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Der Hessische Landbote

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Der Hessische Landbote

Reclam,

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10 Take-aways
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Was ist drin?

„Friede den Hütten! Krieg den Palästen!“ Einer der radikalsten politischen Texte aus der Feder eines Literaten. 


Literatur­klassiker

  • Politik
  • Vormärz

Worum es geht

Auf die Barrikaden!

Nach einem längeren Aufenthalt in Straßburg und der Beschäftigung mit der Französischen Revolution verfasste Georg Büchner 1834 eine Flugschrift, in der er die armen Bauern und Handwerker seiner hessischen Heimat zum Aufstand aufrief. Im Hessischen Landboten zieht er alle Register der Revolutionsrhetorik, beruft sich auf Gott und die Bibel, auf Vernunft und Naturrecht. In drastischen Bildern führt er den Lesern vor, wie sie von den Reichen und Regierenden ausgebeutet werden, und ruft sie auf, das Wohl des Staates selbst in die Hand zu nehmen. Denn der Staat, so erklärt er in der Tradition Rousseaus und der französischen Jakobiner, das sind wir alle. Detailliert rechnet er den Bauern, die er am ehesten bei ihren materiellen Interessen zu packen hofft, vor, wie ihre hart erwirtschafteten Steuern von der Regierung verschwendet werden. Obwohl sein Mitstreiter Friedrich Ludwig Weidig einiges in Büchners Manuskript abmilderte, zählt die Flugschrift auch heute noch zu den radikalsten deutschsprachigen Texten ihrer Art. Kein Wunder, dass Der Hessische Landbote gerade in Zeiten des Umbruchs immer wieder eine Hochkonjunktur erlebt.

Take-aways

  • Der 1834 veröffentlichte Hessische Landbote zählt zu den radikalsten deutschsprachigen Flugschriften.
  • Inhalt: Im Großherzogtum Hessen – und in ganz Deutschland – werden Steuern erhoben, um eine staatliche Ordnung aufrechtzuerhalten, die die Bauern und Handwerker ausbeutet. Die Armen müssen sich gegen die Regierenden und die Reichen erheben und ein geeintes, am Gemeinwohl orientiertes Deutschland mit einer freiheitlichen Verfassung schaffen.
  • Der Aufruf zum Umsturz wird von Büchner und Weidig mit göttlichem Willen und Naturrecht begründet.
  • Die Schrift gibt nicht systematisch Büchners politische Meinung wieder, sondern sie will die bäuerlichen Massen mit rhetorischen Mitteln für einen Umsturz gewinnen.
  • Abstrakte statistische Steuerzahlen werden effektvoll mit der sinnlichen Rhetorik der Bibel kontrastiert.
  • Büchners Mitstreiter Friedrich Ludwig Weidig überarbeitete dessen Manuskript.
  • Der gemäßigte Deutschnationale Weidig trat für eine konstitutionelle Monarchie ein, Büchner dagegen für einen radikalen Umsturz der sozialen Verhältnisse.
  • Die Sprache ist schlicht und allgemein verständlich, dabei anschaulich und agitatorisch.
  • Der Hessische Landbote stieß gerade in Zeiten des Umbruchs wie 1919 oder 1968 immer wieder auf ein gesteigertes öffentliches Interesse.
  • Zitat: „Friede den Hütten! Krieg den Palästen!“

Zusammenfassung

Arm gegen Reich

Im Jahr 1834 sieht es fast so aus, als stünden in der Bibel lauter Lügen. Wenn man unsere Gegenwart betrachtet, könnte man meinen, Gott habe die Bauern und Handwerker am fünften Tag erschaffen, die Fürsten und vornehmen Leute dagegen am sechsten Tag und diese aufgefordert, über alle Lebewesen – inklusive der Bauern und Bürger – zu herrschen. Während die Bauern täglich schuften, schwitzen und hungern, gleicht das Leben der Vornehmen einem ewigen Sonntag. Sie leben in schönen Häusern und sind wohlgenährt, tragen feine Kleidung und sprechen eine eigene Sprache. Sie treiben den Bauern hinter dem Pflug an und behalten die Ernte ein, sodass er am Ende leer ausgeht.

