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Der Kindheitserfinder

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Der Kindheitserfinder

dtv,

15 Minuten Lesezeit
10 Take-aways
Text verfügbar

Was ist drin?

Ein Roman über das Erwachsenwerden, das einfach nicht gelingen will.


Literatur­klassiker

  • Entwicklungsroman
  • Gegenwartsliteratur

Worum es geht

Das ewige Kind

Aaron Kleinfeld wird nicht erwachsen. Während die anderen Jungen in seinem Alter allmählich in die Pubertät kommen und zu Männern heranwachsen, bleibt Aaron klein wie ein Elfjähriger und entwickelt sich auch sonst nicht weiter. Seine Mutter macht ihm Vorwürfe, die Verwandten lachen ihn aus, bei den Mitschülern wird er zum Außenseiter. Aaron leidet und kann doch nichts ändern. So zieht er sich immer mehr in seine eigene Welt zurück, bis er schließlich den Kontakt zur Realität verliert. David Grossman ist einer der bekanntesten Schriftsteller Israels. In Der Kindheitserfinder zeichnet er das beklemmende psychologische Porträt eines Jungen, der an seiner Umwelt zerbricht. Das Buch ist überwiegend aus der Sicht Aarons erzählt und konfrontiert den Leser unmittelbar mit der immer grotesker werdenden Gedankenwelt des Jungen. Am Ende bleibt man ebenso verwirrt und hilflos zurück wie die Menschen in Aarons Umwelt, die nicht begreifen, was mit ihm geschieht. Man kann Grossmans bildreiche Sprache eindrücklich finden oder manieriert – kaltlassen wird der Roman niemanden.

Take-aways

  • David Grossman ist einer der wichtigsten israelischen Schriftsteller der Gegenwart.
  • Der Kindheitserfinder ist ein Roman über die Schwierigkeiten des Erwachsenwerdens.
  • Inhalt: Der kleine Aaron bleibt in seiner Entwicklung kurz vor der Pubertät stehen. Er wächst nicht mehr und reift nicht zum Mann heran. Seine tyrannische Mutter macht ihm Vorwürfe. Aaron zieht sich in seine eigene Gedankenwelt zurück, bis er Wahnvorstellungen hat und schließlich sein Leben aufs Spiel setzt.
  • Die Handlung wird überwiegend aus der Perspektive Aarons geschildert.
  • Dessen Entwicklungsprobleme lassen sich als Konsequenz der Enge seines Elternhauses interpretieren oder als Weigerung, so zu werden wie die Erwachsenen in seiner Umwelt.
  • Immer wieder versucht sich Aaron als Entfesselungskünstler. Darin spiegelt sich sein Bedürfnis, aus der erfahrenen Beschränkung auszubrechen.
  • Grossmans Sprache ist bisweilen lakonisch, dann wieder verspielt und metaphernreich.
  • Der Roman wurde von der Kritik vor allem wegen seiner ausgefeilten psychologischen Darstellung gelobt.
  • In Israel hat Grossman sich für Frieden und die Aussöhnung mit den Palästinensern eingesetzt.
  • Zitat: „Und plötzlich (...) erfasste er mit dem scharfen Instinkt eines vierzehneinhalbjährigen Greises, dass sie, die hier tanzten, dass alle Tanzenden ebenso unglücklich waren wie er. Dass, wer einen Körper hat, ein Krüppel ist.“

Zusammenfassung

Sonderbare Fotos

Aaron Kleinfeld, elfeinhalb Jahre alt, lebt mit seiner Mutter Hinda, seinem Vater Mosche, der älteren Schwester Jochi und der senilen Großmutter Lili in einer Wohnsiedlung in Jerusalem. Er träumt davon, als Entfesselungskünstler aufzutreten. Im selben Haus wohnt Edna Blum, eine alleinstehende Dame Ende 30, und Aaron hegt den Verdacht, sie habe keinen Schatten. Er besitzt einen Dietrich, mit der er Ednas Wohnungstür öffnen kann, und um das Geheimnis ihres Schattens zu lüften, stiftet er eines Tages seine Freunde Gideon und Zachi an, mit ihm in Ednas Wohnung zu gehen. Den beiden ist in der fremden Umgebung sehr unwohl, aber Aaron ist von der eleganten Wohnung mit ihren Teppichen und Kunstwerken völlig hingerissen. Selbst die Toilette fasziniert ihn, hier ist alles neu und sauber, ganz anders als zu Hause.

