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Die Gemeinwirtschaft

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Die Gemeinwirtschaft

Untersuchungen über den Sozialismus

Lucius & Lucius,

15 Minuten Lesezeit
12 Take-aways
Text verfügbar

Was ist drin?

Ein Nationalökonom nimmt den Sozialismus auseinander. Bereits 1922 erkannte der Österreicher Ludwig von Mises die inneren Widersprüche der sozialistischen Utopien.


Literatur­klassiker

  • Ökonomie
  • Moderne

Worum es geht

Sieg nach Punkten für den Kapitalismus

In den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts stehen sich zwei Wirtschafts- und Gesellschaftsordnungen mit gezückten Waffen gegenüber: der Kapitalismus und der Sozialismus. Der Ökonom Ludwig von Mises prüft in seinem Buch Die Gemeinwirtschaft von 1922 – wenige Jahre nach der russischen Oktoberrevolution – den Sozialismus auf Herz und Nieren und kommt zu dem eindeutigen Ergebnis, dass dieser keine ernsthafte Alternative zum Kapitalismus darstellen könne. Ineffizienz und Mangel seien die Folgen der sozialistischen Wirtschaftsordnung. Dafür macht Mises vor allem einen Umstand verantwortlich: Weil der Sozialismus über keinen Markt verfüge, würden sich auch keine Tauschverhältnisse und Preise etablieren können. Da Preise jedoch Knappheitsindikatoren seien, führe eine Wirtschaftsplanung ohne Preisinformationen in die Sackgasse der Misswirtschaft. Eine Wirtschaftsrechnung, so Mises’ Kernargument, sei im Sozialismus schlicht nicht möglich. Die Gemeinwirtschaft ist ein flammendes Plädoyer für den kapitalistischen Liberalismus und ein früher Abgesang auf den Sozialismus – zu einer Zeit, als noch viele Menschen große Hoffnungen in dieses System setzten.

Take-aways

  • Die Gemeinwirtschaft ist eine fundierte Abrechnung des österreichischen Ökonomen Ludwig von Mises mit dem Sozialismus.
  • Mises’ kommt zu dem Ergebnis, dass der Sozialismus der freien Marktwirtschaft unterlegen ist und nicht funktionieren kann.
  • Die zentrale Idee des Sozialismus ist die Zerschlagung des Privateigentums an Produktionsmitteln. Diese sollen in eine Gemeinwirtschaft überführt werden.
  • Damit verbunden sind Forderungen nach dem Recht auf den vollen Arbeitsertrag, dem Recht auf Existenz und dem Recht auf Arbeit.
  • Die Sozialisten stützen sich auf die Marx’sche Arbeitswertlehre, missachten aber, dass bei der Güterproduktion auch Kapital und Boden eine Rolle spielen.
  • Der Wert eines Gutes kann überhaupt nicht objektiv und absolut festgelegt werden, sondern nur relativ, in Form von Austauschpreisen.
  • Die Sozialisten behaupten, der Sozialismus könne ein Wirtschaftswachstum auslösen, das Wohlstand für jeden bedeuten würde.
  • In Wahrheit fehlt es ihnen an allem, was für wirtschaftliches Wachstum notwendig ist – am allermeisten an einer funktionierenden Wirtschaftsrechnung (Renditerechnung).
  • Das sozialistische Gemeinwesen verfügt über keinen Markt, also auch über keine Preise. Ohne Preise ist keine Wirtschaftsrechnung möglich und die Entscheidung über die Verwendung knapper Ressourcen kann nicht effizient getroffen werden.
  • Sozialismus ist daher eigentlich Destruktionismus: Er will den Kapitalismus in einem Gewaltakt zerstören, kann aber als Alternative nichts Besseres anbieten.
  • Die zentralen Gedanken der Gemeinwirtschaft veröffentlichte Mises bereits 1920 in dem Artikel Die Wirtschaftsrechnung im sozialistischen Gemeinwesen.
  • Mises’ Buch löste eine Sozialismusdebatte aus, die die Ökonomie bis weit in die 30er Jahre beschäftigte. Inzwischen hat die Realität die Debatte überflüssig gemacht.

