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Das Abenteuerliche Herz

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Das Abenteuerliche Herz

Erste Fassung. Aufzeichnungen bei Tag und Nacht

Klett-Cotta,

15 Minuten Lesezeit
10 Take-aways
Text verfügbar

Was ist drin?

Eine geistig anspruchsvolle Flucht vor der Spießigkeit.


Literatur­klassiker


Worum es geht

Ein Schlüsselwerk Ernst Jüngers

Jüngers Abenteuerliches Herz ist ein sehr persönliches Buch, ein Schlüsselwerk. Da die Einträge nicht datiert sind, kann man es nicht als Tagebuch bezeichnen; ein Notizbuch ist es auch nicht, dafür sind viele Aufzeichnungen zu lang. Deren Charakter ist unterschiedlich, meistens handelt es sich um Kurzessays, aber mit gewaltigen Gedankensprüngen, denen man nicht leicht folgen kann. Auffällig sind die Schlüsselbegriffe, die immer wieder vorkommen („geheim“, „magisch“, „Traum“, „Leben“) sowie die teilweise beißende Zeitkritik. Der etwa 30-jährige Jünger hielt weder die Werte Humanität und Zivilisation besonders hoch, noch unterstützte er die Weimarer Republik. Der Text spricht von seiner Suche nach einer Art wahrem Leben, das er im Heldentum oder in einer anarchischen Rebellion verkörpert sieht. Trotz oder gerade wegen der physischen Vernichtung durch den Krieg sieht er eine Chance für ein neues, wesentlicheres und leidenschaftlicheres Leben, das aus der Zerstörung erwachsen kann. Viele Passagen wirken erschreckend: mitleidlos, elitär, eindeutig nationalistisch und durchsetzt von mystischem Geraune. Auch Jüngers Analogien zwischen Natur und menschlicher Gesellschaft mögen beim Leser Skepsis wecken. Ein Buch, das Jünger-Fans wie -Kritiker in ihrer Haltung bestätigen wird.

Take-aways

  • Ernst Jüngers essayistische Aufzeichnungen Das Abenteuerliche Herz sind ein Schlüsselwerk seines Schaffens.
  • Inhalt: Das Gefühl ist dem Verstand vorzuziehen. Ebenso hat das intuitiv erkannte Geistige und Abenteuerliche Vorrang vor dem Materiellen und Gewöhnlichen. Viele alltägliche Erscheinungen weisen auf etwas Wichtiges, Großes und Harmonisches hin. Als Antwort auf die oberflächliche Zivilisation braucht es heroische Kameradschaft.
  • Das Buch ist essayhaft geschrieben, allerdings behandelt Jünger nicht konsequent pro Abschnitt ein Thema, sondern springt von einem Gedanken zum nächsten.
  • Der Text ist literarisch gut durchgearbeitet, im expressiven Stil des magischen Realismus.
  • Jünger war vertraut mit neuen künstlerischen Strömungen, etwa dem Surrealismus, wo das Magische, Rauschhafte und Traumhafte ebenfalls eine große Rolle spielten.
  • Er pflegte Kontakt zur konservativen Revolution, einer nationalistischen Strömung, die die Weimarer Republik ablehnte und publizistisch bekämpfte.
  • Das Abenteuerliche Herz schneidet viele Themen an, die Jünger in späteren Werken ausführlich behandelte.
  • Jünger veröffentlichte das Buch 1929 als bereits anerkannter, aber immer noch junger nationalkonservativer Schriftsteller.
  • Das Werk war trotz Jüngers eifriger publizistischer Tätigkeit zunächst kein Erfolg.
  • Zitat: „Seien wir auf der Hut vor der größten Gefahr, die es gibt – davor, dass uns das Leben etwas Gewöhnliches wird.“

Zusammenfassung

Zivilisationskritik

Nur noch das Zweckmäßige bestimmt heute die Welt, beeinflusst von Götzendienern der Vernunft und Scharlatanen der Wissenschaft, die keinen Sinn für das Schicksal und das bunte Spiel des Lebens haben. Für sie führt kein Weg vom Zweck zu einem höheren Sinn.

