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Immensee

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Immensee

und andere Novellen

Reclam,

15 Minuten Lesezeit
10 Take-aways
Text verfügbar

Was ist drin?

Storms berührende Novellen über die Sehnsucht nach dem verpassten Glück.


Literatur­klassiker

  • Novelle
  • Realismus

Worum es geht

Glück ist eine Erinnerung

Die Novelle Immensee bescherte Theodor Storm ersten Ruhm. Er zeigt sich darin wie auch in anderen seiner frühen Novellen als Meister der Erinnerung, als romantisch beeinflusster Sehnsuchtsdichter, der das unmögliche oder längst vergangene Glück schildert – allenfalls im Nacherleben ist dieses Glück noch zu haben. Das schildert er knapp, ohne jeden Kommentar, dafür mit Leerstellen, die Raum für Fragen und immer neue Antworten lassen. Die harten zeitlichen Schnitte, die den Leser aus dem eben noch hautnah Miterlebten mal eben 80 Jahre weiter katapultieren, erhöhen noch die Tragik dieser einsamen Alten, die ihr Glück nie gehabt oder knapp verpasst haben oder denen es irgendwann einfach abgeschnitten wurde. Nichts wird durch die Zeit gelöst oder befriedet – im Gegenteil: Die Ungerechtigkeit erscheint so noch größer. Eine bewegende Lektüre, auch heute noch.

Take-aways

  • Mit der Novelle Immensee wurde Theodor Storm berühmt.
  • Inhalt: Reinhard träumt sich als alter Mann in seine Vergangenheit zurück, zu Elisabeth, die er schon als Kind geliebt hat und die doch nicht seine Frau wurde. Nachdem sie als Kinder die ganze Zeit zusammen verbracht haben, reißt der Kontakt ab, als Reinhard zum Studieren wegzieht. Elisabeth heiratet dann seinen alten Freund Erich. Einmal besucht Reinhard das Paar, doch die Begegnung ist schmerzhaft und wird nie mehr wiederholt.
  • Auch in anderen frühen Novellen Storms geht es meist um unerfüllte Liebe.
  • Das Leben in der Erinnerung spielt eine wichtige Rolle, die Zeit des Glücks liegt lange zurück.
  • Indirekt prangert Storm die Härte vergangener Zeiten an, insbesondere die Macht von Eltern, das Lebensglück ihrer Kinder zu zerstören.
  • Auslassungen und Mehrdeutigkeiten machen Storms Novellen offen für unterschiedliche Interpretationen.
  • Kennzeichnend ist die Gleichzeitigkeit von Außen- und Innenperspektive.
  • Theodor Storm ist ein wichtiger Vertreter des poetischen Realismus.
  • Außer Novellen schrieb er Gedichte. Die Novelle war für ihn die „Schwester des Dramas“.
  • Zitat: „,Elisabeth!‘, sagte der Alte leise; und wie er das Wort gesprochen, war die Zeit verwandelt – er war in seiner Jugend.“

Zusammenfassung

Immensee

Ein alter Mann, der fremd und vornehm wirkt, geht in ein Haus. Er sitzt lange in einem Lehnstuhl. Als ein Mondstrahl auf ein Bild an der Wand fällt, sagt der Mann „Elisabeth“ und ist sogleich in die Zeit seiner Jugend versetzt: Elisabeth ist fünf Jahre alt, er selbst, Reinhard, zehn. Reinhard erzählt Elisabeth ein Märchen, wie er es oft tut. Elisabeth fragt ihn, ob es Engel, dann, ob es Löwen gibt. Reinhard will später einmal nach Indien gehen, wo Löwen leben, und Elisabeth soll mitkommen – dann sei sie nämlich seine Frau. Das Mädchen will mit, ist aber auch den Tränen nahe, weil sie ihre Mutter verlassen soll. Die beiden verbringen fast ihre ganze Freizeit miteinander, obwohl sie ihm manchmal zu still ist und er ihr oft zu heftig. Reinhard schreibt Gedichte über Elisabeth und fängt an, die Märchen aufzuschreiben, die er ihr erzählt. Als er 17 ist, soll er die Stadt verlassen, um zu studieren. Elisabeth graut vor seinem Weggang, und Reinhard verspricht, weiterhin Märchen aufzuschreiben und sie ihr zu schicken. Am Tag vor seiner Abreise unternimmt man in einer größeren Gesellschaft einen Ausflug in den Wald. Die jungen Leute gehen Erdbeeren pflücken, Reinhard und Elisabeth ziehen zusammen los. Sie gehen durch dichtes Gestrüpp. Einmal streicht er ihr zärtlich die feuchten Haare aus dem Gesicht, einmal trägt er sie über einen Bach. Sie finden keine Erdbeeren, und irgendwann wissen sie nicht mehr, wo sie sind. Elisabeth hat Angst, doch aus dem Läuten der Kirchenglocken schließt sie, wo der Picknickplatz ist, und so finden sie zurück. Reinhard ist zu einem Gedicht über Elisabeth inspiriert. Sie ist für ihn der Inbegriff des Wunderbaren.

