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Der Stechlin

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Der Stechlin

Manesse,

15 Minuten Lesezeit
12 Take-aways
Text verfügbar

Was ist drin?

Theodor Fontanes Alterswerk ist ein zwar handlungsarmer, aber tiefgründiger Zeitroman, in dem ein See auf geheimnisvolle Weise mit der Weltgeschichte verbunden ist.


Literatur­klassiker

  • Roman
  • Realismus

Worum es geht

Herr von Stechlin und die neue Zeit

Kaum Handlung, aber viel Inhalt, so könnte man Theodor Fontanes letzten Roman Der Stechlin kurz und knapp zusammenfassen. Der alte Stechlin lebt zurückgezogen in seinem Herrenhaus am gleichnamigen See. Sein letztes Lebensjahr ist von einer erfolglosen Kandidatur für den Reichstag, der Begegnung mit neuen und alten Bekannten sowie der Hochzeit seines Sohnes geprägt. Das Thema des Buches ist der Umbruch in ein neues Zeitalter, worüber alle Figuren in endlosen Gesprächen sinnieren und debattieren. Es geht um Demokratie, das Deutsche Reich und seine internationalen Beziehungen, um Industrialisierung und den sozialen Wandel im 19. Jahrhundert. Fontane hat mit seiner Entscheidung, die Konversation in den Mittelpunkt seines Buches zu stellen, einen für damals sehr modernen Roman geschaffen und anderen Autoren seiner Zeit viele Impulse gegeben. Heute ist das Buch vor allem deshalb so aktuell, weil sich unsere Gesellschaft wieder in einem umfassenden Veränderungsprozess befindet. Aus dem Umgang Fontanes mit dem Neuen lässt sich viel lernen – vor allem etwas mehr Gelassenheit und Toleranz, wie sie der alte Stechlin zu seinem Lebensprinzip erhoben hat.

Take-aways

  • Der Stechlin ist der letzte Roman Theodor Fontanes. Das Alterswerk ist eines seiner wichtigsten Bücher.
  • Der See Stechlin in der Mark Brandenburg bei Berlin erhält in dem Buch eine mythische Bedeutung.
  • In dem gleichnamigen Dorf steht das Herrenhaus, das von dem Adligen Dubslav von Stechlin bewohnt wird.
  • Die Geschichte spielt hauptsächlich an zwei Schauplätzen: im Dorf und Schloss Stechlin und in Berlin.
  • Dubslav von Stechlin ist ein altersweiser, toleranter Mensch, der in der Einsamkeit seiner märkischen Existenz einen Blick auf eine sich verändernde Welt wirft.
  • Er kandidiert als Konservativer für den Reichstag und unterliegt dem sozialdemokrati-schen Konkurrenten.
  • Dubslavs Sohn Woldemar wirbt um Armgard, eine junge Adlige, die in Berlin wohnt.
  • Deren Schwester, die junge, emanzipierte Melusine, ist eine weitere wichtige Figur des Buches.
  • Am Ende des Romans heiratet Woldemar Armgard. Der alte Stechlin erkrankt und stirbt.
  • Fontane stellt typische Figuren aus der märkischen und der Berliner Gesellschaft vor: Oberförster, Hauptmann, Pastor, adlige Junker, Dienstleute und Polizisten.
  • Die Gespräche der Figuren machen den Großteil des Romans aus.
  • Das Buch ist sehr handlungsarm, spiegelt aber den historischen Hintergrund sehr genau wider.

Zusammenfassung

Der See

Im Norden der Grafschaft Ruppin in Brandenburg befindet sich eine mehrere Kilometer lange Seenkette. Die Gegend ist kaum besiedelt, nur hier und da liegt ein kleines Dorf. Einer dieser Seen ist der Stechlin, dessen Wasser und Umgebung besonders ruhig zu sein scheinen. Das ändert sich nur, wenn am anderen Ende der Welt ein Vulkan ausbricht. Dann, so erzählen es sich die Leute, schießt im Stechlin ein Wasserstrahl hervor. So ist der kleine See im Märkischen mit der großen Weltgeschichte verbunden.

