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Die Kreutzersonate

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Die Kreutzersonate

Insel Verlag,

15 Minuten Lesezeit
12 Take-aways
Text verfügbar

Was ist drin?

Tolstois Sittenpredigt zur Sexualmoral des 19. Jahrhunderts, verpackt in das Drama einer zerrütteten Ehe.


Literatur­klassiker

  • Novelle
  • Moderne

Worum es geht

Das Verhängnis der Ehe

Tolstois Alterswerk Die Kreutzersonate ist ein merkwürdiger Zwitter: Da ist einerseits das packende Drama einer vergifteten Ehe, die meisterhafte, psychologisch subtile Schilderung einer fatalen Zweisamkeit: Der Zugpassagier Posdnyschew erzählt einem Mitreisenden von seinem lockeren vorehelichen Geschlechtsleben, von der flüchtigen Verliebtheit, die ihn in die Heirat trieb, und von der Hölle, zu der ihm diese Ehe wurde. Aus Egoismus wurde Rechthaberei, aus Überdruss Hass, aus Eitelkeit rasende Eifersucht. Andererseits flicht Tolstoi einen moralischen Traktat ein, der es mit jeder Sittenpredigt von der Kanzel aufnehmen kann. Posdnyschew stellt das Ehe- und Geschlechtsleben seiner Zeit mit tabubrecherischer Deutlichkeit an den Pranger – und zieht die bizarre Schlussfolgerung, dass die Sexualität, auch in der Ehe, ein Übel sei, das man nur durch umfassende Enthaltsamkeit kurieren könne. Diese fundamentalistische Abhandlung mag für Tolstoi der Kern des Werks gewesen sein – für den heutigen Leser ist Die Kreutzersonate vor allem ein Höhepunkt realistischer Erzählkunst.

Take-aways

  • Tolstois Novelle Die Kreutzersonate ist das packende Psychogramm einer Ehe und eine pathetische Moralpredigt zugleich.
  • Der Zugpassagier Posdnyschew erzählt einem Mitreisenden die Geschichte seiner Ehe. Er hat seine Frau ermordet.
  • Schuld daran seien seine Eifersucht und die verkommenen Sitten der Gesellschaft.
  • Die Ehe hält er für eine bloße Legitimation des Geschlechtsverkehrs, die Liebe für eine Beschönigung des Sexualtriebs.
  • Nach ausschweifenden Junggesellenjahren hat Posdnyschew in flüchtiger Verliebtheit geheiratet; schnell entstehen Entfremdung und Hass zwischen den Eheleuten.
  • Er verdächtigt seine Frau des Ehebruchs mit einem eleganten Geigenvirtuosen
  • Posdnyschew glaubt, dass Beethovens Kreutzersonate, die die beiden vermeintlichen Ehebrecher zusammen spielten, wie ein Aphrodisiakum wirkt.
  • Tatsächlich überrascht er den Nebenbuhler eines Nachts bei seiner Frau, allerdings nicht in kompromittierender Lage.
  • Außer sich vor Eifersucht, aber in vollem Bewusstsein seiner Tat ersticht er sie.
  • Tolstoi gilt zusammen mit Dostojewski als wichtigster Vertreter des russischen Realismus.
  • Die Kreutzersonate veröffentlichte er 1890 nach einer tiefen Sinnkrise, während der er sich vermehrt religiösen und moralischen Themen zuwandte.
  • Kritiker lobten Tolstois hohe Erzählkunst, störten sich aber an der eingeflochtenen Sittenpredigt, die auf eine Verdammung der Sexualität hinausläuft.

Zusammenfassung

Gespräche im Zug

Schon seit zwei Tagen ist der Ich-Erzähler mit dem Zug unterwegs. Er bekommt mit, wie sich unter den Mitreisenden ein Gespräch über die Ehe entspinnt und hört interessiert zu. Ein Advokat bemerkt, dass die Zahl der Ehescheidungen gestiegen sei, was in ganz Europa und auch in Russland für Debatten sorge. Ein alter Kaufmann behauptet, das Übel liege in der heutigen Bildung, die nur Dummheiten vermittle. Eine hässliche Dame gibt die Schuld den unfreiwilligen, von den Eltern bestimmten Ehen: Wo keine Liebe sei, da könne auch die Ehe nicht funktionieren. Der konservative Kaufmann hält dagegen gar nichts von neumodischen Liebesheiraten, für ihn ist die wichtigste Eheregel die Furcht der Frau vor dem Mann.

