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Der Hofmeister oder Vorteile der Privaterziehung

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Der Hofmeister oder Vorteile der Privaterziehung

Eine Komödie

Suhrkamp,

15 Minuten Lesezeit
10 Take-aways
Text verfügbar

Was ist drin?

Ein armseliger Lehrer trennt sich von seinem besten Stück – und findet trotzdem sein Glück.


Literatur­klassiker

  • Komödie
  • Sturm und Drang

Worum es geht

Abc der Schulmisere

Ein Germanistikstudent hangelt sich nach der Uni von Praktikum zu Praktikum. Um sein WG-Zimmer bezahlen zu können, gibt er den Kindern wohlhabender Eltern Nachhilfeunterricht. Doch dann wird eine Schülerin von ihm schwanger ... So oder so ähnlich könnte eine vom Hofmeister inspirierte Dokusoap im 21. Jahrhundert beginnen. Allerdings müssten sich die Produzenten mächtig ins Zeug legen, um dem Stürmer und Dränger Jakob Lenz – selbst ein Opfer des Prekariats des späten 18. Jahrhunderts – das Wasser reichen zu können: Denn bei Lenz kopulieren, duellieren, geißeln, ersäufen und kastrieren sich die karikaturistisch verzerrten Figuren, dass das Theaterblut nur so spritzt. Schon die im Titel erwähnten „Vorzüge der Privaterziehung“ sind pure Ironie, und es wird kruder und abstruser, je schneller die Handlung auf das unglaubwürdige Happy End zueilt. Bertolt Brecht nannte es das „Abc der Teutschen Misere“, ein Stück über die „Selbstentmannung des Intellektuellen“ – sicher ein Thema, bei dem heute noch Nachhilfebedarf besteht.

Take-aways

  • Der Hofmeister von Jakob Michael Reinhold Lenz gilt als erstes deutsches Milieudrama.
  • Inhalt: Der Hauslehrer Läuffer fristet ein trostloses Dasein in einer Adelsfamilie. Gustchen, die Tochter des Hauses, liebt ihren Cousin Fritz. Doch dann wird sie von Läuffer schwanger und läuft von zu Hause fort. Läuffer findet bei einem religiösen Fanatiker Unterschlupf und kastriert sich selbst. Am Ende wird alles gut: Fritz heiratet sein Gustchen und Läuffer das Bauernmädel Lise.
  • Lenz kritisierte die pädagogischen Strömungen seiner Zeit als dogmatisch und einengend.
  • Bürgerlichen Akademikern wie Lenz blieb kein anderer beruflicher Weg, als eine Hofmeisterstelle anzunehmen.
  • Der Hofmeister erschien zunächst anonym. Einige Zeitgenossen schrieben den Text Goethe zu.
  • Der Autor sah die Komödie als „Gemälde der menschlichen Gesellschaft“, das diese in allen Schattierungen abbilden solle.
  • Das Stück wird dem Sturm und Drang zugerechnet, wie auch ähnlich rebellische Stücke von Schiller und Goethe.
  • Zeitgenössische Kritiker bejubelten Lenz’ Bruch mit der aristotelischen Dramenpoetik. Die sexuellen Tabubrüche dagegen missbilligten sie.
  • Der Streit mit seinem ehemaligen Freund Goethe setzte Lenz’ Karriere ein vorzeitiges Ende.
  • Zitat: „Die heutige Welt ist über den Aberglauben längst hinweg; warum will man ihn wieder aufwärmen. In der ganzen heutigen vernünftigen Welt wird kein Teufel mehr statuiert –“ (Läuffer)

Zusammenfassung

Armer, arbeitsloser Akademiker

Läuffer, ein Pfarrerssohn mit abgeschlossenem geisteswissenschaftlichem Studium, denkt laut über seine Zukunftsperspektiven nach: Der Vater hat kein Geld, um ihm eine Stelle als Beamtengehilfe zu erkaufen. Für den Pfarrersberuf findet er sich zu schön und zu jung. Und der Geheime Rat von Berg hat ihm eine Anstellung in der Stadtschule verweigert. Als dieser mit seinem Bruder, dem Major, auftaucht, geht Läuffer unterwürfig mit den Füßen scharrend an den beiden vorbei. Der Geheime Rat versucht seinem Bruder gerade auszureden, mit Läuffer einen Hauslehrer für dessen Sohn Leopold anzustellen. Die Eitelkeit und der Standesdünkel der Adligen sind von Berg zuwider, weshalb er seine Söhne auf die öffentliche Stadtschule schickt. Er ist überzeugt: Nur dort lernen sie, ihren Kopf zu gebrauchen.