Das Schloss Stechlin

In der Nähe des Dorfes Stechlin gibt es ein Schloss, das früher ein richtig herrschaftliches Gebäude war und heute mehr ein Herrenhaus ist. Sein Bewohner Dubslav von Stechlin ist über 60 Jahre alt, ein Major a. D. und märkischer Adliger. Im Umkreis hat er sich durch seine tolerante Haltung und humanistische Gesinnung große Sympathien erworben. Von klein auf schätzte er eher Pferde als Bücher und unter König Friedrich Wilhelm IV. war er lange bei den Kürassieren. Doch auf Drängen seiner Frau nahm er seinen Abschied und zog mit ihr auf das damals verwaiste Schloss Stechlin. Seine Frau starb früh, und Dubslav heiratete nie wieder. Da er in der letzten Zeit häufig in finanzielle Not geriet, musste sich der Adlige mehrfach bei seinem alten Freund Baruch im benachbarten Gransee verschulden. Wenn es ganz schlimm kam, dann trat seine vermögende Stiefschwester Adelheid, die Vorsteherin des Klosters Wutz, ein und beglich die ärgsten Schulden, schimpfend zwar, doch wollte sie den Namen Stechlin nicht verunglimpft sehen. Sie tat es vor allem für ihren Neffen Woldemar, Dubslavs Sohn, auf dem alle ihre Hoffnungen ruhen.

Besuch kündigt sich an

An einem Herbstmorgen im Oktober überreicht der treue Diener Engelke seinem Herrn ein Telegramm. Sohn Woldemar und mit ihm zwei Freunde kündigen sich zum spontanen Besuch am späten Nachmittag an. Sofort beginnt der alte Dubslav eine Tafelrunde zusammenzustellen, damit die jungen Leute auch angemessen unterhalten werden. Boten werden zu den Spitzen der Gesellschaft im Dorf geschickt. Dubslav freut sich darüber, endlich aus seiner zwar frei gewählten, doch oft drückenden Einsamkeit herauszukommen. Gegen Abend treffen Woldemar, Hauptmann von Czako und Assessor von Rex ein. Die beiden Freunde Woldemars sind entzückt von dem alten Haus, an dessen Saaltür der alte Stechlin sogar ein Schild mit der Aufschrift „Museum“ angebracht hat.

Eine charmante Plauderei

Wenig später kommen die ersten Gäste zum Abendessen, unter ihnen die von Gundermanns. Frau Gundermann ist eine gestandene Berlinerin aus der Vorstadt, die gern redet, ihr Mann ein konservativer Holzhändler, der gleich gegen die Sozialdemokratie wettert, kaum hat er Platz genommen. Hauptmann von Czako will wissen, ob der Karpfen, den der alte Stechlin auftischen lässt, aus dem berühmten See kommt und dort die Weltereignisse der letzten Jahre miterlebt hat. Assessor von Rex verwickelt Pastor Lorenzen in ein Gespräch über Sittlichkeit. Ein weiterer Gast, Oberförster Katzler, findet sich in den gedrechselten Ausführungen des Assessors nicht zurecht und bleibt schweigsam. Dubslav wird seiner Rolle als Gastgeber voll und ganz gerecht. Leicht plätschert die Unterhaltung dahin, bis nach Cognac und Danziger Goldwasser Zeit zum Aufbruch ist.

