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Die Welt als Wille und Vorstellung

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Die Welt als Wille und Vorstellung

Diogenes Verlag,

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12 Take-aways
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Was ist drin?

Die Philosophie des Pessimismus: Schopenhauer stößt die Vernunft vom obersten Treppchen der Erkenntnis und liefert den Menschen einer irrationalen Lebenskraft (dem „Willen“) aus.


Literatur­klassiker

  • Philosophie
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Worum es geht

Philosophie des Pessimismus

Schopenhauer gehört zu den Poeten unter den Philosophen des Abendlandes. Wunderbare und einprägsame Formulierungen gibt es viele in seinem umfangreichen Hauptwerk Die Welt als Wille und Vorstellung. In Anlehnung an Kant untersucht Schopenhauer die Erkenntnisfähigkeit des Menschen und kommt zu dem Schluss, dass die ganze Welt bloße "Vorstellung" der Sinne sei und wir nichts über das wahre Wesen der Dinge erfahren könnten. Die treibende Kraft der Welt und des Lebens sei der "Wille", der völlig losgelöst von Zweck und Vernunft dafür sorge, dass Menschen und Tiere geboren werden, Bäume wachsen und Magneten sich nach Norden ausrichten. Mit dieser Theorie erschüttert Schopenhauer die vernunftzentrierte Aufklärungsphilosophie seines Vorbildes Kant: Wenn der Wille eine grundlos waltende Macht ist, bleibt kaum eine Hoffnung für den Menschen, und sein Dasein verwandelt sich in eine nie versiegende Quelle des Leidens. Dieser pessimistischen Weltsicht vermögen nur der Künstler und der Asket, der dem Kreislauf des Willens bewusst entsagt, zu entfliehen. Von seinen Zeitgenossen kaum beachtet, entfaltete Schopenhauers Philosophie ihre Kraft erst ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und beeinflusste Denker und Künstler wie Friedrich Nietzsche, Richard Wagner und Thomas Mann nachhaltig.

Take-aways

  • Schopenhauers Hauptwerk Die Welt als Wille und Vorstellung erhebt den Willen zum Grundprinzip des Daseins. Denken, Bewusstsein, Erkenntnis sind zweitrangig.
  • Schopenhauer orientiert sich stark an Immanuel Kants kritischer Philosophie; er kann als sein bedeutendster Schüler bezeichnet werden.
  • Mit unseren Sinnen können wir die Welt nie so erkennen, wie sie wirklich ist. Die Welt ist nichts als eine "Vorstellung", die uns unsere Sinne liefern.
  • Es gibt nur eine einzige Wahrheit "a priori", die ohne Zuhilfenahme unserer Wahrnehmung Gültigkeit hat: Es kann nur dann ein Subjekt geben, wenn es auch ein Objekt gibt, auf das es sich beziehen kann.
  • Es besteht ein Unterschied zwischen Verstand und Vernunft: Der Verstand ordnet bei allen Lebewesen die Sinneseindrücke, während die Vernunft beim Menschen allein das abstrakte, theoretische Denken hervorbringt.
  • Der Wille ist die Kraft, die alles Leben ermöglicht und stimuliert. Er ist grundlos, vollkommen frei und nicht den Gesetzen von Raum, Zeit und Kausalität unterworfen.
  • Alle Erscheinungen oder Vorstellungen sind "Objektivationen" des Willens. Der eigene Leib ist für den Menschen die unmittelbarste Erscheinungsform des Willens.
  • Das Leben ist nichts als ein ständig aufgeschobener Tod: Leben ist Leiden.
  • Der Wille macht den Menschen zum Sklaven seiner Triebe und Wünsche. Nur wer diesen Kräften bewusst entsagt, kann dem Kreislauf entfliehen.
  • Schopenhauer gilt als einer der wenigen Philosophen des Abendlandes, der auch buddhistische und hinduistische Lehren verarbeitet hat.
  • Er ist der Erste, der - noch vor Freud - das Dunkle, Unbewusste, Irrationale als Lebensprinzip entdeckt hat.
  • Sein Werk beeinflusste Philosophen und Künstler wie Friedrich Nietzsche, Richard Wagner und Thomas Mann.

