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Joseph und seine Brüder

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Joseph und seine Brüder

Die Geschichten Jaakobs. Der junge Joseph. Joseph in Ägypten. Joseph, der Ernährer

Fischer Tb,

15 Minuten Lesezeit
12 Take-aways
Text verfügbar

Was ist drin?

Die biblische Geschichte von Joseph in Ägypten – eigenwillig nacherzählt von Thomas Mann.


Literatur­klassiker

  • Roman
  • Moderne

Worum es geht

Biblische Legende in neuem Gewand

Die Josephslegende, die Thomas Manns Roman zugrunde liegt, stammt aus altorientalischen Quellen, u. a. dem Koran (12. Sure) und der Bibel (Genesis). Es ist die Geschichte des spät geborenen Joseph, Liebling seines Vaters Jaakob, der von seinen neidischen Brüdern an einen arabischen Händler verkauft wird, als Sklave nach Ägypten kommt und dort bald hohe Ämter innehat. Als ihn die Frau seines Herrn verführen will, widersteht Joseph und bezahlt dies mit Gefängnis. Sein Genie kommt ihm jedoch zu Hilfe: Er kann die Träume des Pharaos deuten und erhält dafür das höchste Amt im ägyptischen Staatsdienst. Joseph versöhnt sich mit seinen Brüdern und lässt sie – also im Grunde das künftige Volk Israel – mit dem hochbetagten Vater nachkommen. Thomas Mann verwandelt die Legende in einen modernen Roman, d. h. die Personen handeln nicht schicksalsgetrieben, sondern aus persönlichen Motiven, die Figuren sind psychologisch fein gezeichnet, und der Autor erzählt mit sehr viel Ironie. Damit wird Joseph und seine Brüder zum virtuosen Manifest gegen den primitiven Mythenwahn der Faschisten. Der Roman steht bis heute im Schatten anderer Werke Thomas Manns – was einen keinesfalls von der Lektüre abhalten sollte!

Take-aways

  • Der vierteilige Romanzyklus Joseph und seine Brüder erzählt die biblische Legende von Joseph in epischer Breite nach – als modernen psychologischen Roman.
  • Thomas Mann erörtert Wesen und Gestalten religiöser Urmythen, wie auch die monotheistische Gottesidee Israels.
  • Jaakob, der Stammvater Israels, bevorzugt seinen spät geborenen Sohn, den gut aussehenden, charmanten und klugen Joseph.
  • Aus Neid und Rache werfen Josephs zehn ältere Brüder ihn in einen Brunnen und verkaufen ihn als Sklaven an einen arabischen Händler.
  • Der nimmt ihn mit nach Ägypten und gibt ihn in den Haushalt des Staatsbeamten Potiphar, wo Joseph mit Geschick und Glück zum obersten Verwalter aufsteigt.
  • Nachdem sich der attraktive, aber keusche Joseph nicht mit Potiphars Frau einlassen wollte, wird er verleumdet und ins Gefängnis geworfen.
  • Drei Jahre später wird er freigelassen, weil nur er die Träume des ägyptischen Pharaos Echnaton deuten kann.
  • Echnaton macht Joseph zum Agrarminister und faktisch zum Herrn über Ägypten.
  • Joseph regiert klug und kann eine Hungersnot abwenden.
  • Später holt er seine Brüder, seinen Vater und damit das künftige Volk Israel nach Ägypten.
  • Mit Joseph und seine Brüder hat Thomas Mann ein Manifest gegen die reaktionäre Mythenhuberei des europäischen Faschismus geschrieben.
  • Der Romanzyklus steht bis heute im Schatten anderer Werke des Nobelpreisträgers.

Zusammenfassung

Die Geschichten Jaakobs

Jaakob ist ein wohlhabender hebräischer Stammesfürst. Nach langen Jahren in der Fremde wandert er mit seiner Sippe und fünfeinhalbtausend Schafen der alten Heimat Kanaan zu. Jaakob hat vier Frauen geheiratet, die ihm zwölf Söhne geboren haben. Bei der Geburt des jüngsten, Benjamin, starb vor Kurzem Jaakobs geliebte Frau Rahel. Joseph, der Zweitjüngste, ist Jaakobs Lieblingssohn. Er ist hübsch, anmutig, klug, beredt und schon im jugendlichen Alter mit Prophetie begabt. Jaakob vergöttert ihn – sehr zum Missfallen der übrigen Brüder, die nicht von Rahel abstammen und längst erwachsene Männer sind. Sie haben sehr unterschiedliche Charaktere, doch keiner hat den Geist Josephs, von dessen Ironie sie sich verspottet fühlen.