Besuch im Kloster Wutz

Am nächsten Morgen legt der alte Stechlin seinem Sohn bei einem Spaziergang noch einmal ans Herz, er solle doch endlich ans Heiraten denken, denn schließlich sei er schon 32 Jahre alt. Czako und Rex kommen dazu, worauf Stechlin mit den beiden Gästen eine Besichtigungstour durchs Dorf unternimmt, u. a. zu Lehrer Krippenstapel. Woldemar besucht inzwischen seinen Lehrer und Erzieher Pastor Lorenzen. Später verabschieden sich die drei Freunde vom alten Stechlin und reiten weiter zum nahen Kloster Wutz. Bei einem kleinen Abstecher unterwegs besucht Woldemar die schwangere Frau des Oberförsters, die eine echte Prinzessin ist, wie er später seinen erstaunten Freunden genüsslich erzählt. Im Kloster werden sie von Adelheid, Woldemars Tante, empfangen, die sie zum Abendessen lädt. An diesem Mahl nehmen auch zwei der im Kloster lebenden Stiftsdamen teil. Czako flirtet mit dem Fräulein von Schmargendorf, das darüber völlig aus dem Häuschen ist. Ein richtiges Gespräch kommt nicht zustande, weil Adelheid zwar eine gute Gastgeberin ist, aber bei Tisch keine Unterhaltung führen kann. Später, als sie mit ihrem Neffen allein ist, beklagt sie sich über die Umwertung der Werte. Auf dem Heimweg unterhalten sich Rex und Czako darüber, dass der junge Stechlin in Berlin ausnehmend oft bei der Familie Barby zu finden ist, um dort die Gräfin Melusine und ihre Schwester, die junge Komtesse Armgard, zu treffen.

Die Barbys in Berlin

Kaum ist Woldemar wieder in Berlin, besucht er die beiden Schwestern und ihren Vater, den Grafen Barby, in der Kronprinzenstraße. Diesen schätzt er fast so sehr wie seinen eigenen Vater. Der Graf war lange im militärischen Dienst, nahm aber nach einem Unfall seinen Abschied und heiratete eine Schweizerin. Nachdem er in den diplomatischen Dienst gegangen war, lebte er lange als Botschaftsrat in London, wo auch in großem Abstand voneinander die beiden Töchter geboren wurden. Die beiden lieben genau wie ihr Vater die englische Lebensart und sind ausgesprochen liberal und offen. Nach dem Tod der Mutter gingen die Barbys zunächst nach Italien – hier heiratete Melusine einen italienischen Grafen und wurde bald wieder geschieden –, dann nach Berlin. In sein Tagebuch notiert Woldemar, wie sehr er vor allem die jüngere Schwester Armgard ins Herz geschlossen hat. Einmal unternehmen die Familie Barby, Woldemar und die Familie Berchtesgaden eine Dampferfahrt zum „Eierhäuschen“, einem Ausflugsort an der Spree. Graf Barby und Baron Berchtesgaden sprechen über die politische Bedeutung des Papstes; Barby glaubt, dass die weite Welt – ob Japan oder China – künftig viel wichtiger werde.

Wahlvorbereitungen in Stechlin

Bald nach dem Ausflug erhält Woldemar zwei Briefe. Seine Tante Adelheid beschwört ihn, doch eine Frau aus dem Märkischen zu heiraten. Ihr Neffe hat nämlich beim letzten Besuch angekündigt, dass er um eine junge Berlinerin werbe, die eine Schweizer Mutter habe, was Adelheid sehr beunruhigt. Im zweiten Brief berichtet Pastor Lorenzen, dass man Dubslav von Stechlin zur Kandidatur für die Konservativen überredet hat und er nun beste Chancen habe, in den Reichstag gewählt zu werden. Woldemar sieht das nicht so, weil die Fortschrittspartei und die Sozialdemokraten längst aufgeholt haben. In Stechlin ist der Wahlkampf in vollem Gange. Im Dorfkrug schwören die konservativen Parteigänger, dass sie den alten Stechlin voll und ganz unterstützen werden.