„Friede den Hütten! Krieg den Palästen!“ (S. 7)

Der größte Teil der über 6 Millionen Gulden Abgaben, die die rund 700 000 Einwohner des Großherzogtums Hessen im Jahr leisten, setzt sich aus den direkten und indirekten Steuern zusammen. Hinzu kommen weitere Einnahmequellen der Herrschenden in Form von Domänen, Regalien und Geldstrafen. Die Regierung behauptet, das alles sei nötig, um die staatliche Ordnung aufrechtzuerhalten. Was aber ist der Staat? Der Staat – das sind alle. Die staatliche Ordnung wird durch Gesetze hergestellt, die das Wohl aller sichern und aus diesem hervorgehen sollen. Für die Mehrzahl der Menschen, die für die Aufrechterhaltung der Ordnung Steuern zahlen, bedeutet diese Ordnung jedoch nichts anderes als Armut, Hunger und Plackerei.

„Dies Geld ist der Blutzehnte, der von dem Leib des Volkes genommen wird. An 700,000 Menschen schwitzen, stöhnen und hungern dafür.“ (S. 8)

Wer aber hat diese Ordnung gemacht? Wer kontrolliert, dass sie eingehalten wird? Es ist die großherzogliche Regierung, bestehend aus dem Großherzog und seinen leitenden Beamten. Sie ernennt unzählige weitere Beamte, die für die Durchsetzung der Ordnung sorgen: Staatsräte, Regierungsräte, Landräte, Kreisräte, Schulräte, Finanzräte usw., die ihrerseits ein Heer von Sekretären beschäftigen. Sie regieren das Volk, das heißt, sie halten es in Knechtschaft, nehmen ihm seine Menschen- und Bürgerrechte, beuten es aus und lassen sich von ihm durchfüttern.

Die Käuflichkeit der Justiz

Über 1 Millionen Gulden zahlen die Bürger für das Innen- und Justizministerium. Dafür erhalten sie einen Wust von Gesetzen, die auf völlig unsinnigen, willkürlichen Verordnungen aus vergangenen Jahrhunderten beruhen und zudem meist in einer fremden Sprache verfasst sind. Das Gesetz ist ein Herrschaftsinstrument in der Hand der Vornehmen und Gelehrten, und Gerechtigkeit ist lediglich ein Mittel, um das Volk kontrollieren und bequemer ausbeuten zu können – nach Rechtsprinzipien, die niemand versteht und nachvollziehen kann.

„Der Staat also sind Alle; die Ordner im Staate sind die Gesetze, durch welche das Wohl Aller gesichert wird, und die aus dem Wohl Aller hervorgehen soll.“ (S. 8)

Die Beamten sind so hoch bezahlt, dass sie gar keine Bestechungsgelder brauchen. Man denke nur an die Gebühren, die der Bürger für Rechtsverfahren zahlen muss – ganz zu schweigen von den Erniedrigungen, die er zu erdulden hat. Dabei ist die Justiz keineswegs unabhängig. Der ganze Justizapparat, die Richter, die Polizei, die Gendarmerie, für deren Ausstattung und Pensionen der Bürger Steuern und Abgaben zahlt, ist der Regierung treu ergeben. Gegen diesen staatlich verordneten Diebstahl, durch den ein Haufen unnützer Beamter alimentiert wird, kann der Einzelne sich nicht wehren. Die wenigen Richter und Beamten, denen das Gemeinwohl wichtiger ist als ihr Eigennutz und die im Sinne des Volkes urteilen, werden sogleich vom Fürsten abgestraft.

Staatlich bewilligter Raub und Mord

Das Finanzministerium erhält über 1,5 Millionen Gulden, womit die Finanzräte und Steuereintreiber finanziert werden. Jedes Stück Boden, jeder Bissen, den man in den Mund steckt, ist besteuert. Die Herren vom Finanzministerium in ihren Fräcken rechnen aus, wie viel Steuern sie den Bürgern noch zumuten können, und wenn sie einmal weniger berechnen, dann nur, um die Leute zu schonen, so wie man Tiere schont.

