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Der Kurier des Zaren

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Der Kurier des Zaren

Reclam,

15 Minuten Lesezeit
10 Take-aways
Text verfügbar

Was ist drin?

Sentimentaler Superheld rettet Russland vor tumben Tataren.


Literatur­klassiker


Worum es geht

Abenteuerliche Jagd durch Sibirien

Das Szenario scheint in Zeiten globaler Hyperkommunikation völlig aus der Zeit gefallen: Im fernen Sibirien ist ein Aufstand ausgebrochen, die Telegrafenleitungen sind gekappt. Die letzte Hoffnung auf Rettung der russischen Zivilisation ruht auf einem heldenhaften Kurier, der sich zu Pferd und zu Fuß, durch Gebirge und eisige Flüsse, über Bären-, Wolfs- und Tatarenkadaver hinweg nach Irkutsk durchschlägt. Ein halbes Jahrhundert vor der goldenen Ära des Hollywood-Westerns nahm Jules Verne dessen Erfolgsformel vorweg: Ein Bleichgesicht schießt seelenlose Schlitzaugen wie Pappfiguren nieder, und zum Abspann reitet der siegreiche Held mit seiner Angebeteten dem Sonnenuntergang entgegen. Von der Tendenz vieler Kritiker, das Werk durch die politisch korrekte Brille von heute zu betrachten, lassen sich Fans des Romans nicht anfechten. Doch genau diese Perspektive macht das Werk so faszinierend: Als Zeitzeuge vermittelt Jules Verne uns einen wertvollen Einblick in die Ursprünge vieler Konflikte, mit deren Folgen wir bis heute zu kämpfen haben. 

Take-aways

  • Der Kurier des Zaren gilt vielen heute als Jules Vernes bestes Werk.
  • Inhalt: Sibirien wird von Tatarenhorden bedroht. Der Zar schickt seinen Kurier Michael Strogoff mit einem Brief ins ferne Irkutsk, um seinen Bruder vor einem Verräter zu warnen. Auf dem abenteuerlichen Ritt übersteht der Held gefährliche Prüfungen und entkommt tödlichen Gefahren. Schließlich rettet ihn die Liebe zu seiner Mutter.  
  • Die Geschichte spielt um 1860 während der Regentschaft Zar Alexanders II.
  • Der Autor kehrt die historischen Tatsachen um: Tatsächlich wurde Russland nicht von asiatischen Völkern bedroht, sondern überrannte zwischen 1852 und 1884 Zentralasien.
  • Das Buch ist ein Sammelsurium von ethnischen, kulturellen und nationalen Stereotypen.  
  • In ihnen spiegelt sich der Glaube an die Überlegenheit der europäisch-christlichen Zivilisation gegenüber den asiatisch-muslimischen Barbaren.
  • Obwohl Verne nie vor Ort war, gelangen ihm atemberaubend schöne Beschreibungen der sibirischen Landschaft.
  • Das Buch war ein Riesenerfolg. Es wurde für die Bühne adaptiert und mehrfach verfilmt.
  • Jules Verne ist nach Agatha Christie der am zweithäufigsten übersetzte Autor der Welt.
  • Zitat: „Noch immer sind mir diejenigen lieber, die mit der Eroberung auch die Zivilisation bringen. Und das kann man von den Tataren beim besten Willen nicht behaupten.“ 

Zusammenfassung

Gekappte Verbindungen und eine neue Identität

Den Zaren erreichen düstere Nachrichten: Aufständische Tataren haben Russland in den sibirischen Provinzen angegriffen und die Telegrafenleitungen nach Irkutsk zerstört. Der Zar kann nun seinen Bruder, den Großfürsten und Gouverneur Ostsibiriens, nicht mehr vor dem Verräter Iwan Ogareff warnen, der die Tataren gegen die Russen aufgewiegelt hat. Ogareff will sich am Großfürsten dafür rächen, dass der ihn einst degradiert und nach Sibirien verbannt hat. Der Zar weiß, dass der Verräter sich unter falscher Identität beim Großfürsten einschleichen will, um ihn dann zu ermorden und Sibirien dem tatarischen Emir Feofar-Khan auszuliefern. Nur ein Nachrichtenkurier kann das jetzt noch verhindern. Der Zar vertraut die geheime Mission dem 30-jährigen Michael Strogoff an, einem heldenhaften Sibirier. Der tarnt sich als Kaufmann Nikolaus Korpanoff. Bevor der Kurier die lange Reise von Moskau nach Irkutsk antritt, verspricht er, sein Inkognito unter allen Umständen zu wahren. Nicht einmal seine geliebte Mutter will er unterwegs besuchen.