„,Elisabeth!‘, sagte der Alte leise; und wie er das Wort gesprochen, war die Zeit verwandelt – er war in seiner Jugend.“ (über Reinhard, Immensee, S. 4)

Am Weihnachtsabend ist Reinhard mit anderen Studenten in einem Gasthaus. In einer Ecke sitzen Musikanten von zigeunerhaftem Aussehen: ein Geigenspieler und eine schöne Zitherspielerin. Einer der Studenten bietet dieser ein Glas Champagner an. Sie lehnt ab, auch singen will sie nicht für ihn. Da stellt Reinhard sich vor sie und will ihre Augen sehen. Sie sieht ihn an und er trinkt auf ihre „schönen, sündhaften Augen“. Sie lacht, nimmt sein Glas und trinkt den Rest aus, indem sie ihm weiter in die Augen sieht. Dann singt sie mit leidenschaftlicher Stimme ein melancholisches Lied. Da kommt ein Kommilitone und sagt Reinhard, das Christkind sei bei ihm eingekehrt – es ist Weihnachtspost für ihn gekommen. Das Zigeunermädchen fordert ihn zum Bleiben auf, doch Reinhard geht. Zu Hause findet er Geschenke und Briefe von seiner Mutter und von Elisabeth. Elisabeth schreibt, dass der Winter einsam sei ohne ihn, zumal nun auch der Vogel gestorben ist, den Reinhard ihr geschenkt hat. Nur Reinhards alter Freund Erich komme manchmal zu Besuch. Sie beklagt sich darüber, dass Reinhard sein Versprechen nicht gehalten und ihr kein Märchen geschickt hat. Reinhard bekommt schreckliches Heimweh.

„So war sie nicht allein sein Schützling; sie war ihm auch der Ausdruck für alles Liebliche und Wunderbare seines aufgehenden Lebens.“ (über Elisabeth und Reinhard, Immensee, S. 12)

Zu Ostern fährt Reinhard nach Hause. Er findet Elisabeth gereift; sie errötet, als er ihr das sagt. Wenn sie allein sind, entstehen nun peinliche Pausen. Er fängt an, sie in Botanik zu unterrichten, und sie machen zusammen Ausflüge in Feld und Heide. Eines Tages hängt ein neuer Käfig samt Kanarienvogel in der Stube. Erich hat ihn Elisabeth geschickt, er hat vor einem Monat den Hof seines Vaters am Immensee übernommen. Reinhard sagt Elisabeth, dass er den Vogel nicht leiden kann, aber sie versteht ihn nicht und sagt, er sei sonderbar. Er zeigt ihr ein Heft voller Gedichte, die nur von ihr handeln. Sie blättert es schweigend durch und errötet. Am Tag seiner Abreise, als sie ihn zum Postwagen begleitet, hat er das Gefühl, ihr etwas Wichtiges sagen zu müssen. Er fragt sie, ob sie ihn in zwei Jahren noch genauso lieb haben werde wie jetzt – sie nickt und sagt, sie habe ihn auch gegen ihre Mutter verteidigt, die ihn nicht mehr so schätze wie früher. Ganz zum Schluss sagt er noch freudig, er habe ein schönes Geheimnis, das er ihr in zwei Jahren verraten werde. Knapp zwei Jahre später erhält Reinhard einen Brief, in dem ihm seine Mutter mitteilt, dass Elisabeth Erich heiraten wird. Dessen dritten Heiratsantrag hat sie schließlich angenommen.