Was in der gegenwärtigen Zeit als irrational, als Dummheit verachtet wird, nämlich unmittelbare Gefühle, ist in Wahrheit hochbedeutend. Dazu zählt das Entsetzen, eine ins Gigantische gesteigerte Form von Schrecken, Furcht, Angst und Grauen, die die Bewusstseinsgrenzen sprengt. Eine andere Form ist das Erstaunen, die kindliche Art, die Welt aufzunehmen und zu erleben. Sie ist eng mit Glaube, Wagemut und Begeisterungsfähigkeit verknüpft. Viel davon findet sich im Spiel unter Kindern, die sich mit Abenteuerhelden und deren Erlebnissen identifizieren. So etwas hebt das innere Erleben vom gewöhnlichen Leben ab. Es findet sich außerdem in jugendlichen Berufsbildern, die Träume vom Selbst sind, etwa General, Bankdirektor, Professor oder Dichter. Es ist nicht wichtig, ob sich solche Träume realisieren lassen, solange man altersunabhängig davon entflammt bleibt.

„So pflegt das Entsetzen den Menschen zu vergewaltigen – das Entsetzen, das etwas ganz anderes ist als das Grauen, die Angst oder die Furcht.“ (S. 16)

Wenn man Bücher liest, sind die Berichte oder Geschichten von den Gräueln bei der Eroberung Jerusalems, von Wikingerraubzügen oder den Kreuzzügen mit Jagdhörnern und Reitergefechten den listigen Großstadtabenteuern eines Balzac vorzuziehen. Aus Robinson Crusoe lässt sich mehr lernen als in mancher Schulstunde.

Gedanken an Deutschland

Der Krieg schuf und vertiefte die Liebe zur Nation. Durch den Pöbel wurde das Land in der Schlussphase verraten. Deutschland erhielt einen demütigenden Friedensvertrag. Die Deutschen sind anders als die anderen Europäer. Diese misstrauen den Deutschen und ihrem kaum gebändigten Militarismus gründlich. Die europäische Humanität erkennt eher einen Buschmann als Menschen an als einen Deutschen. Oder es verhält sich umgekehrt: Die Deutschen, neben den Juden, sind die wahren Europäer, wobei sich Letztere nur um die Verkehrswerte kümmern: Geld, Presse, Völkerbund – die Symbole einer imperialistischen, internationalistischen Politik.

„Seien wir auf der Hut vor der größten Gefahr, die es gibt – davor, dass uns das Leben etwas Gewöhnliches wird.“ (S. 20)

Es muss eine Art geistige Brüderschaft vereinzelter Einsamer geben. Diese bewahrt in nächtlicher Entrückung einen unvergänglichen Schatz wahrer Gefühle und Gedanken, die eigentlich unaussprechlich sind und die sich allenfalls in unvollendeten Werken oder im Traum offenbaren.

Eigene Jugend

Schon vor der Schulzeit entstand bei Jünger das Gefühl, die Welt der Erwachsenen, die Gesellschaft, betreibe nur ein Maskenspiel. Erziehung und bürgerliche Gewohnheiten schufen eine enge, künstliche Welt. In ihr ließ es sich zwar mit Wohlbehagen und sogar satt leben. Dennoch ließ sie zu wünschen übrig. So entstand der Wunsch nach einem reicheren, sinnvolleren, abenteuerlichen Leben.

