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Amphitryon

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Amphitryon

Suhrkamp,

15 Minuten Lesezeit
10 Take-aways
Text verfügbar

Was ist drin?

Wer bin ich? Heiter-düsteres Bewusstseinsraten mit Heinrich von Kleist.


Literatur­klassiker

  • Drama
  • Weimarer Klassik

Worum es geht

Riss in der Identität

Für das schlichte Gemüt des Dieners Sosias ist die Sache mit der Identität am Anfang des Amphitryon so klar wie nur irgendetwas. Er weiß: Ich bin ich. Und wenn er für diese Behauptung Prügel bezieht, schleudert er seinem Peiniger entgegen: „Dein Stock kann machen, dass ich nicht mehr bin. Doch nicht, dass ich nicht Ich bin, weil ich bin.“ Nur: Was passiert, wenn sonst niemand erkennt, wer man zu sein glaubt? Sosias’ Herr, Amphitryon, und dessen Frau Alkmene machen die schmerzliche Erfahrung, dass manchmal aus heiterem Himmel nichts mehr so ist, wie es scheint. Während Heinrich von Kleist dies schrieb, machte er gerade eine Beamtenausbildung und wünschte sich nichts sehnlicher, als von der Gesellschaft als Dichter anerkannt zu werden. Stattdessen lag er die halbe Zeit mit Blähungen und Magenschmerzen im Bett und musste sich von dem rüstigen alten Goethe als Hypochonder verspotten lassen. Kleist ahnte früher als andere, dass niemand zwischen Schein und Sein zu unterscheiden vermag. Seine Zeitgenossen waren von dieser Botschaft heillos überfordert. Und wer will es ihnen verdenken? Selbst heute ist das Thema für viele ziemlich starker Tobak. In Amphitryon schafft es Kleist, den Riss in der menschlichen Identität aufs Tragischste und zugleich aufs Komischste darzustellen.

Take-aways

  • Kleists Amphitryon ist eines der rätselhaftesten Dramen der deutschen Literatur.
  • Inhalt: Der Gott Jupiter verführt die irdische Alkmene in Gestalt ihres Gatten Amphitryon. Als der Gehörnte von einem siegreichen Feldzug zurückkehrt, versucht er vergeblich, seine Echtheit zu beweisen. Am Ende gibt sich Jupiter zu erkennen und entschädigt Amphitryon mit dem Versprechen, dass seine Frau ihm den Gottessohn Herkules schenken werde.
  • Das Stück behandelt das Thema der Identitätskrise und der Nichterkennbarkeit der Wahrheit.
  • Zur Entstehungszeit 1806 lag Kleists preußische Heimat nach der verlorenen Schlacht gegen Napoleon am Boden.
  • Er selbst machte gerade eine ihm verhasste Ausbildung zum Finanzbeamten und war häufig krank.
  • Geplant war Amphitryon zunächst als Übersetzung von Molières gleichnamiger Komödie aus dem Jahr 1668.
  • Doch schon bald floss Kleists eigene Identitätskrise und seine Verzweiflung an der Unmöglichkeit objektiver Erkenntnis in das Werk ein.
  • Seine Zeitgenossen zeigten sich befremdet darüber, was Kleist aus dem antiken Mythos gemacht hatte.
  • Kafka hingegen sah in Kleist einen „Blutsverwandten“, und Thomas Mann hielt das „Kleistische“ für den Inbegriff der Moderne.
  • Zitat: „Was du, in mir, dir selbst getan, wird dir / Bei mir, dem, was ich ewig bin, nicht schaden.“

Zusammenfassung

Wer bin ich?