„Zu Hause wird darüber nicht gesprochen. Bei ihnen ist noch nie ein unanständiges Wort gefallen. Und noch nie die Schlafzimmertür der Eltern abgeschlossen worden.“ (S. 70)

An diesem Tag stellt Mosche fest, dass der Feigenbaum in der Siedlung krank ist. Als er erfährt, dass Edna sehr an dem Baum hängt, macht er sich mit Feuereifer daran, den Baum gesund zu pflegen. Aaron und Zachi helfen ihm dabei. Hinda, die sowieso schon argwöhnt, Edna habe ein Auge auf ihren Mann geworfen, beobachtet das Geschehen misstrauisch vom Balkon aus. Eines Abends ruft sie Aaron wütend in die Wohnung. Er soll seine alten Winterstiefel anprobieren, um festzustellen, ob sie ihm noch passen. Dazu holt Aaron ein paar Wollstrümpfe aus dem Kleiderschrank seiner Eltern. Da fällt ihm ein brauner Umschlag mit der Aufschrift „Alfons’ Miezenzirkus“ in die Hände. Er findet Fotos von Mädchen in sonderbaren Posen. Aaron erschreckt sich über seinen Fund so sehr, dass er den ganzen Abend völlig verstört ist. Zum Erstaunen der Eltern passen ihm die alten Stiefel noch immer, obwohl er sie schon seit zwei Jahren trägt. Die Fotos gehen Aaron nicht mehr aus dem Kopf. Er holt sie immer wieder aus dem Versteck, bis sie eines Tages verschwunden sind und dann immer in unterschiedlichen Verstecken wieder auftauchen. Aarons Eltern planen jetzt schon seine Bar-Mizwa (das jüdische Fest der Religionsmündigkeit), obwohl es bis dahin noch anderthalb Jahre dauert. Es soll ein großartiges Fest werden, und die Eltern nehmen sogar einen Kredit dafür auf. Der Vater deutet auch schon an, dass er Aaron zu diesem Anlass sein Rasierzeug schenken möchte.

Veränderungen

Aaron beobachtet seine Mitschüler. Einige von ihnen haben sich in der letzten Zeit sehr verändert, langsam fangen die Jungen und Mädchen an, sich füreinander zu interessieren. Aaron überlegt, wie sich das Erwachsenwerden wohl anfühlt und was aus ihm einmal werden soll. Im Englischunterricht wird das „present continuous“ durchgenommen, die ing-Form des Verbs, die es im Hebräischen nicht gibt. Aaron ist davon fasziniert. Er stellt sie sich als Ausdruck davon vor, für sich in einem Zustand verharren zu können, ohne dass die Umwelt es überhaupt merkt.

„(...) ju-mping, als hätte man sich in einer Glasglocke eingesperrt, und diejenigen, die draußen sind, stellen sich irrtümlich vor: hey, he is nur jumping; aber innen drin, in der abgeschlossenen Glocke, passieren Dinge, passieren so unwahrscheinlich viele Dinge, dass jede Sekunde eine volle Stunde dauert, und nur man selbst kennt die Geheimnisse, die sich offenbaren, wenn man die Zeit in Zeitlupe erlebt (...)“ (S. 73 f.)