„Je näher sie ihrem Ziele kamen, desto mehr war es ihm, er habe ihr, ehe er auf so lange Abschied nehme, etwas Notwendiges mitzuteilen – etwas, wovon aller Wert und alle Lieblichkeit seines künftigen Lebens abhänge, und doch konnte er sich des erlösenden Wortes nicht bewusst werden.“ (über Reinhard und Elisabeth, Immensee, S. 20)

Jahre später besucht Reinhard das Ehepaar in Immensee. Erich kommt ihm freudig entgegen; Elisabeth hat er nichts von Reinhards Besuch erzählt, und so ist sie überrascht, ihn zu sehen – anfangs ist sie sogar wie gelähmt. Ihm tut das Herz weh, als er ihre Stimme hört. Elisabeth behandelt Erich mit schwesterlicher Dankbarkeit. Als Reinhard eines Abends allein am See spazieren geht, meint er kurz, die weiß gekleidete Elisabeth wartend stehen zu sehen, aber als er auf sie zugeht, verschwindet die Gestalt. Einige Abende später singen Reinhard und Elisabeth Volkslieder, die ihm ein Freund geschickt hat; Erich und Elisabeths Mutter sitzen auch dabei. Reinhard liest ein Lied vor. Es handelt davon, dass eine Mutter ihre Tochter zur Heirat mit einem Mann gezwungen hat, obwohl diese eigentlich einen anderen liebt. Während er liest, spürt Reinhard, wie Elisabeths Hand zittert, die das Blatt festhält. Dann steht Elisabeth schweigend auf und geht in den Garten. Kurz darauf geht auch Reinhard hinaus, an den See. Vom Ufer aus sieht er im Mondlicht eine weiße Wasserlilie. Weil er sie aus der Nähe sehen will, legt er seine Kleider ab, um hinzuschwimmen. Zuerst ist das Wasser nicht tief genug, dann verstrickt er sich in die Stängel der Blume. Es wird ihm unheimlich und schnell schwimmt er zurück.

„,Elisabeth‘, sagte er, ‚hinter jenen blauen Bergen liegt unsere Jugend. Wo ist sie geblieben?‘“ (über Reinhard, Immensee, S. 32)

Am folgenden Nachmittag gehen Reinhard und Elisabeth spazieren. Sie sprechen nicht viel. Reinhard schlägt vor, Erdbeeren suchen zu gehen, doch Elisabeth antwortet, es sei gar keine Erdbeerenzeit. Er sieht, dass ihre Augen voller Tränen sind. Als sie zum Haus zurückkommen, warten dort zwei Zigeuner. Ein schönes Mädchen mit verstörten Zügen, in Lumpen gehüllt, hält bettelnd die Hand hin. Elisabeth schüttet den ganzen Inhalt ihrer Geldbörse in die Hände der Bettlerin und stürzt dann schluchzend ins Haus. In dieser Nacht schläft Reinhard nicht, er sitzt die ganze Zeit im Lehnstuhl. Am frühen Morgen schreibt er ein paar Zeilen auf ein Blatt Papier und geht dann die Treppe hinunter. Da steht plötzlich Elisabeth vor ihm. Sie legt die Hand auf seinen Arm und sagt, er werde nie wiederkommen und er solle nicht lügen. Er bestätigt es. Sie lässt die Hand sinken und sieht ihn mit leerem Blick an. Er streckt die Arme nach ihr aus, reißt sich dann aber los und geht.