„Der Mensch wird zwar erzogen, aber er bildet sich selbst.“ (S. 32)

Bereits sommerliches Hitzefrei galt als freudiger Triumph über das Gymnasium, vor allem, wenn dadurch die Mathematikstunde ausfiel. Besonderer Groll richtet sich gegen den Oberlehrer im grauen Anzug, der Mathematik unterrichtet. Die nur mit Zahlen operierende Mathematik ist entfleischte Wirklichkeit; selbst noch Unbegreifliches wie den Begriff der Unendlichkeit löst sie in Formeln auf. Den Abenteuerwelten des Simplicissimus und des Don Quijote, beides von Soldaten geschriebene Werke, sowie den Erzählungen aus Tausendundeiner Nacht mit ihrem Reichtum an Fantastik gilt die größte Vorliebe des jungen Jünger.

„So sind denn auch zu Zeiten, in denen das Zweckmäßige das Leben regiert, die Herzen der Narren das einzig Unzweckmäßige und die Irrwege der jungen Leute das einzige Zeichen, dass noch ein Gefühl für andere Bahnen als die der Heerstraße besteht.“ (S. 38)

Vor dem Krieg verließ der 16-Jährige die Schule, um über Marseille nach Afrika zu gehen. Insbesondere das wilde äquatoriale Zentralafrika galt als Ort ursprünglichen Lebens fern der Zivilisation. Hier wurde weder Ödland untergepflügt, noch wurden Berggipfel mit Drahtseilbahnen erschlossen. Das Unzweckmäßige zu tun, dem eigenen närrischen Herzen zu folgen, ermöglichte es, die ausgetretenen Pfade zu verlassen.

Erinnerungen und Gedanken

Verständnis – etwa von Gelesenem – entsteht nicht sofort und in Form klarer, leuchtender Gedanken. Die Erinnerung an den Vorgang des Lesens mag da sein, aber es haben sich lediglich spirituelle Vorformen von Gedanken gebildet. Das eigentliche Verständnis entsteht dann magisch, unbewusst, es fällt einem wie Schuppen von den Augen. Diese Art Verständnis ermöglicht eine weitergehende, intuitive Erkenntnis auch ohne Detailforschung. Sie zeigt sich etwa in dem Phänomen, wenn man glaubt, eine bestimmte Situation genau so schon einmal erlebt zu haben. Psychologen können dieses Erlebnis nur oberflächlich erklären. Doch es ist ein Zeichen dafür, dass wir in der Lage sind, Innerstes und Verborgenstes zu schauen, uns seelisch mit allem zu verbinden oder einen Ursprung zu erfassen. Mit reiner Gedächtnisanstrengung sind wir nicht in der Lage, diese Art von Erinnern zu vollbringen. Möglicherweise ist der Augenblick des Todes, insbesondere des bewusst herbeigeführten Opfertodes, der intensivste Augenblick solchen Erinnerns und Erlebens.

„Es ist nicht die größte Sünde, böse zu sein, sondern stumpf, und das Wort von den Lauen, welche ausgespien werden sollen, ist ein herrliches Wort der göttlichen Unbarmherzigkeit.“ (S. 39)

Gedanken schwimmen wie Frachtgut auf dem Erinnerungsstrom. Dieser hat magische Wirkung, wie sich an Instinkten und Symbolen zeigt. Auch das Führertum hat hier seinen Ort, weil es den innersten Willen Hunderttausender verschiedener Denkweisen intuitiv erfasst. Wissen und Gedanken dagegen müssen erst verdaut und damit zerstört werden, damit sie fruchtbar gemacht werden können. Die Lyrik vermag durch den Klang der Worte geheimes Wissen zu erschließen. Wenn die Vernunft auch noch den letzten Zweifel ausräumt, dann verfällt die Zivilisation in eine kalte Sterilität, wie sie sich im modernen Sport sowie im Vergnügungs-, Literatur-, Museums- und Hygienebetrieb bereits zeigt. Hier wird Verbrechen zu Krankheit, Wert zu Zahl und Erlösung zu Fortschritt neutralisiert.