„In Ordnung leben heißt hungern und geschunden werden.“ (S. 10)

Rund 900 000 Gulden gehen an das Militär. Dafür werden die Söhne der Bürger ausgestattet, auf dass sie, das Gewehr geschultert, mit Trommeln und Trompeten durch die Städte ziehen – im Schlepptau missratener Adelssöhne. Für diese Summe müssen sie die Paläste der Tyrannen bewachen und gegen jeden vorgehen, der zu denken wagt, er sei ein freier Mensch – und sei es der eigene Vater oder Bruder.

„Das Volk ist ihre Heerde, sie sind seine Hirten, Melker, Schinder; sie haben die Häute der Bauern an, der Raub der Armen ist in ihrem Hause; die Thränen der Wittwen und Waisen sind das Schmalz auf ihren Gesichtern; sie herrschen frei und ermahnen das Volk zur Knechtschaft.“ (über die Beamten, S. 10)

Die größten Verbrecher aber finden sich unter den Staatsministern, die alle einen falschen Eid leisten. Sie haben geschworen, ohne die Zustimmung der Landstände keine Steuern zu erheben, doch sobald diese nicht einwilligen, werden sie einfach aufgelöst. Die Staatsminister haben geschworen, die Unabhängigkeit der Justiz nicht anzutasten, entfernen aber unliebsame Richter, um sie durch solche zu ersetzen, die ihnen genehm sind. Jeder ehrliche Mann wird sofort aus dem Staatsrat verstoßen. Die Minister sind Marionetten, an deren Fäden die fürstliche Marionette zieht, an deren Fäden wiederum die Frau des Fürsten oder seine Günstlinge oder Angestellten – oder alle gemeinsam – ziehen.

Der König von Gottes Gnaden?

Die Staatsangestellten handeln nicht eigenständig, sondern im Namen des Großherzogs Ludwig, also im Namen einer unverletzlichen, heiligen, souveränen, königlichen Hoheit. Doch dahinter verbirgt sich bei genauer Betrachtung ein Mensch, der wie alle Menschen geboren wurde und sterben muss, der isst, wenn er Hunger hat, und der schläft, wenn er müde ist. Dennoch hat er die Gewalt über das Leben und das Eigentum von 700 000 Menschen. Er umgibt sich mit einem adligen Hofstaat, und er vererbt seine göttliche Herrschaftsgewalt auf seine Kinder, die er mit Frauen gezeugt hat, die ebenso menschlich sind wie er selbst.

„Das Gesetz ist das Eigenthum einer unbedeutenden Klasse von Vornehmen und Gelehrten, die sich durch ihr eignes Machwerk die Herrschaft zuspricht.“ (S. 10)

Der Fürst ist wie der Kopf eines Blutegels, der die Bevölkerung aussaugt, die Minister bilden seine Zähne, die Beamten seinen Schwanz. Die Adligen beten ihn an, und sie werden mit einträglichen Posten und Orden und hübschen Bändern belohnt. Sie leben im Luxus, haben prächtige Häuser und speisen an reich gedeckten Tischen. Die einfache Bevölkerung trägt die Kosten für diesen ganzen Pomp und dient dem Hofstaat als Mägde und Huren, als Lakaien und Soldaten. Die Menschen leben in verrauchten Hütten, kriechen über Äcker und haben nichts zu essen. Aber sie nehmen es widerstandslos hin, weil man ihnen einredet, die Regierung sei von Gott eingesetzt.

„Die Justiz ist in Deutschland seit Jahrhunderten die Hure der deutschen Fürsten.“ (S. 12)

Bei den deutschen Fürsten handelt es sich jedoch nicht um die rechtmäßige Obrigkeit. Diese hatte früher der Kaiser inne, der vom Volk frei gewählt wurde. Schon vor Jahrhunderten haben sich die Fürsten gegen den Kaiser gestellt, ihn verachtet und verraten und schließlich die Macht an sich gerissen. Sie sind nicht vom Volk gewählt, ihre Herrschaft beruht auf Meineid und Verrat – weshalb Gott sie ablehnt und verflucht. Wer also dem Fürsten dient, betreibt Götzendienst, und wer ihn anbetet, begeht Gotteslästerung.