Zusammenfassung

Das Zeitalter des Sozialismus

Spätere Generationen werden den Beginn des 20. Jahrhunderts rückblickend als das Zeitalter des Sozialismus bezeichnen können. Der Sozialismus nämlich ist um 1920 die dominierende, vorwärtspreschende Form der sozialen Wirklichkeit – zumindest in den Augen seiner zahlreichen Freunde. Feinde des Sozialismus haben es schwer: Selbst im liberalen England wagt es keiner, gegen ihn aufzustehen. Der Kapitalismus hingegen ist das eindeutige Feindbild des Sozialismus und wird als großer Satan unserer Zeit abgestempelt. Die Sozialisten brauchen eine wissenschaftlich fundierte Analyse ihres Systems kaum zu fürchten, denn es gilt die alte plumpe Regel: Wer nicht für uns ist, ist gegen uns, sprich: wird als Bourgeois und Reaktionär entlarvt. Dennoch ist die Analyse der sozialistischen Gemeinwirtschaft längst überfällig, und zwar nicht aus kulturgeschichtlicher, sondern vor allem aus nationalökonomisch-soziologischer Sicht.

Die Ziele des Sozialismus

Im Zentrum steht die Frage des Eigentums. Betrachtet man Eigentum soziologisch, so ist darunter das Vermögen zu verstehen, sich ein wirtschaftliches Gut zunutze zu machen. Wer sich ein Gut aneignet, wendet in vielen Fällen Gewalt an. Der Besitz von Ländereien beispielsweise begann irgendwann in der Historie mit der Okkupation und der gewaltsamen Beherrschung durch Eroberer – Vorfahren der heutigen Eigentümer. Vor diesem Hintergrund werfen die Kritiker dem kapitalistischen System vor, dass es keine echte Rechtsordnung, sondern nur eine Friedenssicherung auf Kosten der Schwachen besitze. Die Lösung des Sozialismus: Gleichheit schaffen, und zwar indem das kapitalistische Privateigentum an Produktionsmitteln zerschlagen und in eine Gemeinwirtschaft überführt wird. Der Staat übernimmt dann die Wirtschaftsplanung und hat die Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel. Der Sozialismus fordert hauptsächlich die folgenden drei Rechte ein:

