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Im Schatten junger Mädchenblüte

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Im Schatten junger Mädchenblüte

Auf der Suche nach der verlorenen Zeit, Band 2

Suhrkamp,

15 Minuten Lesezeit
12 Take-aways
Text verfügbar

Was ist drin?

Der zweite Band von Prousts Jahrhundertwerk: ein Ausflug in die Welt pubertierender Jugendlicher um 1900.


Literatur­klassiker

  • Roman
  • Moderne

Worum es geht

Auf der Achterbahn der Gefühle

Im Schatten junger Mädchenblüte ist der zweite Teil von Prousts monumentalem Romanwerk Auf der Suche nach der verlorenen Zeit, einem Leselabyrinth von gigantischen Ausmaßen. In diesem Band begleitet der Leser den Ich-Erzähler durch die verwirrende Zeit des Heranwachsens. Er wird Zeuge von Marcels ersterbender Liebe zu Gilberte und der erwachenden Leidenschaft für Albertine im malerischen Seebad Balbec. Der Autor führt seine Feder wie einen Pinsel: Indem er die Figuren berühmter impressionistischer Gemälde zum Leben erweckt, setzt er den Künstlern seiner Zeit ein literarisches Denkmal. Die Proust-Lektüre ist allerdings nicht einfach: Am Anfang vieler Schachtelsätze ist kein Ende in Sicht, so weit das lesende Auge reicht, und bei der Vielzahl der Figuren kann man schon mal den Überblick verlieren. Für den zweiten Band des Jahrhundertwerks erhielt der Autor 1919 den Prix Goncourt und war nun endlich da angekommen, wo er immer hingewollt hatte: auf Augenhöhe mit den wichtigsten Schriftstellern Frankreichs. Auch heute noch gilt: Wer die bedeutendsten Werke der Weltliteratur kennen will, kommt um Proust nicht herum.

Take-aways

  • Auf der Suche nach der verlorenen Zeit gilt vielen als der bedeutendste Roman des 20. Jahrhunderts.
  • Im Schatten junger Mädchenblüte, der zweite von sieben Bänden, handelt von ersten Liebeserfahrungen des Ich-Erzählers Marcel.
  • Der beschließt, nicht Diplomat, sondern Schriftsteller zu werden, um in der Nähe der geliebten Gilberte Swann zu bleiben.
  • Zum Schreiben fehlt ihm aber der Mut. Stattdessen vertrödelt er sein Leben mit Besuchen bei den Swanns.
  • Je mehr er sich um Gilberte bemüht, desto abweisender verhält sie sich. Um sein Liebesideal zu retten, trennt er sich von ihr.
  • Zwei Jahre später verbringt er den Sommer im bretonischen Badeort Balbec.
  • Dort verzaubert ihn der Anblick einer Gruppe junger Mädchen in Sportkleidung.
  • Die wilden Amazonen seiner Vorstellung entpuppen sich jedoch als tugendhafte Bürgerstöchter.
  • Er verliebt sich in Albertine und holt sich eine Abfuhr, als er sie zu küssen versucht.
  • Der Roman handelt von der Unmöglichkeit, das Wesen anderer zu erkennen – vor allem in der Liebe.
  • Mit seinen Strandszenen schuf Proust literarische Bilder, die an die impressionistischen Gemälde seiner Zeit erinnern.
  • Zwischen 1913 und 1927 erschienen, ist Auf der Suche nach der verlorenen Zeit ein nostalgischer Abgesang auf die Belle Époque und ein modernes Erzählexperiment.