„Tief ist der Brunnen der Vergangenheit. Sollte man ihn nicht unergründlich nennen?“ (Bd. I, S. 11)

Als junger Mann ist Jaakob aus seiner Heimat geflohen, weil er sich im Zelt seines bettlägerigen, praktisch blinden Vaters Jizchak den Erstgeburtssegen erschwindelt hat – mithilfe seiner Mutter Rebekka. Rebekka meinte, dass eher der glatthäutige, intelligente, grüblerische Jaakob das Erbe seines Großvaters Abram antreten sollte als sein dumpfer, rötlich behaarter Zwillingsbruder Esau. Abrams Gottesidee bestand darin, sich nur Gott selbst, dem Allerhöchsten, zu unterwerfen, keinem weltlichen Herrscher und auch keinem Idol. Diesen Allerhöchsten nannte er El oder Ja.

„Da sah er sie zuerst, seines Herzens Schicksal, die Braut seiner Seele, um deren Augen er dienen sollte vierzehn Jahre, des Lammes Mutterschaf.“ (über Jaakob und Rahel, Bd. I, S. 223)

Rebekka fürchtete Esaus Rache. Deshalb schickte sie Jaakob sofort nach dem Segen zu ihrem Bruder Laban, der 17 Tagesreisen entfernt, nahe der Stadt Charran wohnte. Als Jaakob dort ankam, begegnete er Labans Tochter Rahel an einem Brunnen. Als Flüchtling, ohne Geld und ohne Geschenke, musste er seinem Onkel, einem schwerfälligen Schafzüchter, sieben Jahre lang als Knecht dienen, damit er um Rahel werben konnte. Mit Glück und Geschick baute sich Jaakob nach und nach ein kleines Vermögen auf, vor allem nachdem es ihm gelungen war, eine Quelle zu finden, die Laban von der teuren auswärtigen Wasserversorgung unabhängig machte. Damit begann auch Labans Aufstieg zum Reichtum, und er sann auf Wege, Jaakob noch länger an sich zu binden. Schließlich gab er ihm Rahel zur Frau, doch in der Hochzeitsnacht schob er ihm statt Rahel die ältere, unansehnliche, aber gebärfreudige Tochter Lea unter. So kamen die ersten Söhne Jaakobs zustande. Rahel dagegen blieb lange unfruchtbar – bis sie endlich unter Qualen Joseph zur Welt brachte.

„Nicht Gast bist du meinem Hause, sondern Knecht.“ (Laban zu Jaakob, Bd. I, S. 239)

Zwischen Jaakob und Labans Verwandtschaft wuchs das Misstrauen, und Jaakob fühlte sich in Charran nicht mehr sicher. Er beschloss, in die Heimat zurückzukehren, und luchste dem Schwiegervater den wichtigsten Teil von dessen Herde ab: Zwar begnügte er sich mit den wenigen gesprenkelten Schafen, wusste aber genau, dass sie viel fruchtbarer waren als die weißen.

Der junge Joseph

Jaakob siedelt nun mit seiner Sippe in einer kleinen Zeltstadt vor den Mauern Hebrons. Seine erwachsenen und verheirateten Söhne hüten, teils in der Nähe, teils einige Tagesreisen entfernt, Jaakobs Herden. Alle sind eifersüchtig auf den brillanten Joseph, den Liebling des Vaters. Der 17-Jährige wird nur selten fürs Schafehüten oder Ernten eingesetzt. Stattdessen lernt er Schreiben, Lesen, Rechnen und Mythenkunde bei Jaakobs Großknecht Eliezer, einem kundigen Gelehrten.