  1. Das Recht auf den vollen Arbeitsertrag: Um ein wirtschaftliches Gut herzustellen, benötigt man zumeist einen bestimmten Anteil an Boden, Kapital und Arbeit. Diese Produktionsfaktoren werden verkettet und ergeben schließlich das produzierte Gut. Auf dem Markt wird der Wert des Gutes durch den Marktpreis abgegolten. Aus dem Erlös wird u. a. der Anteil des Arbeiters bezahlt, nämlich durch den Lohn, den er für seine Arbeit erhält. Die Sozialisten fordern aber nichts weniger als die ausschließliche Bezahlung des Arbeiters, sie leugnen die Rolle, die Boden und Kapital für die Produktion spielen. Der Grund liegt in der Wertlehre der Sozialisten: Die Marx’sche Arbeitswertlehre stuft den Wert eines Gutes anhand der in ihm enthaltenen Arbeit ein. Deshalb möchten die Sozialisten die beiden anderen Komponenten beseitigen. Allerdings werden auch die härtesten Verfechter der Arbeitswertlehre irgendwann zugeben müssen, dass diese in der Praxis nur schwer anwendbar ist, weil die beiden anderen Faktoren ebenfalls an der Herstellung eines Gutes beteiligt sind und die genaue Bestimmung des Verhältnisses der Faktoren sehr schwierig ist.
  2. Das Recht auf Existenz: Hierbei handelt es sich nicht etwa um die Forderung, den Armen und Mittellosen zu helfen – das schafft jedes einigermaßen funktionierende Gemeinwesen, z. B. mithilfe karitativer Einrichtungen. Vielmehr soll den Reichen der Überfluss abgenommen werden, um ihn an die Armen zu verteilen. Es geht also um Umverteilung als Prinzip: Solange noch irgendjemand darbt, soll niemand im Überfluss leben. Allerdings setzt dies voraus, dass überhaupt genug vorhanden ist, damit jeder gut leben kann. Schon Malthus hat mit seinen Ausführungen über die Bevölkerungsentwicklung bewiesen, dass wir beim gegenwärtigen Bevölkerungswachstum zukünftig überhaupt nicht in der Lage sein werden, alle hungrigen Mäuler zu stopfen. Die Sozialisten haben das, so scheint es, eingesehen. Daher verfallen sie auf den Irrglauben, im sozialistischen System könne man so viel mehr produzieren, dass sich das Problem von selbst löse.
  3. Das Recht auf Arbeit ist gleichzeitig eine Pflicht zur Arbeit. Dahinter verbirgt sich der Anspruch der Sozialisten, dass das System, in dem sie leben, jedem Arbeit zuweist, sodass jeder sich selbst ernähren kann. Dabei wird immer wieder das Vorbild der Natur herangezogen, die angeblich allen gewisse Rechte gewähre. Doch die Natur gewährt überhaupt keine Rechte, sie fordert vielmehr: Wirtschafte! Denn ich gebe dir nur Knappheit!

Die Frage der Demokratie

Der Liberalismus ist nur zusammen mit Demokratie denkbar. Tatsächlich haben die liberalen Reformen überall auf der Welt zu Freiheit und Demokratie geführt. Die Sozialisten jedoch behaupten, dass Sozialismus und Demokratie quasi dasselbe seien. Gleichzeitig fordern sie aber die „Diktatur des Proletariats“. Sie sprechen von einer „Revolution des Kapitalismus“, die mit einer Gegenrevolution beantwortet werden müsse. Aber hinter dem Kapitalismus versteckt sich mitnichten ein schneller Umsturz: Es handelt sich vielmehr um eine kapitalistische Evolution, eine langsame Entwicklung also, die nur durch das Etikett „Revolution“ in Misskredit gebracht werden soll. Der Sozialismus geht in Wahrheit mit Unterwerfung einher, er ist ein Gewaltakt unter dem Deckmantel der Alle-sind-gleich-Ideologie. Dass es den Sozialisten gar nicht um Demokratie geht, sieht man allein daran, dass sie sich überhaupt keine Gedanken über eine politische Verfassung machen.

Die Wirtschaft des Sozialismus

Grundvoraussetzung für eine sozialistische Wirtschaftsordnung ist die Vergesellschaftung der Produktionsmittel. Der Staat übernimmt die Produktionsplanung und -steuerung. Die Sozialisten, auch Marx selbst, sind aber nicht besonders präzise, wenn es um die Definition des Begriffs „Gesellschaft“ geht. Insbesondere wenn man entscheiden muss, wer schließlich die wirtschaftliche Planung übernimmt, ist das eben nicht die Gesellschaft als Ganzes, sondern eine Regierung.

„In dem Worte ‚Kapitalismus‘ drückt sich für unsere Zeit die Summe alles Bösen aus.“ (S. 1 f.)

Wirtschaftliche Planung benötigt eine Wirtschaftsrechnung. In jedem größeren Unternehmen lassen sich die einzelnen Abteilungen oder Betriebe wirtschaftlich abgrenzen. Sie kalkulieren ihre internen Verrechnungspreise selbst und tauschen Waren und Dienstleistungen mithilfe dieser Preise aus. Die Verrechnungspreise wiederum sind an die Marktpreise gekoppelt. So lässt sich am Ende des Jahres feststellen, wer gut oder schlecht gewirtschaftet hat. Dies ist im sozialistischen Gemeinwesen nicht möglich, weil es schlicht keine Marktpreise und deswegen auch keine Wirtschaftsrechnung gibt.