Zusammenfassung

Enttäuschte Schriftstellerträume

Der Marquis von Norpois hat sich zum Abendessen angemeldet. Marcels Vater hält große Stücke auf seinen Freund – so große, dass es dem alten Diplomaten sogar gelingt, dem Vater die Schriftstellerei als ehrenwerten Beruf für den Sohn schmackhaft zu machen. Ursprünglich sollte auch Marcel Diplomat werden, doch dieser will nichts davon wissen, denn das viele Reisen würde ihn von seiner Liebe Gilberte Swann trennen. Norpois’ Fürsprache bewirkt außerdem, dass Marcel gegen den Ratschlag der Ärzte endlich das Theater besuchen darf. Er geht in die Matinee-Vorstellung von Racines Phèdre, die Starschauspielerin Berma besetzt die Hauptrolle. Doch er wird enttäuscht: Ihr Vortrag erscheint ihm monoton, ihre Gesten wirken hölzern. Norpois selbst bereitet ihm am Abend die zweite große Enttäuschung. Der alte Herr hält offenbar nichts von Marcels literarischen Gehversuchen. Ein Prosagedicht, das der Jungdichter ihm zeigt, reicht er wortlos zurück. Marcel vergeht der Mut. Er ist nun überzeugt, kein Talent zum Schreiben zu haben.

Erwachende Lust im Toilettenhäuschen

Voller Neugierde lauscht Marcel Norpois’ Erzählungen über Madame Swann. Die Heirat von Charles Swann mit seiner ehemaligen Geliebten Odette hat die Pariser Gesellschaft enorm überrascht. Es heißt, dass sie ihn mit dem Entzug seiner Tochter Gilberte erpresst habe. Auf jeden Fall bedeutet die Verbindung für Odette einen gesellschaftlichen Aufstieg, während Swann an Ansehen verloren hat. Dies ändert jedoch nichts an seinen Ambitionen für Gilberte. Weil er Marcel nicht traut, untersagt er ihr den Umgang mit ihm. Dieser schreibt Swann einen Brief, um Missverständnisse aus dem Weg zu räumen, vergeblich. Als Gilberte ihm den Brief in einer Laube auf den Champs-Élysées zurückgeben will, ruft Marcels Dienerin Françoise ihn, damit er diese zu einem der neu eingerichteten Toilettenhäuschen begleite. Der modrige Geruch darin weckt ein unerklärliches Lustgefühl in ihm. Er kehrt zu Gilberte zurück, ringt spielerisch mit ihr um die Rückgabe des Briefs und erlebt dabei einen Orgasmus. Später wird ihm bewusst, dass der Toilettengeruch ihn an das Schlafzimmer seines Onkels Adolphe in Combray erinnert hat. Adolphe war seinerzeit ein berühmter Frauenheld und kannte viele Pariser Halbweltdamen – darunter auch Odette.

Marcel und Gilberte

Nach dieser Episode leidet Marcel bald unter schweren Erstickungsanfällen. Die ärztlich verordnete Milchdiät lindert die Symptome, doch wirklich gesund wird er erst durch die überraschende Einladung Gilbertes, so oft wie möglich zu ihr zum Tee zu kommen. Als Marcel die Wohnung der Swanns zum ersten Mal betritt, kommt es ihm vor, als dringe er in ein Heiligtum ein. Er bewundert den düsteren, an einen asiatischen Tempel erinnernden Salon, Madame Swanns aufwändige Roben und die vielen Dienstboten. Wenn die Herrin des Hauses ihren Empfangstag hat, schaut sie oft kurz bei den jungen Leuten hinein. Sie brüstet sich mit ihren angeblich so wichtigen Besuchern, die sich aber meist als unbedeutend und ordinär herausstellen. Marcel ahnt, dass die Swanns höher hinauswollen, als die wirklich vornehme Gesellschaft es ihnen zugestehen will. Auf einer ihrer Veranstaltungen begegnet er dem Schriftsteller Bergotte. Doch wie sehr unterscheidet sich dieser kleine, knollennasige Mann von dem weisen, zarten Greis, den er sich in seiner Fantasie ausgemalt hat! Bergotte hält ihn für intelligent, und das schmeichelt ihm. Seine Eltern hingegen machen sich Sorgen: Sie sähen es lieber, wenn ihr Sohn eine berufliche Laufbahn einschlagen würde.

