Ernst Jünger
In Stahlgewittern
Klett-Cotta, 2005
Was ist drin?
Jüngers Bericht aus dem Ersten Weltkrieg zeigt ungeschminkt die grausame Realität des Krieges.
- Dokumentarliteratur
- Moderne
Worum es geht
Kampf als äußerstes Erlebnis
"Stahlgewitter", "Trommelfeuer", "Flammenmeer", "Leichenfelder", "Eisenhagel", "Feuersturm" - so lauten die immer wiederkehrenden Elementarbegriffe in Jüngers Beschreibung seiner Erlebnisse in den vordersten Linien der Materialschlachten des Ersten Weltkriegs. Viele dieser bildhaften Begriffe lehnen sich an das Vokabular tosender, zerstörerischer Naturgewalten an. Und genauso wird der Krieg auch von Jünger erfahren: als eine vernichtende Urkraft. Der Autor hat den Ersten Weltkrieg als junger Soldat und als Stoßtruppführer mitgemacht und aus seinen tagebuchartigen Aufzeichnungen diesen berühmten literarischen Bericht geformt, eines der bedeutendsten Kriegsbücher deutscher Sprache. Völlig ohne Sentimentalität oder Betroffenheit wird das Kriegsgeschehen vor dem Leser ausgebreitet, es erscheint wie ein einziges großes Abenteuer. Jüngers "heroische" Haltung wurde allerdings vielfach als Kriegsverherrlichung und reaktionärer Kämpfermystizismus verstanden. Dennoch: In Stahlgewittern ist ein sehr lesenswertes Buch, gerade in Zeiten, in denen Anzug tragende Kriegstreiber Lügen wie die vom "sauberen Krieg" oder von "chirurgisch präzisen Luftschlägen" verbreiten.
Take-aways
- In Stahlgewittern ist eines der literarisch bedeutendsten Kriegsbücher deutscher Sprache.
- Jünger verdichtet darin seine Tagebuchaufzeichnungen aus dem Ersten Weltkrieg zu einem radikal subjektiven Erfahrungsbericht über das Dasein im Angesicht des Todes.
- Abenteuerlustig kommt Jünger im Dezember 1914 an der Westfront in der Champagne an und erkennt sogleich das grauenerregende, wahre Gesicht des Krieges.
- Zunächst nimmt er als einfacher Soldat am eintönigen, aber dennoch gefährlichen Stellungskrieg in den Schützengräben teil.
- Nach einer ersten Verwundung schlägt er in Deutschland die Offizierslaufbahn ein.
- Obwohl fast ein Jahr für ihn ohne größere Kampfeinsätze vergeht, besteht permanente Lebensgefahr selbst in beschaulichen Momenten in den Unterständen und Ruhequartieren.
- Als Leutnant erlebt Jünger im Sommer 1916 in der Sommeschlacht wochenlangen heftigsten Artilleriebeschuss.
- In weiteren Schlachten im Jahr 1917 wird er, nun Kompaniechef und Stoßtruppführer, mehrfach verwundet; er erhält Auszeichnungen.
- Im Frühjahr 1918 beginnen die Deutschen hoffnungsvoll ihre letzte "Große Schlacht", die aber angesichts der britischen Materialüberlegenheit stecken bleibt.
- Jüngers tollkühne Einsätze führen gegen Kriegsende zu einer letzten Verwundung. Im Lazarett erhält der den höchsten Orden, Pour le Mérite.
- Das Zermürbende, Vernichtende, die grauenhaften Verwundungen und die permanente Todesgefahr stellt Jünger im Buch sehr anschaulich dar.
- Trotz allen Grauens sieht Jünger im Krieg auch eine außergewöhnliche Daseinserfahrung - hieran machte sich die scharfe Kritik fest, er betreibe Kriegsverherrlichung.