Kein objektiver Wert

Marktpreise sind nicht möglich, solange sich die Produktionsmittel nicht in Privathand befinden. Wieder ist letztlich die Marx’sche Arbeitswertlehre dafür verantwortlich, dass die Berechnung der Preise im Sozialismus nicht funktionieren kann. Wenn z. B. für ein Gut A acht Arbeitsstunden und zusätzlich zwei Vorprodukte notwendig sind, für das Gut B aber nur sieben Arbeitsstunden und dafür fünf Vorprodukte, würde die Arbeitswertlehre das Gut B trotzdem als „preiswerter“ erscheinen lassen. Sie berücksichtigt nicht, dass verschiedene Vorprodukte und Halbfertigwaren Verwendung finden. Arbeit ist für sie Arbeit, egal ob es sich um einfachste Tätigkeiten oder körperliche bzw. intellektuelle Schwerstarbeit handelt. Das größte Problem ist jedoch der Wertmaßstab selbst: Der Wert eines Gutes kann nicht objektiv festgelegt werden, weder durch den Arbeitswert noch durch die verwendeten Arbeitsstunden. Er ist vielmehr das Ergebnis eines Austauschprozesses, der sich nur auf einem Markt vollzieht.

Die Notwendigkeit von Gewinnen

Viele Kritikpunkte der Sozialisten an der kapitalistischen Wirtschaft lösen sich in Luft auf, wenn man sie einmal genauer unter die Lupe nimmt. Beispielsweise hasst der Sozialist das Gewinnstreben des Kapitalisten. Für Letzteren ist eine Transaktion dann rentabel, wenn die Erträge die Kosten überwiegen. Aber auch der Sozialist, der produktiv sein will, muss einen Überschuss erwirtschaften – dieser muss nicht groß sein, aber er muss da sein, weil sonst auf Dauer der Bedarf nicht mehr gedeckt werden kann. Spekulationsgewinne entstehen im Kapitalismus, weil jemand damit rechnet, dass der Bedarf eines Gutes zukünftig steigt. Er kauft billig ein und verkauft teuer. Dadurch bringt er Angebot und Nachfrage ins Lot. Das ist eine volkswirtschaftlich wichtige Funktion, die aber von den Sozialisten fortwährend angefeindet wird.

Das Allokationsproblem

Die Verteilung der Güter gehört zu den Hauptproblemen der Wirtschaftswissenschaft. In Bezug auf das sozialistische System kann man sogar sagen: Die Verteilung ist wichtiger als die Produktion. Das klingt seltsam, aber genau so denken die Sozialisten. Im Sozia-lismus gibt es kein dringlicheres Problem als die Verteilung der Güter. Freilich handelt es sich dabei nur um zum Konsum bestimmte Güter, weil höherwertige Investitionsgüter stets in der Hand des Kollektivs verbleiben müssen. Das Problem der Verteilung ließe sich im Sozialismus auf vier verschiedene Arten angehen, die aber alle mehr schlecht als recht funktionieren:

  1. Verteilung nach Köpfen: Hierbei wird alles gleich verteilt, ohne zu differenzieren, ob der Empfänger erwachsen ist oder noch ein Kind, faul oder fleißig, arbeitsfähig oder krank etc.
  2. Verteilung nach den Diensten, die für das Gemeinwesen geleistet wurden: Dies gestaltet sich im Sozialismus schwierig, weil es keine Marktpreise und keinen Bewertungsmaßstab gibt. Man könnte die verwendeten Arbeitsstunden heranziehen, allerdings ist es höchst zweifelhaft, ob die zur Güterproduktion investierte Zeit in direktem Zusammenhang mit dem Ausmaß des Dienstes für die Gesellschaft steht.
  3. Verteilung nach Bedürftigkeit: Dieses Verteilungsprinzip muss an einem ehernen Gesetz der Wirtschaft scheitern, nämlich daran, dass unsere Bedürfnisse im Prinzip unendlich sind. Es bleiben immer ein paar übrig, die nicht befriedigt werden können. Daher ist dieser Verteilungsgrundsatz keiner, solange nicht abgestuft wird, wo Bedürftigkeit beginnt und wo sie endet.
  4. Verteilung nach Würdigkeit: Dies wiederum kann nicht funktionieren, weil die Würdigkeit sehr subjektiv erscheint und nicht klar gesagt werden kann, wer über sie zu entscheiden hat. Die Regierung? Hier wären der Willkür Tür und Tor geöffnet.

