Melden Sie sich bei getAbstract an, um die Zusammenfassung zu erhalten.

Das Marmorbild

Melden Sie sich bei getAbstract an, um die Zusammenfassung zu erhalten.

Das Marmorbild

Eine Novelle

dtv,

15 Minuten Lesezeit
12 Take-aways
Text verfügbar

Was ist drin?

Ein junger Dichter in Italien zwischen Sinnlichkeit und reiner Liebe: Romantischer geht’s nicht.


Literatur­klassiker

  • Künstlernovelle
  • Romantik

Worum es geht

Ein Jüngling zwischen Sinn und Sinnlichkeit

Parallel zu seinem berühmtesten Werk Aus dem Leben eines Taugenichts schrieb Joseph von Eichendorff Das Marmorbild. In der allegorischen Novelle geht es um die Verwirrung eines jungen Edelmannes und Dichters, der erstmals die Enge seiner Heimat verlässt und erlebnishungrig in die Welt hinauszieht. Die entscheidende Lektion wird ihm im toskanischen Lucca erteilt: Dort lernt er die naive, keusche Bianka kennen, ignoriert aber deren schüchterne Zuneigung – und gerät noch in derselben Nacht in den Bannkreis der heidnischen Liebesgöttin Venus, die er in einer Marmorstatue verkörpert sieht. Später glaubt er, sie als Adelsdame aus Fleisch und Blut wiederzuerkennen, und erst kurz bevor es dieser Femme fatale gelingt, ihn zu verführen, erwacht sein christliches Gewissen und er reißt sich von dem Trugbild los. Die musterhaft gebaute Novelle spiegelt in poetischen Sprachbildern die seelische Verunsicherung eines Jünglings wider – und darüber hinaus die einer ganzen Epoche: Woran kann man nach der Aufklärung noch glauben, wonach soll man sich richten? Eichendorff findet sein romantisches Refugium in der Vergangenheit, in der Natur und in Gott.

Take-aways

  • Eichendorffs Das Marmorbild ist ein Klassiker der frommen, fantasievollen Spätromantik.
  • Die Handlung spielt im italienischen Lucca, wo ein junger Mann sich zwischen Fleischeslust und reiner Liebe entscheiden muss.
  • Der fröhliche Sänger Fortunato stellt dem jungen Edelmann Florio die hübsche, naive Bianka vor. Florio merkt nicht, dass sie sich in ihn verliebt.
  • Auf einem nächtlichen Spaziergang im Park entdeckt er eine Venusstatue, die im Mondlicht wie lebendig erscheint.
  • Am nächsten Tag begegnet er einer schönen Dame, die der Marmorvenus stark ähnelt.
  • Auf einem Maskenball tanzt Florio mit einer als Griechin verkleideten, geheimnisvollen Frau. Sie fasziniert ihn derart, dass er die ebenfalls anwesende Bianka ignoriert.
  • Einige Tage später erhält Florio durch den unheimlichen Ritter Donati eine Einladung in die Palastvilla der Dame.
  • Geblendet von ihrer Schönheit lässt er sich beinahe verführen. Erst im letzten Moment schreckt er zurück und flieht.
  • Tags darauf verlässt er die Stadt, begleitet von Fortunato und einem Knaben, der sich als Bianka entpuppt. Florio erkennt nun ihre Liebe.
  • Eichendorffs Novelle strotzt vor Symbolik. Die fleischgewordene Venus verkörpert lüsternes Heidentum, die keusche Bianka christliche Reinheit.
  • Der Text variiert das in der Romantik beliebte Tannhäuser-Motiv, das sich auch in Richard Wagners gleichnamiger Oper findet.
  • Der schwärmerische Stil, mit dem die Natur verklärt und überhöht wird, ist typisch für die Epoche der deutschen Romantik (ca. 1795–1848).