Ein Jahr später schickt Tante Gutsche ein Paket mit Kleidern, aus denen Cousin Giora herausgewachsen ist. Nun soll Aaron die Sachen tragen, aber sie sind ihm viel zu groß. Langsam verändert sich sein Verhältnis zu Zachi und Gideon. Aaron träumt noch immer von seinen Entfesselungskunststücken und stellt sich vor, dass in einer leer stehenden Wohnung in seinem Block ein sowjetischer Agent wohnt. Zachi und Gideon finden seine Ideen auf einmal gar nicht mehr witzig, sondern eher kindisch. Aaron weiß nicht recht, was passiert ist. Die beiden Freunde scheinen erwachsen zu werden, bei Gideon setzt der Stimmbruch ein. In den Ferien reist Aaron wie jedes Jahr nach Tel Aviv zu Tante Gutsche. Bisher war er dort immer der Anführer einer Kinderbande, aber auch hier ist nichts mehr wie noch vor einem Jahr: Cousin Giora redet die ganze Zeit nur über Frauen und macht Anspielungen, die Aaron nicht versteht. Die anderen Kinder, die er noch vom letzten Jahr kennt, verhalten sich ganz ähnlich. Aaron fühlt sich hilflos und isoliert.

Die Großmutter

In ein paar Monaten soll Aarons Bar-Mizwa stattfinden, aber die Eltern reden gar nicht mehr davon. Mutter Hinda möchte endlich die verwirrte Großmutter loswerden, die sie sowieso nicht leiden kann, weil sie früher Tänzerin in einer Nachtbar war und Mosche unehelich geboren hat. Eines Tages, als Jochi in ihrer Ballettstunde ist, schickt die Mutter Aaron zum Einkaufen. Er kommt früher zurück als geplant und sieht, wie die Großmutter in einen Krankenwagen gesteckt wird. Sie wehrt sich mit Händen und Füßen dagegen, muss aber irgendwann aufgeben, der Krankenwagen nimmt sie mit. Jochi zieht sich nach dem Verschwinden der Großmutter zurück, keiner spricht mehr über den Vorfall. In der Nacht hört Aaron seinen Vater zum ersten Mal weinen. Doch am frühen Morgen steht die Großmutter plötzlich vor der Tür. Sie ist aus der Klinik ausgebrochen und will wieder nach Hause.

„Sie spaltete sich vor seinen Augen der Länge nach, bis der weiße Kern ihres Hasses zum Vorschein kam: Ich fange wirklich an zu glauben, sagte sie zu ihm, dass du uns das absichtlich antust.“ (über Aarons Mutter, S. 96)

Im Winter wird Aaron 13, und die Familie feiert seine Bar-Mizwa zu Hause in bescheidenem Rahmen. Die Mutter lässt ihm zu diesem Tag neue Schuhe mit Absätzen machen, damit er größer wirkt. Aaron versteckt sich in seinem Zimmer, damit die Verwandten ihn nicht sehen und auslachen, weil er so klein ist. Aber irgendwann muss er sich doch zeigen und ihre dummen Sprüche ertragen. Kurz danach lässt Hinda die Großmutter wieder in die Klinik bringen. Am Anfang fährt die ganze Familie jeden Tag zu ihr und kümmert sich um sie, in der Erwartung, dass sie bald sterben wird. Sie wird zwar immer apathischer, aber sie lebt weiter. Mit der Zeit lässt das Interesse der Familie nach, am Ende kümmert sich keiner mehr um die Großmutter, außer Jochi, die ihre regelmäßigen Besuche in der Klinik vor der Familie geheim hält. Hinda wirft nach und nach persönliche Gegenstände der Großmutter in den Müll. Aaron holt sie wieder heraus und versteckt sie.

