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Amerikanisches Idyll

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Amerikanisches Idyll

Hanser,

15 Minuten Lesezeit
12 Take-aways
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Was ist drin?

Die geliebte Tochter zerbombt den Lebenstraum ihres Vaters – Philip Roths Roman ist die ergreifende Schilderung eines amerikanischen Albtraums.


Literatur­klassiker

  • Roman
  • Gegenwartsliteratur

Worum es geht

Ein zerbombter Traum

Die Geschichte des Seymour Levov, genannt "der Schwede", erscheint auf den ersten Blick etwas banal: Der jüdische Starathlet und reiche Fabrikantensohn heiratet eine Schönheitskönigin, zieht in eine idyllische Gegend aufs Land und ist seiner kleinen Tochter Merry ein zärtlicher, verständnisvoller Vater. Doch Merry wächst zu einer rebellischen 16-Jährigen heran, und die Ereignisse der 60er Jahre bahnen sich mit aller Macht ihren Weg in die amerikanische Mittelschichtidylle, als Merry in der heimischen Poststelle aus Protest gegen den Vietnamkrieg eine Bombe hochgehen lässt. Die Tat ist der Beginn einer beispiellosen Seelenschau des Schweden. Der Leser kann Seymours Qualen mit durchleben, sich die sinnlosen Fragen nach dem Warum stellen und schließlich den letzten Glauben an einen Zusammenhang der Dinge verlieren. Genau darin liegt Roths Kunst: Er schlüpft mithilfe der Sprache in die Haut seiner Figuren und reißt den Leser buchstäblich mit. Am Ende vergisst man fast den Unterschied zwischen Fiktion und Realität und steht erschüttert vor den Scherben eines Lebenstraums.

Take-aways

  • Philips Roths Roman Amerikanisches Idyll ist eine moderne Version der Vertreibung aus dem Paradies.
  • Seymour Levov, wegen seines Aussehens "der Schwede" genannt, beendet 1945 als Starathlet und Idol des jüdischen Viertels in Newark die Schule.
  • Er heiratet eine irisch-katholische Schönheitskönigin und übernimmt die Handschuhfabrik seines Vaters.
  • Nach der Geburt der Tochter Merry zieht die Familie in ein uraltes Steinhaus aufs Land.
  • Merry beginnt zu stottern und wächst zu einem wütenden, aufsässigen Teenager heran.
  • 1968 lässt sie aus Protest gegen den Vietnamkrieg in der heimischen Poststelle eine Bombe hochgehen.
  • Ein Mensch kommt dabei ums Leben. Merry verschwindet für fünf Jahre im Untergrund.
  • Als der Schwede seine Tochter wiedersieht, ist sie einer Sekte beigetreten: Sie isst kaum noch und wäscht sich nicht mehr, um keinem Lebewesen wehzutun.
  • Während einer Dinnerparty löst sich der letzte Rest der mühsam zusammengehaltenen Scheinwelt der Familie in Luft auf.
  • Die Ehefrau des Schweden betrügt ihn mit dem Nachbarn. Dessen alkoholkranke Gattin sticht seinem Vater beinahe ein Auge aus.
  • Philip Roth beschreibt die Tragödie des Schweden so voller Mitgefühl, dass es beim Lesen fast schmerzt.
  • Der Roman ist der erste Teil von Roths "amerikanischer Trilogie" und wurde 1998 mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnet.

