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Grundlegung zur Metaphysik der Sitten

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Grundlegung zur Metaphysik der Sitten

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Was ist drin?

Das Wesen des Guten ist nicht Glück, sondern moralische Pflicht.


Literatur­klassiker

  • Philosophie
  • Aufklärung

Worum es geht

Ein Höhepunkt der Philosophie

Die Grundlegung der Metaphysik der Sitten von 1785 sticht selbst aus dem ohnehin monumentalen Werk des deutschen Philosophen Immanuel Kant heraus: Kein schweres und dunkles Buch wie die drei berühmten Kritiken, sondern ein kurzer, eleganter Text, der mit viel Elan und Klarheit die Moralphilosophie für immer umgekrempelt hat und noch heute zu einem der meistgelesenen und -diskutierten Texte der Philosophie zählt. Auch die schärfsten Kritiker seiner Schriften kommen um Kant nicht herum, und selbst zeitgenössische Utilitaristen wie Richard M. Hare oder Marcus G. Singer zollen ihm Tribut, indem sie seine Ethik in ihren Ansatz einarbeiten. In der Grundlegung finden sich die Herzstücke der Kantschen Moral: der kategorische Imperativ, die absolute Würde der Person und die entschiedene Zurückweisung aller gefühlsbegründeten Moral zugunsten eines strengen Pflichtbegriffs. Dass sich mit Jürgen Habermas und John Rawls zwei der prominentesten Positionen der zeitgenössischen Ethik ausdrücklich in die Nachfolge Kants stellen, ist kein Zufall. Die Grundlegung inspiriert wie provoziert heute noch genauso wie damals.

Take-aways

  • Die Grundlegung der Metaphysik der Sitten ist ein Höhepunkt der Philosophiegeschichte.
  • Inhalt: Die Grundsätze der Moral müssen im guten Willen gesucht werden, der allein als Wesen des Guten gelten kann. Der gute Wille folgt ausschließlich dem kategorischen Imperativ, wonach jeder subjektive Handlungsgrund zugleich allgemeines Gesetz für alle vernünftigen Wesen sein können muss.
  • Die Grundlegung ist einer der meistgelesenen und -diskutierten philosophischen Texte.
  • Sie erschien 1785 und war Kants erste Veröffentlichung zum Thema Moral.
  • Es handelt sich um einen der kürzesten, aber gelungensten Texte Kants.
  • Das Buch ging aus einer Replik auf den Kant-Kritiker Christian Garve und dessen Cicero-Rezeption hervor.
  • Kant fordert eine von subjektiven oder kulturellen Bedingungen bereinigte Moral.
  • Kritiker wie Hegel, Schopenhauer oder Nietzsche bemängelten Kants Rigorismus, seine unerfüllbar hohen moralischen Ansprüche.
  • Die Diskursethik von Habermas oder die Moraltheorie von Rawls verstehen sich als Fortsetzungen der Kantschen Ethik.
  • Zitat: „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, daß sie ein allgemeines Gesetz werde.“

Zusammenfassung

Die Bestimmung des Guten

Eine Metaphysik der Sitten soll die Grundsätze der Moral ermitteln und erklären. Sie geht davon aus, dass die Verbindlichkeit moralischer Gesetze weder in der menschlichen noch in der physikalischen Natur, sondern allein in der Vernunft wurzelt.

Welche Eigenschaften eines Menschen können wir ohne jede Einschränkung als gut bezeichnen? Mut, Entschlossenheit oder Verstand können – abhängig vom Charakter – sowohl in den Dienst guter wie auch böser Handlungen gestellt werden. Dasselbe trifft auf Geschenke des Zufalls wie Reichtum, Macht oder Gesundheit zu. Selbst die viel gelobten ethischen Tugenden wie Mäßigung, Nüchternheit und Selbstbeherrschung können von einem bösen Willen missbraucht werden. Alles hängt also von einem zugrunde liegenden guten Willen ab. Nur der gute Wille ist absolut gut – und das an sich, also unabhängig davon, ob er sich durchsetzen und verwirklichen kann. Zufälle und unglückliche Umstände können zwar verhindern, dass der gute Wille umgesetzt wird. Doch dieses Gelingen oder Misslingen in der Praxis ändert nichts daran, dass der gute Wille selbst absolut gut ist.