Zusammenfassung

Die Welt als Vorstellung

Zu den Wahrheiten, die für jedes lebendige Wesen gelten, gehört die Aussage: "Die Welt ist meine Vorstellung." Denn alles, was wir von der Welt und den in ihr vorkommenden Objekten wissen, wissen wir über den Umweg unserer Sinne. Wir können niemals sagen: "Die Steine sind grau", sondern lediglich: "Meine Augen melden mir, dass diese Steine grau erscheinen." Unsere Sinne sind die Hilfsmittel, mit denen wir Eindrücke wahrnehmen, aber sie sind auch die Hindernisse, die sich der direkten, ungehinderten Wahrnehmung in den Weg stellen. Deswegen können wir die Welt niemals so erkennen, wie sie wirklich ist. Die ganze Welt um uns herum ist eine Vorstellung, die wir mit unseren Sinnen und unserem Verstand formen.

Über Kant hinaus

Immanuel Kant hat sich in seiner Kritik der reinen Vernunft ausführlich mit den Erkenntnissen "a priori" auseinandergesetzt. Dabei handelt es sich um Erkenntnisse, die ohne die Einwirkung unserer Wahrnehmung Gültigkeit haben. Kant kommt zu dem Ergebnis, dass besonders die Kategorien Raum und Zeit in diesen Bereich gehören: Egal was man sich auch vorstellt, es muss irgendwie im Raum verortet und in der Zeit gedacht werden. Was Kant aber nicht sieht: Auch Raum und Zeit müssen sich ihrerseits dem Prinzip der Kausalität unterordnen. Der "Satz vom zureichenden Grunde" (einer der vier Hauptsätze der klassischen formalen Logik) besagt, dass ein erkennendes Subjekt nur dann existieren kann, wenn es ein erkanntes Objekt gibt - und umgekehrt. Weil nun der Mensch bei jedem Phänomen, das ihm begegnet, annimmt, dass dieses durch etwas anderes ausgelöst wurde, konstruiert er bei dieser Annahme sozusagen automatisch Raum und Zeit. Diese sind also von der Kausalität abgeleitet. Der Satz vom zureichenden Grunde ist daher die einzig gültige Wahrheit a priori:

  • Alles, was das Subjekt von der Welt wahrnimmt, ist Objekt.
  • Objekte sind, anders als das Subjekt selbst, Teil von Raum und Zeit.
  • Alle Objekte sind Vorstellungen: Bilder der Welt, wie sie sich unser Verstand "vorstellt".
„Die Welt ist meine Vorstellung: - dies ist die Wahrheit, welche in Beziehung auf jedes lebende und erkennende Wesen gilt.“ (S. 29)

Das führt dazu, dass der Mensch als Subjekt auch seinen eigenen Körper als Objekt erkennen muss. Raum und Zeit lassen sich "per se" nicht erkennen, es lassen sich nur die Veränderungen wahrnehmen, die durch den Einfluss von Raum und Zeit vonstattengehen. Solche Veränderungen spielen sich an einem Medium ab: der Materie. Ein Baum beispielsweise wächst und wird größer (Zeit). Wird er durch einen Arbeiter gefällt, kommt es auch zu einer Veränderung des Ortes. Materie ist demnach das Ergebnis des Wirkens der Kausalität. Der Verstand wiederum ist nur dafür da (man könnte auch sagen: er taugt nur dafür), diese Kausalität zu erkennen. Zwischen Subjekt und Objekt besteht jedoch keine Kausalität: Mann kann nur sagen, dass ein Objekt vorhanden sein muss, wenn es ein Subjekt gibt, jedoch nicht "weil"!