Der Wahltag ist da

Am Wahltag ist Dubslav bester Laune. Mit Pastor Lorenzen fährt er nach Rheinsberg, um im Wahllokal seine Stimme abzugeben. Das Komitee besteht aus Honoratioren und märkischen Adligen, jeder ist sich voll und ganz seiner Verantwortung bewusst. Echte Freunde hat Dubslav unter den Parteigenossen kaum, dennoch schlägt er vor, gemeinsam in den Park des Schlosses zu gehen und sich mit dem Boot über den See fahren zu lassen. Bei der Rückkehr erfahren die Konservativen, dass sich ein Wahlsieg für den sozialdemokratischen Kandidaten Torgelow abzeichnet. Das erbost den alten Herr von Kraatz, einen Parteigänger Stechlins, sehr. Diejenigen, die gegen die Konservativen stimmten, seien auch gegen den König, schimpft er über die aufmüpfigen Rheinsberger. Am Abend steht dann endgültig fest, dass Stechlin und die Konservativen verloren haben, was die Parteigenossen jedoch ruhig aufnehmen, zumal sie sich nun endlich zu Tisch setzen können. Auf der Heimfahrt nehmen Dubslav und sein Kutscher den betrunkenen Tuxen mit, der lallt, er habe den Sozialdemokraten gewählt, weil der jedem ein Stück Kartoffelland versprochen habe.

Nach England

Vater und Sohn Stechlin erholen sich schnell vom verlorenen Wahlkampf. Woldemar ist sogar ganz froh darüber. Seinen Vater konnte er sich nicht gut im Reichstag vorstellen. Jetzt ist Woldemar von seinem Regiment erst einmal nach Ostpreußen beordert worden. Während er weg ist, halten Rex und Czako, die nun auch mit den Barbys bekannt gemacht worden sind, die beiden Damen bei Laune. Im Garderegiment Woldemars munkelt man darüber, dass dieser bald mit einer Gesandtschaft nach Windsor geschickt werde, was er vielleicht auch dem Umstand zu verdanken habe, dass er bei den anglophilen Barbys verkehre. Woldemar verkürzt seinen Aufenthalt in Ostpreußen, reitet zurück nach Berlin und kann sich dort vor seinem erneuten Aufbruch gerade noch von Melusine und Armgard verabschieden, die ihm viele gute Ratschläge für die Reise nach England mitgeben. Während die Daheimgebliebenen ausgiebig über Woldemars Reise plaudern, hört man von Woldemar kaum etwas – er schickt lediglich zwei Telegramme gleichen Wortlauts an die Barbys und an Czako, was Melusine und die befreundete Baronin Berchtesgaden ironisch kommentieren.

Die Verlobung und ein Besuch in Stechlin

Kurz nach seiner Rückkehr aus England verlobt sich Woldemar endlich mit Komtesse Armgard. In einem Brief kündigt er seinem Vater an, dass er ihm bald seine Braut vorstellen wolle. Dubslav ist froh darüber; gleichzeitig ist ihm beim Gedanken ein wenig bange, die beiden verwöhnten Töchter in seinem etwas heruntergekommenen Herrenhaus willkommen zu heißen. Am Weihnachtsfeiertag ist es so weit. Mit dem Zug fahren Woldemar, Melusine und Armgard nach Gransee, wo sie vom Kutscher abgeholt werden. Es ist eiskalt und die Landschaft ist tief verschneit, als die Gäste in Stechlin ankommen. Tante Adelheid, die gemeinsam mit anderen ehrenwerten Gästen zu diesem denkwürdigen Ereignis eingeladen ist, fährt gleich ihren Stachel gegen die fröhliche Melusine aus. Der alte Stechlin dagegen ist entzückt von der jungen Frau, die „Dame und Frauenzimmer zugleich“ ist. Bei einem Spaziergang zum See schlägt Dubslav vor, ein Loch in das Eis zu schlagen, um seinen Gästen die Geheimnisse des Gewässers zu offenbaren. Doch Melusine lehnt dies vehement ab, denn sie will die elementaren Mächte nicht stören. Später besucht sie allein Pastor Lorenzen, um ihn zu bitten, Woldemar auch nach der Hochzeit mit ihrer Schwester zu beraten und zu unterstützen. Am Abend kehren Woldemar, Melusine und Armgard nach Berlin zurück.