„Unsere Kinder sollen und müssen das nicht werden, was wir waren: die Zeiten ändern sich, Sitten, Umstände, alles, und wenn du nichts mehr und nichts weniger geworden wärst, als das leibhafte Kontrefei deines Eltervaters – –.“ (Geheimer Rat zum Major, S. 10)

Die Brüder gehen im Streit auseinander und Läuffer wird als Hofmeister angeheuert. Die Majorin stellt ihn auf die Probe: Kann er auch ordentlich tanzen? Musizieren? Französisch sprechen? Sich manierlich benehmen? Als der Familienfreund Graf Wermuth von einem bestimmten Tanzmeister schwärmt, wagt Läuffer zu widersprechen und wird sogleich von der Majorin zurechtgestutzt. Wer habe ihm, dem Diener, erlaubt, in höherer Gesellschaft seine Stimme zu erheben? Verächtlich redet sie über ihn, als wäre er gar nicht anwesend, und schickt ihn unwirsch aus dem Zimmer.

Verdorbener Sohn, geliebte Tochter

Läuffer sitzt mit dem verzogenen Leopold über den Büchern, als der Major ins Zimmer stürmt. Er schimpft seinen Sohn einen faulen Nichtsnutz, ohrfeigt ihn und befiehlt ihm, sich davonzumachen. Dann feilscht er zum wiederholten Mal um Läuffers Gehalt und zwingt ihn, die reduzierte Summe zu akzeptieren. Außerdem soll der Hofmeister die geliebte Tochter in Religion und Zeichnen unterrichten. Offenbar ist Gustchen sein einziger Lichtblick im täglichen Ehekampf mit der herrischen Majorin. Im Unterschied zu ihm hasse sie ihre Tochter und verzärtle Leopold, klagt der Major. Seinem Sohn solle der Hauslehrer jederzeit den Hintern versohlen, wenn er aufmucke. Aber mit Gustchen, warnt der Vater, solle er schonend umgehen – und auf jeden Fall die Finger von ihr lassen!

„Ohne Freiheit geht das Leben bergab rückwärts, Freiheit ist das Element des Menschen wie das Wasser des Fisches, und ein Mensch, der sich der Freiheit begibt, vergiftet die edelsten Geister seines Bluts, erstickt seine süßesten Freuden des Lebens in der Blüte und ermordet sich selbst.“ (Geheimer Rat zum Pastor Läuffer, S. 24)

Das Mädchen liebt romantische Geschichten und Dramen, und so gerät der Abschied von Fritz, dem Sohn des Geheimrats, zur Theaterprobe: Gustchen schlüpft in die Rolle von Julia, Fritz in die von Romeo. Am Ende lässt sie ihn einen Eid darauf schwören, dass er nach drei Studienjahren zurückkehren und sie heiraten werde. In dem Moment platzt der Geheime Rat herein. Er hat an der Tür gelauscht und ist sehr erbost über die Tollheit der Kinder: Ein Eid sei eine ernsthafte Angelegenheit, die Ehe etwas für erwachsene Kinder und die Wirklichkeit kein Roman. Dann schaut er ihnen beim tränenreichen Abschied zu.