„Bis dahin war ich mir nur bewusst geworden, dass ich zum Schreiben keine Begabung besaß; Norpois benahm mir nun auch noch das Verlangen danach.“ (S. 38)

Marcels Bild von Gilberte als sanftem, selbstlosem Wesen bekommt schon bald Risse. Enttäuscht stellt er fest, dass sich unter ihrer honigsüßen Oberfläche ein harter und egoistischer Kern verbirgt. Einmal besucht er sie zufällig genau in dem Moment, da sie zu einer Tanzveranstaltung gehen möchte. Ihre Mutter nötigt sie, seinetwegen zu Hause zu bleiben, und Gilberte nimmt ihm das persönlich übel. Nach diesem Vorkommnis entschließt er sich schweren Herzens dazu, sie nie mehr zu sehen. Marcel glaubt, durch dieses Opfer das Ideal der reinen Liebe bewahren zu können, bevor sie von Demütigungen befleckt wird.

Ein Sommer am Meer

Zwei Jahre nach der Trennung reist Marcel mit seiner Großmutter nach Balbec, an einen Badeort an der Küste der Bretagne. Erst am Abend vor der Abreise erfährt er, dass seine Mutter nicht mitkommen wird, und diese Nachricht lässt ihn zunächst alle Vorfreude vergessen. Während der Zugfahrt verliebt er sich in ein schönes Bauernmädchen, das den Reisenden durch die Zugfenster Milchkaffee verkauft. Er malt sich aus, wie es wäre, mit ihr ein Leben auf dem Land zu führen. Im Grand-Hôtel in Balbec fühlt er sich zunächst sehr unwohl. Als seine Großmutter mit dem schmierigen Hoteldirektor um den Preis feilscht, möchte er am liebsten im Boden versinken. Außerdem macht ihm das ungewohnte Zimmer mit der hohen Decke Angst; er hat das Gefühl, den Gegenständen darin schutzlos ausgeliefert zu sein. Nur die hingebungsvolle Fürsorge seiner Großmutter lindert seine Ängste und hilft ihm, sich an die neue Umgebung zu gewöhnen.

„Theoretisch weiß man, dass die Erde sich dreht, tatsächlich aber merkt man es nicht; der Boden, auf dem man schreitet, scheint sich nicht zu rühren, und so lebt man ruhig vor sich hin. Genauso ist es im Leben mit der Zeit.“ (S. 81)

Mit scharfem Blick beobachtet Marcel die Gäste im Hotel: Aristokratische Kosmopoliten leben hier neben reichen, aber provinziellen Großbürgern, die in ihrer Geltungssucht lächerlich wirken. Am Abend drücken sich die Armen aus dem Ort an der Glaswand des Speisesaals wie an einem Aquarium mit seltenen Fischen die Nasen platt. Marcels Großmutter freundet sich mit Madame de Villeparisis an, die sie von früher kennt. Der Enkel erhofft sich von ihr eine Eintrittskarte in die Gesellschaft. Und tatsächlich: Auf der Strandpromenade stellt sie ihnen die Prinzessin von Luxemburg vor, die dort mit ihrem Diener, einem in roten Atlas gekleideten Schwarzen, spazieren geht. Außerdem lädt sie Marcel und seine Großmutter zu Kutschfahrten in die Umgebung ein. Während dieser Fahrten fallen ihm immer wieder Bauern- oder Fischermädchen auf, die ihm gefallen. Er wünscht sich, dass auch sie ihn sähen, sich an ihn erinnerten und von seinem Wesen erfüllt wären. Einmal erblickt er drei Bäume am Anfang einer Allee, die ein unbeschreibliches Glücksgefühl in ihm hervorrufen. Sie scheinen zu ihm sprechen zu wollen. Doch dann verschwinden sie schon wieder aus seinem Blickfeld und mit ihnen auch ihr Geheimnis.

