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In der Strafkolonie

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In der Strafkolonie

Suhrkamp,

15 Minuten Lesezeit
10 Take-aways
Text verfügbar

Was ist drin?

Ein kafkaesker Albtraum über unleserliche Todesurteile und absolute Schuld.


Literatur­klassiker

  • Erzählung
  • Moderne

Worum es geht

Ein kafkaesker Albtraum

Ein Forschungsreisender wird eingeladen, die in einer Strafkolonie übliche Exekutionsart kennenzulernen: Dem Verurteilten wird das Urteil mit einem nadelbesetzten Apparat in den Körper geschrieben; die Tortur dauert bis zu zwölf Stunden. Der entsetzte Reisende gerät unvermittelt in einen politischen Machtkampf, wird vom Beobachter zum Richter über den Erhalt oder die Abschaffung dieser Form der Hinrichtung. Er spricht sich gegen die unmenschliche Prozedur aus – und bewirkt damit, dass ihr Hauptverfechter selbst durch diesen Apparat getötet wird. Dies ist nur eine der vielen paradoxen Wendungen der kurzen Erzählung In der Strafkolonie, einem Paradebeispiel des einzigartigen Stils, durch den Kafka zum Klassiker der modernen Literatur wurde. Mit knapper Sprache gibt er eine mysteriöse und abgründige Geschichte völlig unbeteiligt wieder, wie einen beunruhigenden Traum. Ebenso „kafkaesk“ ist der Inhalt: ein vielschichtiges Bedeutungsgewirr, das Autobiografisches mit Zeitgeschichtlichem, Abhandlungen über Sprache mit Reflexionen über Gesetz und Recht mischt und durch keine der zahlreichen Deutungen restlos aufgeklärt wird. Ein beunruhigendes und noch heute rätselhaftes Werk.

Take-aways

  • In der Strafkolonie ist eine der bekanntesten Erzählungen Kafkas.
  • Inhalt: Ein Forschungsreisender ist zu Gast in einer Strafkolonie und wird eingeladen, die dort übliche Exekutionsart kennenzulernen. Ein Offizier erklärt ihm einen Apparat, der Verurteilte tötet, indem er ihnen ihr Urteil in den Körper schreibt. Er bittet den Reisenden, sich gegen die Abschaffung des Apparats einzusetzen. Als der ablehnt, tötet sich der Offizier mittels des Apparates selbst. Der Forscher reist eilig ab.
  • Kafka verfasste die Erzählung in nur drei Tagen im Oktober 1914.
  • Er trug sie persönlich bei seiner einzigen öffentlichen Lesung außerhalb Prags 1916 in München vor.
  • Sie besteht aus nur einer Szene und umfasst lediglich vier Personen.
  • Mit dem Schluss der Erzählung war Kafka, trotz vieler Überarbeitungsversuche, bis zuletzt unzufrieden.
  • Die Forschung liefert eine Vielzahl oft gegensätzlicher Interpretationen.
  • Bei seiner Veröffentlichung 1919 wurde der Text von Publikum und Presse ignoriert.
  • Der Text wurde oft adaptiert, besonders häufig als Oper.
  • Zitat: „Der Grundsatz, nach dem ich entscheide, ist: Die Schuld ist immer zweifellos.“

Zusammenfassung

Ein zweifelloses Urteil

In tropischer Hitze sind in einem kleinen tiefen Tal vier Männer um einen Apparat versammelt. Ein Soldat bewacht einen in Ketten gelegten Verurteilten, der wegen Ungehorsams exekutiert werden soll. Ein Offizier nimmt letzte vorbereitende Handgriffe an der Maschine vor, während er sie voller Stolz seinem Gast, einem Forschungsreisenden, erklärt. Der Apparat, so der Offizier, besteht aus drei Teilen: einem Bett, auf das der Verurteilte nackt geschnallt wird, und einem Zeichner, der etwa zwei Meter über dem Bett angebracht ist und von dem an einem Stahlband die mit Nadeln besetzte Egge pendelt. Der Apparat arbeitet vollautomatisch. Im Bett sorgt ein Mechanismus dafür, dass es sich auf-, ab- oder seitwärts bewegt – abgestimmt auf die ebenfalls batteriebetriebenen Bewegungen von Zeichner und Egge. Letztere führt das Urteil aus, indem sie dem Verurteilten den Richtspruch auf den Rücken schreibt.