Zusammenfassung

Ankunft in Lucca

Ein heiterer Sommerabend in der Toskana. Florio, ein junger Edelmann, reitet auf die Türme von Lucca zu. Nahe am Stadtrand gesellt sich ein Fremder zu ihm. Die beiden Jünglinge finden Gefallen aneinander und setzen den Weg gemeinsam fort. Der Fremde erkennt den schüchternen Florio sogleich als Dichter. Er sei nicht in Geschäften unterwegs, gibt Florio zu und vertraut seinem neuen Reisebegleiter an, dass er auf dem Land aufgewachsen sei und immer Fernweh gehabt habe. Nun sei er endlich bereit, auf Reisen zu gehen, und das empfinde er wie die Befreiung aus einem Gefängnis. Bevor der Fremde sich wieder verabschiedet, mahnt er Florio, sich vor einem gewissen Spielmann zu hüten, der die jungen Leute auf Nimmerwiedersehen in einen Zauberberg locke ...

„Gar keine Geschäfte? – Nun, so seid Ihr sicherlich ein Poet!“ (Fortunato zu Florio, S. 7)

Unmittelbar vor den Toren Luccas gerät Florio in ein buntes Jahrmarkttreiben. In einer Gruppe Mädchen, die Federball spielen, fällt ihm eine junge Frau besonders auf: Sie ist ausnehmend hübsch und trägt einen üppigen Blütenkranz im Haar. Ihr Name ist Bianka. Als er ihr einen verirrten Ball aufhebt, kommen sich die beiden für einen Moment nahe. Beim weiteren Gang über den Jahrmarkt vernimmt Florio die Stimme des offenbar allseits beliebten Sängers Fortunato – und der entpuppt sich als Florios vorheriger Begleiter. Die beiden begrüßen sich freudig.

Die Venus im Park

Als es Abend wird, lädt Fortunato Florio zu einem Nachtmahl ein. Auch die Schar der Federball spielenden Mädchen gesellt sich hinzu. Florio spricht kein Wort mit der blütenbekränzten Schönen, die neben ihm sitzt, drückt ihr aber bei einem Trinkspruchreigen, bei dem jeder eine kleines Gedicht aufsagen muss, zu ihrer Überraschung einen Kuss auf die Lippen.

„Sein Blick aus tiefen Augenhöhlen war irre flammend, das Gesicht schön, aber blaß und wüst.“ (über Donati, S. 18)

Fortunato trägt ein längeres Lied vor, in dem er Bacchus und Venus feiert. Aber plötzlich ändert er den Tonfall, und es ist von einem Todesboten die Rede. Florio gelingt es nicht, sich ernsthaft mit Fortunato zu unterhalten. Erst recht nicht, als ein Ritter namens Donati erscheint, ein blasser Mann mit flammendem Blick. Donati begrüßt Florio zu dessen Erschrecken wie einen alten Bekannten und kennt erstaunlicherweise auch viele Einzelheiten aus der Kindheit und Heimat des Edelmannes.

„Der Mond, der eben über die Wipfel trat, beleuchtete scharf ein marmornes Venusbild, das dort dicht am Ufer auf einem Steine stand, als wäre die Göttin so eben erst aus den Wellen aufgetaucht und betrachte nun, selber verzaubert, das Bild der eigenen Schönheit, das der trunkene Wasserspiegel zwischen den leise aus dem Grunde aufblühenden Sternen widerstrahlte.“ (S. 24)

Bei den anderen Anwesenden findet der Ritter nirgends Anschluss. Diese brechen bald auf, und Florio ist auf einmal mit der schauerlichen Gestalt und mit Fortunato allein. Zu dritt wollen sie nach Lucca reiten, doch unmittelbar vor dem Tor scheut Donatis Pferd. In einem plötzlichen Zornesausbruch lässt er sich zu einem wüsten Fluch hinreißen, was umso befremdlicher wirkt, als er sich bislang sehr vornehm und fein ausgedrückt hat. Das Pferd will partout nicht weiter, worauf Donati wie der Blitz davonreitet – zu einem Landhaus, das er angeblich in der Nähe bewohnt. Fortunato und Florio finden dagegen in einer Herberge Unterkunft.