Das Vorbild Frankreich

Die Franzosen hatten es satt, sich ausbeuten zu lassen, und erhoben sich 1789 gegen ihren König. Sie beriefen eine Reihe von Männern, die zusammentraten und erklärten, der König sei nur ein Mensch wie jeder andere auch. Sie forderten, er müsse der erste Diener seines Staates sein, sich vor seinem Volk verantworten und, wenn er sein Amt schlecht ausübe, dafür bestraft werden. Zugleich erklärten sie die Menschenrechte: Die höchste Gewalt liegt im Willen aller bzw. der Mehrheit, die sich in Gesetzen und Beschlüssen der von allen gewählten Volksvertreter ausdrückt. Die Aufgabe des Königs besteht darin, für die Umsetzung der Mehrheitsbeschlüsse zu sorgen. Einen erblichen Anspruch auf das Amt gibt es nicht.

„Der Boden unter euren Füßen, der Bissen zwischen euren Zähnen ist besteuert.“ (S. 12 f.)

Der französische König leistete einen Eid auf die Verfassung, hielt sich aber nicht daran und wurde vom Volk als Verräter hingerichtet. Daraufhin schafften die Franzosen die erbliche Monarchie ab und taten, wozu jedes Volk nach Maßgabe der Vernunft und der Bibel ein Recht hat: Sie bestimmten in freien Wahlen eine neue Obrigkeit. Die Könige der anderen Länder fürchteten um ihre Macht und um ihr Leben. Sie erklärten dem Freistaat Frankreich den Krieg, unterstützt vom französischen Adel, der sich auf die Seite der Feinde schlug. Das Volk wehrte sich mit aller Kraft gegen die Angreifer und verteidigte seine junge Freiheit. Doch dann erlag es dem Ruhm Napoleons und machte ihn zum Kaiser.

„Im Namen des Großherzogs sagen sie, und der Mensch, den sie so nennen, heißt: unverletzlich, heilig, souverain, königliche Hoheit. Aber tretet zu dem Menschenkinde und blickt durch seinen Fürstenmantel. Es ißt, wenn es hungert, und es schläft, wenn sein Auge dunkel wird.“ (S. 16 f.)

Die Strafe Gottes blieb nicht aus. Französische Soldaten erfroren an der russischen Front, und die fetten Bourbonen wurden wieder zu Königen. Das sollte den Franzosen eine Lehre sein, von der erblichen Monarchie abzulassen und Gottes Willen zu folgen, der die Menschen frei und gleich erschaffen hat. 1830 vertrieben sie Karl X. von seinem Thron, doch kaum befreit, führten sie mit Louis-Philippe die halberbliche Monarchie ein. Das deutsche Volk indes sah sich durch den Sturz Karls zum Freiheitskampf angespornt. Aus Furcht traten deutsche Fürsten geschickt einen Teil ihrer Macht ab und beruhigten so das Volk. Auf diese Weise wurden die Deutschen ebenso um ihre Freiheit betrogen wie die Franzosen. 

Die Machtlosigkeit der Stände

Die Wahlgesetze der deutschen Fürstentümer verletzen die Menschen- und Bürgerrechte, und die gewählten Landstände haben keine Macht. Auch wenn sie sich dem Fürsten gelegentlich in den Weg stellen, sind sie noch lange keine Garanten der Freiheit. Bei ihrer Wahl zählen nicht Rechtschaffenheit und gute Einstellung, sondern allein das Vermögen. Der Großherzog von Hessen ist laut Verfassung heilig, seine Würde ist vererbbar, und er besitzt die alleinige Verfügungsgewalt über das Heer. Er beruft die Stände ein und löst sie wieder auf. Die Stände dürfen keine Gesetzesvorschläge einbringen, sondern sie müssen den Fürsten um Gesetze bitten, denen er nach eigenem Gutdünken zustimmt – oder eben nicht. Der Fürst besitzt nahezu unbeschränkte Macht; nur bei neuen Gesetzen und Steuern braucht er die Zustimmung der Stände. Doch entweder ignoriert er das oder er braucht keine neuen Regelungen, da die bestehenden längst genügen.