„,Es ist ein eigentümlicher Apparat‘, sagte der Offizier zu dem Forschungsreisenden und überblickte mit einem gewissermassen bewundernden Blick den ihm doch wohlbekannten Apparat.“ (S. 9)

Der Reisende erkundigt sich nach dem Richtspruch des Verurteilten. „Ehre deinen Vorgesetzten“, antwortet der Offizier. Auf weitere Nachfragen erfährt der Reisende – sehr zu seiner Verblüffung –, dass der Verurteilte noch gar nicht weiß, dass er verurteilt wurde. Es gab keinen Prozess, keine Möglichkeit der Verteidigung. Der Offizier erklärt, dass der Verurteilte sein Urteil ja ohnehin am Körper spüren werde, eine mündliche Urteilsverkündung sei daher überflüssig. Der Offizier bemerkt das Befremden seines Gastes und bemüht sich, ihn zu beschwichtigen: Er sei hier in der Strafkolonie der Richter und habe schon unter dem früheren Kommandanten, dem Konstrukteur des Apparates und Gründer der Strafkolonie, gedient. Daher kenne er sowohl den Aufbau des Apparates wie auch die Gesetzgebung bestens. Über den neuen Kommandanten äußert er sich eher abfällig. Dieser wolle etwa die Absolutheit und Zweifelsfreiheit seines Gerichts infrage stellen und Kontrollgerichte einführen. Noch, fährt der Offizier fort, entscheide aber er allein und sein Urteil falle immer zweifelsfrei aus. Befragungen würden nur Zweifel schüren und die Einfachheit des Gerichts stören.

„Diesem Verurteilten zum Beispiel (…) wird auf den Leib geschrieben werden: Ehre deinen Vorgesetzten!“ (der Offizier, S. 14)

Auf die Frage nach dem Vergehen des Verurteilten schildert der Offizier kurz und bündig den in seinen Augen glasklaren Fall. Der Verurteilte hatte einem Hauptmann rund um die Uhr zu dienen. Zu jeder vollen Stunde sollte er vor der Tür seines Vorgesetzten salutieren. Doch als der Hauptmann ihn in der vergangenen Nacht kontrollierte, schlief er. Der Hauptmann peitschte ihn zur Strafe aus, doch sein Diener drohte ihm: Er werde ihn „auffressen“. Erst vor einer Stunde hat der Offizier den Vorfall zu Protokoll genommen, das Urteil folgte sofort.

Der Apparat

Enthusiastisch setzt der Offizier die Erläuterung des Apparates fort: Die Egge hat die Form des menschlichen Körpers. Sie senkt sich auf den Verurteilten herab, bis die Nadeln gerade die Haut berühren, und beginnt dann zitternd mit der Niederschrift des Urteils. Damit man die Niederschrift gut mitverfolgen kann, wurde die Egge extra aus Glas gefertigt. Trotz kleiner Reinigungskanäle muss der Apparat am Ende jeder Hinrichtung gereinigt werden – die einzige Schwäche des Apparats, wie der Offizier zugeben muss.

