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Der grüne Heinrich

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Der grüne Heinrich

Artemis & Winkler,

15 Minuten Lesezeit
12 Take-aways
Text verfügbar

Was ist drin?

Ein gescheiterter Held: Gottfried Keller beschreibt in seinem Entwicklungsroman, wie der junge Künstler Heinrich Lee am Zwiespalt von Phantasie und Wirklichkeit scheitert.


Literatur­klassiker

  • Entwicklungsroman
  • Realismus

Worum es geht

Roman eines gescheiterten Künstlers

Der Schweizer Autor Gottfried Keller verfasste mit seinem Grünen Heinrich (1854/55) einen weitgehend autobiographisch geprägten Künstler- und Entwicklungsroman. Genau wie die Titelfigur Heinrich ("grün" wird er wegen der Farbe seiner Kleidung genannt) wurde der vaterlos aufgewachsene Keller wegen eines Lausbubenstreichs von der Schule ausgeschlossen und musste seinen Berufswunsch, Maler zu werden, mit eigenen Mitteln verwirklichen. Lange lebte er in der Angst vor Armut und Schulden. Während sich Keller jedoch mangels Talent von der Malerei abwandte, verfügt der grüne Heinrich nicht über diese Einsicht: Geradlinig, ja störrisch verfolgt er seinen Weg. Er vermag selten zwischen Realität und eigener poetisch-romantischer Weltsicht zu unterscheiden. So lässt er sich auch die Liebe zweier Frauen entgehen, treibt die Mutter in den Ruin und scheitert schließlich an seinen Idealen. In der zweiten Fassung des Romans (1879/80), auf der dieses Abstract beruht, milderte Keller jedoch Heinrichs Geschick: Er kann der sterbenden Mutter noch ein letztes Mal die Hand reichen, und statt aus Gram zu sterben, führt er mit seiner Jugendfreundin ein bescheidenes Beamtenleben. Kellers Roman stellt den Höhepunkt des so genannten "poetischen Realismus" im 19. Jahrhundert dar und reiht sich unter die bedeutendsten deutschen Bildungsromane ein.

Take-aways

  • Der grüne Heinrich ist einer der wichtigsten deutschen Künstler- und Entwicklungsromane und ein Hauptwerk des poetischen Realismus.
  • Gottfried Keller quälte sich mit der Niederschrift und betrachtete den Roman als sein schwierigstes Werk.
  • Der Roman ist über weite Teile autobiographisch geprägt und beschreibt das Leben von Heinrich Lee (dem "grünen Heinrich") von früher Kindheit bis ins reife Alter.
  • "Grün" wird Heinrich wegen der Farbe seiner Kleidung genannt. Die Farbe ist aber auch Symbol für Unreife und Hoffnung.
  • Vaterlos und in ärmlichen Verhältnissen wächst Heinrich Lee in Zürich auf.
  • Wegen eines Lausbubenstreichs wird er vom Schulbesuch ausgeschlossen.
  • Bei Verwandten auf dem Land fasst Heinrich den Wunsch, Landschaftsmaler zu werden. Seine Ausbildung verläuft jedoch wegen schlechter Lehrmeister sehr schleppend.
  • Zwei Frauen treten in sein Leben: Die zerbrechliche Anna stirbt, noch bevor sich ihre Beziehung festigen kann, und die sinnliche Judith geht nach Amerika, nachdem Heinrich ihr wegen Anna abgeschworen hat.
  • In einer süddeutschen Großstadt verarmt Heinrich, erleidet eine Schaffenskrise und treibt seine Mutter mit Geldforderungen in den Ruin.
  • Erst nach sieben Jahren trifft er auf einen adligen Gönner, der ihn für seine Bilder reich entlohnt.
  • In der ersten Fassung des Romans kehrt Heinrich nach Hause zurück, vernimmt, dass seine Mutter aus Trauer gestorben ist, und stirbt ihr bald nach.
  • 1879 hat Keller den Roman grundlegend überarbeitet, die schwärmerischen und allzu zeitgebundenen Elemente entfernt, die Erzählperspektive komplett geändert und das triste Ende versöhnlicher gestaltet.