Hochzeit und Krankheit

Ende Februar wird geheiratet. Der Gottesdienst findet in der Garnisonskirche statt, weil Armgard ihren Sinn für das Militär entdeckt hat und nicht möchte, dass Woldemar seinen Abschied aus dem Regiment nimmt. Nach dem Hochzeitsessen, zu dem 20 Gäste in die Barby’sche Wohnung gekommen sind, fährt das junge Paar per Zug gen Dresden und von dort weiter nach Italien. Als alle Gäste gegangen sind, bekunden sich der alte Stechlin und Graf Barby ihre gegenseitige Sympathie, und Stechlin kehrt wieder in sein Dorf zurück. Bald fühlt er sich müde und krank, daher lässt er den Landarzt kommen. Doktor Sponholz verschreibt Tropfen, doch die helfen kaum. Das ganze Dorf, ja die ganze Gegend nimmt Anteil an der Krankheit des alten Adligen. Er bekommt viel Besuch: Superintendent Koseleger ist um seine Seele besorgt, ebenso die Gattin des Oberförsters. Auch der Geldverleiher Baruch schaut vorbei. Stechlin kommt es so vor, als habe dieser schon das Inventar nach seinem Wert taxiert.

Tod und Begräbnis

Dem alten Dubslav geht es von Tag zu Tag schlechter, die Tropfen des Doktors helfen nicht und so wird die Kräuterheilerin Buschen herbeizitiert. Die gibt Stechlin Kräutertee, der immerhin fürs Erste Erleichterung bringt. Adelheid kommt vom Kloster Wutz herbeigeeilt, um den kranken Bruder zu pflegen, doch das geht nicht gut, denn die beiden geraten jeden Tag aufs Neue aneinander. Dubslav lässt die kleine Agnes, die Enkelin der Kräuterfrau, herbeiholen, und weil Adelheid nicht verstehen will, was ihr Bruder an dem unehelich geborenen Mädchen findet, reist sie erbost ab. Doch der alte Stechlin sucht vor allem Gesellschaft. Wenige Tage später stirbt er: Agnes und sein alter Diener Engelke sind die beiden Menschen, die ihn in seiner Todesstunde begleiten. Beim Begräbnis, zu dem die Berliner Freunde, an der Spitze Melusine und ihr Vater, sowie die märkischen Honoratioren gekommen sind, erinnert Pastor Lorenzen in seiner Grabrede an die Herzensgüte und Menschlichkeit Stechlins. Erst Tage später, als Dubslav von Stechlin längst begraben ist, treffen Woldemar und seine junge Frau aus Italien ein. Die beiden wohnen erst in Berlin, aber schon im Sommer haben Armgard und Woldemar Sehnsucht nach Stechlin. Und so ziehen sie – begrüßt von allen Dorfbewohnern – ins alte Schloss ein.

