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Ein weites Feld

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Ein weites Feld

dtv,

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10 Take-aways
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Was ist drin?

Der Roman, den Marcel Reich-Ranicki auf dem berühmt gewordenen Spiegel-Cover zerreißt: Ein wiederaufgelegter Fontane plaudert über die deutsche Einheit.


Literatur­klassiker

  • Roman
  • Gegenwartsliteratur

Worum es geht

Wanderungen eines Wiedergängers

Günter Grass’ Mammutwerk Ein weites Feld ist sowohl ein zeitgeschichtlicher wie auch ein historischer Roman. Er dreht sich um die deutsche Einheit von 1871 und um die von 1989/90 – und findet erstaunlich viele Parallelen. Verklammert sind die beiden Ebenen durch zwei Figuren, deren Gedächtnis je zwei Leben birgt: Fonty alias Theo Wuttke ist in Aussehen und Biografie der Wiedergänger Fontanes und zugleich dessen größter Fan; stets an seiner Seite ist Hoftaller, die Fortschreibung des „ewigen Spitzels“ aus Hans Joachim Schädlichs Roman Tallhover, dessen Titelfigur inzwischen schon rund 200 Jahre auf dem Buckel hat. Fonty und Hoftaller, der Bürger und sein Obrigkeitsschatten, spazieren in geschichtsträchtiger Zeit durch Berlin, die Mark Brandenburg und die Lausitz. Sie fachsimpeln über das Werk des Unsterblichen, streiten über die Zeitläufte, die einmal mehr nichts Gutes verheißen, oder über diese und jene familiäre Misslichkeit, die genau so schon dem Dichteroriginal passiert ist. Weiter geschieht nicht viel. Der abschweifungsreiche Plauderton ist in Anlehnung an Fontane durchaus beabsichtigt. Dennoch fanden viele Leser und Kritiker die knapp 800 Seiten doch arg lang. Unbestreitbar ist: Seit der Blechtrommel wurde kein Roman von Grass so kontrovers diskutiert wie der, den Marcel Reich-Ranicki auf einem Spiegel-Cover von 1995 zerreißt.

Take-aways

  • Ein weites Feld, 1995 erschienen, ist einer der großen Wenderomane.
  • Die deutsche Wiedervereinigung 1989/90 wird mit der Reichsgründung von 1871 in Beziehung gesetzt. Beide Ereignisse werden kritisch als von oben erzwungen gewertet.
  • Inhalt: Fonty alias Theo Wuttke wurde genau 100 Jahre nach Fontane geboren und imitiert in allem dessen Leben. Bei seinen Spaziergängen wird er von Hoftaller begleitet, dem Wiedergänger des „ewigen Spitzels“ Tallhover aus Hans Joachim Schädlichs gleichnamigem Roman. Die beiden plaudern über damals, gestern und heute.
  • Hier steht der „ewige Spitzel“ für Gängelung, aber auch für staatliche Fürsorge.
  • Der Bürger Fonty dagegen schwankt zwischen leisem Aufbegehren und widerstrebender Kooperation.
  • Zentrales Symbol der zahlreichen Machtwechsel ist das Treuhandgebäude in Berlin, insbesondere dessen Paternoster, der für die Auf- und Abstiege der Machthaber steht.
  • Die implizite Hauptaussage des Buchs: Die Geschichte wiederholt sich.
  • Ein weites Feld wurde kontrovers diskutiert; die Süddeutsche verglich Grass mit Thomas Mann, viele andere warfen ihm lebensleere, thesenhafte Plapperei vor.
  • Auf einem berüchtigten Titelbild des Spiegels zerreißt Marcel Reich-Ranicki das Buch.
  • Zitat: „In Deutschland hat die Einheit immer die Demokratie versaut.“