Zusammenfassung

Heinrichs Kindheit

Die Kindheit des Heinrich Lee ist von bescheidenen Verhältnissen geprägt. Sein Vater verstirbt so früh, dass Heinrich von ihm nur wenig weiß. In der Rückschau bedauert Heinrich, dass er ohne Vater aufwachsen musste, und erkennt, wie sehr ihm die väterliche Hilfe und Führung gefehlt haben. Nach dem Tod des Vaters wird das Geschäft aufgelöst, die Waren mit Verlust verkauft, und es bleibt der Mutter nur ein Haus in der Zürcher Altstadt, das ihr und dem Sohn eine bescheidene Lebensgrundlage bietet.

Kindliche Theologie

Aus dem grünen Schützenrock ihres verstorbenen Mannes lässt Heinrichs Mutter mehrere Anzüge für den Sohn schneidern: So kommt es, dass er auf allen Straßen und in allen Gassen als "grüner Heinrich" bekannt wird, ein Titel, den Heinrich durchaus zu schätzen weiß, weil er ihm Popularität im Städtchen einbringt. Heinrich liebt es, auf das Dach des Hauses seiner Mutter hinaufzusteigen und seinen Blick über den See und die fernen Berge schweifen zu lassen: In seiner schwärmerischen Phantasie werden die Berge zu Wolken und die Kirchendächer zu Bergen. Von der einfachen Religiosität seiner Mutter beseelt, versucht er sich vorzustellen, was das ist: Gott. Immer und immer wieder nimmt diese himmlische Macht für den Jungen neue Formen an. Mal denkt er, Gott sehe aus wie der goldene Turmhahn, mal, wie ein Tiger in einem Bilderbuch.

Die Macht der Phantasie

Einmal wird der kleine Heinrich beim Murmeln unanständiger Worte belauscht. Die Mutter und eine Nachbarin sind darüber tief entsetzt und fordern von dem siebenjährigen Buben eine sofortige Erklärung. Der fabuliert ins Blaue hinein: Einige ältere Jungen in der Schule hätten ihm die Worte beigebracht. Dann geht alles ganz schnell: Der Lehrer und der Pfarrer stellen besagte Buben und organisieren eine Gegenüberstellung, bei der Heinrich noch weitere wunderliche Geschichten erfindet. Die Jungen werden bestraft und Heinrich - bar jeder Schuldgefühle - findet den Ausgang ganz wunderbar, weil seine Geschichte so gut erfunden war, dass sie hätte wahr sein können. Immer öfter kommt es vor, dass Heinrich die Produkte seiner Einbildungskraft mit der Wirklichkeit verwechselt: eine Eigenschaft, die ihn das ganze Leben begleiten soll.

Ein Lausbubenstreich

In der Gewerbeschule bekommt Heinrich, inzwischen zwölf Jahre alt, zu spüren, dass er aus ärmlichen Verhältnissen stammt. Um trotzdem seinen prahlerischen Neigungen folgen zu können, verbraucht er den Inhalt einer Geldkassette des Vaters, den seine Mutter als Notgroschen für schlechte Zeiten zurückgelegt hat. Als sie die Missetat bemerkt, spricht sie, traurig über so viel Ungezogenheit, tagelang kaum ein Wort mit ihm. Heinrich ist über die Aufdeckung halb erschrocken, halb froh - weil er nun endlich sein drückendes Gewissen erleichtern kann. Die durch das Bücherlesen verklärte Weltsicht Heinrichs und seine Ruhmsucht führen schließlich zur ersten Katastrophe seines jungen Lebens. Als ein als "Liberaler" verschriener Lehrer von der Schule verwiesen wird, organisieren einige Klassenkameraden einen letzten Streich: Sie wollen dem Lehrer ein Abschiedsständchen singen. Der grüne Heinrich hält davon nichts und lehnt dankend ab. Neugierig geworden, schleicht er der kleinen Jungengruppe jedoch hinterher. Als er sieht, dass der Trupp bald auf 100 Buben angewachsen ist, packt ihn dann doch der Eifer mitzumarschieren. In seinen Gedanken vergleicht er den Zug mit einem Revolutionsmarsch - und verkennt dabei ganz und gar den eigentlichen Zweck des Vorhabens. Er stimmt mit den Kameraden ein vaterländisches Lied an, befiehlt sogar Extrarunden in der Stadt, damit auch jeder ihren Umzug sehen kann. Schließlich trampeln 200 Knabenbeine dem armen Lehrer die Bude ein. Es kommt zu einer behördlichen Abklärung der Vorfälle. Man sucht einen Rädelsführer und die Beteiligten deuten einmütig auf den grünen Heinrich. Die Folge: Mit 14 Jahren wird Heinrich der Schule verwiesen - sehr zum Unglück seiner Mutter.