„Bei dem, was moralisch gut sein soll, ist es nicht genug, daß es dem sittlichen Gesetze gemäß sei, sondern es muß auch um desselben willen geschehen.“ (S. 6)

Nun mag diese Vorstellung als schwärmerische Fantasie erscheinen, sie muss daher überprüft werden. Würde es in der menschlichen Existenz bloß um das Erreichen von Glückseligkeit gehen, hätte die Natur dem Menschen keine Vernunft geben müssen – für das Erreichen von Zufriedenheit hätten Instinkte völlig ausgereicht. Da zudem die Vernunft als Wegweiser zur Bedürfnisbefriedigung nicht besonders gut geeignet ist, in der Natur jedoch alles zweckmäßig arrangiert ist, muss die Vernunft einen anderen Zweck haben, nämlich einen guten Willen zu erzeugen, was nur sie vermag. Dieser an und für sich gute Wille ist gleichbedeutend mit Pflicht.

Handeln aus Pflicht

Es ist schwer festzustellen, wann Menschen aus Pflicht handeln – und nicht bloß aus egoistischen Motiven der Pflicht gemäß, wie etwa Geschäftsleute, die nur deshalb ehrlich zu ihren Kunden sind, um sie nicht zu vergraulen. Die moralisch gute Handlung erkennen wir am ehesten dann, wenn sie gegen die persönlichen Interessen und Neigungen des Handelnden geht. Es ist zum Beispiel Pflicht, sein Leben zu erhalten oder wohltätig zu sein. Doch wenn wir unser Leben nur erhalten wollen, solange wir ohne Schmerzen und Unglück bleiben, oder den Ärmeren nur helfen, solange wir persönliche Sympathie für sie verspüren, hat dieses pflichtgemäße Handeln keinen moralischen Gehalt.

„Es ist überall nichts in der Welt (…), was ohne Einschränkung für gut könnte gehalten werden, als allein ein guter Wille.“ (S. 11) “

Die gute Handlung aus Pflicht erfolgt nicht um ihrer Folgen willen, sondern aus Prinzip, aufgrund einer Maxime. Moralisches Handeln besteht nicht darin, nach persönlichen Neigungen oder erhofften Konsequenzen zu handeln, sondern darin, ein objektives Moralgesetz so zu befolgen, dass man versucht, es zur Maxime des eigenen Handelns zu machen. Man handelt moralisch und pflichtgemäß dann, wenn man wollen kann, dass die Maxime des eigenen Handelns auch für alle anderen gelten soll.

„Eine Handlung aus Pflicht hat ihren moralischen Wert nicht in der Absicht, welche dadurch erreicht werden soll, sondern in der Maxime, nach der sie beschlossen wird.“ (S. 18) “

Wenn wir uns etwa fragen, ob wir etwas versprechen dürfen, was wir nicht zu halten vorhaben, können wir einerseits bewerten, ob ein solches falsches Versprechen klug ist, andererseits ob es pflichtgemäß ist. Ersteres wird uns entweder zur Lüge oder zur Aufrichtigkeit drängen – je nachdem, welche Option uns vorteilhafter scheint. Die moralische Bewertung hingegen wird eindeutig sein: Ich muss aufrichtig sein, denn würde jeder ständig lügen, gäbe es so etwas wie ein Versprechen gar nicht mehr. Doch unsere Begierde nach Glückseligkeit bildet ein starkes Gegengewicht gegen die Gebote der Pflicht. Deshalb gibt es eine „natürliche Dialektik“ in uns, die Vernunftgründe erfindet oder so verdreht, dass unsere Neigungen letztlich doch moralisch gerechtfertigt erscheinen. Umso wichtiger ist es daher, mithilfe der praktischen Philosophie echte Grundsätze zu finden.