Marthe und ihre Uhr

Der Erzähler, ein Student, wohnt zur Miete bei Marthe, einer alternden, unverheirateten Frau, die allein in ihrem Elternhaus wohnt. Sie liest viel und ist dadurch für eine Frau ihres Standes ungewöhnlich gebildet. Sie hat eine rege Fantasie, die den Möbeln um sie herum Leben und Bewusstsein verleiht, vor allem einer alten Standuhr, die ihr verstorbener Vater vor über 50 Jahren bereits als uraltes Stück auf dem Trödelmarkt gekauft hat. Die Uhr funktioniert nicht mehr ganz gleichmäßig. Wenn Marthe zu sehr ins Grübeln über ihre Einsamkeit verfällt, schlägt das Pendel härter und eindringlicher und holt sie aus ihren Gedanken zurück. Sie steht dann auf, tritt ans Fenster, sieht die Sonne und riecht die Nelken – und ist wieder froh. Am Weihnachtsabend fragt sie der Erzähler, der von einer Feier nach Hause kommt, warum sie nicht bei der Familie ihrer Schwester sei. Sie sagt, sie bleibe an Weihnachten immer daheim. Die alte Uhr habe ihr auch dieses Jahr wieder gesagt, dass sie hierher gehöre. Marthe erinnert sich an all die unterschiedlichen Weihnachtsabende in ihrem Elternhaus, zuerst an die, als sie selbst noch ein Kind war. Dann taucht ein anderer Heiliger Abend in ihrer Erinnerung auf, nämlich, als der Vater und die Brüder schon tot waren und die Schwestern aus dem Haus und sie selbst allein war mit ihrer bettlägerigen Mutter. Es war der Abend, an dem ihre Mutter starb. Seit der Erzähler bei Marthe gewohnt hat, sind wiederum viele Jahre vergangen. Sie sagte ihm damals, sie werde gewiss alt werden. Falls sie noch lebt und diese Zeilen liest, soll sie sich auch seiner erinnern, hofft der Erzähler – die Uhr wird ihr helfen, denn sie weiß ja alles.

Im Saal

Es ist der Tag einer Kindstaufe, und die Großfamilie sitzt im geräumigen Saal zusammen, darunter die Großmutter des Kindsvaters. Das getaufte Mädchen hat ihren Namen Barbara erhalten. Die Familie wärmt alte Kindergeschichten der Anwesenden auf. Irgendwann sagt der Kindsvater mit besorgtem Blick nach oben, die Decke sei gerissen, der alte Saal müsse umgebaut werden. Die Großmutter entgegnet, der Saal sei noch gar nicht so alt, sie weiß noch, wie er vor 80 Jahren gebaut wurde. Bevor es ihn gab, führte die jetzige Tür zum Saal in einen kleinen Ziergarten. Eines Tages kam der Großvater des Kindsvaters dort die Gartentreppe herab, ging auf den Urgroßvater zu und drückte ihm einen Brief in die Hand. Der Großvater war ein feiner junger Mensch mit freundlichen Augen und schwarzen Haaren. Im Garten saß auf einer Schaukel ein achtjähriges Mädchen mit blonden Locken, die spätere Großmutter. Der junge Mann ging zu ihr und fragte, wie sie heiße – Barbara. Er warnte sie vor der Sonne, dann gab er ihr beim Schaukeln Anschwung. Der junge Mann wurde für das Mädchen zum Inbegriff eines Sommertages. Am nächsten Tag reiste er ab. Es vergingen acht Jahre, bis er wiederkam. Dann wurde geheiratet und die kleine Barbara wurde später die Großmutter des heutigen Kindsvaters. Für die Hochzeit ließ der Urgroßvater damals den Saal bauen. Es wurde eine lustige Hochzeit, natürlich in einer ganz anderen Zeit, damals war man noch bescheidener und es wollten nicht alle mitbestimmen. Die Großmutter erinnert sich auch daran, wie der Leichnam des Großvaters in diesem Saal aufgebahrt war. Da war der Kindsvater erst sechs Jahre alt. Und heute wird also in ebendiesem Saal die Taufe ihrer Urenkelin gefeiert. Der Kindsvater schlägt vor, den Saal abzureißen und ihn in einen Garten zurückzuverwandeln – die kleine Barbara sei ja auch wieder da. Die Großmutter lächelt und sagt, ihr Enkel sei ein Fantast, wie sein Großvater.