Zwei Frauen

Vom Schulbesuch ausgeschlossen, verbringt Heinrich die Zeit mit Malen und Zeichnen, woran er große Freude hat. Weil sich die Mutter keinen Privatlehrer leisten kann, schickt sie ihn zunächst aufs Land, in das Heimatdorf ihres verstorbenen Mannes. Bei seinem Onkel, einem Pfarrer, und unter den zahlreichen Verwandten soll sich Heinrich vom Schock des Schulverweises erholen. Zum Erntefest trifft er auf dem Land ein, wo er mehrere Monate verbringen wird. Seine Kusinen führen ihn über die Ländereien und er lernt täglich neue Mitglieder der weit verzweigten Sippschaft kennen. Unter ihnen ist auch die 22-jährige Judith, eine junge Witwe. Der 14-jährige Heinrich ist von ihrer Natürlichkeit und Sinnlichkeit fasziniert. Bei ihrem ersten Kennenlernen überreicht sie ihm gleich einen frischen Strauß duftender Blumen, die sie vom Feld mitgebracht hat. Wenig später lernt Heinrich noch ein anderes Mädchen kennen, mit dem ihn ebenfalls bald eine innige Freundschaft verbindet: Anna, die 14-jährige Tochter des Schulmeisters. Mit diesem vertieft sich Heinrich in ein Gespräch über seine Berufswahl. Er hat den Entschluss gefasst, Landschaftsmaler zu werden. Heinrichs Mutter bemüht sich, für den Sohn eine passende Lehrstelle zu suchen.

Liebe und Tod

Es vergeht nur wenig Zeit, und Heinrich besucht Judith fast täglich. Bei der älteren Freundin nimmt er sich Keckheiten heraus und ist auch um Zärtlichkeiten nicht verlegen, weil er das Ganze doch eher für ein unschuldiges Spiel hält. Ganz anders bei Anna: Hier keimt eine zarte Liebe, die Heinrich aber den Umgang mit ihr sehr erschwert. Er ist schüchtern und verhält sich fast abweisend ihr gegenüber. Heinrichs Großmutter stirbt. Nach dem Begräbnis, dem Gottesdienst und dem Leichenschmaus erschallen auf dem Dachboden des Hauses seltsame Klänge. Nach alter Tradition beginnt der "Totentanz", den die Gäste nur paarweise besuchen dürfen. Heinrich klettert mit Anna auf den Boden: Sie beobachten das Treiben und, nachdem die Musik etwas heiterer geworden ist, wagen sie beide ebenfalls ein paar Tanzschritte. Schließlich tanzen sie den ganzen Abend miteinander. Mit dem Schlag der Abendglocke löst sich die Totenfeier auf. Heinrich spaziert mit Anna über den Friedhof, wo sie Rosen sammeln und auf dem frischen Gras niederlegen. Hier endlich kommt es zum ersten, ungeschickten Kuss zwischen den beiden.

In der Lehre

Schon am nächsten Tag muss Heinrich in die Stadt zurück. Beim Kupferstecher Habersaat beginnt er seine Lehre. Doch von Kunst versteht der Kupferstecher nicht besonders viel: So kann Heinrich bei ihm hauptsächlich die handwerkliche Technik perfektionieren, aber wenig über die echte Malerei erfahren. Beim Malen "nach der Natur" rät ihm der Lehrmeister, sich die absonderlichsten, krankhaftesten Naturereignisse herauszusuchen, weil sie seltsam und daher künstlerisch wertvoll seien. Heinrich mag das nicht so recht gefallen. Daher ist er froh, dass der Meister ihn bald aus der Lehre entlässt. Später geht Heinrich bei einem gefeierten Landschaftsmaler namens Römer in die Schule: Dieser taucht plötzlich in der Stadt auf und lehrt Heinrich die echte künstlerische Genauigkeit. Leider verfällt der Meister immer mehr dem Wahnsinn, sodass es zum Bruch zwischen ihnen kommt. Nach einem weiteren Frühling in der Nähe von Anna und Judith muss sich Heinrich auf die Konfirmation vorbereiten. Der Unterricht langweilt ihn und die Lehren von der Erbsünde, dem Glauben, der Liebe und dem Heiligen Geist erscheinen Heinrich zu "handwerksmäßig". Für sich beschließt er, dass seinem Gang zur Konfirmation so bald kein weiterer Kirchgang folgen soll.