Zusammenfassung

Das Klassentreffen

Der Schriftsteller Nathan Zuckerman besucht 1995 das 45. Jahrestreffen seiner Highschool-Klasse. Alle Mitglieder sind jüdischer Herkunft, aufgewachsen im Newark der 30er und 40er Jahre. Nathan erfährt von seinem Mitschüler Jerry Levov, dass dessen Bruder Seymour an Krebs gestorben ist. Der 1,90 m große, blonde und blauäugige "Schwede", so sein Spitzname, war Nathans Jugendidol. Der Starathlet ging 1945 kurz vor Kriegsende zu den Marines und heiratete später die bildhübsche, irisch-katholische Miss New Jersey, Dawn Dwyer. Ein Angebot der Baseball-Mannschaft Giants schlug er seinem Vater Lou Levov zuliebe aus und übernahm den Familienbetrieb, eine Fabrik für Damenhandschuhe. Der Schwede war ein Jude, wie er amerikanischer nicht sein konnte. Nur ein halbes Jahr vor dem Klassentreffen hat Nathan sich mit ihm verabredet. Der Schwede hatte ihm zuvor brieflich mitgeteilt, dass er nach dem Tod seines Vaters einen Nachruf über die "Erschütterungen" schreiben wolle, die seine Familie heimgesucht hätten. Zu Nathans großer Verwunderung präsentierte er sich dann aber als glänzende Oberfläche ohne sichtbare Kratzer: Er schwärmte von den sportlichen Leistungen seiner drei Söhne aus zweiter Ehe und erzählte von einer angeblich erfolgreichen Prostataoperation. Die im Brief angesprochenen Erschütterungen erwähnte er mit keinem Wort.

„Leben heißt, die anderen misszuverstehen, sie immer und immer wieder misszuverstehen und sie dann, nach reiflicher Erwägung, noch einmal misszuverstehen. Daran merken wir, dass wir am Leben sind: Wir irren uns.“ (S. 45)

Jerry erzählt Nathan nun, dass der Schwede ihm nicht nur seine tödliche Krankheit, sondern auch die Tragödie seines Lebens verschwiegen hat: die Geschichte von der Bombe, die seine damals 16-jährige Tochter Merry 1968 aus Protest gegen den Vietnamkrieg im heimischen Postamt hochgehen ließ. Jerry meint, dass sein großer, beherrschter Bruder immer das Gesicht gewahrt habe - bis auf einmal, knapp zwei Jahren zuvor, als er während eines ausgelassenen Familienessens plötzlich aus dem Restaurant eilte und seinem Bruder unter Tränen mitteilte, dass die inzwischen über 40 Jahre alte Merry gestorben sei. Der Schwede hatte sie jahrelang im Untergrund, in den sie nach dem Bombenanschlag abgetaucht war, besucht. Jerry gibt diesem "Miststück" von Tochter die Schuld am Krebstod seines Bruders. Nathan Zuckerman lässt das Schicksal seines Kindheitsidols nicht mehr los. Er besucht die Häuser und Orte, in denen Seymour Levov und seine erste Frau gelebt haben, stöbert in alten Zeitungen und rekonstruiert die Geschichte des Schweden - so wie sie war oder wie sie hätte sein können.

Der Kuss

Vater und Tochter Levov kehren von einem Sonntagsausflug am Meer zurück. Merry ist in diesem Sommer elf Jahre alt und hängt voller Zärtlichkeit an ihrem liebevollen, stattlichen Vater. Das Mädchen ist hübsch, sportlich und hochintelligent; nur ihr notorisches Stottern bringt sie selbst und ihre Umgebung an den Rand der Verzweiflung. Als sie ihren Vater an diesem Tag stotternd, halb ernst und halb im Scherz bittet, sie wie ihre Mutter zu küssen, drückt der Schwede ihr einen langen Kuss auf den stammelnden Mund. Er ist über sich selbst erschrocken, denn bisher ist er als Einziger angemessen mit ihrer Behinderung umgegangen. Und nun dieser Kuss! Von diesem Tag an geht der Schwede körperlich auf Distanz zu seiner Tochter und bricht die natürliche Vertrautheit ab, die doch ganz und gar unschuldig war. Jahre später wird er sich fragen, ob die Katastrophe hier ihren Anfang nahm.

„Und wenn es etwas gibt, das schlimmer ist als Selbstzweifel, die einen zu früh befallen, dann sind es Selbstzweifel, die zu spät kommen.“ (Jerry, S. 80)