Arbeit für Edna

Auch ein Jahr später hat sich Aaron nicht verändert, er ist mit seinen 14 Jahren so klein und kindlich wie zuvor. Argwöhnisch beobachtet er die körperlichen Veränderungen seiner Mitschüler. Eines Tages steht plötzlich Edna Blum vor der Tür und bittet Mosche, in ihrer Wohnung die Wand zwischen Schlaf- und Wohnzimmer einzureißen. Hinda reagiert eifersüchtig und wütend. Deshalb lehnt Mosche erst ab, aber Edna bietet 50 Pfund, eine hohe Summe, die die Familie gut gebrauchen kann. Jetzt willigt Hinda widerstrebend ein, bestimmt jedoch, dass stets jemand aus der Familie dabei sein muss. Als Mosche dann zum ersten Mal zu Edna geht, kommt die ganze Familie mit. Drei Tage lang sitzen sie da und beobachten ihn bei der Arbeit. Edna ist fasziniert von dem starken, tatkräftigen Mann, und ihm macht es offensichtlich Spaß, in ihrer Gegenwart die Muskeln spielen zu lassen. Als er mit der Arbeit fertig ist, will sie ihn nicht mehr gehen lassen und denkt sich immer neue Aufträge für ihn aus: Wände abreißen, Zwischendecken herausnehmen, Fliesen abhacken. Dafür bietet sie ihm eine Menge Geld. Mosche nimmt an und arbeitet betont langsam und sorgfältig, sodass er über viele Wochen bei Edna beschäftigt bleibt. Bald kocht sie abends für ihn, und immer besonders gute Sachen. Hinda schäumt vor Wut und spricht die ganze Zeit über nicht mehr mit Mosche. Als sie herausfindet, dass er bei Edna isst, legt sie sich plötzlich auch ins Zeug. Edna zahlt und zahlt, obwohl sie kein Geld mehr hat, der Strom ist bereits gesperrt, aber sie kann sich einfach nicht von Mosche trennen.

„Und er stand auf und lief fort, (...) innerlich schreiend und würgend, dass er immer und ewig weitermachen werde, dass er – jawohl – in Häuser hineingehen werde, dass er sich aus Kisten und Koffern und Autos befreien werde, dass er bleiben werde in alle Ewigkeit.“ (über Aaron, S. 202)

Inzwischen wird in der Klinik ohne Wissen der Eltern entschieden, die Großmutter am Gehirn zu operieren. Zum Entsetzen der Mutter erholt sie sich so gut, dass sie die Klinik wieder verlassen kann. Nach Hindas Ansicht ist Mosche daran schuld: Er habe bei Edna so laut gehämmert, dass sogar Tote wiederauferstehen würden. Es kommt so weit, dass Edna aufgrund ihrer finanziellen Probleme dem Vater nur noch bescheidenes Essen servieren kann. Damit hat sie verloren, Mosche kann sich von ihr lösen. Er teilt ihr mit, dass er nicht weiter bei ihr arbeiten wird.

„Und noch ein Jahr verging. Und nichts.“ (S. 230)

Aaron leidet während Wochen an Verstopfung. Als er einmal in der Küche sitzt und Kartoffeln schält, muss er plötzlich auf die Toilette und traut sich nicht; er macht in die Hose. Dabei denkt er darüber nach, dass er ungeschickt und unkonzentriert geworden ist. Manchmal hat er auch ein Zirpen im Kopf, dann fällt ihm alles aus der Hand.

Aarons erste Liebe

An einem Frühlingsabend beobachtet Aaron im Park Zachi und Dorit beim Schmusen. Von da an beachtet er die Mädchen in seiner Klasse und verliebt sich heimlich in eine nach der anderen – bis er eines Tages Jochi zum Ballett begleitet und dabei Jaeli tanzen sieht. Jaeli ist etwas jünger als er, er kennt sie schon lange, aber bisher erschien sie ihm immer nur mager und unscheinbar. Nun bemerkt er plötzlich ihre Anmut, und er weiß, wonach er die ganze Zeit gesucht hat. Es gelingt Aaron, öfter mit Jaeli ins Gespräch zu kommen, und plötzlich ist er wieder so entspannt und ausgelassen wie früher. Auf dem Heimweg von der Schule albert er mit Gideon herum, um Jaeli zu imponieren, und auf einmal ist auch die Freundschaft zwischen den beiden wiederhergestellt. So traut sich Aaron bald, Gideon zu erzählen, dass er in Jaeli verliebt ist. Begeistert schildert er, wie er sie tanzen gesehen hat. Gideon hört interessiert zu und schlägt vor, sie könnten Jaeli doch gemeinsam nach Hause begleiten. Von diesem Zeitpunkt an sind sie oft zu dritt unterwegs.