„,Es gab einmal eine Zeit, da war die Reise nach Sibirien eine Reise ohne Wiederkehr.‘ ,Mag sein. Aber solange ich lebe, ist und wird Sibirien ein Land sein, aus dem man wiederkehrt.‘“ (Polizeichef und Zar, S. 16)

Am 16. Juli nimmt er die Eisenbahn nach Nischni Nowgorod. Der Zug ist voll besetzt mit Kaufleuten auf dem Weg zur berühmten Handelsmesse der Stadt. Auch zwei neugierige ausländische Journalisten befinden sich darunter: Alcide Jolivet, ein jovialer Franzose, und der steife Engländer Harry Blount, die einander bei ihrer Arbeit stets in die Quere kommen. Unterwegs steigt eine junge, auffallend schöne Livländerin zu, die auch die entbehrungsreiche Reise nach Irkutsk antreten will – sehr zur Verwunderung des Kuriers.

Zwielichtige Zigeuner

Im Gouvernement Nischni Nowgorod trifft der Kurier nachts ein seltsames Zigeunerpaar. Die beiden scheinen bestens informiert, der Mann sagt voraus, was am nächsten Morgen offiziell verkündet wird: Kein Russe darf mehr aus dem Gouvernement, doch alle Asiaten müssen es binnen 24 Stunden verlassen. In der Präfektur der Stadt trifft der Kurier auf die verzweifelte Livländerin, der als Russin nun die Weiterreise verwehrt ist. Er selbst ist als Kurier des Zaren von der Regelung ausgenommen, und so geht er kurzerhand auf sie zu, gibt sie vor den Augen der Polizeibeamten als seine Schwester aus und geht mit ihr davon.

„Er war ein hochgewachsener, breitschultriger Mann, dessen wohlgeformter Kopf die besten Merkmale der kaukasischen Rasse zeigte.“ (über Michael Strogoff, S. 23)

Gemeinsam nehmen sie einen Wolgadampfer nach Perm, und jetzt erst vertraut sich das schöne Mädchen namens Nadja Feodor ihrem Wohltäter an: Sie ist nach dem Tod ihrer Mutter unterwegs zu ihrem Vater, einem angesehenen Rigaer Arzt, der zwei Jahre zuvor aus politischen Gründen nach Irkutsk verbannt worden ist. In der dritten Klasse belauscht Strogoff zufällig erneut ein Gespräch des Zigeunerpaares: Ein Kurier sei nach Irkutsk unterwegs, warnt die Zigeunerin Sangarra. Ja, antwortet ihr Gefährte, aber der werde sein Ziel gar nicht oder zu spät erreichen.

Abenteuerlicher Ural

In Perm mietet der Kurier einen Pferdewagen, um damit den Ural zu durchqueren. Strogoff und Nadja legen zwölf bis vierzehn Kilometer in der Stunde zurück, doch sie geraten mitten in ein furchtbares Unwetter hinein. Einmal droht ihr Gefährt von einem ins Tal donnernden Felsblock zermalmt zu werden, doch Strogoff bringt es im allerletzten Moment in Sicherheit.  