„Florio stand wie eingewurzelt im Schauen, denn ihm kam jenes Bild wie eine lang gesuchte, nun plötzlich erkannte Geliebte vor, wie eine Wunderblume, aus der Frühlingsdämmerung und träumerischen Stille seiner frühesten Jugend heraufgewachsen.“ (S. 24)

Florio ist aufgewühlt und kann nicht schlafen. Er unternimmt einen nächtlichen Spaziergang und gelangt zwischen Weingärten hindurch in ein parkartiges Gelände mit einem Weiher. Im Mondlicht erkennt er die Marmorstatue einer Venus. Er ist wie geblendet von der Gestalt. In dem nächtlichen Licht scheint ihm das liebliche Marmorbild lebendig zu werden. Verzückt schließt er die Augen, und als er sie wieder aufschlägt, starrt ihn die Statue regungslos an. Vom Grausen gepackt, flieht Florio aus dem Park.

Begegnung im Park

Am nächsten Morgen bemerkt Fortunato beim Frühstück Florios Verstörtheit. Er macht sich darüber lustig und empfiehlt einen Ausritt in die frische Morgenluft, zu dem er sofort aufbrechen will. Florio hat sich Fortunato, von dem er früher schon viel gehört hat, immer als stilleren Menschen vorgestellt und ist irritiert. Er lässt ihn allein fortreiten und entschließt sich stattdessen zu einem Spaziergang.

„Der Morgen, sagte Fortunato lustig, ist ein recht kerngesunder, wild-schöner Gesell, wie er so von den höchsten Bergen in die schlafende Welt hinunterjauchzt und von den Blumen und Bäumen die Thränen schüttelt und wogt und lärmt und singt.“ (S. 25 f.)

Unterwegs stößt er zufällig auf einen kunstvoll mit Kaskaden, Brunnen und exotischen Blumen angelegten, ausgedehnten Park. Er geht durchs Tor und wandelt umher, als unter den Bäumen plötzlich eine vornehme Dame hervortritt, die der Venusstatue der vergangenen Nacht verblüffend ähnlich sieht. Sie bemerkt Florio nicht, sondern singt ein sehnsuchtsvolles Frühlingslied, zu dem sie auf einer goldenen Laute einige Akkorde anschlägt.

„Laßt nur das! sagte hier die Dame wie in Zerstreuung, ein jeder glaubt, mich schon einmahl gesehen zu haben, denn mein Bild dämmert und blüht wohl in allen Jugendträumen mit herauf.“ (die Dame zu Florio, S. 55 f.)

Verwirrt eilt Florio weiter und stößt an einer ruinenhaften Mauer auf den dösenden Ritter Donati. Dieser, zunächst noch schlaftrunken, erklärt Florio, dass sich der Park, zu dem auch eine palastartige Villa im Hintergrund gehöre, im Besitz einer sehr reichen Dame befinde, mit der er verwandt sei. Donati stellt Florio eine Einladung zu der Dame in Aussicht und verabschiedet sich dann. Der Jüngling kehrt in die Stadt zurück, die in der Mittagshitze menschenleer ist.

Der Maskenball

Am folgenden Morgen erscheint Donati bei Florio, um ihn zur Jagd abzuholen, doch weil Sonntag ist, weigert sich dieser. Dann kommt Fortunato und überbringt ihm für den folgenden Abend eine geheimnisvolle Einladung in ein Landhaus. Er werde dort eine alte Bekannte wiedersehen. Als Florio später den Park der unbekannten Dame sucht, in den er tags zuvor unversehens hineingeraten ist, findet er diesen nicht mehr. Ungeduldig erwartet er den besagten Abend.

„Herr Gott, laß mich nicht verloren gehen in der Welt!“ (Florio, S. 56)

In dem Landhaus werden Florio und Fortunato vom Hausherrn Pietro begrüßt, der einen Maskenball gibt. Beschwingt von der Musik, fordert Florio ein schönes Mädchen zum Tanz auf, das als Griechin verkleidet ist, mit Gewand, Schleier und Maske. Noch während sie neben ihm steht, glaubt er plötzlich die junge Frau am Ende des Saales ein zweites Mal zu sehen.