Zusammenfassung
Ankunft an der Front
Im Dezember 1914 kommt Ernst Jünger als 19-jähriger einfacher Soldat bei seinem Füsilierregiment 73 in der Champagne an der Westfront an. Er und seine Kameraden - Studenten, Abiturienten, junge Handwerker und Industriearbeiter - haben eine kurze Militärausbildung hinter sich und freuen sich voller Begeisterung darauf, "mitmachen" zu dürfen. Die zurückliegenden Jahrzehnte des Friedens in Europa empfanden sie als langweilig und sehnen sich nach Gefahr, männlicher Bewährung und einem "fröhlichen Schützengefecht". Schon kurz nach dem Aussteigen aus dem Zug im Städtchen Bazancourt und nach einem Marsch in das Dorf Orainville dröhnen die ersten Kampfgeräusche zu ihnen. Zerlumpte Soldaten und blutüberströmte Verwundete vermitteln einen ersten Eindruck vom wahren Gesicht des Krieges. Ein Granateneinschlag zertrümmert das Portal des schlossartigen Herrensitzes in dem Dorf und fordert 13 Opfer. Ein Gefühl der Beklemmung dämpft die Stimmung. Das schreckhafte Zusammenfahren bei jedem unerwarteten Geräusch ist eine erste, nachhaltige und sich während des ganzen Krieges ständig wiederholende Erfahrung. Knallen, Schreie, das Flattern und Rauschen heranfliegender schwerer Geschosse, krachende Einschläge signalisieren höchste Gefahr und die ständige Nähe des Todes.
Stellungskrieg im Schützengraben
Die Männer werden in die Lauf- und Schützengräben verteilt, die tief in den Kreideboden der Champagne eingegraben sind. Hier findet der anstrengende Soldatendienst statt: endloses Wachestehen bei Tag und bei Nacht, bei Regen und bei eisiger Kälte, und immerwährende Schanzarbeiten. Es gibt nur wenige und schlechte Schlafgelegenheiten in höhlenartigen Unterständen, die, vor allem im Winter, ebenfalls durchnässt sind. Derartige Unbequemlichkeiten führen schnell zu reißenden Gliederschmerzen bei den an bürgerlichen Komfort gewöhnten jungen Studenten. Die Verpflegung aus den Feldküchen erscheint zunächst miserabel, bis man schon nach kurzer Eingewöhnungszeit die Erbsensuppe als "köstlich" zu würdigen weiß. Die Mannschaften in den vorderen Linien werden regelmäßig abgelöst und in hinter der Front gelegene Ruhequartiere gebracht, wo sie sich erholen und exerzieren können und wo Zechgelage an der Tagesordnung sind.
Erste Verwundung
Im April wird Jüngers Regiment an einen anderen Standort in der Nähe der Mosel verlegt. Hier kommt es nach dem üblichen Trommelfeuer, also heftigem Artilleriebeschuss der gegnerischen Stellungen, zum ersten richtigen Gefecht gegen die Franzosen. Unter eigenen leichten Verlusten gelingt ein Geländegewinn, das Erobern einer Stellung, die aus Laufgräben in der Erde besteht. Die Franzosen fliehen. Es bietet sich ein Bild des Grauens: Die französische Stellung ist voller gedörrter, mumifizierter, verwester, verstümmelter Leichen. Die Franzosen haben hier monatelang ausgeharrt, ohne ihre toten Kameraden begraben zu können. Etwas später setzt der französische Gegenangriff ein und führt nach mörderischem Beschuss auch auf deutscher Seite zu aufgerissenen Rücken, aufgeplatzten Schädeln, Bauchschüssen, schrillen Schreien des Entsetzens, hektischem Gelaufe der Sanitäter mit den Verwundeten zu den Verbandsplätzen. Auch Jünger erhält eine Splittergeschosswunde im Bein, er geht durch wie ein rasendes Pferd, bis er hinter den Linien zusammenbricht. Einen Gegner hat er in der ersten größeren Schlacht seines Lebens nicht zu Gesicht bekommen. Ein Lazarettzug bringt Jünger auf einer zweitägigen Reise nach Heidelberg.