Vergebliche Fürsprache

Läuffer ist nun schon seit über zwei Jahren bei dem Major in Lohn und Brot, als sein Vater zum Geheimen Rat geht, um sich bei diesem für seinen Sohn einzusetzen: Der Major zahle Läuffer von Jahr zu Jahr weniger, obwohl das Arbeitspensum zugenommen habe. Wer ihn denn dazu zwinge, wie ein Sklave in Ketten zu leben und die besten Jahre seines Lebens mit der Erziehung einer Rotznase zu verplempern, kontert der Geheime Rat. Er findet, dass studierte junge Männer lieber dem Staat mit ihrer Arbeit nützen sollten, als dem aufgeblasenen Adel zu dienen. Der Pastor führt die wirtschaftliche Not und einen Mangel an Arbeitsplätzen für Akademiker an, doch von Berg wischt das mit dem Argument beiseite, der Staat würde seine Kinder schon nicht hängen lassen. Die Schuld für den jämmerlichen Zustand der öffentlichen Schulen gibt er den Hofmeistern selbst: Ohne sie wären die Edelmänner gezwungen, ihre Sprösslinge zur Schule zu schicken und diese ordentlich zu finanzieren. Der Geheime Rat verweigert sich der Bitte des Pastors, Fritz’ jüngeren Bruder zu Läuffer in den Unterricht zu schicken, um dessen Gehalt aufzubessern. Eher würde er dem Hofmeister Geld schenken, als sein Kind verwahrlosen zu lassen.

Ein neuer Romeo

Gustchen zeigt Läuffer gegenüber keinerlei Respekt und schwänzt die Zeichenstunde. Der Hofmeister reagiert gekränkt. Fritz sitzt inzwischen 180 Reisestunden entfernt in der Hallenser Studentenbude seines Jugendfreunds Pätus. Dieser hat gerade aus Geldnot seinen einzigen Anzug verpfändet. Bis auf den Schlafrock und einen Wolfspelz hat er nichts mehr anzuziehen. Er möchte aber unbedingt am Abend ins Theater, um sich Lessings Minna von Barnhelm anzusehen. Trotz der Hitze streift er sich seinen Pelz über und macht sich zum Gespött der Leute, als er hochrot, mit offenem Mund und verfolgt von einem Rudel wütend bellender Hunde durch die Stadt rennt.

„O Romeo! Wenn dies deine Hand wäre – Aber so verlässest du mich, unedler Romeo!“ (Gustchen zu Läuffer, S. 39)

Das Verhältnis zwischen Gustchen und ihrem Lehrer hat sich gewandelt. Sie liegt auf dem Bett und spielt mit Läuffer eine Szene aus Romeo und Julia – wie die Heldin aus Shakespeares Drama fühlt sie sich von ihrer Familie gehasst und verstoßen. Dem jungen Mann schwant Böses. Er fürchtet, es werde ihm ergehen wie Abälard (Anm. d. Red.: ein Hauslehrer, der um das Jahr 1200 seine Schülerin schwängerte und den der Onkel des Mädchens daraufhin kastrieren ließ). Gustchen weist den Verdacht der Schwangerschaft halbherzig von sich. Der Major beobachtet die verblühende Schönheit seiner Tochter mit Sorge. Er plagt sich auf dem Feld ab wie ein Bauer, weil er meint, Geld für Gustchens ärztliche Behandlung auftreiben zu müssen. Für deren Zustand macht er die Majorin mit ihrer Lieblosigkeit und dem ewigen Gezänk verantwortlich.

Verstoßene Söhne, verlorene Tochter

Fritz sitzt im Gefängnis, weil er für Pätus’ Schulden gebürgt hat, während dieser zu seinem Vater reisen und um Unterstützung bitten will. Ihr Kommilitone Herr von Seiffenblase reibt Fritz voller Schadenfreude unter die Nase, dieser erhalte nun die Quittung für sein Vertrauen einem bürgerlichen Lumpen gegenüber. Doch Fritz nimmt seinen Freund in Schutz: Dieser habe zwar nie gelernt, mit Geld umzugehen – besitze aber ein so gutes Herz, dass er einem Bettler sein letztes Hemd geben würde. Pätus kehrt unverrichteter Dinge zurück. Sein Vater hat nicht einmal mit ihm sprechen wollen. Fritz und der Student Bollwerk reden ihm zu, rasch die Stadt zu verlassen, denn wenn Pätus erst einmal im Gefängnis sitze, werde er dort verfaulen. Der Geheimrat, so hoffen sie, werde seinen Sohn schon auslösen.