„Es ist zwecklos, mit russischen Polizeibeamten, die für ihre Rücksichtslosigkeit bekannt sind, verhandeln zu wollen.“ (S. 36)

Sie finden Schutz hinter einem Felsvorsprung. Plötzlich hört Nadja Stimmen. Strogoff macht sich auf, der Sache auf den Grund zu gehen. Er findet Jolivet und Blount, die in einem pferde- und führerlosen Karren im Schlamm hocken – der Engländer außer sich vor Zorn, der Franzose außer sich vor Lachen. Offenbar ist ihr Kutscher mit dem Vorderteil davongefahren, ohne das Fehlen der Passagiere zu bemerken. Strogoff bietet ihnen Hilfe an. Da fallen Schüsse. Abgefeuert hat sie Nadja, die sich gegen einen riesigen Bären zur Wehr setzt. Strogoff springt dazwischen und schlitzt dem Biest den Bauch auf. Die beiden Journalisten staunen nicht schlecht.

Tödliche Beleidigung

Von Jekaterinburg geht es durch die monotone westsibirische Steppe. An der nächsten Poststation sichert sich der Kurier die einzigen ausgeruhten Pferde und möchte sofort weiterfahren, als ein Mann, den sie unterwegs überholt haben, hereintritt und in herrischem Ton Strogoffs Pferde verlangt. Die Situation eskaliert so weit, dass der Mann ihm einen Peitschenhieb versetzt und sich die Pferde schnappt. Strogoff erträgt die Beleidigung ohne ein Wimpernzucken. Nadja ahnt, dass er gute Gründe dafür haben muss.

„Vor ihnen lag nun die reine sibirische Steppe, eine unendlich weite grasbewachsene Fläche, die am Horizont in einer reinen Bogenlinie mit dem Himmel verschmolz.“ (S. 107)

Erst am nächsten Tag können sie weiterreisen. Die jüngsten Nachrichten sind beunruhigend: Offenbar bedrohen die Tataren jetzt schon Strogoffs Heimatstadt Omsk. Als Nadja und Strogoff 25 Kilometer vor der Stadt den Fluss Irtysch überqueren, wird ihre Fähre von einem Tatarentrupp überfallen. Der Kurier will von Bord springen, wird aber von einer Lanze am Kopf getroffen und stürzt ins Wasser. Die Tataren nehmen Nadja gefangen.

Fatales Wiedersehen

Drei Tage später kommt Michael Strogoff in einer Hütte zu sich. Ein Bauer hat ihn gesundgepflegt. Auf dem Weg in seine Heimatstadt erkennt der Kurier in einem vorbeireitenden Offizier den alten Zigeuner und zugleich den Fremden, der ihn wenige Tage zuvor herausgefordert hat. Der Bauer, der Strogoff begleitet, verrät ihm: Es ist Iwan Ogareff. In der Poststation trifft Strogoff auf seine Mutter Marfa, die ihn freudig begrüßt. Er verleugnet sie jedoch, um nicht erkannt zu werden. Dann macht er sich davon. Der Vorfall ist jedoch nicht unbemerkt geblieben und Ogareff befragt Marfa. Die gibt sie vor, sich geirrt zu haben – vergeblich. Er befiehlt, sie zu verhaften und den Kurier des Zaren zu verfolgen.

„Von seiner Mutter her hatte er ein wenig mongolisches Blut. Er liebte die List und schreckte vor keinem Mittel zurück, wenn es galt, Geheimnisse auszukundschaften oder dem Gegner eine Falle zu stellen.“ (über Iwan Ogareff, S. 122)

Dieser hat inzwischen auf einem Pferd die von Stechinsekten verseuchten Baraba-Sümpfe erreicht, wo arme Bauern zum Schutz Gesichtsmasken aus Pech tragen. Jenseits der Sümpfe sieht Strogoff menschenleere Landstriche und verkohlte Dörfer. Am Abend belauscht er heimlich Offiziere einer tatarischen Reitertruppe. Er erfährt, dass auf seinen Kopf eine Belohnung ausgesetzt ist. Als er sich davonschleichen will, verrät ihn das Wiehern eines Pferdes. Im Nu sind ihm die Tataren auf den Fersen. Aus dem Galopp erschießt Michael Strogoff mehrere von ihnen, während die Kugeln der Verfolger an ihm vorbeizischen. Am Fluss Ob stürzt er sich in die Fluten. Ein Schuss fällt, sein Pferd versinkt im Wasser. Der Kurier taucht unter und erreicht das rettende Ufer.