Merry versucht wie besessen, ihre Behinderung zu überwinden: Sie nimmt Ballettunterricht und unterzieht sich einer Sprach- und Psychotherapie. Sie führt ein Stottertagebuch und entwickelt alle möglichen Strategien. Doch es hilft nichts. In der Pubertät wächst sie zu einem 1,80 m großen, dicken und wütenden Mädchen heran. Anstatt ihr Stottern zu besiegen, benutzt sie es wie ein Maschinengewehr als Waffe gegen andere. Sie rebelliert gegen Konventionen, ihr wohlhabendes Zuhause, die Ausbeutung der Arbeiterklasse. Ein Großteil ihrer aggressiven Energie aber richtet sich gegen den Krieg in Vietnam. Der Schwede versucht alles, um sie durch sein Verhalten und seine liberalen Ansichten zu besänftigen. Als 1967 in Newark schwere Rassenunruhen ausbrechen, harrt er zusammen mit seiner schwarzen Vorarbeiterin in der Fabrik aus. Auch danach hält er noch viele Jahre in der zertrümmerten Stadt Stellung, obwohl sein Vater ihn seit langer Zeit beschwört, die Produktion ins Ausland zu verlegen. Beim alltäglichen Kräftemessen kommt der Schwede Merry entgegen: "Du willst am Wochenende allein nach New York? O. K., unter der Bedingung, dass du bei Freunden der Familie übernachtest." Aber Verständnis und Kompromisse bringen seine Tochter nur noch mehr in Rage. In der x-ten Diskussion über die Ausflüge nach New York schlägt der Schwede ihr vor, sich lieber vor Ort gegen den Vietnamkrieg zu engagieren.

Die Bombe

Seine Tochter nimmt ihn beim Wort. In der örtlichen Poststelle geht im Februar 1968 um fünf Uhr morgens eine selbst gebastelte Bombe hoch. Ein Arzt auf dem Weg zur Frühschicht, der kurz einen Brief einwerfen wollte, kommt dabei ums Leben. Nach der Explosion ist Merry verschwunden. Sie wird unter Mordanklage gestellt, doch ihre Eltern wollen nicht wahrhaben, dass sie für das Attentat verantwortlich ist. Vor allem Mutter Dawn redet sich hartnäckig ein, dass radikale Freunde aus New York ihrer Tochter die Tat angehängt haben.

„Eines Tages fing das Leben an, ihn auszulachen, und dann hat es nicht mehr aufgehört zu lachen.“ (Jerry über den Schweden, S. 86)

Vier Monate nach der Explosion taucht eine gewisse Rita Cohen, eine kleine, blässliche Person mit Afrofrisur, in der Handschuhfabrik auf. Sie gibt vor, eine Doktorarbeit über die Lederindustrie in New Jersey schreiben zu wollen, und lauscht andächtig den Ausführungen des Schweden über die Kunst, den perfekten Damenhandschuh herzustellen. Am Ende flüstert sie ihm zu, dass Merry sie geschickt habe. In den folgenden Wochen trifft er sich mehrmals heimlich mit Rita, um ihr einige angeblich von Merry gewünschte persönliche Dinge zu übergeben. Bei jeder Zusammenkunft wird Rita ausfallender: Sie beschimpft ihn als Kapitalistenschwein, das die "braunen und gelben Völker dieser Erde" ausbeute, und behauptet, dass seine Tochter ihn niemals wiedersehen wolle. Zuletzt verlangt sie 5000 $ und trifft ihn in einem Hotel. Rita liegt dick geschminkt und mit gespreizten Beinen auf dem Bett, imitiert Merrys Stottern und verlangt von ihm, sie "ordentlich durchzuficken" - danach werde er seine Tochter wiedersehen. Entsetzt läuft er aus dem Zimmer und alarmiert das FBI. Doch als die Männer das Hotel erreichen, sind Rita und das Geld verschwunden.

Fünf qualvolle Jahre

Jedes Mal, wenn in den folgenden Jahren irgendwo in Amerika eine Bombe hochgeht, wartet der Schwede darauf, seine Tochter in Handschellen im Fernsehen vorgeführt zu bekommen. Zugleich stellt er sich immer wieder die Frage nach dem Warum: Waren es die Bilder von den Selbstverbrennungen der Buddhistenmönche in Vietnam, die sie im Alter von zehn, elf Jahren so erschütterten? Oder war es doch der Kuss? Er erinnert sich an die vielen Leidenschaften seiner Tochter, die ebenso schnell aufkamen, wie sie wieder vergingen: für die katholische Kirche und Heiligenfiguren, für Audrey Hepburn und die Landjugend. Nach außen kommt das Leben des Schweden scheinbar wieder ins Lot, trotz der antisemitischen Hassbriefe und des Misstrauens der Dorfbewohner. Doch in seinem Innern brodelt es. Mit den schrecklichen Selbstvorwürfen, Ahnungen und Obsessionen bleibt er allein.