„Man konnte kein Bild von dem Gotte machen, denn er hatte zwar einen Körper, aber keine Gestalt; er war Feuer und Wolke.“ (über Jaakobs Gottesidee, Bd. I, S. 376)

Joseph träumt sehr viel. Seine Träume erzählt er gern dem anhänglichen kleinen Benjamin, mit dem zusammen er Ausflüge macht, beispielsweise zu einem Hain, wo die Frauen der Umgebung einen orgiastischen Adoniskult vollziehen. Dieser ist, ebenso wie die nach wie vor lebendigen Baals- und Molochkulte der Kanaaniter, eine Konkurrenzreligion zur strengen, anspruchsvollen, bildlosen Gottesidee Jaakobs. Der bedeutendste Traum Josephs ist der Himmelstraum, in dem er Stufe für Stufe in den Himmel, bis vor das Angesicht Gottes emporsteigt und von diesem ein Kleid aus strahlendem Licht erhält. Diesen Traum erzählt Joseph vorsichtigerweise nicht seinen Brüdern, wohl aber einen anderen, bei dem sie alle nach der Ernte als Garbenbündel um ihn herum angeordnet sind; er steht aufrecht in der Mitte, alle anderen neigen sich zur Erde.

„Vieles spricht jedenfalls dafür, dass der Hass der Brüder im Wesentlichen nichts anderes war als die allgemeine Verliebtheit mit verneinendem Vorzeichen.“ (Bd. II, S. 11)

Als Joseph auch noch in dem kostbaren Brautkleid seiner Mutter, das er Jaakob stibitzt, vor seinen Brüdern erscheint, ist deren Empörung groß. Als Zeichen des Protests ziehen sie mit allen Herden in das fünf Tagereisen entfernte Tal von Dotan. Nach einiger Zeit schickt Jaakob Joseph dorthin, um sie zur Heimkehr zu bewegen. Joseph kann es nicht lassen, bei seinem Auftritt abermals das provozierende kostbare Kleid überzuziehen und zu sagen, er wolle „nach dem Rechten sehen“. Die Brüder sind außer sich vor Wut. Sie reißen ihm das Gewand in Fetzen und werfen ihn splitternackt in einen versiegten Brunnen. Hier soll er verschmachten, schwören sie sich. Dem Vater wollen sie einen mit Lammblut verschmierten Fetzen des Kleides vorweisen und ihm damit suggerieren, Joseph sei unterwegs von einem wilden Tier angefallen und getötet worden.

„Sie gingen unter die Menschheit hinab und erinnerten sich ihrer Zähne, um dem Blutend-Halbohnmächtigen das Mutterkleid vom Leibe zu reißen, da ihre Hände leider noch mehr zu tun hatten.“ (über Josephs Brüder, Bd. II, S. 169)

Nach drei Tagen wird Joseph von einer zufällig vorüberziehenden arabischen Handelskarawane entdeckt. Die Händler retten ihn aus dem Brunnen und nehmen den schreibkundigen jungen Mann mit. Als sich ihre Wege mit denen von Josephs Brüdern kreuzen, verschachern die ihn gegen etwas Wertmetall an die Araber. Jaakob hält Joseph für tot. Tagelang trauert er in tiefstem Schmerz, kasteit sich, hadert mit Gott, versteigt sich sogar dazu, einen Golem nach Josephs Gestalt schaffen und ihm Leben einhauchen zu wollen. Nur mit Mühe kann ihn Eliezer zur Vernunft bringen. Jaakobs Schmerz ist so übermächtig, dass die Brüder den Unsinn ihrer Tat bald einsehen: Sie haben damit beim Vater überhaupt nichts gewonnen.

Joseph in Ägypten

Monatelang ist die arabische Karawane mit Joseph unterwegs ins Ägypterland. Dessen Einwohner, Tier- und Totenanbeter, waren Jaakob stets ein Gräuel. Joseph sieht den Luxus der damals schon uralten ägyptischen Zivilisation etwas vorurteilsfreier, ohne ihm allerdings zu verfallen. In der Hauptstadt wird er, der sich in Ägypten Usarsiph nennt, als einfacher Sklave in das Haus eines hohen Würdenträgers verkauft: Potiphar, seines Zeichens „Wedelträger zur Rechten des Pharaos“. Dessen oberster Hausverwalter
Mont-kaw erkennt bald Josephs besondere Gaben und macht ihn zu seinem engsten Vertrauten.