Zusammenfassung

Ein Wiedergänger und sein Schatten

Die beiden DDR-Bürger Theo Wuttke, genannt Fonty, und Ludwig Hoftaller sind Ende 1989 auf einem Spaziergang in Berlin unterwegs. Beide sind um die 70 und doch zugleich viel älter: Fonty ist bis in die Äußerlichkeiten der Wiedergänger Theodor Fontanes; er ist auf den Tag genau 100 Jahre nach diesem geboren, zudem ebenfalls in Neuruppin, und kennt sich mit dem Werk des Schriftstellers bestens aus. Das hat er nicht nur auf Vorträgen für den Kulturbund unter Beweis gestellt – er zitiert Fontane auch unaufhörlich in spontaner Rede. Hoftallers Vorleben als Tallhover reicht ähnlich weit zurück: Ab 1840 war er ein Spitzel der verschiedenen regierenden Mächte in Deutschland. Entgegen seinem westlichen Biografen brachte er sich jedoch nach etwa 100 Dienstjahren nicht um, sondern machte Mitte der 1950er Jahre als Hoftaller weiter, zuerst, nach einem Seitenwechsel, im Dienst der BRD, dann ab 1961 wieder für die DDR. Er beschattet Fontane bzw. Fonty schon sehr lange und weicht ihm als sein „Tagundnachtschatten“ kaum von der Seite. Hoftaller wurde auf Wuttke durch dessen Abituraufsatz aufmerksam. Bereits im Zweiten Weltkrieg hatte er Fonty einen frontfernen Posten als Kriegsberichterstatter verschafft; dafür sollte der sich unter den Offizieren ein wenig umhören. Bis 1976 war Wuttke Vortragsreisender für den Kulturbund, und Hoftaller zensierte seine Vorträge; als Wuttke diese Tätigkeit hinwarf, besorgte ihm Hoftaller einen Job als Aktenträger im Haus der Ministerien. Diese Arbeit übt er noch immer halbtags aus. Als Gegenleistung hilft er Hoftaller, Akten verschwinden zu lassen. Auf ihren Spaziergängen setzen sie die deutsche Einheit 1989/90 mit der ersten deutschen Einheit, der Reichsgründung 1871, in Beziehung. Man erinnert sich an Fontanes leises Engagement um 1848 für Freiheit und Demokratie. Hoftaller weist ihm aber auch Unrühmliches nach: widersprüchliche Aussagen über Juden, zwei uneheliche Kinder, seine Spitzeltätigkeit in London. Letztlich sei er angepasst gewesen und habe höchstens in Briefen gemeckert.

„Seinen Papieren nach hieß er Theo Wuttke, weil aber in Neuruppin, zudem am vorletzten Tag des Jahres 1919 geboren, fand sich Stoff genug, die Mühsal einer verkrachten Existenz zu spiegeln (...)“ (S. 9)

Fontys 70. Geburtstag am 30. Dezember will Hoftaller mit ihm feiern; er hat dazu einige junge Dichter vom Prenzlauer Berg eingeladen. Doch Fonty versetzt sie. Als Hoftaller ihn schließlich aufstöbert, besteht dieser darauf, in Anlehnung an Fontanes Schottland-Faible „schottisch“ zu feiern – was für ihn heißt, bei McDonald’s zu essen, denn die McDonalds sind ein altes schottisches Geschlecht. Im Schnellrestaurant trägt er dann, zur Begeisterung der überwiegend jugendlichen Kundschaft, die Fontane-Ballade „Archibald Douglas“ vor. Im Juli 1990 verhindert Hoftaller Fontys klammheimliche Flucht nach Schottland.

Eine Nervenkrise

Dieser Fluchtversuch schockiert seine Ehefrau Emmi und Tochter Martha, von ihm Mete genannt – Fontanes Frau und Tochter trugen übrigens dieselben Namen. In der Folge wird Fonty krank, er erleidet eine Nervenkrise, ähnlich jenen, die Fontane heimsuchten, vor allem, wenn persönliche Probleme mit politischen zusammenfielen. Auch Mete wird krank: Genau wie ihr historisches Pendant folgt auch sie fast immer den Krisen ihres Vaters. Als Fonty auf dem Weg zur Genesung ist, schenkt Hoftaller ihm Bleistifte und ermuntert ihn, seine Kindheitserinnerungen aufzuschreiben. Damit zieht er eine Parallele zu Fontanes Nerven- und Schreibkrise von 1892, während der Arbeit an Effi Briest. Ein Arzt forderte diesen dazu auf, seine Schreibhemmung zu überwinden, indem er einen anderen Text schrieb. So verfasste Fontane Meine Kinderjahre, wurde wieder gesund und konnte bald darauf die Arbeit an seinem Roman beenden. Tatsächlich funktioniert diese Taktik auch bei Fonty.