Verstand und Vernunft

Jedes Lebewesen verfügt über einen Verstand, der seine Sinneseindrücke ordnet. Vernunft hingegen besitzt nur der Mensch. Mithilfe der Vernunft ist er dazu fähig, auf einer höheren Bewusstseinsstufe Reflexionen anzustellen, die nicht der bloßen Vermittlung von Innen- und Außenwelt angehören. Die Vernunft befähigt den Menschen zum abstrakten Denken, dem bloßen Ausmalen von Möglichkeiten. Während die Tiere lediglich das Hier und Jetzt wahrnehmen, lebt der Mensch gleichzeitig in der Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft. Das bringt allerdings mit sich, dass er mehr leidet - und sehenden Auges die Qualen seines Daseins erdulden muss. Der Mensch kann Wissen ansammeln. Dies geschieht folgendermaßen: Die Bilder der Wahrnehmung werden vom Verstand erkannt, evtl. korrigiert und von der Vernunft in abstrakte Begriffe übersetzt. Diese werden in Urteile verwandelt und dauerhaft abrufbar gemacht. Dies ist das Wissen oder die abstrakte Erkenntnis. Wissen hat immer eine universelle Gültigkeit. Die intuitive Erkenntnis dagegen ist spontan und hat u. U. nur für einen ganz speziellen Fall Gültigkeit. Bei ihr kommt der Verstand zum Zuge, nicht aber die Vernunft. Abstrakte Erkenntnis dagegen braucht die Vernunft. Es wäre beispielsweise nicht möglich, komplexe Maschinen oder ganze Häuser zu bauen, wenn wir keine Vernunft besäßen, um uns über die Konstruktionsprinzipien klar zu werden.

Praktisches und vernünftiges Handeln

Abstraktes Wissen sollte stets auch zur Anwendung kommen und sich in intuitives Wissen verwandeln, sonst wird es angestaubt und leblos. Menschen zeichnen sich ja gerade dadurch aus, dass sie ein konkretes und ein abstraktes Leben gleichzeitig führen. Wenn wir kraft unserer Vernunft schon in Gedanken vorwegnehmen können, was uns beispielsweise bei einem Zweikampf erwartet, richten wir unser Handeln danach aus. Das nennt man dann praktische Vernunft. Aber allein die Möglichkeit der Vorwegnahme und des Planens schließt noch nicht ein, dass diese vernunftgemäßen Handlungen auch vernünftig im moralischen Sinn sein müssen: Der Mensch kann ebenso Gutes wie Böses planen. Vernünftiges Handeln ist keineswegs immer auch tugendhaftes Handeln.

Die Welt als Wille

Der Mensch ist mit der Welt durch seinen Körper verbunden. Weil er als Subjekt seinen Körper als Objekt erlebt, stellt sich die Frage, wie der Mensch seinen Körper überhaupt kontrollieren kann, wenn dieser bloßes Objekt (also eine Vorstellung) ist? Um dies zu erklären, muss die Theorie erweitert werden: um den Willen. Der Wille kontrolliert den Körper. Es handelt sich dabei nicht um eine bewusste Handlung, um das Wollen im üblichen Sprachgebrauch, sondern um die grundsätzliche Lebenskraft oder Lebensenergie. Der Wille kontrolliert nicht nur den menschlichen Körper, sondern jedes Lebewesen. Wenn wir beispielsweise etwas trinken, handelt es sich dabei einerseits um eine Aktion unseres Körpers (die wir beobachten können) und andererseits um einen Willensakt. Beide, Körper- und Willensakt, sind jedoch nicht nach dem Kausalprinzip geordnet, sondern ein und dasselbe: gleichzeitig, unmittelbar verbunden und unabdingbar. Willensakte sind sozusagen das Leben schlechthin. Unser Körper ist somit die "Objektität des Willens": die sichtbare, beobachtbare Erscheinungsform eines nicht sichtbaren, nicht beobachtbaren Lebensprinzips. Unser Körper fristet eine Doppelexistenz: als Vorstellung in unserem Verstand und als Wille.