Urlaubsbekanntschaften

Marcel freundet sich mit Madame de Villeparisis’ Neffen an: Robert, Marquis von Saint-Loup-en-Bray. Der junge Mann sieht außergewöhnlich gut aus und war vor einer unglücklichen Liebschaft mit einer Schauspielerin der Schwarm aller jungen Frauen in seinem Bekanntenkreis. Robert macht sich nicht viel aus dem Adelsstand. Er liest avantgardistische Literatur, sympathisiert mit den Sozialisten und sucht deshalb Marcels Freundschaft, weil er ihn für besonders gescheit hält. Eines Tages treffen die beiden Marcels Jugendfreund Bloch, der sie zum Essen zu sich nach Hause einlädt. Zusammen mit anderen jüdischen Familien in Balbec bildet seine Familie eine ganz eigene, eingeschworene Gemeinschaft, die völlig abgeschieden vom übrigen Badebetrieb existiert. Marcel und Saint-Loup erleben während des Essens einen echten Kulturschock: Die Blochs sind laut, haben einen derben Humor und werfen hemmungslos mit Halbweisheiten und -wahrheiten um sich. Sie wünschen sich nichts sehnlicher als den gesellschaftlichen Aufstieg und blicken doch mit unangemessenem Hochmut auf Höherstehende herab.

„Drei Viertel der Leiden, die intelligente Menschen befallen, kommen von ihrer Intelligenz.“ (Bergotte, S. 207)

Schließlich stellt Robert Marcel seinen Onkel, den hochmütigen und schillernden Baron von Charlus, vor. Marcel ist begeistert, als er erfährt, dass Charlus mit den Guermantes aus der Nähe von Combray verwandt ist. Er sieht in ihm den Inbegriff der adligen Rasse: scharfsinnig, kompromisslos, ahnenbewusst und frei von dem Wunsch, anderen gefallen zu wollen. Marcel gegenüber gibt sich der Baron seltsamerweise mal offen und vertrauensselig, dann wieder schroff und beleidigend.

Wie Nymphen aus dem Wasser

Marcels Leben ändert sich schlagartig, als er auf der Strandpromenade eine Schar junger Mädchen erblickt. Eine von ihnen schiebt ein Fahrrad vor sich her, zwei weitere tragen Golfkleidung. Ihre Körper sind durchtrainiert, die Bewegungen harmonisch wie die von Tänzerinnen. Aus den herausfordernd blitzenden Augen spricht Hochmut und Verachtung für alles Schwächliche. Eines der Mädchen nutzt das Podium des Musikpavillons als Rampe, um über einen Greis im Faltstuhl hinwegzuspringen. „Der kratzt sicher bald ab“, kommentiert eine andere dessen erschrockene Miene, worauf sie sich halb tot lachen. Marcel glaubt zu träumen. Diese Mädchen sind so anders als alles, was er bisher in Balbec zu sehen bekommen hat. Von nun an kann er an nichts anderes mehr denken, als mit ihnen in Kontakt zu kommen.

„(...) ich verzichtete für immer auf Gilberte im Interesse meiner Liebe selbst, und ich wünschte, dass sie vor allem keine mit Verachtung gemischte Erinnerung an mich behalten sollte.“ (S. 234)

Saint-Loup wird bald abreisen, um seinen Militärdienst anzutreten. Er lädt Marcel ins Rivebelle ein, einen ehemaligen Bauernhof, den die Pariser Künstler entdeckt haben und der dann zu einem der elegantesten Restaurants der Gegend geworden ist. Marcel trinkt Unmengen an Portwein und gibt sich ganz dem Zauber des Augenblicks, seinen Träumen und Frauenfantasien hin. In der Nacht darauf plagt ihn Schlaflosigkeit. Er erleidet beinahe eine Nervenkrise. Im Rivebelle lernt Marcel den Maler Elstir kennen, der, wie sich später herausstellt, als junger Mann zusammen mit Swann und Odette im Salon der Verdurins verkehrte. Marcel besucht Elstir in dessen Atelier und schaut ihm beim Arbeiten zu. Der Maler eröffnet ihm ein völlig neues Kunstverständnis: Elstir malt die Dinge nicht so, wie sie seinem Wissen nach sein müssten, sondern wie optische Täuschungen der ersten Wahrnehmung sie ihm vermitteln. Die Grenzen zwischen Dingen und Landschaften zerfließen. Während Marcel Elstirs Bilder studiert, schaut überraschend Albertine Simonet vorbei, das Mädchen mit dem Fahrrad. Elstir erzählt dem erstaunten Marcel, dass sie und ihre Freundinnen keinesfalls Proletarierinnen, sondern Töchter wohlhabender Kaufleute sind. Gegen Ende des Besuchs überredet Marcel den Maler zu einem Promenadenspaziergang, in der Hoffnung, die Mädchenschar zu treffen. Seine Rechnung geht auf. Doch dann hält er sich schüchtern abwartend zurück, als der Maler sich mit ihnen unterhält. Die Gelegenheit, ihnen vorgestellt zu werden, verpasst er.