Rückkehr zum Regiment als Fähnrich
Die zauberhaft blühenden Neckarberge lassen Jünger sein Heimatland sehr wohl verteidigenswert erscheinen. Die Wunde ist nach zwei Wochen verheilt. Auf Anraten seines Vaters schlägt er nun doch die Offizierslaufbahn ein und lässt sich zum Fähnrich ausbilden. Im Herbst 1915 kehrt er nach Frankreich zurück. Das Regiment liegt nun im Ruhequartier im Städtchen Douchy. Von hier aus geht es während der nächsten anderthalb Jahre immer wieder zum relativ gefechtsarmen Kampfeinsatz in die Schützengräben, bis die Ablösung kommt. Dort halten die Soldaten im wahrsten Sinne des Wortes die Stellung, eine nicht zu unterschätzende, belastende Aufgabe, wofür es immer wieder erholte Mannschaften braucht. In den Ruhequartieren, in französischen, später auch flandrischen Dörfern, sind die Offiziere bei der ortsansässigen Bevölkerung zwangsuntergebracht. Die Mannschaften hausen in Scheunen und ähnlichen Unterkünften. Der Umgang mit den Franzosen und Belgiern ist überwiegend zivil, manchmal fast freundschaftlich. Viele Dörfer sind zu dieser Zeit noch relativ intakt. Zwei, drei Jahre später, bei Bewegungen der Fronten, werden manche dem Erdboden gleichgemacht sein. In den Ruhezeiten spielen neben dem Exerzieren und Turnen und neben allerhand beschaulicher Freizeitbeschäftigung, wie Spaziergänge und Sonnenbaden, die Trinkgelage eine wichtige Rolle. Der Alkohol- und Tabakkonsum ist während des ganzen Krieges enorm und wird, wann immer möglich, "auf gut Altdeutsch" in Form geradezu sportlicher Wettbewerbe durchgeführt.
Eintöniger Stellungskrieg
Beim Einsatz in den Schützengräben bietet sich dem jungen Ernst Jünger das weit weniger beschauliche Bild einer zerstörten, finsteren und verlassenen Landschaft voller Einschlagtrichter und Baumstümpfe. Das benachbarte Dorf Monchy gehört schon zum Kampfgebiet. Hier sind die Häuser zerschossen, die Gärten zerwühlt, Obstbäume geknickt, alles ist übersät mit Hausrat, Erntegerät, zerrissenen Tornistern, abgebrochenen Gewehren, zerfetzten Büchern, Tiergerippen, und in den Kellern werden die Leichen der Hausbewohner von Ratten benagt. Die kreuz und quer verlaufenden Kampfgräben und Stollen sind mittlerweile bis zu dreifacher Mannshöhe tief, Maschinengewehrstände sind in Erdwälle eingebaut und durch Sandsäcke und Stahlplatten gedeckt, manche Posten sind regelrecht festungsartig ausgebaut. Der Tag im Schützengraben ist streng geregelt, die Hauptdienstzeit für die meisten ist nachts, wenn man besonders wachsam sein muss, damit der Gegner im Schutz der Dunkelheit keinen Überfall wagt. In der kampfarmen Zeit breitet sich in beheizbaren Unterständen etwas Behaglichkeit aus. Man vertreibt sich die Tage mit Kartenspiel, Zeitunglesen, Rauchen, man nimmt den Nachmittagstee aus Porzellantassen zu sich. Jünger kann sich der Lektüre und dem Schreiben in seinem Tagebuch widmen. Die Rattenjagd gehört auch zu den "Vergnügungen". Das heißt jedoch nicht, dass es keine Scharmützel oder Beschießungen gäbe: Immer wieder werden Soldaten verwundet, verstümmelt, getötet. Selbst in Douchy ist man nicht sicher. Anfang Februar wird der Ort mitten in der Nacht von der gegnerischen Artillerie massiv mit Granaten beschossen. So schleppt sich der fortwährende Stellungskrieg dahin.
Materialschlacht an der Somme
Von April bis Juni 1916 nimmt Jünger an einem Ausbildungskurs zum Leutnant teil, dann zeichnen sich die Vorbereitungen zu einer großen Schlacht an der Somme ab. Hier sind die Gegner Engländer. Im Sommer 1916 beginnen diese mit massivem Artilleriebeschuss mittels Granaten, Minen, Schrapnells auf die deutschen Stellungen. Dieses Trommelfeuer zieht sich mit kurzen Unterbrechungen wochenlang hin. Neben den zerstörerischen Einschlägen, den vielen Gefallenen und den grausamen Verwundungen ist der höllische Lärm die schrecklichste Marter. Außerdem beginnen die Engländer mit Gasangriffen. Auch Douchy wird wieder bombardiert. Im August kann Jünger auf Urlaub in die Heimat fahren, wird aber umgehend zurückbeordert. Die Deutschen müssen sich massiv verteidigen. Jünger selbst und seine Mannschaft sind mittlerweile kampferfahren. In der zweiten Augusthälfte tobt ein erbarmungsloser Kampf um die Dörfer Guillemont und Combles, die Zentren der Sommeschlacht. Die Dörfer werden von der englischen Artillerie niedergewalzt, die Häuser zerrissen. Die Soldaten bewegen sich durch unermesslichen Kanonendonner und Flammenmeere. Verwundete werden einfach liegen gelassen und zertrampelt. Die Engländer rücken erfolgreich vor. Die deutschen Einheiten werden in dem Inferno niedergemäht, auch Jüngers Truppe wird bis auf wenige Männer ausgelöscht. Es ist die reine Vernichtung. Jünger erhält einen Schuss durchs Bein.