Im Sonnenschein

Ein junger, schwarzhaariger Reiteroffizier kommt zu einem gutbürgerlichen Haus. Ein junger Mann begrüßt ihn, sagt ihm, er könne rechnen helfen, und: „Ihr habt zwei volle Stunden“, weil die alten Herren beschäftigt seien. Im Gartenpavillon sitzt die Tochter des Hauses, Fränzchen, und trägt Zahlen in Folianten ein. Sie sagt dem Offizier, sie habe keine Zeit für ihn, sie sei eine Kaufmannstochter und eigentlich könnten sie alle in der Firma Soldaten nicht leiden. Als er fragt, ob das auch für ihn gelte, wirft sie sich ihm an die Brust. Er fragt, was aus ihnen werden solle, und sie antwortet: „Eine Hochzeit.“ Vom Haupthaus her ist die Stimme des Vaters zu hören. Das Mädchen fordert den Offizier auf, zu gehen, sie will bald nachkommen. Er küsst sie und geht und wartet an einem von Buchsbäumen umrahmten Platz auf sie. Mit seinem Stock ficht er gegen Schatten. Dann kommt das Mädchen, sie genießen das Beisammensein und sprechen über den Anfang ihrer Liebe: Sie war ein Mädchen, das noch zwei Schuljahre vor sich hatte, als er in ihre Stadt versetzt wurde und sich mit ihrem Bruder anfreundete. Sie suchte gleich seine Nähe, bis er sie endlich bemerkte. Sie versichern einander ihr Glück. Mehr als 60 Jahre später sitzt ein Enkel bei seiner Großmutter, und sein Blick fällt auf das Porträt von Tante Fränzchen – sie war die Schwester des Großvaters und ist früh gestorben. Kurz darauf wird gemeldet, es sei ein Sarg in der Familiengruft eingestürzt, der von Tante Fränzchen. Der Enkel fragt weiter nach dem Leben dieser Großtante: Sie hat niemanden geheiratet, obwohl es einen gab, für den sie sich interessierte. Er war Offizier und Adliger, doch ihr Vater, ein harter Mann, war sehr gegen das Militär. Sie soll in ihren frühen Jahren lustig und fröhlich gewesen sein, aber die Großmutter kannte sie nur still und dann krank. Wenn ihr Vater im Raum war, sprach sie kaum ein Wort. Da meldet die Haushälterin, dass man etwas in der Gruft gefunden habe. Es ist ein Medaillon mit einer schwarzen Haarlocke darin.

Späte Rosen

Der Erzähler besucht seinen Jugendfreund Rudolf, den er seit 20 Jahren nicht gesehen hat. Erstmals sieht er auch die Frau des Freundes, die nicht mehr jung ist, aber noch jugendliche Züge trägt. Ihm fällt gleich auf, dass die beiden sich so zärtlich miteinander verhalten, als seien sie frisch verheiratet. Der Erzähler fragt Rudolf, ob es für ihn, der als Jugendlicher Trauerspiele schrieb, schwer war, die Kunst sein zu lassen und ein Handelshaus zu gründen. Es war nicht leicht, sagt der Freund, aber Mühe, sagt er mit einem innigen Blick auf seine Frau, sei das wenigste, was es ihn gekostet habe. Schließlich erzählt der Freund seine Geschichte: Er hat seine Frau vor 15 Jahren in seinem Elternhaus kennengelernt, sie war eine Freundin seiner Schwester. Rudolf war damals in einer beruflich aufreibenden Phase; bei dieser Freundin fand er abends Ruhe und Verständnis. Es war nur natürlich, dass er sie irgendwann heiratete. Dass sie schön war, sah er zu diesem Zeitpunkt gar nicht. Er wurde immer erfolgreicher, damit hatte er aber noch mehr Arbeit, und dahinein floss seine ganze Energie. Dann, vor vielleicht zwölf Jahren, nahm Rudolf seit Langem wieder ein Buch zur Hand, Gottfrieds Tristan. Die Dichtung von der unbezwingbaren verbotenen Liebe zwischen Tristan und Isolde berührte etwas in ihm – ihm wurde klar, dass er die Welt der Leidenschaft bisher nicht kennengelernt hatte. Doch er klappte das Buch wieder zu, sah seine Frau mit dem Kind und fragte sich, was er denn eigentlich noch wollte. Etwa zur Zeit der Geburt der zweiten Tochter vor drei Jahren wurden die Geschäfte leichter und er konnte manches delegieren und hatte so mehr Zeit zum Lesen. Im Gartenpavillon las er etwa die Odyssee und die Nibelungen. Im vergangenen Jahr bekam er zu seinem 40. Geburtstag ein Jugendporträt seiner Frau geschenkt. Atemlos stand er vor der jugendlichen Schönheit seiner Frau, die er damals nicht sehen konnte. Das zerriss ihm fast das Herz, bis der Gedanke ihn rettete, dass sie ja noch da war. Er warf sich ihr anbetend zu Füßen, alle Leidenschaft war in ihm erwacht und drängte ihn hin zu seiner Frau.