Der Diener Sosias stolpert verdrießlich mit einer Laterne durch die Nacht. Sein Meister, der Feldherr Amphitryon, hat ihn nach Theben vorausgeschickt, um Alkmene, Amphitryons Gemahlin, den ruhmreichen Sieg über die Athener anzukündigen. Als Sosias das Schloss von Weitem erblickt, übt er schon einmal seine Rolle als froher Botschafter ein und deklamiert die Heldentaten seines Herrn. Er sieht nicht, dass jemand aus dem Palast tritt, der ihm bis aufs Haar gleicht: Es ist der Götterbote Merkur. Merkurs Gebieter Jupiter hat sich in Amphitryon verwandelt und ist gerade dabei, die schöne Alkmene zu verführen. Merkur weiß, dass Jupiter nicht gestört werden möchte. Also stellt er sich Sosias in den Weg und fragt, wer er sei. „Ich“, antwortet der Diener. Doch Merkur bläut ihm mit Gewalt ein, dass er nichts anderes sei als ein herbeigelaufener Landstreicher und er, Merkur, sei der echte Sosias. Der Diener versteht die Welt nicht mehr: Warum will dieser Kerl ihm, einem armen Tropf, den Namen stehlen? Merkur belegt die Behauptung über seine Identität mit Details über Sosias’ Kleinmut und Feigheit, über die eigentlich nur dieser selbst Bescheid wissen kann. Merkur weiß sogar von dem goldenen Diadem, das Amphitryon seinem im Kampf getöteten Gegner Labdakus abgenommen hat und in das er seinen Namen hat eingravieren lassen. Sosias gibt sich geschlagen und verspricht, nicht mehr er selbst zu sein, solange sein Gegenüber darauf besteht. Als er sich dem Haus nähern will, schlägt Merkur ihn. Der Diener trollt sich.

Geliebter oder Gemahl?

Nun treten Jupiter als Amphitryon und Alkmene aus dem Haus. Sie ahnt offenbar nichts von der Maskerade und reagiert befremdet, als Jupiter von ihr verlangt, zwischen Geliebtem und Gemahl zu unterscheiden. Ihre Tugend verbietet ihr, auch nur daran zu denken. Aber der Gott lässt nicht locker. Der Gedanke, sie könnte ihn nur aus ehelichem Pflichtgefühl empfangen haben, schmerzt ihn. Er möchte um seiner selbst willen leidenschaftlich geliebt werden – sie hingegen sieht niemand anderen als ihren Gatten in ihm. Als er, wie es scheint, zu seinen Soldaten zurückkehrt, beklagt sie die kurze Nacht. Auch hier erliegt sie einer Täuschung: Tatsächlich hat die Göttin der Morgenröte dafür gesorgt, dass die Liebesnacht ganze 17 Stunden gedauert hat.

„Halt dort! Wer geht dort? – Ich. – Was für ein Ich? – Meins mit Verlaub.“ (Merkur und Sosias, S. 17 f.)

Sosias’ Frau Charis hat die Zärtlichkeiten zwischen den beiden beobachtet und bedauert, selbst mit einem Klotz verheiratet zu sein. Dann kommt Merkur in Gestalt ihres Ehemannes daher und beschimpft sie zu allem Überfluss als zänkisches, verblühtes Frauenzimmer. Charis ist außer sich und versucht, mit ihrer ehelichen Treue aufzutrumpfen. Doch Merkur winkt ab: Wenn sie unbedingt fremdgehen wolle, solle sie ruhig. Solange sie ihm damit nicht in den Ohren liege, könne sie tun, was sie wolle.