Lichter der Großstadt

In Zeiten höchster Unsicherheit zeigt sich auf den Gesichtern der Großstädter, wenn sie sich in Bewegung befinden, vor allem Angst. Wenn sie dagegen ruhig sind, vor allem in Verkehrsmitteln und Vergnügungsstätten, ist es eine traumartige, narkotische Erstarrung. Lichtreklamen, moderne Bars oder amerikanische Groteskfilme haben etwas Teuflisches. Die großen Städte mit ihren Maschinen, feuerspeienden Hochöfen, Straßen, Schienen und Flugzeugen, mit ihren Arbeitern, Händlern, Gelehrten, Soldaten und Verbrechern erinnern an Dantes Inferno. Sie sind der Ort kompliziertester Barbarei und damit der äußerste Kontrast zum Urwald.

Stereoskopische Wahrnehmung

Die Betrachtung eines bunten Korallenfischs in einem Aquarium ruft bei Jünger den Gedanken stereoskopischer Wahrnehmung hervor: die Fähigkeit, einem Gegenstand nur durch das Sehen, also nur durch ein Sinnesorgan, gleichzeitig zwei Sinnesqualitäten abzugewinnen, in diesem Fall den „Tastwert der Farbe“ – sei er metallisch, fleischig oder samtig. Ähnliches gilt für den salzigen Geruch des Meeres, für musikalische Töne, denen man eine Farbe zuordnet, für Speisen, Gewürze oder Getränke, die über den Geschmack hinaus Tast- oder Farbkonnotationen haben. Wir verstärken unsere optische Wahrnehmung von Gegenständen gern durch den Tastsinn. Hinter allen Eindrücken, in der Vielfalt des Äußerlichen und selbst im Widersprüchlichen, steht letztlich eine Sinneswahrnehmung.

Zoologische Betrachtungen

Anlässlich einer sich über einige Wochen hinziehenden wissenschaftlichen Arbeit an der Zoologischen Station in Neapel betrachtet Jünger das Verhältnis zwischen Natur und Vernunftdenken. Der zoologische Wissenschaftler muss Leben töten, um Aussagen über das Lebendige zu gewinnen. Doch das Geheimnis der Lebenskraft, die gleichermaßen in politischen Versammlungen wirksam ist wie auch hinter dem mechanischen Getriebe der Großstädte wirkt, enthüllt sich dem sezierenden Auge des Wissenschaftlers auch unter dem Mikroskop nicht.

„Vielleicht wird der Tod unser größtes und gefährlichstes Abenteuer sein, denn nicht ohne Grund sucht der Abenteurer immer wieder seine flammenden Ränder auf.“ (S. 52)

Wertvolle wissenschaftliche Erkenntnisse erschließen sich nur einem mit Leidenschaft forschenden Herzen, das noch zu kindlichem Erstaunen fähig ist. Eine positivistische Wissenschaft, wie sie von der gängigen Oberlehrerautorität verkörpert wird, bleibt immer nur an der Oberfläche. Wertfreie Forschung endet in sinnentleertem Messen und Zählen. Daher versteht ein gläubiger Eremit in der Wüste oder ein Dichter des Heroischen mehr von Werten als geschäftige Millionenheere in der Großstadt. Selbst angesichts äußerster Vernichtung kann ein solches Wertbewusstsein nicht verloren gehen. So hat zwar der von der jungen Generation jubelnd begrüßte Krieg in seiner äußersten physischen Vernichtung die alte Ordnung zerstört. Doch in dieser Zerstörung liegt die Hoffnung auf Wachstum und neues Leben. Wenn dafür Opfer gebracht werden müssen, ist dagegen nichts einzuwenden. Humanitäres Denken und schmerzliche Empfindsamkeiten sind fehl am Platz.