Küsse in der Dunkelheit

So kalt ihn die Konfirmation lässt, so sehr freut sich Heinrich auf ein Fastnachtspiel, bei dem die Geschichte von Wilhelm Tell in einigen Gemeinden des Landes aufgeführt werden soll. Heinrich übernimmt die Rolle des Ritters Rudenz und Anna spielt die Berta von Bruneck - im Tell-Schauspiel sind sie also ein Liebespaar. Nach der Aufführung will Anna noch ausreiten. Heinrich begleitet sie. Gemeinsam traben sie schweigsam durch die Wälder. Als sie schließlich einen bestimmten Platz erreichen und von den Pferden steigen, küssen sie sich. Anna ist ein wenig traurig, weil sie ahnt, dass der unbeschwerte Umgang miteinander nun vorbei sein wird. Nachdem er sich von Anna verabschiedet hat, begibt sich Heinrich zu den Festivitäten zurück und bringt nun auch Judith nach Hause. Diese überfällt Heinrich ebenfalls mit Küssen - heftiger und sinnlicher als Anna.

„Um wieder zu jener Schulzeit zurückzukehren, so kann ich nicht bekennen, dass dieselbe hell und glücklich gewesen sei.“ (S. 133)

Die ungleiche Doppelliebe geht noch einige Zeit weiter, bis eines Tages Anna samt ihrem Vater bei Heinrichs Mutter in der Stadt erscheinen, um einen Arzt aufzusuchen. Anna hat die Schwindsucht - schon im folgenden Frühjahr stirbt sie. Heinrich gelobt ihr ewige Treue, obwohl ihm Judith diesen "romantischen Kitsch" auszureden versucht. Doch weil Heinrich hart bleibt und ihren Annäherungsversuchen widersteht, zieht sie daraus die Konsequenzen: Bei seiner ersten Wehrübung in der Armee sieht er Judith auf einem Wagen mit Amerikaauswanderern vorbeifahren. Weil er stramm stehen muss, kann er ihr nicht einmal Lebewohl sagen. Sie entschwindet aus seinem Blick und seinem Leben.

Künstlerleben

Nach seinem Militärdienst verlässt Heinrich die Schweiz. Zwei Jahre arbeitet er in einer süddeutschen Großstadt als Maler zusammen mit zwei Freunden: dem dänischen Gelegenheitsmaler Oskar Erikson und dem reichen Holländer Ferdinand Lys. Letzterer ist eigentlich der begabteste Künstler unter den dreien. Nach seiner Rückkehr aus Italien hegt Lys jedoch einen Groll gegen jedes mythisch verbrämte, gekünstelte Gemälde und hat sich dem Realismus ergeben. Von beiden Malerfreunden kann Heinrich jedoch nur wenig lernen. Stattdessen verprasst er das Geld seiner Mutter und ist sich nicht zu schade, sie postalisch um immer neue Summen zu bitten. Die Freundschaft der drei endet in einem Desaster: Weil sich Lys gegen seine treue Freundin Agnes versündigt, ergreift Heinrich für sie Partei und weist den Holländer zurecht. Lys fordert Heinrich daraufhin zum Duell, das aber in letzter Sekunde ohne Blutvergießen abgewendet wird. Doch danach sind die Freunde geschiedene Leute.