„Ein Mensch, der nicht grad schreiben kann, sag ich immer, der kann auch nicht grad handeln.“ (Wenzeslaus, S. 50)

Die Majorin hat von dem Verhältnis zwischen Läuffer und Gustchen Wind bekommen. Beide sind geflüchtet – das Mädchen an einen unbekannten Ort und Läuffer in das Haus des alleinstehenden Dorfschulmeisters Wenzeslaus. Weil dieser von seinem kargen Gehalt keine Familie ernähren kann, tröstet er sich mit asketischer Frömmelei und quacksalberischen Gesundheitsphilosophien. Als Graf Wermuth in der Hoffnung, den Flüchtigen zu finden, das Haus durchsuchen will, stellt Wenzeslaus sich ihm tapfer in den Weg. Nun setzt der Schulmeister dem Geretteten mit seinem missionarischen Eifer zu: Mithilfe des Rauchens solle dieser die „bösen Begierden“ unterdrücken, allen menschlichen Sinnesfreuden abschwören und sein Leben Gott dem Herrn verschreiben.

Verbannung und Verzeihung

Nachdem der Geheimrat auf keinen der fünf Bittbriefe seines Sohnes geantwortet hat, hält er nun einen Brief von dessen Professor in den Händen: Fritz sei vor lauter Verzweiflung aus dem Gefängnis geflohen, und der Professor habe die Schuldner nur mit Hinweis auf die angesehene Familie von Berg davon abhalten können, den Jungen steckbrieflich suchen zu lassen. Der Major indes hat ein ganzes Jahr lang nichts von seiner Tochter gehört und kündigt lebensmüde an, aufseiten der Russen in den Krieg gegen die Türken zu ziehen. Nicht so schnell, meint sein Bruder, zuerst sollten sie es noch einmal bei dem Dorfschullehrer versuchen, der den Grafen so brüsk abgewiesen hat.

„Der wird mich noch zu Tode meistern – Das unerträglichste ist, dass er recht hat –“ (Läuffer über Wenzeslaus, S. 59)

Gustchen hat zwei Tage zuvor in einer Waldhütte ihr Kind zur Welt gebracht – bei der blinden Bettlerin Marthe, bei der sie das Baby zurückgelassen hat. Sie hat von ihrem unglücklichen Vater geträumt und meint, ihm Nachricht geben zu müssen. Inzwischen stürmt der Major mit seinem Bruder und dem Grafen Wenzeslaus’ Kate und schießt Läuffer in den Arm. Der Schulmeister schreit Zeter und Mordio, und der Geheimrat versucht ihn mit dem Versprechen zu beschwichtigen, dass er den Chirurgen bezahlen werde. Da auch Läuffer nicht weiß, was mit Gustchen geschehen ist, rennt der Major verzweifelt fort, sein Bruder hinterher. Sie kommen gerade noch rechtzeitig, um zu sehen, wie eine junge Frau sich den Teich stürzt – es ist Gustchen. Der Major springt hinterher und zieht sie aus dem Wasser. Das Mädchen bittet mit schwacher Stimme um Verzeihung, und der Vater gewährt sie ihr.

Ein neuer Lebensabschnitt

Fritz nimmt seinen Freund Pätus ins Gebet: Dass dieser sich von einer „Koketten“ habe ausnehmen lassen, sei schlimm genug. Aber warum musste sein Freund die rechtschaffene, unschuldige Tochter des Lautenlehrers Rehaar verführen? Fritz meint, Pätus habe entweder seine Triebe nicht unter Kontrolle oder sei ein bösartiger Kerl. Da taucht Vater Rehaar auf und verkündet weinerlich, dass er seine Tochter am Morgen mit der Postkutsche zur Tante nach Kurland geschickt habe, weil ihre Ehre in Leipzig dahin sei. Pätus nervt das Gejammer derart, dass er Rehaar eine Ohrfeige versetzt. Diese Unverschämtheit geht Fritz zu weit. Er bittet seinen Freund, sich bei Rehaar zu entschuldigen. Pätus denkt nicht dran. Also fordert Fritz ihn zum Duell auf. Als sich die beiden im Beisein Rehaars gegenüberstehen, besinnt sich Pätus eines Besseren. Er umarmt seinen Freund und willigt ein, Rehaar Satisfaktion zu geben. Dieser aber sticht Pätus überraschend in den Arm. Doch Pätus spielt die Verletzung herunter; er umarmt auch Rehaar und verspricht, dessen Tochter zu heiraten.