Zum Text

Aufbau und Stil

Theodor Fontane schildert im Stechlin das letzte Lebensjahr des märkischen Adligen Dubslav von Stechlin. Der Roman ist ausgesprochen handlungsarm. In einem Brief an den Herausgeber der Zeitschrift Über Land und Meer, in der der Roman zuerst abgedruckt wurde, schrieb Fontane: „Zum Schluss stirbt ein Alter, und zwei Junge heiraten sich; – das ist so ziemlich alles, was auf 500 Seiten geschieht. Von Verwicklungen und Lösungen, von Herzenskonflikten oder Konflikten überhaupt, von Spannungen und Überraschungen findet sich nichts.“ Die sparsame Handlung ist hier nur ein Gerüst. Alles was passiert – Diners, Tafelrunden, Landpartien, Treffen im Salon, gemeinsame Ausritte oder Spaziergänge – geschieht nur, um eines zu ermöglichen: Konversation. Die Konzentration auf das Gespräch, auf die gepflegte Plauderei oder die stilvolle Rede ist denn auch die große Stärke des Buches. Fontane hat die ganze Bandbreite rhetorischer Finessen in seinen Altersroman gepackt: die Ironie des Dubslav von Stechlin, die Ernsthaftigkeit und Klarheit Pastor Lorenzens, die sprunghafte und lebendige Redeweise von Melusine und die deftige Berliner Sprache der Frau Gundermann. Die meisten Figuren sind als Gegensatzpaare in Szene gesetzt: So sind der liberale Dubslav und die starrköpfige Adelheid, die kapriziöse Melusine und ihre ruhige Schwester Armgard sowie der sittenstrenge Ministerialrat von Rex und der unstete Hauptmann von Czako aufeinander bezogen. Fontane legt sich nicht fest: Alles Politische, jede Meinung wird in ein Gespräch verpackt und durch eine oder mehrere Gegenpositionen konterkariert.

Interpretationsansätze

  • Dubslav von Stechlin ist ein Alter Ego Theodor Fontanes, der sich im Alter komplett aus der Öffentlichkeit zurückzog.
  • In den vielen Gesprächen des Romans wird immer wieder Gesellschaftskritik laut. Dennoch lässt sich aus dem Stechlin Theodor Fontanes politische Überzeugung nicht eindeutig ablesen. Wie es scheint, vertritt er eine konservative Haltung, hegt aber dennoch gewisse Sympathien für den aufkommenden Sozialismus.
  • Im Hintergrund vollzieht sich der gesellschaftliche Wandel im 19. Jahrhundert: Der vierte Stand, die Arbeiterschaft, gewinnt in Deutschland politisch an Einfluss, der Adel bangt um seine Vorherrschaft. Fontane geht es nicht um die Bevorzugung eines Standes, obwohl er den Adel in den Mittelpunkt stellt. Er will den Lesern vielmehr zeigen, wie mit Humanität und Toleranz Klassenschranken überwunden werden können. Kritisiert wurde, dass Fontane die gesellschaftliche Realität oft nur am Rande wahrnimmt und die neue Zeit zu harmonisch beschreibt.
  • Durch das Zurücktreten der Handlung hinter zahlreiche Gespräche stellt sich Der Stech-lin als Vorläufer des modernen Romans dar, etwa von Thomas Manns Zauberberg: Auch hier wird viel geredet, und es passiert ziemlich wenig.
  • Fontane baut Kontraste auf: Die frauenlose Welt, in der Dubslav von Stechlin lebt, wird der männerlosen Welt seiner Schwester Adelheid im Kloster und dem fröhlichen Frauenhaushalt von Melusine und Armgard gegenübergestellt.
  • Anders als die meisten Frauenfiguren in Theodor Fontanes Romanen fügt sich Melusine von Barby nicht in eine traditionelle Frauenrolle. Nach ihrer gescheiterten Ehe mit einem italienischen Grafen will sie sich nicht wieder verheiraten, sondern tritt als emanzipierte und selbstbewusste Frau auf.