Kampf gegen Inder
Nach einmonatigem Lazarett- und Erholungsaufenthalt kehrt Jünger im Herbst zur Truppe zurück, erleidet kurz darauf wieder einen Schuss durch beide Beine und muss ins Kriegslazarett. Sein Regiment verbringt den Jahreswechsel 1916/17 in vierwöchiger Ruhestellung, und Jünger macht im Februar einen Kompanieführerkurs. Dann wird der Rückzug von der Somme befohlen. Die Aufgabe für die Soldaten besteht nun darin, die Dörfer systematisch zu zerstören und Sprengstofffallen für die Engländer anzulegen. Es kommt zu Plünderungen. Die englische Artillerie rückt mit unbeschreiblicher Feuerkraft und Zerstörungswirkung nach. Im Frühjahr 1917 liegt Jünger, jetzt Kompanieführer, mit seinen Leuten in einer Stellung am Kanal von St. Quentin und hat Muße, den ganzen Rasenden Roland, ein Hauptwerk der italienischen Renaissancedichtung, zu lesen. In dieser Stellung im Wald kommt es allerdings auch völlig überraschend erstmals zu einem Kampfgefecht Mann gegen Mann, also etwas ganz anderes als der anonyme Stellungskrieg. Jüngers zahlenmäßig weit unterlegener Trupp von 20 Mann kann sich gegen eine Übermacht von indischen Kämpfern auf englischer Seite behaupten.
Vergebliche deutsche Gegenwehr
Im Sommer 1917 werden die Truppenteile, denen Jünger angehört, nach Flandern verlegt. Jünger wird als Sturmtruppführer in Langemarck eingesetzt. Hier wird unter permanentem, massivem Bombardement in nahezu aussichtsloser Lage gekämpft. Viele Männer fallen durch Granateneinschlag in den Ruheräumen oder durch irrtümlichen Beschuss der eigenen Leute. Immerhin gelingt es noch, den Gegner aufzuhalten. Ein Versuch, die Engländer zurückzuwerfen, misslingt jedoch, die Wucht des Sperrfeuers ist unüberwindlich. Ohne dass Jünger zunächst davon Kenntnis bekommt, befindet sich auch sein Bruder Friedrich Georg Jünger auf dem Schlachtfeld und wird schwer verletzt. Jünger sorgt später für dessen sicheren Rücktransport. Zurück in Frankreich kommt der Befehl für den Stoßtrupp, in die gegnerischen Gräben einzudringen und Gefangene zu machen. Zwar gelingt die Eroberung der Gräben, aber die Franzosen lassen sich nicht fassen. Den Herbst verbringt Jünger in seiner zweiten Flandernschlacht, einem überwiegend eintönigen Stellungskrieg, der dennoch sehr viele Menschenleben fordert.
Kurze Erfolge
Ein Erfolg gelingt den Deutschen im November 1917 bei Cambrai in dem groß angelegten Versuch, die von den Engländern zuvor eingedrückte Front wieder zu begradigen und den Gegner in die Zange zu nehmen. Jünger und seine Kameraden stürmen in berserkerhafter Wut auf die englischen Stellungen zu und dieser Kampfesmut zahlt sich aus: 200 Engländer gehen in Gefangenschaft und nach der Eroberung ihrer Gräben bewundern die Deutschen ihre Ausstattung: Neben Waffen jeder Art im Überfluss finden sie auch Pelzwesten, Gummimäntel, Handwerkszeug, große Mengen an Dosenfleisch, Marmelade, Tee, Kaffee, Kakao, Tabak, Kognak. Im Weihnachtsurlaub, bei dem Jünger einen Riss am Hinterkopf auskuriert, wird ihm das Ritterkreuz verliehen.