„Bis zu meiner Heirat lebte ich, wie alle leben, das heißt liederlich, und wie alle Männer unserer Kreise war ich bei meinem liederlichen Leben davon überzeugt, dass ich lebe, wie sich’s gehört.“ (Posdnyschew, S. 23)

Ein Mann, der sich bisher aus allen Gesprächen herausgehalten hat, mischt sich ein. Er wirkt unruhig, fragt erregt, was wahre Liebe denn sei. Die Dame definiert Liebe als die Bevorzugung eines Menschen vor allen anderen. Der Mann entgegnet, eine solche Bevorzugung halte niemals ein ganzes Leben, sondern häufig nur wenige Stunden. Von Seelenverwandtschaft will er nichts wissen, die Ehe sei nur eine Institution für den Geschlechtsverkehr. Und sie könne zu einer fürchterlichen Hölle werden, wenn die Eheleute sich schon nach kurzer Zeit hassen und trotzdem zusammenbleiben. Zu Trunkenbolden, Mördern oder Selbstmördern mache sie dann die Menschen. Der Mann ereifert sich so sehr, dass seine Gesprächspartner peinlich berührt sind. Schließlich stellt er sich vor: Er heiße Posdnyschew und er habe seine Frau ermordet.

Die Institution der Ehe

Das Gespräch erstirbt, die Dame und der Advokat wechseln den Wagen. Posdnyschew bietet dem Ich-Erzähler Tee an – und seine Geschichte:

„An diesem Abend glaubte ich, dass sie alles, alles verstand, was ich dachte und fühlte, und dass sie lauter erhabene Dinge dachte und fühlte. In Wirklichkeit war es nichts anderes, als dass die Bluse und die Locken ihr sehr gut zu Gesicht standen“ (...)

Vor seiner Ehe lebte er wie alle Männer seines Standes lasterhaft und hatte unzählige Affären. Der Pfad der Tugendlosigkeit begann, als er im Alter von 16 Jahren seine Unschuld im Bordell verlor. Damals, so denkt er, wurde sein Verhältnis zu Frauen ein für alle Mal verdorben. Dabei ist alles in der Gesellschaft auf ein solches Verhalten ausgerichtet: Die Ärzte, die Regierung, ja selbst die Mütter treiben die Jünglinge zu den Prostituierten, weil die Triebbefriedigung als gesund gilt. Ein junger Mann wird ebenso selbstverständlich in die Sexualität eingeführt, wie er rauchen und trinken lernt. Diese gesellschaftliche Praxis nennt Posdnyschew verlogen, denn seiner eigenen Schwester oder Tochter wünsche ja niemand einen derart verdorbenen Mann.

„Die Entrechtung der Frau besteht nicht darin, dass sie nicht wählen und nicht Richter sein kann (...), sondern darin, dass sie im Geschlechtsverkehr dem Manne nicht gleichgestellt ist, dass sie nicht das Recht hat, nach Belieben mit dem Mann zu verkehren“

Der junge Posdnyschew führt jahrelang dieses lockere Leben, jedoch stets mit der Vorstellung, irgendwann eine Familie zu gründen. Als er 30 ist, macht er sich auf die Suche nach einer Braut. Er wählt die Tochter eines verarmten Gutsbesitzers, die ihn eines Abends mit ihrer engen Bluse und ihren Locken bezaubert. In diesem Moment hält er die Anziehung für Seelenverwandtschaft. All die unschuldigen Mädchen, die von den geschlechtlichen Umtrieben ihrer zukünftigen Ehemänner nichts ahnen, tun ihm leid, und so zeigt er seiner Braut vor der Hochzeit sein Tagebuch – zu ihrem Entsetzen.