Kapitalismus gegen Sozialismus

Zwei Eigenschaften oder vielmehr Defizite führen dazu, dass der Sozialismus als wirtschaftliches System keine Alternative zum Kapitalismus darstellt:

  1. Die Unmöglichkeit einer Wirtschaftsrechnung: Ohne Märkte und Preise lässt sich nicht bestimmen, ob eine wirtschaftliche Handlung sinnvoll ist. Die Entscheidung, ein Gut zu produzieren oder nicht, die im kapitalistischen System durch die Nachfrage und den Markt reguliert wird, kann der Sozialismus nur auf völlig andere Weise treffen, nämlich durch zentrale Planung. Das bedeutet aber: Das Allokationsproblem wird vom Marktkapitalismus effizient gelöst, vom Sozialismus jedoch nicht.
  2. Das Fehlen der individuellen Verantwortlichkeit: Im Sozialismus ist jeder ein Teil des Kollektivs. Keiner ist selbstständig. Das Idealbild des Unternehmers, der die Wirtschaft vorantreibt und die Gesellschaft zu Wachstum und Prosperität führt, gibt es im Sozialismus nicht. Dabei könnte genau derjenige der sozialistischen Wirtschaft auf die Beine helfen, der etwas „unternimmt“ – denn diese Wirtschaft ist vor allem eines: statisch. Statik aber bedeutet Stillstand. Wirtschaft muss dynamisch sein, sonst führt sie in eine Sackgasse.

Überwindung des Destruktionismus

Man könnte versuchen, den Sozialismus umzubauen, um ihn wirtschaftlich leistungsfähiger zu machen: Verantwortlichkeit herstellen und freie Produktionswahl etablieren, Abteilungsleiter mit Vollmachten ausstatten etc. Das Ergebnis wäre dann aber ein Sozialismus, der de facto zum Kapitalismus umgebaut würde, was wiederum beweist: Der Kapitalismus ist die effizienteste und einzig denkbare Wirtschaftsform. Wenn der Sozialismus herrscht, ist das Ende des Fortschritts besiegelt. Sozialismus bedeutet das Ende des weltweiten Handels, das Ende persönlichen Einsatzes und die Rückkehr zur Autarkie der einzelnen Höfe. Die bittere Folge für die Allgemeinheit: Jeder produziert nur noch für sich, sodass allerorts Knappheit herrscht. Darum sollte man den Sozialismus als „Destruktionismus“ bezeichnen, da es ihm vor allem um die Zerstörung des Bestehenden geht. Nur mit dem Privateigentum an Produktionsmitteln ist das Ziel jeder Wirtschaft zu erreichen: Bekämpfung des Mangels und Wohlstand für alle.