„Ich will Euch nach meiner Hand ziehen, dass Ihr Euch selber nicht mehr wieder kennen sollt.“ (Wenzeslaus zu Läuffer, S. 59)

Läuffer trifft im Schulhaus auf Marthe, die orientierungslos mit dem Kind auf dem Arm durch die Gegend stolpert. Sie ist überzeugt, dass Gustchen tot ist. Als Läuffer in dem Baby seine eigenen Gesichtszüge erkennt, fällt er in Ohnmacht. Wenig später, bei Wenzeslaus daheim im Bett liegend, gesteht er diesem, dass er sich kastriert habe. Wenzeslaus preist ihn dafür in den höchsten Tönen. Er vergleicht Läuffer mit den Mitgliedern radikaler religiöser Sekten, die sich aus Furcht vor Gott entmannten und ein Leben in heiliger Keuschheit führten.

Lauf, Lehrer, lauf

In Insterburg bei Königsberg beobachten Gustchen, ihr Vater und der Geheime Rat, wie Seiffenblase im gegenüberliegenden Haus Rehaars Tochter nachstellt. Zu ihrem Schutz nehmen sie diese bei sich auf. An Fritz schreibt Seiffenblase einen intriganten Brief, in dem er von dem Skandal um Gustchen berichtet und andeutet, sie habe Selbstmord begangen. Fritz macht sich schwere Vorwürfe, da er nicht wie versprochen nach drei Jahren zu seiner Liebsten zurückgekehrt ist. Doch Pätus traut Seiffenblase nicht. Sie beschließen, nach Insterburg zu reisen, nur leider fehlt ihnen das Geld. Die Rettung bringt ein überraschender Lottogewinn von Pätus. Sofort begleichen sie alle ihre Schulden und brechen in Richtung Heimat auf.

„O du mein einzig teurester Schatz! Dass ich dich wieder in meinen Armen tragen kann, gottlose Kanaille!“ (Major zu Gustchen, S. 69)

Läuffer hört lustlos Wenzeslaus’ flammender Predigt im Schulhaus zu, in der dieser das Abtöten der Sinne als direkten Weg zum Himmel preist. In Wirklichkeit hat Läuffer nur Augen für die blonde Konfirmandin Lise. Als der Schulmeister ihn wegen dieser Blicke zur Rede stellt, reagiert er barsch: Wenzeslaus solle ihn mit seinem Aberglauben in Ruhe lassen. Nun redet sich der Meister in Rage: Wo kein Aberglaube sei, da sei auch kein Glaube, und überhaupt, fügt er hinzu, was nützten Läuffer jetzt die fleischlichen Begierden, wenn er sie nicht mehr befriedigen könne? Wütend lässt er seinen Schützling allein. Dieser flirtet nun offen mit Lise und küsst sie gerade leidenschaftlich, als Wenzeslaus wieder ins Zimmer tritt. Er traut seinen Ohren nicht, als die beiden ihre Absicht bekunden, zu heiraten. Und die Kastration? Die Kinder, die niemals geboren würden? Wenzeslaus’ hitzige Argumente verfehlen ihr Ziel. Zeternd geht er ab.

Happy End mit Nachgeschmack

Fritz und Pätus erreichen ihr Zuhause und versöhnen sich mit ihren Vätern, während Gustchen und Rehaars Tochter sich in der Kammer verstecken. Ein Missverständnis nach dem anderen löst sich auf. Als Fritz erfährt, dass Gustchen lebt, ist er außer sich vor Freude. Dann spürt der Major sogar seinen verschollenen Enkel auf, und die blinde Marthe entpuppt sich als Pätus’ Großmutter, die Pätus’ Vater einst aus bloßer Habsucht verstieß, nachdem sie ihm das Familienvermögen vermacht hatte. Es folgen mehrere Versöhnungen, dann stellt Pätus dem Vater seine Braut, die Jungfer Rehaar, vor, und Fritz beteuert seine frohe Absicht, Gustchen trotz ihres Fehltritts zu heiraten und ihren Sohn als den eigenen anzunehmen. Nur ein Hofmeister als Erzieher, der solle ihm nicht ins Haus kommen.

