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Die Gesandten

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Die Gesandten

Hanser,

15 Minuten Lesezeit
10 Take-aways
Text verfügbar

Was ist drin?

Eine amerikanische Rettungsaktion in Europa geht schief – zur Freude des Lesers.


Literatur­klassiker

  • Psychologischer Roman
  • Moderne

Worum es geht

Ein Blick auf die Landschaften der Seele

Die Gesandten ist nicht der erste Roman, dessen Lektüre mit einer anstrengenden Bergtour verglichen wurde: Es gilt, über 600 Seiten geduldig einen Fuß vor den anderen zu setzen, angesichts falsch gesetzter Wegzeichen und nebliger Sicht der Orientierung nicht allzu sehr zu vertrauen, viele Umwege in Kauf zu nehmen, um am Ende mit einmaligen Aus- und Einsichten belohnt zu werden. Diese erschließen sich weniger aus der dürren Handlung – ein Amerikaner überwindet seine Midlife-Crisis, indem er sich den sinnlichen und kulturellen Verheißungen der Alten Welt hingibt. Faszinierend ist vielmehr der zurückgelegte Weg intensiver Introspektion. Henry James, den T. S. Eliot für den intelligentesten Menschen seiner Generation hielt, malt ergreifende Bilder von den Landschaften der Seele, im Bewusstsein, „welche erschütternd geringe Zahl von Lesern wahre Schönheit überhaupt jemals erkennen oder vermissen wird.“ Es ist wie mit der Bergtour: Man muss einmal den Gipfel erklommen haben, um zu wissen, was man all die Jahre zuvor im Flachland verpasst hat.

Take-aways

  • Henry James hielt seinen 1903 veröffentlichten Roman Die Gesandten für seinen besten.
  • Inhalt: Der 55-jährige Amerikaner Lambert Strether wird von seiner reichen Verlobten nach Paris geschickt, damit er ihren Sohn Chad den Fängen einer vermeintlichen Kokotte entreißt. Doch die Dame entpuppt sich als bezaubernde Comtesse – und Paris als ein wahrer Jungbrunnen. Strether rät Chad zu bleiben, während er selbst den Antrag einer Amerikanerin, bei ihr in Paris zu bleiben, ausschlägt und in die USA zurückkehrt.
  • Auf den ersten Blick passiert wenig: Strethers Gedanken, Wahrnehmungen und Erinnerungen sind die eigentliche Substanz des Romans.
  • Mit der literarischen Technik des Bewusstseinsstroms wird die Illusion eines Handlungsverlaufs in Echtzeit geschaffen.
  • Lambert Strether trägt stark autobiografische Züge: Henry James versuchte als junger Mann, sich in Paris niederzulassen, scheiterte aber.
  • James variiert im Roman erneut sein Lebensthema, die komplexen Beziehungen zwischen Europa und Amerika.
  • Schachtelsätze, Metaphern und vieldeutige Dialoge machen das Buch zur anspruchsvollen Lektüre.
  • Viele sehen in James’ Spätwerk den Beginn der literarischen Moderne, doch beim Publikum fiel es durch.
  • Heute wird James als brillanter Stilist und Maler der menschlichen Seele verehrt.
  • Zitat: „Leben Sie, so intensiv Sie können; alles andere ist ein Fehler. Was Sie tun, spielt eigentlich keine große Rolle, solange Sie Ihr eigenes Leben leben.“

Zusammenfassung

Auf schwieriger Mission

Der 55-jährige Amerikaner Lambert Strether wird von seiner Verlobten Mrs. Newsome, einer reichen Fabrikantenwitwe, nach Europa geschickt. Er soll ihren Sohn Chad nach Amerika zurückholen, damit der als Reklamefachmann ins Familiengeschäft einsteigt. Die Familie nimmt an, dass ein verruchtes Frauenzimmer ihn in Paris festhält. In der Lobby eines Hotels im englischen Chester lernt Strether Maria Gostrey kennen, eine amerikanische Reiseführerin mit Wohnsitz in Paris. Sie ist nicht mehr ganz jung, aber elegant, selbstständig, weltgewandt und erfrischend unkonventionell. Am Abend trifft auch sein alter Freund Waymarsh ein, der sich bereits seit einer Weile in Europa aufhält und lieber heute als morgen zurück in die Staaten möchte. Doch Strether überredet ihn, zu bleiben und mit ihm nach Paris zu reisen.