Zum Text

Aufbau und Stil

Ludwig von Mises hat seine Abrechnung mit dem Sozialismus in fünf große Teile gegliedert. Der erste stellt Sozialismus und Liberalismus einander gegenüber. Neben einer längeren Abhandlung über das Wesen des Eigentums behandelt Mises vor allem die gesellschaftliche und politische Verfassung des Sozialismus. Teil zwei ist das Kernstück des Buches: die Auseinandersetzung mit der sozialistischen Wirtschaft, die wiederum mit dem Marktkapitalismus verglichen wird. Hier findet sich Mises’ Hauptthese von der Undurchführbarkeit des Sozialismus. Die drei weiteren Teile beinhalten tiefer gehende Analysen – die allerdings nicht selten in blanken Schmähtiraden enden, so beispielsweise das Schlusskapitel über den Destruktionismus. Ein Blick ins Inhaltsverzeichnis zeigt, dass Mises seinen Text tief gegliedert hat – und sich deswegen auch gelegentlich verrennt. Von stringenter Abhandlung kann keine Rede sein: Immer gleiche Argumente und immer gleiche Tatbestände werden gebetsmühlen-artig wiederholt. Das ermüdet, und man möchte ihm fast zurufen: In der Kürze liegt die Würze!

Interpretationsansätze

  • Das Hauptargument für die Marktwirtschaft und gegen den Sozialismus stellt für Mises die Wirtschaftsrechnung dar. Da sich im kapitalistischen System ein Marktpreis für Güter bildet, kann jeder unabhängige Produzent selbst berechnen, in welchen Bereichen sich die Produktion lohnt: Er wählt einfach das Produkt, das für ihn die höchste Rendite abwirft. Das ist auch gesamtgesellschaftlich von Nutzen, weil auf diese Weise keine überflüssigen Waren produziert und die wichtigsten Güter in eine Rangordnung gebracht werden (z. B. erst Brot, dann Schokolade).
  • Da im Sozialismus nur ein großer Anbieter (der Staat) alle Produktionsmittel besitzt, kommt es zu keinem Tausch zwischen verschiedenen Eigentümern. Daher muss der Staat selbst eine Rangordnung der Wirtschaftsgüter festlegen – und produziert höchstwahrscheinlich am Bedarf vorbei. Er verursacht „geplantes Chaos“, wie Mises es nennt.
  • Ein zentrales Element von Mises’ Marx-Kritik bildet dessen Arbeitswertlehre. Marx behauptete, der Wert eines jeden hergestellten Gutes bemesse sich nach der darin aufgegangenen Arbeit. Mises kritisiert daran, dass das Austauschverhältnis zwischen verschiedenen Gütern nicht nur anhand der darin gebundenen Arbeitskraft erfolgen könne, sondern mithilfe von Marktdaten und Preisen und unter Einbeziehung der weiteren Produktionsfaktoren Kapital und Boden bestimmt werden müsse.
  • In seinem Bemühen, jeden Bereich der sozialistischen Gesellschaft zu analysieren, wagt sich Mises auch auf „Nebenkriegsschauplätze“ wie den der Sexualität. Er wendet sich beispielsweise gegen die Behauptung, die Prostitution sei quasi eine bürgerlich-kapitalistische Erfindung und könne im Sozialismus – wegen der aufgehobenen Abhängigkeit der Frauen von den Männern – nicht mehr vorkommen.
  • Auch wenn der Leser manchmal das Gefühl hat, Mises sei um Zurückhaltung bemüht, entpuppt dieser sich doch immer wieder als Polemiker und Ideologe. Als vermeintliche Beweise dafür, dass der Sozialismus nicht funktionieren könne, bringt er häufig eher dürftige Argumente vor, bei denen er ständig die Prämissen des Kapitalismus voraussetzt, sich aber nicht ernsthaft gedanklich auf das sozialistische System einlässt.