„Der Ekel packt mich jetzt noch, wenn ich daran denke: Nachdem man sich die härtesten Worte gesagt hat – plötzlich schweigende Blicke, Lächeln, Küsse, Umarmungen ... Scheußlich!“ (Posdnyschew, S. 51)

Posdnyschew schildert dem Ich-Erzähler die oberen Gesellschaftsschichten als ein einziges Bordell. Das sehe man schon daran, dass die Mode der adligen Damen sich kaum von der Kleidung der Prostituierten unterscheide: nackte Schultern und Arme, tief ausgeschnittene Dekolletés hier wie dort, natürlich um den Mann anzulocken. Die ganze Gesellschaft, so Posdnyschew, sei ein einziger großer Markt, auf dem die Frauen möglichst attraktive Köder seien, ausgelegt von ihren Müttern, und die Männer gingen herum und wählten. Das würde natürlich nie jemand zugeben. Die arrangierte Ehe sei in ihren Marktgesetzen wenigstens ehrlich. Gleichberechtigung aber gäbe es nur dann, wenn die Frau ihre Partner genauso frei wählen könnte wie der Mann.

Sex in der Ehe

In zweierlei Hinsicht unterscheidet sich Posdnyschew von den meisten anderen: Er heiratet nicht des Geldes wegen, und er hat fest vor, monogam zu leben. Doch schon während der Verlobungszeit wird klar, dass die Brautleute sich nichts zu sagen haben. Und dann die Flitterwochen: Er findet sie beschämend, peinlich und langweilig. Einem unerfahrenen Mädchen könne der Sex mit einem älteren Lüstling keinen Spaß machen, umgekehrt auch nicht, der Genuss komme erst später, wenn die Eheleute „das Laster in sich hochgezüchtet“ hätten. Posdnyschew sieht die Sexualität als ein fatales Laster, auch innerhalb der Ehe. Den Einwand seines Zuhörers, ohne Sex würden die Menschen aussterben, lässt er nicht gelten – die Menschheit müsse ohnehin irgendwann untergehen.

„Anders werden kann das nur, wenn die Männer die Frauen und die Frauen sich selbst anders sehen. Anders werden kann es nur, wenn die Frau die Jungfräulichkeit als das Höchste ansieht, was der Mensch erreichen kann (...)“ (Posdnyschew, S. 58)

Am dritten oder vierten Tag der Flitterwochen, als der Geschlechtstrieb befriedigt und die Verliebtheit aufgebraucht ist, kommt es zwischen Posdnyschew und seiner Frau zu einer ersten Gereiztheit, die die grundsätzliche Fremdheit zwischen den Eheleuten deutlich macht. Es folgt die Versöhnung, und dieses Muster – sexuelle Übersättigung, Streit, Aussöhnung – wiederholt sich noch in den Flitterwochen mehrmals. Kälte und Feindseligkeit stellen sich ein. Bereits im ersten Monat wird die Frau schwanger, in kurzer Folge bekommt sie fünf Kinder. Sex während der Schwangerschaft und Stillzeit findet Posdnyschew besonders „schweinisch“. Die Vorstellung, dass der Mann seinen Trieb befriedigen müsse, hält er für einen Irrtum; das herrschende Frauenbild findet er widersprüchlich und verlogen: Einerseits gebe es die männliche Galanterie, die auf eine hohe Wertschätzung der Frau schließen lasse, andererseits werde die Frau dann doch nur als Sexualobjekt gesehen. Wenn beide in der Lage sein sollen, sich geistig zu entfalten, bleibe nur eines: die Enthaltsamkeit.

Hass und Selbsthass

Das Leben mit den Kindern schildert Posdnyschew als mühsam. Aber während der Schwangerschaften seiner Frau erhält zumindest seine Eifersucht wenig Nahrung, die ihn ansonsten sein ganzes Eheleben lang quält. Der Ich-Erzähler stellt die Zwischenfrage, was denn nach dem Mord mit den Kindern geschehen sei. Sie lebten bei Verwandten seiner Frau, erwidert Posdnyschew und fügt an, dass das Gericht ihn in der Mordsache freigesprochen habe. Dann blickt er wieder zurück in seine Ehe: Geredet wird nur über banale Dinge, und selbst darüber kommt es häufig zum Streit. Hass wechselt sich mit Phasen der vornehmlich körperlichen Liebe ab. Wenn Posdnyschew seine Frau hasst, hasst er jede Regung von ihr. Bei manch einem Streit kommt gar der Wunsch auf, sie oder sich selbst zu töten. Manchmal flieht sie zu ihrer Schwester und macht Anstalten, ihn mit den Kindern zu verlassen; einmal versucht sie, sich zu vergiften. Im vierten Jahr der Ehe zieht die Familie in die Stadt. Ein Jahr später verbieten die Ärzte Posdnyschews Frau aufgrund einer Krankheit, weitere Kinder zu bekommen, und geben ihr ein empfängnisverhütendes Mittel. Posdnyschew protestiert vergebens. Seine Frau, mittlerweile 30, hat nun mehr Zeit für sich und strahlt eine reife, verführerische Schönheit aus. Sie beginnt wieder, Klavier zu spielen.