Der Gehörnte schlägt zurück

Sosias ist inzwischen dem echten Amphitryon entgegengeeilt und berichtet diesem vom Doppelgänger des Dieners. Sein Herr reagiert ungehalten und glaubt ihm nicht. Er fragt, was Sosias denn daran gehindert habe, seinen Auftrag auszuführen und Alkmene Bericht zu erstatten. Der Diener antwortet unverdrossen, es sei Sosias selbst gewesen. Nun treten Alkmene und Charis aus dem Palast. Alkmene, die sich vermeintlich ja gerade von Amphitryon verabschiedet hat, wundert sich darüber, dass ihr Gemahl schon wieder zurück ist. Nun geht es Schlag auf Schlag: Amphitryon beklagt sich über den kühlen Empfang, und Alkmene fühlt sich zu Unrecht angegriffen, erst recht nach dieser göttlichen Nacht. Zum Beweis zeigt sie ihm das Diadem des Labdakus, das Jupiter ihr überreicht hat. Amphitryon will das natürlich nicht gelten lassen und lässt Sosias das versiegelte Kästchen öffnen, in dem sich seiner Ansicht nach das Schmuckstück befindet. Und tatsächlich: Es ist leer! Nun ändert der gehörnte Ehemann seine Taktik. Er gesteht, etwas verwirrt zu sein, und fordert seine Ehefrau auf, ihm ausführlich von der Liebesnacht zu berichten. Arglos erzählt sie es ihm: Sie habe beim Spinnen gesessen, als er überraschend aufgetaucht sei. Nach der Plauderei über den Krieg habe er ihr den Schmuck geschenkt. Und vom Abendessen hätten sie beide in Erwartung der Liebesfreuden kaum einen Bissen angerührt. Amphitryon kocht vor Wut und Eifersucht. Er verflucht die entgeisterte Alkmene dafür, den echten Gatten nicht vom falschen unterscheiden zu können. Sie wiederum verdächtigt ihn der Untreue und wirft ihm vor, er wolle sie loswerden. Amphitryon droht damit, die Feldherren als Zeugen anzurufen und so den Betrug aufzudecken.

Ein J für ein A vorgemacht

Charis und Sosias bleiben allein zurück. Sosias will nach dieser Szene nun auch seiner Frau auf den Zahn fühlen – und wird prompt von ihr angeschnauzt. Charis kratzt ihm fast die Augen aus, so sehr hat der Doppelgänger ihres Mannes sie verletzt. Ebenso wie sein Herr wendet nun Sosias eine List an und bittet sie, von der vorherigen Begegnung zu erzählen; er selbst sei zu betrunken gewesen, um sich zu erinnern. Als Charis bei der Aufforderung Merkurs zum Fremdgehen anlangt, fällt er aus seiner Rolle. Ein Esel sei das gewesen, ruft Sosias, nicht er selbst. Alkmene unterbricht derweil den Streit, das Diadem in den Händen. Ob hier nicht ein A wie Amphitryon eingraviert sei, möchte sie von Charis wissen. Keinesfalls, antwortet diese verwundert, das sei eindeutig ein J – und bestätigt damit Alkmenes schlimmste Befürchtung. Nun macht sie sich Vorwürfe: Stimmt es nicht, dass Amphitryon ihr schöner vorgekommen ist als jemals zuvor? Und warum haben seine ständigen Unterscheidungen zwischen Gatte und Geliebtem sie nicht misstrauisch gemacht?

Oh Gott!

Da tritt Jupiter auf sie zu. Alkmene, im Glauben, Amphitryon gegenüberzustehen, wirft sich ihm vor die Füße. Jupiter beruhigt sie und bestätigt, er selbst habe ihr das Kleinod überreicht. Der Gott zieht sämtliche Register, um ihr die Reue über die gemeinsame Nacht auszureden: War nicht der Betrüger selbst der Betrogene? Hat sie nicht fest daran geglaubt, Amphitryon in den Armen zu halten? Als das nicht fruchtet, offenbart er ihr, dass Jupiter selbst ihr beigewohnt habe. Nun ist sie erst recht empört: Wie könne er es wagen, den Gottvater des Ehebruchs zu bezichtigen? Wie behaupten, dass sie, die unwürdige Sünderin, von Gott selbst besucht worden sei? Allmählich wird Jupiter ungeduldig. Ihre Tugendhaftigkeit ist ihm lästig. Erst als er ihr in der Rolle Amphitryons vergibt und den Götterbesuch gutheißt, ergattert er einen Kuss von ihr. Sie scheint besänftigt.