Zum Text

Aufbau und Stil

Lenz selbst bezeichnete den Hofmeister zunächst als Lust- und Trauerspiel. Vor der Drucklegung wurde dann eine Komödie daraus. Fest steht: Das Stück vermengt sämtliche Stilformen seiner Zeit, die volkstümlich-burlesken der Posse, die erzählend-realistischen der Komödie und die erhaben-didaktischen der Tragödie. Lenz definierte die Komödie als „Gemälde der menschlichen Gesellschaft, und wenn die ernsthaft wird, kann das Gemälde nicht lachend werden“. Um das Bild möglichst wirklichkeitsgetreu zu gestalten, warf er die von Aristoteles geforderte Einheit des Ortes, der Zeit und der Handlung über den Haufen. Die Geschichte zieht sich in fünf Akten über mehr als drei Jahre hin, spielt an neun verschiedenen Orten und wartet mit so vielen unglaublichen Zufällen auf, dass das Stück lange Zeit als unaufführbar galt. Lenz porträtierte die Menschen mit all ihren seelischen Widersprüchen und Abgründen und ließ sie sprechen, wie ihnen der Schnabel gewachsen war. Als poetischer Maler von Karikaturen, wie er sich selbst sah, gab er seinen Figuren sprechende Namen und reduzierte ihr Wesen verfremdend auf die von der Norm abweichenden, charakteristischen Eigenarten.

Interpretationsansätze

  • Der Hofmeister spielt in verschiedenen Varianten das biblische Gleichnis vom verlorenen Sohn durch: Eltern verstoßen ihre Kinder, und am Ende finden alle in perfekter Harmonie wieder zusammen. Aus dem Generationenkonflikt gehen die Väter geläutert hervor. Prinzipientreue und Adelsstolz weichen der modernen, zärtlichen Liebe.
  • Die Wurzel des Übels liegt in gescheiterten Erziehungsmethoden: Die Hofmeisterei ist nur noch ein peinliches Relikt der spätfeudalen Gesellschaft. Aber auch der ostentativ aufgeklärte Geheimrat führt seine hehren Ideale durch kleinliche Taten immer wieder ad absurdum. Er steht stellvertretend für die philanthropische Pädagogik Johann Bernhard Basedows, die dessen Zeitgenosse Lenz wegen ihrer nutzenorientierten Prinzipienreiterei und Vereinheitlichung als realitätsblind und widernatürlich ablehnte.
  • Bleibt noch die pietistische Pädagogik, die von Wenzeslaus, einer Figur, die Lenz’ eigenen Vater widerspiegelt, propagiert wird: Er will Läuffer Askese und Demut lehren und ihn zu seinem Ebenbild formen. Als Vaterfigur versagt er so kläglich, dass es zwischen ihm und seinem Schützling nicht einmal zur Versöhnung reicht.
  • Die Vereinigung Läuffers mit dem Bauernmädchen Lise rüttelt an einem überkommenen Ehemodell: Nicht mehr das Kinderzeugen und die Regulierung tierischer Triebe sollen ihr alleiniger Sinn und Zweck sein, sondern die platonische Liebe, das spirituelle Verständnis füreinander und die gegenseitige Unterstützung im Alltag.
  • Lenz war alles andere als sinnesfeindlich. Er sah in der Sexualität „die Mutter aller Empfindungen“. Läuffer gelingt es weder durch Askese noch durch Selbstkastration, seine Sinnlichkeit zu unterdrücken. Indem er dem sexualfeindlichen Vatergott absagt, findet er sein kleines, privates Glück.
  • Die Titelfigur bleibt ein Getriebener und ein Spielball anderer. Nicht Taten bestimmen Läuffers Schicksal, sondern die Normen, Zwänge und Moralvorstellungen der Gesellschaft. Lenz schrieb damit den Prototyp des deutschen Milieudramas, das erst ein Jahrhundert später zum Naturalismus weiterentwickelt wurde.