„Ich bin in Gedanken immer woanders; ich meine, woanders als bei der augenblicklichen Situation. Dies Besessensein von diesem Anderen, das ist der Albtraum.“ (Strether, S. 22 f.)

Sie machen Zwischenstation in London. Hier geht Strether mit Miss Gostrey in die Oper und diniert zuvor mit ihr bei Kerzenschein. Ihr dekolletiertes Kleid und das Samtband um ihren Hals beflügeln seine Fantasie, ein Gefühl, das er so noch nie verspürt hat. Strether meint, im Leben nichts erreicht und alles verloren zu haben: erst seine junge Frau und dann, zehn Jahre später, den von ihm vernachlässigten Sohn. Zu Hause in Neuengland gibt er eine von seiner Verlobten finanzierte Zeitschrift heraus. Miss Gostrey erzählt er an diesem Abend von seiner Mission, Chad zu retten. Auf die Frage seiner Gefährtin, was er bei einem Scheitern seiner Mission zu verlieren habe, antwortet er zum Abschied: „Alles.“

Eine Stadt wie keine andere

Paris mit seinen breiten Alleen und verspielten Fontänen, dem bunten Menschengewimmel und den verführerischen Gerüchen verzaubert Strether. Tief vergrabene Erinnerungen an eine Parisreise seiner Jugend werden wach. Nach einigen Tagen macht er sich endlich auf, Chad in desssen Wohnung am eleganten Boulevard Malesherbes zu besuchen. Lange bleibt er unschlüssig auf der gegenüberliegenden Straßenseite stehen, bis er einen jungen Mann auf dem Balkon erblickt. Beide fixieren einander mehrere Minuten lang. Später stellt sich heraus, dass Chad nach Cannes verreist ist und Mr. Bilham, ein mittelloser Künstler, Chads Wohnung hütet. Am nächsten Morgen treffen sich Strether, Waymarsh und Bilham zum Dejeuner. Bilham hat seine Bekannte Miss Barrace mitgebracht, eine spottlustige Dame mit Lorgnette, die alles und jeden „fabelhaft“ findet. Vor allem der mürrische, in ihren Augen typisch amerikanische Waymarsh hat es ihr angetan. Miss Barrace und Bilham loben Chad über den grünen Klee, und Strether spürt, wie die beiden ihn langsam vom rechten Weg abbringen.

Überraschungsauftritt im Theater

Strether geht mit Miss Gostrey und Waymarsh ins Theater. Bilham war auch eingeladen, lässt sich aber seltsamerweise nicht blicken. Der Grund wird allen klar, als unvermittelt die Logentür aufgeht und anstelle von Bilham Chad vor ihnen steht. Er hat sich so stark verändert, dass Strether ihn zunächst nicht wiedererkennt: Chad wirkt reifer, als seine 28 Jahre vermuten lassen, mit grauen Strähnen im dichten schwarzen Haar, und ist von geschliffener Männlichkeit – unverkennbar ein Typ, der Frauen gefällt. Nach der Aufführung fordert Strether den jungen Mann hastig auf, er solle umgehend in die Heimat zurückkehren. Chad geht nicht darauf ein. Den Verdacht, eine Frau halte ihn in Paris fest, will er nicht bestätigen. Er sei ungebunden, und im Übrigen könnten einen in Paris auch andere Dinge als eine Frau zum Bleiben bewegen.

„(…) und die rosenfarbigen Schirmchen und der kleine Tisch und der zarte Duft der Dame – waren seine Sinne schon jemals von etwas so sanft berührt worden? – glichen Pinselstrichen in einem für ihn schier unfassbar aufregenden Gemälde.“ (über Strether, S. 50)

Von nun an ist Chad ein sehr aufmerksamer Gastgeber. Strether muss anerkennen, dass der Junge sich vom rüpelhaften Lebemann zu einem feinfühligen Gentleman entwickelt hat. Nach Ansicht Miss Gostreys kann nur eine Frau dahinterstecken. Und Bilham behauptet zu Strethers Erstaunen, Chads Beziehung zu dieser Frau sei tugendhaft.