„Der Grundsatz, nach dem ich entscheide, ist: Die Schuld ist immer zweifellos.“ (der Offizier, S. 16)

Immer wieder bemerkt der Reisende mit einigem Unbehagen, dass der Verurteilte aufmerksam den Erklärungen des Offiziers folgt. Er versucht aus den Gesten seines Richters die Funktion des Apparates zu erschließen, denn der Offizier spricht Französisch, und weder der Soldat noch der Verurteilte sind dieser Sprache mächtig. Der Offizier erläutert nun das wichtigste Element des Apparats: den vollautomatisierten Zeichner. Dessen Räderwerk – anhand einer Zeichnung des Urteils gesteuert – bestimmt die Bewegungen der Egge. Der Offizier betont, dass er noch immer die originalen Zeichnungen des früheren Kommandanten benutze. Er zeigt sie voller Erwartung dem Reisenden, doch der kann in dem dichten Liniengewirr nichts erkennen. Die Schrift sei durchaus komplex, gibt der Offizier schließlich zu. Sie solle ja auch nicht sofort töten, sondern über eine Zeit von zwölf Stunden. Daher sei es notwendig, die eigentliche Schrift des Urteils durch ausschweifende Ornamente zu ergänzen.

Die Exekution beginnt

Dann wirft er die Maschine an. Ein Kreischen ist zu hören, das der Offizier offensichtlich als Fehler empfindet. Aufgeregt hantiert er an dem Apparat herum und brüllt dem Reisenden durch den Lärm ins Ohr, dass der Verurteilte nun beschriftet werde. Stunde um Stunde werde die Schrift immer tiefer in den Leib des Verurteilten eingraviert werden. Die ersten sechs Stunden werde er noch fast normal weiterleben, nur eben mit großen Schmerzen. In der sechsten Stunde jedoch würde der Verurteilte sein Urteil zu verstehen beginnen. Diesen Augenblick beobachtet der Offizier jedes Mal mit besonderer Faszination: Man könne es den Verurteilten regelrecht ansehen, wie sie erleuchtet würden von der körperlichen Erfahrung des Urteils. Danach würden sie endgültig aufgespießt, in eine Grube geworfen und verscharrt.

„Hätte das Rad nicht gekreischt, es wäre herrlich gewesen.“ (S. 20)

Dem Verurteilten werden nun rücklings Hemd und Hose zerschnitten, seine Ketten werden durch die Riemen des Apparats ersetzt. Hilfesuchend reckt er einen Arm in Richtung des Reisenden, den der Offizier neugierig von der Seite beobachtet: Wie wird der Fremde dieses Wunderwerk in Aktion empfinden? Hat er seine Erläuterungen begriffen? Einer der Riemen reißt. Für den Offizier gehören Fehlfunktionen offenbar zum Alltag. Früher, erzählt er dem Reisenden, habe er fast schon verschwenderisch die Teile des Apparats gewartet, ausgetauscht und erneuert. Der frühere Kommandant habe ihm ein Ersatzteillager zur Verfügung gestellt und erlaubt, benötigtes Material selbstständig einzukaufen. Unter dem neuen Kommandanten sei auch das schlechter geworden. Der habe ihm die Befugnis für Neueinkäufe entzogen und verlange für jede Anschaffung eine penible Rechtfertigung.

Der Machtkampf mit dem Kommandanten

Der Reisende überlegt, wie er sich verhalten soll. Er ist als Ehrengast hier und kein Bürger der Strafkolonie. Wie kann er also über diese fremde Kultur urteilen? Gleichzeitig fühlt er sich aufgerufen, etwas gegen die offenkundige Unmenschlichkeit der Exekution zu unternehmen. Auch wenn er nur als Beobachter hier ist – darf er sich nicht trotzdem einmischen? Ein Schrei des Offiziers schreckt ihn aus seinen Überlegungen auf. Der Verurteilte hat sich erbrochen – über die Maschine. Wutentbrannt gibt der Offizier dem neuen Kommandanten die Schuld für diesen Zwischenfall. Nur weil der Kommandant die Regeln gelockert habe und die Verurteilten nun auch noch am Tag vor ihrer Hinrichtung Essen zu sich nehmen dürften, sei seine kostbare Maschine beschmutzt worden. Der Soldat benutzt die Kleider des Verurteilten, um den Schaden so schnell wie möglich wieder zu beheben.