„Teils wurde er bis zur Erhabenheit verklärt, teils zum Maskottchen verniedlicht.“ (über Fonty, S. 27)

Emmi und Martha Wuttke bekennen dem Fontane-Archiv gegenüber, dass es oft nicht einfach war, die Rollen der Fontane-Familie zu spielen. Die Söhne machten da überhaupt nicht mit, ihnen war das immer peinlich. Als 1961 die Mauer gebaut wurde, waren diese gerade bei Wuttkes Schwester in Hamburg zu Besuch und kehrten nach den Sommerferien nicht in die DDR zurück. Weil sie Republikflucht begangen hatten, durften sie ihre Eltern nie besuchen. Emmi verlor deshalb ihre Arbeit als Sekretärin. Der älteste Sohn Georg ist früh gestorben, Teddy ist Ministerialbeamter in Bonn und Friedel Leiter eines religiösen Verlags in Wuppertal. Emmi Wuttke gab ihrem Mann mit seinem Fontane-Tick die Schuld an der Flucht der Söhne − daraufhin musste er das gemeinsame Schlafzimmer räumen.

Schwierige Familienverhältnisse

Wie Fontanes ist auch Wuttkes Ehe problematisch; Emmi Wuttke leidet ebenso wie ihre Vorgängerin unter der Unfähigkeit ihres Mannes zur Karriere und hat kein Verständnis für seine geistige Arbeit. Emilie Fontane bezweifelte einmal öffentlich, dass ihr Mann überhaupt ein Schriftsteller sei. Wuttke lernte die Sekretärin Emmi im Paternoster des Reichsluftfahrtministeriums kennen, 1945 wurde der erste Sohn Georg geboren. Parallelen gibt es auch zwischen den Herkunftsfamilien von Fontane und Wuttke: Die Ehen der Eltern scheiterten, die Mütter waren streng und furchteinflößend; den Vätern, verkrachten Existenzen, galt die Liebe der Söhne.

„Der Schnüffelei war kein Ende gesetzt. Hält sich bis heutzutage. Ist wohl auf Ewigkeit abonniert. Respekt, Tallhover! Respekt, Hoftaller!“ (Fonty, S. 42)

Die 38-jährige Martha, die bislang noch bei ihren Eltern wohnte, heiratet den westdeutschen Bauunternehmer und Witwer Heinz-Martin Grundmann, der bereits 56 ist und nach Schwerin expandieren will. Sie hat ihn im Urlaub in Bulgarien kennen gelernt. Ein Mitarbeiter des Archivs wird Trauzeuge, weil er katholisch ist. Martha, lange überzeugte Sozialistin, trat noch vor der Wende, im März 1989, aus der Partei aus und in die katholische Kirche ein. Von Beruf ist sie Lehrerin für Mathematik und Erdkunde. Hoftaller, der uneingeladen zur Hochzeitsfeier kommt, macht ihr ein geschmackloses Geschenk: ihre Stasi-Kaderakte. Bruder Teddy reagiert nicht auf die Hochzeitseinladung; Bruder Friedel erscheint, aber gibt sich verschlossen. Zu einer Annäherung mit den Eltern kommt es nicht.

Unvermuteter Anhang

Im September 1990 verbringt Fonty mit Emmi einen Urlaub auf Hiddensee. Sein Freund, der jüdische Juraprofessor Freundlich, ist ebenfalls auf der Insel; mit ihm macht Fonty viele Spaziergänge. Freundlichs berufliche Zukunft ist bedroht, und seine beiden Töchter wollen wegen antisemitischer Pöbeleien nach Israel auswandern. Ungebeten taucht nach kurzer Zeit Hoftaller auf. Sein Äußeres hat sich dem Systemwechsel entsprechend verändert: Mit Baseballkappe, Shorts und Sneakers bekleidet, sieht er nun aus wie ein amerikanischer Tourist. „Die vom Archiv“ sind auch da und beschatten Fonty und Hoftaller.