Historischer Hintergrund

Erziehung zur Unmündigkeit

Den Ausbruch des Menschen aus selbst verschuldeter Unmündigkeit – nicht mehr und nicht weniger forderten die Aufklärer im Gefolge Immanuel Kants im 18. Jahrhundert. Nur, wie sollte das in einer spätfeudalen Ständegesellschaft gelingen, in der auch die kühnsten bürgerlichen Freigeister wirtschaftlich von ihren adligen Gönnern abhängig waren? In einer Zeit, in der gut dotierte Beamtenposten größtenteils dem Adel vorbehalten waren und die Universitäten ganze Heerscharen bürgerlicher Akademiker in die Arbeitslosigkeit entließen? Gute öffentliche Schulen und Lehrerstellen waren rar, und so blieb den meisten Absolventen der philosophischen Fakultäten nur die Flucht in eine Stelle als Hofmeister einer adligen oder gutbürgerlichen Familie. Das Überangebot am Markt drückte die Löhne, was die Hauslehrer nur noch abhängiger von ihren Gastfamilien machte.

Die Erziehung sollte nach der Theorie der Aufklärer die Voraussetzung dafür schaffen, Kinder zu mündigen Bürgern zu formen. In der Praxis wurde ihnen das eigenständige Denken aber mit Rohrstock, Bigotterie und der Diktatur des Patriarchats ausgetrieben. Gegen solche und andere Heucheleien der Spätaufklärung rebellierten die Dichter des Sturm und Drang (ca. 1750–1785), darunter Johann Wolfgang von Goethe mit den Leiden des jungen Werther, Friedrich Schiller mit Kabale und Liebe und Lenz mit dem Hofmeister. Politische und menschliche Freiheit waren für sie zwei Seiten einer Medaille. Sie wehrten sich gegen die Unterdrückung individueller Bedürfnisse und Leidenschaften durch gesellschaftliche Normen und Zwänge. Ihre Forderung: der Ausbruch der menschlichen Natur aus fremdverschuldeter Knechtschaft.

Entstehung

Jakob Lenz stammte aus einer lutherischen Pfarrersfamilie und hatte seine Jugend mit Andachten, Gewissenserforschung und Erbauungsstunden verbracht. Sein Vater verfolgte die Erziehungsideale des Pietismus: Der natürliche Willen des durch die Erbsünde verdorbenen Kindes sollte gebrochen und so dessen spirituelle Wiedergeburt als „neuer Mensch“ gefördert werden. Als 20-Jähriger überwarf sich Lenz mit seinem dogmatischen Vater. Er brach das Theologiestudium ab und reiste als Gesellschafter zweier adeliger Brüder, einem Hofmeister ähnlich, nach Straßburg. Dort fand er Anschluss an eine Gruppe Intellektueller, zu denen auch Goethe gehörte. Die Begegnungen inspirierten ihn zu einer neuen Dramentheorie: Die Komödie sollte ein karikaturistisches Abbild einer ungerechten, verbesserungswürdigen Gesellschaft bieten.

Wann er die Arbeit am Hofmeister begann, ist nicht überliefert. Im Sommer 1772 erlebte er jedenfalls einen ungeheuren Kreativschub und vollendete das einzige überlieferte Manuskript. Beflügelt wurde er von der Liebe zu der von Goethe verlassenen Friederike Brion. „Es ist mir, als ob ich auf einer bezauberten Insel gewesen wäre“, schrieb Lenz an einen Freund, „ich war dort ein anderer Mensch, als ich hier bin, alles, was ich geredt und gethan, habe ich im Traume gethan.“ Bis zur Drucklegung wurde das Manuskript grundlegend überarbeitet. Vermutlich war es der Autor selbst, der die bürgerlichen Namen von Zeitgenossen durch sprechende Fantasienamen ersetzte, den Text entschärfte und straffte. Auf Vermittlung Goethes erschien das Stück im Frühjahr 1774 anonym in Leipzig.