Gefangene der Tataren

In einer Telegrafenstation vor der Stadt Kolywan, in der sich Russen und Tataren schwere Gefechte liefern, trifft Strogoff auf alte Bekannte: Blount und Jolivet streiten um den Platz am Schalter, um jeweils als Erster die Nachricht von der Niederlage der Russen in die Heimat durchzugeben. Nach einer heftigen Gewehrsalve schweigt die Leitung, die Tataren stürmen das Gebäude und nehmen die Reporter und Strogoff gefangen. In einem Gefangenentross werden sie ins Feldlager Feofar-Khans getrieben und dort eingepfercht. Nach vier Tagen hält Iwan Ogareff mit seinem Heer und weiteren Gefangenen Einzug. Die Reporter werden freigelassen, während die übrigen Gefangenen 150 Kilometer nach Tomsk marschieren müssen. Noch ahnt der Kurier nicht, dass sich auch Nadja und seine Mutter in dem Zug befinden. Die beiden Frauen haben sich angefreundet, und als Nadja voller Bewunderung und Trauer von ihrem verstorben geglaubten Reisegefährten Nikolaus Korpanoff erzählt, begreift die Mutter instinktiv, dass es sich um ihren Sohn handelt.

Ein liebender Sohn wird entlarvt

Hunderte Gefangene sterben. Die Sonne brennt auf sie nieder, und erst am Abend dürfen sie aus dem Fluss Tom trinken. Nadja und Marfa wollen das Ufer gerade verlassen, als das Mädchen einen Schrei ausstößt: Dort steht er, ihr Reisegefährte! Die alte Frau hält sie zurück, doch Sangarra hat die Szene beobachtet und berichtet Iwan Ogareff davon. Vor den Augen aller Gefangenen versuchen sie, Marfa zum Reden zu bringen – ohne Erfolg. Erst als die alte Frau zu Tode gepeitscht werden soll, kann Michael Strogoff sich nicht mehr beherrschen. Er reißt den Folterern die Peitsche aus der Hand und schlägt damit Ogareff ins Gesicht. Dieser befiehlt daraufhin, Feofar-Khan solle nach tatarischem Brauch über Strogoff richten. Triumphierend nimmt er diesem den Brief des Zaren ab, lässt ihn fesseln und abführen.

Die Blendung

In Tomsk feiert der Emir ein rauschendes Siegesfest. Als Marfa sich nicht schnell genug vor Feofar-Khan in den Staub wirft, stößt ein Soldat sie zu Boden. Der Kurier reißt sich los und schaut dem Emir offen in die Augen, bis dieser befiehlt, ihn blenden zu lassen. Der letzte Blick des Sohnes gilt seiner verzweifelten Mutter – dann führt der Scharfrichter die glühende Klinge an seinen Augen vorbei. Ogareff hält ihm höhnisch den Brief des Zaren vor die erloschenen Augen und verkündet, dass er nun in die Rolle des Kuriers schlüpfen werde. Dann verlässt er die Richtstätte mit seinem Gefolge. Strogoff bleibt allein zurück. Etwas abseits wartet Nadja auf ihn und verspricht, ihn nach Irkutsk zu führen.

Lebendig begraben

Auf blutigen Füßen quälen sie sich weiter. Schließlich hält ein Mann in einem klapprigen Pferdewagen neben ihnen und nimmt sie mit. Es ist Nikolaus Pigassoff, der Postmeister aus Kolywan. Sie kommen gut voran, bis sie den Fluss Jenissei mit seinen gefährlichen Stromschnellen erreichen. Weit und breit sind weder Fähre noch Fährmann zu sehen, doch mithilfe aufgeblasener Getränkeschläuche kommen sie mit Pferd und Wagen hinüber.