„Der Fürst ist der Kopf des Blutigels, der über euch hinkriecht, die Minister sind seine Zähne und die Beamten sein Schwanz.“ (S. 19)

Selbst wenn in den Landständen überzeugte Vertreter des Volkes säßen, könnten sie auf der Grundlage einer solch armseligen Verfassung nicht wirklich im Sinne des Volkes handeln. Und selbst wenn das Großherzogtum Hessen eine wirkliche Verfassung und seine Stände genügend Rechte hätten, würden die gierigen Regierungen in Berlin und Wien sofort ihre Hände danach ausstrecken und die Freiheit dort vernichten. Die Zeit wird bald kommen, da das gesamte deutsche Volk die vielen kleinen Herzöge und Möchtegern-Könige aus seinem schönen Land vertreibt und die Freiheit und Gleichheit zurückerobert, die seine Vorfahren besaßen.

Gottes Strafe

Gott, der Napoleon gestraft hat, wird auch die deutschen Tyrannen vernichten. Weil das Volk von der Freiheit abgefallen ist, hat Gott das Deutsche Reich eine Zeit lang dem Teufel überlassen und es in Trümmern zerbrechen lassen. Als Strafe für ihre Sünden hat Gott den Deutschen ihre Fürsten gesandt. Das Volk muss nun erkennen, dass Gott die Menschen frei und gleich geschaffen hat; dass er nur solchen Herrschern seinen Segen erteilt, die vom Volk frei gewählt werden; dass er das deutsche Volk als eine Einheit geschaffen hat und die Fürsten, die es zersplittern und in Stücke reißen, strafen wird; dass er Deutschland wieder zu dem Paradies auf Erden machen wird, das es einmal war, bevor die Fürsten es ausgebeutet haben. Dann wird Gott dem Volk die Kraft geben, die Obrigkeiten zu verjagen. Er wird ihre Festungen zerstören, und in Deutschland wird wieder die Freiheit erblühen.

Einigkeit und Recht und Freiheit

34 Tyrannen herrschen in diesem zerrissenen Land namens Deutschland. Sie pressen ihre jeweiligen Untertanen aus, lassen Land und Volk verkümmern. Aber der Tag der Befreiung und der Auferstehung Deutschlands steht bald bevor. Hessen und Thüringer, Sachsen und Rheinländer, Schwaben und Westfalen, Bayern und Südtiroler werden sich die Hände reichen und zu Brüdern werden. Die besten Männer des ganzen Landes werden sich – frei gewählt von ihren Mitbürgern – zu einem Reichs- und Volkstag versammeln und für eine christliche Regierung sorgen. Wo heute noch 34 Götzen willkürlich und eigennützig regieren, wird wieder der allgemeine Wille und das allgemeine Wohl herrschen.

„Was sind unsere Wahlgesetze? Nichts als Verletzungen der Bürger- und Menschenrechte der meisten Deutschen.“ (S. 26)

Nach der Befreiung der Bauern und Bürger werden sich die räuberischen Landesfürsten und Könige vor einem Volksgericht verantworten müssen. Die schuldlos Verbannten werden in ihre Heimat zurückkehren, die schuldlos Verhafteten aus den Gefängnissen freigelassen. Kunst und Wissenschaft, Gewerbe und Ackerbau werden aufblühen. Ein gesamtdeutsches Heer wird entstehen, in dem Tapferkeit und Freiheitsliebe und nicht Geburt und blinder Gehorsam über die Rangfolge bestimmen. Das Volk ist den Herrschenden zahlenmäßig weit überlegen. Zwar sind die Fürsten besser ausgerüstet, doch sie sollten wissen: Wer Gewalt gegen das Volk anwendet, wird durch die Gewalt des Volkes umkommen.