Das letzte Aufbäumen
Jüngers letzte große Schlacht beginnt Ende März 1918 im französischen Artois. Die deutsche Heeresleitung hat mit einem gewaltigen Aufwand, der einer Mobilmachung gleicht, einen Schlag gegen die Engländer vorbereitet, der eine Wende im Krieg bringen soll. Der Kaiser Wilhelm II. und Hindenburg befinden sich auf dem Schlachtfeld. Am 21. März um 5:05 Uhr bricht der Feuerorkan los. Die englische Artillerie wird von dem Schlag zu Boden gestreckt, die Deutschen stürmen mit ungeheurem Kampfeswillen über das Niemandsland. Dann setzt gegnerisches Maschinengewehrfeuer ein. In einem Wahnsinnslauf überwinden die Deutschen einen Bahndamm und danach prallen die Massen der Kämpfer in wenigen Metern Abstand direkt aufeinander. Die Engländer fliehen. Ihre Unterstände bieten wiederum ein unwirkliches Bild behaglichen englischen Komforts einschließlich Grammophon und Kamin. Weil die eigene Artillerie mit höchster Feuerkraft schießt, ist den Deutschen ein weiteres Vordringen unmöglich. Sie halten auch den erbitterten Gegenangriffen der Engländer am zweiten Kampftag stand, wieder kommt es zu direktem Handgemenge und am Abend erhält Jünger einen Schuss durch die Brust. Trotz der Erfolge gerät der Angriff ins Stocken, und damit zeichnet sich für Jünger der Verlust des Krieges ab. Ab Juni 1918 nimmt der Genesene wieder an Kämpfen, auch an kühnen Vorstößen teil, doch die Überlegenheit der Engländer an Menschen und Material ist einfach zu groß. Im August erhält Jünger nochmals einen Lungendurchschuss. Im September verleiht ihm der Kaiser den Orden Pour le Mérite.
Zum Text
Aufbau und Stil
Jüngers Buch ist ein literarisch verdichteter Bericht auf der Basis seiner Tagebuchaufzeichnungen während des Ersten Weltkriegs. In Stahlgewittern beginnt mit der Ankunft an der Front im Dezember 1914 und endet mit dem Lazarettaufenthalt nach der letzten Verwundung im September 1918. Der Roman ist in 20 Kapitel eingeteilt, von denen die meisten einfach mit den Namen der Einsatz- und Gefechtsorte überschrieben sind. Der Aufbau ist im Großen und Ganzen chronologisch. Allerdings tritt die zugrunde liegende Tagebuchvorlage in den Hintergrund: Präzise Datumsangaben sind vergleichsweise selten. Jünger schildert den Krieg, wie er ihn selbst erfahren hat.
Interpretationsansätze
- Jünger schildert den Krieg als radikal subjektive Erfahrung, also nicht im Sinn eines objektiven oder gar offiziellen Geschehensberichts. Gleichwohl hält er sich an konkrete Ereignisse und Beobachtungen. Er beschreibt keine inneren Gefühlszustände und psychologisiert nicht.
- Der Krieg ist für Jünger eine existenzielle Grenzerfahrung. Sie führt zur Entdeckung des eigentlichen Selbst, seiner Möglichkeiten und Grenzen, der wahren inneren Person. Trotz seines Grauens bietet der Krieg für Jünger ungeahnte Erlebnismöglichkeiten (Heroismus, Haltung, Mut), eine gesteigerte, elementare Wirklichkeitserfahrung wie im Rausch.
- Das wesentliche Element der Grenzerfahrung ist der permanente Schatten des Todes. Von einer Sekunde auf die andere können Momente größter Heiterkeit und Gelassenheit in namenloses Grauen und höchstes Leid umschlagen.
- Unter den Bedingungen des Krieges verliert jede geistige Errungenschaft, ja das menschliche Leben selbst an Wert. Hierin liegt ein Ansatz für Jüngers heroischen Nihilismus. Er belässt es nicht beim nihilistischen Verlust von Glauben und Werten, sondern setzt an deren Stelle die männlich-kämpferischen Werte des Heroismus, um die Sinnlosigkeit des Krieges zu überwinden.