Der Wille als "Ding an sich"

Nicht nur der Körper bildet den Willen ab, sondern jedes einzelne Naturphänomen. Der Wille, selbst grundlos, waltet überall: Er sorgt dafür, dass der Stein zu Boden fällt, dass es überall Leben gibt, dass Kristalle wachsen und Magneten sich nach Norden ausrichten. Der Wille ist eine universale Kraft. Er ist das "Ding an sich", das Immanuel Kant für unerklärbar hält. Kant spricht dem menschlichen Verstand die Fähigkeit, das tatsächliche Wesen hinter der Welt der Erscheinungen zu erkennen, ab. Das "Ding an sich" bleibt in seiner Konzeption der Welt den Sinnen verborgen. Doch dieses "Ding an sich" ist eben nichts anderes als der Wille! Verborgen bleibt die Kausalität des Willens, obgleich jedermann seine Wirkung oder seine Erscheinungsformen erkennen kann. Der Wille ist das Grundprinzip des Daseins und erzeugt alles Wirken und Sein in der Welt. Der Wille unterliegt nicht dem Satz vom zureichenden Grunde, er ist unabhängig von Raum, Zeit und Kausalität. Er ist die Einheit, die jede Vielheit hervorbringt. Der Wille lässt sich in etwa mit dem menschlichen Verstand vergleichen: Dieser ist keine Sache, die man mit Händen greifen kann, sondern ein abstrakter Begriff. Doch wenn Menschen ihren Verstand einsetzen, so können sie eine Vielheit von Dingen damit berechnen, planen, erfinden usw. Ähnlich verhält es sich mit dem Willen. Der Wille ist überdies vollkommen frei und unabhängig. Aber: Die Freiheit des Willens ist nicht mit der Freiheit der menschlichen Handlungen identisch. Letztere sind immer den Gesetzen von Raum, Zeit und Kausalität unterworfen.

Die Naturgesetze und die Ideen

Bei dem Dualismus von Wille und Vorstellung gibt es noch ein Phänomen, das gewissermaßen eine Zwischenstellung einnimmt: die Ideen. Zu ihnen gehören die Naturgesetze, die überall gleich sind. Wenn man beispielsweise irgendeinen Gegenstand verbrennt, dann wirkt die Naturkraft des "Chemismus", wenn man ihn mit Säure verätzt, der "Galvanismus", und wenn man ihn (sollte er metallisch sein) mit einem Magneten ablenkt, der "Magnetismus". Das Naturgesetz gilt unabhängig von Raum und Zeit, aber es manifestiert sich gleichwohl immer in einem ganz bestimmten, singulären Verbrennen, Verätzen oder Ablenken. Die drei beispielhaft genannten Kräfte der Natur müssen nicht hintereinander, sondern können auch gleichzeitig wirken, weil in der Natur fortwährend ein Kampf und Streit besteht: Jedes Element kämpft mit dem anderen, jeder Körper muss der Trägheit trotzen und jedes Lebewesen muss andere vernichten, um selbst fortzuexistieren.

„Dasjenige, was Alles erkennt und von Keinem erkannt wird, ist das Subjekt.“ (S. 31)

Die Ideen sind nicht das "Ding an sich". Sie sind dem "Ding an sich" (also dem Willen) nachgegliedert, der Welt der Erscheinungen (oder Vorstellungen) aber vorgegliedert. Sie sind eine Zwischenstufe und auch eine höhere Form der Erkenntnis. Will ein Mensch seine Bindung an die Vorstellungen aufheben, eine höhere Erkenntnisstufe erringen und die Ideen schauen, so gelingt ihm dies nur über den Weg der Kontemplation: ein fast mystisches Eintauchen und Einswerden mit dem Objekt der Betrachtung. Durch Kontemplation kann sich der Mensch für einen kurzen Moment aus seinem vom Willen bestimmten Dasein befreien, innehalten und die eigentliche Wesensart, die Ideen hinter den Vorstellungen begreifen. Das Mittel, mit dem dies erreicht werden kann, ist die Kunst. Anders als die Wissenschaft, die von Erkenntnis zu Erkenntnis hetzt, die Ideen aber nie fassen kann, verweilt die Kunst bei einzelnen Elementen, bei der Singularität, bei der Idee eines Objekts. Vor allem der geniale Künstler, der die Idee in ein Kunstwerk fassen kann, aber auch fast jeder andere Mensch hat diese Kraft in sich, die ihm den Kunstgenuss und die Ideenschau überhaupt erst ermöglicht.