Leben, bevor es zu spät ist

Chad lädt Strether zu einer Gartenparty des berühmten Bildhauers Gloriani ein. Auf dem Anwesen flanieren Regierungsbeamte, Adlige, Schauspielerinnen, Musikerinnen und Künstler durcheinander. Chad stellt Strether die Comtesse Marie de Vionnet vor. Trotz ihrer 38 Jahre wirkt sie wie ein junges Mädchen. Ihr charmantes, diskretes Lächeln und ihr fremdartiges Englisch bezaubern Strether. Gedankenverloren sitzt er auf einer Bank, als sich Bilham zu ihm gesellt. Wie aus heiterem Himmel drängt Strether den jungen Mann, bewusst zu leben: Er solle seine Jugend auskosten, bevor es zu spät sei.

„Leben Sie, so intensiv Sie können; alles andere ist ein Fehler. Was Sie tun, spielt eigentlich keine große Rolle, solange Sie Ihr eigenes Leben leben.“ (Strether zu Bilham, S. 205)

Wenig später kommt Chad mit Maries Tochter Jeanne de Vionnet zu ihm, einem überirdisch schönen Mädchen. Strether ist überzeugt, Chads tugendhafter Affäre gegenüberzustehen. Später stellt sich heraus, dass sich Miss Gostrey und Madame de Vionnet aus ihrer gemeinsamen Schulzeit in Genf kennt. Erstere erzählt ihm von der frühen Ehe ihrer Schulfreundin mit einem adligen Unhold. Die beiden sind rechtskräftig getrennt, dürfen sich aber nicht scheiden lassen. Am Tag darauf klärt Chad Strether darüber auf, dass er nicht mit Jeanne verlobt ist. Die tugendhafte Beziehung bestehe vielmehr zu ihrer Mutter.

Asymmetrische Beziehungen

Madame de Vionnet bewohnt ein altes Haus in einer noblen Pariser Gegend. Strether meint, dort die Aura Napoleons und die Glorie des Ersten Kaiserreichs zu spüren. Die Hausherrin verwickelt Strether in ein eigentümliches Gespräch, in dessen Verlauf sie ihn dezent umgarnt – und das doch nur auf eines hinausläuft: Madame de Vionnet möchte, dass Strether Chads Familie davon überzeugt, dass sie einen guten Einfluss auf ihn ausgeübt hat und weiter auszuüben gedenkt. Strether verspricht ihr das, obwohl ihm die heiklen Konsequenzen seines Seitenwechsels bewusst sind. Als er später mit Bilham über die eigentümliche Dreiecksbeziehung zwischen Mutter, Tochter und Chad spricht, äußert der junge Mann vorsichtige Zweifel an Chads Treue. Er hat den Eindruck, dass Madame de Vionnet inzwischen mehr für Chad empfindet als dieser für sie, und er glaubt nicht, dass Chad ewig darauf verzichten wird, zu heiraten und seine Zukunft in die eigene Hand zu nehmen.

Hin und her und doch wieder nicht

Im dämmrigen Licht der Kathedrale Notre-Dame trifft Strether überraschend Madame de Vionnet, die, wie sich herausstellt, Kirchen genauso liebt wie er. Die beiden gehen gemeinsam in einem romantischen Restaurant am Seine-Ufer essen. Strether genießt die Intensität des Augenblicks, das Klirren der Gläser, die Aussicht auf den Fluss und die charmante Gesellschaft. In Amerika hat man jedoch offenbar das Vertrauen in ihn verloren: Per Telegramm fordert Mrs. Newsome ihren Verlobten auf, unverzüglich zurückzukehren – notfalls auch ohne Chad. Dieser verkündet wiederum am nächsten Morgen seine Absicht, mit dem nächsten Schiff nach Hause reisen zu wollen. Er ist überaus verblüfft, als Strether ihm davon abrät und ihn bittet, noch eine Weile zu bleiben. Chad willigt ein.