Zum Text

Aufbau und Stil

Alle Novellen verbindet eine eigentümliche Mischung von Außen- und Innenperspektive: Man nähert sich den Figuren stets von außen, als wüsste der Erzähler gar nichts über sie („Er schien fast ein Fremder“), dann aber werden intime Erinnerungen erzählt. Auch die Namen werden spät nachgereicht, deshalb hat der Leser anfangs manchmal Mühe, die Figuren zu sortieren. Manchmal gibt es sogar logische Unvereinbarkeiten in der Perspektive, so ist Marthe und ihre Uhr aus der Ich-Perspektive eines ehemaligen Mieters von Marthe geschrieben, der unmöglich die Innensicht von Marthe haben kann, die dann präsentiert wird. Außerdem zeichnet eine starke Verknappung die Novellen aus, vieles bekommt man nicht erzählt – zum Beispiel, wie Reinhard wohl auf den Brief reagiert hat, in dem steht, dass Elisabeth Erich heiraten wird; oder warum Reinhard keinen Briefkontakt mit Elisabeth aufrechterhält. In allen Novellen gibt es mehrere Zeitebenen, zwischen denen oft viele Jahre liegen, das zentrale Geschehen liegt weit zurück. Eine wichtige Rolle kommt Symbolen zu; so ist die unerreichbare weiße Wasserlilie über ihre Farbe mit Elisabeth verbunden.

Interpretationsansätze

  • In fast allen Novellen geht es um eine unvollendete oder verpasste Liebe. In der Titelnovelle Immensee ist es jedoch genau genommen so, dass auch die glücklichen Momente schon gestört sind: Die fünfjährige Elisabeth weint, als Reinhard sagt, er werde sie heiraten; sie ist ihm eigentlich zu still; beim Erdbeerensuchen geht er ihr zu schnell; vor seiner Abreise kann er ihr nicht sagen, was er ihr dringend sagen will. Letztlich ist Reinhard seltsam unfähig, sich Elisabeth zu nähern.
  • Das zentrale Thema aller Novellen ist das Leben in der Erinnerung. Das sehnsüchtig erinnerte Glück ist längst Vergangenheit, meist liegt es mehrere Jahrzehnte zurück. Durch diese zeitliche Distanz wird das Verpasste, Vergangene besonders tragisch, und der Leser empfindet stark mit den alten Einsamen, Vergessenen oder früh an gebrochenem Herzen Gestorbenen. In der Novelle Im Saal scheint sich am Ende der Kreis zu schließen: Der Enkel will durch den Rückbau des Saals eine Wiederholung des einstigen Glücks.
  • Die sehnsuchtsvolle Erinnerung an eine längst entschwundene Jugend entspricht einer Grundfigur der Romantik. Storm belebt diese Figur neu und koppelt sie mit dem Bewusstsein der Moderne, dem eigenen Ursprung entfremdet zu sein.
  • Indirekt angeprangert wird die Härte der vergangenen Zeiten, insbesondere die Macht von Eltern, das Lebensglück ihrer Kinder zu zerstören. In Immensee zwingt die Mutter Elisabeth in die Ehe mit dem falschen Mann, und bei Im Sonnenschein führt das Nein des Vaters zur Hochzeit der Tochter mit einem Offizier zum frühen Tod der Tochter.
  • Die Verknappungen und Aussparungen im Erzählten sorgen für Unbestimmtheiten und Mehrdeutigkeiten. Auch ist der Erzähler nicht immer ganz zuverlässig. Der Leser ist gefordert, Fakten zu ergänzen und zu interpretieren; dadurch wird er angeregt, noch mehr am Schicksal der Figuren Anteil zu nehmen.
  • Die Novellen werden dem poetischen Realismus zugerechnet. Theodor Storm ging es aber nicht um eine unmittelbare Nachahmung der Wirklichkeit, sondern darum, der Wirklichkeit „eine poëtische Seite abzugewinnen durch Beschränkung und Isolierung auf einzelne Momente von poëtischem Interesse, die sich auch im dürftigsten Alltagsleben finden“, wie er in einem Brief schrieb.