„Angesichts der Gefahr wuchsen ihm neue Kräfte und neuer Mut. Es ging jetzt um sein Leben, seinen Auftrag, das Schicksal seines Landes und vielleicht auch um das Heil seiner Mutter.“ (über Michael Strogoff, S. 146)

Bald darauf werden sie von einer tatarischen Reiterhorde gefangen genommen. Als einer der Reiter Nadja belästigt, schießt Nikolaus dem Soldaten durch die Brust. Daraufhin wird er gefesselt und an ein Pferd gebunden. Im Tumult gelingt Michael und Nadja die Flucht. Wieder sind sie zu Fuß unterwegs, und Nadja ist so erschöpft, dass der Kurier sie immer wieder auf seinen Armen trägt. Plötzlich hören sie verzweifelte Schreie: Sie stammen von Nikolaus, den die Tataren drei Tage zuvor an den Händen gefesselt bis zum Kopf eingegraben haben, den Wölfen und Geiern zur Beute. Für ihn kommt jede Hilfe zu spät. Verzweifelt begraben Nadja und Michael ihren treuen Freund.

Der falsche Kurier

Anfang Oktober erreichen sie den Baikalsee: 6000 Kilometer von Moskau und nur 150 Kilometer vom Ziel entfernt schließen sie sich einer Gruppe russischer Flüchtlinge an, die auf einem selbst gebautem Floß über den Angara-Fluss nach Irkutsk gelangen möchten. Eisschollen und Angriffe durch ausgehungerte Wölfe machen den Passagieren zu schaffen. Kurz vor Irkutsk wird das Floß vom Eis eingeschlossen. Vom Ufer aus schießen Tataren auf die wehrlosen Menschen. Michael Strogoff und Nadja klettern über die sich türmenden Eismassen und brechen am Rand eine Eisscholle ab, auf der sie zum Ufer treiben. Wenige Meter vorm Ziel schreit Nadja auf: Der Fluss brennt!

„Vergeblich hatten die Tataren mehrere Kugeln auf Michael Strogoff abgefeuert, aber nach jedem seiner eigenen Schüsse stürzte ein Usbeke unter dem Wutgeheul seiner Kameraden schwer verletzt zu Boden.“ (S. 148)

Was sie zu diesem Zeitpunkt nicht wissen: Einige Tage zuvor hat Iwan Ogareff Irkutsk erreicht, sich als Michael Strogoff ausgegeben und das Vertrauen des Großfürsten gewonnen. Die Stadt hat sich bis dahin gut gegen die drohende tatarische Invasion gerüstet. Der Großfürst hat den in der Stadt lebenden Verbannten die Freiheit geschenkt, darunter auch Wassilij Feodor, Nadjas Vater, der die Verteidigung der Stadt organisiert. Doch Ogareff will diese Pläne vereiteln. Er hat veranlasst, aus den Naphta-Lagern nahe Irkutsk Erdöl in die Angara laufen zu lassen. In der Nacht vom 5. auf den 6. Oktober wirft er eine brennende Fackel auf das Wasser – das Signal zum Angriff. Zufrieden kehrt er in den Gouverneurspalast zurück, als plötzlich Nadja und Michael Strogoff vor ihm stehen: Sie sind der Feuersbrunst auf dem Fluss im letzten Moment entkommen. Iwan Ogareff bleibt gelassen, schließlich geht er davon aus, dass sein Gegner blind ist. Dann erkennt er seinen Irrtum: Der Kurier kann sehen! Schon sticht Michael Strogoff ihm mit seinem Jagdmesser ins Herz.

Ende gut, alles gut

Jetzt erst offenbart der Kurier sein Geheimnis: Als er kurz vor der Urteilsvollstreckung seine verzweifelte Mutter vor sich sah, musste er weinen. Die Tränen waren es, die ihn vor dem Erblinden schützten. Im Kampf um Irkutsk bringt Ogareffs Tod den Wendepunkt. Es gelingt den Verteidigern, die Tataren zurückzuschlagen und die Feuer zu löschen. Kurze Zeit später erreicht das russische Entsatzheer den Kriegsschauplatz. Die Tataren werden vernichtend geschlagen und ziehen sich unter großen Verlusten in ihre Heimat zurück. Michael Strogoff und Nadja heiraten. Auf der Rückfahrt durch das winterliche Sibirien besuchen sie die überglückliche Marfa, um sich danach in Petersburg niederzulassen.