„Ob Tallhover oder Hoftaller gegenüber, unter Druck gab er nach.“ (über Fonty, S. 47)

Hoftaller verfolgt ein bestimmtes Thema: Immer wieder zwingt er Fonty zu Gesprächen über die Affäre Fontanes mit der Gärtnerstochter Magdalena Strehlenow. Das Verhältnis begann während seiner langen Verlobungszeit, als er in Dresden in der Apotheke arbeitete und Emilie in Berlin war. Die geheime Verbindung hielt insgesamt sieben Jahre; zwei uneheliche Töchter gingen daraus hervor, die Fontane lebenslang vor seiner Frau verheimlichte. Der Autor hat diese Beziehung in dem Roman Irrungen, Wirrungen verarbeitet. Über diesen Umweg kommt Hoftaller auf eine Parallelepisode in Wuttkes Leben zu sprechen, die Fonty natürlich noch unangenehmer ist: 1944 hatte er in Lyon ein Verhältnis mit der Wirtstochter Madeleine Blondin. Zurück in Berlin, eröffnet Hoftaller Fonty, dass auch seine Affäre nicht ohne Folge blieb: Kurz vor Kriegsende sei Cécile geboren worden. Die nächste Überraschung ist, dass Hoftaller die Tochter dieser unehelichen Tochter aufgetrieben hat: Sie ist 22, nennt sich nach ihrer Großmutter Madeleine, ist zierlich und klug und schreibt ihre Magisterarbeit über Fontane, insbesondere über Irrungen, Wirrungen. Und Madeleine Aubron ist in Berlin! Fonty trifft sich am nächsten Tag mit ihr, zum Rudern. Sie erzählt ihm, dass Madeleine Blondin bereits gestorben sei und dass Cécile nichts von ihrem Vater wissen wolle. Emmi erfährt ebenfalls von der außerehelichen Enkeltochter: Hoftaller sagt ihr Bescheid. Die Betrogene reagiert generös und ist neugierig auf Fontys Enkelin. Am 2. Oktober 1990, dem Vorabend der deutschen Wiedervereinigung, treffen sie sich zu dritt. Für die Einheitsfeier am Brandenburger Tor ist Hoftaller zur Stelle. Wie 1871 schon Fontane steht Fonty der deutschen Einheit kritisch gegenüber und lässt sich nicht vom allgemeinen Jubel anstecken.

Neuer Alltag, neue Enthüllungen

Nach Madeleine Aubrons Abreise beginnt der Alltag im wiedervereinigten Deutschland. Die Treuhandbehörde zieht ins ehemalige Haus der Ministerien, Fonty wird – bei sehr guter Bezahlung – als beratender freier Mitarbeiter übernommen, weil er eng mit der Geschichte des Hauses verbunden ist. Emmi schafft einen Fernseher an, der von nun an ständig läuft und Fonty aus der Wohnung vertreibt. Auch Hoftaller wird von der Treuhand übernommen und in der Personalabteilung eingesetzt. Er leidet allerdings unter einer Sinnkrise. Um ihn aufzurichten, unternimmt Fonty mit ihm einen Ausflug zur Glienicker Brücke, dem berühmten Austauschpunkt von Ost- und Westagenten, wo sie Topagentenaustausch spielen. Ein anderer Ausflug führt in die Kohleabbaugebiete der Lausitz. Sie stehen direkt an der Abbruchkante und blicken in die Grube, die Hoftaller als symbolisch für die heruntergewirtschaftete DDR und für die Sinnlosigkeit menschlichen Lebens überhaupt betrachtet. In einem Brief an Martha gesteht Fonty, dass er kurz mit dem Gedanken gespielt hat, Hoftaller in den Abgrund zu stürzen. Außerdem liefert er in diesem Brief die Erklärung für Emmis Gelassenheit im Umgang mit seinem Ehebruch: Auch sie hat während der langen Verlobungszeit ein Verhältnis gehabt. Sie schwört zwar, dass es ohne Folgen blieb, doch Fonty bleiben Zweifel, ob er wirklich Georgs Vater ist. Von Martha ist zu hören, dass sie in ihrer Ehe nicht glücklich sei, Grundmann entpuppt sich als skrupelloser Grundstücksmakler.