Historischer Hintergrund

Die Moderne bricht herein

Die gescheiterte Revolution von 1848/49 machte in Deutschland zunächst alle Hoffnung auf einen demokratischen Neuanfang zunichte. Viele Bürger schlugen sich auf die Seite Otto von Bismarcks, dem es 1871 gelang, das Deutsche Reich zu etablieren, allerdings als konstitutionelle Monarchie unter der Führung Preußens. Das bedeutete auch die Entmachtung der adligen Familien in den deutschen Ländern, wie sie im Stechlin von Dubslav von Stechlin repräsentiert werden. Doch nicht nur die politischen Konstellationen änderten sich. Das Neue brach Ende des 19. Jahrhunderts wie eine Flutwelle über das Land herein: Industrialisierung, Modernisierung und zunehmende Verarmung der Arbeiter sind Stichworte dieser Entwicklung. Der Gegensatz zwischen Provinz und Stadt verschärfte sich, weil viele in der Landwirtschaft Beschäftigte zu Industriearbeitern wurden und die Landflucht ganze Gegenden entvölkerte. Die Dreiteilung in Adel, Bürgertum und Besitzlose geriet zunehmend ins Wanken. Die Machtverteilung im Staat änderte sich auch durch das Erstarken der Sozialdemokratischen Partei. Bismarck versuchte dem mit den Sozialistengesetzen Einhalt zu gebieten, welche die Versammlungsfreiheit und die Verbreitung sozialdemokratischer Schriften einschränkten. Vergeblich: Nicht zuletzt Bismarcks Weigerung, die angeblichen „Reichsfeinde“ in die Gesellschaft einzubinden, und Nichtverlängerung dieser Gesetze trugen zu dessen Sturz bei. Im Bürgertum herrschte ein fester Glaube an Modernisierung und Fortschritt in Wirtschaft, Naturwissenschaften und Technik, der sich in zahlreichen Erfindungen niederschlug. Der Literatur des deutschen bürgerlichen Realismus, die in dieser Zeit entstand, gelang es – anders als in Frankreich oder Russland – jedoch nur schwer, diesen politischen und gesellschaftlichen Prozess zu kommentieren und zu begleiten.

Entstehung

Theodor Fontane muss gespürt haben, dass ihm nicht mehr viel Zeit für seinen Roman Der Stechlin bleiben sollte, denn er war durch ein Nervenleiden geschwächt. Der Autor, der sich selbst einen „Empfindling“ nannte, stürzte sich nichtsdestotrotz mit großer Arbeitswut in sein neues Projekt. Im November und Dezember 1895 schrieb Fontane den Rohentwurf für sein großes Alterswerk nieder. Er war von seinen Romanskizzen so sehr in Anspruch genommen, dass er sogar Briefschulden aufhäufte, was bei dem leidenschaftlichen Briefeschreiber sonst kaum vorkam. Bis zum Herbst 1896 stellte er den ersten Entwurf fertig, brauchte aber noch eines weiteres halbes Jahr für die Korrekturen. „Ich stecke so drin im Abschluss eines großen, noch dazu politischen (!!) und natürlich märkischen Romans, das ich gar keine anderen Gedanken habe und gegen alles andere auch gleichgültig bin“, schrieb er am 12. Mai 1897 in einem Brief. Seine Frau Emilie Fontane musste kräftig mithelfen und das Manuskript abschreiben. Im August schickte er den Roman, ein 600 Seiten schweres Paket, an die Redaktion der illustrierten Wochenschrift Über Land und Meer nach Stuttgart. Vom Oktober bis Dezember 1897 erschien das Werk in der Zeitschrift als Vorabdruck. Für die Buchausgabe, die im Verlag seines Sohnes erscheinen sollte, fügte der penible Autor noch etliche Korrekturen ein, obwohl er an dieser „Hundesarbeit“, wie er sie nannte, zunehmend litt. Das Erscheinen des Buches im Oktober 1898 – vordatiert auf 1899 – erlebte er nicht mehr.