Jagd- und Rauscherlebnisse

Im Erlebnis der Jagd wird eine tiefe, magische Verwandtschaft mit dem Tier spürbar. Auch beim Weingenuss, bei der Buchlektüre oder im Theater vermögen Menschen Empathie zu spüren. Der Jäger, der Abenteurer kennt die große Kraft, die sich etwa in den Opferritualen aztekischer Priester zeigt, wenn sie Menschenherzen herausschneiden. Die Erforschung ferner Welten, wie sie sowohl die Astronomie als auch die Archäologie betreiben, wird letztlich von der Suche nach dieser Kraft getrieben.

„Stereoskopisch wahrnehmen heißt also, ein und demselben Gegenstande gleichzeitig zwei Sinnesqualitäten abgewinnen, und zwar – das ist das Wesentliche – durch ein einziges Sinnesorgan.“ (S. 63)

Die Insekten, die sich von allen anderen Lebewesen im Tierreich so sehr unterscheiden, lohnen eine nähere Beschäftigung. Man muss sich nur vorstellen, wie wir sie betrachten würden, wenn sie viel größer wären, oder überhaupt: wenn sie Menschen wären – und der Mensch ein Tier.

Der Genuss von Rauschgift, eine zeitweilige Vermählung mit dem Bösen, entspringt dem Wunsch nach bisher unbekannten Reizen, geistigen Erlebnissen und Erkenntnissen. Er gleicht dem Heraufbeschwören eines Dämons. Es ist kein Wunder, dass man in den völlig kulturlosen USA, wo man sich mit Zweckmäßigkeitsdenken und Geldbesitz begnügt, selbst den Genuss von Wein und Tabak verbieten will. Durch Erlebnisse im Krieg, etwa Überraschungsmomente, die dem Gefühl eines Absturzes ins Leere gleichkommen, wurde diese Nähe zur Dämonie bei Jünger vorgebahnt. Rauschmittel haben sowohl eine aufreizende als auch eine betäubende Wirkung. Wer sich ihrer bedient, erweitert den Bereich seiner Verantwortung. Die moderne Humanität – Sozialismus, Pazifismus, Rechtswesen – schätzt nur die medikamentös-betäubende Wirkung, die die Verantwortung einschränkt. Deutsches Bier macht ebenfalls müde, und so sind die ganze deutsche Politik und Gesellschaft schläfrig – das war schon zu Zeiten der Nationalversammlung von 1848 so.

Das abenteuerliche Herz

Die Hoffnung ruht daher auf einer deutschen Jugend voller Sturm und Drang, die sich in einem Aufstand der deutschen Gemütlichkeit entgegenstemmt. In Zonen gesteigerter Vitalität, etwa auf einem Flugplatz oder in Gesellschaft von Arbeitern und Soldaten, bekommt man ein Gefühl dafür. Dabei kommt es auf die innere Kampfkraft an, die nur Einzelne aufbringen werden. Es gibt dafür Vorbilder in der Literatur: Ajax, den Rasenden Roland, Don Quijote. Auch der Anarchist ist zu solch einer heroischen Weltanschauung fähig, sofern er die Gesellschaft in sich selbst vernichtet hat und als Einzelner mit der äußerlichen Vernichtung beginnen kann. Darin unterscheidet er sich wohlgemerkt vom spießigen deutschen Kommunisten. Dieser kann ohne Ordnung letztlich nicht leben. Auch in den öffentlichen Selbstmorden der antiken Stoiker oder im japanischen Harakiri findet sich diese Art von Heroismus des Einzelnen. Die Humanität hingegen trachtet das individuelle Leben zu bewahren, weil es ihr das Kostbarste ist. Das sind zwei verschiedene Wertordnungen. Erstrebenswert ist eine Kameradschaft von Herzen, die sich einer Läuterung durch das Feuer aussetzen.