„Wie still wird aber der Mann um die sechste Stunde! Verstand geht dem Blödesten auf. (…) Ein Anblick, der einen verführen könnte, sich mit unter die Egge zu legen.“ (der Offizier, S. 21)

Nun wendet sich der Offizier vertraulich an seinen Gast: Er sei nicht nur der letzte Vertreter dieser Exekutionsart, er sei überhaupt der letzte verbliebene Anhänger des alten Kommandanten und seines Erbes hier in der Kolonie. Er appelliert an den Reisenden: Die Zeit dränge, im Geheimen gehe der Kommandant bereits gegen ihn, den Offizier, vor – doch müsse ein so wundervolles Werk wie der Apparat nicht um jeden Preis gerettet werden? Früher sei das gesamte Tal voller Zuschauer gewesen, wenn eine Exekution anstand. Der Kommandant selbst pflegte damals noch den Verurteilten auf sein Bett zu legen. Niemand in der Kolonie ließ sich das Großereignis entgehen. Alle wollten dieser Ausübung der Gerechtigkeit aus nächster Nähe beiwohnen. Dabei wurde der Platz direkt vor dem Gesicht des Verurteilten für Kinder reserviert. Auch der Offizier durfte, wie er sich gerührt erinnert, den zauberhaften Moment um die sechste Stunde stets aus nächster Nähe verfolgen.

„Der Reisende überlegte: Es ist immer bedenklich, in fremde Verhältnisse entscheidend einzugreifen. (…) Wenn er die Exekution verurteilen oder gar hintertreiben wollte, konnte man ihm sagen: Du bist ein Fremder, sei still.“ (S. 23)

Noch werde der Kommandant nicht wagen, ihn abzusetzen, meint der Offizier. Doch die Einladung des Forschungsreisenden zur Hinrichtung habe eindeutig den Zweck, mithilfe einer Beurteilung von außen den schönen Exekutionsbrauch abzuschaffen. Der Kommandant habe die Sache geschickt eingefädelt: Er habe einen in der europäischen Sichtweise Befangenen eingeladen, der den alten Kommandanten gar nicht gekannt hat und der nun in einem verlassenen Tal diese Exekution auf dem verlotterten Apparat miterleben und gar nicht anders können werde, als sie abzulehnen. Würde dieser Ehrengast dann seine Kritik äußern, hätte der Kommandant plötzlich die nötige Macht, dem Apparat ein Ende zu setzen. Selbst wenn er wüsste, dass der Reisende die Maschine bewundere und die Fremdartigkeit der Sitten verstehe und respektiere, würde der Kommandant ihn ausfragen und schon die kleinste Bemerkung zum Anlass nehmen, die Abschaffung des Apparats zu verkünden. Insgeheim freut sich der Reisende über diese Offenbarung, denn er weiß nun, dass er viel leichter gegen dieses Unrecht vorgehen kann, als er gedacht hat.

Das Urteil des Reisenden

Der Offizier bittet den Reisenden um Hilfe. Nun, da er den Apparat selbst gesehen und so gut erklärt bekommen habe, müsse er doch an seiner Erhaltung interessiert sein. Er unterbreitet ihm einen Plan: Der Reisende soll sich bis zum nächsten Tag nicht eindeutig über die Exekution äußern. Dann finde nämlich eine Sitzung der Kommandantur statt. Der Reisende werde sicher dazu eingeladen, der Offizier, wie alle anderen Offiziellen, werde ebenso anwesend sein. Der Kommandant werde die Gelegenheit nutzen, den ehrwürdigen Experten in aller Öffentlichkeit um seine Meinung über die Exekution zu bitten. Dann, so die Bitte des Offiziers, soll der Reisende alles erzählen, was er über den Apparat denkt. Schließlich werde der neue Kommandant sich niederwerfen und sich dem alten Kommandanten beugen müssen.