Die Metaphysik der Sitten

Da das Gute einer Handlung nicht in ihren Folgen liegt, also nicht beobachtbar ist, gab es schon immer Skeptiker, die die Existenz der Moralität infrage stellten. Tatsächlich können wir nicht einmal durch Prüfung unseres eigenen Gewissens mit Sicherheit feststellen, ob wir jemals etwas rein aus Pflicht getan haben oder doch nur aus Neigung. Das beweist aber nicht, dass es keine Moralität gibt, sondern nur, dass Pflicht ein außer aller Erfahrung liegender Gegenstand der Vernunft ist. Deshalb können wir von einer Metaphysik der Sitten sprechen und festhalten, dass Moralgesetze für alle vernunftbegabten Wesen gelten müssen. Selbst unsere Vorstellung von Gott ist bloß die von der Vernunft aufgestellte Idee eines vollkommen moralischen Willens. Eine Metaphysik der Sitten hat daher auch nichts mit empirischen Beispielen zu tun. Sie ist eine reine Angelegenheit der Philosophie.

Der kategorische Imperativ

Alles Wirken in der Natur folgt Gesetzen. Doch nur vernünftige Wesen können sich Gesetze vorstellen und aus ihnen Handlungen ableiten. Diese Fähigkeit heißt Wille. Der Wille ist praktisch wirksame Vernunft. Als vollkommen objektiver Wille wäre er stets unmittelbar auch guter Wille. Im Menschen jedoch wird die praktische Vernunft durch Triebe und Interessen abgelenkt, weshalb ihr Verhältnis zum menschlichen Wollen als Nötigung beschrieben werden muss. Der an sich gute Wille nötigt den nach dem Angenehmen strebenden Willen des Menschen zu moralischem Handeln. Deshalb erscheint die praktische Vernunft dem Menschen als Gebot eines Sollens, als Imperativ. Im göttlich-heiligen Willen dagegen gibt es keinen Unterschied zwischen Sollen und Wollen.

„Der kategorische Imperativ ist also nur ein einziger, und zwar dieser: handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, daß sie ein allgemeines Gesetz werde.“ (S. 45)

Es gibt hypothetische und kategorische Imperative. Erstere bestimmen, welche Handlung als Mittel zur Erreichung eines Zweckes gut ist. Hier geht es um Geschicklichkeit. Hypothetische Imperative können auch Glückseligkeit als Zweck betreffen, wo sie als pragmatische Klugheit vorgeben, welche Mittel zur Erreichung der größtmöglichen Glückseligkeit zu wählen sind.

„In einer praktischen Philosophie ist es uns nicht darum zu tun (…), Gründe anzunehmen, von dem, was geschieht, sondern Gesetze von dem, was geschehen soll, ob es gleich niemals geschieht (…).“ (S. 52) “

Dagegen stehen kategorische, moralische Imperative. Diese gebieten eine Handlung nicht mit Blick auf einen Zweck, sondern als Folgerung aus einem Prinzip. Nur für kategorische Imperative lässt sich sagen, dass sie aus Pflicht zu befolgen sind. Imperative der Geschicklichkeit sind leer, da sie von einem zufällig gewählten Zweck abhängen, und Imperative der Klugheit können nur zu bestimmten Handlungen raten, aber niemals garantieren, dass diese tatsächlich Glückseligkeit bewirken werden. Nur kategorische Imperative sind frei von zufälligen Voraussetzungen und unabhängig von glücklichen Umständen.

„Der Mensch und überhaupt jedes vernünftige Wesen existiert als Zweck an sich selbst.“ (S. 53) “

Tatsächlich gibt es nur einen einzigen kategorischen Imperativ. Er gebietet dem Willen, nur nach derjenigen Maxime zu handeln, die er auch als allgemeines Gesetz wollen kann. Da alles in der Natur nach Gesetzen funktioniert, gebietet der kategorische Imperativ dem menschlichen Willen also, einem allgemeinen moralischen Gesetz zu folgen, so, als ob es das Naturgesetz des menschlichen Willens sei. Ob eine Maxime moralisch ist, lässt sich daran erkennen, dass sie als Naturgesetz gewollt werden kann und sich als solches nicht selbst widerspricht. Der Wunsch etwa, ein auf Genuss ausgerichtetes Leben zu führen, kann nicht als allgemeines Naturgesetz gewollt werden, da er die Entwicklung unserer vernünftigen Anlagen völlig vernachlässigt. Auch widerspricht die Maxime, anderen zwar nicht zu schaden, aber auch nicht zu helfen, sich selbst, da niemand in einer Gesellschaft leben will, in der ihm niemand hilft.