Zum Text

Aufbau und Stil

Der Kurier des Zaren ist ein klassischer Abenteuerroman. Im ersten Teil führt der Autor die wichtigsten Charaktere ein, lässt seinen Helden fantastische Abenteuer bestehen und ihn schließlich – nach dem dramatisch-komischen Höhepunkt im Telegrafenamt – von den Tataren gefangen nehmen. Im zweiten Teil schaltet Jules Verne auf der Actionskala noch einen Gang nach oben: Die Strapazen der Helden und die Grausamkeit ihrer Gegner nehmen zu, und die Bereitschaft des Lesers, der Geschichte Glauben zu schenken, wird auf eine harte Probe gestellt. Denn die Romanfiguren haben so gut wie keine psychologische Tiefe, der Held weicht jeder Kugel aus und hat das Glück auch sonst stets auf seiner Seite. Es wimmelt nur so von nationalen, ethnischen und religiösen Klischees. Gleichzeitig gruppiert der Autor diese vor beeindruckender Kulisse. Exakte Zeit- und Entfernungsangaben, wunderschöne Landschaftsbeschreibungen und ein dokumentarischer Erzählstil geben dem Leser das Gefühl, mit den ersten National-Geographic-Reportern auf Reisen zu gehen.

Interpretationsansätze

  • Der Roman ist eine einzige Feier des tapferen, einfallsreichen und pflichtbewussten Helden: Michael Strogoff bezwingt aus Loyalität zum Zaren seine tiefsten Gefühle, nimmt Ehrverletzungen und den Schmerz seiner Mutter in Kauf, um am Ende für seine Entbehrungen geradezu märchenhaft belohnt zu werden.
  • Das Buch liest sich wie eine Fibel der kulturellen Stereotype gegen Ende des 19. Jahrhunderts: Der Franzose ist raffiniert, der Engländer stur, der Sibirier bärenstark, der russische Bauer einfältig und die Zigeunerin verschlagen. Dabei bedient sich der Autor der zu seiner Zeit populären Physiognomik, die besagt, dass sich die Persönlichkeit eines Menschen an seinem Äußeren ablesen lässt.
  • Verne betreibt eine geradezu karikaturhafte Schwarzweißmalerei: So fließt in den Adern Iwan Ogareffs, des einzigen russischen Bösewichts, mongolisches Blut – natürlich von seiner Mutter geerbt. Die westliche Kultur wird der östlichen als in jeder Hinsicht überlegen dargestellt: intellektuell, moralisch, wirtschaftlich und militärisch.
  • Das Buch beschönigt Imperialismus und Kolonialismus als zivilisatorischen Akt, den die überlegene Macht zugunsten der unterlegenen auf sich nimmt. Der englische Schriftsteller Rudyard Kipling nannte das später die „Bürde des weißen Mannes“. Vernes Figur Alcide Jolivet bringt diese Haltung im Buch auf den Punkt: „Noch immer sind mir diejenigen lieber, die mit der Eroberung auch die Zivilisation bringen.“
  • Die Handlung ist von den Idealen des nationalistischen Zeitalters geprägt: Der Zar und das russische Vaterland gehen über alles. Selbst politische Gegner, die nach Sibirien verbannt wurden, versammeln sich angesichts der Bedrohung von außen treu hinter ihrem „Väterchen“, dem Zaren. Tatsächlich passierte im Russland der 1860er- und 1870er-Jahre genau das Gegenteil: Während die Armee Zentralasien im Handstreich eroberte, hatte der Reformzar Alexander II. im Innern gegen enorme Widerstände zu kämpfen.
  • Der technikbegeisterte Jules Verne bemüht für den Clou des Romans, das wunderbar erhaltene Augenlicht des Helden, ein naturwissenschaftliches Phänomen, den sogenannten Leidenfrost-Effekt. Dieser besagt, dass eine Flüssigkeit im Kontakt mit einer deutlich heißeren Oberfläche eine schützende Dampfschicht bildet. 