„Die Ungerechtigkeit des Verfahrens und die Unmenschlichkeit der Exekution war zweifellos.“ (S. 23)

Der Reisende hat bereits zuvor versucht, seinen Einfluss herunterzuspielen, um sich der Bitte des Offiziers zu entziehen. Doch nun, da dieser ihn direkt um Hilfe bittet, sagt er ihm geradeheraus, dass er ihm nicht helfen werde, dass er im Gegenteil dieses Verfahren zutiefst ablehne. Er werde seine ehrliche Abscheu für diese Exekutionsart dem Kommandanten persönlich mitteilen und im Übrigen bereits am nächsten Tag weiterreisen. Der Offizier hört ihm nur noch beiläufig zu. Schließlich wendet er sich an den Reisenden: „Dann ist es also Zeit.“

Der Tod des Apparats

Er gibt dem Soldaten den Befehl, den Verurteilten vom Apparat loszumachen – dieser sei frei. Während der Soldat dem überglücklichen Verurteilten die Riemen löst, zeigt der Offizier dem Reisenden eine Zeichnung. Er fordert ihn auf, sie zu lesen, doch der Fremde kann nichts entziffern. Daraufhin fährt der Offizier erläuternd mit dem Finger die Linien entlang und sagte dem Reisenden die Bedeutung vor: „Sei gerecht.“ Dann klettert er auf den Zeichner und stellt vorsichtig das Räderwerk um. Anschließend zieht er sich in aller Ruhe aus und wirft seine Uniform in die Grube. Als der Verurteilte seinen nackten Richter sieht, fängt er an zu lachen: Der Fremde hat ihn offenbar gerächt! Auch der Reisende versteht, was nun folgt: Der Offizier zieht die Konsequenz aus der bevorstehenden Aufhebung seines Tribunals.

„Wie nahmen wir alle den Ausdruck der Verklärung von dem gemarterten Gesicht, wie hielten wir unsere Wangen in den Schein dieser endlich erreichten und schon vergehenden Gerechtigkeit!“ (der Offizier, S. 26)

Er legt sich selbst auf das Bett. Der Apparat fängt wie von Zauberhand zu arbeiten an. Der Verurteilte und der Soldat ziehen lediglich die Riemen an, den Rest erledigt der Apparat von allein und völlig lautlos. Als der Reisende den Verurteilten und den Soldaten wegschicken will, beginnt der Apparat plötzlich, die Zahnräder eins nach dem anderen auszuwerfen. Der Reisende erschrickt. Offenbar stimmt etwas mit der Maschine nicht. Da bemerkt er, dass die Egge gar nicht schreibt und dass das Bett nicht zittert. Es drückt den Körper des Offiziers einfach direkt in die Nadeln der Egge. Entsetzt will der Reisende den Apparat zum Stehen bringen, aber die Egge ist bereits dabei, den blutüberströmten Körper in die Grube zu werfen. Doch der tote Leib des Offiziers will sich nicht von den Nadeln lösen. Seinem Gesicht fehlt der angeblich so verklärte Blick der Gerichteten.

Rückkehr und Abreise

Nachdem sie in die verkommene Siedlung der Kolonie zurückgekehrt sind, verraten der Soldat und der Verurteilte dem Reisenden, wo das Grab des alten Kommandanten liegt. Auf dem Friedhof ist ihm die letzte Ruhe verwehrt worden, weshalb ihm seine Anhänger im Teehaus ein kleines Grab errichtet haben. Auf dem Grabstein steht eine Prophezeiung, dass der Kommandant nach einigen Jahren auferstehen und die Kolonie zurückerobern werde. Nachdem der Reisende das gelesen hat, geht er zum Hafen und schifft sich auf einem gerade auslaufenden Dampfer ein. Der Soldat und der Verurteilte wollen mit ihm kommen, doch er hält sie davon ab, aufs Schiff zu springen, indem er ihnen mit einem schweren Tau droht.