„Es war ihnen übel zumut, und keiner von ihnen begriff, wie sie einmal hatten denken und sich bereden können, sie würden’s gut haben, und des Vaters Herz würde ihnen gehören, wenn’s nur den Hätschelhans nicht mehr gäbe.“ (über Josephs Brüder, Bd. II, S. 264)

Der junge Kanaaniter ist in Geschäften und Wirtschaftsorganisation sehr erfolgreich. Mont-kaw schließt mit Joseph einen Bund unbedingter Loyalität, die beiden schwören einander und Potiphar absolute Treue. Joseph versteht, dass es in diesem vornehmen Haus vor allem darauf ankommt, mit schmeichlerischem Geschick und Umsicht die glänzende Fassade aufrechtzuerhalten – zum Nutzen aller. Insbesondere darf der zeugungsunfähige, passive Potiphar, dessen Ehe reine Formsache ist, niemals bloßgestellt werden. Joseph dient dem literarisch sensiblen Herrn des Hauses vor allem als Mundschenk und Vorleser.

„Gott hatte seinem Leben, das töricht gewesen war, ein Ende gemacht und ihn auferstehen lassen zu einem neuen.“ (über Joseph, Bd. III, S. 152)

Zum personalreichen Haushalt Potiphars gehören zwei Zwerge: der oberste Kammerdiener Dûdu und ein Hofnarr, der nur „Götterliebling“ bzw. Gottlieb genannt wird. Der ehrgeizige Dûdu, der das besondere Vertrauen der frustrierten Gattin Potiphars, Mut-em-enet, genießt, neidet Joseph den Aufstieg zur rechten Hand Mont-kaws. Nach sieben Jahren stirbt Mont-kaw, und Joseph wird dessen Nachfolger als oberster Hausverwalter. Nun fädelt Dûdu sehr geschickt eine Intrige ein, indem er Potiphars Frau die Augen über Joseph öffnet. Erst dadurch wird sie auf Josephs männliche Schönheit aufmerksam und verliebt sich völlig unstandesgemäß in den Knecht und Ausländer. Gottlieb wird Zeuge dieser Intrige und warnt Joseph vor den Folgen.

„Es kam die Nacht des dritten Jahres, wo Mut-em-inet, Potiphars Weib, sich in die Zunge biss, weil es sie übermächtig verlangte, ihres Ehrengemahls jungem Hausmeier das zu sagen, was sie ihm rebusweise bereits geschrieben hatte, und sie zugleich doch auch wieder aus Stolz und Scham es ihrer Zunge verwehren wollte, so zu ihm zu sprechen und dem Sklaven ihr Blut anzutragen, dass er es ihr stille.“ (Bd. III, S. 483)

Drei Jahre lang versucht Mut-em-enet Joseph mit Blicken, später mit Worten und schließlich handgreiflich zu verführen. Doch der keusche junge Mann, der, geprägt vom Glauben seines Vaters, einen Begriff von Sünde hat, verweigert sich ihr. Gedemütigt und verzweifelt bezichtigt sie Joseph schließlich in aller Öffentlichkeit, er habe sie vergewaltigen wollen. Um die Fassade seines Hauses nicht zum Einsturz zu bringen, muss Potiphar dem Wort seiner Gattin blinden Glauben schenken. Er verurteilt Joseph zu einer Gefängnisstrafe. Dem verleumderischen Dûdu, der sich bereits als Nachfolger im Hausverwalteramt gesehen hat, lässt er die Zunge abschneiden.

Joseph, der Ernährer

Joseph wird in ein Gefängnis auf einer Insel im Nildelta gebracht, wo er sich schnell mit dem Vorsteher Mai-Sachme anfreundet, einem vielseitig interessierten Mann, der sich auf der Insel langweilt. Mai-Sachme verschont Joseph von der Arbeit im Steinbruch und überträgt ihm Verwaltungsaufgaben. Zwei hochrangigen Mitgefangenen, dem Bäcker und dem Mundschenk des Pharaos, die der Teilnahme an einer Verschwörung bezichtigt werden, deutet Joseph die Träume. Diese besagen, dass der schuldige Bäcker drei Tage später hingerichtet, der unschuldige Mundschenk wieder freigelassen wird.