„Er hatte die schlimmste Lektion gelernt, die das Leben lehren kann - dass es sinnlos ist.“ (über den Schweden, S. 94)

Seine Frau versinkt in Depressionen und wird zweimal wegen Selbstmordgefahr in eine psychiatrische Klinik eingeliefert. Ihr erfolgreiches Viehzuchtunternehmen, mit dem sie ihrer Umwelt beweisen wollte, dass auch eine ehemalige Schönheitskönigin etwas auf dem Kasten hat, gibt sie auf. Doch dann, im fünften Jahr nach der Bombe, scheint sie sich plötzlich wieder zu fangen. Sie fliegt zu einem Starchirurgen nach Genf, um sich ihr Gesicht liften zu lassen, und kommt als neuer Mensch zurück. Sie beschließt, das 170 Jahre alte Steinhaus und die 40 Hektar Land zu verkaufen und mithilfe ihres Nachbarn, des Architekten Bill Orcutt, ein modernes, lichtdurchflutetes Haus zu bauen. Der Schwede ist davon tief getroffen, denn das kurz nach dem amerikanischen Unabhängigkeitskrieg erbaute Haus, das er nach seiner Heirat gekauft hat, bedeutet ihm sehr viel. Er hat das Gefühl, sich nur zweimal gegen seinen Vater durchgesetzt zu haben: als er eine Katholikin heiratete und als er in diese konservative, protestantische Gegend aufs Land zog. Es war die Erfüllung seines amerikanischen Traums.

Wiedersehen mit einem Geist

Der Schwede erhält zum ersten Mal seit fünf Jahren wieder ein Lebenszeichen von Rita Cohen. Sie schreibt ihm, dass Merry in einer Hunde- und Katzenklinik in Newark arbeite, dass sie, Rita, ihn immer nur auf Befehl seiner Tochter gequält habe und ihm Merry nun "übergeben" wolle. Der Schwede fährt zu der Tierklinik, die sich in einem apokalyptisch anmutenden Stadtviertel voller Industrieruinen befindet. Er erinnert sich an seine Kindheit: damals, als sein Vater noch italienische Zuschneider in Heimarbeit beschäftigte und die fertigen Handschuhe verkaufte, indem er von Haus zu Haus zog; damals, als dieses Viertel von armen, aber hoffnungsvollen, aufstrebenden Einwanderern bewohnt war. Nun gibt es hier nur noch Ödnis, Unrat und leer stehende, ausgeplünderte Gebäude.

„Und dann der Verlust der Tochter (...). Der Tochter, die ihn aus dem ersehnten amerikanischen Idyll in etwas hineinstürzt, das dessen Gegensatz und Gegner ist, in die Raserei, die Brutalität und Verzweiflung der Gegenidylle - in den typisch amerikanischen Amoklauf.“ (S. 100)

Dann das Wiedersehen: Merry rennt auf ihren Vater zu und schlingt ihm die Arme um den Hals. Sie ist bis auf die Knochen abgemagert, in Lumpen gekleidet und trägt einen alten Damenstrumpf als Schleier um den Mund. Sie ist der indischen Sekte der Jainas beigetreten, die keinem Lebewesen auch nur ein Haar krümmen. Den Schleier trägt sie, um die Mikroorganismen in der Luft zu schonen. Sie wäscht sich nicht mehr, weil Ungeziefer und Wasser ihr heilig sind, und haust in einem dunklen, vor Schmutz starrenden Zimmer auf einer verschimmelten Matratze. Eine vollkommene Jaina, so erklärt sie ihrem entsetzten Vater ohne Stottern, hungert sich freiwillig zu Tode, um keine Lebewesen mehr zu zerstören. Und ja, sie war die Bombenlegerin. In den ersten Tagen nach der Tat versteckte sie sich bei ihrer Sprachtherapeutin. Auf der Flucht wurde sie zweimal vergewaltigt und tötete bei einem Bombenanschlag in Oregon noch drei weitere Personen. Der Schwede mag das alles nicht glauben. Er zweifelt, dass dieses menschliche Wrack überhaupt seine Tochter ist, und reißt ihr den Schleier vom Mund. Von ihrem unbeschreiblichen Gestank wird ihm so übel, dass er sich übergeben muss. Er bittet sie, mit ihm zu kommen, aber sie weigert sich.