Quälende Eifersucht

Da taucht ein Mann auf, der Posdnyschews Eifersucht heftig anfacht, der Geiger Truchatschewskij, ein früherer Bekannter von ihm. Er hat lange in Paris gelebt und stattet Posdnyschew nun in Moskau einen Besuch ab. Dieser sieht in dem geleckten, nach neuester Pariser Mode gekleideten Mann gleich eine Gefahr, und er versteht selbst nicht, was ihn dazu treibt, ihn seiner Frau vorzustellen. Prompt meint Posdnyschew, in den Blicken der beiden eine sexuelle Gier zu entdecken. Um nicht als eifersüchtig zu erscheinen, ermuntert er Truchatschewskij, am Abend mit der Geige vorbeizukommen und mit seiner Frau zu spielen. Sie hat sichtlich Freude am gemeinsamen Musizieren, Posdnyschew aber leidet Qualen. Seine Frau werde dem Geiger erliegen, glaubt er, mehr noch wegen der sinnlichen Wirkung der Musik als wegen dessen eleganter Erscheinung.

„Wir waren zwei Sträflinge, die an eine Kette geschmiedet sind, einander hassen, sich gegenseitig das Leben vergiften und sich bemühen, das nicht zu sehen.“ (Posdnyschew, S. 71)

Posdnyschew verhält sich Truchatschewskij gegenüber ausgesucht freundlich und unterdrückt den Wunsch, ihn zu töten. Für einen Sonntag verabredet er mit ihm ein Hauskonzert, zu dem einige Gäste eingeladen werden. Ein paar Tage davor, als Posdnyschew von der Arbeit kommt, sieht er Truchatschewskijs Mantel im Vorzimmer. Er schleicht sich zum Saal und öffnet ruckartig die Tür, um seine Frau und den Geiger in flagranti zu erwischen. Doch der Geiger sitzt gelassen am Klavier, Posdnyschews Frau steht daneben. Sie hätten gerade die Noten für Sonntag ausgesucht, sagen sie. In Posdnyschew kocht die Eifersucht weiter. Einmal wirft er in einem Streit mit seiner Frau einen Briefbeschwerer nach ihr. Als er ihr nach der Versöhnung seine Eifersucht auf Truchatschewskij gesteht, lacht sie. Es sei absurd, dass er denke, ein Truchatschewskij könne ihr gefallen.

Die Kreutzersonate

An besagtem Sonntag findet nach einem Abendessen das Konzert von Klavier und Geige statt. Posdnyschews Frau und Truchatschewskij spielen die Kreutzersonate von Beethoven. Die Musik übt eine starke Wirkung auf Posdnyschew aus, sie versetzt ihn in Gefühle und Gedanken, die gar nicht die seinen sind, so sehr geht die ursprüngliche Seelenverfassung des Komponisten auf ihn über – nur kann er sie nicht ausdrücken, wie Beethoven es tat. Er vergleicht die Musik mit Hypnose und ist überzeugt, dass sie der Ursprung vieler Ehebrüche ist. Er selbst fühlt sich an diesem Abend jedoch glücklich und leicht; dasselbe scheint für seine Frau zu gelten. Truchatschewskij begegnet er erstmals aufrichtig freundschaftlich, und sie verabschieden sich für lange Zeit, denn der Geiger muss bald abreisen, und Posdnyschew soll am übernächsten Tag zu einem Kongress in die Provinz. In heiterer Stimmung fährt er ab.