Historischer Hintergrund

Ein Platz an der aufgehenden Sonne

Die Region Zentralasien, mit den heutigen unabhängigen Staaten Usbekistan, Kirgisistan, Turkmenistan, Tadschikistan und Kasachstan, war für das russische Kaiserreich von zentraler Bedeutung: Hier lieferte es sich im 19. Jahrhundert den imperialistischen Machtkampf mit Großbritannien. Die Russen wollten den politischen Zerfall im islamischen Asien nutzen, um ihr Territorium nach Südosten hin weiter auszudehnen und einen Hafen am Indischen Ozean zu erlangen – sehr zum Unwillen der Briten.

In der direkten Konfrontation mit seinen Rivalen unterlag Russland allerdings: Als Zar Alexander II. 1855 den Thron bestieg, war die Niederlage im Krimkrieg (1853 bis 1856) – ursprünglich ein rein russisch-türkischer Konflikt – bereits abzusehen. Frankreich und Großbritannien hatten sich auf die Seite des Osmanischen Reichs geschlagen. In diesem ersten modernen Krieg hatte die rückständige Armee des Zaren keine Chance. Der Zar setzte daraufhin liberale Reformen durch. 1861 schaffte er die Leibeigenschaft ab und verordnete den Umbau von Militär und Verwaltung. Doch der erhoffte Modernisierungsschub blieb aus.

Die Expansion nach Osten verlief erfolgreicher: Zwischen 1852 und 1884 wurden die wichtigsten regionalen Fürsten in Zentralasien unterworfen. In den eroberten Gebieten entstanden das Generalgouvernement Turkestan sowie die Vasallenstaaten Buchara und Chiwa. Eine Politik der gezielten Russifizierung folgte: Hunderttausende russische Bauern wurden dorthin umgesiedelt. Das Militär regierte mit harter Hand, russische Beamte machten gemeinsame Sache mit korrupten Ortsvorstehern und religiösen Eliten, wenn es darum ging, die einfache Bevölkerung auszubeuten.

Entstehung

Jules Verne wollte keine wahrhaftige Geschichte erzählen. Der im Roman beschriebene Aufstand der Tataren ist pure Erfindung. Militärisch waren die Völker Zentralasiens den Russen damals hoffnungslos unterlegen: Der Emir von Buchara – Vorbild für den fiktiven Feofar-Khan – war 1868 vernichtend geschlagen worden und stand unter russischer Oberherrschaft. Realitätsnäher sind die Beschreibungen der sibirischen Landschaften und Lebensumstände: Verne war zwar nie vor Ort gewesen, ließ sich aber wohl von dem sibirischen Geschäftsmann Mikhail Sidorov inspirieren, der 1873 auf der Weltausstellung in Wien geologische Proben und Fotografien präsentierte. Der Schriftsteller Iwan Turgenjew fand bei einer Durchsicht von Vernes Manuskripts jedenfalls keinen Grund zu Beanstandungen.

Bleibt die Frage, warum Verne, ein überzeugter Republikaner und langjähriger Kritiker der Verhältnisse im feudalen Zarenreich, ein so uneingeschränkt russlandfreundliches und asienfeindliches Buch schrieb. Tatsächlich spiegelt sich sein Gesinnungswandel in der französischen Politik seiner Zeit wider: Frankreich suchte nach der Niederlage im Deutsch-Französischen Krieg (1870/71) neue Verbündete und glaubte, in Russland einen solchen finden zu können. Zudem begann die Angst vor der „gelben Gefahr“ umzugehen: Europäische Kolonialmächte schürten die Furcht, dass asiatische Horden den Westen überrennen und ihn seiner Vormachtstellung berauben könnten. Wie viele seiner Landsleute begrüßte auch Verne die sozialpolitischen Reformen des Zaren. Um diesem nicht zu nahe zu treten, tilgte er alle direkten Verweise auf dessen Person und änderte den Arbeitstitel Le Courrier du Czar in Michel Strogoff um. Vor der Veröffentlichung bekam der russische Botschafter eine Kopie, um sicherzugehen, dass der Zar keine Einwände erheben würde.