„Wie lange dauert es, eine einfache Wand abzureißen? Das Abreißen einer einfachen Wand dauert drei oder vier Stunden, Wie lange riss Aarons Vater die andere Wand in Edna Blums Wohnung ab? Aarons Vater riss die andere Wand im Laufe von fünf Tagen ab (...)“ (S. 301)

Am Anfang streiten Jaeli und Gideon viel miteinander, was sich mit der Zeit aber legt. Aarons Eltern sind glücklich, als sie von seiner Freundschaft mit Jaeli erfahren, denn endlich benimmt er sich wie ein Mann. Doch Hinda fürchtet, Gideon könnte Jaeli ihrem Sohn ausspannen, deshalb überschüttet sie diesen mit guten Ratschlägen, wie er das Mädchen an sich binden kann, und versucht gar, ihm das Tanzen beizubringen. Aaron jedoch vertraut Gideon und hat keine Angst, Jaeli zu verlieren. Bis zu dem Tag, an dem Gideon und Jaeli ihm eröffnen, dass sie mit ihren Jugendgruppen gemeinsam für mehrere Wochen in ein Lager fahren. Das Geständnis fällt den beiden schwer, und Aaron ahnt, dass es um mehr geht als nur um den Ausflug. Das Glücksgefühl, das er seit Beginn der Freundschaft zu Jaeli empfunden hat, ist mit einem Mal wie weggeblasen. Am Boden zerstört geht er nach Hause und beginnt, sein Knie mit Schlägen zu traktieren. Als die Mutter erfährt, was geschehen ist, wird sie sehr zornig auf Aaron. Der spielt nun wieder allein auf der Straße Fußball und denkt darüber nach, was Gideon und Jaeli im Lager wohl machen. Ohne zu wissen warum, fühlt er sich schuldig.

Der Untergang

Den Unabhängigkeitstag feiern seine Eltern zusammen mit Freunden. Aaron möchte nicht dabei sein, also treibt er sich bis in die Nacht allein draußen herum. Er versucht, sich gedanklich von Jaeli zu lösen, aber es gelingt ihm nicht. Inzwischen misst Aaron jeden Tag nach, ob er gewachsen ist, aber vergeblich: Seit seinem zehnten Lebensjahr hat er keinen Zentimeter mehr zugelegt. In seiner Verzweiflung versucht er die Drüsen in seinem Kopf mit allerlei sonderbaren Ritualen anzuregen. So steckt er sich einen Zettel mit einer Botschaft an sein Gehirn in die Nase. In Gedanken schickt er einen kleinen Aaron mit dieser Botschaft in seinen Kopf, der nachsehen soll, wie es dort aussieht – aber der findet nur Wüste. Dann ist die Nase vereitert, und der Arzt wundert sich, dass sich ein zehnjähriger Junge noch Gegenstände in die Nase steckt. Statt das eigentliche Problem anzusprechen, schämt sich Hinda und verschweigt das wahre Alter ihres Sohnes. Aarons Verhalten wird immer sonderbarer. Er verletzt sich selbst und würgt sich, um zu testen, wie lange er es ohne Luft aushält. Die Mutter hat Angst um ihn, aber statt Hilfe zu holen, droht sie ihm, man würde ihn ins Irrenhaus bringen, wenn er sich weiter so benehme. Sie möchte ihn umarmen, und auch Aaron sehnt sich nach der Berührung, aber plötzlich schlägt er auf seine Mutter ein.