„Vom ersten Augenblick an, als seine Blicke und die meiner Frau sich trafen, sah ich, dass das Tier, das in beiden saß, über alle gesellschaftlichen Konventionen hinweg fragte: ‚Darf ich?‘ Und die Antwort lautete: ‚Gewiss!‘“ (Posdnyschew, S. 86)

Am dritten Tag seines Aufenthalts erhält er einen Brief von seiner Frau. Sie berichtet von alltäglichen Dingen und bemerkt nebenbei, dass Truchatschewskij mit Noten bei ihr gewesen sei und vorgeschlagen habe, noch einmal zusammen zu musizieren. Sie habe das aber abgelehnt. Je öfter Posdnyschew den Brief liest, desto unechter erscheint ihm dessen harmloser Ton. Das „wilde Tier der Eifersucht“ wird wieder in ihm wach. Jenen Sonntagabend sieht er jetzt mit anderen Augen, er deutet Mimik und Gestik der beiden vermeintlichen Liebhaber, als wäre zwischen ihnen längst alles verabredet. Die ganze Nacht kann er nicht schlafen. Am frühen Morgen beschließt er, seine Reise abzubrechen, weil er die Ungewissheit nicht länger erträgt. Er hat eine gute Strecke mit dem Pferdewagen und anschließend acht Stunden Zugfahrt vor sich. Während der Wagenfahrt fühlt er sich besser, die frische Luft und die schöne herbstliche Landschaft lassen ihn fast seine Lage vergessen. Im Zug jedoch steigert sich seine Eifersucht wieder, und er malt sich eindeutige Szenen zwischen Truchatschewskij und seiner Frau aus. Für ihn steht außer Frage, dass sie ihn schon betrogen hat oder zumindest beabsichtigt, es zu tun.

Mord an der eigenen Frau

Als er um ein Uhr nachts ankommt, sieht er Licht in der Wohnung. Der Diener bestätigt ihm, dass Truchatschewskij da sei. Posdnyschew sieht sich in seinen schlimmsten Erwartungen bestätigt. Jetzt handelt er schlau: Den Diener schickt er zum Bahnhof, wo sein Koffer abgeholt werden muss. Dann zieht er seine Stiefel aus, um kein Geräusch zu machen, und bewaffnet sich mit einem Dolch. Er reißt er die Tür zum Saal auf: Seine Frau und Truchatschewskij sitzen am Tisch beim Essen und sehen ihn entsetzt an. Als er sich auf seine Frau stürzt, sieht Truchatschewskij den versteckt gehaltenen Dolch und packt Posdnyschews Hand, um ihn zurückzuhalten. Posdnyschew geht daraufhin auf den Geiger los, Truchatschewskij wird blass vor Angst und weicht zurück. Posdnyschew will ihm nachsetzen, aber nun ist es seine Frau, die ihn zurückhält. Er schlägt ihr ins Gesicht, und sie muss ihn loslassen, aber als er Truchatschewskij nachlaufen will, wird ihm bewusst, wie lächerlich das in Strümpfen aussehen würde, deshalb gibt er die Verfolgung auf. Seine Frau versucht, ihn mit Worten zur Vernunft zu bringen, sie schwört, es sei nichts. Diese Worte aber, aus denen Posdnyschew das genaue Gegenteil schließt, steigern seine Raserei nur noch. Er bezichtigt sie der Lüge, beschimpft sie als Dirne, wirft sie auf den Boden und würgt sie. Dann stößt er ihr den Dolch in die Brust.

„‚Sie spielten die Kreutzersonate von Beethoven‘, fuhr er endlich fort. ‚Kennen Sie das erste Presto? Sie kennen es?!‘, rief er. ‚Huhuhu! Ein furchtbares Werk ist diese Sonate.‘“ (Posdnyschew zum Ich-Erzähler, S. 97)

Als wollte er seine Tat rückgängig machen, zieht er den Dolch sofort wieder aus ihrem Körper heraus. Sie steht auf, schreit, dass er sie ermordet habe, und fällt wieder hin. Noch am selben Tag erliegt sie der Verletzung. An ihrem Sterbebett sieht Posdnyschew erstmals den Menschen in ihr. Sein Stolz und seine Eifersucht kommen ihm jetzt gering vor gegen die Wucht seiner Tat. Er bittet sie, ihm zu vergeben; sie tut es nicht und sagt ihm stattdessen, dass er am Ziel sei: Sie hasse ihn.