„Bei der Beschreibung seines Gesichts unter der runden blauen Perücke mit Königsschlange, die er heute über der Leinenkappe trug, dürfen die Jahrtausende uns nicht von dem zutreffenden Vergleich abschrecken, dass es aussah wie das eines jungen vornehmen Engländers von etwas ausgeblühtem Geschlecht (...)“ (über den Pharao, Bd. IV, S. 144)

Zwei Jahre später erinnert sich der Mundschenk an Joseph. Am Hof des neuen Pharaos Amenhotep, der sich später Echnaton nennt, kann niemand dessen Träume von sieben fetten und sieben mageren Kühen deuten. Joseph wird aus dem Gefängnis geholt und interpretiert sie zur Zufriedenheit des Pharaos als symbolische Vorwegnahme von sieben erntereichen und sieben dürren Jahren, die nun folgen werden, und als Hinweis bezüglich der Vorsorge, die der Herrscher treffen soll. Der Pharao, ein friedliebender, religiöser Schwärmer, ist begeistert von Josephs Aussagen und setzt diesen umgehend als Agrarminister ein, mit dem ehrenvollen Titel „der Ernährer“. Klug und umsichtig reorganisiert Joseph das ägyptische Reich, führt eine Boden- und Steuerreform durch, zentriert die Macht am Hof und lässt im großen Stil Vorräte anlegen.

„Rufe mich nicht an als deinen Vater am Himmel, es ist verbesserungsbedürftig: Deinen Vater im Himmel sollst du mich heißen.“ (der Pharao, Bd. IV, S. 196)

Echnaton versteht sich auch deshalb prächtig mit Joseph, weil die beiden ähnliche religiöse Vorstellungen haben: Joseph hängt am Glauben an den einen Gott seines Vaters, Echnaton will die ägyptische Vielgötterei abschaffen und nur noch Aton, die Sonne, als Gott verehren. Der Pharao verheiratet Joseph mit der vornehmen Tochter des obersten Priesters des Re. Die beiden haben zwei Söhne, Manasse und Ephraim.

„So ist kein König zu Grabe getragen worden, wie er wurde, der Feierliche, nach seines Sohnes Joseph Befehl und Veranstaltung.“ (über Jaakob, Bd. IV, S. 526)

Wegen der Hungersnot, die in den dürren Jahren in Kanaan herrscht, schickt Jaakob alle seine Söhne, mit Ausnahme Benjamins, zum Getreidekauf nach Ägypten. Sie sprechen bei Joseph vor, doch in seinem neuen Glanz erkennen sie ihn nicht. Er bleibt inkognito und lässt sie ziehen. Nach einem Jahr kommen sie erneut, um Getreide zu kaufen. Nun werden sie von Joseph beschuldigt, Spione zu sein. Er will sich nur vom Gegenteil überzeugen lassen, wenn sie den jüngsten Bruder zu ihm bringen. Einer der älteren bleibt als Geisel in Ägypten. Jaakob kann sich nur schwer von Benjamin trennen, gibt aber nach. In Ägypten werden die Brüder nun in Josephs Privathaus großzügig bewirtet. Auf der Rückreise beschuldigt man sie, einen silbernen Becher gestohlen zu haben. Erneut stehen die Brüder vor Joseph, der sich nun endlich zu erkennen gibt. Er bittet sie, nach Kanaan zu reisen und mit dem Vater und der ganzen Sippe zurückzukehren. Dank seines großen Einflusses im Land kann Joseph es arrangieren, dass Israel, der Stamm Jaakobs, im nordöstlichen Land Gosen angesiedelt wird.

Fast 90-jährig, doch immer noch rüstig, begibt sich Jaakob mit seiner gesamten Familie, den Herden und dem Hausrat auf die Reise. Er hält das gesamte Geschehen, von seinem eigenen harten Schicksal in jungen Jahren bis zu den aktuellen Ereignissen, für eine Fügung und den Willen seines Gottes, den er anzuerkennen und zu ertragen hat. So sieht es auch Joseph. Jaakob kann seinen verloren geglaubten Sohn in die Arme schließen und wird von Echnaton zu einer Audienz empfangen. Joseph, der besondere und auserwählte Sohn, hat alles erreicht, was man erreichen kann, außer dem Pharaonenthron selbst. Jaakob hält diese weltliche Karriere aber für weniger bedeutsam und versagt Joseph auf dem Sterbebett seinen Erbsegen. Diesen erhält Juda, aus dessen Nachkommenschaft Generationen später Israels erster König hervorgehen wird. Jaakob stirbt, man balsamiert seinen Leichnam nach ägyptischer Manier, und Joseph lässt ihn mit gewaltigem Gepränge in die Begräbnisstätte Hebron überführen.