„So öffne mir dein Inn’res denn, und sprich, / Ob den Gemahl du heut, dem du verlobt bist, / Ob den Geliebten du empfangen hast?“ (Jupiter zu Alkmene, S. 29)

Nun fängt jedoch Jupiter an, seine Geliebte zu maßregeln. Er zweifelt an ihrer Gottesfurcht und wirft ihr vor, Amphitryon wie einen Götzen zu verehren. Jupiter sei gezwungen gewesen, ihr als Mensch zu erscheinen, weil sie ihn als Gott nicht gebührend geehrt habe. In Zukunft, so schließt er milde, solle sie am Altar zu Jupiter beten und ihn nicht mit ihrem Gatten verwechseln. Alkmene verspricht ihm das gerne, aber sie besteht darauf, die Ehrfurcht vor Gott und die Liebe zum Gatten strikt voneinander zu trennen. Am liebsten würde sie das Geschehene ungeschehen machen. Damit enttäuscht sie Jupiter, der sich nach echter Frauenliebe sehnt. Noch einmal stellt er sie auf die Probe: Was, wenn sie jetzt, in diesem Moment, den Gott in Gestalt ihres Gatten in den Armen hielte? Alkmene bleibt dabei: Jedem das seine, Ehrfurcht für den Gott und Liebe für den Gatten. Und wenn jetzt der Ehemann auftreten und sie mit dem Gott erwischen würde, dann würde sie wünschen, es sei umgekehrt. Jupiter gibt sich damit zufrieden. Alles wird gut, verspricht er ihr und trägt Sosias auf, im Lager ein großes Festmahl zu organisieren.

„Ist diese Hand mein? Diese Brust hier mein? / Gehört das Bild mir, das der Spiegel strahlt?“ (Alkmene, S. 53)

Im Gegensatz zu Alkmene gefällt sich Charis in der Vorstellung, dass sie es am Morgen nicht mit ihrem Mann, sondern mit einem waschechten Gott zu tun hatte. Sie stellt Sosias auf die Probe, um herauszufinden, um wen es sich tatsächlich handelt. Als dieser die Verbindung zwischen Jupiter und Alkmene mit derjenigen zwischen einem Pferd und einem Esel vergleicht, ahnt sie, dass der echte Sosias vor ihr steht. Doch sie gibt die Hoffnung nicht auf und versucht sich bei ihm einzuschmeicheln, weil sie die Gunst der Götter gewinnen möchte. Die freundliche Maske fällt jedoch von ihr ab, nachdem Sosias ihr versichert, bestimmt kein Gott zu sein. Dann werde er heute vergeblich auf seine Bratwurst warten, faucht sie ihn an.

Es kann nur einen Amphitryon geben

Amphitryon ist vom Lager zurückgekehrt. Er erträgt es nicht mehr, vor seinen Feldherren Theater zu spielen und den glücklichen Sieger zu markieren. Tatsächlich rast er vor Eifersucht. Und doch traut er Alkmene keine absichtliche Täuschung zu. Vielmehr hält er sie für verrückt und nimmt sich vor, sie ärztlich untersuchen zu lassen. Sein Haus findet er verriegelt vor: Merkur, von der Posse mit der tumben Charis gelangweilt, hat sich ihn als neues Opfer auserkoren. Um den eifersüchtigen Amphitryon zur Weißglut zu bringen, spricht er durch die Tür mit der Stimme Sosias’: „Wer klopft?“ – „Ich“, antwortet Amphitryon in der Erwartung, von seinem Diener erkannt zu werden. Doch Merkur lacht ihn aus und verspottet ihn als besoffenen Gauner. Der echte Amphitryon sei in seinem Haus bei seiner liebenden Gemahlin. Und er da draußen solle verschwinden, sonst könne er sich auf etwas gefasst machen. Amphitryon fühlt sich wie lebendig begraben.

„Was du gesehn, gefühlt, gedacht, empfunden, / War ich: wer wäre außer mir, Geliebte?“ (Jupiter zu Alkmene, S. 57)