„Jetzt hat er Jaeli. Ohne Jaeli hat sein Leben keinen Sinn.“ (über Aaron, S. 471)

Inzwischen werden Vorbereitungen für einen Krieg getroffen. Jochi hat sich vorzeitig zur Armee gemeldet, der Vater wartet auf seine Einberufung. Aaron schwänzt die Schule, ohne dass es jemand merkt. An dem Tag, als Gideon wieder zurück ist, beobachtet er ihn von fern, zeigt sich aber nicht. Als die beiden sich später doch noch treffen, schlägt Aaron vor, einen Film zu drehen, in dem Gideon die Hauptrolle spielt. In einer Szene soll dieser nackt baden. Aaron drängt auf Gideons sofortige Zustimmung. Der ist nicht begeistert, sagt aber irgendwann Ja. Nun möchte Aaron ihn gleich nackt sehen. Gideon sträubt sich erst und lässt dann doch die Hosen herunter. Als Aaron sieht, wie weit Gideon bereits entwickelt ist, geht er davon. Schon seit Langem plant er ein Entfesselungskunststück: Er möchte sich aus einem alten Kühlschrank befreien, den jemand in der Nähe der Siedlung weggeworfen hat. Das wird nicht leicht sein, denn wenn die Tür geschlossen ist, hat Aaron nur für ein paar Sekunden Luft. Aber jetzt ist der richtige Moment dafür. In der Ferne hört Aaron seine Eltern nach ihm rufen, aber er lässt sich nicht aufhalten und klettert in den Kühlschrank.

Zum Text

Aufbau und Stil

Grossman erzählt seine Geschichte überwiegend aus der Sicht der Hauptfigur Aaron und lässt viel Platz für dessen Assoziationen und Gefühle. In demselben Maße, wie sich Aaron in seine eigene Welt zurückzieht, verlagert sich der Erzählfokus immer mehr auf ihn und seine Gedanken. An einigen wenigen Stellen wird allerdings auch aus der Perspektive anderer Personen erzählt. Die Handlung erstreckt sich über einen Zeitraum von etwa drei Jahren. Dabei schildert Grossman einzelne Szenen sehr detailliert und überspringt dann wieder lange Zeiträume von bis zu einem Jahr.

Die Sprache ist bisweilen lakonisch, dann wieder reich an Metaphern und Wortspielen; die New York Times lobte Grossman denn auch für die „Balance zwischen dem Profanen und dem Poetischen“. Er benutzt viele jiddische Ausdrücke, die in einem kleinen Glossar am Ende des Buches erklärt werden. Auffällig ist der kreative Umgang mit der Sprache in den Gedanken des ewig kindlichen Protagonisten: Aaron nutzt häufig die englische Verlaufsform (mit der Endung „-ing“), ein Pendant zu seiner zunehmenden Passivität und seinem Rückzug in sich selbst.

Interpretationsansätze

  • Zentrales Thema des Romans ist das Erwachsenwerden, die Reifung und Identitätsfindung. Unter dem Einfluss seiner tyrannischen Mutter hat Aaron keine Chance, sich zu einem eigenständigen, erwachsenen Menschen zu entwickeln. Der Stillstand seiner körperlichen Entwicklung entspricht seiner psychischen Verfassung.
  • Aarons Abgleiten in den Wahnsinn ist die einzige Möglichkeit, sich aus dieser Lage zu befreien: Als er nicht mehr zurechnungsfähig ist, hat auch die Mutter keine Macht mehr über ihn und er gewinnt den Freiraum, das auszuleben, was er in sich trägt.
  • Aarons Entwicklungsstörung kann auch als Protest gegen eine feindliche Umwelt interpretiert werden: Weil die Erwachsenenwelt ihn abstößt, wehrt Aaron sich dagegen, erwachsen zu werden, und möchte lieber ein Leben lang Kind bleiben.
  • Aarons Traum, als Entfesselungskünstler aufzutreten, spiegelt seinen Wunsch, aus der Enge auszubrechen. Es bleibt jedoch am Ende offen, ob ihm diese Befreiung gelingen wird oder ob er bei seinem letzten Kunststück den Tod findet.
  • Die Familie ist in Grossmans Roman ein Ort des Schweigens: Dunkles aus der Vergangenheit kehrt man unter den Teppich, aktuelle Probleme werden nicht angesprochen. Statt Aaron zu helfen und die Ursachen für sein Problem klären zu lassen, sind die Eltern bemüht, alles zu vertuschen. Wie die Figuren des Romans wird auch der Leser zum Opfer dieser mangelnden Kommunikation: Viele Probleme werden nur angedeutet, Aarons Abgleiten in Wahnvorstellungen nur aus seiner eigenen Perspektive dargestellt. Der Leser bleibt am Ende mit vielen Fragen zurück.