Hahn im Korb

Wenige Tage darauf ist es endlich so weit: Auf einer Nachmittagsgesellschaft bei Elstir trifft Marcel Albertine wieder. Er erkennt sie erst auf den zweiten Blick: Im Seidenkleid und mit bauschigem Haar hat sie mit der Fahrrad fahrenden, Polomütze tragenden Amazone nichts mehr gemein. Nun, da Marcel seinem Ziel so nah ist, hat es plötzlich an Reiz verloren. Albertine ist nicht mehr die erbarmungslose Kindfrau, sondern ein wohlerzogenes, fast schüchternes junges Mädchen. Er äußert den Wunsch, auch ihre Gefährtinnen kennen zu lernen, doch Albertine scheint davon wenig begeistert. Sie meint, dass diese viel zu dumm für ihn seien. Als er die anderen schließlich doch trifft – die kluge und reiche Andrée, die hübsche, aber aus einem ärmlicheren Haus stammende Gisèle und die schelmische Rosemunde –, schwankt er zwischen den Reizen der Mädchen hin und her. Er fühlt sich mal zu dieser, mal zu jener hingezogen. Bei gutem Wetter geht er mit ihnen zum Picknick und spielt Kinderspiele, bei schlechtem begleitet er sie ins Kasino, wo sie wegen ihrer unverschämten Art berüchtigt sind. Er lernt jede Facette der Bürgerstöchter kennen: ihre Faszination für Reichtum und Statussymbole, ihren unverhohlenen Antisemitismus und ihre jugendliche Selbstzufriedenheit. Beim Spiel „Ringlein, Ringlein, du musst wandern“, in dem Marcel mehrmals die Gelegenheit erhält, Albertines Hand zu drücken, entscheidet er sich endgültig für sie. Er spürt, dass er ihr Herz am ehesten wird erobern können, indem er sich ihr gegenüber gleichgültig zeigt. Deshalb verbringt er besonders viel Zeit mit Andrée, die sein Täuschungsmanöver aber durchschaut.

Enttäuschte Liebesträume

Allmählich geht die Badesaison zu Ende. Albertine, die früh ihre Eltern verloren hat, soll für zwei Tage ihre Tante Madame Bontemps besuchen. Sie wird die Nacht vor der Abreise wegen der Nähe zum Bahnhof im Grand-Hôtel verbringen und lädt Marcel ein, ihr beim Nachtessen am Bett Gesellschaft zu leisten. Erwartungsvoll betritt er das Hotelzimmer. Ihre geröteten Wangen, die schwarzen Locken und das am Hals offene, weiße Nachthemd versetzen ihn in höchste Erregung. Er beugt sich zu ihr hinunter, um sie zu küssen. Doch Albertine klingelt wütend nach dem Personal und zerstört damit ein für alle Mal seine Hoffnungen, sie besitzen zu können. Sie erzählt niemandem von dem Vorfall, bittet Marcel aber eine Woche darauf kühl, nie mehr wieder damit anzufangen. Als das Wetter immer schlechter wird, reisen die Mädchen innerhalb von einer Woche ab. Marcel gehört zu den Letzten, die das Hotel verlassen. Noch Jahre später erinnert er sich an die schönen Hochsommertage in Balbec, als er auf Anordnung des Arztes bis mittags im verdunkelten Zimmer lag und auf den Moment wartete, da Françoise die Vorhänge aufzog und die Sonne hereinließ.