Der praktische Imperativ

Warum aber muss der kategorische Imperativ für alle vernünftigen Wesen gelten? Um diese Frage zu beantworten, kann er aus dem Begriff eines vernünftigen Willens abgeleitet werden. Das ist die Aufgabe einer praktischen Philosophie, die nicht untersucht, wie wir tatsächlich handeln, sondern wie wir handeln sollten. Der Wille wurde bereits als Fähigkeit bestimmt, das Handeln nach der Vorstellung bestimmter Gesetze auszurichten. Der Wille bestimmt sich also selbst, doch welche Zwecke wählt er sich dafür? Sind es beabsichtigte Wirkungen, wie im Falle des hypothetischen Imperativs, so sprechen wir von materiellen Zwecken und bloß subjektiven Triebfedern des Willens. Ist der Zweck allerdings formal, also frei von allen subjektiven Zwecksetzungen, lässt sich von einem objektiven Willen, einem allgemeinen Beweggrund sprechen. Ein solcher objektiver Zweck, ein Zweck an sich, ist der Mensch. Alle subjektiven Neigungen und Zwecke sind beliebig – das vernünftige Wesen, die Person als Zweck an sich jedoch hat einen absoluten Wert. Der praktische Imperativ gebietet uns daher, dass wir in jeder Handlung uns selbst und andere Personen niemals als reine Mittel, sondern immer auch als Zwecke selbst behandeln und damit ihre Würde achten sollen.

Die Autonomie des Willens

Indem der Wille von allen subjektiven Neigungen und Interessen abstrahiert und allgemein gültig wird, hört er auf, bloß individueller Wille zu sein, und wird zum unbedingten und allgemeinen Willen eines jeden vernünftigen Wesens. Dadurch tritt unser Handeln in ein „Reich der Zwecke“, eine Gemeinschaft mit allen vernünftigen Wesen ein, die einer gemeinsamen Gesetzgebung folgen. Wenn wir moralisch und aus Pflicht handeln, unterstellen wir uns selbst einem allgemeinen Gesetz, das für alle gilt, und zu dem wir uns freiwillig entscheiden. In diesem formalen Prinzip der Autonomie des Willens allein gründet alle Moralität. Nur ein solcher Wille ist absolut gut, der ohne Selbstwiderspruch als allgemeines Gesetz im „Reich der Zwecke“ gelten kann, der also von jedem vernünftigen Wesen gewollt werden kann. In der Fähigkeit des vernünftigen Menschen, von seinen subjektiven Motivationen abzusehen und in einem fiktiven „Reich der Zwecke“ sich selbst und allen anderen Vernunftwesen Gesetze zu geben, liegt seine Personenwürde begründet. Wird sein Wille jedoch durch materielle Zwecke und hypothetische Imperative bestimmt, hört er auf, sich selbst zu bestimmen und wird unselbstständig.

„Der praktische Imperativ wird also folgender sein: Handle so, daß du die Menschheit, sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden anderen, jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchest.“ (S. 54–55)

Der autonome Wille ist immer auch ein freier Wille. Er muss sich unabhängig von fremden Ursachen selbst bestimmen können, also frei sein. Die Freiheit des Willens muss also als Eigenschaft jedes vernünftigen Wesens gedacht werden, allerdings bloß als ideelle. In der natürlichen Sinnenwelt sind wir Menschen natürlich äußeren Umständen und fremden Ursachen unterworfen, also nicht frei. Wir können uns aber vorstellen, gleichzeitig auch Teil einer nicht empirisch beobachtbaren Verstandeswelt zu sein, in der wir unseren Willen rein durch Vernunft bestimmen können, wodurch unser subjektives Wollen mit dem absolut guten Willen zusammenfallen würde. Da wir Teil der natürlichen Kausalität sind, nimmt das Wollen des an sich guten Willens in uns die Form eines Sollens, des kategorischen Imperativs an. So weit lässt sich erklären, wie ein kategorischer Imperativ möglich ist. Die Frage dagegen, wie reine Vernunft aus sich selbst heraus praktisch werden und einen Willen bestimmen kann, kann innerhalb unserer Verstandesgrenzen nicht geklärt werden.