„In Deutschland hat die Einheit immer die Demokratie versaut!“ (Fonty, S. 55)

Fonty bekommt seinen ersten Auftrag: Er soll die geschichtlichen Hintergründe des Treuhandgebäudes darlegen. Das bereitet ihm Schwierigkeiten, bis er ein passendes Bild dafür findet: den Paternoster als Symbol für die auf- und absteigenden Machthaber unterschiedlicher Systeme. In einem Brief an Freundlich deutet er an, dass er zu Zeiten, als das Haus noch das Reichsluftfahrtministerium war, von Hitler-Attentätern unwissend als Kurier benutzt wurde – genauso nebenbei wurde er auch zum Held der französischen Résistance, als er für das Radio kriegskritische Passagen aus Fontane-Werken las, die die deutsche Wehrmacht zersetzen sollten. Im Paternoster freundet Fonty sich mit dem Treuhandchef an. Mit Fontane-Zitaten sprechen sie indirekt über dessen Gefährdung, allerdings nur indirekt mit Fontane-Zitaten. Wenig später, im April 1991, wird der Treuhandchef ermordet. Die neue Chefin lehnt Fontys Denkschrift als zu vergangenheitsbezogen ab. Kurz darauf erhält er die Nachricht vom Selbstmord Freundlichs.

Fonty taucht ab

Fonty will wieder einmal weg, alles hinter sich lassen und abtauchen. Diesmal allerdings kündigt er sein Vorhaben bei Madeleine, Martha und auch Emmi an. Vom Archiv lässt er sich einen Flug ohne Rückfahrtticket nach London buchen. Er sitzt schon im Flugzeug, da taucht Hoftaller auf und hält ihn in letzter Minute noch davon ab. Im Archiv kann man nur mutmaßen, womit: Entweder mit der sensationellen, aber unwahrscheinlichen Behauptung, dass Wuttke ein Urenkel Fontanes aus der unehelichen Linie sei. Oder mit der Enthüllung, dass der Sohn Teddy, allein um Vater und Mutter vor Strafe zu schützen, zum Stasi-Informanten wurde. Oder aber mit der Nachricht, Emmi Wuttke habe auf Fontys Verschwinden hin einen Selbstmordversuch begangen. Jedenfalls wird Fonty sogleich ernsthaft krank. Zu Hause stellt sich heraus, dass Emmis Selbstmordversuch ein Märchen war. Krank aber ist sie tatsächlich. Weil auch die sofort angereiste Martha wie üblich ebenfalls erkrankt, übernimmt Hoftaller für nahezu vier Wochen die Pflege der Familie. Eine Todesnachricht beendet das dreifache Krankenlager: Marthas Mann ist bei einem Autounfall tödlich verunglückt. Unverzüglich springen Martha und Emmi aus dem Bett; sie lassen sich keine Erschütterung anmerken, sondern zeigen vielmehr einen ungeahnten Energieschub und reisen sofort nach Schwerin. Durch das Erbe wird Martha eine reiche Frau. Mutter und Tochter sind in der Schweriner Villa glücklich und fordern Fonty auf, nachzukommen, er will jedoch nicht. Seine weitere Pflege übernimmt die spontan angereiste Madeleine, die kurz zuvor ihr Examen beendet hat.

„Kolossal zuwider sind mir Aufläufe, die partout Ereignis sein wollen.“ (Fonty an Silvester 1989/90, S. 63)

Als er wieder gesund ist, liest Fonty vor großem Publikum aus seinen Kindheitserinnerungen. Da wird der Vortrag von der Nachricht unterbrochen, dass die Treuhand brenne: Der Paternoster ist vollständig in Flammen aufgegangen. Jetzt taucht Fonty tatsächlich ab, er verschwindet samt Enkeltochter. Auch Hoftaller verabschiedet sich in Richtung unbekannt. Zuvor berichtet er von einem letzten Ausflug mit Fonty in einen Vergnügungspark: Dort hätten die beiden im Riesenrad Dokumente zerrissen, u. a. die Stasiakte des Sohnes Teddy, und die Schnipsel vergnügt fliegen lassen. Die Archivare vermissen Fonty, der Fontanes Hinterlassenschaften erst lebendig gemacht hat. Um ihn sich wiederzuholen, schreiben sie das vorliegende Buch.