„Ich betrinke mich nicht, ich steige den Damen nicht hinterher; ich verpulvere kein Geld; ich schreibe nicht einmal Sonette. Und trotzdem hole ich spät nach, was ich früh versäumt habe.“ (Strether, S. 317)

Strether ist nicht überrascht, als Mrs. Newsome daraufhin ihre Tochter Sarah und deren Mann Jim Pocock sowie Jims bildhübsche Schwester Mamie als neue Gesandte nach Paris schickt. Ihre bis dahin lebhafte Korrespondenz mit Strether bricht sie ab. Strether vermutet, dass Waymarsh sich mit der Heimat in Verbindung gesetzt und den energischen Rückzugsbefehl ausgelöst hat – ein Verdacht, den der Freund durch seine stumme, vorwurfsvolle Art zu bestätigen scheint.

Der Pocock-Schock

Sarah wirkt bei ihrer Ankunft erfrischt, Mamie ist einfach entzückend, und der ordinäre Jim freut sich darauf, in Paris die Puppen tanzen zu lassen. Chads Verwandlung scheinen die Neuankömmlinge nicht wahrzunehmen, sodass Strether sich zwischenzeitlich fragt, ob ihm die eigene Vorstellungskraft nicht einen Streich gespielt hat. Jim bestätigt ihm, dass Mrs. Newsome sich verraten fühlt, und warnt ihn augenzwinkernd, bloß nicht in die Höhle der Löwin zurückzukehren. Am nächsten Morgen trifft Strether Madame de Vionnet in Sarahs Hotelzimmer an und wird Zeuge, wie die Frauen einander umschleichen. Die Pariserin gibt sich zuckersüß, kehrt ihre Überlegenheit jedoch subtil heraus; Sarah wird vor Ärger ganz fleckig im Gesicht. Eine unerwartete Wendung tritt ein, als Strether erfährt, dass Chad und Madame de Vionnet planen, Jeanne zu verheiraten.

„Sie sind nicht angriffslustig; sie lassen einen ganz dicht heran. Sie präsentieren Samtpfoten – die Krallen stecken dahinter.“ (Jim Pocock über Sarah und Mrs. Newsome, S. 348)

Strether möchte mit Sarah sprechen, trifft aber auf Mamie, die allein im Hotel zurückgeblieben ist und sehnsüchtig vom Balkon auf das bunte Treiben der Stadt blickt. Sie, die eigentlich als Köder für Chad mitgeschickt wurde, hat sofort alles begriffen und sich schnurstracks in Bilham verguckt. In ihrer ruhigen, würdevollen und selbstlosen Art erscheint sie Strether einfach wundervoll, und er spürt, dass er sie auf seiner Seite hat.

Der Showdown

Drei Tage später organisiert Chad für seine Verwandten ein rauschendes Fest mit hervorragender Musik und illustren Gästen. Doch Strether spürt, dass Unheil in der Luft liegt. Waymarsh, der Sarah zuletzt ganz tugendhaft den Hof gemacht hat, richtet Strether eines Morgens aus, dass diese ihn sprechen wolle. Dann fügt er hinzu, dass er gemeinsam mit den Pococks abreisen werde, erst in die Schweiz und dann zurück in die Staaten. Kurz darauf pflanzt sich Sarah vor Strether auf: Chad warte nur auf ein Wort von ihm, dann werde er unverzüglich abreisen, behauptet sie. Sie und ihre Mutter, als deren Stellvertreterin sie handelt, sind augenscheinlich empört, mit jener „Person“ – gemeint ist Madame de Vionnet – auch nur in einem Atemzug genannt zu werden. In Sarahs Augen ist diese eine liederliche Schlampe, die einen abscheulichen Einfluss auf Chad ausübt. Sie lässt Strether im Gefühl zurück, dass er es sich für immer mit Mrs. Newsome verdorben hat.