Glückliche Wendung

In der folgenden Zeit nagt Heinrich geradezu am Hungertuch. Seine Kunst leidet, er kann keine Bilder an den Mann bringen und muss seinen Besitz inklusive seiner früheren Zeichnungen an einen alten Trödler verkaufen. Als ihn seine Vermieter aus dem Haus werfen, packt ihn die Reue. Seine Mutter, die wegen seiner einstigen Verschwendungssucht in bitterster Armut lebt, hat ihn gebeten, heimzukommen. Heinrich macht sich also auf den Weg. Das Schicksal meint es gut mit ihm und belohnt ihn auf seiner Reise auf eine geradezu märchenhafte Art: Auf der Suche nach einer Bleibe für die Nacht kommt Heinrich zum Schloss eines Grafen. Dieser entpuppt sich als ein Verehrer seiner Kunst, der sämtliche Skizzen und Zeichnungen von dem alten Trödler gekauft hat und nun hocherfreut ist, den Künstler leibhaftig vor sich zu sehen. Nachdem der Graf ihm großzügig den wirklichen Wert der vom Trödler gekauften Skizzen ersetzt hat, bittet er Heinrich, noch zwei weitere Landschaften zu malen. Diese werden zu einer erklecklichen Summe in der Stadt verkauft - der Käufer ist der Graf selbst, der sie insgeheim seiner Sammlung einverleibt. Und Heinrichs Glück scheint kein Ende zu nehmen: Er erfährt, dass ihm der alte Trödler, der ihn offenbar ins Herz geschlossen hatte, eine bedeutende Summe seines Vermögens vererbt hat. Was Heinrich aber wieder einmal nicht wohl gesinnt ist, ist das Glück in der Liebe: Dortchen Schönfund, die Pflegetochter des Grafen, scheint in ihn verliebt zu sein und er genauso in sie, aber das entscheidende Wort wagt er nicht auszusprechen.

Tod der Mutter und Wiedersehen mit Judith

Nach sieben Jahren in der Fremde betritt der grüne Heinrich endlich wieder sein Vaterhaus. Gerade rechtzeitig, um seiner Mutter noch ein letztes Mal die Hand zu halten. In seiner Anwesenheit stirbt sie nach langer Krankheit. Der Nachbar enthüllt Heinrich, dass sie in Sorge um den Sohn, der sich nie gemeldet hat und von dem man hörte, dass er veramt umherziehe, viele Schulden gemacht habe. Voller Kummer, aber dennoch gefasst, tritt Heinrich eine Tätigkeit bei der Kanzlei des Ortsamtes an; das Künstlerdasein hat er endgültig aufgegeben. Als er plötzlich Judith wieder trifft, die aus Amerika zurückgekehrt ist, erscheint sie ihm wie ein später Segen. Sie erinnern sich der Liebe, die sie füreinander empfunden haben, und beschließen zusammenzubleiben, ohne jedoch zu heiraten.

Zum Text

Aufbau und Stil

Zerfiel die Urfassung des Romans noch in zwei Teile, die wechselseitig von dem Ich-Erzähler und einem neutralen Erzähler zum Besten gegeben wurden, wandelte Keller die zweite Fassung in eine komplett aus der Sicht des Helden erzählte Form um. Die "Wildheit" der Erstfassung wusste der reifere Dichter an mehreren Stellen zu bändigen. Das Duell mit Lys endete in der ersten Fassung mit einem tödlichen Stich in die Lunge. In der Neufassung wird zwar gekämpft, es kommt aber zu keinem Blutvergießen. Die Erotik, sowohl in der Anna- als auch in der Judithromanze, wurde auf ein Minimum reduziert. Eine Szene fiel der selbst auferlegten Zensur vollständig zum Opfer: nämlich diejenige, in der Heinrich die in einem See badende Judith beobachtet und sie ihn nach diesem Bad völlig unbekleidet umarmt. Die meisten Kritiker waren gerade von dieser Szene begeistert, sahen in ihr eine Schlüsselszene des Romans und interpretierten sie eifrig. Am wichtigsten sind aber die Veränderungen am Schluss des Romans: Ursprünglich kommt Heinrich viel zu spät in die Heimat, sodass seine Mutter bereits im Sarg liegt, er darüber maßlos traurig wird und ihr schnell nachstirbt. Dieser deprimierende Schluss wurde in die zwar bittere, aber auch hoffnungsvolle Auflösung der zweiten Romanfassung verwandelt. Kleinere theoretische Abschnitte zur Kunst, Religion und Ethik sind sorgsam mit der Handlung verwoben. Kellers Stil ist auch für heutige Leser leicht lesbar.