„Da fuhr Florio plötzlich einige Schritte zurück, denn es war ihm, als stünde die Dame starr mit geschlossenen Augen und ganz weißem Antlitz und Armen vor ihm.“ (S. 57)

Die Gäste schwärmen bald in den zauberischen, gespenstisch erleuchteten Garten aus. Etwas abseits hört Florio eine Gesangsstimme und folgt ihr. Er entdeckt seine griechische Tänzerin am Rand eines Brunnens, doch sie entflieht. Im Getümmel der Gesellschaft schnappt Florio allerlei Liebesgeflüster auf, dann nimmt ihn Pietro eine Weile in Beschlag. Erst danach findet er endlich die Gesuchte. Ihren Namen will sie ihm nicht verraten, stattdessen fordert sie ihn auf, „fröhlich nach den Blumen des Lebens zu greifen“ und nicht weiter zu forschen. In der Dunkelheit am Rande des Parks lädt sie ihn zu einem späteren Besuch in ihr Haus ein, verabschiedet sich und schlägt im letzten Moment ihren Schleier zurück: Florio erkennt die schöne Dame, die er vor ein paar Tagen gesehen hat. Sie kommt ihm jetzt allerdings starr vor wie das Marmorbild am Weiher.

„Und unter’m duft’gen Schleier, / So oft der Lenz erwacht, / Webt in geheimer Feier / Die alte Zaubermacht.“ (aus einem Lied Fortunatos, S. 63)

Florio trifft wieder auf Fortunato, der ihn zu den wenigen verbliebenen Gästen auf eine Terrasse oberhalb der Villa mitnimmt. Dort ist auch die Federballspielerin vom Ankunftstag, Bianka, die ihm als Nichte Pietros vorgestellt wird. Nach einem kurzen Gespräch deutet Bianka auf die mondhellen, sich zu bizarren Gebilden verschiebenden Wolken, die ihr unheimlich vorkommen. Sie fragt Florio, ob er vielleicht bald abreise. Der antwortet zerstreut erst mit Nein, dann mit Ja. Zur großen Enttäuschung des Mädchens verabschiedet er sich hastig und reitet, da es schon fast Morgen ist, in sein Quartier in der Stadt zurück.

Besuch bei Frau Venus

Einige Tage später hält sich Florio bei Donati in dessen Landhaus auf. In Gedanken ist er ständig bei der schönen Frau. Von draußen vernehmen sie den Klang von Waldhörnern, und kurz darauf beobachten sie vom Fenster aus die Heimkehr einer reichen Jagdgesellschaft mit einer Dame, die einen Falken trägt. Florio erkennt seine rätselhafte Bekanntschaft und Donati arrangiert einen Besuch bei ihr für denselben Abend.

„Es kommt nach allen heftigen Gemüthsbewegungen, die unser ganzes Wesen durchschüttern, eine stillklare Heiterkeit über die Seele, gleich wie die Felder nach einem Gewitter frischer grünen und aufathmen.“ (S. 66)

Die Dame empfängt die beiden in ihrer palastartigen Villa, auf Kissen ruhend, umgeben von Dienern und Dienerinnen und inmitten von atemberaubendem Luxus. Nach einer Weile zieht sie sich nur mit Florio ins innerste und prachtvollste ihrer Gemächer zurück. Von draußen ertönt betörender Gesang. Dieses ganze Arrangement verbindet Florio mit einer Erinnerung an seine Jugend. Damals hat er oft Bilder gesehen, die die Situation darstellten, in der er sich jetzt befindet. Als er versucht, dies der Dame gegenüber in Worte zu fassen, streichelt sie den Jüngling beschwichtigend und meint, es ginge jedem so: Alle glaubten, sie in ihrer Jugend schon einmal gesehen zu haben. Florio ist verwirrt. Er tritt ans offene Fenster und betet: „Herr Gott, lass mich nicht verloren gehen in der Welt!“

„Mit Wohlgefallen ruhten Florio’s Blicke auf der lieblichen Gestalt. Eine seltsame Verblendung hatte bisher seine Augen wie mit einem Zaubernebel umfangen.“ (S. 67)

Da weht der Wind eines aufziehenden Gewitters hinein, und Florio sieht auf dem Fenstersims eine zischende, grüngoldene Schlange verschwinden. Einen Moment lang sieht die Dame steinern und weiß aus. Erschrocken taumelt Florio zurück. Im Gemach, erhellt nur von zuckenden Blitzen, scheint alles lebendig zu werden, die Verzierungen und die Armleuchter winden sich wie Schlangen, die Gestalten aus den Wandgemälden treten hervor. Draußen im Garten meint Florio Fortunato zu sehen, der in einem Kahn über den Weiher auf die marmorne Venus zufährt.