„Da Mrs. Newsome im Wesentlichen aus moralischem Druck bestand, war das Vorhandensein dieses Elements beinahe gleichbedeutend mit ihrer physischen Präsenz.“ (S. 453)

Am Abend sucht er eine Aussprache mit Chad. Dieser gibt zu, dass er Sarah an Strether verwiesen hat, jedoch, wie er bekräftigt, ohne damit eine böse Absicht verfolgt zu haben. Am Ergebnis – dass seine Familie die Verantwortung auf Strether schiebt – ändert das natürlich nichts. Doch der Beschuldigte kann damit leben. Chad möchte wissen, was Strether überhaupt für seine Mutter empfindet. Statt zu antworten fragt Strether Chad, ob dieser nun zur Abreise bereit sei. Wieder weicht der junge Mann aus, als wüsste er selbst nicht genau, was er will. Am nächsten Morgen geht Strether zu Sarah und übernimmt, sollte Chad in Paris bleiben, die Verantwortung dafür. Und was ihn selbst betrifft, so weiß er gar nicht, ob er sich eine Versöhnung mit Mrs. Newsome überhaupt wünschen soll. Deren starre Moral, kaltes Kalkül und Mangel an Fantasie schrecken ihn nun eher ab.

Auf dem Land

Strether fährt an einem heißen Julitag mit dem Zug aufs Land. Spontan steigt er an einem malerischen Ort aus, der ihn mit seinen weißen Häusern, den Pappeln und Binsen am Fluss an ein geliebtes Gemälde erinnert. Er liegt auf dem Rücken im Gras und denkt voller Sehnsucht an Madame de Vionnet. Am Abend kehrt er in einem Gasthaus ein und wartet in einem schlichten Pavillon am Flussufer auf seine Mahlzeit – als sich ein Ruderboot nähert. Er erstarrt. Auch die beiden Insassen scheinen einen Moment innezuhalten. Nach wenigen, quälend langen Augenblicken schwenkt Strether seinen Hut und Stock als Zeichen, dass er Chad und Madame de Vionnet erkannt hat. Chad rudert ans Ufer, und für den Rest des Abends versuchen alle drei, die Peinlichkeit des Vorfalls zu überspielen. Zu dritt nehmen sie den Zug zurück nach Paris, obwohl mehr als offensichtlich ist, dass das Paar die Nacht ohne diese zufällige Begegnung in seinem Liebesnest verbracht hätte.

Au revoir, Paris

Am nächsten Tag bittet Madame de Vionnet Strether per Rohrpost zu sich. Die am Vortag aufgeführte Komödie spricht sie zu seiner großen Erleichterung nicht an. Vielmehr möchte sie sicherstellen, dass er sie nicht verachtet. Doch Strether begreift voller Mitleid, dass es ihr letztlich um Chad und damit um ihr eigenes Leben geht. Als er ihr das sagt, bricht sie in Tränen aus. Sie wirkt mit einem Mal älter, und sie weiß es. Beim Abschied versichert Strether ihr, dass er ihr Freund war. Beide wissen jedoch, dass sie sich nie wiedersehen werden.

„Der rechteckige, vergoldete Rahmen gab die Grenzen vor; Pappeln und Weiden, Binsen und Fluss – ein Fluss, dessen Namen er weder wusste noch wissen wollte – gruppierten sich darin zu einer glücklichen Komposition (…)“ (über Strether, S. 500)

Dann trifft er Chad, der von einer einwöchigen Reise nach England zurückgekehrt ist, und beschwört ihn, Madame de Vionnet niemals aufzugeben; er wäre ein Unmensch, wenn er das täte. Chad, der auf einmal wieder sehr jung wirkt, ist ganz seiner Meinung. Doch auch die Reklamebranche interessiert ihn. Er möchte zumindest herausfinden, wie viel seine Familie bereit wäre, für seine Rückkehr zu bieten. Beim Abschied von Maria Gostrey äußert Strether Zweifel, dass Chad seiner zehn Jahre älteren Geliebten die Treue halten wird. Er glaubt auch nicht, dass Mrs. Newsome ihm, Strether, eine zweite Chance geben wird. Dennoch schlägt er das Angebot seiner teuren Freundin und Ratgeberin aus, bei ihr in Paris zu bleiben. Denn nur wenn er sich selbst bei der ganzen Geschichte keine Vorteile verschaffe, könne er die Achtung vor sich selbst bewahren – eine Einschätzung, der sie widerstrebend zustimmt.