Schönheit und Erhabenheit

Der Künstler ist ein Vermittler, sein Kunstwerk ein "Erleichterungsmittel", das dem Betrachter die Anschauung der Ideen ermöglicht. Nur in der Kunstbetrachtung kann der Mensch sozusagen die Zeit anhalten und sich selbst vorübergehend dem Sklavendienst des Willens entziehen. Der fortwährende Drang des Wollens und Begehrens kann ja durch die Bedürfnisbefriedigung nie erfüllt werden - weil immer viele weitere Wünsche offen bleiben und immer neue entstehen. Das Leben ist daher ein dauerndes Unbefriedigtsein und Leiden. Nur wer sich dem Kreislauf des Wollens und Begehrens entzieht, kann den Prozess des Leidens zumindest zeitweise unterbrechen. Kunstwerke können schön oder erhaben sein: Schön sind sie, wenn sie dazu verlocken, die dargestellte Idee wahrzunehmen; erhaben sind sie, wenn sie das ganze Sein des Menschen fesseln und ihm seine Nichtigkeit vor Augen führen, z. B. angesichts eines - künstlerisch dargestellten - brausenden Sturms. Nicht nur die bildende Kunst, sondern auch die Literatur und Poesie besitzen die Kraft, das Subjekt an den Ideen teilhaben zu lassen. Die Musik ist sogar noch mehr: In ihr drückt sich das Wirken des Willens direkt aus, ohne dass sie bestimmte Ideen darstellen würde.

Mitleid und Verneinung des Willens

Der Mensch ist in seinem Handeln immer an das Gesetz der Kausalität gebunden. Das ganze Leben ist ein Getriebensein, das im endlosen Kreislauf von Wollen und Begehren abläuft. Eigentlich ist das Leben nichts weiter als ein "aufgeschobenes Sterben", denn der Tod hat uns bereits seit der ersten Minute des Lebens in seinen Klauen. Leben ist Leiden. Kein plumper Optimismus, keine Religion und keine selbst gezimmerte Mythologie können den Menschen vor dieser bitteren Wahrheit beschützen. Diejenigen Menschen, die den wirkenden Willen vorbehaltlos bejahen und ihn walten lassen, fallen dem Egoismus anheim: Das Subjekt nimmt dann alles in der Welt so wahr, als existiere es nur für es selbst. Die Vernunft befähigt den Menschen jedoch zum Mitleiden. Er kennt ja das Leiden aus eigener Erfahrung und kann daher das Leiden anderer Lebewesen verallgemeinern und nachvollziehen. Führt dieses Mitleiden dazu, dass die eigenen Handlungen zugunsten des anderen ausfallen, so ist der Teufelskreis des Egoismus durchbrochen. Der Mensch fühlt, dass sein Leiden und das Leiden der anderen den gleichen Willen als Quelle haben. Erst dann kann er den Weg zu Gerechtigkeit und Tugend beschreiten. Letztlich kann jedoch nur der Asket, der freiwillig seinen Trieben entsagt, dem Willen und dem Leiden der Welt entfliehen.