Zum Text

Aufbau und Stil

Thomas Manns Romanzyklus Joseph und seine Brüder besteht aus vier unterschiedlich umfangreichen Bänden (zwischen 271 und 599 Seiten), die in je sieben „Hauptstücke“ zu wiederum mehreren Kapiteln gegliedert sind. Band I und IV werden jeweils durch ein „Vorspiel“ mit essayistischen, anspruchsvoll verfassten Betrachtungen des Autors zum Wesen des Mythos eingeleitet. Jedes Kapitel behandelt wie eine Theaterszene oder eine ruhige Filmeinstellung in einem konkreten Setting ein bestimmtes Thema mit einer überschaubaren Anzahl von Figuren. Aus diesem Szenengefüge entsteht der bilder- und figurenreiche Orientteppich dieses Romanzyklus. Die Handlung folgt hauptsächlich der biblischen Darstellung (Genesis 25–50). Der allwissende Erzähler gibt sich sehr souverän, er kommentiert sich mitunter sogar selbst oder spricht den Leser direkt an. Damit schafft er immer wieder Distanz zum Romangeschehen. Manns Sprache ist kunstvoll ausschwingend, wohlklingend und ironisch-humorvoll.

Interpretationsansätze

  • Der sprichwörtlich keusche Joseph ist die Zentralfigur des Romanzyklus. Er widersteht im entscheidenden Moment der Leidenschaft und damit dem Ungezügelten, Unzivilisierten, Dionysischen. Nach der Überwindung seiner jugendlichen Träumerphase (die man auch als Künstlerphase deuten kann) ist er der Inbegriff von Vernunft, volkswirtschaftlicher Daseinsvorsorge und streitschlichtender Lebensklugheit.
  • Politisch gesehen bedeuten die Joseph-Romane die bewusste Hinwendung Thomas Manns zum humanistisch-demokratischen Werteideal. Gleichzeitig markieren sie die Abkehr von seinen früheren nationalkonservativen und monarchistischen Gesinnungen. Einen reaktionären Amun-Oberpriester im Roman zeichnet Mann als typisch faschistischen Aufwiegler à la Mussolini, Goebbels und Hitler, die den Mythos als dumpfes Propagandaelement missbrauchten.
  • Joseph wird als Vorläufer Christi dargestellt, als Retter und Erlöser. Der Brunnen, in den ihn seine Brüder werfen, wird fast zu seinem Grab; seine Rettung nach drei Tagen gleicht der Auferstehung Jesu. Es ist dies ein Fall von so genannter Typologie, die auch in der Bibel häufig vorkommt: Personen oder Ereignisse aus dem Alten Testament werden zu solchen aus dem Neuen in Bezug gesetzt.
  • Joseph unterrichtet den Vater bewusst nicht von seinem Überleben, Jaakob hält ihn für tot. So kann man Josephs Leben in Ägypten als einen Aufenthalt in der Unterwelt sehen, zumal er dort den Totennamen Usarsiph annimmt. Der Unterweltcharakter Ägyptens wird noch verstärkt durch die Jenseitsorientierung der dortigen Kultur, ihre aus Jaakobs Sicht primitive Götter- und Götzenwelt sowie ihre Betonung der Nacktheit und Fleischeslust.
  • Mann psychologisiert den Mythos im Sinn eines modernen Romans. So macht er beispielsweise aus dem einzigen Bibelsatz „Die Frau seines Herrn warf ihr Auge auf Joseph und sprach: ‚Schlafe bei mir!‘“ ein hundertseitiges Drama einer reifen, nonnenhaft lebenden Adligen, die alle Leiden einer spät entflammten, nicht standesgemäßen Liebe durchlebt.