Zum Text

Aufbau und Stil

Henry James warnte eine Freundin vor der Lektüre der Gesandten, sie solle behutsam mit dem Roman umgehen: „Zerreißen Sie nicht den Faden!“ Die Gefahr ist real, denn James verzichtet fast vollständig auf eine auktoriale Erzählerperspektive. Stattdessen spielt sich die Geschichte vorwiegend in Strethers Kopf ab, und darin besteht die eigentliche Handlung des Romans. Die Wiedergabe von Strethers Wahrnehmungen und Gedanken soll nach Aussage des Autors eine „Illusion des wirklichen Zeitverlaufs“ vermitteln. Oft dehnt dieser Bewusstseinsstrom den Fortgang der äußeren Handlung derart, dass man meint, dieser in Zeitlupe zuzusehen. Der verschachtelte Satzbau, die metaphorische Sprache und die vieldeutigen Dialoge sind Ausdruck von Strethers grenzenloser Fantasie, seinem intellektuellen Scharfsinn und seinem Hang zum Zaudern und Zweifeln. James überträgt auch die französische Malerei der Belle Époque in Sprache: Jeder Pinselstrich ist dabei einem strengen kompositorischen Prinzip unterworfen. Beispielsweise ist die Figur Miss Gostreys nicht als romantische Möglichkeit angelegt, sondern als Komplizin des Lesers: ein Kunstgriff, der hilft, Strethers Gedanken zu entwirren, damit wir bei der Lektüre nicht den Faden verlieren – oder ihn gar zerreißen.

Interpretationsansätze

  • Die Gesandten ist ein Buch über die Zeit und über Zeitebenen: die vergangene Zeit, mit all ihren Verheerungen, Unterlassungen und verpassten Gelegenheiten, und die vergehende Zeit, mit ihrer Flut an Sinneseindrücken und Gedanken und Gefühlen. Henry James perfektionierte in dem Roman die Technik des „Bewusstseinsstroms“, ein Begriff, den sein Bruder William prägte.
  • Die Spannung zwischen Jung und Alt ist ein Schlüsselthema des Romans: Strether ist besessen von der Sorge, seine besten Jahre vergeudet zu haben, und die fast divenhafte Angst vor dem Altern macht ihn depressiv. Allerdings verschwimmen die Altersgrenzen zunehmend: Je nach Perspektive und Gefühlslage wirken Personen abwechselnd älter oder jünger, und Strether lernt noch als reifer Mann, den Moment zu genießen.
  • Das Buch ist ein Plädoyer gegen Schwarzweißmalerei und für größtmögliche Offenheit gegenüber unterschiedlichen Lebensentwürfen. Was Strether in Paris erlebt, ist die Auflösung alter Gewissheiten. Gleichzeitig bleiben neue Fragen unbeantwortet: Was ist ein gelungenes Leben? Was eine glückliche Beziehung? Der Leser schaut Strether dabei zu, wie er die moralischen Fesseln Neuenglands abwirft, eine Art zweite Jugend durchlebt und eine liebende Frau zurückweist.
  • Für viele ist Die Gesandten daher der erste moderne Roman überhaupt. Im Zentrum der wiederkehrenden Theatermetaphorik steht das Verwirrspiel zwischen Schein und Sein: Wir erleben Strethers Kopftheater, als schauten wir von der Loge aus zu. Jede Figur spielt eine Rolle und ist in ihrer eigenen, subjektiven Wahrnehmung gefangen. Kommunikation ist der Versuch, diese Grenzen zu durchbrechen – sie scheitert an der Unmöglichkeit, die objektive Realität mithilfe von Sprache abzubilden.
  • Verständigungsprobleme zwischen Europäern und Amerikanern sind der Kern des „internationalen Themas“, das James hier erneut variiert. Anders als früher legt er die Figuren vieldeutiger an: Die Amerikaner sind tendenziell verklemmter, kulturloser und materialistischer, aber auch offener, ehrlicher und fleißiger als die Europäer. Allerdings hängen diese Eigenschaften immer vom Kontext und der Perspektive ab.