Zum Text

Aufbau und Stil

Die Handlung von Grass’ Roman beginnt kurz nach dem Mauerfall 1989 und endet im Sommer 1991. In diese relativ kurze Zeitspanne sind mehr als 150 Jahre deutscher Geschichte verwoben – von der Mitte des 19. bis zum Ende des 20. Jahrhunderts. Die Gegenwartsebene folgt also der Chronologie, dennoch ist diese Ordnung insgesamt aufgehoben, weil Gegenwart und Vergangenheit beständig überblendet werden. In den beiden Hauptfiguren Fonty und Hoftaller personifiziert sich diese Technik der Gleichzeitigkeit: Fonty ist einerseits Theo Wuttke, andererseits Fontane; wenn er „ich“ sagt, meint er nicht nur den Wiedergänger des Dichters, sondern auch diesen selbst. Die Erzählinstanz hingegen ist ein gesichtsloses Kollektiv: „wir vom Archiv“, eine unbestimmte Anzahl von Mitarbeitern des Fontane-Archivs in Potsdam. Dieses Überpersönliche verleiht dem Erzählten repräsentativen, objektiven Charakter. Dabei lassen die Erzähler Berichte der Hauptpersonen ebenso einfließen wie eigene Beobachtungen und Briefe, und manchmal, wenn sie keine direkte Quelle haben, sind sie auf Mutmaßungen angewiesen. Der Stil, besonders jener der Fonty-Briefe, nimmt Fontanes Plauderton bewusst auf. Eine weitere Besonderheit ist die telegrammartige Satzverknappung, mit der schon Fontane die preußische Wortknapserei parodierte. Der Titel des Romans schließlich ist ein Verweis auf den letzten Satz aus Fontanes wohl berühmtestem Werk Effi Briest, in dem der alte Briest zu seiner Frau sagt: „Ach, Luise, lass ... das ist ein zu weites Feld.“

Interpretationsansätze

  • Die Hauptfigur Fonty verkörpert eine zentrale These des Romans, die freilich nur zwischen den Zeilen steht: Die Geschichte wiederholt sich. Der Vormärz 1848 wird mit dem Arbeiteraufstand vom Juni 1953 in der DDR gleichgesetzt, die Einheit von 1871 mit der von 1990. Die beiden Letzteren seien von oben verordnet gewesen; entsprechend werden sie mit Skepsis beurteilt. Grass überblendet Faschismus mit Kommunismus und Kapitalismus, was eine Geschichtsphilosophie der immer gleichen Fehler ergibt.
  • Neben dem Verhalten der Obrigkeit ist aber auch das des Bürgers entscheidend – und der fügt sich meist. Trotz mancher unvorsichtiger Äußerungen beugt Fonty sich dem Nationalsozialismus wie dem Stalinismus und kooperiert, wenn auch widerstrebend, mit Hoftaller – der Spitzel dankt es ihm mit Fürsorge. Dieses Schwanken zwischen Kooperation und Opposition findet sich auch bei Fontane.
  • Einer der Hauptschauplätze und ein Symbol für den Wechsel der Systeme ist das Riesengebäude in Berlin-Mitte, das den Nationalsozialisten als Reichsluftfahrtministerium, der DDR als Haus der Ministerien und der wiedervereinigten Bundesrepublik als Treuhandgebäude dient. Besonders symbolträchtig ist der Paternoster des Bauwerks: Hier verdeutlichen sich die Auf- und Abstiege der jeweiligen Machthaber – und auch eine gewisse Vergeblichkeit ihrer Bemühungen.
  • Ein weites Feld ist ein Plädoyer für die Primärlektüre berühmter Autoren. Der schrullige Fonty lässt den zur Statue erstarrten Fontane wieder lebendig werden. Das Archiv bietet dagegen nur leblose Fußnoten.
  • Der Roman betont die Verschränkung von Literatur und Leben. Wuttkes und Hoftallers Vorleben ist literarischer Natur – der historische Erinnerungsraum entsteht also über literarische Spiegelungen. Mehrfach klingt die Macht der Literatur an.