Zum Text

Aufbau und Stil

Die Erzählung In der Strafkolonie ist höchst reduziert aufgebaut: Die gesamte Geschichte spielt an einem einzigen Ort, läuft in einer einzigen kontinuierlichen Szene ab und umfasst lediglich vier handelnde Personen. Zwei dieser Personen, Soldat und Verurteilter, bleiben im Hintergrund, es dominieren der Monolog des Offiziers und die Zwischenfragen und Einwürfe des Reisenden. Diese klare Struktur wird erst in der äußerst knappen Schlusspassage aufgebrochen, in der die Erzählung den Ort wechselt. Sie wird aber auch schon vorher durch die sprachliche Gestaltung des Textes konterkariert. So bleibt etwa die Erzählposition weitgehend unklar: Die Ansichten und Offenbarungen des Offiziers stehen zwar im Mittelpunkt der Erzählung, doch beschrieben werden sie von außen, aus der Sicht des Reisenden. Der wiederum verhält sich äußerst passiv und wortkarg. Der Soldat und der Verurteile sprechen bis zur Schlusspassage sogar überhaupt nicht. Somit bleiben die Motive der Handlungen und der Wahrheitsgehalt der Aussagen des Offiziers weitgehend im Dunkeln. Das Fehlen jeglicher Innenperspektive und objektiver Information durch einen auktorialen Erzähler lässt den Leser zu einem distanzierten Beobachter einer Geschichte werden, deren Stimmung traumhaft entrückt und deren Bedeutung weitgehend offen ist.

Interpretationsansätze

  • Die Forschung hat In der Strafkolonie immer wieder in den Kontext der literarischen Richtung des Sadismus und Masochismus gestellt. Diese skandalumwitterte Gattung erfreute sich um 1900 großer Beliebtheit, ihr tatsächlicher Einfluss auf Kafka ist allerdings bis heute umstritten.
  • Eine der frühesten und bis heute prominentesten Perspektiven der Kafka-Forschung ist die der Psychoanalyse. Dabei wird die Erzählung als allegorische Aufarbeitung des Privatlebens des Autors gedeutet. Kafka hätte demnach unbewusst autobiografische Krisen, einen sadomasochistischen Hang oder eine verdrängte Homoerotik beschrieben.
  • Ein anderer Ansatz stellt die gesellschaftliche Dimension in den Mittelpunkt. Zeitgenössische soziopolitische Entwicklungen wie die politische Debatte um die Vertretbarkeit von Strafkolonien, das Ende des Absolutismus sowie Industrialisierung und Modernisierung werden hier als die zentralen Bezüge des Textes verstanden.
  • Auch der starke Anklang des theologischen Motivs der Heilsgeschichte wird immer wieder hervorgehoben. So weist die Beziehung des Offiziers zum alten Kommandanten oder die Erleuchtung der Exekutierten um die sechste Stunde Parallelen zur Passion Christi auf.
  • Der Aufbau und die Funktionsweise des Exekutionsapparats ist Gegenstand medienwissenschaftlicher Forschung geworden. Vor allem die auffallende Ähnlichkeit zu den akustischen Aufnahme- und Wiedergabetechniken um 1900 wurde dabei untersucht.
  • Schließlich gibt es auch eine rein ästhetische Deutung des Textes, die alle Bezüge zu einem Textaußen letztlich für falsche Fährten hält. Dem Text geht es demnach nicht um die Verarbeitung äußerer Ereignisse, sondern um die selbstbezügliche Thematisierung des Schreib- und Leseprozesses.

