindbergs hinzu. Den musikalischen Aspekt seiner Oper kommentierte Reimann so: „Wenn es eine jenseitige Welt gibt, dann hat sie auch eine andere Musik (...) und in einer jenseitigen Welt ist weder das Dur noch das Moll vorhanden.“

Über den Autor

August Strindberg wird am 22. Januar 1849 als viertes von acht Geschwistern in Stockholm geboren. Sein Vater ist mittelständischer Kaufmann, die Mutter hat vor der Heirat als Hausangestellte gearbeitet. Durch den Tod der Mutter 1862 verschlechtert sich das ohnehin angespannte Verhältnis des Jungen zum Vater. Nach einem heftigen Streit 1876 werden die beiden sich nie wieder begegnen. Nach dem Abitur beginnt Strindberg in Uppsala mit dem Studium der Medizin, nebenbei jobbt er als Lehrer und versucht sich als Schauspieler. Eine Zeit lang arbeitet er bei der Tageszeitung Dagens Nyheter und schreibt das historische Stück Meister Olof (Mäster Olof, 1872). In diese Zeit fällt auch seine Bekanntschaft mit der Schauspielerin Siri von Essen, die er 1877 heiratet und mit der er drei Kinder bekommt. Zwei Jahre darauf erlebt er mit dem satirischen Roman Das rote Zimmer (Röda rummet, 1879) seinen literarischen Durchbruch. Mit seinen obrigkeitsfeindlichen Werken eckt er an. Nach dem Erscheinen der Satire Das neue Reich (Det nya riket, 1882) muss er Schweden verlassen und lebt mit seiner Familie zeitweise im französischen und schweizerischen Exil. Die Novellensammlung Heiraten (Giftas, 1884) bringt ihm in seiner Heimat ein Verfahren wegen Gotteslästerung ein. Zwar wird er freigesprochen, doch in der Folge leidet Strindberg unter psychischen Störungen. Nach seiner Scheidung 1891 geht er nach Berlin, wo er die Journalistin Frieda Uhl heiratet. Doch schon bald trennt sich das Paar, das eine gemeinsame Tochter hat. Strindberg zieht nach Paris, wo er schwere paranoide und depressive Zustände erleidet. Nach dieser Krisenzeit kehrt Strindberg in guter Verfassung nach Schweden zurück und schreibt zwischen 1898 und 1907 über 25 Werke, darunter Der Totentanz (Dödsdansen, 1901). Er heiratet die Schauspielerin Harriet Bosse, doch auch seine dritte Ehe ist nicht von langer Dauer. 1907 gründet er in Stockholm das Intima Teater, für das er viele sozialkritische Stücke verfasst. Strindberg stirbt am 14. Mai 1912 in Stockholm an Magenkrebs. Zehntausende Menschen folgen auf den Straßen seinem Sarg.

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