Historischer Hintergrund

Zweimal deutsche Einheit

Deutschland war in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts keine politische Einheit, sondern ein loser Bund monarchisch regierter Regionalstaaten. Bis 1848 herrschte eine Phase der Restauration, in der eine Mitbestimmung des Bürgertums von Königen, Fürsten und Großherzogen verhindert wurde. Bei den Karlsbader Beschlüssen von 1819 hatten sich die Minister der deutschen Staaten unter der Dominanz des Österreichers Metternich darauf verständigt, alle Freiheits- und Einheitsbewegungen rigoros zu unterdrücken. Diese äußerlich friedliche Phase wurde im Nachhinein als Biedermeier bezeichnet. Nach der Pariser Julirevolution von 1830 und der französischen Februarrevolution von 1848 schwappte die Freiheitsbewegung dann auch nach Deutschland über und führte im März 1848 zu einem Aufstand des deutschen Bürgertums, der blutig niedergeschlagen wurde. Erst 1871 kam es unter der Vorherrschaft Preußens und unter dem Ausschluss Österreichs zur Gründung des deutschen Kaiserreichs, mit dem preußischen König Wilhelm I. als gesamtdeutschem Kaiser und Otto von Bismarck als Reichskanzler.

In der DDR hatte der Arbeiteraufstand vom 17. Juni 1953 noch keine Auswirkungen auf das sozialistische System. Er wurde von den sowjetischen Truppen gewaltsam niedergeschlagen. Die Geschichte der zweiten deutschen Einheit, also der Wiedervereinigung von BRD und DDR, begann damit, dass im Herbst 1989 Ungarn seine Grenze zu Österreich öffnete. Auf diesem Weg kam es zu einer Massenflucht von DDR-Bürgern. Bald fanden in Leipzig und Dresden Massendemonstrationen statt, Rufe nach freien Wahlen und nach der Wiedervereinigung wurden laut. Am 9. November gab die DDR-Regierung dem Druck nach und öffnete die Grenze zur BRD. Dieses Ereignis ist als Fall der Berliner Mauer in die Geschichte eingegangen. Nach einer Übergangsregierung, erst unter Hans Modrow, dann unter Lothar de Maizière, kam es am 3. Oktober 1990 zum Beitritt der DDR zur BRD.

Entstehung

Der Ausgangspunkt für Grass’ intensive Beschäftigung mit Theodor Fontane war die Begeisterung, die seine Frau Ute diesem entgegenbringt. Offenbar hat ihre Fontane-Verehrung Günter Grass als Schriftsteller und Ehemann sogar eifersüchtig gemacht. Ute Grass ist Ein weites Feld denn auch gewidmet. Außerdem ist Fontane Grass’ Ansicht nach besonders geeignet für einen Roman, in dem sich die politisch-gesellschaftlichen Entwicklungen spiegeln, weil er als Realist die besondere Zeitgenossenschaft des Schriftstellers eingelöst hat, auf die es Grass ankommt. Hans Joachim Schädlichs Roman Tallhover (1986) las Grass noch im Erscheinungsjahr während eines Indien-Aufenthalts; er zeigte sich beeindruckt von der Gestaltung des ewigen Spitzels in den unterschiedlichen politischen Systemen und hielt einzig dessen Tod für einen Fehler. Also machte er ihn in seinem Buch ungeschehen. Grass bereitete sich gründlich auf seinen Roman vor – durch intensive Fontane-Lektüre ebenso wie durch Archivrecherchen in Berlin und Potsdam, mit denen er den Germanisten Dieter Stolz als seinen „verdeckten Ermittler“ beauftragte. Ab Anfang Januar 1993 schrieb Grass dann am Manuskript. Im Sommer 1993 stellte er die erste handschriftliche Version fertig, die im November 1993 als Schreibmaschinenfassung vorlag. Im Februar des folgenden Jahres begann er mit der Schlussfassung, die im Januar 1995 fertig wurde.