- Jünger zeigt die Ohnmacht des Menschen angesichts der Überwältigung durch das Material, durch die Kriegsmaschinerie.
Historischer Hintergrund
Der Erste Weltkrieg an der Westfront
Nach dem Attentat auf den österreichischen Thronfolger am 28. Juni 1914 in Sarajevo erklärte das Deutsche Reich, nach einer anscheinend unaufhaltsamen diplomatischen Kettenreaktion, am 3. August Frankreich den Krieg und besetzte das neutrale Belgien. Daraufhin erklärte auch Frankreichs Verbündeter Großbritannien Deutschland den Krieg. In allen beteiligten Staaten wurden die Soldaten in Volksfeststimmung verabschiedet. Man glaubte an einen kurzen Waffengang, der spätestens an Weihnachten beendet sein würde. Ab Mitte August standen sich das französische und das deutsche Heer in Nordfrankreich und Südbelgien gegenüber. Das Scheitern der ersten großen deutschen Offensive in der Marneschlacht führte in Deutschland zur Ablösung des Generals Moltke durch General von Falkenhayn. Dann versuchten beide Seiten einander im Norden zu umfassen, was zu einer Art Wettlauf Richtung Ärmelkanal führte. Schließlich erstarrte der Kampf in jenem Stellungs- und Grabenkampf, den Jünger schildert.
Jedes Jahr unternahm mal die eine, mal die andere Seite Durchbruchsoffensiven in der Champagne, im Artois oder in Flandern. Von Februar bis November 1916 versuchten die Deutschen vergeblich, Verdun zu erobern, wodurch diese Festung zum Symbol der französischen Widerstandskraft wurde. Am 1. Juli begannen die französischen und britischen Alliierten mit einem einwöchigen Artilleriebombardement die Sommeschlacht, die erste große Materialschlacht des Weltkrieges. Den Alliierten gelangen zwar Einbrüche in die deutsche Front von zehn bis zwölf Kilometern, aber einen Durchbruch schafften sie nicht. Allein diese Schlacht forderte etwa 600 000 Menschenleben auf deutscher und ebenso viele Opfer auf alliierter Seite. 1917 begradigten die Deutschen die Front an der Somme und zogen sich in die so genannte Siegfriedstellung in Südbelgien zurück. Ein englischer Angriff bei Cambrai im November 1917 war zwar zunächst erfolgreich, wurde aber durch den sofortigen deutschen Gegenangriff wieder zunichte gemacht. Durch das Ende des Krieges im Osten im Frühjahr 1918 besserte sich die Lage für das Deutsche Reich. Nun begann die deutsche Großoffensive mit riesigem Materialeinsatz im Westen die "Große Schlacht". Sie verlief zunächst erfolgreich, blieb dann aber stecken; die Franzosen führten unter General Foch die Gegenoffensive. Den Alliierten griffen nun auch Truppen aus allen Teilen des britischen Weltreiches und die Amerikaner unter die Arme. Zähem Widerstand zum Trotz mussten die Deutschen bis zum Herbst vollends nach Belgien zurückweichen. Nach massiven innenpolitischen Problemen im ausgehungerten Deutschland (Meutereien der Hochseeflotte, linksgerichtete Umsturzversuche, Abdankung des Kaisers) endeten die Kriegshandlungen mit dem Waffenstillstand am 11. November 1918.
Entstehung
Ernst Jünger hatte im Krieg von Anfang an sein Notizbuch im Marschgepäck, das er als Kriegstagebuch führte. Er war sich bewusst, dass die Kriegerlebnisse eine unwiederbringliche Daseinserfahrung darstellen würden, und wollte diese möglichst genau festhalten. Er selbst verglich dies später mit Formen naturwissenschaftlichen Beobachtens: Auch der Umgang mit Mikroskop und Fernrohr erschließe dem Menschen Erkenntnisse jenseits der üblichen Wahrnehmungsmöglichkeiten. Bereits während des Krieges begann Jünger mit der Umarbeitung seiner Notizen mit dem Ziel einer stärker erzählerischen bzw. szenischen Verdichtung. Insgesamt hat In Stahlgewittern fünf Umarbeitungen erfahren, auch noch nach dem erstmaligen Erscheinen 1920 für weitere Ausgaben in den 20er und 30er Jahren.