Historischer Hintergrund

Zwischen Belle Époque und Gilded Age

Der Philosoph Walter Benjamin prägte die Wendung: „Paris, die Hauptstadt des 19. Jahrhunderts“. In Paris wurden viele politische, künstlerische und technische Innovationen der Moderne geboren; von hier aus breitete sich das Lebensgefühl der Belle Époque nach ganz Europa aus. Um die Jahrhundertwende, in einer Zeit des Friedens und des wachsenden Wohlstands, brachte die Stadt nicht nur Moulin Rouge, schlüpfrige Varietés und skandalöse Kokotten hervor, sondern erlebte auch gewaltige Umbrüche: Automobile verdrängten die Kutschen von den Straßen, Flugzeuge und das Telefon ließen Entfernungen schrumpfen, und zur Pariser Weltausstellung 1889 wurde der Eiffelturm errichtet, mit einer Höhe von mehr als 300 Metern das Wahrzeichen eines grenzenlosen Fortschrittsglaubens.

Zugleich war Paris Sehnsuchtsort für Bohemiens, Künstler und Touristen aus aller Welt, darunter auch aus der Neuen: ein Dreh- und Angelpunkt auf der sogenannten Grand Tour gebildeter und wohlhabender Amerikaner, die sich auf einer Reise von mehreren Monaten oder Jahren ihrer kulturellen Wurzeln in Europa vergewisserten. Denn nach den Verheerungen des amerikanischen Bürgerkriegs und dem Wiederaufbau erlebten auch die USA eine wirtschaftliche Blütezeit – die übrigens Mark Twain ironisch als „Gilded Age“ (vergoldetes Zeitalter) bezeichnete. Das gestiegene Selbstbewusstsein der Amerikaner, gepaart mit dem Anspruch, im Weltgeschehen ein Wörtchen mitreden zu wollen, lieferte einen Vorgeschmack auf die Zeit, in der Paris die Fackel der Moderne an New York übergeben würde – die Hauptstadt des 20., des amerikanischen Jahrhunderts.

Entstehung

Die Figur des Lambert Strether trägt autobiografische Züge: Der Amerikaner Henry James versuchte als junger Mann, sich in Paris niederzulassen; anders als sein Romanheld scheiterte er aber. Obwohl ein geselliger Salonlöwe, war der Autor zutiefst einsam. Die Frauen liebten ihn für seine Feinsinnigkeit und Empathie – doch ließ er körperliche Nähe nie zu und entschied sich, ähnlich wie Strether, für ein zölibatäres Leben. Nach einem Jahr in Paris zog er nach London, wo er sich 1876 niederließ. Die Beschäftigung mit dem „internationalen Thema“ wurde zu James’ Lebensaufgabe. Als Amerikaner, schrieb er 1881, sei er gezwungen, sich mit Europa auseinanderzusetzen. Ein Europäer hingegen, „der Sitten und Lebensarten schildert und Amerika missachtet, ist deshalb noch nicht unzureichend gebildet; in hundert – vielleicht fünfzig Jahren – wird man ihn aber zweifellos dafür halten.“

Die Idee für Die Gesandten lieferte die Begegnung eines Freundes von Henry James mit dem Schriftsteller William Dean Howells, 1894 im Pariser Garten eines berühmten Künstlers: Howells beschwor den Jüngeren, zu leben, egal wie, solange noch Zeit dafür sei. James hielt diese Schlüsselszene seines späteren Romans 1895 in seinem Notizbuch fest. In der Folge erwog James Schauplätze, Hintergründe und Vorgeschichten, skizzierte Konflikte und Plots und schickte 1900 einen Entwurf an den New Yorker Harper-Verlag. Der Gutachter empfahl eine Ablehnung: „Das Gewebe ist zu fein gesponnen für den allgemeinen Geschmack.“ Ob James davon erfuhr, ist nicht bekannt. Jedenfalls ließ er dem Verlag im September 1901 eine deutlich vom Entwurf abweichende Romanfassung zukommen, in der die externe Erzählperspektive gänzlich hinter der subjektiven Sicht Strethers verschwunden war.