Zum Text

Aufbau und Stil

Die Grundlegung der Metaphysik der Sitten gilt als ein Höhepunkt der Kantschen Prosa. Mit literarischer Verve und messerscharfer Argumentation führt Kant auf etwas über 100 Seiten durch die Grundsätze seiner Moralphilosophie und ihren begrifflichen Zusammenhang. Auf eine kurze Vorrede, in der er das Projekt einer Metaphysik der Sitten im Gesamtgebäude der Philosophie verortet und ihre Methoden und Fragestellungen benennt, folgen drei Abschnitte. Die Titel dieser Abschnitte kündigen jeweils einen Übergang an. Der erste ist mit „Übergang von der gemeinen sittlichen Vernunfterkenntnis zur philosophischen“ überschrieben. Hier definiert Kant das Wesen des Guten als guten Willen und arbeitet die Umrisse einer genuin philosophischen Moraltheorie heraus. Darauf folgt der „Übergang von der populären sittlichen Weltweisheit zur Metaphysik der Sitten.“ Dieser Abschnitt ist das Herzstück des Textes. Hier finden sich Kants berühmte Ausführungen zum kategorischen Imperativ, zur Würde der Person und zur Autonomie des Willens. Schließlich unternimmt der dritte Übergang als „Übergang von der Metaphysik der Sitten zur Kritik der reinen praktischen Vernunft“ eine Erklärung des freien Willens und bereitet das Nachfolgeprojekt der Grundlegung vor, die Kritik der praktischen Vernunft, die 1788 erschien. Die letzten Passagen der Grundlegung weben den Text geschickt in das umfassende erkenntnistheoretische Gebäude ein, das Kant in seiner Kritik der reinen Vernunft 1781 vorgestellt hatte.

Interpretationsansätze

  • Kants Moralphilosophie setzt viel Vertrauen in die Gründungskraft der Vernunft. Moral soll darin durch die Vernunft völlig unabhängig von subjektiven Weltbildern und Gefühlen, von kulturellen oder zeithistorischen Umständen motiviert und begründet werden können.
  • Die Grundlegung gilt als Kernstück der kritischen Philosophie Kants. Die erkenntnistheoretischen Unterscheidungen zwischen Ding-an-sich und Erscheinung oder zwischen sinnlicher und intelligibler Welt, die Kant in der Kritik der reinen Vernunft eingeführt hat, erlangen hier lebensweltliche Bedeutung.
  • Die Moralphilosophie Kants steht in der philosophischen Tradition Ciceros. Diese zeichnet sich durch einen rationalen Zugang zur Ethik aus, der sich gegen affektive Impulse und Gefühlsurteile richtet. Zentrale Bedeutung hat der Begriff der Pflicht.
  • Zeitkritisch ist Kant in seiner expliziten Zurückweisung der Ehre als eines ethischen Konzepts. Der Begriff der Ehre war in der damaligen preußischen Gesellschaft enorm wirkmächtig und bestimmte das soziale Leben, doch für Kant können Rang und Status niemals moralische Vernunftgründe ersetzen.
  • Kants Ethik ist nicht die erste, die den Willensbegriff benutzt. Doch im Gegensatz zu Zeitgenossen wie Christian Wolff oder Christian Garve spricht Kant explizit von einem reinen Willen, also einem ausschließlich durch die Vernunft bestimmten und von persönlichen Interessen freien Willen.
  • Die Grundlegung gilt als der Text, in dem Kants Persönlichkeit am deutlichsten zum Vorschein kommt. Unverkennbar treten seine berühmte preußische Korrektheit, aber auch sein humanistisches Menschenbild und sein aufklärerischer Optimismus zutage.