Zum Text

Aufbau und Stil

Bereits die Überschrift des Hessischen Landboten „Friede den Hütten! Krieg den Palästen!“ bringt auf den Punkt, worum es in dem für eine Flugschrift recht langen Text geht: Er ist ein Aufruf zum Umsturz. Mit Blick auf die bäuerliche Leserschaft bedienen sich die Autoren einer allgemein verständlichen und schlichten, dabei höchst anschaulichen, agitatorischen Sprache. Immer wieder sprechen sie ihre Leser in Appellen direkt an („Hebt die Augen auf“, „Denkt an das Stempelpapier“). Sie sparen nicht mit Ironie und Sarkasmus und finden drastische Bilder für die Ausbeutung der Bürger durch die Obrigkeit: der Schweiß der Armen als Salz der Reichen, der Fürst als Blutegel, die Bauern als Würmer und Ackergäule. Zum Beleg ihrer Argumentation zitieren sie aus der Finanz- und Steuerstatistik des Großherzogtums Hessen. Diese scheinbar nüchternen Fakten und Zahlen kontrastieren sie effektvoll mit einer sehr sinnlichen biblischen Rhetorik. Nicht nur führen sie lange Zitate und Motive aus der Bibel an, ihre eigene Sprache verfällt mitunter in einen Predigtton („Ich sage euch“), und sie beenden ihre Kampfschrift mit einem Gebet und dem Wort „Amen“.

Interpretationsansätze

  • Der Hessische Landbote stellt ein Novum in der deutschen Literaturgeschichte dar, insofern sich darin ein Dichter als Autor einer anonym und illegal erschienenen politischen Kampfschrift hervortut. Georg Büchner, der sich an französischen Vorbildern orientiert, überwindet mit seinem Flugblatt die in Deutschland spätestens seit der Zeit der Weimarer Klassik vorherrschende Trennung zwischen Literatur und Politik. 

  • Die beiden Autoren verfolgten mit ihrer gemeinsamen Schrift unterschiedliche Ziele. Friedrich Ludwig Weidig, der Büchners Manuskript zu den heute vorliegenden Fassungen überarbeitete, wollte die bäuerlichen Schichten für eine bürgerliche Revolution und die Einführung einer konstitutionellen nationalen Monarchie gewinnen. Büchner dagegen, der aufgrund seiner Erfahrungen in Frankreich dieser Regierungsform skeptisch gegenüberstand, ging es weniger um politische Strukturen als um einen radikalen Umsturz der sozialen Verhältnisse und ein Ende der ökonomischen Ausbeutung der Bauern.

  • Die Flugschrift legt nicht systematisch Büchners politische Meinung dar, sondern muss von ihrer intendierten Wirkung her verstanden werden. Von den hessischen Bauern, an die er sich richtete, hatte Büchner keine besonders gute Meinung. Er glaubte, sie seien nur an materiellen Verbesserungen interessiert. Um die Massen zu beeinflussen, schrieb er, gebe es nur zwei Hebel: „materielles Elend und religiöser Fanatismus“. Die Bauern ließen sich nicht mit Idealen wie Freiheit, Ehre der Nation oder Pressefreiheit gewinnen, sondern nur, indem man ihnen vorrechnete, dass sie die Hauptlasten des Staates trügen.

  • Trotz der vielen an biblische Sprache angelehnten Passagen betreibt Büchner keine religiöse Propaganda. Vielmehr bedient er sich der religiösen und biblischen Motive, die seiner Leserschaft aus den Gottesdiensten vertraut waren, in sozialkritischer Absicht. Damit stellt er sich in die Tradition der radikalen Reformatoren, die in den Bauernkriegen des 16. Jahrhunderts ihre sozialrevolutionären Forderungen mit Passagen aus der Bibel legitimierten.

  • In der naturrechtlichen Tradition von Jean-Jacques Rousseau bis zum Jakobinismus der Französischen Revolution stehend, verweist Büchner auf die Diskrepanz zwischen dem Anspruch des Staates, für das Gemeinwohl zu sorgen, und der Realität. Ob in Justiz, im Finanzwesen oder im Militär, in allen Staatsbereichen sieht er eine Pervertierung des Naturrechts vorliegen, die die Absetzung und – wie im Fall der Französischen Revolution – sogar die Hinrichtung eines Herrschers rechtfertigt.