„Dieser militante Hass auf Amerika war eine Krankheit für sich. Und er liebte Amerika. Er war gern Amerikaner.“ (über den Schweden, S. 229)

Zurück in seiner Fabrik ruft der Schwede seinen Bruder Jerry in Miami an. Doch dieser seziert erbarmungslos sein Leben, anstatt ihn zu trösten: Nichts als eine Fassade sei sein Leben gewesen. Immer nachgeben, Verständnis zeigen, sich anpassen, der perfekte Amerikaner sein - genau diese Fassade habe Merry mit ihrer Bombe einreißen wollen. "Hol sie mit Gewalt aus dem Loch heraus", schreit Jerry wütend ins Telefon, "oder streich sie endgültig aus deinem Leben!" Aber der Schwede kann weder das eine noch das andere.

Vertreibung aus dem Paradies

Beim Schweden zu Hause findet ausgerechnet an diesem Abend eine Dinnerparty statt. Seine Eltern sind aus Florida zu Besuch. Lou Levov folgt seinem alten Drang, sich in das Leben anderer einzumischen und versucht, die Alkoholikerin Jessie Orcutt, die Frau des Architekten, vom Trinken abzubringen. Als der Schwede Jessies Mann Bill zur Hilfe holen will und vor die verglaste Küchentür tritt, sieht er, wie dieser seine Frau vor der Spüle umschlungen hält und sie liebkost. Ausgerechnet Bill Orcutt, über den Dawn sich vordergründig immer so verächtlich geäußert hat! Dem Schweden geht ein Licht auf: Das neue Gesicht, das neue Haus - Dawn hat erst Merry aus ihrem Leben gestrichen, und er wird als Nächster dran sein. Beim Abendessen macht sich sein Vater zum Gespött der Gäste, als er sich über den Watergate-Skandal, einen Pornofilm und den Niedergang von Moral und Anstand in Amerika ereifert.

„Wie konnte ein Kind von ihm so blind sein und das ,korrupte System' beschimpfen, das der eigenen Familie jede Möglichkeit zum Erfolg gegeben hatte?“ (über den Schweden, S. 237)

Während des Essens erhält der Schwede einen Anruf von Rita Cohen. Sie sagt, sie habe ihn bei seinem Treffen mit Merry beschattet, und beschimpft ihn, weil er ihr Merry wegnehmen wolle. Apathisch legt er auf. Er hat keine Ahnung, wem oder was er überhaupt noch glauben soll. Sheila Salzman, Merrys Sprachtherapeutin betritt das Zimmer. Nach dem Bombenanschlag war sie für wenige Monate seine erste und einzige Geliebte. Warum sie ihn nicht angerufen habe, als seine Tochter zu ihr geflüchtet sei, fragt er erbost. Weil Merry ihr als Therapeutin vertraut habe, antwortet Sheila kühl. Außerdem gibt sie zu, dass sie nur deshalb mit ihm zusammen war, um den Grund für Merrys Hass auf ihren Vater herauszufinden. Sie kehren zur Party zurück. Benommen hört der Schwede Dawn dabei zu, wie sie Sheila gegenüber in glücklichen Erinnerungen schwelgt. Die Feier gerät zur Farce. Der Schwede spürt, wie alles unter ihm wegbricht, die letzten Gewissheiten sich vor seinen Augen auflösen. Da stößt sein Vater in der Küche einen lauten Schrei aus. "Merry!", durchfährt es den Schweden. Er malt sich aus, wie sie in Lumpen gehüllt vor ihrem Opa steht, und eilt in die Küche. Auf Lou Levovs Gesicht ist Blut zu sehen. Die betrunkene Jessie hat mit der Gabel auf ihn eingestochen, nachdem er sie in seinem Bekehrungseifer wie ein kleines Kind mit Kuchen gefüttert hat. Sie hat sein Auge nur knapp verfehlt.