Historischer Hintergrund

Das kurze Jahrhundert der deutschen Aufklärung

Das junge, erst 1701 gebildete Königreich Preußen erlebte ab 1740 unter Friedrich II. – als „Friedrich der Große“ zur welthistorischen Legende aufgestiegen – eine kulturelle und militärische Blüte. Unter Friedrichs Regentschaft stieg Preußen im Siebenjährigen Krieg zwischen 1756 und 1763 zur europäischen Großmacht auf. Sozialpolitisch war Friedrich ein Reformer, der die Folter abschaffte, Toleranz in Glaubensfragen übte und sich selbst als ersten Diener des Staates bezeichnete. Der Absolutismus verschmolz in ihm mit dem neuen Geist der Aufklärung, dessen Treibhäuser die intellektuellen Salons von Paris und Berlin waren und die sich hauptsächlich gegen religiösen Dogmatismus und wissenschaftsfeindlichen Aberglauben richtete. Die intellektuelle Debatte blühte in dieser liberalen Atmosphäre auf und wurde im Gegensatz zu früher großteils in der Öffentlichkeit geführt. Am 17. August 1786 starb Friedrich der Große nach fast 50-jähriger Herrschaft. Mit seinem Tod endete das Jahrhundert der deutschen Aufklärung – unter seinem Nachfolger, Friedrich Wilhelm II., kehrte die strenge Zensur nach Preußen zurück, insbesondere in religiösen Belangen. Immanuel Kant kam damit mehrmals in Konflikt und wurde schließlich mit einem Veröffentlichungsverbot zu religiösen Themen belegt.

Entstehung

Nach der Kritik der reinen Vernunft von 1781, der ersten von Kants drei großen Kritiken über Erkenntnis, Moral und Ästhetik, folgte mit der Grundlegung der Metaphysik der Sitten seine erste veröffentlichte Schrift zum Thema Moral. Der Schluss der Kritik kündigte diesen Themenwechsel von der Erkenntnis zur Moral bereits an. Und zu diesem Zeitpunkt – der 60-jährige Kant stand kurz vor seiner Pensionierung – hatte er sich bereits seit gut 20 Jahren intensiv mit Moral auseinandergesetzt. Um 1781 dürfte die Arbeit an der Grundlegung begonnen haben. Beabsichtigt war aber zunächst kein moralphilosophisches Grundlagenwerk, sondern die Abrechnung mit einem zeitgenössischen Kritiker: Christian Garve. Dieser hatte nicht nur Kants Kritik mit einer äußerst negativen Rezension bedacht, sondern auch in einem Buch über Cicero die Gefühle als Moralfundament verteidigt – das wollte Kant so nicht stehen lassen. Der „Gegenangriff“, wie ihn der ebenfalls aus Königsberg stammende Johann G. Hamann nannte, wandelte sich aber schnell zu einem grundsätzlichen Text über Moralphilosophie. Garve spielt darin keine Rolle mehr, dafür umso mehr ciceronische Begriffe wie „Wille“, „Würde“ oder „Autonomie“. Durch die Arbeit an der Renovierung seines Alterssitzes sowie an den Prolegomena von 1783 verzögerte sich die Fertigstellung des Textes immer wieder. Im Sommer 1783 arbeitete Kant aber, zusammen mit seinem Sekretär, konzentriert daran, und im August jenes Jahres dürfte der Text im Großen und Ganzen abgeschlossen worden sein. Im September 1784 sandte Kant das fertige Manuskript an seinen Verleger Johann Friedrich Hartknoch.