Zum Text

Aufbau und Stil

Das Abenteuerliche Herz enthält 25 Prosatexte verschiedener Länge, von einer bis zu 26 Seiten, wobei die längeren Texte in Abschnitte unterteilt sind. Die Aufzeichnungen sind nur mit Städtenamen überschrieben, vermutlich den Aufenthaltsorten Jüngers bei ihrer Entstehung: Berlin, Leipzig, Leisnig, Neapel, Zinnowitz, Paris. Das Abenteuerliche Herz ist in der Ich-Form geschrieben. Bei den Aufzeichnungen handelt es sich aber nicht um Berichte, sondern eher um Reflexionen. Damit geht der sehr assoziative Stil einher: Jünger behandelt nicht pro Abschnitt ein bestimmtes Thema, sondern macht immer wieder Gedankensprünge. Ausgehend etwa von einer Beobachtung oder einem Lektüreeindruck, wechselt er mehrfach das Thema und nimmt an späterer Stelle bereits geäußerte Gedanken wieder auf. Vieles wird nur angedeutet, die Kenntnis von Büchern, Autoren und historischen Zusammenhängen wird vorausgesetzt. Der Eindruck, es würde sich bei den Aufzeichnungen nur um flüchtige Notizen handeln, verschwindet bei der Lektüre schnell. Die Prosa ist gut durchgearbeitet, klangvoll, kraftvoll und expressiv. Jüngers Stil hat viel Ähnlichkeit mit der surrealistischen Kunst seiner Zeit, die dem Einbruch des Wunderbaren, Geheimnisvollen und Traumhaften viel Raum gegeben hat und mit der sich Jünger intensiv beschäftigt hat. Das Abenteuerliche Herz wird deshalb auch in der Tradition des magischen Realismus gesehen.

Interpretationsansätze

  • Ein Hauptthema in Das Abenteuerliche Herz ist die Erkenntnis durch das Gefühl im Gegensatz zur vernunftgemäßen Erkenntnis im Sinn der Aufklärung. Der Weg gefühlsmäßiger Erkenntnis ist der gemeinsame Nenner aller Romantiker. Jünger gibt diesem Weg eindeutig den Vorrang. Er stellt sich in die Tradition Johann Georg Hamanns, eines Kritikers der Aufklärung und eines Wegbereiters des Sturm und Drang, von dem auch das Zitat am Anfang der Aufzeichnungen stammt: „Die Samen von allem, was ich im Sinn habe, finde ich allenthalben.“
  • Ein weiteres wichtiges Thema ist das Heraufbeschwören einer

Kameradschaft von Einzelgängern mit heroischer Gesinnung. Sie werden unter dem Begriff „Abenteurer“ zusammengefasst, wobei sie in Bezug auf Jüngers Denken und im Zusammenhang jener Zeit am ehesten mit Anarchisten gleichzusetzen sind.

  • Beißende Zivilisationskritik durchzieht das ganze Werk. Das traditionelle, positivistische Wissenschaftsdenken des 19. Jahrhunderts und das Humanitätsdenken wird scharf mit anarchistischer Gesinnung und antiaufklärerischem Denken kontrastiert. Jünger selbst präsentiert sich als antiliberal, antidemokratisch, antiamerikanisch, elitär und nationalistisch.
  • Das Gewimmel der Großstadt wird als abstoßend geschildert. Dadurch wirkt Jünger –

ähnlich wie sein Generationsgenosse Hermann Hesse – in diesem Buch wie ein Zivilisationsflüchtling.

  • Der Schrecken – bei Jünger immer wieder als Erkenntnismittel beschworen – scheint hier mit einer Rückwärtsgewandtheit verbunden zu sein. Jünger spricht in diesem Zusammenhang von einer „geistigen Ursuppe“, von „Urworten“ und der „Urpflanze“. Im Unterschied dazu sehen die Surrealisten den Schrecken als befreiend und emanzipatorisch.