„Und so zogen die Glücklichen fröhlich durch die überglänzten Auen in das blühende Mailand hinunter.“ (S. 68)

Entsetzt stürzt Florio aus dem Palast hinaus und auf Donatis Landhaus zu. Dort aber – mittlerweile dämmert der Morgen – findet er statt der Villa nur eine armselige Gärtnerhütte, deren Bewohner ihm keine Auskunft über Donati geben kann. Der Name sage ihm nichts. Aufgewühlt kehrt Florio in seine Herberge zurück, schließt sich einen ganzen Tag lang ein und wünscht sich, sterben zu können.

Weg von Lucca

Am nächsten Morgen verlässt Florio Lucca. Bald gesellen sich drei Reiter zu ihm; es sind Fortunato, Pietro und ein Knabe. Die drei sind zu einer Italienrundreise aufgebrochen. Als die Gesellschaft an einer Burgruine vorbeikommt, bittet Pietro den Sänger, eine Sage darüber zu erzählen. Florio kommt beim Anblick der Ruine sofort die Palastvilla der Dame in den Sinn: Das Gemäuer und der Ort sehen fast gleich aus, auch ein Weiher ist vorhanden – mit einer zertrümmerten Marmorstatue.

Fortunato hebt zu einem längeren Lied an, in dem er zwar nichts Konkretes über diese Ruine berichtet, aber das Bild eines versunkenen, heidnisch-antiken Italien heraufbeschwört, mit blauem Meer, Göttergräbern, Säulen, Venus, Diana und Neptun. Besonders im Frühjahr, singt er, würden sich die Menschen dieses Landes in lustvoller Sehnsucht an ihre „geheimen Feiern“ erinnern. Erst zum Schluss des Liedes setzt Fortunato der „alten Zaubermacht“ ein anderes Bild entgegen: eine Frau über einem Regenbogen mit einem Kind im Arm. Zu diesem Ideal möge sich die menschliche Seele emporschwingen, in die Klarheit der kühlen Morgenluft. Pietro deutet die Palastruine daraufhin als verfallenen Venustempel. Dem pflichtet Fortunato bei und ergänzt, der Geist der schönen Göttin spuke immer noch im Gemäuer und trachte besonders im Frühjahr danach, junge, sorglose Gemüter zu wilder Lust zu verführen. Bei seinem Besuch zwei Tage zuvor habe er davon allerdings nichts bemerkt, fügt Fortunato nüchtern hinzu.

Glücklich in Mailand

Da schüttelt sich Florio, galoppiert ein Stück voraus und singt ein Preislied auf Gott. In dieser heiteren Stimmung hebt auch der Knabe den Kopf – und entpuppt sich als Bianka, die Federballspielerin, in männlichen Reisekleidern. Im hübschen Florio hat sie ihre erste Liebe gefunden, doch weil dieser während seines Aufenthalts in Lucca lieber dunklen Mächten folgte, versank sie in Melancholie. Um ihre trüben Gedanken zu zerstreuen, haben ihr Onkel und Fortunato sie mit auf diese Reise genommen. Um ungehindert reisen zu können, trägt sie einen Hosenanzug.

Florio erkennt, welcher Täuschung er erlegen ist und sucht jetzt immer wieder Biankas Blicke. Als die kleine Reisegruppe den ersten Bergkamm überwindet, verschwindet das dunkle Lucca aus ihrem Gesichtsfeld, und sie ziehen vergnügt „in das blühende Mailand hinunter“.