Zum Text

Aufbau und Stil

Im Schatten junger Mädchenblüte besteht aus zwei Teilen. Der erste, „Im Umkreis von Madame Swann“, handelt davon, wie der Ich-Erzähler die Welt der Swanns in Paris kennen lernt. Im ersten Band Unterwegs zu Swann war ihm dies noch verwehrt. Der zweite Teil, „Namen und Orte: Orte“, erzählt von Marcels Sommer am Meer inmitten der Schar junger Mädchen und löst damit die Verheißung des Buchtitels ein. Der Erzähler reichert seine Erinnerungen mit vielen, oft seitenlangen Beschreibungen an: Naturansichten und Architektur, Gemälde und Musikstücke werden dem Leser en détail nahegebracht und muten wie der Versuch an, sämtliche Ausdrucksformen der Kunst unter dem Dach der Literatur zu vereinen. In diesem Band des siebenteiligen Romans konzentriert Proust sich auf die Malerei, indem er die Techniken impressionistischer Künstler auf seine Prosa überträgt. Die Landschaftsbeschreibungen und Strandszenen mit den jungen Mädchen wirken so, als hätte er die Bilder Boudins, Manets oder Monets in Worte gefasst. Um Schlüsselszenen hervorzuheben und Spannung zu erzeugen, zögert er die Handlung oft unerträglich lange hinaus: Ereignissen, die beim Lesen eine Minute in Anspruch nehmen, stellt er oft seitenlange Reflexionen oder Kunstbetrachtungen voraus. Gemäß Zeitzeugen schrieb der Asthmatiker Proust, wie er sprach: ausschweifend, verschachtelt und atemlos. Nicht umsonst werden ihm einige der längsten Sätze der französischen Literatur zugeschrieben.

Interpretationsansätze

  • Das Schaffen von Kunst durch die Erinnerung steht im Mittelpunkt von Auf der Suche nach der verlorenen Zeit. Proust unterscheidet zwischen dem willentlichen und dem unwillkürlichen Erinnern. Während Ersteres oft scheitert, wird Letzteres spontan durch unvermittelte Sinneseindrücke hervorgerufen.
  • Proust hat ein besonderes Verständnis der Zeit: Sie ist für ihn keine lineare, mit der Uhr messbare Aufeinanderfolge von Ereignissen; vielmehr fließt sie in Form von einzelnen Momenten und Eindrücken in der Erinnerung zusammen.
  • Im Schatten junger Mädchenblüte variiert das Thema der Verklärung: Marcels Fantasiebilder vom Spiel der Berma, von Bergotte oder auch von der Mädchenschar fallen beim Zusammentreffen mit der Realität in sich zusammen. Doch selbst danach bleibt er in seiner subjektiven Wahrnehmung gefangen. Jemanden wirklich zu kennen, scheint ihm unmöglich – weshalb auch jede Liebesbeziehung zum Scheitern verurteilt sei.
  • Proust spielt virtuos mit der Spannung zwischen Fiktion und Realität. Fast alle Figuren und Orte tragen die Züge realer Personen bzw. Gegenden aus seinem Leben. Für die Figur Albertines stand in erster Linie sein Chauffeur und Schreibsekretär Alfred Agostinelli Modell, in den Proust unglücklich verliebt war. Zugleich geht ihr Name auf eine andere unerfüllte Liebe zurück, die zu seinem Sekretär Albert Nahmias. Die Methode der literarischen Geschlechtsumwandlung wird deshalb in der Literaturwissenschaft oft als „Albertine-Strategie“ bezeichnet.
  • Mit einem nostalgischen Blick zurück beschreibt Proust eine Gesellschaft im Umbruch. Als Kenner der Salonszene seiner Zeit nimmt er in den Gesellschaftsepisoden immer wieder die Borniertheit des Großbürgertums satirisch aufs Korn. Zugleich schildert er mit einer Mischung aus Ironie und Bedauern den Niedergang der Aristokratie vor dem Ersten Weltkrieg. Trotz dieser Rückwärtsgewandtheit gilt Proust wegen seines einzigartigen Stils als einer der ersten Vertreter der literarischen Moderne.