Historischer Hintergrund

Industrialisierung und Revolution

Ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nahm die Industrialisierung Fahrt auf. Immer mehr Menschen zogen als Arbeiter in die Städte, deren Einwohnerzahlen stark anstiegen. Mit der Massenarbeit in der Industrie kam das Massenelend der Arbeiter, die anfangs keinerlei Rechte hatten und der Willkür der Fabrikbesitzer vollkommen ausgeliefert waren. 1844 kam es zum Weberaufstand in Schlesien: Weber, die in Heimarbeit webten, rebellierten gegen ihre Arbeitsbedingungen und forderten höhere Löhne. Der Aufstand wurde vom Militär niedergeschlagen, es gab Tote und Verletzte. Im Februar 1848 veröffentlichten Karl Marx und Friedrich Engels ihr Kommunistisches Manifest.

Im März 1848 brach dann in Deutschland die Revolution aus: Aus Frankreich waren revolutionäre Unruhen herübergeschwappt, und in allen deutschen Staaten kam es zu Demonstrationen, auf denen Presse- und Vereinsfreiheit und die Einberufung eines gesamtdeutschen Parlaments gefordert wurden. In Wien und Berlin kam es zu Straßenkämpfen, in Wien wurde der Rücktritt des konservativen Ministers Klemens Wenzel Lothar von Metternich gefordert. Dieser gab dem Druck nach und floh nach England. Das erste gesamtdeutsche Parlament tagte in der Frankfurter Paulskirche. Zentrale Forderungen der Revolutionäre wurden allerdings nicht erfüllt und Aufstände an verschiedenen Orten blutig niedergeschlagen, auch das Parlament wurde bereits ein Jahr später gewaltsam aufgelöst. Auf die Revolution folgte eine Restauration unter preußischer Führung.

Entstehung

Die Novelle Immensee entstand 1849 in Husum. Sie zählt ebenso wie Marthe und ihre Uhr, Im Saal, Im Sonnenschein und Späte Rosen (erschienen zwischen 1847 und 1860) zum Frühwerk Storms, in dem ein stimmungsvolles, erinnerungsmotiviertes Erzählen vorherrscht, das von der Romantik beeinflusst ist. Immensee wurde im Dezember 1849 im Volksbuch auf das Jahr 1850 für Schleswig, Holstein und Lauenburg veröffentlicht.

Auf den Fahnen des Erstdrucks nahm Storm kurz darauf Änderungen vor. Diese Neufassung erschien 1851 in dem Band Sommergeschichten und Lieder. Die Unterschiede zur Erstfassung sind neben stilistischen Feinheiten die neu hinzugekommenen Zwischenüberschriften sowie das nun aufgenommene Lied des Zithermädchens. Ansonsten hat Storm den Text noch weiter verknappt, es fehlen in der zweiten und endgültigen Fassung Hinweise auf Reinhards weiteres Leben, seine Reisen, seinen Umzug vom Süden Deutschlands in den Norden, weit weg von Immensee, sowie auf seine 30-jährige Ehe, aus der ein Sohn hervorgeht, der aber schon nach wenigen Monaten stirbt.