Historischer Hintergrund

Der altorientalische Götterhimmel

Die altorientalischen Religionen prägten Götterbilder und Jenseitsvorstellungen der nahöstlichen Völker über Jahrtausende, aber keine von ihnen hat überlebt; man kann sie nur noch in Umrissen rekonstruieren. Im Gegensatz zu den späteren Weltreligionen, die fast alle über heilige Schriften verfügen, waren die altorientalischen viel stärker durch Riten geprägt. Die unmittelbarste Kommunikation mit den Göttern war die Prophetie. Eine der ältesten religiösen Vorstellungen, die wir kennen, dreht sich um die semitische Fruchtbarkeitsgöttin Astarte/Ischtar. Sie ist die „Große Göttin“ oder „Große Mutter“, teils mit kriegerischen, teils mit erotischen Aspekten. Mit ihr verbunden ist die Vorstellung der „Heiligen Hochzeit“, der Verbindung mit dem Vegetations- und Auferstehungsgott Dumuzi/Tammuz, dem in der griechischen Mythologie Adonis entspricht. Tammuz/Adonis ist ebenfalls uralt, möglicherweise ein vergöttlichter sumerischer Herrscher. Die semitischen Wörter Adonis und Adonai (= Herr) sind eng verwandt. Adonai ist einer der in der Bibel verwendeten Namen für Gott. Auch „Baal“ ist ein Begriff, der „Herr“ oder „Meister“ bedeutet. Baalsgötter gab es als Stammes- oder Stadtgottheiten im alten Kanaan zuhauf. Sie hatten meist noch einen Beinamen nach der zugehörigen Stadt oder Region, denn sie waren Lokalgötter, hervorgegangen aus einem an einen bestimmten Ort gebundenen Kult. Der heute noch berühmteste ist Baal-Zebub (= Herr der Fliegen), später zu „Beelzebub“ mutiert. Die Baale waren Konkurrenzgötter des israelischen Jahwe und wurden entsprechend „verteufelt“. In Ägypten gab es zahllose Götter, die in mannigfaltigen Tier- und Menschengestalten erschienen und ebenfalls alle aus kleinen Lokalkulten hervorgegangen waren. Die bedeutendste Karriere hat der menschen- und widdergestaltige Amun oder Amon gemacht. Dieser war als Wind- und Fruchtbarkeitsgott zunächst eine lokale Gottheit von Karnak und wurde nach seiner Verschmelzung mit dem älteren Sonnengott Re aus Heliopolis zum Reichsgott. Der vom Volk immer schon hochverehrte Jenseitsgott Osiris, Seelenrichter und Herrscher in der Unterwelt, ist wie Tammuz auch ein Auferstehungsgott. Eine der Astarte vergleichbare Rolle spielte in Ägypten die kuhköpfige Hathor. Die Große Mutter, der Sonnengott und der Auferstandene sind Grundmuster des Religiösen, die in vielerlei Gestalt immer wieder auftauchen.

Entstehung

Im März 1925 unternahm Thomas Mann eine Mittelmeerreise, die ihm erste Eindrücke von den Schauplätzen des Joseph-Romans lieferte. Bereits seit 1924 folgte der Autor einer Anregung Johann Wolfgang von Goethes in Dichtung und Wahrheit, die Josephslegende als Roman zu behandeln. Ab 1926 befasste sich Mann mit dem Studium zahlreicher Quellen zur Geschichte und Religionsgeschichte des alten Orients, der Juden und Ägypter, aber auch mit wichtigen Werken seiner Gegenwart, etwa mit Sigmund Freuds Schriften Die Traumdeutung und Totem und Tabu. Eine zweite Reise nach Ägypten im Jahr 1930 vertiefte die Eindrücke im Licht der gewonnenen Erkenntnisse. Die ersten beiden Teile des Romanzyklus entstanden ab 1926 in Manns Haus in München und erschienen 1933 und 1934. Wegen der Bedrohung durch die Nazis kehrte Mann im Frühjahr 1933 von einer Auslandsreise nicht mehr zurück. Sein Vermögen wurde beschlagnahmt. Mann blieb im Exil, zunächst in der Schweiz, ab 1938 in den USA. 1936 erschien der dritte Teil des Joseph-Romans, danach unterbrach Mann bis 1940 die Arbeit an der Tetralogie und schrieb Lotte in Weimar. Der vierte Teil entstand hauptsächlich in Pacific Palisades in Kalifornien und erschien 1943 in Manns Exilverlag in Stockholm. 1948 schließlich wurden alle vier Bände als Gesamtausgabe publiziert.