Historischer Hintergrund

Restauration und Vormärz

Nach den Napoleonischen Kriegen, die 1815 mit dem Sieg der Alliierten über Napoleon endeten, strebten die europäischen Herrscher danach, die alte Ordnung wiederherzustellen. Frankreich wurde in eine konstitutionelle Monarchie umgewandelt, mit Königen aus dem Herrscherhaus der Bourbonen an der Spitze. In Deutschland reduzierte sich die Anzahl der Kleinstaaten von ursprünglich über 300 auf ein paar Dutzend, die sich im Deutschen Bund zusammenschlossen und in denen jeder Fürst seine Herrschaft bewahrte. Die territoriale Zersplitterung verhinderte nicht nur eine einheitliche deutsche Verfassung mit Freiheits- und Menschenrechten, sie blockierte auch einen ökonomischen Aufschwung. Nach 1815 setzte in Deutschland ein enormes Bevölkerungswachstum ein, bei geringem Produktivitätsanstieg in Landwirtschaft und Industrie. Die Folgen waren Arbeitslosigkeit und Massenarmut, von der insbesondere die ländliche Bevölkerung betroffen war.

Bei allen restaurativen Tendenzen waren die Ideale der Französischen Revolution – Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – nicht vergessen. Als Reaktion auf das Ansinnen König Karls X., die Pressefreiheit einzuschränken und die politischen Rechte des Adels zu stärken, schlossen sich in Frankreich im Juli 1830 liberale Bürger, Arbeiter und Studenten zusammen und gingen auf die Barrikaden. Karl X. musste abdanken, ihm folgte der „Bürgerkönig“ Louis-Philippe.

Die Ereignisse im Nachbarland verliehen auch der deutschen National- und Freiheitsbewegung neuen Auftrieb. Ende Mai 1832 versammelten sich auf dem Hambacher Fest Zehntausende Oppositionelle verschiedenster Couleur – von Deutschnationalen bis zu radikalen Republikanern – und verlangten Einheit, Freiheit und Volkssouveränität. Zu einem gemeinsamen Programm gelangten sie nicht; die Machthaber reagierten mit Verfolgung und einer Verschärfung der Pressezensur.

­Nach der Julirevolution in Frankreich wurde schon bald Kritik an der bürgerlichen Verfassung sowie der Regierung Louis-Philippes laut. Radikale Gegner der Julimonarchie argumentierten, die bürgerliche Freiheit diene vor allem reichen Kapitalbesitzern. Nicht nur in Paris, auch in anderen Städten kam es zu sozialen Unruhen und Aufständen. Überall in Frankreich bildeten sich revolutionäre Zirkel nach dem Vorbild der Jakobinerclubs, darunter die „Société des droits de l’homme“, die auf der Grundlage von Vereinen und Flugschriften die Grundlage für einen Massenaufstand zur Beseitigung der Monarchie schaffen wollte.

Entstehung

Ein Studienaufenthalt in Straßburg von 1831 bis 1833 prägte Büchners politisches Bewusstsein entscheidend. Im März 1834 gründete er in Gießen nach französischem Vorbild die „Gesellschaft der Menschenrechte“. Erklärtes Ziel des Vereins war es, durch einen Massenaufstand die Republikanisierung Deutschlands mit gleichem Wahlrecht für alle und einem radikal veränderten Steuersystem herbeizuführen. Mittels Flugblättern sollten die Volksmassen für den Kampf gegen die Regierung mobilisiert werden. Nachdem er sich bei einem seiner Mitstreiter, dem Butzbacher Schulrektor Friedrich Ludwig Weidig, eine Statistik über das Großherzogtum Hessen besorgt hatte, verfasste Büchner Ende März die Flugschrift und ließ sie von Freunden zu Weidig bringen, der sich um die Drucklegung kümmern sollte.

Mit Rücksicht auf gemäßigtere Oppositionelle überarbeitete Weidig Büchners Entwurf eigenständig und milderte ihn ab. So ersetzte er zum Beispiel den Begriff „Reiche“ durch „Vornehme“ und fügte vor allem im zweiten Teil nationale und religiöse Passagen hinzu. In einer Nacht-und-Nebel-Aktion wurde die Schrift nach Offenbach gebracht, in einer Auflage von rund 1200 Stück illegal gedruckt und verteilt, ehe die Polizei einen der Mithelfer verhaftete und zahlreiche Exemplare beschlagnahmte. Auch Büchner, der über Straßburg in die Schweiz floh, wurde verhört. Er gab dabei zu Protokoll, dass er die Schrift aufgrund der Veränderungen „nicht mehr als die seinige“ anerkenne. Weidig, den man inhaftierte und folterte, bezahlte sein revolutionäres Engagement mit seinem Leben: Er starb nach einem angeblichen Selbstmordversuch in der Haft. Die Frage, wer von beiden Autoren welchen Anteil an dem Text hatte, bleibt letztlich offen, da Büchners ursprüngliches, handschriftliches Manuskript nicht überliefert ist. Erhalten haben sich der überarbeitete Erstdruck vom Juli und der leicht veränderte Zweitdruck vom November 1834.