Historischer Hintergrund

Österreich zwischen den Weltkriegen

Die Zeit zwischen den Weltkriegen veränderte Österreich radikal. Das Ende des Ersten Weltkriegs, das den Untergang Österreich-Ungarns bedeutete, war politisch gesehen eine Katastrophe für die einstige glanzvolle Donaumonarchie. Ungarn proklamierte am 31. Oktober 1918 seine Unabhängigkeit. Die Reichweite des habsburgischen Adlers schrumpfte auf einen Bruchteil der Vorkriegszeit. Neben Ungarn machte sich auch die Tschechoslowakei unabhängig. Österreich verlor Teile von Rumänien, Jugoslawien, Polen und Italien und wurde zu einer Republik. Finanziell war das Land am Ende. Ein Journalist beschrieb die Situation im Jahr 1920, also zwei Jahre bevor Mises seine Gemeinwirtschaft veröffentlichte, folgendermaßen: „Anstelle des vitalen Zentrums von 50 Millionen Menschen hat sich Wien in eine verlassene Provinz mit einem Einzugsgebiet von gerade einmal sechs Millionen verwandelt. Die Stadt ist von ihren Kohlebergwerken, ihren Nahrungsquellen, von ihren Fabriken abgeschnitten, kurz: von allem, was die vitale Lebensenergie erhalten würde. Wien wurde eingehüllt in einen Wust von Handelsbeschränkungen.“ Die Abschottung vom Außenhandel durch Zollbestimmungen zehrte das Land auf. Dazu kam eine hohe Inflationsrate. Der Sozialismus erschien vielen Österreichern (und nicht nur ihnen) als gangbare Alternative. Das jedoch wollte Mises unter allen Umständen verhindern. Ganz allein war er damit nicht: Er hatte Mitstreiter in der bereits 1871 von Carl Menger begründeten Österreichischen Schule der Nationalökonomie, zu der u. a. auch der spätere Nobelpreisträger Friedrich August von Hayek zählte.

Entstehung

Nach Jahren an der Front kehrte Ludwig von Mises 1917, vom Typhus gezeichnet, nach Österreich zurück. Hier diente er im Kriegsministerium und musste den Niedergang der alten österreichischen Ordnung miterleben. In seinem Buch Nation, Staat und Wirtschaft verurteilte er den Nationalismus, dem er die Hauptschuld an dem verheerenden Krieg zuschob. Frieden, so glaubte Mises, könne nur eine liberale Staatsordnung schaffen, die auch den Minderheiten das Recht auf Selbstbestimmung einräume. Im Sozialismus, der von vielen Zeitgenossen als das System der Zukunft gepriesen wurde, erkannte Mises dies aber gerade nicht. In ihm reifte vielmehr der Entschluss, das sozialistische System auseinanderzunehmen und als Irrlehre zu demaskieren. Doch das war leichter gesagt als getan, zumal Mises sich von „Andersgläubigen“ umringt sah: „Muss man nicht den Versuch, die Massen auf den richtigen Weg zu führen, als aussichtslos ansehen, wenn man die Erfahrung machen konnte, dass Männer wie J. M. Keynes, Bertrand Russell, Harold Laski und Albert Einstein nationalökonomische Probleme nicht zu begreifen vermochten? Ich wollte alles das versuchen, was der Nationalökonom versuchen kann. Ich wollte nicht müde werden, zu sagen, was ich für richtig hielt. So beschloss ich ein Buch über den Sozialismus zu schreiben.“ 1922 war das Werk vollbracht: Mises legte seine detaillierte wissenschaftliche Abrechnung mit dem Sozialismus vor. Das Kernelement des Buches war ein Vortrag, den er bereits 1920 vor der Wiener Nationalökonomischen Gesellschaft gehalten hatte: Die Wirtschaftsrechnung im sozialistischen Gemeinwesen.