Wirkungsgeschichte

Im Deutschland zwischen 1933 und 1945 hatte Joseph und seine Brüder einen schweren Stand. Zwar erschienen die ersten drei Romane noch in Auflagen von – abnehmend – 25 000–5000 Exemplaren, aber das war sehr wenig angesichts der Millionenauflage der Buddenbrooks und des Zauberbergs. Von der Nazipresse, die den exilierten und 1936 ausgebürgerten Mann als „marxistisch“, „judenfreundlich“ und als „Volksschädling“ beschimpfte, war keine sinnvolle und sachliche Kritik zu erwarten.

Auch nach dem Ende der Naziherrschaft blieb die Wirkung dieses zumindest aufgrund seines Umfangs als Hauptwerk zu betrachtenden Romanzyklus hinter den Vorkriegsromanen zurück. Auch die nach dem Zweiten Weltkrieg erschienen Werke Doktor Faustus und Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull waren deutlich erfolgreicher. In der Thomas Mann grundsätzlich wohlgesinnten DDR konnte sich der Joseph-Roman wegen seines mythologisch-religiösen Themas nicht so recht durchsetzen.

In den USA wurden Parallelen zwischen Joseph, dem Ernährer, und US-Präsident Franklin D. Roosevelt gesehen, der damals im Rahmen des New Deal die Wirtschaft umkrempelte, um die Massenarbeitslosigkeit und -armut zu bekämpfen.

Über den Autor

Thomas Mann wird am 6. Juni 1875 in Lübeck geboren. Er ist der zweite Sohn einer großbürgerlichen Kaufmannsfamilie, sein älterer Bruder Heinrich wird ebenfalls Schriftsteller. Thomas hasst die Schule und verlässt das Gymnasium ohne Abitur. Nach dem Tod des Vaters zieht die Familie 1894 nach München, dort arbeitet Mann kurzfristig als Volontär bei einer Feuerversicherung. Als er mit 21 Jahren volljährig ist und aus dem Erbe des Vaters genug Geld zum Leben erhält, beschließt er, freier Schriftsteller zu werden. Er reist mit Heinrich nach Italien, arbeitet in der Redaktion der Satirezeitschrift Simplicissimus und schreibt an seinem ersten Roman Buddenbrooks, der 1901 erscheint und ihn sofort berühmt macht. Der Literaturnobelpreis, den er 1929 erhält, beruht vor allem auf diesem ersten Buch – Mann, nicht uneitel, erwartet die Auszeichnung allerdings schon 1927. Trotz seiner homoerotischen Neigungen heiratet er 1905 die reiche Jüdin Katia Pringsheim. Sie haben sechs Kinder, darunter Klaus, Erika und Golo Mann, die ebenfalls als Schriftsteller bekannt werden. Weil Thomas den Ersten Weltkrieg zunächst befürwortet, kommt es zwischen ihm und seinem Bruder Heinrich zum Bruch, der mehrere Jahre andauert. 1912 erscheint die Novelle Der Tod in Venedig, 1924 der Roman Der Zauberberg. In den 1930er Jahren gerät er ins Visier der Nationalsozialisten, gegen die er sich in öffentlichen Reden ausspricht; seine Schriften werden verboten. Nach der Machtergreifung Hitlers kehrt er von einer Vortragsreise nicht mehr nach Deutschland zurück. Zunächst leben die Manns in der Schweiz, 1938 emigrieren sie in die USA, 1944 nimmt Mann die amerikanische Staatsbürgerschaft an. 1947 erscheint Doktor Faustus, eine literarische Auseinandersetzung mit der Naziherrschaft. Nach dem Krieg besucht Thomas Mann Deutschland nur noch sporadisch; die von ihm vertretene Kollektivschuldthese verschafft ihm nicht nur Anhänger. Als die Manns 1952 nach Europa zurückkehren, gehen sie wieder in die Schweiz. Thomas Mann stirbt am 12. August 1955 in Zürich.

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