Historischer Hintergrund

Israel und der Nahostkonflikt

Nachdem die Juden im zweiten Jahrhundert n. Chr. von den Römern aus ihren angestammten Gebieten vertrieben worden waren, lebten sie über die ganze Welt verstreut, während in Palästina Araber siedelten. Erst um 1900 gab es jüdische Bestrebungen, Palästina wieder zu besiedeln. Nach dem Zweiten Weltkrieg und unter dem Eindruck des Holocaust setzte sich die internationale Staatengemeinschaft dann dafür ein, einen Staat Israel zu schaffen, in dem die Juden leben konnten. 1947 beschloss die UN-Vollversammlung, Palästina in einen arabischen und einen jüdischen Teil aufzutrennen; Jerusalem sollte unter UN-Verwaltung gestellt werden.

Die in Palästina lebenden Araber waren mit dieser Lösung nicht einverstanden, und auch die umliegenden arabischen Staaten betrachteten den neuen jüdischen Staat argwöhnisch bis feindselig. Als am 14. Mai 1948 der Staat Israel proklamiert wurde, erklärten noch in der Nacht mehrere arabische Staaten den Krieg. Dieser so genannte Unabhängigkeitskrieg, in dem Israel sein Territorium erfolgreich verteidigen und noch einige arabische Gebiete dazuerobern konnte, sollte bis Juli 1949 dauern. Die Palästinenser, die in den annektierten Gebieten wohnten, wurden vertrieben und landeten in Flüchtlingslagern. Der Krieg endete mit einem Waffenstillstandsabkommen, einen Friedensvertrag gab es erst einmal nicht. So blieb die Lage im Nahen Osten über viele Jahre instabil. Die vertriebenen Palästinenser wollten sich mit ihrer Lage nicht abfinden und versuchten immer wieder, in die besetzten Gebiete einzudringen.

Daneben hatte der junge Staat mit innenpolitischen Problemen zu kämpfen: In den Jahren nach der Staatsgründung wanderten massenhaft Juden nach Israel ein, was erhebliche organisatorische und finanzielle Probleme nach sich zog. Im Juni 1967 brach der Sechstagekrieg aus. Erneut konnte Israel Gebiete hinzugewinnen, so das Westjordanland und die Golanhöhen. Auch diese Gebiete wurden zum dauernden Zankapfel zwischen Israel und seinen Nachbarn. Im Oktober 1973 wurde Israel von Ägypten und Syrien überraschend angegriffen und musste zum ersten Mal militärische Niederlagen hinnehmen, ehe sich das Blatt wieder wendete.

Erst der ägyptische Präsident Sadat bemühte sich Ende der 1970er Jahre um eine Aussöhnung mit Israel. 1979 wurde endlich ein Friedensvertrag zwischen Israel und Ägypten geschlossen. In den Folgejahren bemühten sich viele Staaten, die dauernden Konflikte in der Region beizulegen. 1994 gab es einen Friedensvertrag zwischen Israel und Jordanien. Doch trotz allem blieb die Lage im Nahen Osten weiterhin angespannt, da sich an der prekären Situation der Palästinenser im Wesentlichen nichts geändert hatte.

Entstehung

Der Roman Der Kindheitserfinder weist einige Parallelen zur Biografie des Autors auf: David Grossmans Mutter war in Palästina geboren, der Vater dagegen aus Polen nach Israel eingewandert – genauso verhält es sich mit Aarons Eltern. Wie Aaron stammt Grossman aus bescheidenen Verhältnissen und wuchs in einem Jerusalemer Vorort auf.