Historischer Hintergrund

Vom Imperialismus zum Großen Krieg

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts stand Europa auf dem Höhepunkt seiner globalen, imperialen Macht. Doch zunehmende soziale Spannungen und politische Krisen machten ein Ende des Imperialismus absehbar. Auch wenn die Monarchie Österreich-Ungarn um 1900 über keine Kolonien mehr verfügte, war sie dennoch eine der zentralen imperialistischen Mächte in Europa. Große Teile des Balkans, aber auch der Region von Tschechien bis Rumänien machten den Vielvölkerstaat zu einem der größten und bevölkerungsreichsten Länder Europas. Nach der Annexion Bosnien-Herzegowinas 1908 stand auch die Annexion Serbiens im Raum; bereits 1906 wurde ein Handelsembargo erlassen. Das befeuerte den in vielen Teilen Österreich-Ungarns bereits aufkeimenden Nationalismus. Es bildeten sich Widerstandsgruppen gegen die Habsburg-Monarchie, etwa Junges Bosnien oder die Schwarze Hand in Serbien. Beide Gruppen gemeinsam verübten am 28. Juni 1914 einen tödlichen Anschlag auf den österreichischen Thronfolger Franz Ferdinand.

Österreich-Ungarn reagierte am 28. Juli mit der Kriegserklärung an Serbien und versicherte sich gleichzeitig der Unterstützung des Deutschen Reiches, da Serbien von Russland unterstützt wurde. Gestärkt durch Frankreich sah Russland keinen Grund, von dieser Parteinahme abzuweichen. Eine komplexe Lage aus politischen Bündnissen, Fehleinschätzungen und überstürzten Beschlüssen führte schließlich dazu, dass im August 1914 alle europäischen Großmächte miteinander im Krieg standen. Es begann der umfassendste und opferreichste Krieg der bisherigen Geschichte. Als er am 11. November 1918 endete, war der Vielvölkerstaat zerfallen. Tschechien, Ungarn und viele andere Nationen hatten ihre Unabhängigkeit erlangt.

Entstehung

Der Sommer 1914 wurde für Kafka von zwei Katastrophen überschattet: dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs sowie der Auflösung seiner seit gut einem Monat bestehenden Verlobung mit Felice Bauer. Der emotionale Aufruhr dieser Ereignisse setzte in ihm aber auch kreative Energien frei: Der Sommer 1914 wurde die literarisch produktivste Zeit in Kafkas Leben. Unter dem direkten Eindruck seiner Trennung begann er den Roman Der Prozess zu schreiben. Dafür nahm er sich vom 5. bis zum 18. Oktober 1914 Urlaub. Am Ende dieser 14-tägigen Schreibzeit war jedoch nicht Der Prozess fertig, sondern In der Strafkolonie. Kafka schrieb den Text in nur drei Tagen, zwischen dem 15. und 17. Oktober. Und er war mit dem Ergebnis durchaus zufrieden, las er den Text doch Ende November und Anfang Dezember zweimal im privaten Kreis vor. An eine Publikation dachte er aber vorerst nicht. Erst als er mit einem Verlag über die Veröffentlichung eines Novellenbandes mit dem Arbeitstitel Strafen verhandelte, schlug Kafka In der Strafkolonie vor.

Der Weg zur endgültigen Publikation gestaltete sich allerdings ausgesprochen langwierig. Eine erste öffentliche Präsentation des Textes fand am 10. November 1916 in München statt, als die Galerie Goltz Kafka zu einer Lesung einlud. Die Reaktion des Publikums und der Presse empfand dieser jedoch als entmutigend. Dazu kam, dass er mit dem Ende der Erzählung unzufrieden war. Entsprechende Änderungsarbeiten im August 1917 dürften unbefriedigend verlaufen sein, denn als er im September eine Publikationszusage vom Verlag erhielt, reagierte Kafka zurückhaltend. Erst im Herbst 1918 erteilte er einer Einzelpublikation von In der Strafkolonie seine Zusage – jedoch unter der Bedingung, das Manuskript ein letztes Mal überarbeiten zu dürfen. Welche Änderungen Kafka vornahm, ist nicht bekannt, da kein älteres Manuskript erhalten geblieben ist. Angenommen wird, dass er die problematische Passage kurz vor dem Ende der Erzählung einfach gelöscht hat, was die durch drei Sterne im Text gekennzeichnete Bruchstelle erklären soll. Durch äußere Umstände abermals verzögert, erschien In der Strafkolonie schließlich im Oktober 1919.