Zum Text

Aufbau und Stil

Die rund 60-seitige, kurze Erzählung hält sich an die klassische Novellenform. Die Haupthandlung wird von der Ankunft Florios in Lucca und von seiner Abreise aus der toskanischen Stadt eingerahmt. Im Zentrum stehen stets die Ereignisse um Florio, eine Nebenhandlung gibt es nicht. Der Text gliedert sich in fünf Abschnitte, wobei die mittleren drei jeweils einen charakteristischen Hauptschauplatz haben: der Park, die Villa Pietros und die Villa der Venus. Wo es sich von der Handlung her anbietet, flicht der Autor kürzere oder längere Gedichte ein, als Ständchen, Trinklieder oder auch gesungene Gebete. Eichendorffs schwärmerischer Stil und seine Verklärung und Überhöhung der Natur wirken oft eher traumgleich als realistisch und sind damit ganz und gar typisch für die Epoche der deutschen Romantik (ca. 1795–1848). Dasselbe gilt für die vielen symbolisch aufgeladenen Bilder und den mehrfach dramatisch inszenierten Gegensatz von Tag und Nacht. Nicht nur die Gedichtpassagen, sondern auch Eichendorffs lange, reichlich mit Adjektiven ausstaffierte Sätze klingen überaus lyrisch. Tückisch sind manche vermeintlich vertraute Wörter, die man heute in einem anderen Sinn versteht als zu Beginn des 19. Jahrhunderts. So bedeutete etwa „künstlich“ damals kunstvoll, „zierlich“ schön oder hübsch.

Interpretationsansätze

  • Das Marmorbild ist eine allegorische Novelle, eine gleichnishafte Erzählung also, die nicht als erzählerische Wiedergabe eines möglicherweise realen Geschehens gedacht ist, sondern darauf angelegt ist, einen tieferen Sinn zu vermitteln.
  • Florio verkörpert den Prototyp des Künstlers, der vom Dämonisch-Sinnlichen fasziniert ist und in der ständigen Gefahr lebt, sich darin zu verlieren. In die Geschichte des unerfahrenen Jünglings, der auf der Suche nach dem Paradies in seelische Nöte gerät, fließen autobiografische Erfahrungen des frommen Katholiken Eichendorff ein.
  • Die fleischgewordene Marmorstatue der Venus verkörpert heidnische Sinnlichkeit. Sie wird mit Nacht, Zauberei, Blendwerk und sexueller Verführung assoziiert.
  • Als Gegensatz dazu symbolisiert die keusche Jungfrau Bianka („die Weiße“) christliche Reinheit nach dem Vorbild der Gottesmutter Maria.
  • Auch Florios Männerbekanntschaften fügen sich in dieses allegorische Schema: Fortunato, der fröhliche Sänger mit der klaren Stimme, der am liebsten am hellen Morgen unterwegs ist, führt Florio und Bianka zusammen. Der düstere Donati hingegen mit seiner teuflischen Visage verschafft ihm Zutritt zum Palast der Venus.
  • Die Novelle lässt sich als christlich-romantischer Entwicklungsroman lesen: Florio wird von der engelsgleichen, in ihren Knabenkleidern asexuellen Bianka vor der heidnischen Versuchung einer ungehemmten Sexualität gerettet.
  • Das Marmorbild wurde auch psychoanalytisch gedeutet: Florio steht demnach für das Ich, das einerseits vom unbewussten, triebhaften Es (Venus, Donati), andererseits vom normativen Über-Ich (Fortunato, Bianka) beeinflusst wird. Von einem Happy End kann man bei dieser Lesart nicht sprechen: Florio würde durch die Unterdrückung der Sexualität fast zwangsläufig Neurosen entwickeln.

Historischer Hintergrund

Die Romantik als Flucht vor der Aufklärung

Die Epoche der Aufklärung im 17. und 18. Jahrhundert brachte die geistige und religiöse Ordnung, die sich in Europa in den Jahrhunderten zuvor entwickelt hatte, ins Wanken. Jeder wusste nun, dass die Erde ein Planet unter vielen ist, dass in der Natur physikalisch-mathematische Gesetze walten, dass das Tier- und Pflanzenreich einer natürlichen, systematischen Ordnung unterliegt, und man ahnte auch, dass die Weltentstehungserklärung der Bibel eine Legende ist. Das Bewusstsein dafür, dass fremde Völker, deren Lebensweise eingehend erforscht wurde, anders organisiert sind und anderen Religionen anhängen, wurde geschärft. Dass die europäische Ständegesellschaft keine gottgewollte Ordnung war, wie jahrhundertelang von oben suggeriert, erlebte man im großen Krach der Französischen Revolution.