Wirkungsgeschichte

Die Gesandten erschien von Januar bis Dezember 1903 als Fortsetzungsroman in der North American Review und kam noch im selben Jahr als Buch heraus. Doch der Gutachter des Verlags sollte Recht behalten: James hatte den Publikumsgeschmack verfehlt. Die Chicago Tribune titelte: „Vierhundert Seiten, auf denen kaum etwas passiert.“ Kritisiert wurden die „elaborierte Nebelhaftigkeit“ des Romans und der „gönnerhafte Zynismus“ des Autors. Die Briten standen dem Buch wohlwollender gegenüber: Im Londoner Times Literary Supplement lobte der Rezensent James’ Vertrauen in die Intelligenz seiner Leser und die Tatsache, dass „der Stil der eigentliche Stoff der Geschichte“ sei. James selbst hielt den Roman für sein bestes Werk.

Sein schärfster Kritiker war der geliebte Bruder William James: „Keiner reicht an Dich heran, wenn es um Glimmerlicht und Andeutungen und geschickte Wortspielereien geht“, schrieb ihm der berühmte Philosoph und Psychologe 1907. Die Anerkennung für seine Weigerung, Zugeständnisse an den Publikumsgeschmack zu machen, blieb James zu seinen Lebzeiten verwehrt. Heute gilt er als einer der größten Stilisten der amerikanischen Literatur und als begnadeter Maler der menschlichen Seele. Für seine loyalen Fans, vor allem im englischsprachigen Raum, ist er nur: The Master.

Über den Autor

Henry James gilt in der angelsächsischen Welt als großer Klassiker der Literatur um 1900, als Meister des subtilen psychologischen Romans und Wegbereiter der literarischen Moderne. Am 15. April 1843 in eine großbürgerliche, wohlhabende und intellektuelle New Yorker Familie hineingeboren, erhält er eine umfassende Bildung und lernt schon früh die Klassiker der Weltliteratur kennen. Sein Vater ist einer der angesehensten amerikanischen Intellektuellen, befreundet mit Denkern wie Thoreau, Emerson und Hawthorne. Henry James’ Bruder William wird Psychologieprofessor in Harvard und Begründer des Pragmatismus in der Philosophie. Henry James selbst studiert, nachdem er in seiner Jugend Europa bereist hat, für kurze Zeit Jura in Harvard und betätigt sich bald als Journalist, zunächst als Kritiker, dann auch als Zeitungskorrespondent in Paris. 1869 siedelt er nach England über, wo er sich 1876 endgültig niederlässt. Viele seiner berühmten Romane und Erzählungen wie Daisy Miller (1878), Die Europäer (The Europeans, 1878) oder Die Gesandten (The Ambassadors, 1903) spielen vor dem Hintergrund der Begegnungen vornehmer Amerikaner mit Europäern. Der Gegensatz zwischen Alter und Neuer Welt, zwischen europäischer Kultur und amerikanischer Naivität spielt in seinem Werk eine wichtige Rolle. Da James vermögend und somit finanziell unabhängig ist, kann er sich ganz dem Schreiben und seinen intellektuellen Interessen widmen. Auch in England steht er in engem Kontakt zu den führenden Geistern seiner Epoche. 1904/05 reist James nach 25 Jahren erstmals wieder in die Vereinigten Staaten, unter anderem um die Ausgabe seiner gesammelten Werke vorzubereiten und zu begleiten, darunter sein meistgelesenes Buch, die Gespenstergeschichte Das Durchdrehen der Schraube (The Turn of the Screw, 1898). 1915 erwirbt James die englische Staatsbürgerschaft. Er stirbt am 28. Februar 1916 im Londoner Stadtteil Chelsea.

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