Wirkungsgeschichte

Heute ist In der Strafkolonie eine der bekanntesten Erzählungen Kafkas. Die Reaktionen der Zeitgenossen auf den Text fielen für Kafka jedoch ernüchternd aus. Sowohl die Münchner Lesung – Kafkas einzige außerhalb Prags – als auch die Buchpublikation wurden kaum beachtet und wenn überhaupt, dann mit Unverständnis registriert. Die wohl einzige enthusiastische Rezension des Buches stammt von Kurt Tucholsky. Künstlerische Bezugnahmen, aber auch die literaturwissenschaftliche Erforschung, setzten erst relativ spät ein. Für die Adaptionen in der Literatur und – besonders häufig – in der Oper, gilt, dass sie eher mit dem Originaltext arbeiten, als diesen weiterzuschreiben oder umzuarbeiten. So funktioniert Kafkas Text in der Erzählung Pavlovs Papierbuch (1981) von Franz Fühmann als versteckte Kritik an der DDR. Heiner Müller hat den Text 1992 für eine Inszenierung von Luigi Nonos Bühnenstück Intolleranza 1960 collagiert. Die einzige Opernfassung, die wiederholt erfolgreich aufgeführt wurde, ist jene von Philip Glass: In the Penal Colony, uraufgeführt 2000 in Seattle.

Über den Autor

Franz Kafka wird am 3. Juli 1883 in Prag geboren. Als deutschsprachiger Jude gehört er gleich in doppelter Hinsicht einer Minderheit an. Der Vater Hermann Kafka ist Kaufmann, die Mutter Julie im Geschäft des Vaters tätig; so wächst das Kind in der Obhut verschiedener Dienstboten auf. Der lebenstüchtige Vater bringt für seinen kränklichen, künstlerisch begabten Sohn kein Verständnis auf − ein Konflikt, der das gesamte Werk Kafkas prägen wird. Nach dem Abitur möchte Kafka eigentlich Philosophie studieren, entscheidet sich aber nach dem Willen des Vaters für Jura und promoviert 1906. Danach arbeitet er bei einer Unfallversicherung. Sein Beruf ist ihm eine Last, weil ihm zu wenig Zeit zum Schreiben bleibt; er erledigt die Arbeit aber gewissenhaft. Auf Schaffensphasen, in denen er Nächte durchschreibt, folgen längere unproduktive Abschnitte. 1902 lernt er Max Brod kennen, eine lebenslange Künstlerfreundschaft beginnt. Ab 1908 veröffentlicht er kurze und längere Erzählungen in Zeitschriften und als Buchpublikationen, darunter Die Verwandlung (1915) und Das Urteil (1916). Er beginnt drei Romane, Der Verschollene (später veröffentlicht unter dem Titel Amerika), Der Prozess und Das Schloss, stellt aber keinen fertig – für ihn ein fundamentales Scheitern. Kafkas Beziehungen zu Frauen sind problematisch. 1912 lernt er bei Max Brod die Berlinerin Felice Bauer kennen, mit der er sich zweimal verlobt und wieder entlobt. Auch die weiteren Beziehungen sind nicht von Dauer. 1917 erkrankt er an Tuberkulose. Immer wieder muss er seine berufliche Arbeit unterbrechen, um sich an Ferienorten, in Sanatorien oder bei seiner Schwester Ottla zu erholen. Die gewonnene Zeit kann er aber nicht in gewünschter Weise in Literatur umsetzen. Als er am 3. Juni 1924 stirbt, hat er Max Brod testamentarisch angewiesen, seine unveröffentlichten Manuskripte zu vernichten. Der Freund hält sich nicht daran und ermöglicht so den Weltruhm Franz Kafkas.

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