Daneben enthält der Roman auch deutliche Bezüge zu den Werken anderer Schriftsteller. Das Motiv des Kindes, das aus Protest gegen die Erwachsenwelt sein Wachstum einstellt, findet sich bereits im Roman Die Blechtrommel von Günter Grass. Grossman selbst hat Franz Kafka als eines seiner literarischen Vorbilder genannt. Schließlich gibt es Parallelen zu einem Werk eines anderen jüdischen Schriftstellers, nämlich zum Roman Nenn es Schlaf von Henry Roth. Auch hier setzt sich ein Junge vor dem Hintergrund der jüdischen Kultur mit dem Erwachsenwerden auseinander und lernt für seine Bar-Mizwa denselben Text aus der Thora wie Aaron. Der Kindheitserfinder erschien 1991 in Israel und 1994 in deutscher Übersetzung.

Wirkungsgeschichte

David Grossman gilt als einer der wichtigsten israelischen Schriftsteller der Gegenwart. Er ist international erfolgreich, seine Werke wurden in viele Sprachen übersetzt und mit zahlreichen internationalen Literaturpreisen bedacht.

Der Roman Der Kindheitserfinder rief bei den Kritikern jedoch gespaltene Reaktionen hervor. Die einen zählten Grossman genau wegen dieses Werks zu den großen Autoren der Weltliteratur, lobten die poetische Sprache und die ausgefeilte psychologische Darstellung eines Kindes, das in einer bedrückenden Umgebung langsam in den Wahnsinn abgleitet. Andere waren dagegen der Meinung, die Geschichte werde zu sehr ausgewalzt und der Roman sei zu wortreich, vor allem gegen das Ende hin. Die üppige Metaphorik empfanden manche Kritiker eher als übertrieben denn als literarisch bedeutsam.

Über den Autor

David Grossman wird am 25. Januar 1954 in Jerusalem geboren. Sein Vater ist ein polnischer Einwanderer, die Mutter kam in Palästina zur Welt. Im Alter von neun Jahren beteiligt sich Grossman an einem Wettbewerb des israelischen Rundfunks und beeindruckt mit seinem Wissen so sehr, dass er sogleich als Korrespondent für den Jugendsender arbeiten darf. Dem Rundfunk bleibt Grossman lange Jahre treu. 1971 beginnt er seinen Militärdienst und kämpft 1973 im Jom-Kippur-Krieg. Zwei Jahre später beginnt er an der Jerusalemer Universität Philosophie und Theaterwissenschaften zu studieren. Nach dem Abschluss 1979 ist er weiter als Hörfunkjournalist tätig und veröffentlicht seine ersten literarischen Werke, die Erzählungen Laufen und Esel. Später schreibt er Bücher für seine drei Kinder sowie die Romane Das Lächeln des Lammes (1983) und Stichwort: Liebe (1986). Grossman engagiert sich für den Frieden im Nahen Osten und setzt sich für einen Dialog mit den Palästinensern ein. Dies bringt ihn in Schwierigkeiten mit seinem Arbeitgeber: Da Grossman mit der Zensur der Nachrichten nicht einverstanden ist, muss er 1988 seine Tätigkeit beim Rundfunk aufgeben. Von da an ist er ausschließlich als Schriftsteller und Printjournalist tätig. In seinen Veröffentlichungen setzt er sich weiterhin kritisch mit dem Nahostkonflikt auseinander. Er schreibt auch für palästinensische Zeitungen. Sein Engagement für die Aussöhnung im Nahen Osten bringt ihm im Ausland Achtung ein, in seiner Heimat jedoch überwiegend harsche Kritik. 2006 richtet er zusammen mit anderen israelischen Schriftstellern eine Petition an die Regierung mit der Forderung nach einem Waffenstillstand mit der Hisbollah. Nur wenige Tage später wird Grossmans Sohn Uri als Soldat im Südlibanon getötet. Weitere wichtige Werke Grossmans sind das Kinderbuch Zickzackkind (1994) und die Romane Sei du mir das Messer (1994), Wohin du mich führst (2000) und Löwenhonig (2005). Grossman lebt in einem Vorort Jerusalems.

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