Zum Text

Aufbau und Stil

Schopenhauers Hauptwerk gliedert sich in zwei große Teile: die vier Bücher aus dem Jahr 1819 (651 Seiten) und die erst 1844 nachgereichten "Ergänzungen", die noch einmal vier Bücher füllen (776 Seiten). Den Kern der Arbeit bilden aber die vier Bücher der ersten Veröffentlichung. Schopenhauer untersucht hier die vier Bereiche Vorstellung (Erkenntnistheorie), Wille (Metaphysik), Kunst (Ästhetik) und Bejahung/Verneinung des Willens (Ethik) in großer Breite. In einem Anhang setzt er sich zudem detailliert mit Kants Positionen auseinander. Drei Forderungen stellt Schopenhauer gleich an den Anfang seines Werks: Der Leser möge das Buch zweimal lesen, außerdem solle er vorher Schopenhauers Dissertation Über die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde lesen, die er als unverzichtbare Grundlage betrachtet, und schließlich solle der Leser mit der Kant’schen Philosophie auf Du und Du stehen. Ganz schön anspruchsvoll! Auch die vielen Zitate in Griechisch, Lateinisch, Englisch, Französisch, Italienisch zeugen zwar von der außerordentlichen Belesenheit des Autors, fordern aber dem Leser einiges ab. Entsprechend schwierig gestaltet sich die Lektüre, die viel Geduld, Ausdauer und Wissen verlangt. Obwohl Schopenhauer - zu Recht - als "poetischer Philosoph" gilt, sind seine verschachtelten, komplizierten Sätze doch höchst gewöhnungsbedürftig für heutige Leser.

Interpretationsansätze

  • Schopenhauer gehört zu den wenigen Philosophen des Abendlandes, die auch östliche Philosophien in ihre eigene Lehre einfließen ließen. Die Upanischaden, die heiligen Bücher des Hinduismus, und die Schriften des Buddhismus spielen für Schopenhauer eine große Rolle. Die Idee des "Nirwana" ähnelt dem von Schopenhauer beschriebenen Zustand der Loslösung vom Willen.
  • Schopenhauers Philosophie lehnt sich stark an Immanuel Kant an. Dieser behauptete, dass es einen Bereich gibt (das "Ding an sich"), den der Mensch wegen seiner ungenügenden Erkenntniskategorien niemals begreifen kann. Alles, was wir erkennen können, sind die Phänomene oder Erscheinungen (bei Schopenhauer: Vorstellungen). Schopenhauer beansprucht nun, das Kant’sche "Ding an sich" gefunden zu haben: Es ist der Wille.
  • Der Pessimismus in Schopenhauers Philosophie ist die logische Folgerung seiner Annahmen. Wissen und Erkenntnis können den Menschen nicht aus dem Leid herausreißen. Im Gegenteil, wegen der Erkenntnisfähigkeit des Menschen wird bei ihm die Wahrnehmung des Leids sogar noch gesteigert. Das Genie leidet am meisten.
  • Für Schopenhauer steckt der Wille hinter allem; er ist das metaphysische Grundprinzip schlechthin. Auch die Geschlechtsliebe bei den Menschen ist eine ganz besondere Ausdrucksform des Willens: Mann und Frau finden laut Schopenhauer nur deshalb zueinander, weil der Wille - als Fortpflanzungstrieb - die Erhaltung des Lebens bewirkt. Alle Vorstellungen von romantischer Liebe sind eine bloße Illusion zu ebendiesem Zweck.
  • Schopenhauer ist ein Vorläufer der Psychologie. Er entdeckte das Unbewusste und Irrationale als wichtiges Lebensprinzip und setzte sich damit von so gut wie allen anderen Philosophen ab, die Denken, Geist und Rationalität in den Mittelpunkt stellten.
  • Er sieht die Kunst als Heilmittel gegen den Druck des Willens und den Kreislauf des Begehrens. Durch einen "Ausbruch" in Kontemplation und Kunstgenuss kann man dem Willen entfliehen. In dieser Konzeption ist der Künstler ein genialer Weiser, der Verkünder einer Existenz jenseits des menschlichen Leidens.