Zum Text

Aufbau und Stil

Amerikanisches Idyll besteht aus drei etwa gleich langen Teilen mit den an die Bibel gemahnenden Titeln "Erinnerungen an das Paradies", "Der Sündenfall" und "Das verlorene Paradies". Im ersten Teil setzt der Schriftsteller Nathan Zuckerman (der auch in anderen Roth-Romanen vorkommt) den Rahmen der Erzählung und "erträumt" sich das Leben des Schweden, so wie er es sieht. Mal wird aus Zuckermans Perspektive, mal aus der des Schweden berichtet, mal vermischen sich beide. Roth spielt virtuos mit dem Blickwinkel, indem er die Leser fast unmerklich näher an die Hauptfigur heranlässt, um sie dann wieder von ihr zu entfernen. Die Lektüre ähnelt anfangs dem eher ziellosen Blättern in einem Familienalbum: Der Betrachter beginnt völlig wahllos in der Mitte, wird langsam neugierig und wird dann immer stärker in die Geschichte hineingezogen. Schritt für Schritt kommt er der Tragödie dieser auf den ersten Blick so perfekten Familie auf die Spur. Der Autor strapaziert durch seine Technik der Rückblicke, Vorwegnahmen und erzählerischen Verzögerungen die Geduld des Lesers aufs Äußerste: So liegen z. B. 60 endlose Seiten zwischen Rita Cohens Brief über Merrys Aufenthaltsort und dem tatsächlichen Treffen zwischen Vater und Tochter. Die Dinnerparty schließlich zieht sich über den gesamten dritten Teil hin und besteht hauptsächlich aus den Erinnerungen und den immer schlimmer werdenden Wahnvorstellungen des Schweden. Roths Sprache ist so kraftvoll und authentisch, dass man als Leser die Schmerzen und Enttäuschungen der tragischen Hauptfigur fast am eigenen Leib erfährt.

Interpretationsansätze

  • Amerikanisches Idyll ist die Geschichte einer Vertreibung aus dem amerikanischen Paradies: Seymour Levov alias der Schwede - ein Inbegriff des guten Amerikaners - versucht, unter Ausschluss der Zeitgeschichte ein perfektes und geordnetes Leben unter einer Käseglocke zu führen. Seine Tochter Merry ist das genaue Gegenteil: leidenschaftlich, streitsüchtig, stotternd - das personifizierte Chaos. Ihre Bombe sprengt Seymours Käseglocke und entlarvt sein Idyll als Lebenslüge.
  • Es ist auch die Geschichte einer fehlgeschlagenen Anpassung. Der Schwede, der ein Jude ist, aber nicht wie ein Jude aussieht, bricht aus der engen jüdischen Gemeinschaft aus. Er wünscht sich nichts mehr, als das Leben eines normalen, mittelständischen, weißen Amerikaners zu führen. Ob in dieser Entfernung von seinen jüdischen Wurzeln der Grund dafür zu suchen ist, dass Seymours Leben zerbricht, lässt Roth offen.
  • Die Frage nach dem Warum bleibt unbeantwortet: Merrys liebevolles, liberales Elternhaus macht sie zwar nicht zur Terroristin, aber hindert sie auch nicht, eine zu werden.
  • Ein wiederkehrendes Motiv ist die Nostalgie angesichts der verlorenen Unschuld Amerikas. Der Autor beschwört ein Damals herauf, in dem Baseball noch nicht vom Kommerz verseucht war, harte Arbeit sichtbare Früchte trug und in der Gesellschaft ein moralischer Konsens herrschte. Roth beschreibt dieses Amerika der 30er und 40er Jahre ohne Ironie. Im Gegenteil: Er scheint den Verlust zu bedauern.
  • Lebensentwürfe scheitern, nicht nur der des Schweden: Für Lou Levov etwa geht die Sache buchstäblich fast ins Auge, als er schmerzhaft feststellen muss, dass er die Menschen nicht wie einen Damenhandschuh nach seinen Ideen modellieren kann.
  • Die Protestbewegung der privilegierten weißen Jugend führt sich selbst ad absurdum: Mit der sexuellen Demütigung greift Rita Cohen zu einem der schrecklichsten Mittel, um ihren imaginären Feind zu vernichten, und Merry tötet erst gedankenlos vier Menschen, nur um sich wenige Jahre später über das Wohlergehen von Mikroben zu sorgen.