Historischer Hintergrund

An der Schwelle zur Moderne: die Belle Époque

Auf der Suche nach der verlorenen Zeit spielt im Frankreich der Belle Époque, einer Zeit relativen Friedens und Wohlstandes zwischen dem Ende des Französisch-Preußischen Krieges 1871 und dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges 1914. Die 1875 ausgerufene Dritte Republik bescherte dem aufstrebenden Großbürgertum ideale Bedingungen, um von der zweiten Welle der industriellen Revolution zu profitieren. Automobile verdrängten die Kutschen von den Straßen, Flugzeuge und die Verbreitung des Telefons ließen Entfernungen schwinden, und zur Pariser Weltausstellung 1889 baute man den Eiffelturm, der bis in die schwindelnde Höhe von 300 Metern emporgetrieben wurde. Der wirtschaftliche Aufschwung führte auch in den Künsten zu neuer Blüte. Die Impressionisten waren nun nicht mehr verpönte Avantgarde sondern „le dernier cri“ (der letzte Schrei), und der Jugendstil eroberte Gebäude und Inneneinrichtungen. In den Pariser Salons feierten die Reichen und Privilegierten voller Hedonismus das Leben, die Schönheit und sich selbst. Allerdings bewirkten die rasend schnellen Veränderungen in Wissenschaft und Gesellschaft auch einen zunehmenden Orientierungsverlust. Um die Jahrhundertwende eröffneten Sigmund Freuds Arbeiten über das Unbewusste vielen Künstlern einen neuen Zugang zur Wirklichkeit. In der Folge wurden gegen Ende der Belle Époque die bis dahin vorherrschenden Stilrichtungen des Naturalismus und Symbolismus von der literarischen Moderne abgelöst. Marcel Proust gilt als einer ihrer Wegbereiter.

Entstehung

Im Schatten junger Mädchenblüte ist das Ergebnis eines komplizierten Schaffensprozesses. In dem ursprünglichen, auf nur zwei Bände angelegten Romankonzept sollte der Aufenthalt Marcels in Balbec ein Teil des ersten Buches sein. Von den jungen Mädchen war noch keine Rede. Als der erste Band Unterwegs zu Swann 1913 in Druck ging, stellte sich heraus, dass das Gesamtwerk nicht nur zwei, sondern wohl drei Teile umfassen würde (letztendlich wurden es dann sogar sieben), woraufhin Proust die Gliederung veränderte und neue Figuren und Episoden hinzufügte. Der zweite Band war bereits gesetzt, als 1914 der Erste Weltkrieg ausbrach und Prousts Verleger das Projekt auf Eis legen musste.

Wenige Monate zuvor war Prousts Fahrer und Sekretär Alfred Agostinelli, der als Hauptvorbild für die Figur Albertines gilt, bei einem Flugzeugabsturz in Südfrankreich ums Leben gekommen. Proust hatte ihm das Flugzeug geschenkt, um ihn nach Paris zurückzulocken. Der Lebemann Agostinelli war verheiratet und hatte viele Geliebte. Es ist nicht bekannt, ob er die Gefühle seines Arbeitgebers erwiderte. Auf jeden Fall schrieb Proust nach Alfreds Tod einem Freund: „Es genügt nicht zu sagen, dass ich ihn geliebt habe. Ich habe ihn vergöttert.“ In den Jahren bis zum Kriegsende überarbeitete Proust noch einmal den gesamten Roman. Die Liebesgeschichte mit Gilberte baute er aus und führte Albertine früher ein als geplant.

Der unter schwerem Asthma leidende Proust schlief oft tagsüber und arbeitete nachts wie ein Besessener. Am Ende seines manischen Schaffens standen sieben Bände. Der Autor starb 1922, noch bevor die letzten drei im Druck waren. Mit Die wiedergefundene Zeit erschien 1927 der letzte Band.

Wirkungsgeschichte

Im Schatten junger Mädchenblüte erschien 1919 in Paris und wurde ein großer Erfolg. Noch im selben Jahr erhielt Proust mit dem Prix Goncourt die wichtigste literarische Auszeichnung Frankreichs. Zwar behielten einige Vertreter der linken Avantgarde ihr Misstrauen gegenüber dem Autor bei: In ihren Augen war er nichts weiter als ein müßiger Snob. Doch allmählich wurde Proust zu Hause eine ähnliche Bewunderung zuteil, wie sie ihm seine Schriftstellerkollegen im Ausland schon lange zollten. Virginia Woolf etwa war von seiner Prosa so beeindruckt, dass sie nach der Lektüre lange unter Minderwertigkeitskomplexen und einer Schreibblockade litt.