Da erscheint Sosias mit einer Gruppe von Feldherren. In Mordlust stürzt Amphitryon sich auf den vermeintlich untreuen Diener. Im letzten Moment wird er von den Soldaten zurückgehalten. Sie bestätigen, dass Sosias die ihm vorgeworfenen Verfehlungen nicht begangen haben könne, da er im Lager gewesen sei und sie zum Festschmaus eingeladen habe. Wer ihm das befohlen habe, fragt sein Herr. Na, Amphitryon selbst, antwortet Sosias verwirrt. Entschlossen tritt Amphitryon auf sein Haus zu und klopft. Jupiter öffnet die Tür. Zwei Amphitryons stehen sich gegenüber! Schon greift der gehörnte Ehemann zu seinem Degen. Wieder halten ihn seine Feldherren zurück. In ihren Augen sehen die beiden Widersacher identisch aus – sie fordern sie auf, ihre Echtheit zu beweisen. Jupiter stimmt zu. Er möchte ganz Theben zeigen, dass ihn keine Schuld treffe, und lädt die Feldherren ein, beim Festschmaus kräftig zuzulangen. Amphitryon schimpft sie Verräter. Er kündigt an, mit echten Freunden zurückzukehren und den Doppelgänger zu töten.

Deus ex Machina

Erleichtert fällt der ausgehungerte Sosias auf einen Stuhl, um sich endlich den Bauch vollzuschlagen. Doch schon ist sein Doppelgänger Merkur zur Stelle. Sosias appelliert an dessen Mitleid, will mit ihm auf die Zwillingsbruderschaft trinken und bietet schließlich an, nur als Merkurs Schatten zu existieren. Es hilft alles nichts. Sein Ebenbild vertreibt ihn unter der Androhung weiterer Schläge aus dem Haus und reibt ihm unter die Nase, dass Charis frische Würste mit Kohl für ihn, den „echten Sosias“, zubereite. Fluchend macht sich Sosias davon. Amphitryon hat inzwischen seine Freunde sowie das Thebaner Volk um sich versammelt und schwört sie auf den entscheidenden Kampf ein. Um Verwechslungen vorzubeugen, knickt er die Feder auf seinem Helm ein. Sosias eilt herbei und wirft sich vor ihm auf den Boden: Amphitryon solle ihn schlagen und ohrfeigen, aber die Begegnung mit seinem grausamen Doppelgänger habe ihm endgültig gezeigt, wer sein wahrer Herr sei.

„Und könnt’ ich einen Tag zurücke leben, / Und mich vor allen Göttern und Heroen / in meine Klause riegelfest verschließen, / So willigt’ ich (...) von ganzem Herzen ein. – Verflucht der Wahn, der mich hieher gelockt!“ (Alkmene und Jupiter. S. 64)

Die Gruppe macht sich bereit, den Palast zu erstürmen, als Jupiter mit Alkmene, Merkur, Charis und den Feldherren heraustritt. Sogleich stürzt sich Amphitryon auf seinen Widersacher – fällt aber ohnmächtig in Sosias Arme. Seine Freunde schauen von einem Amphitryon zum anderen und beginnen zu zweifeln. Nicht der eingeknickte Federbusch sei ein wahrhaftiges Zeichen, ruft einer, sondern die Liebe der Gattin. Nun erwacht Amphitryon wieder und beschwört süße Erinnerungen an zärtliche Momente herauf. Er fleht Alkmene an, den Richtigen zu wählen. Alle Augen richten sich auf sie. Sie zögert – und zeigt dann auf Jupiter, den Gott an ihrer Seite. Den Menschen Amphitryon verdammt sie als trügerisches Ungeheuer. Zufrieden preist Jupiter Alkmene und verspricht ihr einen großen Triumph. Dann wendet er sich dem unglücklichen Amphitryon zu: Ob dieser nun endlich einsehe, dass er, Jupiter, der wahre Amphitryon sei? Der Angesprochene stockt. Dann erklärt er, dass sein Doppelgänger in Alkmenes Augen ohne Zweifel der echte Amphitryon sei. In diesem Moment aber gibt sich Jupiter mit Blitz und Donner zu erkennen.