Mit den alten Gewissheiten fielen aber auch alte Sicherheiten in sich zusammen. Gelehrte und Künstler begannen sich zu fragen, was an deren Stelle treten könnte. Manche flüchteten sich in die Frömmigkeit und sahen in der Natur eine Offenbarung. Andere suchten die Antworten in der Geschichte; die Geschichtswissenschaft erlebte in dieser Zeit einen riesigen Aufschwung. Unter den Dichtern der Romantik hatte die Verklärung der Historie, vor allem des Mittelalters, Hochkonjunktur. Man suchte seine Wurzeln im überlieferten Volkstum, sammelte alte Märchen und Lieder und schuf neue nach ihrem Vorbild. Im Volk waren naive Frömmigkeit, Gespenster-, Spuk- und Dämonenglaube Ausdruck einer Verunsicherung darüber, dass auch in einer naturwissenschaftlich ausgedeuteten Welt manche Dinge unerklärlich blieben.

Entstehung

Das Marmorbild wird der literarischen Spätromantik zugerechnet. Typisch für diese Endphase der Epoche sind die Hinwendung zur Religion, die Betonung des Psychologischen und die Abneigung gegen aufklärerisches Gedankengut. Dem Opernfreund fällt bei der Lektüre von Eichendorffs Novelle sofort die enge thematische Verwandtschaft zu Richard Wagners Tannhäuser auf: Hier wie dort schwankt ein junger Mann zwischen heidnischer Lust und christlich-sittlicher Liebe zu einer reinen Jungfrau. Wagner kannte Eichendorffs Novelle wahrscheinlich nicht, dennoch sind sich die Texte von Tannhäusers Venuspreislied und Fortunatos Trinklied stellenweise sehr ähnlich. Beiden Werken liegt Ludwig Tiecks Erzählung Der getreue Eckart und der Tannhäuser (1799) zugrunde. Ferner nennt Eichendorff selbst als Anregung eine Geschichte des Barockdichters Eberhard Werner Happel mit dem für heutige Ohren kuriosen Titel Die seltzahme Lucenser-Gespenst (1687). Überhaupt waren Schauer- und Spukgeschichten in der Romantik extrem beliebt. Der Novelle von Happel verdankt Das Marmorbild den Schauplatz und das Motiv der verführerischen Venus, Tieck den Antagonismus Venus vs. Maria.

Eine Vorstufe zum Marmorbild war Eichendorffs 1808/09 entstandene Märchennovelle Die Zauberei im Herbste, in der es um eine belebte Venusstatue geht. Im März 1817 meldete der Dichter seinem Freund und Gönner Friedrich de la Motte Fouqué die Fertigstellung einer neuen Novelle. Fouqué war Herausgeber der so genannten Frauentaschenbücher. Nachdem Eichendorff das Manuskript am 2. Dezember 1817 abgeschlossen hatte, erschien es im Herbst 1818 im Frauentaschenbuch für das Jahr 1819. Die erste Buchausgabe folgte 1826 in Berlin, zusammen mit Eichendorffs berühmtestem Werk Aus dem Leben eines Taugenichts.