Storm kam von der Lyrik und sah die Novelle als „Schwester des Dramas“. Ihre Merkmale seien ein zentraler Konflikt, eine strenge Form und vor allem das Weglassen alles Unwesentlichen – das tat er besonders konsequent. Allerdings war die Novelle zu Storms Zeit keine besonders angesehene Kunstgattung, und so tat er vieles, um sie aufzuwerten, da er sie als die höchste Gattung ansah.

Wirkungsgeschichte

Die Novelle Immensee wurde zum Bestseller und machte den Autor berühmt. Zwischen 1852 und Storms Tod 1888 gab es 30 Auflagen als Einzelausgabe. Schon 1856 wurde die Novelle ins Englische übersetzt. Die zeitgenössische Literaturkritik schätzte Storms Novellen zwar als stimmungsvolle „Guckkastenbilder“, „Stillleben“ oder „Cabinetstücke“, aber damit ging auch oft eine Geringschätzung des Genres einher – die Texte wurden oft zuerst in Zeitschriften veröffentlicht und wohl auch deshalb eher flüchtig wahrgenommen. 1874 stellte ein Kritiker der Zeitschrift Im neuen Reich diese Einschätzung infrage: „Der Künstler ist groß in seinem Genre, aber das Genre ist klein. Damit wäre es abgethan. Aber ist denn das Genre wirklich so klein?“ Schriftstellerkollegen dagegen zeigten sich sofort begeistert, vor allem von Immensee. Theodor Fontane schrieb 1853 in der Preußischen Zeitung: „Der Immensee gehört zum Meisterhaftesten, was wir jemals gelesen haben.“

Heute gelten Storms Novellen als Klassiker des Genres und sind aus der deutschsprachigen Literatur nicht mehr wegzudenken. Die Deutungsgeschichte wird im besten Sinne nicht mit ihnen fertig: Ihre Offenheit, ihre Knappheit und ihre Mehrdeutigkeit sichern ihnen ein andauerndes Interesse.

Über den Autor

Theodor Storm wird am 14. September 1817 als Spross einer alteingesessenen Husumer Patrizierfamilie geboren. Sein Vater ist Rechtsanwalt. Storm studiert Jura und lässt sich 1843 ebenfalls als Rechtsanwalt in Husum nieder. Als er sich 1853 gegen die Annektierung Husums durch Dänemark auflehnt, muss er seine Heimatstadt verlassen. Erst 1864 kann er wieder dorthin zurückkehren. In der Zwischenzeit arbeitet er als Assessor in Potsdam, wo er unter anderem mit Theodor Fontane, Joseph von Eichendorff und Paul Heyse verkehrt. In Husum hat er zwischen 1864 und 1880 zuerst das Amt des Landvogts, dann das des Amtsrichters inne. Storm heiratet zweimal, aus den beiden Ehen gehen insgesamt sieben Kinder hervor. Zu einer einschneidenden Erfahrung wird für ihn der Versuch, nach dem Tod der ersten Ehefrau mit der zweiten Frau erneut eine glückliche Ehe zu führen. Die permanente geistige Präsenz der Verstorbenen stellt das neue Eheglück immer wieder infrage. Storm verarbeitet diese Erfahrung in der Novelle Viola Tricolor (1874). Zwischen Immensee (1849), einer Novelle über den Widerstreit zwischen bürgerlichem Leben und Künstlerexistenz, mit der Storm schlagartig berühmt wird, und dem Schimmelreiter (1888) publiziert der Autor noch viele weitere Novellen, unter anderem Pole Poppenspäler (1874), Aquis submersus (1876), Carsten Curator (1878), Hans und Heinz Kirch (1882) sowie Ein Doppelgänger (1886). Daneben entstehen realistisch-impressionistisch getönte Gedichtbände. Theodor Storm erkrankt an Magenkrebs und stirbt am 4. Juli 1888.

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