„Auch der Olymp ist öde ohne Liebe. Was gibt der Erdenvölker Anbetung / Gestürzt in Staub, der Brust, der lechzenden?“ (Jupiter zu Alkmene, S. 65)

Alkmene fällt ohnmächtig in die Arme ihres irdischen Gatten, das Volk wirft sich in den Staub. Nur Amphitryon bleibt aufrecht stehen. Jupiter vergibt ihm seinen Zorn und gewährt ihm zum Ausgleich für die erlittenen Qualen einen Wunsch. Amphitryon bittet darum, dass ihm aus Jupiters Verbindung mit Alkmene ein Sohn geboren werde. Jupiter verspricht es ihm und tauft seinen Sprössling auf den Namen Herkules. Er werde zahlreiche Heldentaten begehen und in den Olymp der Götter aufsteigen. Dann verliert der Gott sich in den Wolken. Merkur folgt ihm nach, nicht ohne noch kurz Sosias zu verhöhnen. Die Feldherren preisen Amphitryons Glück, doch dieser sorgt sich um Alkmene. Sie erwacht und haucht: „Ach!“

Zum Text

Aufbau und Stil

Ist Amphitryon eine Tragödie, ein metaphysisches Mysterienspiel, eine Tragikomödie oder schlicht, um die Worte des Autors zu benutzen, eine „Komödie nach Molière“? Auf jeden Fall ist dieser im klassischen, reimlosen Blankvers verfasste Dreiakter wohl ein Verwirrspiel, auch in Bezug auf das Genre. Getreu Amphitryons Seufzer „Das fasst kein Sterblicher“ führt Kleist Leser, Zuschauer und Interpreten ebenso an der Nase herum wie die Götter im Stück die Menschen auf Erden. Spiegelbildlich verkehrt und ins Burleske verzerrt spielt sich parallel zur Beziehung zwischen Jupiter, Alkmene und Amphitryon die Verwechslungskomödie auf der Ebene der Dienerschaft ab. Kleist zieht alle Register der dramatischen Ironie, indem er dem Publikum immer einen Wissensvorsprung gegenüber den Figuren lässt. Deren Gefühlsverwirrungen sind auf den ersten Blick komisch, auf den zweiten tragisch und auf den dritten oft schwer nachvollziehbar. Götter wie Menschen stürzen auf einer emotionalen Achterbahn von himmlischer Verliebtheit durch rasenden Hass hinab in die höllische Verzweiflung.

Interpretationsansätze

  • Im Zentrum von Amphitryon steht das Trauma des Identitätsverlusts: Was passiert, wenn man seinen eigenen Augen nicht mehr trauen kann? Wenn das Gegenüber jemand anders in einem erblickt, als man zu sein glaubt? Identität entsteht erst im Auge des Nächsten. Ohne dessen Bestätigung fällt das Ich ins Bodenlose und das Selbstbewusstsein löst sich auf.//
  • Für viele Kleist-Forscher haben Amphitryon und Alkmene eine dialektische Beziehung: Sie sind treu und untreu, fehlbar und unfehlbar, wahrheitsblind und hellsichtig zugleich. Diese Gegensätze werden am Ende in der Erlösungsszene aufgehoben. Nach theologisch-mythologischer Lesart ergreift sie ein Gefühl der Göttlichkeit der Liebe, und die alte Ordnung ist wiederhergestellt.
  • //Andere sehen im Ausgang des Stücks Alkmenes moralischen Triumph: Bis zum Ende widersteht sie Jupiters Versuchungen und weist alles von sich, was gegen ihre sittlichen Überzeugungen verstößt. Sie verdrängt das Offensichtliche, um ihr Selbstbild zu wahren und Amphitryon treu zu bleiben. Jupiter scheitert mit seinem Versuch, Alkmenes Liebe durch Betrug zu gewinnen.
  • Alkmenes „Ach!“ am Ende des Stücks ist wohl der berühmteste Seufzer der Literaturgeschichte und auch der rätselhafteste: Ist sie erleichtert, dass alles vorbei ist? Froh, einen Sohn Gottes zu gebären? Oder verzweifelt, weil ihre alte Welt in Trümmern liegt und vor ihr eine Wüste der Beliebigkeit liegt?
  • Auch eine psychoanalytische Interpretation ist möglich: Danach ist die geknickte Feder ein Symbol für die Kastration Amphitryons und ein Eingeständnis der (sexuellen) Überlegenheit seines Doppelgängers.
  • Und schließlich die historisch-politische Auslegung: Jupiter als siegreicher Napoleon, den Kleist zwar hasste, von dessen Triumph in Europa er sich aber eine bessere Zukunft erhoffte. Die Geburt des Herkules kann als Ausdruck dieser Hoffnung gedeutet werden.