Heute gilt Auf der Suche nach der verlorenen Zeit vielen als das wichtigste literarische Werk des 20. Jahrhunderts. In Lesezirkeln weltweit zelebrieren Fans den Roman stilecht mit Lindenblütentee und Madeleines (zwei Motiven aus dem ersten Band). In die Popkultur hat er spätestens 1972 mit dem berühmten Sketch der britischen Komikergruppe Monty Python Einzug gehalten: Darin sollen Wettbewerber die sieben Bände in 15 Sekunden zusammenfassen – alle scheitern und am Ende gewinnt „das Mädchen mit den größten Titten“. Volker Schlöndorff verfilmte 1984 die Geschichte Swanns mit Eine Liebe von Swann. Zur Jahrtausendwende kam es dann zu einem echten Proust-Revival: Alain de Botton schrieb 1997 den augenzwinkernden Ratgeber Wie Proust Ihr Leben verändern kann, und 1998 erschien in Frankreich zum Entsetzen orthodoxer Proust-Fans die ultimative Adaption: Stéphane Heuet schuf den Roman neu als Comic. Raoul Ruiz verfilmte 1999 Die wiedergefundene Zeit, und das Londoner Royal National Theater brachte im Jahr 2000 das Proust Screenplay des britischen Dramatikers Harold Pinter auf die Bühne.

Über den Autor

Marcel Proust wird am 10. Juli 1871 in Auteuil bei Paris geboren. Sein Vater ist ein berühmter Arzt, die Mutter stammt aus einer wohlhabenden jüdischen Bankiersfamilie. Ab 1878 verbringt er die Ferien in dem Dorf Illiers bei Chartre, das später als Vorbild für das fiktive Combray dienen wird. 1881 erleidet Proust seinen ersten Asthmaanfall und wird von seiner Familie als kränklich eingestuft. Ab dem Folgejahr besucht er das Lycée Condorcet, wo er zusammen mit einigen Schulkameraden verschiedene literarische Zeitschriften herausbringt. Nach dem Abitur dient Proust trotz seiner schwachen Gesundheit für ein Jahr in der Armee in Orléans. Anschließend studiert er Politik und Jura, bricht ab und macht in Philosophie und Literatur einen Abschluss. Auf Druck seines Vaters nimmt er 1895 eine unbezahlte Stelle als Bibliothekar an, lässt sich aber bald darauf krankschreiben. Sein nach außen hin müßiges Leben, die exzellenten Verbindungen zum Adel sowie die Besuche in den schicksten Pariser Salons verschaffen ihm den Ruf eines Snobs und gesellschaftlichen Emporkömmlings. Der Autor kämpft zeitlebens mit seiner Homosexualität, die sein Vater ihm während seiner Jugend noch durch einen Bordellbesuch hat austreiben wollen. Proust hat zahlreiche Liebhaber, bekennt sich aber nie offen zu seiner sexuellen Orientierung. 1896 erscheint sein erstes Buch, die Kurzgeschichtensammlung Les plaisirs et les jours (Freuden und Tage). Mit einem Kritiker, der sich abschätzig darüber äußert, duelliert er sich. 1903 stirbt sein Vater und zwei Jahre darauf die über alles geliebte Mutter. Proust erbt ein Vermögen, das ihm ein arbeitsfreies Leben im Luxus ermöglicht. Doch seine Gesundheit verschlechtert sich zusehends. Er zieht sich mehr und mehr in das Schlafzimmer seiner Pariser Wohnung zurück und arbeitet an seinem Lebenswerk À la recherche du temps perdu (Auf der Suche nach der verlorenen Zeit). Den ersten der sieben Bände gibt er 1913 auf eigene Kosten heraus. Die letzten drei veröffentlicht sein Bruder posthum bis 1927. Marcel Proust stirbt am 18. November 1922 an einer Lungenentzündung.

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