Wirkungsgeschichte

Die Grundlegung der Metaphysik der Sitten erschien am 8. April 1785 bei Hartknoch in Königsberg und wurde zu einem Ereignis in der Königsberger Gelehrtenwelt. Die Erstausgabe war schnell vergriffen, bereits ein Jahr später folgte eine zweite, leicht überarbeitete Auflage. Lange hatte das intellektuelle Preußen auf Kants erstes Werk zu Fragen der Moral gewartet. Die Reaktionen waren allerdings nicht durchwegs positiv. Vor allem Hamann und Johann G. Herder, die bereits die Kritik der reinen Vernunft stark kritisiert hatten, standen dem anspruchsvollen Rationalismus skeptischer gegenüber denn je. Was sie an der Moralphilosophie Kants störte – Schiller nannte es deren „Rigorismus“ –, haben seither zahlreiche prominente Kritiker wiederholt: Hegel, Schopenhauer, Nietzsche – sie alle kritisierten Kants hohe Ansprüche an Willenskraft und Handlungsfähigkeit des Individuums als weltfremde Überforderung. Andere Denker aber, darunter Sören Kierkegaard oder Ludwig Wittgenstein, bewerteten Kants Abgrenzung von niederen Begierden und hehren Idealen positiv. Mit der Diskursethik von Jürgen Habermas und Karl-Otto Apel sowie John Rawls Moralphilosophie sehen sich auch zwei der bedeutendsten gegenwärtigen Positionen der Moraltheorie in der Nachfolge Kants. Selbst Vordenker des Utilitarismus wie Marcus G. Singer oder Richard M. Hare haben Kants Moralphilosophie adaptiert. Obwohl es eines seiner kürzesten Werke ist, bleibt die Grundlegung bis heute einer der meistgelesenen und -besprochenen Texte der Philosophie. Sie wird uneingeschränkt als ein Gipfel der Philosophiegeschichte anerkannt und hat deren Verlauf entscheidend beeinflusst.

Über den Autor

Immanuel Kant wird am 22. April 1724 in Königsberg (dem heutigen Kaliningrad) geboren und wächst in bescheidenen Verhältnissen auf. Seine Erziehung ist stark von den Überzeugungen seiner tiefreligiösen Eltern geprägt. Nach seiner Gymnasialzeit an einer pietistischen Schule studiert Kant unter anderem Mathematik, Naturwissenschaften, Theologie und Philosophie in Königsberg. 1746 verlässt er nach dem Tod seines Vaters die Universität und wird, auch um seine Geschwister ernähren zu können, Hauslehrer bei wohlhabenden Familien in der Umgebung von Königsberg. Durch seine Kontakte zum Adel erlernt er gehobene Umgangsformen. Nach seiner Rückkehr an die Universität promoviert und habilitiert er mit Veröffentlichungen aus dem Bereich der Astronomie und Philosophie. Seine Vorlesungen an der Universität erfreuen sich großer Beliebtheit. Trotzdem bewirbt er sich 1758 vergeblich um die vakant gewordene Stelle eines Professors für Logik und Metaphysik in Königsberg. Angebote einer Professur aus Jena und Erlangen lehnt er aus Verbundenheit zu seiner Heimatstadt ab. Erst 1770 wird er in seinem Wunschbereich Professor in Königsberg, später auch zeitweise Rektor der Universität. Während der knapp 30 Jahre an der Universität führt Kant ein streng geregeltes Leben. Seine Tagesabläufe sind exakt durchgeplant, die Königsberger können die Uhr nach Kants Tagesprogramm stellen. 1781 veröffentlicht er die Kritik der reinen Vernunft, die erste seiner drei Kritiken. Weil seine Thesen weitgehend auf Unverständnis stoßen oder gar nicht erst beachtet werden, veröffentlicht er 1787 eine zweite, veränderte Fassung dieser ersten Kritik. 1788 folgt die Kritik der praktischen Vernunft und 1790 die Kritik der Urteilskraft. In der Zwischenzeit setzen sich Kants Ideen durch: Zu seinen Lebzeiten gibt es bereits über 200 Schriften zu seinen Werken, und selbst Normalbürger diskutieren seine Ideen beim Friseurbesuch. Am 12. Februar 1804 stirbt Kant, inzwischen weltberühmt, in seiner Heimatstadt Königsberg, angeblich mit den Worten: „Es ist gut.“

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