Historischer Hintergrund

Europa in der Krise

Der Beginn des 19. Jahrhunderts war eine Zeit des Umbruchs, in wirtschaftlicher, politischer und literarischer Hinsicht. Napoleon hatte halb Europa erobert und 1806 den Rheinbund gegründet, dem sich die Staaten West- und Süddeutschlands anschlossen. Preußen bot dem Franzosen die Stirn, wurde aber im Herbst bei Jena und Auerstedt vernichtend geschlagen. Napoleon marschierte in Berlin ein. Das fortschrittliche, bürgerliche 19. Jahrhundert hatte die letzten Überreste des absolutistischen 18. Jahrhunderts besiegt. Ab 1807 führte diese Erkenntnis zu den Preußischen Reformen: Staat und Verwaltung wurden modernisiert und man legte die Grundlage für die verspätet einsetzende Industrialisierung in Deutschland.

In der Kunst markierte der Tod Friedrich Schillers 1805 das Ende der Weimarer Klassik, die das Streben nach Vernunft und Harmonie sowie die Bildung des vollkommenen Menschen in den Mittelpunkt gestellt hatte. Die nun aufstrebenden Romantiker warfen nicht nur das antike Kunstideal über den Haufen, sondern auch den Glauben an eine objektiv erfahrbare Wirklichkeit. Sie forderten radikale Subjektivität, die Sprengung aller literarischen Konventionen und mit Friedrich Schlegel gar eine „Universalpoesie“, die Kunst, Philosophie und Wissenschaft zu einem allumfassenden Ganzen vereinen sollte. Einerseits übertrugen die Romantiker mit ihrem Fokus auf das menschliche Individuum die Ideen des politischen Liberalismus auf die Kunst. Andererseits protestierten sie gegen die Entpersönlichung und Mechanisierung des Lebens, die mit der Industrialisierung einhergingen. Sie fühlten sich entfremdet, zerrissen und heimatlos. Viele flüchteten sich in Märchen- und Traumwelten, in die idealisierte Natur, ins Spirituelle und Morbide.

Entstehung

Für den Einzelgänger Kleist bedeutete der romantische Aufbruch keine geistige Befreiung. Im Gegenteil: Die Unmöglichkeit objektiver Erkenntnis, die er aus dem Studium Immanuel Kants ableitete, deprimierte ihn zutiefst. „Wir können nicht entscheiden, ob das, was wir Wahrheit nennen, wahrhaft Wahrheit ist oder ob es uns nur so scheint“, schrieb er 1801 an seine Verlobte Wilhelmine von Zenge. Mit dem Amphitryon-Stoff kam er vermutlich zwei Jahre später in Berührung, als er in Dresden den Satiriker Johann Daniel Falk traf. Dessen 1804 in Halle uraufgeführter Amphitruon beeindruckte Kleist nachhaltig.

Im Mai 1805 ging er auf Druck seiner Familie nach Königsberg, um sich dort als Finanzbeamter der preußischen Provinzialverwaltung ausbilden zu lassen. Die Tätigkeit war ihm so verhasst, dass er oft tagelang krank im Bett lag und ein Doppelleben als Schriftsteller und Beamter begann. Während dieser Zeit entstand neben anderen Werken der Amphitryon, den Kleist zunächst als Übersetzung des Lustspiels von Molière aus dem Jahr 1668 konzipierte. Tatsächlich entfernte sich Kleist aber so deutlich von der Vorlage, dass man von einem eigenständigen Werk sprechen kann. Am 31. Dezember 1806 schrieb er an seine Halbschwester Ulrike von Kleist, dass er mehrere Manuskripte zum Druck nach Berlin geschickt habe. Unter ihnen war vermutlich auch Amphitryon. Kleist hatte sich aus dem Staatsdienst verabschiedet, um sich ausschließlich der Schriftstellerei zu widmen – ein Plan, den die Franzosen durchkreuzten, als sie Kleist Anfang 1807 unter Spionageverdacht monatelang einsperrten. Während dieser Zeit versuchten seine Förderer, Amphitryon an namhafte Verleger ihrer Zeit zu verkaufen, jedoch ohne Erfolg. Kleist sah sich gezwungen, sein Werk über einen Freund unter Wert zu verscherbeln. Im Mai 1807 lag es in Buchform vor.