„In China ist die Musik eine staatliche Angelegenheit. Und so muss es auch sein.“ (Posdnyschew, S. 98)

Posdnyschew schluchzt und bittet seinen Zuhörer um Verzeihung. Er hätte niemals geheiratet, wenn er vorher gewusst hätte, was er jetzt wisse.

Zum Text

Aufbau und Stil

Die Kreutzersonate besteht aus 28 recht kurzen Kapiteln. Es handelt sich um eine verschachtelte Ich-Erzählung: Nach einer kurzen Einleitung des eigentlichen Erzählers, eines Zugreisenden, über den wir nichts weiter erfahren, redet praktisch nur noch Posdnyschew, der ihm seine Geschichte in direkter Rede schildert. Der erste Erzähler wird also zum Zuhörer und stellt nur gelegentliche Rückfragen. Das dramatische Ende der Geschichte steht von vornherein fest: Schon als er sich vorstellt, bekennt Posdnyschew, er habe seine Frau ermordet. In den ersten 14 Kapiteln unterbricht er seine Erzählung immer wieder durch lange, polemisch formulierte Abschweifungen – allgemeine Betrachtungen zur Sexualmoral seiner Zeit, aus denen hervorgehen soll, dass sein Fall kein Einzelfall sei. Sie laufen auf ein Plädoyer gegen die Sexualität schlechthin hinaus. Das Ehedrama selbst ist psychologisch genau gestaltet, die sich immer weiter hochschraubende Eifersuchtsspirale wirkt sehr glaubwürdig. Der Text enthält jedoch auch ironische Passagen, etwa in der Charakterisierung der Zugreisenden, in der Beschreibung Truchatschewskijs oder in Details wie jenem, dass der eitle Posdnyschew seinen Nebenbuhler nicht in Strümpfen verfolgen will.

Interpretationsansätze

  • Posdnyschews Eifersucht ist nicht die schmerzliche Seite einer großen Leidenschaft – sie ist, wie auch sein gelegentlich aufflammendes sexuelles Begehren, ohne Liebe. Für Posdnyschew ist Liebe eine Illusion, eine lächerliche Verklärung des Geschlechtstriebs.
  • In der titelgebenden Kreutzersonate zeigt sich für Posdnyschew die verderbliche Macht der Musik. Er gibt ihr nicht nur die Schuld an seinem Ehedrama, sondern macht sie ganz allgemein für die verdorbenen Sitten seiner Zeit verantwortlich. Ein Stück, das seine Frau und der Geiger nach Beethovens Sonate noch spielen, beschreibt er als „bis zur Geilheit sinnlich“.
  • Auffallend sind die vielen Tiermetaphern. Geschlechtsverkehr ist „schweinisch“, die Eifersucht ein „wildes Tier“, das gemutmaßte Begehren zwischen Truchatschewskij und Posdnyschews Frau „das Raubtier, das in beiden lauerte“. Im Grunde sieht Posdnyschew seine Frau, bis auf einen kurzen Moment an ihrem Sterbebett, überhaupt nicht als Menschen: „Ich kannte nur das Tier in ihr.“
  • Mit seinem Moralismus ist Posdnyschew das Sprachrohr Tolstois. Das zeigt sich deutlich in dessen Nachwort, worin sich der Autor für umfassende sexuelle Enthaltsamkeit von Mann und Frau ausspricht.
  • Tolstoi zeigt sich in der Novelle – scheinbar paradox – als prüder Tabubrecher. Seine bzw. Posdnyschews Analyse des „sexuellen Marktes“ ist von ungewohnter Deutlichkeit, sie prangert die Bigotterie und die Ungleichbehandlung der Frau an – nur um daraus die Forderung nach völliger Keuschheit abzuleiten.
  • Als „Amoklauf puritanischer Logik“ charakterisierte der Tolstoi-Biograf Janko Lavrin den moralischen Rigorismus des Autors: Die Moral soll offenbar nicht dem Wohl der Menschheit dienen, sondern die Menschheit hat sich notfalls der Moral zu opfern.