Wirkungsgeschichte

Wie Der Hessische Landbote bei den Bauern und Handwerkern ankam, lässt sich heute nicht mehr sagen. Immerhin bewertete Weidig ihn als so erfolgreich, dass er ihn noch im selben Jahr in einer zweiten Auflage von 400 Exemplaren publizierte. Die Behörden stuften den Text als „eine der bösartigsten revolutionären Schriften überhaupt“ und KA als „hochverräterisch“ ein. Schon früh würdigten dagegen Sozialisten und Sozialdemokraten die Schrift und stellten Büchner als einen Vorläufer ihrer Bewegung dar. Unter den Nationalsozialisten war das Werk verboten, und in der restaurativen Adenauerzeit stagnierte die Rezeption. Insgesamt lässt sich feststellen, dass Der Hessische Landbote in Zeiten des gesellschaftlichen Umbruchs wie 1919 oder 1968 stets auf großes öffentliches Interesse stieß, neu aufgelegt und kommentiert wurde. So rief etwa Hans Magnus Enzensberger in seiner Neuauflage des Werkes 1965 die Leser auf, die weltpolitische Aktualität der Flugschrift zu erkennen.

Über die Autoren

Georg Büchner wird am 17. Oktober 1813 in Goddelau bei Darmstadt als Sohn eines Arztes geboren. 1831 nimmt er in Straßburg ein Medizinstudium auf. Das Kleinstadtklima behagt ihm nicht. Er wird melancholisch und erkrankt häufig. Erst die Beschäftigung mit der Geschichte der Französischen Revolution holt ihn aus seiner Lethargie heraus. 1832 verlobt er sich in Straßburg heimlich mit Wilhelmine (Minna) Jaeglé. Im selben Jahr nimmt er am Hambacher Fest teil, dem Höhepunkt bürgerlich-liberaler Opposition gegen die Restauration. Auf der Flucht vor den Behörden, die ihn wegen seiner Mitautorschaft des revolutionären Flugblattes Der Hessische Landbote verfolgen, flieht er 1835 nach Straßburg und 1836 nach Zürich, wo er sein Studium beendet und Privatdozent für Anatomie wird. Nebenbei schreibt er Dantons Tod (1835), ein Drama über die Französische Revolution, und die Erzählung Lenz (1835). Das Theaterstück Woyzeck, das er Ende 1836 beginnt, kann er wegen einer schweren Typhuserkrankung nicht fortsetzen. Am 19. Februar 1837 stirbt Büchner im Alter von nur 23 Jahren in Zürich. Friedrich Ludwig Weidig wird am 15. Februar 1791 in Oberkleen geboren. Nach seinem Studium der Theologie erhält er 1812 den Posten des Konrektors, ab 1822 den des Rektors an einer Butzbacher Schule. Nach dem Vorbild des „Turnvaters“ Friedrich Ludwig Jahn gründet er 1814 in Butzbach einen Turnplatz und zusammen mit seiner Frau Amalie Hofmann eine Mädchenschule. Ab 1818 wird der Liberaldemokrat, der für einen einheitlichen Nationalstaat eintritt, wegen seiner politischen Tätigkeiten überwacht. Von 1830 an ist er zunehmend an konspirativen Aktionen beteiligt. 1833 wird er inhaftiert, 1834 vom Dienst suspendiert und als Pfarrer in das abgelegene Dorf Ober-Gleen strafversetzt. Als Mitverfasser des Hessischen Landboten, dessen Druck und Verbreitung er maßgeblich organisiert, gerät er unter Verdacht des Hochverrats. Anders als Büchner flieht er nicht, sondern wird im April 1835 erneut inhaftiert. Nach schweren Misshandlungen stirbt Weidig (vermutlich durch Selbstmord) am 23. Februar 1837 in einem Darmstädter Gefängnis.

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