Wirkungsgeschichte

In seinem Buch behauptet Mises, der Sozialismus sei „undurchführbar“. Das war zu seiner Zeit, angesichts mehrerer real existierender sozialistischer Staaten, eine durchaus gewagte These. Nach dem Ersten Weltkrieg zeigten sich die Sozialisten in allen Ländern Europas von der Machtergreifung der Bolschewiken in Russland fasziniert, und viele versuchten, ihnen nachzueifern. Mises’ Buch und sein Vortrag zwei Jahre zuvor traten eine Sozialismusdebatte los, die die ökonomische Welt bis in die 30er Jahre gebannt hielt. Danach schwächte sich das Interesse etwas ab, allerdings nicht etwa, weil eine Lösung gefunden worden wäre, sondern weil die Weltwirtschaftskrise die ungeteilte Aufmerksamkeit der Ökonomen verlangte. Friedrich August von Hayek beschrieb die Wirkung von Mises’ Buch wie folgt: „Als das Buch im Jahr 1922 erstmalig erschien, war sein Einfluss überragend. Langsam, aber nachdrücklich veränderte es die Einstellung der vielen jungen Idealisten, die nach dem Krieg an die Universitäten zurückkehrten, um ihre Studien zu beenden. Ich weiß das, denn ich war auch einer von ihnen. Wir wollten eine bessere Welt erschaffen, und das war einer der Gründe, warum wir Ökonomie studierten. Der Sozialismus war unsere Hoffnung auf eine gerechtere und bessere Welt. Und dann erschien dieses Buch. Unsere Hoffnungen wurden zerschmettert. Mises zeigte uns, dass wir den Fortschritt in der falschen Richtung suchten.“

Die führenden Köpfe der Sozialisten und Marxisten konnten dem Wirtschaftsrechnungsargument von Mises nichts entgegensetzen. Der Ökonom hatte sie augenscheinlich an ihrem wunden Punkt getroffen. Darum wurden verschiedene Rettungsversuche gestartet, um den Sozialismus vom Makel der Undurchführbarkeit zu befreien.

Über den Autor

Ludwig von Mises wird am 29. September 1881 in Lemberg in Österreich-Ungarn (heute Ukraine) geboren. Von 1892 bis 1900 besucht er das akademische Gymnasium in Wien. Danach studiert er Rechtswissenschaft am Institut für Staatswissenschaft der Universität Wien. Nach der Promotion im Jahr 1906 hört Mises Vorlesungen der berühmtesten Vertreter der so genannten Österreichischen Schule: Eugen von Böhm-Bawerk und Carl Menger. Parallel dazu beginnt er seine eigene Tätigkeit als Dozent und Referent an der Wiener Handelsakademie für Mädchen und der Wiener Handelskammer. 1912 veröffentlicht er seine Habilitationsschrift Theorie des Geldes und der Umlaufmittel. Darin setzt er sich für die weltweite Aufrechterhaltung des Goldstandards ein. Da aber während und nach dem Weltkrieg die meisten Regierungen Europas vom Goldstandard abweichen, erscheinen seine Forderungen als unpopulär. Mises erhofft sich die Berufung zum ordentlichen Professor an seiner Alma Mater. Doch diese Hoffnung zerplatzt wie eine Seifenblase: Seine geradezu euphorische Vorliebe für den Liberalismus und seine jüdische Abstammung verstellen ihm diesen Weg. Mises richtet ein privates Seminar an der Wiener Handelskammer ein, in dem er ab 1913 und nach dem Ersten Weltkrieg wieder als Privatdozent Vorträge hält. Binnen kurzer Zeit wird das Privatseminar zum Treff vieler berühmter Ökonomen. Zu seinen bekanntesten Zuhörern zählen der spätere Nobelpreisträger Friedrich August von Hayek und der Spieltheoretiker Oskar Morgenstern. 1922 verfasst Mises mit Die Gemeinwirtschaft seine Abrechnung mit dem Sozialismus. 1927 gründet er das Österreichische Institut für Konjunkturforschung und engagiert Hayek als ersten Direktor. Auf der Flucht vor den Nazis zieht es Mises nach Genf, wo er eine Professur am Institut Universitaire de Hautes Etudes Internationales erhält. 1938 heiratet er und emigriert zwei Jahre später in die USA. Dort erhält er eine Stelle als Gastprofessor an der Graduate School of Business der New York University. 1962 wird ihm das österreichische Ehrenzeichen für Wissenschaft und Kunst verliehen. Ludwig von Mises stirbt am 10. Oktober 1973 in seiner Wahlheimat New York.

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