Historischer Hintergrund

Albtraum Amerika

Gegen Ende der 60er und Anfang der 70er Jahre des 20. Jahrhunderts wuchs die Enttäuschung vieler Amerikaner über ihr Land. Der Optimismus der Nachkriegsjahre war verflogen. Vor allem die Afroamerikaner mussten feststellen, dass die Verheißung von einem besseren Leben unerfüllt blieb. In Newark (40 km von New York entfernt) kam es im Juli 1967 zu schweren Rassenunruhen, nachdem die Polizei einen schwarzen Taxifahrer brutal zusammengeschlagen hatte. Mehr als 20 Menschen starben und ganze Straßenzüge wurden schwer verwüstet. Die schlimmsten Kämpfe fanden in den ehemals jüdischen Stadtvierteln statt, die seit dem Exodus ihrer Bewohner in die Vorstädte während der 50er Jahre zunehmend von Afroamerikanern bewohnt wurden. Der Niedergang der Stadt Newark hatte zwar schon lange vor den Unruhen begonnen, aber die Ereignisse im Juli 1967 versetzten ihr den Todesstoß. Die letzten wohlhabenderen Bewohner verließen die Innenstadt, Fabriken schlossen ihre Tore.

Zur gleichen Zeit wuchs der Widerstand junger Intellektueller gegen die Eskalation des Vietnamkriegs unter Präsident Lyndon B. Johnson. Von der linken Studentenorganisation SDS (Students for a Democratic Society) spaltete sich 1969 die militante Gruppe der Weathermen ab - der Name bezieht sich auf den Songtext von Bob Dylan: "You don't need a weather man to know which way the wind blows". Die Weathermen waren der Meinung, dass gewaltlose Proteste wie Demonstrationen oder Sitzblockaden keine Wirkung zeigten, und wollten "den Krieg nach Hause tragen" ("bringing the war home"). 1970 gingen sie in den Untergrund und verübten mehrere Jahre lang Bombenanschläge gegen Regierungsgebäude. Da die Bombenleger immer per Telefon vor den Explosionen warnten, kam niemand ums Leben. Heute leben die meisten Mitglieder der Gruppe wieder als geläuterte Bürger inmitten der amerikanischen Gesellschaft.

Entstehung

Von der Idee bis zur Verwirklichung von Amerikanisches Idyll verging ein Vierteljahrhundert. In einem Interview aus dem Jahr 1998 verriet Philip Roth, dass er bereits 1972 die ersten 70 Seiten geschrieben und das Manuskript dann in einer Schublade vergraben hatte. Der Vietnamkrieg sei zu jener Zeit noch in vollem Gang gewesen und Roth habe die Distanz zum Thema gefehlt. In den folgenden Jahren nahm er das Romanfragment immer dann zur Hand, wenn er gerade ein anderes Buch abgeschlossen hatte. Aber erst 1994, nach der Vollendung von Sabbaths Theater, einem Roman über den sexbesessenen Puppenspieler Mickey Sabbath, fand Roth den Schlüssel: Er lag in den gegensätzlichen Persönlichkeiten der Hauptfiguren beider Bücher. Die zwei Protagonisten könnten sich Roth zufolge "nicht im selben Raum aufhalten, ohne sich an die Gurgel zu gehen". Der Schwede habe es ihm ermöglicht, aus einer völlig anderen Lebenserfahrung heraus zu schreiben als beim vorherigen Buch.

Der Schauplatz des Romans ist direkt aus seinem Leben gegriffen: Die Handlung spielt zu einem großen Teil in der jüdischen Wohngegend Newarks, in der Roth selbst aufwuchs. Die Figur des Nathan Zuckerman gilt als schriftstellerisches Alter Ego des Autors. Außerdem hat Roth selbst die 60er Jahre als engagierter Gegner des Vietnamkriegs erlebt. Er nannte es das "Jahrzehnt der Entmythologisierung", in dem alles scheinbar Dauerhafte in Amerika zerbrochen sei. Dennoch wehrte er sich heftig gegen jede Art von autobiografischer Interpretation. Auf die Frage, wo der wirkliche Roth aufhöre und die Literatur beginne, antwortete er in einem Interview 2005 gereizt: "Am I Philip Roth or Zuckerman? It's all me. Nothing is me."