Wirkungsgeschichte

Der Herausgeber Adam Müller schickte das Manuskript an seinen Freund Friedrich Gentz, der sich postwendend mit einer überschwänglichen Lobrede bedankte. Dieses „außerordentliche Genie“ hätte etwas vollbracht, was bei Übersetzungen englischer oder französischer Werke weder Goethe noch Schiller gelungen sei. Ein anderes Genie fand die Lektüre wenig erquicklich: Johann Wolfgang von Goethe deutete das Ende des Stücks als missglückte Übertragung der antiken Vorlage ins Christliche und verwarf es als „klatrig“. Der Dichterfürst recycelte angeblich das „merkwürdige poetische Produkt“, indem er eine Geldsendung darin einwickelte. Die meisten zeitgenössischen Kritiker waren ähnlich befremdet. Nur Kleists engste Freunde sahen in dem Stück einen Geniestreich. Kein einziges Theater zeigte Interesse, sodass Amphitryon erst 1899 in Berlin uraufgeführt wurde.

Wenige Jahre später begann eine Kleist-Renaissance, die bis heute anhält: Franz Kafka bewunderte den rasenden Melancholiker und sah in ihm seinen „eigentlichen Blutsverwandten“. Thomas Mann nannte den Amphitryon 1927 das „witzig-anmutsvollste, das geistreichste, das tiefste und schönste Theaterspielwerk der Welt“. Das „Kleistische“ war für ihn das Moderne schlechthin. Vielen gilt Kleist heute als unverstandener Visionär, der seiner Zeit auf tragische Weise voraus war.

Über den Autor

Heinrich von Kleist wird am 18. Oktober 1777 in Frankfurt an der Oder geboren, er stammt aus einer preußischen Offiziersfamilie. Als junger Gefreiter-Korporal nimmt er im ersten Koalitionskrieg gegen Napoleon an der Belagerung von Mainz und am Rheinfeldzug (1793 bis 1795) teil. Bald fühlt er sich vom Offiziersberuf abgestoßen und wendet sich der Wissenschaft zu. Durch seine Kant-Lektüre verliert er jedoch den Glauben an einen objektiven Wahrheitsbegriff und erkennt, dass er nicht zum Gelehrten geschaffen ist. Ebenso wenig fühlt sich der enthusiastische Kleist zum Staatsdiener berufen. 1801 bricht er aus seiner bürgerlichen Existenz aus, reist nach Paris und später in die Schweiz, wo er als Bauer leben will. Doch auch daraus wird nichts. Schon während seiner Zeit in Paris beginnt Kleist zu dichten. Seine Theaterstücke, die heute weltberühmt sind, bleiben zunächst erfolglos. Von 1801 bis 1811 entstehen unter anderem die Tragödien Die Familie Schroffenstein (1803), Robert Guiskard und Penthesilea (beide 1808), außerdem Das Käthchen von Heilbronn (1808), Die Hermannsschlacht (1821 postum erschienen), die Komödien Amphitryon (1807) und Der zerbrochne Krug (1808) sowie die Erzählungen Die Marquise von O.... (1808), Das Bettelweib von Locarno (1810) und Die Verlobung in St. Domingo (1811). 1810 verweigert der preußische Staat Kleist, der nach Stationen in Königsberg und Dresden wieder in Berlin lebt, eine Pension. Auch aus dem Königshaus erhält er keine Anerkennung, obwohl er der Schwägerin des Königs das patriotische Stück Prinz Friedrich von Homburg widmet. Dennoch ist es wohl weniger äußere Bedrängnis als innere Seelennot, die Kleist schließlich in den Freitod treibt. Am 21. November 1811 erschießt er zunächst seine unheilbar kranke Freundin Henriette Vogel und danach sich selbst am Kleinen Wannsee in Berlin.

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