Wirkungsgeschichte

Eichendorff ist in seinem Schreiben und Denken ganz der Romantik verhaftet. Mit Vertretern dieser literarischen Richtung, u. a. mit Achim von Arnim und Clemens Brentano, pflegte er regen Austausch. Neben dem Marmorbild und dem Taugenichts sind es besonders seine Gedichte, die Eichendorff zum bekanntesten und meistgelesenen deutschen Romantiker gemacht haben. Es existieren rund 5000 Vertonungen davon, darunter solche bedeutender Komponisten wie Franz Schubert und Hugo Wolf. Lieder wie Wem Gott will rechte Gunst erweisen, O Täler weit o Höhen oder In einem kühlen Grunde haben Volksliedcharakter gewonnen und sind bis heute lebendig geblieben. Der leichtfüßige Stil, der sich in Eichendorffs Gedichten, aber auch im Marmorbild und anderen Prosatexten findet, hat nicht zuletzt Heinrich Heine beeinflusst, der diesen romantischen Tonfall ironisch aufnahm und die Naturergriffenheit seiner Zeit parodierte. Ganz anders die Wandervogel-Bewegung, in der sich ab 1896 deutsche Jugendliche zusammenfanden: Sie wollten in freier Natur antibürgerlichen, romantischen Idealen nachleben und fanden in Eichendorffs Darstellung der Natur – als Ausdrucksform für das „Seelische“ – die perfekten Vorbilder.

Über den Autor

Joseph von Eichendorff wird am 10. März 1788 als Sohn des Freiherrn Adolf von Eichendorff auf Schloss Lubowitz in der Nähe von Ratibor in Oberschlesien geboren. Hier verlebt er eine unbeschwerte Kindheit und Jugend und entdeckt schon früh seine Freude an der Dichtung. Zusammen mit seinem älteren Bruder wird er von einem strengen katholischen Hauslehrer unterrichtet. Eichendorff schließt seine Schulbildung am Matthias-Gymnasium in Breslau ab. Hier kommt er mit den Werken von Goethe und Schiller in Berührung. Zwischen 1805 und 1808 studiert er an den Universitäten Halle und Heidelberg Rechts- und Geisteswissenschaften. In Heidelberg macht er mit der romantischen Bewegung Bekanntschaft und trifft alsbald einige der prominentesten Romantiker in Berlin: Achim von Arnim, Heinrich von Kleist, Clemens Brentano und Adam Müller. Eichendorff unternimmt eine Bildungsreise nach Paris und schreibt Gedichte. Im Herbst 1810 geht er nach Wien, wo er seinen Abschluss macht. An den Befreiungskriegen gegen Napoleon nimmt er freiwillig teil, zuerst als Jäger, dann als Leutnant. Nach Kriegsende tritt er eine Stelle am Berliner Oberkriegskommissariat an. Er wird ein strebsamer Beamter und heiratet am 7. April 1815 Luise von Larisch, mit der er drei Kinder hat. Es entstehen Werke wie Aus dem Leben eines Taugenichts und Das Marmorbild, die 1826 zusammen in Buchform veröffentlicht werden. Nach dem Tod von Eichendorffs Vater 1818 müssen die meisten von dessen Gütern verkauft werden; Eichendorff trauert ihnen sein Leben lang nach. 1837 erscheint die erste eigenständige Sammlung seiner Gedichte. Rund zehn Jahre vor seinem Tod gibt er das Dichten weitgehend auf und arbeitet an einer deutschen Literaturgeschichte. 1855 stirbt seine Frau Luise. Eichendorff verbringt die letzten Lebensjahre auf der Sommerresidenz des Breslauer Erzbischofs Heinrich Förster und in Neiße, wo er am 26. November 1857 an einer schweren Lungenentzündung stirbt.

Hat Ihnen die Zusammenfassung gefallen?

Buch oder Hörbuch kaufen

Diese Zusammenfassung eines Literaturklassikers wurde von getAbstract mit Ihnen geteilt.

Wir finden, bewerten und fassen relevantes Wissen zusammen und helfen Menschen so, beruflich und privat bessere Entscheidungen zu treffen.

Für Sie

Entdecken Sie Ihr nächstes Lieblingsbuch mit getAbstract.

Zu den Preisen

Für Ihr Unternehmen

Bleiben Sie auf dem Laufenden über aktuelle Trends.

Erfahren Sie mehr

Studenten

Wir möchten #nextgenleaders unterstützen.

Preise ansehen

Sind Sie bereits Kunde? Melden Sie sich hier an.

Kommentar abgeben

Mehr zum Thema

Vom gleichen Autor