Historischer Hintergrund

Russland in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts

Im Jahr 1861 hob Zar Alexander II. die Leibeigenschaft in Russland auf. Seit dem 16. Jahrhundert waren die russischen Bauern unfrei gewesen und hatten mitsamt dem Grund und Boden, auf dem sie lebten, verkauft werden können. Jetzt wurde ihnen erlaubt, sich selbst Boden zuzueignen und ihn auf eigene Rechnung zu bebauen, Vermögen zu erwerben und Arbeitskräfte einzustellen. Alexander modernisierte zudem die Verwaltung, führte Betriebsversammlungen mit Vertretern aus Adel, Land- und Stadtbevölkerung ein, lockerte die Zensur und die Universitätsaufsicht und vereinfachte das Justizsystem. Nach seiner Ermordung 1881 durch eine anarchistische Untergrundorganisation wurden allerdings viele Reformen wieder zurückgenommen; sein Sohn und Nachfolger Alexander III. verschärfte die Zensur, verstärkte die Polizeiüberwachung, beschnitt die Mitbestimmung des Volkes und ging hart gegen Minderheiten in Russland vor. Juden wurden in Ghettos verbannt oder ermordet. Mit der Industrialisierung veränderte sich Russland auf dramatische Weise: Die feudalen Strukturen weichten auf, und die miserablen Arbeits- und Lebensbedingungen der Fabrikarbeiter führten zu Verelendung in den Städten. Das bereitete den Boden für die soziale Revolution: 1898 wurde die Sozialdemokratische Arbeiterpartei Russlands (SDAPR) gegründet, die spätere Kommunistische Partei.

Entstehung

Sowohl selbst Erlebtes wie von anderen Gehörtes haben Tolstoi zur Kreutzersonate angeregt. Seine eigene Ehe war schwierig. Sie veranlasste ihn noch als 82-Jährigen, heimlich von zu Hause zu fliehen. Zumindest eine Episode der Novelle ist direkt autobiografisch: Tolstoi ließ, wie Posdnyschew, seine Braut am Tag vor der Hochzeit sein Tagebuch lesen, und sie war von den Enthüllungen über sein ausschweifendes Vorleben schockiert. Zur Musik hatte er ein ambivalentes Verhältnis. Er hörte und spielte sie leidenschaftlich gern, sie versetzte ihn, wie er in seinem Tagebuch schrieb, in eine quasi erotische Ekstase. Gleichzeitig hasste er sie aber auch und belegte sie mit derselben masochistischen Selbstzensur, mit der er all seine sinnlichen Regungen unterdrückte.

Tolstoi schrieb die Erzählung zwischen 1887 und 1889 und überarbeitete sie insgesamt neun Mal. Unter anderem wandelte er die Person des mutmaßlichen Liebhabers von einem Maler in einen Musiker um. Das geht auf folgende Anekdote zurück: Im Frühling 1888 spielte in seinem Haus ein junger Geigenvirtuose zusammen mit Tolstois ältestem Sohn am Klavier Beethovens Kreutzersonate. Daraufhin schlug Tolstoi seinen Freunden, dem Maler Ilja Repin und dem Schauspieler Wasily Andrejew-Burlak, vor, jeder von ihnen solle ein Werk um diese Sonate herum schaffen – der Maler ein Bild und er selbst einen Text, den wiederum der Schauspieler rezitieren würde. Allerdings realisierte nur Tolstoi sein Projekt – der Maler lehnte ab, und der Schauspieler starb kurz darauf.

Ab 1889, nach einer Lesung in einem Petersburger Salon, verbreitete sich das Werk unter der Hand. Kaum kam es der Zensur zu Gesicht, wurde es verboten. So wurde die Novelle 1890 in Berlin erstveröffentlicht, in Russland wurde das Werk 1891 und zunächst nur innerhalb der gesammelten Werke publiziert. Tolstois Ehefrau Sofia Andrejewna hatte die Druckerlaubnis beim Zar persönlich erwirkt – und dies, obwohl sie fühlte, „dass die Erzählung direkt gegen mich gerichtet war“, wie sie in ihr Tagebuch schrieb. Das Nachwort, in dem Tolstoi die Sexualkritik der Erzählung als sein persönliches Anliegen zu erkennen gibt, erschien 1892.