Historischer Hintergrund

Konservative Revolution in der Weimarer Republik

Der Begriff „Revolution“ bedeutet eigentlich „Umwälzung“. Im politischen Bereich: ein Umsturz der bestehenden Staats- und Gesellschaftsordnung. In Europa hat die Französische Revolution exemplarisch vorgeführt, wie eine Revolution mit Gewalt durchgesetzt wird: Die frühere hierarchische Ordnung wurde durch eine egalitäre ersetzt.

In der Weimarer Republik kam es in Deutschland zu einigen ideologischen Strömungen, die heute unter dem Begriff „konservative Revolution“ zusammengefasst werden. Auch sie hatten eine Veränderung der Staatsverfassung zum Ziel. Als freiheitlich-demokratischer Rechtsstaat garantierte die Weimarer Verfassung allen gleiche Bürgerrechte und den Schutz der Justiz gegen Eingriffe in diese Rechte und gegen Staatswillkür. Die Vertreter der konservativen Revolution waren gegen dieses egalitäre und liberale Prinzip und forderten korporative und ständische Strukturen, also Sonderrechte für bestimmte Gruppen und eine ungleiche, hierarchische Staats- und Gesellschaftsgliederung. Der Staat sollte nach ihrer Vorstellung aus eigenem Recht stark sein und keiner weiteren Legitimation von außen bedürfen. Das war in der Weimarer Republik mit den ständig wechselnden Koalitionen und der angespannten inneren Sicherheitslage nicht der Fall. Das Parteiengezänk war den Konservativen ein Gräuel. Nach dem Trauma der Kriegsniederlage von 1918 und dem demütigenden Versailler Friedensvertrag bedienten sie sich der Dolchstoßlegende, wonach die Armee, im Feld unbesiegt, von Politikern zur Niederlage gezwungen worden sei. Gemeint waren in erster Linie die Sozialdemokraten. Politische Auseinandersetzungen endeten oft genug in Straßenschlachten. Hinzu kam die extreme wirtschaftliche Verunsicherung durch die Inflation, die den Mittelstand verarmen ließ, und die verbreitete Arbeitslosigkeit, die noch mehr Menschen ihre Existenzgrundlage nahm.

Trotz der häufig als Erstarrung empfundenen bürgerlichen Lebensformen waren viele konservative Revolutionäre rückwärtsgewandt; man pflegte völkische Vorstellungen von Rasse, oft genug gemischt mit Antisemitismus. Im kulturellen Bereich waren Konservative irritiert von der Anonymität und Oberflächlichkeit des Großstadtlebens und dem Mechanischen im industriellen Arbeiten, das als seelenlos charakterisiert wurde. Konservative Revolutionäre betätigten sich hauptsächlich publizistisch; eine geschlossene politische Bewegung waren sie nicht. Zu dieser Strömung werden u. a. Stefan George, Oswald Spengler, Carl Schmitt, Thomas Mann, Hugo von Hofmannstahl sowie die Brüder Ernst und Friedrich Georg Jünger gezählt.

Entstehung

Die ersten Aufzeichnungen, die in Das Abenteuerliche Herz eingingen, sind nach dem Ersten Weltkrieg entstanden. Mit dem eigentlichen Verfassen des Buches begann Ernst Jünger 1927. Es erschien 1929 im stark auf nationale Literatur ausgerichteten Frundsberg-Verlag. Jünger war zu jener Zeit bereits ein bekannter und umworbener Autor und zudem Herausgeber nationalkonservativer Blätter.

Ernst Jünger las sehr viel – von Karl May bis zu den französischen und russischen Romanklassikern des 19. Jahrhunderts. Außerdem setzte er sich mit vielen Schriftstellern des 19. Jahrhunderts auseinander, die heute weniger bekannt sind, zu ihrer Zeit aber von großer Bedeutung waren. Nicht nur beiläufig erwähnt, sondern ausdrücklich als für ihn sehr bedeutungsvoll hebt Jünger im Buch Tristram Shandy von Laurence Sterne, Der Abenteuerliche Simplicissimus von Grimmelshausen, Don Quijote von Cervantes und Robinson Crusoe von Daniel Defoe sowie Tausendundeine Nacht hervor. Beeinflusst war er ferner von den Romantikern des Schreckens, etwa E. T. A. Hoffmann und Edgar Allan Poe. Unter den philosophischen Schriftstellern im weiteren Sinn war er u. a. von Emanuel Swedenborg und Johann Georg Hamann geprägt. Friedrich Nietzsche wird nur erwähnt, nicht ausdrücklich behandelt, ist aber in Jüngers Weltanschauung omnipräsent.