Interpretationsansätze

  • Heinrich Lee ist das Paradebeispiel eines gescheiterten Künstlers: Schon in früher Kindheit zeigt sich bei ihm die Anlage, zwischen Phantasie und Wirklichkeit nicht unterscheiden zu können.
  • Die grüne Farbe seiner Kleidung, die Heinrich den einprägsamen Namen gibt, steht als Symbol sowohl für Hoffnung und Jugend als auch für Heinrichs Unreife.
  • Der Kontrast der beiden Frauengestalten Judith und Anna ist ein Abbild der Spannungsverhältnisse, die Heinrichs ganzes Leben prägen: Stadt - Land, Einzelkind - Onkels Großfamilie, Natur - Geist, sinnliche Wirklichkeit - überhöhte Idealisierung.
  • Keller schildert Judith wie ein allegorisches Abbild der Natur: In ihrem ersten Auftritt vergleicht Heinrich sie mit Pomona, der römischen Göttin der Baumfrüchte, und mit der sirenengleichen Loreley: Fruchtbarkeit und verlockende Sinnlichkeit vereinen sich in diesem Mädchen, das in der überarbeiteten Fassung des Romans an Heinrichs Seite zurückkehren darf.
  • Ganz anders die Beschreibung von Anna, die aus lauter Diminutiven (Verniedlichungsformen wie "Stimmchen" oder "Äuglein") besteht und das Mädchen als etwas unvorstellbar Zartes, Zerbrechliches darstellt. Statt sie als wirkliche Person zu lieben, ziert sich Heinrich so lange, bis es zu spät ist.
  • Viel stärker als die zweite Fassung war der ursprüngliche Grüne Heinrich ein Roman des Scheiterns. Keller schrieb an seinen Verleger: "Die Moral meines Buches ist: dass derjenige, dem es nicht gelingt, die Verhältnisse seiner Person und seiner Familie im Gleichgewicht zu erhalten, auch unbefähigt sei, im staatlichen Leben eine wirksame und ehrenvolle Stellung einzunehmen."
  • Der Roman ist stark autobiographisch geprägt. Fast jede dargestellte Figur kann mit realen Personen aus Kellers Leben und Umfeld identifiziert werden.

Historischer Hintergrund

Poetischer Realismus

Nach der gescheiterten Märzrevolution von 1848 begann sich in der deutschsprachigen Literatur der Realismus durchzusetzen. Diese Kunstepoche (etwa 1830-1880) führt ihren Namen auf eine kritische Beschreibung der realen sozialen Wirklichkeit zurück. Nicht mehr der antike Held, sondern der einfache Mann des Bürgertums steht im Mittelpunkt. Neben Gottfried Keller schrieben etwa Wilhelm Raabe, Theodor Storm und Theodor Fontane realistische Gesellschaftsromane und Novellen.

"Poetischer Realismus" ist eine Bezeichnung, die vor allem für die deutsche Literatur verwendet wird, in Abgrenzung z. B. zum französischen Realismus. Der Unterschied: Realistische Schilderungen werden poetisch verklärt, sie sind subjektiver und sparen allzu grausige Beschreibungen des sozialen Elends aus. Gottfried Kellers Der grüne Heinrich ist ein gutes Beispiel dafür. Beschreibungen der menschlichen Not, wie etwa beim russischen Realisten Dostojewski oder beim Engländer Dickens, lassen sich hier nicht finden, wohl aber Ironie, Groteske, ja mitunter sogar eine barocke, pralle Lebensfülle.

In erster Linie ist Der grüne Heinrich jedoch ein Entwicklungsroman, wenn auch ein negativer: Der Held scheitert in seinem Vorhaben, Künstler zu werden, statt sich am Ende im Licht seiner Fortentwicklung sonnen zu können. Über viele Umwege gewinnt Heinrich zwar eine gewisse Lebensweisheit, sein eigentliches Bildungsziel erreicht er jedoch nicht. Die Bildungsromane des Realismus zeigen die Brüchigkeit des einst gepriesenen humanistischen Bildungsideals: Vor allem in der ersten Fassung des Grünen Heinrich ist das Ende des Romans sehr desillusionierend, zeigt es doch das völlige Scheitern eines überspannten romantischen Möchtegern-Genies.

Entstehung

Keller arbeitete mehrere Jahre an seinem Grünen Heinrich. Nach einem zweijährigen Kunststudium in München kehrte er 1842 nach Zürich zurück. Hier fasste er den Plan, einen "kleinen traurigen Roman ... über den tragischen Abbruch einer jungen Künstlerlaufbahn, an welcher Mutter und Sohn zugrunde gingen", zu verfassen. Ein Büchlein "mit heiteren Episoden und einem zypressendunkeln Schlusse, wo alles begraben wurde", sollte es werden. Dieses "Büchlein" entwickelte sich jedoch immer mehr zu einer langwierigen und schweißtreibenden Arbeit.