Wirkungsgeschichte

Der Kurier des Zaren erschien 1876 in Paris, zunächst als Fortsetzungsroman in einer Literaturzeitschrift für junge Leser. Er wurde noch im selben Jahr als Buch veröffentlicht und in der Folge in viele Sprachen übersetzt. Der Erfolg war gewaltig. Die Bühnenfassung, an der Verne selbst mitarbeitete, hatte 1880 in Paris Premiere und wurde bis ins 20. Jahrhundert mehrere Tausend Mal aufgeführt. 1914 entstand die erste Verfilmung, bis heute folgten ein Dutzend weitere. Viele Franzosen halten den Roman für Vernes größtes Werk. Unter den Fans sind so unterschiedliche Personen wie Roland Barthes oder Nicolas Sarkozy.

Jules Verne ist heute der am zweithäufigsten übersetzte Autor der Weltliteratur – nach Agatha Christie und noch vor William Shakespeare. Aufgrund seiner technisch visionären Werke wie Reise zum Mittelpunkt der Erde und Zwanzigtausend Meilen unter dem Meer gilt er manchen als Vater der Science-Fiction-Literatur. Nachdem er lange als trivialer Unterhaltungsautor abgetan wurde, kam es gegen Ende der 1960er-Jahre zu einer Aufwertung. Arno Schmidt sagte einmal, Jules Verne habe als Erster gezeigt, wie die Wissenschaften „nicht nur nicht poesie-zerstörend wirkten; sondern vielmehr unerhört neu-reiche Gebiete dem Dichter eröffneten.“

Über den Autor

Jules Verne wird am 8. Februar 1828 im französischen Nantes geboren. Sein Vater ist Rechtsanwalt und verlangt von seinem Sohn, nach der Schulausbildung ebenfalls Jura zu studieren. Zu diesem Zeitpunkt verliert sich der junge Verne bereits in seiner abenteuerlichen Fantasie, sehr zum Ärgernis des ernsten Vaters. Nach dem Wechsel von der Universität in Nantes nach Paris 1848 knüpft Verne Kontakte zu künstlerischen Kreisen. Er schreibt ein Theaterstück, das sogar zur Aufführung kommt und zum Entsetzen des Vaters von der Treulosigkeit flatterhafter Frauen handelt. Spätestens als er 1857 die Witwe Honorine Morel heiratet, die zwei Töchter mit in die Ehe bringt, muss ein soliderer Broterwerb her: Verne wird Börsenmakler. Nebenher schreibt er weiter und unternimmt größere Reisen durch Europa. Als aufmerksamer Beobachter der Erfindungen seiner Zeit – er führt eine Kartei mit Tausenden Notizen über neueste Entwicklungen – weiß Verne genau, was seine Zeitgenossen umtreibt und fasziniert. Er ist ein großer Anhänger der Luftschifffahrt und verarbeitet dies in dem Roman Fünf Wochen im Ballon (Cinq semaines en ballon, 1863). Das Buch löst eine Sensation aus. Verleger Hetzel konzipiert eine ganze Serie von „abenteuerlichen Reisen“ und gibt Verne einen festen Vertrag. In rascher Folge erscheinen Reise zum Mittelpunkt der Erde (Voyage au centre de la terre, 1864), Von der Erde zum Mond (De la terre à la lune, 1865) und Zwanzigtausend Meilen unter dem Meer (Vingt mille lieues sous les mers, 1869/70). 1871 zieht Verne mit seiner Familie nach Amiens, wird Vorsitzender der dortigen Académie, kauft sich Jachten und frönt seiner Reiselust. Weitere Erfolgsromane erscheinen, unter anderem Reise um die Erde in achtzig Tagen (Le tour du monde en quatre-vingts jours, 1873) und Die geheimnisvolle Insel (L’Ile mystérieuse, 1874). Mit Auszeichnungen überhäuft und ein riesiges Werk hinterlassend, stirbt Verne am 24. März 1905.

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