Wirkungsgeschichte

Amerikanisches Idyll erschien 1997 und wurde 1998 mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnet. Die Kritik feierte das Buch überwiegend als großen Wurf: "Nie hat Roth einen überzeugenderen Roman geschrieben", jubelte das Time Magazine. Viele Rezensenten lobten die ungewohnte Menschlichkeit, die der Autor in seine Figuren gelegt habe, ganz im Gegensatz zu den oft karikaturhaft verzerrten Psychopathen früherer Romane. Einigen Kritikern war die Geschichte allerdings zu zähflüssig: "Dieser Roman ist wohl nur deshalb so lang geraten", schrieb das Feuilleton der FAZ, "weil seine Figuren so viel Zeit brauchen, bis sie endlich zur Einsicht kommen. Sie dabei zu beobachten, ist nicht immer aufregend."

Auf Amerikanisches Idyll folgten 1998 Mein Mann, der Kommunist, eine Auseinandersetzung mit der McCarthy-Ära, und 2000 Der menschliche Makel, der vor dem Hintergrund der Clinton-Lewinsky-Affäre spielt. Zusammen bilden die drei Romane Roths "amerikanische Trilogie", da sie sich vor allem mit den Wechselwirkungen zwischen der amerikanischen Nachkriegsgeschichte und dem Leben einfacher Menschen beschäftigen. Philip Roth gilt heute als einer der wichtigsten Autoren der Gegenwart. Sein Werk wird zurzeit von der Library of America als Gesamtausgabe veröffentlicht - eine Ehre, die nur wenigen Autoren zu Lebzeiten zuteil wird. Er wurde mehrfach ausgezeichnet und ist seit Jahren als Kandidat für den Literaturnobelpreis im Gespräch.

Über den Autor

Philip Roth wird am 19. März 1933 in Newark, New Jersey, als Sohn jüdischer Eltern geboren. Er studiert englische Literatur, macht 1955 in Chicago seinen Master of Arts und unterrichtet nach seinem Militärdienst Anglistik, zunächst an der University of Chicago, später auch in Princeton. Das akademische Leben auf dem Campus, seine zwischenmenschlichen Erlebnisse in der Paarbeziehung, vor allem aber erotische Erfahrungen sind die Quellen seiner literarischen Schaffenskraft. Roth heiratet 1959 Margaret Martinson, die Ehe hält bis 1963. Im Jahr der Eheschließung erscheint sein Debütroman Goodbye, Columbus. Dafür gibt es erstes Lob aus dem Literaturbetrieb: den renommierten National Book Award. Mit seinem Roman Portnoy's Complaint (Portnoys Beschwerden) von 1969 hilft Roth dank detaillierter Beschreibungen autoerotischer Sexualpraktiken der teils schockierten, teils erleichterten amerikanischen Lesergesellschaft über ihre anerzogenen sexuellen Verklemmungen hinweg. Roth lebt für einige Zeit mit der britischen Schauspielerin Claire Bloom zusammen. Vier Jahre nach der Heirat 1990 lässt sich das Paar wieder scheiden; Bloom veröffentlicht in der Folge ihre Memoiren, in denen sie mit Roth abrechnet. Seine mehr als 20 Bücher bringen Philip Roth im Lauf der Jahre nicht nur zahlreiche Literaturpreise ein (u. a. den PEN/Faulkner Award und den Pulitzerpreis), sondern auch den Ruf des "sex maniac" der amerikanischen Gegenwartsliteratur. Auch die Romane Sabbath's Theater (Sabbaths Theater, 1995) und The Dying Animal (Das sterbende Tier, 2001) erregen diesbezüglich die Gemüter. Sehr bekannt ist außerdem Roths "amerikanische Trilogie", zu der American Pastoral (Amerikanisches Idyll, 1997), I Married a Communist (Mein Mann, der Kommunist, 1998) und The Human Stain (Der menschliche Makel, 2000) gehören.

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