Keller bezeichnete den Grünen Heinrich u. a. als "Grünspecht", "faulen Kerl", "einbalsamierte Bestie", Schicksalsbuch", "alten Sündenroman" und "schrecklichstes aller Bücher". Um sich selbst zur Weiterarbeit zu motivieren, bat er seinen Verleger Eduard Vieweg in Braunschweig, jeden Manuskriptteil sofort setzen zu lassen. Vieweg ging zu seinem eigenen Schaden darauf ein: Er musste in der Folgezeit um jede Neulieferung förmlich betteln. Diese Art von "Motivation" versetzte Keller in einen Arbeitsstress, der nicht seinem Naturell entsprach. Darum blieben Druckfahnen unkorrigiert, dem Werk fehlte sowohl ein solider Aufbau als auch eine abschließende, sorgfältige Korrektur. Der Roman wurde in einer "weitschichtigen, unabsehbaren Strickstrumpfform" zu Papier gebracht, was nach seinem Erscheinen größere Korrekturen notwendig machen sollte.

Wirkungsgeschichte

Trotz einiger guter Kritiken entwickelte sich der Roman nicht zu einem großen Erfolg. Fast 30 Jahre nach der Erstveröffentlichung entschied sich Keller zu einer umfangreichen Umarbeitung. Welche Fassung die bedeutendere ist? Darüber streiten sich die Literaturwissenschaftler bis heute. Kellers Zeitgenossen rügten seine Neufassung jedenfalls, was den Dichter sehr verärgerte: "Den alten Grünen Heinrich kaufte man nicht, jetzt da es den neuen Grünen gibt, will man den alten haben. Die tolle Welt!"

Für die Nachwirkung des Romans gilt: Neben Goethes Wilhelm Meisters Lehrjahre (1795/96) und Adalbert Stifters Der Nachsommer (1857) gehört Kellers Grüner Heinrich zu den bedeutendsten deutschen Bildungsromanen des 19. Jahrhunderts. Theodor Storm bekannte in einem seiner Briefe an den Schriftstellerkollegen Keller, dass Der grüne Heinrich eines seiner liebsten Bücher sei.

Über den Autor

Gottfried Keller wird am 19. Juli 1819 in Zürich geboren. Als er fünf Jahre alt ist, stirbt sein Vater, ein Drechslermeister. Die Mutter Elisabeth ist mit Gottfried und seiner jüngeren Schwester auf sich allein gestellt; sie heiratet kaum zwei Jahre später erneut, doch die Ehe steht unter keinem guten Stern: Die Scheidung erfolgt 1834 und der Familie fehlt es an Geld. In der Folge muss Gottfried die Armenschule besuchen. Später entschließt er sich, Maler zu werden, und absolviert eine Lehre bei einem Lithografen. Danach besucht er die Kunstschule in München, kehrt aber schon nach zwei Jahren wieder in die Schweiz zurück, wo er sich politisch betätigt (er tritt den Freischärlern bei) und Gedichte verfasst. 1848 erhält er von der Schweizer Regierung wegen des Erfolgs seines Gedichtbands ein Stipendium und reist nach Heidelberg und Berlin, wo er u. a. den Philosophen Ludwig Feuerbach kennen lernt, der ihn stark beeinflusst. Keller beginnt mit der Arbeit an seinem wohl wichtigsten Werk, Der grüne Heinrich (1854/55). Der Dichter hat zeitlebens wenig Erfolg bei den Frauen: Mehrmals verliebt er sich unglücklich, seine Verlobte Luise Scheidegger bringt sich 1865 um. Doch trotz seines ständigen Kummers wegen der Frauen wäre Keller ohne deren Unterstützung kaum zu einem solch gefeierten Schriftsteller geworden: Seine Mutter, bei der er lebt, bis er 31 ist, kommt jahrelang für seinen Unterhalt auf, seine Schwester Regula unterstützt ihn ebenfalls. So kann Keller neben dem Novellenzyklus Die Leute von Seldwyla (1856) weitere literarische Werke verfassen, u. a. die Züricher Novellen (1877) und sein Spätwerk Martin Salander (1886). Gottfried Keller stirbt am 15. Juli 1890, er ist auf dem Friedhof Sihlfeld in Zürich begraben.

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