Historischer Hintergrund

Der Deutsche Idealismus

Mit dem Tod Arthur Schopenhauers wird gemeinhin der Endpunkt des so genannten Deutschen Idealismus angesetzt. Dabei handelte es sich um eine Philosophie, die den Verstand, den Geist, die Idealisierung ins Zentrum stellte. Den Ausgangspunkt bildete die kritische Philosophie Immanuel Kants, der die Erkenntnisfähigkeit des Menschen untersuchte, sich bei der Erkenntnis des Unbedingten, Transzendenten (des "Ding an sich") jedoch geschlagen geben musste. Hier setzten die deutschen Idealisten an. Sie wollten unbegrenzte, absolute Erkenntnisfähigkeit erlangen. Die Schlüsselfigur dieser Richtung wurde Georg Wilhelm Friedrich Hegel. In seiner Philosophie erhielt die Vernunft einen hohen Stellenwert: Er sah die Welt von einer "Weltvernunft" oder einem "Weltgeist" durchwebt. Neben Hegel waren Johann Gottlieb Fichte und Friedrich Wilhelm Joseph Schelling die weiteren Hauptvertreter des Deutschen Idealismus.

Schopenhauer war überzeugt, ein Genie zu sein - und dies teilte er auch ganz unbescheiden mit. Ebenso deutliche Worte fand er für seine Ablehnung des Idealismus und insbesondere Hegels: "Hegel, ein platter, geistloser, ekelhaft-widerlicher, unwissender Scharlatan, der, mit beispielloser Frechheit, Aberwitz und Unsinn zusammenschmierte, welche von seinen feilen Anhängern als unsterbliche Weisheit ausposaunt und von Dummköpfen richtig dafür genommen wurden, hat den intellektuellen Verderb einer ganzen gelehrten Generation zur Folge gehabt." Obwohl beide Philosophen eine in der Welt wirkende Urkraft vermuteten, sah Hegel diese durchweg positiv ("Weltgeist"), während Schopenhauer im Willen eine neutrale, wenn nicht gar negative Triebkraft erkannte: eine blinde Energie, die keine Spur von Vernunft in sich trägt. Die Irrationalität des Willens ist der Grundstein für Schopenhauers Pessimismus: Das vom Willen getriebene Leben ist Leiden, ein immerwährender Kampf, Fressen und Gefressenwerden, ein aussichtsloser Naturkreislauf voller Schmerz und Leiden.

Entstehung

"Mein Werk also ist ein neues philosophisches System, aber neu im ganzen Sinn des Worts, nicht neue Darstellung des schon Vorhandenen, sondern eine im höchsten Grad zusammenhängende Gedankenreihe, die bisher noch nie in irgendeines Menschen Kopf gekommen", schrieb Schopenhauer an seinen Verleger Brockhaus im Jahr der Drucklegung 1818. Die Aussage bringt eines unmissverständlich zum Ausdruck: Der Philosoph war davon überzeugt, dass sein Buch "der große Wurf" werden und die gängigen Denkmuster seiner Zeit revolutionieren würde. Dass die Nachwelt ihm ein Denkmal errichten würde, davon war er fest überzeugt. An den Setzer des Manuskriptes sandte er eine Warnung: Er solle sich nicht erdreisten, irgendetwas an seiner Schreibweise und Interpunktion zu ändern. Jedes Wort wog Schopenhauer genau ab, es war ihm eine Herzensangelegenheit, dass alles so beim Leser ankam, wie er es meinte. Schopenhauers Arroganz anderen Menschen (besonders Frauen) gegenüber war vielleicht ein Ausfluss seines Perfektionismus. Dieser führte auch dazu, dass er - selbst nach der Veröffentlichung - immer weiter an seinem Hauptwerk arbeitete und noch mehr als 20 Jahre später Ergänzungen publizierte, die in ihrem Umfang das Original in den Schatten stellten.