Wirkungsgeschichte

Die ersten Rezensionen waren zugleich Nachrufe auf den kurz zuvor verstorbenen Autor. Der Stechlin wurde zunächst als Fontanes Vermächtnis gewertet. In diesem Zusammenhang galt der Verzicht des Schriftstellers auf eindeutige Urteile und Meinungen im Roman als Altersmilde und -weisheit. Der Schriftsteller und Philosoph Fritz Mauthner bezeichnete das Werk gar als Testament des Autors, in dem er seine letzten Gedanken über Gott und die Welt offenbart habe. Genau dieses weitschweifige Reden über alles und nichts stieß jedoch in späteren Rezensionen und literaturwissenschaftlichen Deutungen auf heftige Kritik. Der Literaturwissenschaftler Conrad Wandrey beurteilte in einer Fontane-Monografie von 1919 vor allem die Technik der Dialoge kritisch. Seiner Ansicht nach wollte es dem Dichter „nicht mehr gelingen, das rechte, treffende Wort zu finden, die Menschenwelt des Stechlin bleibt nebulös“. Kein geringerer als Thomas Mann kritisierte Wandrey wegen dieses Urteils sehr. Er sah in dem Roman vor allem eine ästhetische Leistung des alten Fontane, die weit über den bürgerlichen Realismus seiner Zeit hinausreiche. „Hohe, heitere und wehe, das Menschliche auf eine nie vernommene, entzückende Art umspielende Lebensmusik sind diese Plaudereien“, so charakterisierte Mann den Stechlin.

Erst nach 1945, als eine Fontane-Renaissance einsetzte, kam es zu einer stärkeren wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Werk. Heute ist unbestritten, dass Der Stechlin einer der besten Romane Fontanes ist. Das Buch wurde mehrmals verfilmt. Die Gegend rund um den See Stechlin in der Mark Brandenburg wirbt mit Fontanes Roman um Touristen. Auf manchen Webseiten wird der Schriftsteller sogar als „Nationalheiliger der Brandenburger“ bezeichnet. Im Jahr 2003 wurde eine im See Stechlin aufgetauchte, unbekannte Fischart „Fontanemaräne“ getauft.

Über den Autor

Theodor Fontane wird am 30. Dezember 1819 in Neuruppin als Sohn einer hugenottischen Apothekerfamilie geboren. Mit 16 Jahren tritt er eine Apothekerlehre an. Er leidet darunter, dass er nur eine kümmerliche Schulbildung genossen hat. Als Apothekergehilfe arbeitet er in Leipzig, Dresden und Berlin, wo er sein Staatsexamen als Apotheker ablegt und Diakonissinnen unterrichtet. 1844 schließt er sich dem Berliner Dichterverein „Tunnel über der Spree“ an. Fontanes Balladen treffen den Geschmack seiner Zeit und in dem Verein findet er die literarische Anerkennung, die er braucht. 1849 gibt er seinen ungeliebten Beruf auf und heiratet ein Jahr später Emilie Rouanet-Kummer. Das Paar bekommt sieben Kinder, von denen drei noch im Säuglingsalter sterben. Als freier Schriftsteller und Journalist kann Fontane seine Familie kaum ernähren. Unterstützt vom Vater, geht er 1852 als Korrespondent der Preußischen Zeitung nach London. 1855–1858 folgt ein zweiter Aufenthalt, bei dem er für die preußische Regierung und für mehrere deutsche Zeitungen arbeitet. Nach seiner Rückkehr wird er Redakteur der Kreuzzeitung; aufgrund seiner selbstständigen Arbeit können in dieser Zeit die Wanderungen durch die Mark Brandenburg (1862–1888) entstehen. Als Kriegsberichterstatter nimmt er an den Kriegen von 1864, 1866 und 1870/71 teil, später schreibt er Theaterkritiken für die Vossische Zeitung. Seiner Frau zuliebe versucht er 1876 ein letztes Mal, eine feste Stelle anzutreten. Er wird Sekretär der Königlichen Akademie der Künste zu Berlin, kündigt jedoch bald wieder. Fontane ist ein schreibwütiger Autor, dessen Korrespondenz rund 10 000 Briefe umfasst. Bekannt wird er durch Balladen wie Die Brück’ am Tay (1880), John Maynard (1886) oder Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland (1889). Fontanes berühmte Romane entstehen erst in seinem letzten Lebensjahrzehnt: Vor dem Sturm (1887), Irrungen, Wirrungen (1888), Frau Jenny Treibel (1893), Effi Briest (1894/95) und Der Stechlin (1897). Er stirbt am 20. September 1898 in Berlin.

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