Wirkungsgeschichte

Das Abenteuerliche Herz hatte bei seinem Erscheinen keinen Erfolg; es wurde kaum besprochen und fand auch nur wenige Leser. Bedeutung hat das Buch vor allem für Jüngers eigenes Werk, weil darin viele Themen und Motive angesprochen werden, denen er sich in gleichzeitig entstandenen oder späteren Werken ausführlich widmete. Jünger ließ der ersten Fassung knapp zehn Jahre später eine zweite Fassung unter dem gleichen Haupttitel, aber mit dem Untertitel „Figuren und Capriccios“ folgen. Dafür übernahm er etwa ein Fünftel des Textes aus der Erstfassung in die Zweitfassung, die ansonsten aber ein eigenständiges Werk ist.

Über den Autor

Ernst Jünger wird am 29. März 1895 in Heidelberg als Sohn eines promovierten Chemikers geboren. Einer seiner Brüder ist der ebenfalls bekannte Schriftsteller Friedrich Georg Jünger. Seine Kindheit verbringt Jünger vor allem in Hannover. Noch als Gymnasiast geht er zur Fremdenlegion nach Nordafrika, wird aber vom Vater zurückgeholt. Nach dem Notabitur 1914 meldet er sich als Kriegsfreiwilliger und erhält im Ersten Weltkrieg höchste militärische Auszeichnungen als Soldat. Seine Kriegserlebnisse verarbeitet er in mehreren Werken, darunter In Stahlgewittern (1920), das ihn sogleich berühmt macht. Nach dem Krieg dient er bis 1923 in der Reichswehr und studiert danach Zoologie und Philosophie, bricht seine Studien aber ab, um sich ganz dem Schreiben zu widmen. Nach anfänglichen Sympathien hält er sich von den Nationalsozialisten fern und lehnt sowohl einen ihm von der NSDAP angebotenen Sitz im Reichstag als auch die Aufnahme in die Dichterakademie ab. 1939 erscheint sein Roman Auf den Marmorklippen, in der das Regime eines brutalen „Oberförsters“ beschrieben wird. Im gleichen Jahr wird Jünger zur Wehrmacht eingezogen und leistet als Hauptmann Dienst in Frankreich, vor allem in Paris. 1944 wird Jünger, der einigen der Attentäter vom 20. Juli nahesteht, wegen kritischer Äußerungen aus der Wehrmacht entlassen. Weil er sich weigert, den Entnazifizierungsbogen der Siegermächte auszufüllen, wird er nach dem Krieg zunächst mit Publikationsverbot belegt. Anfang der 50er Jahre zieht Jünger nach Wilflingen in Baden-Württemberg, wo er bis zu seinem Lebensende wohnt. Jünger erhält u. a. den Goethepreis und das Bundesverdienstkreuz. Er wird in Frankreich sehr geschätzt, der französische Präsident Mitterand besucht ihn sogar in Wilflingen. Neben seiner Arbeit als Schriftsteller betätigt er sich auch als Insektenforscher und kommt dadurch zu einigem Ansehen. Sein tagebuchartiges Werk Siebzig verweht erscheint in fünf Teilen von 1980 bis 1997. Jünger stirbt kurz vor seinem 103. Geburtstag am 17. Februar 1998. Erst nach seinem Tod wird bekannt, dass er 1996 zum Katholizismus konvertierte.

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