Wirkungsgeschichte

Die Kreutzersonate löste heftige Debatten in den intellektuellen Kreisen Russlands aus. Die Meinungen waren geteilt, insgesamt überwog jedoch die Ablehnung. Schriftstellerkollege Iwan Turgenjew flehte Tolstoi an, zu seinem „eigentlichen“, rein künstlerischen Schaffen zurückzukehren, seit 1880 schreibe er Tendenzliteratur. Für Anton Tschechow stellte Die Kreutzersonate eines der wichtigsten Ereignisse im literarischen Leben seiner Zeit dar – doch auch er, obwohl voller Bewunderung für die künstlerische Gestaltung, distanzierte sich von der radikalen Botschaft. Der Autor Alexej Suworin reagierte in einem polemischen Artikel auf das Erscheinen des Nachworts. Er kritisierte dessen völlige Nutzlosigkeit und schrieb: „Ich kenne viele Leser, die sich, nachdem sie das Nachwort gelesen haben, kälter gegenüber der Kreutzersonate gezeigt haben.“

Auch in Tolstois persönlichem Umfeld hatte Die Kreutzersonate Folgen: Seine Frau Sofia Andrejewna schrieb einen eigenen – weitgehend unbeachteten – Roman, in dem eine unverdorbene Frau von ihrem viehischen Ehemann gedemütigt wird. Die ohnehin verkorkste Ehe im Hause Tolstoi war nun vollkommen zerrüttet, und um 1895 flüchtete sich Sofia Andrejewna ironischerweise in eine Freundschaft zum Pianisten und Komponisten Sergej Tanejew.

Über den Autor

Leo Nikolajewitsch Tolstoi wird am 9. September 1828 in Jasnaja Poljana in eine russische Adelsfamilie hineingeboren. Weil er früh seine Eltern verliert, wird er von einer Tante erzogen. Zwischen 1844 und 1847 besucht er die Universität von Kasan, doch das Studium der Orientalistik und Rechtswissenschaft bricht er ohne Examen ab. Auch den ursprünglichen Plan, in den diplomatischen Dienst einzutreten, verwirft er. Von den Ideen Rousseaus beflügelt, versucht er das System der Leibeigenschaft auf seinen Gütern abzuschaffen, was ihm jedoch nicht gelingt. Nach Jahren des Nichtstuns und angesichts angehäufter Spielschulden meldet er sich 1851 freiwillig zum Militärdienst. Er nimmt an den Kämpfen im Kaukasus und am Krimkrieg teil. Ab 1856 geht er auf zwei größere Europareisen. Nach seiner Hochzeit mit der erst 18-jährigen Sofia Andrejewna Bers, mit der er 13 Kinder haben wird, lässt er sich 1862 an seinem Geburtsort nieder und verzeichnet erste kleine schriftstellerische Erfolge. Ab 1869 erleidet Tolstoi eine tiefe Sinnkrise, nicht zuletzt, weil ihm die Widersprüche zwischen seinem eigenen Leben im Wohlstand und seinen politischen Überzeugungen unauflösbar erscheinen. Er liest Schopenhauer, was seine pessimistische Grundeinstellung noch weiter vertieft. Seine Arbeit wird zunehmend von ethischen und religiösen Themen bestimmt. Unter diesen Vorzeichen entstehen auch seine großen Romane Krieg und Frieden (1868/69) und Anna Karenina (1875–1877). 1901 lehnt er den Nobelpreis für Literatur ab, weil ihm inzwischen jede Art von Organisation – sogar soziale und kulturelle – suspekt ist; auch die Exkommunikation aus der russisch-orthodoxen Kirche (er weigert sich u. a., die Dreieinigkeit Gottes anzuerkennen) im selben Jahr nimmt er gelassen hin. Im November 1910 versucht er seiner zunehmend zerrütteten Ehe durch eine heimliche Flucht zu entkommen und will künftig besitzlos und einsam leben. Auf der Bahnstation von Astapowo stirbt er noch im gleichen Monat, am 20. November 1910, an einer Lungenentzündung.

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