Wirkungsgeschichte
In Stahlgewittern war die erste Buchveröffentlichung des damals 25-jährigen Ernst Jünger und sie ist bis heute eine seiner bekanntesten geblieben. Das Werk hat seinen Autor sofort berühmt gemacht. Es war ein echter Bestseller, der allein bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs in rund 20 Auflagen erschien. Insgesamt wurden sechsstellige Auflagenhöhen erreicht. Bei der vom Ersten Weltkrieg geprägten Generation stieß das Buch auf großes Interesse. Den darin zu findenden existenziellen Heroismus glaubten viele als Bestätigung ihres eigenen ideologischen Kriegsmystizismus lesen zu können. Die Nationalsozialisten suchten dementsprechend Jünger bis in die 30er Jahre hinein für sich zu vereinnahmen, wogegen sich der Autor aber wehrte. Jünger ließ das Thema Krieg noch für eine ganze Weile nicht los, was sich an Werken wie Der Kampf als inneres Erlebnis (1922), Sturm (1923) oder Feuer und Blut (1925) ablesen lässt.
Nachdem Ernst Jünger und sein Werk In Stahlgewittern von allen bedeutenden Schriftstellern jener Zeit beachtet wurden, schieden sich im Nachkriegsdeutschland an dem Autor die Geister. Der Schriftsteller Alfred Andersch verteidigte ihn vehement, aber die kulturelle Linke der BRD lehnte ihn als angeblichen Kriegsverherrlicher ab. Theodor W. Adorno nannte ihn einen "ekelhaften Kerl, der meine Träume träumt", und der einflussreiche Kritiker Fritz J. Raddatz beurteilte Jüngers Stil als "Herrenreiterprosa". Breitere Zustimmung und Anerkennung fand Jüngers Werk im Ausland, vor allem in Frankreich.
Über den Autor
Ernst Jünger wird am 29. März 1895 in Heidelberg als Sohn eines promovierten Chemikers geboren. Einer seiner Brüder ist der ebenfalls bekannte Schriftsteller Friedrich Georg Jünger. Seine Kindheit verbringt Jünger vor allem in Hannover. Noch als Gymnasiast geht er zur Fremdenlegion nach Nordafrika, wird aber vom Vater zurückgeholt. Nach dem Notabitur 1914 meldet er sich als Kriegsfreiwilliger und erhält im Ersten Weltkrieg höchste militärische Auszeichnungen als Soldat. Seine Kriegserlebnisse verarbeitet er in mehreren Werken, darunter In Stahlgewittern (1920), das ihn sogleich berühmt macht. Nach dem Krieg dient er bis 1923 in der Reichswehr und studiert danach Zoologie und Philosophie, bricht seine Studien aber ab, um sich ganz dem Schreiben zu widmen. Nach anfänglichen Sympathien hält er sich von den Nationalsozialisten fern und lehnt sowohl einen ihm von der NSDAP angebotenen Sitz im Reichstag als auch die Aufnahme in die Dichterakademie ab. 1939 erscheint seine Erzählung Auf den Marmorklippen, in der das Regime eines brutalen „Oberförsters“ beschrieben wird. Im gleichen Jahr wird Jünger zur Wehrmacht eingezogen und leistet als Hauptmann Dienst in Frankreich, vor allem in Paris. 1944 wird Jünger, der einigen der Attentäter vom 20. Juli nahesteht, wegen kritischer Äußerungen aus der Wehrmacht entlassen. Weil er sich weigert, den Entnazifizierungsbogen der Siegermächte auszufüllen, wird er nach dem Krieg zunächst mit Publikationsverbot belegt. Anfang der 50er Jahre zieht Jünger nach Wilflingen in Baden-Württemberg, wo er bis zu seinem Lebensende wohnt. Jünger erhält u. a. den Goethepreis und das Bundesverdienstkreuz. Er wird in Frankreich sehr geschätzt, der französische Präsident Mitterand besucht ihn sogar in Wilflingen. Neben seiner Arbeit als Schriftsteller betätigt er sich auch als angesehener Insektenforscher. Sein tagebuchartiges Werk Siebzig verweht erscheint in fünf Teilen von 1980 bis 1997. Jünger stirbt kurz vor seinem 103. Geburtstag am 17. Februar 1998. Erst nach seinem Tod wird bekannt, dass er 1996 zum Katholizismus konvertierte.
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