Wirkungsgeschichte

"Ich hoffe nur, dass meine Befürchtung, von Ihrem Werk bloß Makulatur zu drucken, nicht in Erfüllung gehen werde", schrieb Schopenhauers Verleger Brockhaus an seinen Autor. Leider sollte sich seine Vorahnung zunächst erfüllen. Das Buch lag wie Blei in den Regalen der Händler. Rezensionen des Werkes gab es kaum. Trotz der lobenden Worte Johann Wolfgang Goethes nahmen die Zeitgenossen Schopenhauers philosophisches System nicht zur Kenntnis. Das Gleiche geschah auch mit seinen Ergänzungen, die er 1844 veröffentlichte. Schopenhauers große Zeit brach erst mit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts an: Nach der Veröffentlichung seiner Parerga und Paralipomena (1851) - kleine philosophische Schriften, die ein großer Erfolg wurden und die seine berühmten Aphorismen enthalten - interessierten sich die Leser endlich auch für Die Welt als Wille und Vorstellung.

Schopenhauers Einfluss und die Wirkung seines Hauptwerkes können heute als sehr groß bezeichnet werden. Maßgeblich prägte er den Lebensphilosophen Henri Bergson, der sich mit seinem Prinzip der Schöpferkraft ("élan vital") gegen die in seinen Augen mechanistische Evolutionstheorie von Charles Darwin wandte. Friedrich Nietzsche studierte Schopenhauers Werk und übernahm den Begriff des Willens, modifizierte dessen eher negativen Charakter jedoch zum positiven "Willen zur Macht". Schopenhauer öffnete den Blick auf das Unbewusste im Menschen (Triebe gegen Ratio), darum nannte ihn Sigmund Freud seinen Vorläufer. Der Philosoph Eduard von Hartmann nahm Schopenhauers Impulse auf und entwickelte daraus seine "Philosophie des Unbewussten". Schopenhauers Philosophie inspirierte auch Musiker wie Richard Wagner, Maler wie Giorgio de Chirico und Schriftsteller wie Thomas Mann.

Über den Autor

Arthur Schopenhauer wird am 22. Februar 1788 in Danzig geboren. Als er fünf Jahre alt ist, zieht die Familie nach Hamburg um. Sein Vater gehört zu den königlichen Kaufleuten der Handelsstadt Danzig. Wie er soll auch der Sohn Kaufmann werden. Nach dem Unfalltod des Vaters 1805 wird das Familiengeschäft aufgelöst. Schopenhauer macht zu dieser Zeit noch eine Kaufmannslehre, geht aber dann seinen geistigen Interessen nach und studiert ab 1809 Philosophie in Göttingen, wo er sich u. a. mit antiken Denkern und mit Kant beschäftigt. 1811 geht er nach Berlin und wird Schüler von Friedrich Schleiermacher und Johann Gottlieb Fichte, von denen er sich jedoch bald abwendet. Zwei Jahre später stellt Schopenhauer seine Dissertation Über die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde fertig. Er zieht nach Weimar und schließlich nach Dresden und beschäftigt sich mit Goethes Farbenlehre, die er in einem Essay würdigt (Über das Sehen und die Farben, 1816). Neben dem Studium Kants und Platons setzt sich Schopenhauer auch mit indischer Philosophie auseinander. In Dresden erscheint 1819 der erste Teil seines Hauptwerks Die Welt als Wille und Vorstellung. Nach einer Italienreise beginnt er an der Berliner Universität zu lehren. Seine Feindschaft mit Hegel verleitet ihn dazu, jede seiner Vorlesungen zeitgleich mit denen seines Rivalen abzuhalten – was dazu führt, dass Hegels Vorlesungen voll, Schopenhauers jedoch weitgehend leer sind. Hegel fällt in Berlin einer Choleraepidemie zum Opfer, der Schopenhauer knapp entkommt, indem er nach Frankfurt am Main reist. Er widmet sich der Verfassung weiterer Schriften und dem tieferen Studium der buddhistischen und hinduistischen Philosophie sowie der Mystik. 1844 erscheint der zweite Teil von Die Welt als Wille und Vorstellung. Arthur Schopenhauer stirbt am 21. September 1860 in Frankfurt am Main.

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