Wirkungsgeschichte

Einige Zeitgenossen glaubten im Hofmeister Ähnlichkeiten mit Goethes kurz zuvor erschienenem Sturm-und-Drang-Drama Götz von Berlichingen zu erkennen und vermuteten den Dichterfürsten höchstpersönlich hinter dem Anonymus. Christian Friedrich Daniel Schubart pries das Werk „unsers Shakespears, des unsterblichen Dr. Göthe“ als eines „voll deutscher Krafft und Natur“. Viele lobten die Realitätsnähe der Figuren und Dialoge sowie den Bruch mit der lähmenden aristotelischen Poetik und dem elitären französischen Klassizismus. Kritiker bemängelten Unstimmigkeiten in der Komposition: Gustchens einjährige Schwangerschaft, die Häufung absurder Zufälle und das übereilte Happy End. Den Umgang mit sexuellen Tabus wollten dem Verfasser weder Freund noch Feind verzeihen: „Wer ’ne Hur nimmt wissentlich / Bleibt ein Hundsfut ewiglich“, polterte Schubart, und dass Fritz das gefallene Gustchen am Ende auch noch heiratet, leuchtete kaum einem ein. Die Zeit für solche Provokationen war noch nicht reif. 1778 wurde das Stück in einer weichgespülten, zahnlosen Version ohne uneheliches Kind und Kastration inszeniert und zum harmlosen Schwank degradiert.

Lenz’ Erstling war das einzige Drama, das noch zu seinen Lebzeiten auf die Bühne kam. Das Interesse an Lenz wurde zunehmend von Goethes wachsendem Ruhm überschattet: Das zunächst verkaufsfördernde Rätselraten über die Identität des Autors entpuppte sich bald als Fluch. Nach einem Streit zwischen den beiden Rivalen schimpfte Herzog Carl August von Weimar Lenz einen „Affen Goethe’s“, andere bezichtigten ihn des Plagiats. Seine Karriere war am Ende. Erst Georg Büchner gelang es mit der Erzählung Lenz eine Generation später, das früh gescheiterte Genie aus der Vergessenheit zu holen.

Über den Autor

Jakob Michael Reinhold Lenz wird am 23. Januar 1751 in Seßwegen in der russischen Ostseeprovinz Livland (heute Estland/Lettland) als Sohn eines protestantischen Pfarrers und einer Pastorentochter geboren. Mit 15 veröffentlicht er sein erstes Gedicht, 1768 beginnt er, in Königsberg Theologie zu studieren. Dort lernt er Immanuel Kant kennen und schätzen und beschäftigt sich auf dessen Anraten hin mit den Schriften Jean-Jacques Rousseaus. Nach drei Jahren bricht er sein Studium ab und heuert gegen den Willen seines Vaters als Gesellschafter der Gebrüder Kleist an, zweier junger Offiziersanwärter, die er nach Straßburg begleitet. Hier macht er Bekanntschaft mit dem fast gleichaltrigen Johann Wolfgang von Goethe und verliebt sich in dessen ehemalige Geliebte Friederike Brion. Doch Lenz wirbt vergeblich um sie. In der Straßburger Zeit schreibt er die Dramen Der Hofmeister und Der neue Menoza sowie die Anmerkungen übers Theater, die 1774 veröffentlicht werden. Von der Schriftstellerei allein kann er nicht leben, sodass er weiterhin privat unterrichtet. Im Frühjahr 1776 folgt er seinem großen Vorbild Goethe an den Weimarer Hof, doch wegen einer „Eseley“ – wie Goethe es nannte – wird er gegen Jahresende der Stadt verwiesen. Bis heute ist nichts Genaues über den Streit bekannt. Lenz wird zunehmend von Anfällen paranoider Schizophrenie und religiösen Wahnvorstellungen heimgesucht. Anfang 1778 versucht er während seines Aufenthalts bei einem Pfarrer im Elsass, ein totes Kind zum Leben zu erwecken. Seine Hilferufe an den Vater verhallen ungehört. Schließlich holt der jüngere Bruder ihn nach Riga zurück. Weil er dort beruflich nicht Fuß fassen kann, verdingt sich Lenz fortan als Hofmeister, lernt Russisch und geht nach Moskau. Er verkehrt mit den dortigen Freimaurern und entwirft pädagogische und politische Reformvorhaben. In der Nacht vom 3. auf den 4. Juni 1792 stirbt er aus ungeklärten Umständen auf einer Moskauer Straße.

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