Wirkungsgeschichte

Der Veröffentlichung des Romans 1995 folgte ein beispiellos eskalierender Kritikerstreit, der in einer Fotomontage des Spiegels gipfelte: Literaturpapst Marcel Reich-Ranicki zerriss das Buch auf dem Cover des Magazins wortwörtlich. Seine vernichtende Rezension im Heft hatte die Form eines offenen Briefs an Grass, beginnend mit der Anrede „Mein lieber Günter Grass“. In den darauf folgenden Feuilleton-Streit schalteten sich auch Politiker ein, die Grass entweder verteidigten oder angriffen oder aber, wie Antje Vollmer, ohne Partei zu ergreifen, diese Art der Literaturkritik als Kampagnenjournalismus verurteilten. Als die Kritikerin Sigrid Löffler aus der Fernsehsendung Das literarische Quartett ausstieg, weil sie die sorgfältige Behandlung der Werke nicht mehr gewährleistet sah, bezeichnete sie die Sendung, in der Ein weites Feld besprochen wurde, als Wendepunkt hin zu einer unangemessenen Veranstaltung.

Es gab zwar auch positive Stimmen – die Süddeutsche Zeitung verglich den Roman mit Thomas Manns Doktor Faustus –, aber die Wahrnehmung der negativen Reaktionen überwog; zudem waren diese oft von extremer Härte und Häme. Iris Radisch schrieb in der Zeit, Grass habe mit seinem „verplapperten Thesenroman (...) von der Literatur Abschied genommen“. Viele Kritiker nahmen Anstoß an den politischen Aussagen des Romans, dem Einheitsskeptizismus und der Parallelisierung politischer Ereignisse des 19. und des 20. Jahrhunderts. Die Welt am Sonntag bezeichnete dieses schematische Vorgehen als „politischen Unsinn“.

Über den Autor

Günter Grass wird am 16. Oktober 1927 als Sohn eines Lebensmittelhändlers in Danzig geboren. Er besucht das Gymnasium und wird Mitglied der Hitlerjugend. Ende des Zweiten Weltkriegs meldet sich der 15-Jährige freiwillig zur Wehrmacht, um der familiären Enge zu entkommen. Nach einer Verwundung gerät er in Bayern in US-amerikanische Kriegsgefangenschaft, aus der er 1946 entlassen wird. Grass zieht ins Ruhrgebiet, arbeitet dort im Bergbau und später im Rheinland als Landarbeiter. Er macht eine Steinmetzlehre und studiert von 1948 bis 1956 Bildhauerei in Düsseldorf und Berlin. Nach einem dreijährigen Aufenthalt in Paris gibt Grass die bildhauerische Arbeit auf. Mit dem Erscheinen seines ersten Romans Die Blechtrommel 1959 wird er schlagartig berühmt. In den 60er Jahren engagiert er sich politisch für die SPD und unterstützt den Wahlkämpfer Willy Brandt. Immer wieder mischt er sich in politische Debatten ein. Aus Protest gegen die restriktive Asylpolitik der SPD tritt er Anfang der 90er Jahre aus der Partei aus. Nach dem Fall der Berliner Mauer kritisiert Grass vehement die deutsche Wiedervereinigung als verfrüht. Er begrüßt zwar die neue Freiheit der Ostdeutschen, für deren Schutz bedürfe es jedoch der politischen Einheit Deutschlands nicht. Die Novellen Katz und Maus (1961) und Hundejahre (1963) bilden zusammen mit der Blechtrommel die Danziger Trilogie. Weitere wichtige Werke sind Örtlich betäubt (1969), Aus dem Tagebuch einer Schnecke (1972), Das Treffen in Telgte (1978) und Im Krebsgang (2002). 1999 wird Grass der Literaturnobelpreis für sein Lebenswerk verliehen. Im Sommer 2006 bekennt er mit dem Erscheinen seines autobiografischen Werks Beim Häuten der Zwiebel, dass er als 17-Jähriger Mitglied der Waffen-SS war. Diese späte Enthüllung löst eine heftige Debatte über Grass als moralische Instanz aus. Im Alter von 87 Jahren stirbt Günter Grass am 13. April 2015 in Lübeck.  

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